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Nachhaltigkeitsbewertung:
Konzepte im In- und Ausland
Master Thesis
Zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Engineering
(M.Eng.)
im Fachbereich Architektur und Bauingenieurwesen
der Hochschule RheinMain, University of Applied Science
Jasmina Wirsich, B.Eng.
Wiesbaden, August 2012
Betreuer: Prof. Dr.-Ing Heinz Eckhardt
Betreuer: Dr. Walter Pflügner
Ich versichere hiermit, diese Master Thesis nur unter Verwendung der in
der Arbeit angegebenen Quellen und Hilfsmittel selbstständig angefertigt
zu haben.
Datum/ Unterschrift
Vorwort
Die vorliegende Master Thesis wurde in der Zeit vom 1.März 2012 bis zum 15.August 2012
angefertigt. Schon seit längerem weckt das Thema der Nachhaltigkeit in mir ein stetig wach-
sendes Interesse, welches sich während der Bearbeitungszeit keineswegs verringerte- im Ge-
genteil. Die Thematik mit dem Schwerpunkt der Bewertung ist nicht nur Gegenstand dieser
Arbeit, sondern beschäftigt/e mich auch im Alltag und gab des Öfteren Anlass für Diskussio-
nen. Es ist absehbar, dass unsere Gesellschaft zunehmend mit dem Sachverhalt der Nachhal-
tigkeit in all ihren Facetten konfrontiert werden wird und einen Weg finden muss, damit um-
zugehen und darauf zu reagieren. Ich hoffe auf positive Einstellungen und produktive Heran-
gehensweisen, voller Engagement und Motivation, denn dies ist eine spannende Entwicklung,
welche viele Chancen birgt. Angesichts der globalen Bedeutung der Nachhaltigkeitsbewe-
gung erscheinen die Bewertung und die Erfassung von Vorgängen, welche in diesem Namen
ablaufen, umso wichtiger.
Ich danke Herr Prof. Dr.-Ing. Heinz Eckhardt und Herr Dr.-Ing. Walter Pflügner für die Be-
treuung und die zuverlässige Unterstützung während der Bearbeitungszeit.
Desweiteren danke ich der Freiburger Agentur Aiforia- Agency for Sustainability, insbeson-
dere Herr Dipl.-Ing. Andrea Burzacchini, der es mir ermöglichte, an einer zweitägigen Füh-
rung durch Freiburg mit dem Thema „Nachhaltigkeit in Kommunen“, teilzunehmen.
Zudem danke ich Frau Dipl.-Geogl. Nicole Jackisch vom Institut für Hydrologie der Universi-
tät Freiburg, die mich freundlicherweise zu einer Führung zum Thema „Nachhaltige Regen-
wasserbewirtschaftung“ in Freiburg Vauban einlud und mir auch sonst während der Bearbei-
tungszeit für Fragen zur Verfügung stand.
Desweiteren danke ich Frau Dr. Anna Hitschler und Herrn Dr. rer. nat. Peter Saling von der
Firma BASF, für die Beantwortung meiner Fragen im Zusammenhang mit den firmeninternen
Bewertungsmethoden der Nachhaltigkeit.
Ferner danke ich meiner Schwester Petra und an weiteren Freunden und Verwandten für viele
interessante und inspirierende Diskussion.
Wiesbaden, den 12.8.2012 Jasmina Wirsich
Seite I
Zusammenfassung
Vorliegende Master Thesis beschäftigt sich mit dem Thema der Nachhaltigkeit, insbesondere
der Nachhaltigkeitsbewertung und –messung. In mehreren methodischen Schritten wird diese
Thematik in Theorie und Praxis dargestellt und evaluiert.
Nach einer Einleitung über Anlass, Problemdefinition, Methodik und Ziele wird der Gegen-
stand der Nachhaltigkeit vertieft, d.h. es wird auf deren Hintergründe, Inhalte, Umsetzungen
und Konflikte eingegangen. Dies ist für das Verständnis der nachfolgenden Kapitel wichtig.
Ein Mangel dieses Themengebiets, auf den von Anfang an durchgehend hingewiesen wird
und welchem sich der Kern dieser Master- Thesis widmet, ist das Fehlen von Rechtsgrundla-
gen und ganzheitlichen Bewertungsmethoden für alle Handlungen im Namen dieser Entwick-
lung, d.h. für nachhaltige Produkte, Projekte, etc. Dieser orientierungslose und willkürliche
Zustand verhindert ein effektives und zielorientiertes Vorankommen von Nachhaltigkeit auf
sämtlichen Ebenen. In Kapitel drei wird vertieft auf existierende Bewertungsmodelle und –
konzepte eingegangen, die darauf überprüft werden, ob sie sich als Nachhaltigkeitsbewer-
tungsmethoden eignen. Nach einer umfassenden theoretischen Fundierung durch Kapitel zwei
und drei beschäftigt sich Kapitel vier mit der Frage, welche Rolle das Thema der Nachhaltig-
keit in den Bereichen Unternehmen, Kommunen und Landnutzung spielt. Hier wird anhand
von Beispielen gezeigt, wie Nachhaltigkeit praktiziert wird. In jedem dieser Disziplinen gibt
es Pioniere und Akteure, die sich der Sache annehmen und Modellprojekte initiieren. Es gilt
diese darzustellen, um das doch sehr theoretische Thema, welches jedoch einer praktischen
Umsetzung bedarf, anschaulich zu machen und Entwicklungslinien ableiten zu können. Dies
bedeutet, dass mit Hilfe der nachvollziehbaren Praxisbeispiele herausgefunden werden soll,
wie Nachhaltigkeit derzeit abläuft, ablaufen wird und könnte. Dabei werden auch zukunftsori-
entierte Fragen in der Arbeit von besonderer Bedeutung sein. Wird die Entwicklung von prak-
tischen Modellbeispielen, von vereinzelten Gruppen oder eher von einer strategischen über-
geordneten Planung dominiert und vorangetrieben werden? Oder von beidem –Praxis und
Theorie? Diese Erkenntnisse fließen in Kapitel fünf in ein selbst erstelltes Bewertungs- und
Aktionsmodell ein, welches als Leitfaden und Orientierungshilfe in den drei bearbeiteten Be-
reichen Unternehmen, Kommunen und Landnutzung dienen soll. In Kapitel sechs werden in
einem Fazit die wichtigsten Feststellungen diskutiert und in einem Ausblick weiterer Bedarf
hinsichtlich des Entwicklungsstandes abgeleitet.
Seite II
Abstract
Facing present and upcoming global trends, like urban growth, climate change, shortage of
resources, etc., politicians and people seem to agree to the necessity of a sustainable develop-
ment for our society. The Master Thesis in hand deals with sustainability, and how to measure
and quantify it in theory and in practice. After a short introduction the topic of sustainability
will be looked at in detail, which means that the background, the meaning, the transfer in
practice and conflicts will be regarded. This summery is important and relevant as a founda-
tion for the following chapters. From the beginning on, throughout till the end, it is men-
tioned, that one of the main barriers in transferring in a sustainable development, is the fact
that until today there is no established and judicial- regulated methods for sustainability as-
sessment in any kind of process. That is absurd, considering a development that has apparent-
ly already begun a few decades ago in 1992 at the United Nations Conference on Environ-
ment and Development in Rio de Janeiro. This fact causes a state of disorientation and arbi-
trariness, which prevents an effective and goal- orientated progress. Chapter three deals with
already existing assessment tools, which are been checked upon their usability for quantifying
sustainability. After a widespread theoretical foundation of the topic, chapter four is analyz-
ing three categories- enterprises, communities and land use- relating to the significance of
sustainability in each one of the category and how the assessment is realized. On the founda-
tion of selected examples, it is pointed out, how sustainability is put into action and how it is
assessed and measured. In each one of the disciplines, there are pioneers, who push on acting
in a sustainable way by developing archetypes that they claim to be sustainable. These exam-
ples are presented, first of all to make previous chapters vivid and concrete, second to have a
look at utilized metrics and assessment tools for sustainability in the described examples and
third to identify patterns how sustainability is evolving, will and could evolve in our society.
The realizations and findings throughout the Thesis yield into chapter five, where they be-
come part in three matrices- one for each discipline- enterprises, communities and land use.
These matrices can be useful as orientation guides, as an overview of the state of the art con-
cerning sustainability in the mentioned sectors, or as guidelines. In chapter six, the essence of
the thesis will be presented and discussed upon which an outlook for further research and de-
mand for development is given.
Seite III
Inhalt
1. Einleitung ...................................................................................................... 1
1.1 Problemstellung ................................................................................... 1
1.2 Ziele der Arbeit .................................................................................... 2
1.3 Methodik/ Vorgehensweise ................................................................... 3
2. Nachhaltigkeit ................................................................................................ 5
2.1 Definitionen und Modelle ..................................................................... 5
2.1.1 Ökologie .............................................................................. 9
2.1.2 Ökonomie........................................................................... 10
2.1.2.1 Wachstumsdebatte 12
2.1.3 Soziales .............................................................................. 15
2.2 Nachhaltigkeitsdebatte ........................................................................ 16
2.3 Aktionsfelder und Akteure .................................................................. 18
2.4 Stellenwert in Rahmensetzung und Hierarchie von EU, Bund, Ländern und
Gemeinden ........................................................................................ 19
2.5 Konflikte ........................................................................................... 21
3. Bewertungsmodelle und -kriterien .................................................................. 25
3.1 Produkte ........................................................................................... 27
3.1.1 Life Cycle Inventory (LCI) ................................................... 27
3.1.2 Öko Bilanz/ Life Cycle Assessment (LCA) ............................ 27
3.1.3 Die Methode der ökologischen Knappheit/ Umweltbelastungspunkte
(UBP) ................................................................................ 31
3.1.4 Lebenszykluskostenrechnung/ Life Cycle Costing (LCC) ........ 37
3.1.5 Sozialbilanz/ Social Life Cycle Assessment (SLCA) ............... 38
3.1.6 Technikfolgenabschätzung/ Technology Assessment (TA) ...... 42
Seite IV
3.1.7 Produktfolgenabschätzung.................................................... 43
3.1.8 Stoffstromanalyse ................................................................ 44
3.1.9 Produktlinienanalyse ........................................................... 45
3.1.10 Product Sustainability Assessment (PROSA) ......................... 46
3.1.10.1 EcoGrade 50
3.1.10.2 SocioGrade 51
3.1.10.3 BeneGrade 52
3.1.10.4 ProfitS (Product- fit- to- Sustainability) 54
3.1.11 Forest Stewardship Council (FSC) ........................................ 57
3.1.12 Marine Stewardship Council (MSC) ...................................... 61
3.2 Projekte ............................................................................................ 62
3.2.1 Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ........................................... 62
3.2.2 Nutzen- Kosten- Analyse ..................................................... 63
3.2.3 Kostenwirksamkeitsanalyse (Kosten- Nutzwert- Analyse) ....... 68
3.2.4 Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) .................................. 69
3.2.5 Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) ........... 71
3.2.6 Leadership in Energy and Environmental Design (LEED) ....... 77
3.3 Programme und Pläne ......................................................................... 81
3.3.1 Strategische Umweltprüfung (SUP) ....................................... 81
3.3.2 Raumordnungsverfahren (ROV) ........................................... 82
3.4 Institutionen ...................................................................................... 82
3.4.1 Nachhaltigkeitsprüfung ........................................................ 83
3.4.2 Nachhaltigkeitschecks in der kommunalen Verwaltung ........... 84
3.4.3 Umweltökonomische Gesamtrechnung (UGR) ....................... 84
3.4.4 Umweltmanagementsysteme (EMAS, ISO 14001, ÖKOPROFIT)86
Seite V
3.5 Indikatorensysteme ............................................................................ 89
3.6 Übersicht, Zusammenfassung und Ergänzungen der Bewertungsmodelle . 99
4. Themenkomplexe ....................................................................................... 106
4.1 Unternehmen- Nachhaltigkeit in der privaten Wirtschaft ...................... 106
4.1.1.1 Nachhaltige Chemie- Konzepte 107
4.1.2 Beispiel BASF .................................................................. 115
4.1.2.1 Ziele und Strategien 116
4.1.2.2 Ökoeffizienz- Analyse 120
4.1.2.2.1 Beispiele 124
4.1.2.3 SeeBalance® 133
4.1.2.4 AgBalance 135
4.1.2.5 Produkt Carbon Footprint (PCF) 138
4.1.2.6 Zwischenfazit 139
4.2 Kommunen – Nachhaltigkeit im öffentlichen Sektor ............................ 142
4.2.1 Beispiel Freiburg im Breisgau ............................................ 143
4.2.1.1 Vauban 145
4.2.1.1.1 Wohnformen 146
4.2.1.1.2 Bauen 150
4.2.1.1.3 Verkehr 155
4.2.1.1.4 Regenwasserbewirtschaftung 157
4.2.1.2 Rieselfeld 174
4.2.1.3 Weingarten 177
4.2.1.4 Badenova Stadion 181
4.2.2 Beispiel Malmö ................................................................. 185
4.2.3 Bewertungskonzepte und -kriterien ..................................... 195
Seite VI
4.2.4 Zwischenfazit ................................................................... 204
4.3 Landnutzung.................................................................................... 208
4.3.1 Nationale Strategie zur biologische Vielfalt.......................... 211
4.3.2 Siedlungsflächenmanagement ............................................. 216
4.3.3 Entsiegelung ..................................................................... 218
4.3.4 Bewertungskonzepte und -kriterien ..................................... 219
4.3.5 Zwischenfazit ................................................................... 221
4.4 Vergleich der Themenkomplexe ........................................................ 223
5. Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
................................................................................................................. 235
5.1 Ziele und Rahmen ............................................................................ 236
5.2 Steuerungsinstrumente ...................................................................... 241
5.2.1 Unternehmen .................................................................... 245
5.2.2 Kommunen ....................................................................... 247
5.2.3 Landnutzung ..................................................................... 260
6. Fazit, Diskussion und Ausblick .................................................................... 267
7. Literaturverzeichnis .................................................................................... 275
7.1 Literaturquellen ............................................................................... 275
7.2 Internetquellen ................................................................................. 280
Seite VII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Nachhaltigkeitsmodell ...................................................................................... 6
Abbildung 2: Physiozentrismus und Anthropozentrismus: Verschiedene Motive und
Begründungen für den Naturschutz ................................................................................ 7
Abbildung 3: Nachhaltigkeitsei .............................................................................................. 8
Abbildung 4: Industrieller Metabolismus: Schematische Darstellung von Materialverbrauch,
Produktion, Konsum und Emissionen ........................................................................... 26
Abbildung 5: Arbeitsschritte einer Ökobilanz ....................................................................... 30
Abbildung 6: Umweltauswirkungen entlang der Wertschöpfungskette ................................. 30
Abbildung 7. Stakeholder- Diagramm .................................................................................. 39
Abbildung 8: Die Grundstruktur von PROSA....................................................................... 47
Abbildung 9: Bewertungsmodell Eco- Grade ....................................................................... 51
Abbildung 10: Integrierendes Bewertungsmodell ProfitS ..................................................... 55
Abbildung 11: Spinnen- Diagramm von ProfitS ................................................................... 56
Abbildung 12: Balken- Diagramm von ProfitS ..................................................................... 56
Abbildung 13: Bewertungsmethoden in der Verkehrswegeplanung ...................................... 66
Abbildung 14: Zertifizierungssysteme weltweit für nachhaltiges Bauen ............................... 71
Abbildung 15: Ganzheitliche Betrachtung des Gebäudekomplexes....................................... 73
Abbildung 16: Umweltmanagementsystem nach Plan- Do- Check- Act- Zyklus................... 87
Abbildung 17: Beispiel einer DPSIR- Analyse im Bereich Lärm .......................................... 99
Abbildung 18: Übersicht der Einzelinitiativen im Chemikalienmanagement....................... 112
Abbildung 19: Anforderungen an nachhaltige Chemikalien ................................................ 115
Abbildung 20: Stellenwert der Ökoeffizienz-Analyse ......................................................... 120
Abbildung 21: Veranschaulichung des ökologischen Fingerabdrucks verschiedener
Alternativen ............................................................................................................... 122
Abbildung 22: Ablauf der Ökoeffizienz- Analyse ............................................................... 122
Abbildung 23: Ökoeffizienz- Ranking ................................................................................ 123
Abbildung 24: Ökoeffizienzranking der Braeburn Äpfel .................................................... 125
Abbildung 25: Ökologischer Fingerabdruck der Braeburn Äpfel ........................................ 125
Abbildung 26: Energiebedarf während des Lebenszyklus´ der Äpfel .................................. 126
Abbildung 27: Emissionen in CO²- Äquivalente während des Lebenszyklus der Äpfel ....... 127
Seite VIII
Abbildung 28: Ökoeffizienz Ranking der PBT Produkte .................................................... 130
Abbildung 29: Kosteneinsparung Standard Ultradur vs. Ultradur® high Speed .................. 130
Abbildung 30: Spinnendiagramm Standard Ultradur vs Ultradur® High Speed .................. 131
Abbildung 31: Ökoeffizienz- Analyse und Seebalance® .................................................... 133
Abbildung 32: Die Integration eines sozialen Fingerabdrucks im SeeCube® ...................... 135
Abbildung 33: Freiburg im Breisgau/ Darstellung der Schwerpunkte ................................. 143
Abbildung 34: Stadtteil Vauban ......................................................................................... 145
Abbildung 35: Typischer Baustil in Freiburg- Vauban ....................................................... 149
Abbildung 36: Wohngenossenschaft Genova als Größte in Vauban .................................... 149
Abbildung 37: Das erste Mehrfamilienpassivhaus der Welt der Baugemeinschaft „Wohnen
und Arbeiten“ ............................................................................................................. 150
Abbildung 38: Abstehender Balkon um Wärmebrücken zu vermeiden ............................... 152
Abbildung 39: Qualitätsanforderungen an ein Passivhaus ................................................... 152
Abbildung 40: Sonnenschiff der Solarcity im Vauban 1 ..................................................... 153
Abbildung 41: Sonnenschiff der Solarcity im Vauban 2 ..................................................... 154
Abbildung 42: Energie- plus- Häuser in Freiburg- Vauban ................................................. 155
Abbildung 43: Marktplatz und sozialer Mittelpunkt von Vauban ........................................ 157
Abbildung 44: Kf- Wert ..................................................................................................... 161
Abbildung 45: Regenwasserentwässerungskonzept Vauban ............................................... 162
Abbildung 46: Bau einer RigoFill- Rigole .......................................................................... 163
Abbildung 47: Sammlung des Regenwassers in den Wohnangern und Weiterleitung in die
Mulden ....................................................................................................................... 164
Abbildung 48: Einleitung in das Mulden- Rigolen System ................................................. 164
Abbildung 49: Schwellen im Muldensystem ...................................................................... 165
Abbildung 50: Stehendes Niederschlagswasser in der Mulde ............................................. 166
Abbildung 51: Querschnitt einer Mulden- Rigole ............................................................... 167
Abbildung 52: Schnitt durch einen der zwei Gräben mit Überlaufschacht........................... 167
Abbildung 53: Einleitung des überschüssigen Wassers in den Vorfluter ............................. 168
Abbildung 54: Weitere dezentrale Entwässerungsmaßnahmen ........................................... 173
Abbildung 55: Stadtteile Rieselfeld und Weingarten und das potentielle Neubaugebiet ...... 174
Abbildung 56: Öffentliche Verkehrsmittel in Rieselfeld ..................................................... 175
Abbildung 57: Straßenbahnnetz in Rieselfeld ..................................................................... 176
Seite IX
Abbildung 58: Innenbereich- Außenbereich in Freiburg- Rieselfeld ................................... 177
Abbildung 59: Vor, während und nach der Sanierung......................................................... 179
Abbildung 60: Nordseite eines Passivhochhauses in Freiburg- Weingarten nach der Sanierung
................................................................................................................................... 180
Abbildung 61: Westseite eines Passivhochhauses in Freiburg- Weingarten nach der Sanierung
................................................................................................................................... 181
Abbildung 62: Erste Rasenerneuerung nach 8 Jahren ......................................................... 183
Abbildung 63: Solarzellen auf dem Badenova Stadion ....................................................... 184
Abbildung 64: Vogelperspektive Badenvoa Stadion ........................................................... 184
Abbildung 65: Offene Regenwasserspeicherung1 ............................................................... 187
Abbildung 66: Offene Regenwasserspeicherung2 ............................................................... 187
Abbildung 67: Offene Regenwasserspeicherung3 ............................................................... 188
Abbildung 68: Extensive und intensive Dachbegrünung ..................................................... 189
Abbildung 69: Der erste städtische botanische Dachgarten ................................................. 189
Abbildung 70: Stufenplan für die Anhebung des energetischen Standards von Neubauten .. 196
Abbildung 71: Märkte- und Zentrenkonzept Freiburg ......................................................... 201
Abbildung 72: Landnutzungsverteilung in Deutschland...................................................... 216
Abbildung 73: Entsiegelung und Nachhaltigkeit in Ballungsräumen .................................. 219
Abbildung 74: Vermeidungsprinzip in der Eingriffsregelung.............................................. 221
Abbildung 75: Darstellung der vergleichenden Bewertung im Spinnendiagramm ............... 226
Abbildung 76: Wasserbilanz der BASF .............................................................................. 231
Abbildung 77: Emissionen in das Wasser ........................................................................... 231
Abbildung 78: Gegenstromprinzip ..................................................................................... 236
Abbildung 79: Planetarische Grenzen, Schwellenwerte und Unsicherheit ........................... 238
Abbildung 80: Der idealisierte Ablauf von Transitionen ..................................................... 244
Abbildung 81: Entwicklung zum Nachhaltigkeitsstandard .................................................. 259
Seite X
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht der Ökofaktoren ................................................................................... 35
Tabelle 2: Soziale Indikatoren .............................................................................................. 40
Tabelle 3: Zeitlicher Ablauf von PROSA und Aufgabenstellung der Phasen ........................ 49
Tabelle 4: Auszug aus dem Bewertungsmodell SocioGrade ................................................. 52
Tabelle 5: Nutzen- Typen und Nutzer der Ergebnisse ........................................................... 53
Tabelle 6: Umweltökonomische Schäden in Milliarden Dollar ............................................. 67
Tabelle 7: Themenfelder und Ausschnitt der zugehörigen Kriterien der DGNB Zertifizierung
für Einzelgebäude......................................................................................................... 74
Tabelle 8: Vergleich der Zertifizierungssysteme DGNB und LEED ..................................... 80
Tabelle 9: Übersicht über Konzepte zur Wohlfahrts- und Nachhaltigkeitsmessung ............... 91
Tabelle 10: Indikatoren der hessischen Nachhaltigkeitsstrategie ........................................... 92
Tabelle 11: Leitbilder und Indikatoren der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie .................... 94
Tabelle 12: Übersicht der Bewertungsmodelle ................................................................... 102
Tabelle 13: Wirtschaftliche Ziele ....................................................................................... 117
Tabelle 14: Ziele Umwelt, Sicherheit und Produktverantwortung ....................................... 117
Tabelle 15: Ziele Mitarbeiter und Gesellschaft 1 ................................................................ 119
Tabelle 16: Ziele Mitarbeiter und Gesellschaft 2 ................................................................ 119
Tabelle 17: Sozialprofil von SeeBalance ............................................................................ 134
Tabelle 18: Ökologische Indikatoren von AgBalance ......................................................... 136
Tabelle 19: Ökonomische Indikatoren von AgBalance ....................................................... 137
Tabelle 20: Soziale Indikatoren von AgBalance ................................................................. 137
Tabelle 21: Qualität der Niederschlagsabflüsse .................................................................. 169
Tabelle 22: Kenndaten zu den Versickerungsgräben........................................................... 172
Tabelle 23:Verdunstungs-, Versickerungs- und Abflussmengen des Mulden- Rigolen-
Systems in Vauban (Simulationsergebnisse) aus Freiburg (1996) ............................... 172
Tabelle 24: Standards vzgl. Water and Sewage .................................................................. 190
Tabelle 25: Green Space Factor .......................................................................................... 192
Tabelle 26: Green Point System ......................................................................................... 193
Tabelle 27:Nachhaltigkeitsbewertungsmatrix des Stadtquartiers Vauban ............................ 202
Tabelle 28: Auswahl einiger Indikatoren der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 212
Seite XI
Tabelle 29: Vergleich der Themenkomplexe ...................................................................... 224
Tabelle 30: Planetarische Grenzen ..................................................................................... 239
Tabelle 31: Leitfaden der Nachhaltigkeit- Unternehmen der chemischen Industrie ............. 246
Tabelle 32: Leitfaden der Nachhaltigkeit- Kommunen ....................................................... 250
Tabelle 33: Leitfaden der Nachhaltigkeit- Landnutzung ..................................................... 261
Tabelle 34: Beispielhafter Policymix für die Transformation in eine nachhaltige Gesellschaft
................................................................................................................................... 264
Einleitung
Seite 1
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Der Begriff der Nachhaltigkeit hat im Rahmen der Umwelt- und Klimaschutzdebatte der ver-
gangenen Jahre international an Bedeutung gewonnen. Produkte, Entwicklungen, Lebensstile,
etc. sollen nachhaltig gestaltet werden, um globale Megatrends, insbesondere den Klimawan-
del, in den Griff zu bekommen. Der Wandel hin zu einer nachhaltigen klimaverträglichen
Gesellschaft wird als große Transformation gesehen, vergleichbar mit der industriellen Revo-
lution um 1850 oder mit der neolithischen Revolution, welche den Übergang der Jäger- und
Sammlergesellschaft zur Agrargesellschaft beschreibt.1
Anders als die genannten Transformationen muss die Entwicklung zu einer nachhaltigen Ge-
sellschaft bewusst und zeitnah ablaufen, um gewisse Grenzen, wie z.B. die 2°- Grenze2 und
die damit einhergehenden Ereignisse, nicht zu überschreiten.
Jedoch ist der Begriff der Nachhaltigkeit samt seinen Anforderungen und konkreten Zielen
bisher eher schwammig und variantenreich, teils unzulänglich definiert. Definitionen, wie die
Folgende des Brundtland- Berichts lassen einen sehr großen Spielraum offen und somit liegt
es im Ermessen eines Jeden zu definieren, was nun wirklich nachhaltig ist und was nicht.
Die wohl bekannteste Definition stammt aus dem Brundtland- Bericht des Jahres 1987. Diese
Erläuterung gab den wesentlichen Anstoß für darauf aufbauende Konzepte. Sie lautet:
„Sustainable development is development that meets the needs of the present without
compromising the ability of future generations to meet their own needs.”3
Die anthropozentrische Definition des Brundtland- Berichts zielt darauf ab, eine nachhaltige
Entwicklung einzuleiten, um die Bedürfnisse, insbesondere die Grundbedürfnisse der gegen-
wärtigen und zukünftigen Generationen, zu befriedigen und zu sichern. Genauer betrachtet,
wenn auch immer noch sehr unkonkret, heißt das, wie auch die etablierte Definition des Rates
für nachhaltige Entwicklung (s. Kap. 2.1.) betont, soziale, ökologische und wirtschaftliche
1 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S.29
2 Die 2°- Grenze oder –Ziel beschreibt das Ziel der internationalen Klimapolitik, die globale Erwärmung auf
weniger als 2° gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen.
3 LEXIKON DER NACHHALTIGKEIT. Brundtlandbericht I Brundtland Report: Unsere gemeinsame Zukunft. 1987
Einleitung
Seite 2
Belange so gleichwertig wie möglich zu betrachten und durch das daraus resultierende Han-
deln den genannten Zustand zu erreichen.
Um eine solche Entwicklung zu verfolgen und entsprechende Erfolge oder Misserfolge in den
ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Zielbereichen messbar zu machen, mangelt es bis
heute an ausreichenden Rechtsgrundlagen, (Handlungs-)Vorschriften und Anwendungsbe-
stimmungen für Nachhaltigkeitsbewertungen. Zusätzlich treten unweigerlich Schwierigkeiten
bei der unterschiedlichen Gewichtung der Bereiche auf. Diese Aspekte sind wesentliche Hin-
dernisse für die breite Anwendung von Nachhaltigkeitsbewertungen. Das Fehlen an offiziell
anerkannten Bewertungskonzepten, unklare, unkonkrete oder voneinander abweichende Ziel-
setzungen und Mindestanforderungen sind auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Der
Regelungsbereich ist sehr komplex, es bestehen Wissenslücken über Risiken, Auswirkungen,
Szenarien, etc. und insbesondere über weiche Faktoren, wie soziale oder ökologische Belan-
ge. Interessenskonflikte und/oder Verteilungsfragen stellen oft ein Hindernis dar und der star-
ke Einfluss örtlicher Rahmenbedingungen sind Barrieren und verhindern ein übergreifendes
einheitliches Bewertungsmanagement.
Diese Mängel und Blockaden führen zu einer eher willkürlichen Gestaltung des Aufgabenbe-
reichs Nachhaltigkeit. Eine ernstzunehmende Verfolgung des Nachhaltigkeitsprinzips wird
dadurch erschwert und die Ergebnisse bzw. Bestrebungen müssen im öffentlichen wie im pri-
vaten Sektor in Frage gestellt werden. So ist der versprochene Mehrwert nicht garantiert, bei-
spielhaft verdeutlicht durch die etwa 80% der über 1000 gebräuchlichen Siegel bzgl. Nachhal-
tigkeit, welche falsche oder übertrieben Hoffnungen wecken, da es sich meistens um Selbst-
auszeichnungen der Hersteller handelt, die keine unabhängige Stelle überprüft und rechtlich
nicht allgemein gültig verankert sind.4
1.2 Ziele der Arbeit
Grundsätzlich soll der Begriff Nachhaltigkeit hinsichtlich seiner Bedeutung, seiner Inhalte,
seiner Aktionsfelder und entsprechender Bewertungskonzepte und -kriterien untersucht wer-
4 GERD BILLEN. Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen in GEO 12/2008, Kluger Konsum, Was
wirklich zählt, S. 177
Einleitung
Seite 3
den. Die in der Problemstellung erläuterten Mankos und Unklarheiten sollen hinterleuchtet
und durch recherchierte, sowie selbst erstellte Lösungsansätze bzgl. Bewertungsmethoden
ergänzt werden. Das Ziel ist es, eine Übersicht der bereits existierenden Bewertungskriterien
und -modelle zu erstellen, zu bewerten und daran eventuell Kritik zu äußern.
Als konkrete Aktionsfelder werden Unternehmen, Kommunen, bzw. urbane Räume und
Landnutzungen anhand von Beispielen hinsichtlich ihrer Rolle in einer nachhaltigen Entwick-
lung dargestellt. Weitere Bereiche, die von Nachhaltigkeit betroffen sind und einbezogen
werden müssen, wie Bürger/ Individuen oder Haushalte, werden zwar des Öfteren erwähnt,
aber nicht wie die anderen Bereiche beispielhaft erläutert.
Im kreativ wissenschaftlichen Bestandteil der Arbeit wird der Entwurf eines Aktions- und
Bewertungsmodells, welcher die gewonnenen Erkenntnisse und Weiterentwicklungen berück-
sichtigt, vorgestellt.
1.3 Methodik/ Vorgehensweise
Die methodische Vorgehensweise erfolgt grundsätzlich durch Recherche, Auswertung und
Gestaltung.
Die Recherche soll in den Grundzügen das Thema Nachhaltigkeit, existierende Bewertungs-
modelle sowie praxisnahe Beispiele abdecken. Die Hintergründe und Bedeutung der Nachhal-
tigkeitsdebatte sowie der derzeitige Stand der Dinge werden erläutert und dargestellt um da-
rauf aufbauende Modelle und Konzepte verständlich zu machen.
Ein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von existierenden Bewertungskonzepten.
Der Recherche folgt die Auswertung von wissenschaftlichen Arbeiten. Konflikte, Mängel und
Chancen werden differenziert betrachtet und in den gestalteten Entwurf mit einbezogen.
Die Arbeit widmet sich zum einen Teil den theoretischen Überlegungen und Konzepten sowie
den recherchierten Modellen und Kriterien, welche einen nennenswerten Beitrag zum Thema
der Nachhaltigkeit bieten. Dieser Abschnitt wird vertieft bearbeitet, sowohl um die Problem-
stellung und den Anlass der Arbeit aufzuzeigen als auch um Basis und Verständnis für weiter-
führende Erläuterungen zu sein.
Ein weiterer Teil widmet sich den konkreten operativen Bestrebungen, welche die stellenwei-
se schwammigen und komplexen Probleme und Aufgabenfelder fassbarer machen und ver-
Einleitung
Seite 4
deutlichen. An diese Stelle treten praktische Beispiele, die die aufgeführten Themenkomplexe
Unternehmen, Kommunen und Landnutzung in Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung
veranschaulichen.
Zusammengefasst ist die Arbeit gegliedert in eine Darstellung der Grundlagen von nachhalti-
ger Entwicklung, der vorhandenen Bewertungsmethoden, praxisnaher Projekte in den Arbeits-
feldern Unternehmen, Kommunen und Landnutzung, sowie in eine Schlussfolgerung, welche
die gewonnen Erkenntnisse in dem Leitfaden für Nachhaltigkeitsmaßnahmen in den Sektoren
Unternehmen, Kommunen und Landnutzung resümiert.
Nachhaltigkeit
Seite 5
2. Nachhaltigkeit
2.1 Definitionen und Modelle
Der derzeitig bekannte Ursprung des bewussten Umgangs mit Nachhaltigkeit liegt in der
Forstwirtschaft. Im Jahr 1713 nahm erstmals Hans Carl von Carlowitz in seinem Werk
„Sylvicultura Oeconomia. Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum- Zucht“ schriftlichen
Bezug zu diesem Thema.
Die bezüglich Nachhaltigkeit wohl grundlegende Aussage besteht dabei in der Annahme, dass
in einer nachhaltigen Forstwirtschaft nur so viele Bäume geschlagen werden dürfen, wie
durch Neuanpflanzungen wieder nachwachsen können. 5
Neben der ursprünglichen Interpretation gibt es heute für das Wort „Nachhaltigkeit“ oder
„nachhaltige Entwicklung“ keine einheitlich anerkannte Definition. Es gibt verschiedene Auf-
fassungen, welche Forderungen und Interpretationen der Begriff impliziert. Wie in der Einlei-
tung erwähnt, ist die Definition aus dem Brundtland- Bericht des Jahres 1987 die im Rahmen
der Nachhaltigkeitsdebatte wohl bekannteste Begriffserklärung:
“Sustainable development is development that meets the needs of the present without
compromising the ability of future generations to meet their own needs. It contains
within in two key concepts:
the concept of “needs”, in particular the essential needs of the world´s poor, to
which overriding priority should be given; and
the idea of limitations imposed by the state of technology and social organisa-
tions on the environment´s ability to meet present and future needs.”6
Der Natur selbst wird in dieser Definition kein Eigenwert bei gemessen, da sich ihr Wert in
Relation zu dem Nutzen für den Menschen bemisst. Das Streben nach einer Erfüllung der
Bedürfnisse gegenwärtiger sowie zukünftiger Generationen steht im Mittelpunkt. Dabei weist
das erste Konzept darauf hin, dass es in den Entwicklungsländern hauptsächlich um die Er-
füllung der essentiellen Bedürfnisse geht und dass deren Erfüllung Priorität genießen sollte.
5 C. BOCCOLARE (2002). S.2
6 BRUNDTLAND BERICHT (1987): Our common future, Chapter 2, Towards sustainable development
Nachhaltigkeit
Seite 6
Das zweite Konzept besagt weiterhin, dass die ökologische Tragfähigkeit der Erde begrenzt
ist, was hinsichtlich wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen zu beachten ist.
Neben dieser Erläuterung des Brundtland- Berichts beschreibt der Rat für Nachhaltigkeit den
Begriff folgendermaßen:
„Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen
und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirtschaften
bedeutet also: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes, ökologi-
sches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen. Das eine ist ohne das andere
nicht zu haben.“7
Die Aussage betont verstärkt das Streben nach einer gleichwertigen Beziehung zwischen
Umweltgesichtspunkten sowie,- wirtschaftlichen und sozialen. Dabei wird ein weites Ver-
ständnis von nachhaltiger Entwicklung vertreten. Es handelt sich hierbei um das gängigste
Nachhaltigkeitsmodell, welches in Abbildung 1 graphisch dargestellt ist.
Abbildung 1: Nachhaltigkeitsmodell
Quelle: Fues 1998 S. 46 in Boccolare (2002). S. 12
7 RAT FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG. Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit
Seite 7
Die meisten Definitionen basieren nach Abbildung 2 auf einer anthropozentrischen Grundla-
ge. Das Streben nach Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen wird unter anderem in den letz-
ten Jahren so stark propagiert, da bei unveränderter Lebensweise des Menschen die Tragfä-
higkeit der Erde an die Grenzen gerät und das Leben für den Menschen durch Megatrends,
wie Urbanisierung, Klimawandel und Umweltzerstörung zunehmend erschwert wird. Sicher-
lich wird die Entwicklung auch mit dem Erhalt der biologischen Vielfalt, von Flora und Fau-
na und im Allgemeinen mit der Stabilisierung von Ökosystemen gerechtfertigt.
Bei genauerer Betrachtung sind möglichst intakte Ökosysteme auch Lebensgrundlage für den
Menschen, weshalb das Eifern nach einer Sicherung derer und einem Bemühen nach mensch-
licher Lebensqualität gleichkommt.
Abbildung 2: Physiozentrismus und Anthropozentrismus: Verschiedene Motive und Begründungen für den Natur-
schutz
Quelle: Eigene Bearbeitung nach F. BARTFELDER: Vorlesungsskript „Landschaftsplanung/ Eingriffsregelung
Eine andere Beziehung der drei Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziales beschreibt das
sogenannte Nachhaltigkeitsei (s. Abb.3).
Nachhaltigkeit
Seite 8
In diesem Modell werden die Bereiche Wirtschaft und Soziales im Rahmen des begrenzten
„Human Systems“ als Subsystem des übergeordneten, aber ebenfalls begrenzten Ökosystems
angesehen. Verschiedene Theoretiker propagieren im Vergleich zu einem gleichwertigen Be-
ziehungssystem, wie es Abbildung 1 nahelegt, Auffassungen, welche aus der Darstellung des
Nachhaltigkeitseis hervorgehen. Das heißt, dass das ökologische System als Lebensgrundlage
und langfristige Handlungsbasis absolute Priorität im Bezug auf das Erreichen der Nachhal-
tigkeitsziele hat.8
Abbildung 3: Nachhaltigkeitsei
Quelle: Fues 1998, S. 47 in Boccolare (2002). Nachhaltige Entwicklung. S. 15
Die verschiedenen Theorien in Abbildung 3 verdeutlichen, dass erst von einer nachhaltigen
Entwicklung, bzw. Gesellschaft gesprochen werden kann, wenn sich sowohl das Öko-, als
auch das menschliche Systeme in einem intakten Zustand oder zumindest auf dem Weg dort-
hin befindet. Wenn dies nur im Ökosystem, nicht aber im menschlichen System der Fall ist,
findet eine nachhaltige Entwicklung nicht statt, wenn auch die Voraussetzungen dafür eventu-
ell besser sind, als wenn im menschlichen, nicht aber im ökologischen System gute Konditio-
nen herrschen.
8 Fues 1998 S. 45 in C. Boccolare (2002). Nachhaltige Entwicklung. S. 15
Nachhaltigkeit
Seite 9
Dies macht erneut deutlich, dass einer nachhaltigen Entwicklung immer eine mehr oder weni-
ger anthropozentrische Sichtweise zugrunde liegt und der Mensch dementsprechend im Mit-
telpunkt steht. Gleichzeitig wird jedoch in diesem Zusammenhang deutlich, dass die Öko-
sphäre geschützt werden muss, da sich die Menschheit in einem Abhängigkeitsverhältnis zu
eben jener befindet.
So hat z.B. der Ökonom Herman E. Daly folgende Aussage getroffen:9
„Die Makroökonomie ist ein offenes Teil des Ökosystems und ist zur Gänze von ihm
abhängig, sowohl als Quelle für Material/Energie mit niedriger Entropie wie auch als
Auffangbecken für Material/ Energie von hoher Entropie.“
Die Ausführung von Herman E. Daly basiert somit auf dem Modell des Nachhaltigkeitseis
und nicht auf dem Modell der drei gleichwertigen Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales.
Um die drei genannten Zielsysteme fassbarer zu machen, werden sie im Folgenden erläutert.
2.1.1 Ökologie
In Zusammenhang zu vorherigen Kapitel, sollte gleich zu Beginn dieses Kapitels geklärt wer-
den, dass Ökologie streng genommen eine wertfreie Wissenschaft ist10
und demnach auch
Umweltzerstörung eine ökologische Handlung ist und so gesehen immer ökologisch gehan-
delt wird. Der Begriff Natur- und Umweltschutz, sinngemäß nach Abbildung 2, trifft wohl
eher auf die Bedeutung, die mit Ökologie in dieser Debatte in Verbindung gebracht wird.
Dennoch wird der Begriff in dieser Arbeit fortgeführt.
Die Sparte Ökologie basiert auf drei Grundregeln: 11
Die Ernteregel: Regenerierbare lebende Ressourcen wie beispielsweise Fisch- oder
Waldbestände dürfen nur in dem Maße genutzt werden, in dem diese Ressourcen wie-
der nachwachsen.
Die Unklarheit bzgl. dieser Regel besteht darin, dass die Qualität des zu erhaltenden
Bestands nicht definiert ist, d.h. es könnte theoretisch z.B. nach dem Abholzen eines
9 Daly 1999, S. 74 in C. Boccolare (2002). Nachhaltige Entwicklung. S. 14
10 E. JEDICKE (1994). Biotopverbund. S 256
11 Radke 1999, S.15 in C. Boccolare (2002). Nachhaltige Entwicklung. S. 15
Nachhaltigkeit
Seite 10
heimischen Mischwaldbestandes eine Fichtenmonokultur angepflanzt werden. Dabei
wäre in diesem Fall zwar kein Qualitäts-, durchaus jedoch ein Quantitätsunterschied
des Bestandes zu verzeichnen.
Die Extraktionsregel: Nicht- erneuerbare Ressourcen wie beispielsweise fossile Ener-
gieträger dürfen nur in dem Maße gebraucht werden, wie funktionsgleiche
regenerierbare Substitute entwickelt werden.
Die Probleme hierbei bestehen in der bisherigen Unkenntnis über Erschöpfungszeitpunk-
te, über Erfolge von Substitutionen sowie bzgl. nicht- ersetzbare natürlichen Ressourcen.
In diesem Zusammenhang fordern Vertreter der „starken Nachhaltigkeit“ ein einge-
schränktes oder gar konsequentes Nutzungsverbot für nicht- erneuerbare Ressourcen12
, da
überwiegend von nicht ersetzbaren Gütern ausgegangen wird und deren Verbrauch des-
halb eingeschränkt werden muss. Aufgrund der Unkenntnis über Erschöpfungszeitpunkte
wird im Zusammenhang mit der starken Nachhaltigkeit das Vorsorgeprinzip propagiert,
also vorsorglich wenig nutzen, aufgrund der Unkenntnis der Vorräte an Ressourcen. Ver-
treter der „schwachen Nachhaltigkeit“ plädieren für eine Substituierbarkeit der nicht- er-
neuerbaren Ressourcen durch anthropogenes Kapitel oder erneuerbare Ressourcen, soweit
dies möglich ist.13
Die Emissionsregel: Schadstoffkonzentrationen dürfen die natürliche Assimilations-
kapazität der Umweltmedien Luft, Boden und Wasser nicht übersteigen.
2.1.2 Ökonomie
Der ökonomische Zielbereich ist mehr als der ökologische Zielbereich an kulturelle Vorstel-
lungen gebunden. So galt es in den westlichen Industrienationen bisher, ein konstantes Wirt-
schaftswachstum aufrecht zu erhalten. Zukünftig muss jedoch überlegt werden, ob wie bisher
ein quantitativ wachsendes Wirtschaftsmodell, ein hinsichtlich Wachstum stagnierendes oder
eher ein qualitativ wachsendes Wirtschaftsmodell zukunftsfähig, im Sinne von natur- und
12 Wenn von nicht- erneuerbaren Ressourcen gesprochen wird, sind fossile Ressourcen gemeint, die zwar erneu-
erbar sind, jedoch nicht in dem Zeitfenster, in dem die Gesellschaft sie benötigen.
13FUES 1998, S. 51 in C. Boccolare (2002). Nachhaltige Entwicklung. S.21
Nachhaltigkeit
Seite 11
sozialverträglich ist, solange die Wirtschaftsweise die wirtschaftliche Existenz langfristig si-
chert. Wenn von dem Modell des Nachhaltigkeitseis ausgegangen wird, ist der ökonomische
ein Subsystem des ökologischen Bereichs und unterliegt somit Grenzen, welche der Club of
Rome 1972 mit den Grenzen des Wachstums definiert hat. Laut diesem wäre das bisherige
Wachstumsmodell nicht mit einer nachhaltig gestalteten Zukunft vereinbar und daher viel-
mehr ein effizientes Wachstum zu favorisieren, welches qualitative Verbesserungen und eine
effektive Nutzung von Potentialen impliziert. Neben den ökologischen Grenzen können öko-
nomische Ausmaße mit der Kapitaltheorie konkretisiert werden. Laut dieser gilt das ökonomi-
sche Nachhaltigkeitsziel als erfüllt, wenn das Pro- Kopf- Kapital, bzw. die Vermögensausstat-
tung einer Gesellschaft von einer Generation zur nächsten entweder gleich bleibt oder steigt.
Die Kapitalausstattung umfasst,
Anthropogenes reproduzierbares Kapitalgut (Straßen, Maschinen, Häuser, etc.);
Humankapital (menschliche Arbeitskraft, Ausbildung, Wissen, Fertigkeiten, etc.);
Naturkapital (erneuerbare, nicht erneuerbare natürliche Ressourcen sowie lebenswich-
tige Umweltfunktionen, wie beispielsweise die Ozonschicht);
Diese Theorie geht auf den Ökonomen Hicks zurück, nach dessen Auffassung das Einkom-
men ein Zustand von Vermögen ist, der durch Konsum aufrechterhalten, ggf. verbessert aber
nicht verschlechtert wird.14
In Anbetracht der Tatsache, dass bis 2040 ca. 8,1 Milliarden Menschen auf der Erde leben
werden, ist ein wirtschaftliches Wachstum in irgendeiner Art und Weise wohl kaum zu ver-
hindern.15
Markt und Konsum sind voneinander abhängig, dass heißt die Nachfrage der Konsumenten ist
der Motor der Märkte. Demnach sollte eine Steuerung in Richtung eines nachhaltigen Kon-
sums durchaus gewährleistet werden, auch wenn diese hauptsächlich auf die individuelle
Ebene gerichtet ist.
14 Hicks. in C. Boccolare (2002). Nachhaltige Entwicklung. S.18ff.
15 DIE ZEIT. Club of Rome. Der Weltuntergang zieht sich. Nr.20, 5/2012
Nachhaltigkeit
Seite 12
2.1.2.1 Wachstumsdebatte
An dieser Stelle wird etwas genauer auf die wohl am weitesten verbreitete Wirtschaftsstrate-
gie, nämlich die des volkswirtschaftlichen Wachstums, gemessen am Bruttoinlandsprodukt
eingegangen. Diese ist bezüglich des Arbeitsthemas ein nicht zu vernachlässigender Aspekt,
da das Wirtschaftswachstum in direktem Zusammenhang mit einer stetigen Nutzung von
nicht- erneuerbaren und erneuerbaren Ressourcen steht. Insbesondere die laufende Nutzung
von nicht erneuerbaren Ressourcen, wie z. Bsp. Öl und Kohle, wirft im Rahmen der Nachhal-
tigkeitsdebatte die Fragen auf, welchen Stellenwert der Bereich Ökonomie haben wird und
vor allem aber, welche Strategie zukünftig verfolgt werden muss, um eine langfristige Wirt-
schaftsleistung in größtmöglichem Einklang mit Umwelt und Menschen ermöglichen zu kön-
nen. Wohl unumstritten kann behauptet werden, dass die bisher gefahrene Wachstumspolitik
der Industrienationen, in Anbetracht der schrumpfenden Vorräte an fossilen Energieträgern
und einer gleichzeitig stärkeren Nutzung derer, keine Zukunft hat- nicht für die Industrie- und
Schwellenländer und schon gar nicht für die Entwicklungsländer.
Eventuell müssen die Prophezeiungen des wachsenden Wohlstands, welche von einer wach-
senden Anzahl an Arbeitsplätzen, stabilen Sozialversicherungssystemen, technischem Fort-
schritt und einem allgemein wachsenden Wohlstand ausgehen, langfristig hinterfragt wer-
den.16
Erste Zweifel und Bedenken, die bezüglich dieser Strategie aufkamen, wurden 1972 vom
Club of Rome im Rahmen der Veröffentlichung „Die Grenzen des Wachstums“ geäußert, in
der das erste Mal Kritik an den bisher geläufigen Ökonomiemodellen ohne jegliches Eingehen
auf ökologische Grenzen und Tragfähigkeiten, geübt wurde.
Einige Ökonomen favorisieren aufgrund dessen das Rahmenbild des Nachhaltigkeitseis, in
dem die Ökonomie ein Teilsystem des übergeordneten Erdsystems bildet. Jedoch bleibt die
Frage offen, ob ein weiteres Wachstum, wenn es auch ein „grünes Wachstum“ ist oder eher
ein konstantes Wirtschaften anzustreben ist. „Grüne Ökonomie“ ist wie das Wort Nachhaltig-
16 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 188
Nachhaltigkeit
Seite 13
keit ein vielfach erwähntes Wort- was jedoch grüne Ökonomie sein soll, ist so umstritten wie
seinerseits der Schlüsselbegriff Nachhaltigkeit.17
Als alternative Wirtschaftsmodelle gibt es z. Bsp. das im Rahmen der ersten Wachstumsde-
batte um 1972 entwickelte Steady- State- Modell des Ökonomen Daly. Dessen Theorie geht
davon aus, dass die Bevölkerung und der Kapitalstock konstant bleiben, wodurch ein gleich
bleibender Material- und Energiefluss im Einklang mit dem natürlichen System angestrebt
wird.
Die neue Wachstumsdebatte hat einige neue Strategieansätze ins Leben gerufen. In diese Mo-
delle fließt vermehrt die in Kapitel 2.1.1. angesprochene Thematik der „starken“ und „schwa-
chen“ Nachhaltigkeit ein.
Befürworter der „schwachen“ Nachhaltigkeit gehen davon aus, dass nicht erneuerbare Res-
sourcen durch anthropogenes Kapital mit Effizienzsteigerungen substituiert werden können.
Im Gegensatz dazu stehen die Vertreter der „starken Nachhaltigkeit“ für eine strikte Ein-
schränkung bzw. Verbot des Gebrauchs von nicht erneuerbaren Ressourcen, da diese nicht zu
ersetzen sind und für die kommenden Generationen weiterhin verfügbar sein sollen.18
In diesem Zusammenhang gehen Wachstumskritiker davon aus, dass bei weiterem Wirt-
schaftswachstum und der damit in Verbindung stehenden steigenden Nachfrage, der globale
Energie- und Ressourcenverbrauch selbst bei Effizienzverbesserungen weiter steigen wird
und nicht auf ein nachhaltiges Maß reduziert werden kann. 19
Um eine Abkoppelung der ökonomischen Aktivitäten vom Verbrauch natürlicher Ressourcen
zu erreichen, (hauptsächlich nicht- erneuerbare), bedarf es nicht nur an Effizienzsteigerungen,
sondern auch an Stoffkreisläufen durch Recyclingsysteme und an verändertem Konsumver-
halten. 20
17 TAZ- DIE TAGESZEITUNG (2012) Ausgabe Juni.2012. S.10
18 C. BOCCOLARE (2002). Nachhaltige Entwicklung. S. 21
19 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 188
20 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 188
Nachhaltigkeit
Seite 14
Im Jahr 2010 wurde im Deutschen Bundestag die Enquetekommission21
„Wachstum, Wohl-
stand, Lebensqualität- Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt
in der sozialen Marktwirtschaft“ initiiert, welche unter anderem auch zum Ausdruck brachte,
dass man die Bewertung humaner Entwicklung und subjektiver Lebenszufriedenheit von
Wachstumsindikatoren entkoppeln müsse.22
Kritisiert wurde das westliche Wirtschaften ebenfalls von Chandran Nair, Mitautor des neuen
Club of Rome Berichts 2052 und Wirtschaftsexperte aus Malaysia. So kritisiert er das westli-
che Wirtschaftsmodell und fordert eine Einschränkung des Konsums auf ein Maß, das die
Erde nicht zerstört.23
Ein weiterer Aspekt der Wachstumsdebatte bezieht sich auf den Umstand, dass Grenzüber-
schreitungen ernsthafte Rückwirkungen auf die Wirtschaft und die internationale Sicherheit
befürchten lassen.24
Durch weltweite Wirtschaftskrisen wird das Konzept der konstanten oder schrumpfenden
Wirtschaft erschwert. Zwar sinken die Emissionen kurzfristig, so wie etwa im Jahr 2009 um
1,3%, jedoch nur, bis kurzfristiges Handeln bzgl. Wirtschaftsförderung durch z.B. Konjunk-
turprogramme diese Emissionen wieder steigen lässt. Temporär jedoch können sich auch aus
den staatlichen Konjunkturprogrammen, gefördert durch die weltweite Finanzkrise, Chancen
für eine nachhaltige Entwicklung bieten. Denn wenn schon zu Mitteln gegriffen werden muss,
welche eine Steigerung der Nachfrage, eine Stabilisierung der Wirtschaftsleistung, sowie die
Förderung von Arbeitsplätzen forcieren, können die Investitionsströme im Sinne des „grünen
Wirtschaftens“ gelenkt werden. 25
Aber auch hier mangelt es an Erfahrung, geeigneten Bewer-
tungskonzepten, etc. bzgl. einer geeigneten Vorgehensweise.
21 Die Enquetekommissionen sind vom Bundestag eingesetzte Arbeitsgruppen, die langfristige Fragestellungen
lösen sollen
22 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 79
23 DIE ZEIT. Club of Rome. Der Weltuntergang zieht sich. 5/2012
24 SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012. S.16
25 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 51
Nachhaltigkeit
Seite 15
In großen Volkswirtschaften wie China besteht zurzeit eine noch höhere Chance, direkt in
eine nachhaltige Entwicklung einzusteigen, ohne den Weg über eine Kohlenstoff-, und res-
sourcenintensive Wirtschaftsweise gehen zu müssen. Natürlich gibt es auch dort keine durch
Erfahrung entstandene Anleitung zur Vorgehensweise, die grundlegenden Weichenstellungen
müssen auch dort erst noch erfolgen. Nichts desto trotz kann dort der Schritt der
Dekarbonisierung zum Großteil wegfallen.
Jedoch werden kurzfristige, durch massive Investitionsströme gelenkte Entwicklungen eine
nachhaltige Entwicklung langfristig nicht erreichen können, da hier weder eine Schonung der
Ressourcen, noch eine sozial gerechte Verteilung stattfinden. Von Seiten der Bevölkerung
erfolgt aufgrund dieses politischen Handelns und Wirtschaftens immer mehr Aufstand- ein
Beispiel hierfür ist die weltweite Occupy Bewegung, welche für Gleichheit, Fortschritt, Soli-
darität, kulturelle Freiheit, Nachhaltigkeit und Entwicklung steht. Einer der weitreichendsten
Kritikpunkte der Bewegung ist das Wirtschaftssystem und dessen Prioritäten. Weitere Kritik
in diesem Rahmen sind Wirtschaftsstrategien, die künstlich Wachstum erzwingen, wie z.B.
durch Soll- Bruchstellen in technischen Geräten der Industrie. Derartige Strategien sind nicht
nachhaltig, da nicht erneuerbare Ressourcen mehr als nötig eingesetzt werden, die Entwick-
lung also nicht effizient ist, kurzfristig im Interesse gewisser Lobbies gehandelt wird und so-
ziale Interessen (der Kauf langfristig funktionierender Produkte) nicht berücksichtigt werden.
2.1.3 Soziales
Die soziale Dimension ist schwieriger und komplexer zu erfassen als die ökonomische Di-
mension. Als gemeinsame Basis können soziale Mindeststandards angeführt werden, wie sie
in dem „Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ von 1966
definiert wurden.
Hinsichtlich einer sozialen Nachhaltigkeit sind laut diesem folgende Bereiche zu fokusieren26
:
Armutsbekämpfung;
Innergesellschaftliche Chancengleichheit;
26 Fues 1998 s.52 in C. BOCCOLARE (2002). Nachhaltige Entwicklung. S. 20
Nachhaltigkeit
Seite 16
Internationale Verteilungsgerechtigkeit;
Diese Bereiche sind natürlich zu konkretisieren und genau zu definieren. Internationale sozia-
le Mindeststandards setzen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben und die Erfül-
lung der elementaren Grundbedürfnisse des Menschen. Davon abzugrenzen sind Entwick-
lungsziele, welche spezifischer auf kulturelle und gesellschaftlich- politische Gegebenheiten
gerichtet sind. Unter sozialen Mindeststandards wird in den Industrienationen und in den
Entwicklungsländern wohl etwas anderes verstanden.
Demnach ist an einer Armutsbekämpfung zu arbeiten, denn auch Armut kann Umweltzerstö-
rung fördern, jedoch auf eine andere Art und Weise wie dies auch Reichtum kann.
Umweltzerstörung erfolgt zum einen durch Überproduktion und maßlosen Konsum, so wie es
in den Industrieländern schon seit Jahrzehnten Gang und Gebe ist. Zum anderen wird Um-
weltzerstörung jedoch auch durch Armut, Verzweiflung und Überlebensdrang, überwiegend
in den Entwicklungsländern, gefördert. Dies geschieht- sicherlich in einem anderen Ausmaß
als in den Industrienationen- beispielsweise durch Überbeanspruchung von Böden, durch
Brennholzeinschlag in trockenen Gebieten, durch landwirtschaftliche Nutzung von erosions-
gefährdeten Hängen, etc. 27
Diese Zusammenhänge beziehen sich auf soziale, ökologische und
ökonomische Verhältnisse.
2.2 Nachhaltigkeitsdebatte
1983 ging durch die von den Vereinten Nationen gegründete Weltkommission für Umwelt
und Entwicklung, die sogenannte Brundtlandkommission, eine erste konzeptionelle politische
Forderung für eine nachhaltige Entwicklung hervor. Der daraus resultierende
Brundtlandbericht ist als Perspektivenbericht das Leitbild für eine langfristig tragfähige um-
weltschonende Entwicklung im Weltmaßstab.
Im Jahr 1992 wurde die Forderung einer nachhaltigen Entwicklung im Rahmen der internati-
onalen UN- Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro aufgegriffen
und etablierte sich so zum zentralen Leitbild in der Umweltdiskussion. Es folgten die UN-
27 C. BOCCOLARE (2002). Nachhaltige Entwicklung, S.11
Nachhaltigkeit
Seite 17
Konferenzen Rio+5 im Jahr 1997 in New York, der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung
Rio+10 im Jahr 2002 im südafrikanischen Johannisberg und der Weltgipfel Rio+20 im Juni
2012 in Rio de Janeiro.
1998 definierte die Enquetekommission des Deutschen Bundestages vier ökologische Kernre-
geln:
Regeneration: Nachwachsende, bzw. erneuerbare Naturgüter, z. Bsp. Holz oder Fi-
sche, sollen nur in dem Maße beansprucht werden, in welchem sich der Bestand rege-
nerieren kann.
Substitution: Nicht- erneuerbare Naturgüter, wie fossile Brennstoffe, dürfen nur in
dem Maße genutzt werden, in welchem ein gleichwertiger Ersatz gefunden wird.
Anpassungsfähigkeit: Toxische Substanzen sowie andere Schadstoffe dürfen nur im
Rahmen der Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme freigesetzt werden.
Vermeidung unvertretbarer Risiken: Technische Risiken mit eventuell katastrophalen
Auswirkungen auf die Umwelt sind zu vermeiden.28
Die größte Verantwortung, einen nachhaltigen Weg einzuschlagen, werden wohl die Indust-
rieländer haben. Zum einen weil dort die finanziellen Rahmenbedingungen und der Spielraum
bestehen, Möglichkeiten und Chancen zu nutzen und zu wagen. Zum anderen, weil das Wis-
sen und die Bereitschaft, sicherlich auch aufgrund des jahrzehntelangen Wirtschaftswachs-
tums und der Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen vorhanden sind.
In zunehmendem Maße werden Pläne, Programme und Strategien zur Etablierung von Nach-
haltigkeit in unserer Gesellschaft ins Leben gerufen. Dies passiert auf nationaler-, als auch auf
Länder- und Kommunalebene. Im Jahr 2002 hat die Bundesregierung die nationale Nachhal-
tigkeitsstrategie „Perspektiven für Deutschland“ formuliert. Die Strategie wird regelmäßig
durch Fortschrittsberichte, zuletzt im Februar 2012, aktualisiert. Der Rat für nachhaltige Ent-
wicklung gibt für die Ausrichtung Rat, Empfehlungen und Anregungen. Die vier Leitlinien
der nationalen Strategie sind,
Generationengerechtigkeit;
Lebensqualität;
28 U. BOESCHEN, Vorlesungsskript Stoffkreisläufe. S.5
Nachhaltigkeit
Seite 18
Sozialer Zusammenhalt;
Internationale Verantwortung;
Diese Leitlinien werden durch Ziele definiert und mit Maßnahmen hinterlegt. Der Fortschritt
wird mit Indikatoren gemessen.
2.3 Aktionsfelder und Akteure
Das Ziel ist es, eine Entwicklung in eine nachhaltige Gesellschaft voranzutreiben. Daher ist
Jedermann für deren Entstehung mitverantwortlich und kann deshalb ein Akteur, evtl. sogar
ein Pionier des Wandels sein. Die Reichweite der Maßnahmen ist je nach gesellschaftlicher
Position unterschiedlich. Die großen Weichen und Rahmenbedingungen müssen von Politik
und Verwaltung gestellt und gestaltet werden, denn jegliche Initiativen und jegliches Enga-
gement von Akteuren zum Auf- und Ausbau einer klimaverträglichen Gesellschaft werden in
der Regel erst durch die Veränderung der regulatorischen Rahmensetzung möglich, welche
die Rolle des gestaltenden Staates hervorhebt und verdeutlicht.29
Ein Beispiel ist das im Jahr
1991 in Kraft getretene Stromeinspeisegesetz (StrEG), welches im Jahr 2000 durch das Er-
neuerbare- Energien- Gesetz (EEG) weiterentwickelt wurde. Das StrEG öffnete den Strom-
markt für private Erzeuger regenerativen Stroms, da es Energieversorger dazu verpflichtete,
den in den Versorgungsgebieten erzeugten Strom aus erneuerbaren Quellen abzunehmen und
mit mindestens 90% des Durchschnittserlöses aus dem Stromverkauf zu vergüten. Der zuvor
als unwirtschaftlich geltende Strom aus erneuerbaren Quellen wurde dadurch rentabel und
konnte vermehrt erzeugt werden. Es bedarf gesetzlicher Grundlagen, um Akteuren Planungs-
und Investitionssicherheit zu geben und um der Bevölkerung zu vermitteln, dass eine Ent-
wicklung zu einer nachhaltigen Gesellschaft tatsächlich auch von „oben“ angestrebt wird.
Zumindest haben solche rechtlichen Verankerungen psychologische Wirkung bei vielen Bür-
gern.
Politische rechtliche Steuerung muss jedoch auf eine bereitwillige und mobilisierte Bürger-
schaft treffen, um eine volle Problemlösungsfähigkeit entfalten zu können. Diese Bereitschaft
der Bürger kann durch Partizipation, Öffentlichkeitsarbeit und Bildung verstärkt bzw. geför-
29 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftvertrag S.262
Nachhaltigkeit
Seite 19
dert werden. Gerade in Kommunen, welche ein großes Transformationsfeld darstellen, ist ein
großer Teil der Entwicklung vom Engagement und der Bereitschaft der Bürgerschaft abhän-
gig.
Die großen Aktionsfelder, welche in dieser Arbeit berücksichtigt werden,- werden unter ande-
rem Urbanisierung, Unternehmen und Landwirtschaft, bzw. Landnutzung sein.30
2.4 Stellenwert in Rahmensetzung und Hierarchie von EU, Bund, Ländern und
Gemeinden
Grundsätzlich ist der Umweltschutz als ein ausschlaggebender und wichtiger Bestandteil der
Nachhaltigkeitsdebatte mit Bezug zu einer Generationengerechtigkeit in Artikel 20a des
Grundgesetzes verankert:
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die zukünftigen Generationen die natür-
lichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Ge-
setzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt
und die Rechtsprechung.“
Neben dieser allgemein gehaltenen Rechtsgrundlage bzgl. der ökologischen Sparte der Nach-
haltigkeit, bestehen auf europäischer, bundesweiter, landesweiten und kommunalen Ebene
mehr oder weniger zahlreiche Programme, Initiativen und vereinzelt Rechtsgrundlagen, wel-
che jedoch meist nur einen Bereich von Nachhaltigkeit abdecken.
Repräsentative Veröffentlichung der Debatte ist auf bundesdeutscher Ebene die nationale
Nachhaltigkeitsstrategie, welche seit dem Jahr 2002 fester Bestandteil der Politik der deut-
schen Bundesregierung ist. Diese wird kontinuierlich weiterentwickelt und durch Fortschritts-
berichte in regelmäßigen Abständen evaluiert. So wurde im Februar 2012 der Fortschrittsbe-
richt zur Umsetzung der mittel- und langfristigen Ziele in 21 Politikbereichen verabschiedet.
Die Zielsetzungen der nationalen Strategie orientierten sich bisher am europäischen Rahmen.
Auf EU- Ebene gibt es wie auch auf nationaler Ebene eine Nachhaltigkeitsstrategie. Jedoch
hat sich der strategische Rahmen geändert, da inzwischen viele Ziele der Nachhaltigkeitsstra-
30 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftvertrag. S.3
Nachhaltigkeit
Seite 20
tegie erfolgreich in EU- Politiken aufgegriffen wurden und somit neuerdings die Strategie
„Europa 2020- eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ aus
dem Jahr 2010 und die Initiative „Ressourcenschonendes Europa“ aus dem Jahr 2011 als neu-
es Leitbild und Rahmensetzung angesehen werden. Aus diesem Wandel des Leitbilds auf eu-
ropäischer Ebene stellt sich nun die Frage nach den Konsequenzen für die hierarchische Rolle
der EU für die Mitgliedstaaten und Bundesländer und für deren Orientierung und Abstim-
mung untereinander. Aus diesem Grund fand im Oktober 2011 eine Tagung statt, in der das
Bundesumweltministerium, Experten aus EU- Mitgliedstaaten, Vertretern der EU- Kommis-
sion, des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und des europäischen Netz-
werks der Nachhaltigkeitsexperten europäischer Mitgliedstaaten (ESDN) zusammentrafen um
über zukünftige Nachhaltigkeitspolitiken und deren Entwicklung zu diskutieren.
Von Bedeutung war in diesem Kontext die Feststellung, dass die Umweltpolitik der EU- Mit-
gliedstaaten einen großen Beitrag zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsbelange leisten und glei-
chermaßen von den aktuellen Debatten und der politischen Integration profitieren sollte. Da-
her erscheint es wichtig, die Nachhaltigkeitsstrategien in regelmäßigen Abständen fortzu-
schreiben und dem aktuellen Stand anzupassen, um integrativer Bestandteil einer modernen
Umweltpolitik zu sein und von der Politik gefördert zu werden. Betont wurde auf der Sitzung
außerdem, dass Nachhaltigkeitsstrategien und -politiken nicht vom ursprünglichen Kern der
Debatte, nämlich den Umweltschutz, abweichen sollten.31
Diese Diskussion wirft die Frage auf, in wie weit sich die verschiedenen, eben erläuterten
Strategien, Programme, etc. und die Umweltpolitik beeinflussen bzw. miteinander kooperie-
ren und aufeinander aufbauen und ob es nicht sinnvoll wäre, einen roten Faden zu verfolgen,
welcher sich durch die hierarchischen Ebenen zieht.
Auf Länderebene verhält es sich mit den Nachhaltigkeitsbestrebungen ein wenig anders.
Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass die Länder dem Bund und den Kommunen in
ihren Bestrebungen hinterher hinken. Es gibt zurzeit sechs Bundesländer (Baden-
Württemberg, Brandenburg, Hessen, Rheinland- Pfalz, Schleswig- Holstein und Thüringen),
die seit noch nicht allzu langer Zeit- 2007 bis 2011, mit der Ausnahme von Schleswig- Hols-
31 ESDN (European Sustainable Development Network) (2011)
Nachhaltigkeit
Seite 21
tein, wo schon 2003 eine landesweite Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt wurde- Nachhaltig-
keitsstrategien entwickelt haben. Anstatt einer landesweiten Nachhaltigkeitsstrategie haben
andere Bundesländer Agenda- 21- Programme aufgestellt, wie z.B. Berlin mit der lokalen
Agenda 21, Nordrhein- Westfalen mit der Agenda 21, das Saarland mit der Saarland- Agenda
und Bayern mit der Agenda 21. 32
Auf kommunaler Ebene steht hauptsächlich die auf der 1992 stattgefundenen Konferenz in
Rio entstandenen Agenda 21 im Vordergrund der Bemühungen. Obgleich die Kommunen im
Rahmen der Nachhaltigkeitsentwicklung aktiver sind als die Bundesländer, sind ihre Ambiti-
onen bzgl. der Agenda 21 jedoch mittlerweile ein wenig in den Hintergrund geraten. Ein
Grund für die bessere Leistung in Städten könnte der höhere Wirkungsgrad der Maßnahmen
auf kommunaler Ebene, also einem meistens größeren Maßstab als auf Länderebene, und der
bessere Überblick, sein.
Sicherlich ist es wichtig, sowohl den europäischen als auch den globalen Bestrebungen über-
geordneten, internationalen Rahmen zu bieten, um eine zielgerichtete und effektive Politik
gewährleisten zu können. Diese wird auf die Ebenen herunter gebrochen und konkretisiert.
Das erscheint durchaus sinnvoller als viele parallel zueinander laufende Programme und Initi-
ativen, welche nicht aufeinander aufbauen. Dabei kann jedoch nicht ausgeschlossen werden,
dass sich die beiden verschiedenen Herangehensweisen, sprich eine hierarchisch geordnete
Nachhaltigkeitspolitik und vielerlei separate Initiativen, positiv ergänzen.
Sicher ist aber, dass, soll ein nachhaltiges Entwicklungsmodell etabliert werden, dies auf allen
Ebenen geschehen muss.
2.5 Konflikte
Bei einer genaueren Betrachtung der Nachhaltigkeitsdebatte mitsamt den Hintergründen, For-
derungen und Aussichten wird deutlich, dass Konflikte zwischen den Zielen vorprogrammiert
sind. Die Formulierung von Zielen im Rahmen nachhaltiger Entwicklung wird wohl nie kon-
fliktfrei sein, da sehr viele unterschiedliche Anforderungen an das Konzept der Nachhaltigkeit
herangetragen werden. Bei der Definition von Nachhaltigkeit des Brundtland- Berichts fangen
32 RAT FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG (2011). Nachhaltigkeitspolitik in den Bundesländern
Nachhaltigkeit
Seite 22
die Unklarheiten schon an. Die Frage, was unsere Bedürfnisse sind, würde sicherlich von
Menschen unterschiedlicher, aber auch einer Kultur, unterschiedlich beantwortet werden.
Zumindest wird im ersten Abschnitt der Definition (Kap. 2.1.) darauf hingewiesen, dass die
Erfüllung der Grundbedürfnisse der in Armut lebenden Bevölkerung prioritär nachgegangen
werden sollte. Für die Industrieländer umfasst der Begriff der Bedürfnisse wohl nicht nur
Nahrung, Kleidung und Schutz- sondern für die meisten in Wohlstandsgesellschaften leben-
den Menschen beinhaltet die Erfüllung der Bedürfnisse weitaus mehr. Zudem wachsen die
Bedürfnisse der Gesellschaft mit zunehmender technischer Innovation und Produktionswachs-
tum, d.h. wir haben Bedürfnisse nach Dingen, von denen wir vor Monaten oder Jahren noch
gar nicht wussten. Im zweiten Abschnitt der Brundtland- Definition wird von uns verlangt,
durch Effizienzmaßnahmen, technologischen Innovationen und sozialen Strukturierungen auf
der Grundlage der Tragfähigkeit der Erde, die gegenwärtigen und zukünftigen menschlichen
Bedürfnisse zu sichern.
Ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit soll gleichwertig erreicht werden. Es
stellen sich viele Fragen zum Verhältnis der drei Zielbereiche zueinander und ob dieser An-
spruch überhaupt möglich ist. In diesem Zusammenhang stellt sich z.B. die Frage, ob ein
Wirtschaftswachstum bei abnehmendem Umweltverbrauch überhaupt möglich ist?
Der Großteil des wirtschaftlichen Handelns beruht auf dem Vorhandensein von nicht- erneu-
erbaren Ressourcen, welche jedoch nur begrenzt vorhanden sind. Effizienzsteigerungen von
technischen Prozessen und Produkten bei weltweit steigendem Wirtschaftswachstum werden
nicht ausreichen, um ein nachhaltiges Niveau zu erreichen. Es wird eine Regulierung des
Wachstums und des Konsums von Nöten sein, um einen sogenannten Rebound- Effekt zu
vermeiden. Man spricht z.B. von eben diesem, wenn bei steigender Energieeffizienz immer
mehr Autos hergestellt und verkauft werden, sodass die Effizienz durch die wachsende Zahl
an Autos überkompensiert wird.33
Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, ob gesellschaftliche Gerechtigkeit bei einer explosiv
steigenden Bevölkerung insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern und bei
einer Verknappung der natürlichen Lebensgrundlagen erreicht werden kann? Diesbezüglich
33 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftvertrag. S.4
Nachhaltigkeit
Seite 23
ist festzustellen, dass die Tragfähigkeit der Erde nicht ausreicht, um allen Menschen der Erde
den Wohlstand der Industrienationen zu ermöglichen, denn die Tragfähigkeit der Erde ist be-
grenzt. In Anbetracht folgender Aussage des Brundtland- Bericht,
„No single blueprint of sustainability will be found, as economic and social systems
and ecological conditions differ widely among countries. Each nation will have to
work out its own concrete policy implications,”34
ist es eine logische Folgerung, dass der Lebensstandard der Menschen der Industrieländer
bescheidener und weniger verschwenderisch gestaltet werden muss, um den Lebensstandard
der in Armut lebenden Menschen zu verbessern. Nur wird dies wohl, so logisch es auch
klingt, nicht ohne weiteres umzusetzen sein.
Das Beispiel und die Aussage des Brundtland- Berichts machen deutlich, dass jeder Kontinent
und jedes Land vor eigenen Herausforderungen stehen, die durch ihre Unterschiedlichkeiten
divergierende Handlungen erfordern. Deshalb muss global unterschieden werden, welche Pri-
oritäten fokussiert behandelt werden müssen, um weltweit der Aussage des Brundtland Be-
richts gerecht zu werden. Das heißt, dass nicht in jedem Land, evtl. sogar in den wenigsten,
die Strategie der gleichwertigen Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziales gefahren werden
kann, da ein Bereich eine größere Beachtung benötigt als ein anderer.
Werden die drei Komplexe in Entscheidungen politischer und sonstiger Art gleichwertig be-
rücksichtigt? Bisher ist diese Frage wohl eher mit Nein zu beantworten, unter anderem auch
aufgrund fehlender etablierter Bewertungsmethoden. Seit der Industrialisierung ist es bislang
so gewesen, dass wirtschaftliche Fragestellungen vor ökologischen und sozialen Belangen
eindeutig Vorrang hatten. Dies ist auch heute noch festzustellen, wenn auch zusehends hinter-
fragter.35
Ziel ist es, bei gleichwertiger Behandlung sozialer, ökologischer und ökonomischer Belange
bis 2050 den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid wieder auf den Stand von 1990 zu reduzieren.
Seit 1990 ist der CO2- Ausstoß um 40% gestiegen. Fraglich ist, ob die verschiedenen Belange
34 Brundtland- Bericht, Teil 1, Kapitel 2, Nummer 51
35 DIE ZEIT. Schluss mit der Harmonie. Nr. 5. S.27
Nachhaltigkeit
Seite 24
immer gleichwertig miteinander abgestimmt werden können, um dieses Ziel zu erreichen.
Anzustreben ist es zumindest.36
Erschwert wird die Entwicklung dadurch, dass es keine geschichtlichen Erfahrungen mit ähn-
lichen gesellschaftlichen Transformationen gibt, von denen man Gelerntes anwenden könnte,
oder diese sehr alt sind und nicht überliefert wurden.37
Trotz der wissenschaftlich bewiesenen, ökologisch brisanten Problemsituation, geht es mit
durchgreifenden Maßnahmen sehr langsam voran. Dies liegt unter anderem daran, weil die
politischen Weichenstellungen nicht gegeben sind und weil Gesellschaften sich aus egoisti-
schen Interessensvertretungen auch dann nicht um Lösungsstrategien bemühen, wenn ihnen
das Problem schon aufgefallen ist.38
Kurzfristiges Handeln und Denken, welches z.B. teilwei-
se im Wahlkampf beim Politikwechsel an den Tag gelegt wird um eigenprofitorientierte
Maßnahmen durchzusetzen, kann nur in einem kurzen zeitlichen Rahmen bewertet werden.39
,
Dabei geht es meistens nicht um das Gemeinwohl, sondern um profitorientiertes Handeln ein-
zelner Personen oder kleiner Gruppen.
Um die Gefahr, in welcher das Allgemeingut schwebt, zu entschärfen, wurden Instrumente,
wie der Emissionshandel oder die CO2- Steuer, ins Leben gerufen. Auf diese und weitere In-
strumente wird in den folgenden Kapiteln eingegangen. Kapitel zwei hat nun einen allgemei-
nen Überblick über das Thema Nachhaltigkeit, dessen Hintergründe und Konflikte gegeben.
Diese Grundlage ist wichtig, um den Bezug zu den folgenden Kapiteln herzustellen, bzw.
nachvollziehen zu können, wo die Probleme liegen und wo angesetzt werden muss, um die
Entwicklung konstruktiv voran zu treiben.
36 DIE ZEIT. Heikle Balance. Nr.8. S. 31
37 J. DIAMOND. Kollaps, S. 520
38 J. DIAMOND. Kollaps, S. 527
39 J. DIAMOND. Kollaps S. 532
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 25
3. Bewertungsmodelle und -kriterien
In diesem Kapitel werden Bewertungsinstrumente und -modelle erläutert, welche zur Nach-
haltigkeitsbewertung genutzt werden können. Meistens handelt es sich jedoch um Modelle,
die nur für einen oder zwei der drei Bereiche Ökologie, Ökonomie oder Soziales gelten.
Diesbezüglich ist es eine wichtige Frage der Nachhaltigkeitsbewertung, ob sich die Bewer-
tungen aus den verschiedenen Disziplinen kompensieren können, d.h. ob eine Entwicklung
nachhaltig ist, wenn sie zwar besonders ökologisch aber nicht sozial ausgerichtet ist oder
wenn zwar ökologische und ökonomische aber keine sozialen Aspekte betrachtet werden. Das
Konzept der schwachen Nachhaltigkeit erlaubt eine derartige Kompensation, wogegen das
Konzept der starken Nachhaltigkeit keine Kompensation zulässt, d.h. eine Entwicklung ist nur
dann nachhaltig, wenn ein Minimum an sozialen, ökologischen und ökonomischen Standards
eingehalten wird. An dieser Stelle ist zu sagen, dass die Brundtland- Kommission, wie schon
in Kapitel 2.5. erwähnt, betonte, dass jedes Land beurteilen muss, welcher der drei Nachhal-
tigkeitsbereiche am meisten gefördert werden muss und dementsprechend welcher der Di-
mensionen zwar auch beachtet, jedoch nicht in dem Maße gefördert werden muss. Das bedeu-
tet, dass eine schwache Nachhaltigkeit in manchen Fällen evtl. akzeptabel und sinnvoll sein
kann.40
Eine im Umweltbereich aber auch in der Kostenkalkulation vielfach angewandte und varian-
tenreiche Methode zur Prozesskettenanalyse ist das „Life Cycle Assessment“ (LCA), welche
den gesamten Lebenszyklus eines Produktes, „Cradle to Grave“- von der Wiege bis zur Bah-
re, oder womöglich sogar dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft nach, „Cradle to Cradle“-, ein
kompletter Stoffkreislauf, bezüglich allen Schritten verfolgt. Diese Methode ermöglicht einen
Vergleich innerhalb einer Stoffkreislauf- orientierten Produktion zwischen verschiedenen
Produkten oder einen Vergleich mit einer konventionellen, linearen Produktion. Zudem wer-
den Zusammenhänge zwischen Konsummuster und tatsächlichem Ressourcenverbrauch durch
Produktionsprozesse hergestellt. Vor allem aber sollen durch LCA- Methoden anhand der
transparenten Darstellung der Stärken und Schwächen alternative Handlungsoptionen für
umwelt- und ressourcenschonendere Prozesse ermittelt werden. Zudem sollen Problemverla-
40 Boccolare (2002). Nachhaltige Entwicklung, S.21
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 26
gerungen erkannt und vermieden werden. Vor dem Hintergrund der Forderungen des
Brundtland- Berichts nach generationsübergreifender Fairness, sind natürlich neben den Prob-
lemverlagerungen innerhalb des Lebenszyklus auch Problemverlagerungen in die Zukunft zu
vermeiden. 41
Die Methode der Lebenszyklusbetrachtung ist in einigen Fällen die Grundlage der folgenden
Modelle. Abbildung vier schematisiert einen derartigen Kreislauf.
Abbildung 4: Industrieller Metabolismus: Schematische Darstellung von Materialverbrauch, Produktion, Konsum und Emissionen
Quelle: Eigene Bearbeitung nach EEA 2010 in WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag
Kapitel drei ist in Bewertungsmodelle und –kriterien für Produkte, Projekte, Programme und
Pläne und Institutionen untergegliedert.
41 WBGU (2011). Gutachten- Gesellschaftsvertrag. S. 36
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 27
3.1 Produkte
3.1.1 Life Cycle Inventory (LCI)
Die Lebenszyklusinventur (LCI) ist eine Aufnahme aller relevanten anfallenden Emissionen,
Materialien und Energieflüsse innerhalb des Lebenszyklus´ eines Produktes. Die LCI wird im
Rahmen der Ökobilanz durchgeführt (s.Kap.3.1.2.).
3.1.2 Öko Bilanz/ Life Cycle Assessment (LCA)
Die Ökobilanz ist eine international standardisierte Bewertungsmethode nach dem Standard
DIN EN ISO 14040 („Environmental Management- Life Cycle Assessment- Principles and
Framework“), welcher Grundsätze und Rahmenbedingungen beinhaltet, und nach dem Stan-
dard DIN EN ISO 14044, welcher Anforderungen und Anleitungen beinhaltet. 1997 wurde
die Methode der Ökobilanz von der International Organization for Standardization (ISO) ge-
normt.42
Die Ökobilanz ist wie folgt definiert:
„Die Ökobilanz ist eine Methode zur Abschätzung der mit einem Produkt verbundenen Um-
weltaspekte und produktspezifischen potentiellen Umweltwirkungen, durch
- Zusammenstellung einer Sachbilanz von relevanten Input- und Outputflüssen eines
Produktionssystems;
- Beurteilung der mit diesen Inputs und Outputs verbundenen potentiellen Umweltwir-
kungen;
- Auswertung der Ergebnisse der Sachbilanz und Wirkungsabschätzung hinsichtlich der
Zielstellung der Studie;“43
Die Ökobilanz nach ISO 14040 ist ein Verfahren zur Erfassung und Bewertung der Umwelt-
auswirkungen von Produkten, Prozessen, Dienstleistungen, etc. über den gesamten Lebens-
weg, d.h. von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und Nutzung bis hin zur Entsor-
42 JÄGER ET AL. Instrumente zur Nachhaltigkeitsbewertung. S.10
43 JÄGER ET AL. Instrumente zur Nachhaltigkeitsbewertung. S.10 nach DIN EN ISO 14040
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 28
gung. Dieser Verlauf wird, wie erwähnt, häufig „von der Wiege bis zur Bahre“ oder im engli-
schen „From Cradle to Grave“ genannt.
Die Durchführung einer Ökobilanz ist in vier Arbeitsschritte untergliedert (s. Abb. 5), welche
nacheinander, aufeinander aufbauend, durchgeführt werden müssen:
- Die Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens (Goal and Scope Definition):
In diesem Schritt werden die Grenzen des Systems und der Detaillierungsgrad der Un-
tersuchungen festgelegt. Der Untersuchungsraum der Ökobilanz findet auch außerhalb
der inländischen Territorialgrenzen statt. Folgende Fragen werden in diesem Schritt
behandelt:
o Wie weit wird der Gegenstand untersucht?
o Werden auch vor- und nachgelagerte Prozesse untersucht?
o Werden z.B. beim Vergleich von Einweg- und Mehrwegverpackungen auch
Rücktransport und Reinigungsaufwand mit einbezogen?
Wie in Kapitel 3.6. zusammengetragen wird, ist es ein Problem der Öko- und folgen-
den Bilanzen, dass der Untersuchungsrahmens subjektiv festzulegen ist. Aufgrund
dessen ist keine Reproduzierbarkeit des Verfahrens zu garantieren.
- Die Sachbilanz (Life Cycle Inventory): In diesem Schritt werden notwendige Daten
erhoben, sowie Berechnungen zur Quantifizierung relevanter Input- und Outputflüsse
durchgeführt. Die Sachbilanz kann eine Stoffstromanalyse und/oder eine Lebenszyk-
lusinventur sein. Hierbei kann nach DIN eine Datenerhebung nach folgenden Gruppie-
rungen vorgenommen werden:
o Energieinput, Rohstoffinput, Betriebsstoffinput, etc.;
o Produkte, Koppelprodukte, Abfallprodukte;
o Emissionen in der Luft, Einleitungen in Wasser und Verunreinigungen des
Bodens;
o Weitere Umweltaspekte, je nach Untersuchungsrahmen und Zielsetzung;
o Das Erstellen von Sachbilanzen verlangt die Erhebung detaillierter Umwelt-
und Produktdaten, die oft in sogenannten Ökoinventaren gelistet sind;
- Die Wirkungsabschätzung (Life Cycle Impact Assessment): Bei der Wirkungsab-
schätzung ist es das Ziel, die potentiellen Auswirkungen eines Verfahrens zu bewer-
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 29
ten. Dies kann auf verschiedene Art und Weise geschehen. Zum einen können die
Sachbilanzen mit jeweiligen Wirkungskategorien- und Indikatoren verknüpft werden.
Dem Umweltbundesamt zufolge können folgende Wirkungskategorien verwendet
werden:44
o Treibhauseffekt; Der ermittelte Ressourcenverbrauch und die Schadstoffemis-
sionen können mit Hilfe von Bewertungsfaktoren zu einem einzigen oder meh-
reren Indikatoren zusammengefasst werden. Hier wird oftmals das relative
Treibhauspotential der Treibhausgase (CO2, CH4, …) auf Basis einer einheitli-
chen Größe bestimmt und addiert. Diese Größe ist in diesem Fall CO2- Äqui-
valente (CO2-eq.).
o Abbau des stratosphärischen Ozons (Ozonloch);
o Photochemische Oxidantienbildung (Sommersmog);
o Eutrophierung (Überdüngung in Gewässern und der Böden);
o Versauerung;
o Beanspruchung fossiler Ressourcen;
o Naturraumbeanspruchung;
o Direkte Gesundheitsschädigung (durch gesundheitsschädigende Stoffe oder
Lärm);
o Direkte Schädigung von Ökosystemen;
o Desweiteren können die Stoffflüsse und weitere Auswirkungen der Sachbilanz
mit Hilfe der Umweltbelastungspunkte bewertet werden. Darauf wird im fol-
genden Kapitel näher eingegangen;
- Die Auswertung (Interpretation): Die Auswertung ist die Grundlage für die Entschei-
dungsfindung und sollte daher möglichst transparent und nachvollziehbar vollzogen
werden;
44 Forschungsinformationssystem (2011). Mobilität, Verkehr und Stadtentwicklung. Ökobilanz nach ISO EN
DIN 14040 und 14044
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 30
Abbildung 5: Arbeitsschritte einer Ökobilanz
Quelle: Eigene Bearbeitung nach Forschungsinformationssystem (2011). Mobilität, Verkehr und Stadtentwick-
lung. Ökobilanz nach ISO EN DIN 14040 und 14044
Abbildung 6: Umweltauswirkungen entlang der Wertschöpfungskette
Quelle: Eigene Bearbeitung nach SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012.
S.97
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 31
Für die Berichterstattung gilt es, das Ergebnis der Ökobilanz der Zielgruppe angemessen mit-
zuteilen. 45
Ökobilanzen werden durchgeführt, um Möglichkeiten darzustellen, Prozesse in den verschie-
denen Phasen umweltverträglicher zu gestalten. Zudem liefern sie Informationen für Ent-
scheidungsträger über die detaillierten Abläufe und vor allem Auswirkungen von Produkten,
Prozessen, Dienstleistungen, etc.
Eine positiv verlaufende Ökobilanz kann zudem als Marketingmittel genutzt werden oder als
Voraussetzung für eine Zertifizierung.
Produkte, die durch eine Ökobilanz analysiert wurden und dessen Ergebnis feststeht, können
mit einer Environmental Product Declaration (EPD) versehen werden. Diese Aussage über die
Umweltbelastung des Produktes kann im Rahmen des Qualitätsmanagement als Marketing-
strategie verwendet werden.46
3.1.3 Die Methode der ökologischen Knappheit/ Umweltbelastungspunkte (UBP)
Die Methode der ökologischen Knappheit und die Errechnung von Umweltbelastungspunkten
(UBP), wurden vom Schweizer Bundesministerium für Umwelt, Wald und Landschaft
(BUWAL) und privater Unternehmen entwickelt. Ökologische Knappheit beschreibt das Ver-
hältnis der aktuellen Belastung der Umwelt (Ist- Menge oder aktueller Fluss) zu der gesell-
schaftspolitisch als zulässig und kritisch angesehener Belastung (Toleranzmenge oder kriti-
scher Fluss). Dieses Verhältnis wird als ökologische Knappheit bezeichnet. Der Ansatz geht
davon aus, dass die „Umwelt“ in einem Gebiet nicht unbegrenzt ist.
Die entwickelte Methode der Umweltbelastungspunkte hat das Ziel, die verschiedenen Aus-
wirkungen, z.B. Emissionen verschiedener Substanzen in Luft, Wasser und Boden, sowie der
Verbrauch von Energie- Ressourcen, zu einer einzigen Kenngröße, nämlich die der Umwelt-
belastungspunkte zusammenzufassen und dadurch zu einer eindeutigen Bewertung zu kom-
men.
45 Forschungsinformationssystem (2011). Mobilität, Verkehr und Stadtentwicklung. Ökobilanz nach ISO EN
DIN 14040 und 14044
46 BASF (2012). Quantifying Sustainability
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 32
Die Methode steht in besonderem Bezug zur Ökobilanz, da die ersten zwei Schritte der Öko-
bilanz nach ISO 14040 (Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens, Sachbilanz
(Ökoinventar)) als Voraussetzung für die Methode der ökologischen Knappheit durchgeführt
werden muss. Die Wirkungsabschätzung kann, wie im vorherigen Kapitel erwähnt, auf ver-
schiedene Art und Weise geschehen. Eine der Bewertungsmethoden ist die der ökologischen
Knappheit. Die Methode der ökologischen Knappheit erfolgt nach dem „Distance- to- Tar-
get“- Prinzip. Das „Target“ kann in diesem Fall das politisch gesetzte Ziel sein, also wie viel
Spielraum zwischen Ist- Zustand und Ziel gegeben ist.
Die Methode der Umweltbelastungspunkte hat den Vorteil, gewisse Grenzen- oder sogenann-
te „Kipp- Punkte“- im Visier zu behalten, und somit eine Bewertung nach Belastungsgrenzen
zu vollziehen.
Die ermittelten Größen aus der Sachbilanz (z.B. 130 kg CO2, 3 kg CH4, 0,045 kg NOx) wer-
den mit dem jeweiligen Ökofaktor (310 UBP für 1 kg CO2, 7100 UBP pro kg CH4, 45000
UBP pro kg NOx), auf den im Anschluss eingegangen wird, zu den UBP´s multipliziert.
Schließlich werden alle ermittelten UBP´s der bewerteten Ressourcenentnahmen und Schad-
stoffemissionen zu einer Gesamtpunktzahl addiert, welche nun eine Bewertung, bzgl. der
Umweltauswirkungen eines Produktes darstellt.47
Zentrale Größe der Methode sind die Ökofaktoren. Diese geben die Umweltbelastung einer
Schadstoffemission oder auch Ressourcenentnahme in der Einheit Umweltbelastung pro
Mengeneinheit an, wie z.B. UBP/g emittierte Substanz, UBP/MJ energetische Ressource oder
UBP/m² Landnutzung. Der Ökofaktor leitet sich aus der Umweltgesetzgebung oder anderen
politischen Zielen ab, d.h. je höher der Verbrauch der Ressourcen oder je mehr die aktuellen
Emissionen das gesetzte Umweltschutzziel überschreiten, desto größer wird der Ökofaktor.
47 BUNDESAMT FÜR UMWELT (BAFU) (2009). Methode der ökologischen Knappheit. S. 9
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 33
Diese Formel gilt zur Berechnung des Ökofaktors48
:
K=Charakterisierungsfaktor eines Schadstoffes bzw. einer Ressource;
Fn=Normierungsfluss, Aktueller jährlicher Fluss, bezogen auf ein bestimmtes Gebiet
(im Beispiel die Schweiz). Ein Fluss bezeichnet die Fracht eines Schadstoffes, die
Verbrauchsmenge einer Ressource oder die Menge einer charakterisierten Umwelt-
wirkung;
F=Aktueller Fluss: Aktueller Fluss, erzeugt durch ein Verfahren- bezogen auf das Re-
ferenzgebiet;
Fk=Kritischer Fluss: Kritischer jährlicher Fluss, bezogen auf das Referenzgebiet (ba-
siert meist auf politischen Grenzwerten);
C=Konstante: Dient dazu einfach darstellbare Zahlengrößen zu erhalten;
UBP=Umweltbelastungspunkt: Einheit der bewerteten Umweltwirkung;
Der Ökofaktor wird aus den in der Formel vorhandenen Elementen hergeleitet: Charakterisie-
rung, Normierung und Gewichtung. Diese werden für ein besseres Verständnis näher erläu-
tert49
:
Charakterisierung: Hier wird die relative Schädlichkeit eines Stoffes oder einer Res-
sourcengewinnung gegenüber einer Referenzsubstanz innerhalb einer bestimmten
Wirkungskategorie (Treibhauspotential, Versauerungspotential, Radioaktivität, etc.)
beschrieben. So ist z.B. für Treibhausgase die Referenzsubstanz CO2, sodass alle
Treibhausgase hinsichtlich ihres Treibhauspotentials als CO2- Äquivalente angegeben
werden. Demnach hat z.B. Methan ein 23mal höheres Treibhauspotential als CO2 und
48 BUNDESAMT FÜR UMWELT (BAFU) (2009). Methode der ökologischen Knappheit. S. 22 ff.
49 BUNDESAMT FÜR UMWELT (BAFU) (2009). Methode der ökologischen Knappheit. S. 22 ff.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 34
Schwefelhexafluorid (SF6) hat sogar ein 22000mal höheres Treibhauspotential als
CO2.
Folglich hat Methan einen Charakterisierungsfaktor von 23 kg CO2- eq. Auf den Öko-
faktor bezogen heißt das, dass 1 kg Methan die gleiche Wirkung hat wie 23 kg CO2,
der Faktor also 23mal höher ist als der von der Referenzsubstanz CO2;
Normierung: Die Normierung quantifiziert, wie groß der Anteil einer Einheit eines
Schadstoffes oder einer Ressourcennutzung an der gesamten aktuellen Belastung die-
ses Stoffes einer bestimmten Region (z.B. Schweiz, Deutschland, Europa, etc.) pro
Jahr ist. Es emittiert z.B. ein Prozess 10g eines Schadstoffes, von dem jährlich in der
Schweiz 100.000 Tonnen freigesetzt werden. Die 10g sind dementsprechend sehr we-
nig. Im Gegensatz dazu ist eine Menge von 10g eines Schadstoffes, von dem jährlich
in einem bestimmten Gebiet insgesamt 70g emittiert werden, sehr groß;
Gewichtung: Die Gewichtung beschreibt das Verhältnis der momentanen Schadstoff-
emission oder Ressourcenverbrauch, also der aktuelle Fluss, zu den politisch festge-
legten Grenz -oder Zielwerten (kritischer Fluss);
Die Ökofaktoren werden für die verschiedenen Einwirkungen entsprechend ihrer Schädlich-
keit und Knappheit der Stoffe bestimmt. Je höher der Ökofaktor, desto umweltbelastender ist
die jeweilige Einwirkung. Nachdem der Ökofaktor ermittelt wurde, wird dieser mit der Men-
ge des Schadstoffe o.ä. multipliziert: UBP=Menge der Umwelteinwirkungk*Ökofaktork;
Dabei geht es darum, die verschiedenen Auswirkungen, wie z.B. diejenige auf die menschli-
che Gesundheit, das Klima oder auf Ökosysteme entsprechend ihrer Bedeutung gegeneinan-
der zu gewichten.
Im Folgenden wird eine kleine Auswahl von festgelegten Ökofaktoren für Emissionen in
Luft, Oberflächengewässer, Grundwasser, Boden sowie Ressourcenabbau vorgestellt. Die
Übersicht bezieht sich auf die Emissions- bzw. Immissionssituation und die festgelegten Ziele
der Schweiz. 50
50 BUNDESAMT FÜR UMWELT (BAFU) (2009). Methode der ökologischen Knappheit
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 35
Tabelle 1: Übersicht der Ökofaktoren
Quelle: BUNDESAMT FÜR UMWELT (BAFU) (2009). Methode der ökologischen Knappheit. S.11
Normierungsfluss Aktueller
Fluss
Kritischer
Fluss
Ökofaktor
2006
UBP pro
Emissionen Luft
CO2 53034000 t CO2- eq 45436000 111830001 t
CO2
0,31 gCO2- eq
Ozonschichtabbauende
Substanzen
391 t R1151- eq 391 188 t R11- eq 11000 gR11- eq
NMVOC 116000 t 116000 81000t 18 g
NOx 91000 t 91000 45000t 45 g
NH3 44000 t 44000 25000t 70 g
PM2,5- 10 22000 t 9255 50482 t 150 g
Benzol 1055 t 1055 525 t 3800 g
Dioxine und Furane 67,5 g 67,5 34,5g 5,7E+10 g
Blei 91 t 91 583 t 27000 g
Cadmium 2,00 t 2,0 2,083 t 46000 g
Quecksilber 1,02 t 1,02 2,22 t 210000 g
Emissionen Oberflächengewässer
Stickstoff 31360 t 24827 17510 t 64 g
Phosphor 1694 t 28,6 20 mg/m³ 1200 g
CSB 47700 t 47700 144000 t 2,3 g
Arsen 8,6 t 10,5 40 mg/kg 8000 g
Blei 32 t 38 100 mg/kg 4400 g
Kupfer 74 t 51 50mg/kg 14000 g
PAK 0,144 t 0,004 0,1mg/m³ 11000 g
51 R11 ist eine Stoffbezeichnung bestimmter Fluorkohlenwasserstoffe, welche hier Referenzsubstanz sind.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 36
Normierungsfluss Aktueller
Fluss
Kritischer
Fluss
Ökofaktor
2006
UBP pro
Hormonaktive Stoffe 5kg E252- eq 5 24kg E2-eq 8700000 g E2-eq
Emissionen Grundwasser
Stickstoff 34000t 34000 17000t 120 gN
Emissionen in Boden
Blei 79,9t 30,3t 19,4 g/ha*a 31000 g
Cadmium 2,98 t 1,25 1,3 g/ha*a 310000 g
Kupfer 120 t 73,4 58 g/ha*a 13000 g
Zink 870 t 473 303 g/ha*a 2800 g
Pflanzenschutzmittel
PSM
1507 t PSM-eq 1577 1500t 730 gPSM-
eq
Ressourcen
Primärenergieträger 1030 PJ-eq 1169 6361PJ 3,3 MJ-eq
Landnutzung/ Sied-
lungsfläche
3378 km²/a-eq 2791 3224 km²/a 220 m²/a-eq
Süßwasser Schweiz 2,57 km³ 2,57 10,7 km³ 22 m³
Süßwasser OECD-
Länder
2,57 km³ 1020 2040 km³ 97 m³
Kies 34000000t 34000000 34000000 t 0,029 g
Die Methode der ökologischen Knappheit ist eine auf ökologische Aspekte bezogene Bewer-
tungsmethode. Sehr positiv ist zu bewerten, dass bei dieser Methode Grenzen, wie sie in Ka-
pitel 5.1. „Rahmen und Ziele“ als „planetarische Leitplanken“ beschrieben sind, berücksich-
tigt werden. Aufgrund von teilweise bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten, sollte
nach dem Vorsorgeprinzip gehandelt werden, d.h. bei Unsicherheiten bzgl. des kritischen
Flusses, sollte besser von einer höheren Verknappung ausgegangen werden, als tatsächlich
bewiesen. Nachteile können sich dort ergeben, wo natürliche Vorgänge anders verlaufen, als
dies der lineare Ökofaktor beachtet. Sind die kritischen Flüsse und somit die Ökofaktoren
52 E2 ist ein weibliches Geschlechtshormon, welches hier als Referenzsubstanz herangezogen wird.
Bewertungsmodelle und -kriterien
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bekannt, ist die Methode recht unkompliziert durchzuführen. Sie eignet sich gut für die Aus-
wertung und die Wirkungsabschätzung von Sachbilanzen.53
3.1.4 Lebenszykluskostenrechnung/ Life Cycle Costing (LCC)
Die Lebenszykluskostenrechnung wurde bisher noch nicht standardisiert, obwohl es sich um
ein im Vergleich zur Ökobilanz älteres Instrument handelt. Trotzdem lehnt sich die Durchfüh-
rung der LCC an die Schrittabfolge der LCA gemäß ISO 14040 an und führt die Kosten aller
Lebensphasen auf. So können kostentreibende Faktoren ermittelt und evtl. minimiert werden.
Die LCC kann vergleichbar mit der Ökobilanz in vier Schritte eingeteilt werden:
Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens; An dieser Stelle ist zu sagen,
dass die Definition des Untersuchungsraumes immer einer subjektiven Entscheidung
unterliegt- insbesondere wenn das Instrument nicht genormt ist. Dies gilt auch für die
Bewertungsinstrumente der folgenden Kapitel;
Sachbilanz;
Kostenschätzung;
Auswertung;
Im Vergleich zur Ökobilanz gibt es jedoch bei der Gesamtkostenrechnung keine Wirkungsab-
schätzung. Kostenbilanzen gelten in der Regel als exakt und objektiv, können jedoch in der
Praxis durch mangelnde Daten auch schwer durchzuführen sein.
Besonders zu berücksichtigende Faktoren der LCC sind:
Vollkosten und/oder Teilkosten;
Ist- Kosten und/oder Plankosten;
Dynamische und/oder statische Verfahren;
Preise und/oder Kosten;
Einbezug externer oder informeller Kosten;
Einbezug von versteckten Kosten und möglichen Haftungsrisiken;
Marktpreise, gesetzlich beeinflusste Preise (Subventionen);
53 BUNDESAMT FÜR UMWELT (BAFU) (2009). Methode der ökologischen Knappheit. S.14
Bewertungsmodelle und -kriterien
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Behandlung Diskontierung;
Behandlung Abschreibung (linear, degressiv);
Behandlung unterschiedlicher Währung;
Behandlung unterschiedlicher Lebenshaltungskosten in verschiedenen Ländern;
Durchführung eines „Critical Reviews“ bei öffentlicher Verwendung des LCC;
Die gelisteten Faktoren werden jedoch nicht immer alle betrachtet. So werden zum Beispiel
externe Effekte und Kosten meistens nicht monetarisiert.54
3.1.5 Sozialbilanz/ Social Life Cycle Assessment (SLCA)
Die Sozialbilanz steht im Vergleich zur LCA und LCC noch am Anfang ihrer Entwicklung
und verfügt daher auch nicht über eine Normierung, ganz zu schweigen über eine gesetzliche
Verankerung.
Die Sozialbilanz betrifft die Entwicklung von Produkten, so wie auch von Projekten und soll
jene Lücke schließen, die zwischen zahlenbasierten Aussagen über die wirtschaftliche Situat i-
on und den etwas weicheren naturwissenschaftlichen, ebenfalls meist zahlenbasierten Aussa-
gen über die Umweltaspekte entsteht. Während Instrumente wie die Technik- und Produktfol-
genabschätzung Auswirkungen und Zustände in der Zukunft beschreiben, beziehen sich die
Fakten der Sozialbilanz meistens auf die Vergangenheit und auf die Gegenwart.
Immer häufiger wird von Unternehmen, insbesondere den Großen, eine transparente Stel-
lungnahme der sozialen Aspekte erwartet (z.B. durch die Global Reporting Initiative55
). Zwar
gibt es methodisch bislang keine normierte Bilanz, doch wurden in Kooperation zwischen
dem Ökoinstitut und der UNEP- SETAC- Life Cycle Initiative56
Methodenbeschreibungen
54 ÖKO- INSTITUT. PROSA. Sozialbilanz
55 Die Global Reporting Initiative (GRI) ist ein internationales Netzwerk und bietet einen einheitlichen Nachhal-
tigkeitsberichtsrahmen, den Unternehmen nutzen können, um über ökologische, ökonomische und soziale
Aspekte des Unternehmens transparent und einheitlich, demnach vergleichbar, zu berichten. Große Unter-
nehmen, wie Fraport, BASF, etc. nutzen die GRI als offiziell anerkannte Nachhaltigkeitsberichterstattung.
56 Die UNEP- SETAC- Life Cycle Initiative ist eine Initiative, die sich mit Lebenszyklusbilanzen jeglicher Art
beschäftigt. Die internationale Einrichtung wurde vom United Nations Environment Programme (UNEP)
und der Society for Environmental Toxicology and Chemistry (SETAC) gegründet.
Bewertungsmodelle und -kriterien
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zur produktbezogenen Sozialbilanz erarbeitet. Im Jahr 2009 wurden unter anderem vom Öko-
institut die UNEP- ETAC Guidelines for Social Life Cycle of Products veröffentlicht, welche
im Zusammenhang mit der Entwicklung von PROSA (siehe 3.1.10) erarbeitet wurde.
Die Durchführung wird wie bei der Lebenszykluskostenrechnung und der Ökobilanz prozess-
orientiert in vier Schritte eingeteilt:
Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens;
o Bei diesem Schritt ist insbesondere darauf zu achten, dass je nach Festlegung
des geographischen Bilanzierungsraums auch Länder mit unterschiedlichen so-
zialen Bedingungen und Kulturen einbezogen werden;
o Im Vergleich zu anderen Bilanzen beinhaltet diese Methode weiche, schwer
kalkulierbare Indikatoren;
Sachbilanz;
o Die Datenlage bzgl. sozialer Faktoren ist bislang nicht besonders gut, da vor
allem Vorketten oft sehr komplex, diese aber besonders zu beachten sind;
Wirkungsabschätzung;
Auswertung der Ergebnisse;
Abbildung 7. Stakeholder- Diagramm
Quelle: Eigene Bearbeitung nach UNEP (2009). Guidelines for Social Life Cycle Assessment of Products. S.26
Bewertungsmodelle und -kriterien
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Unter der Vielzahl der in Betracht kommenden Aspekte, bzw. Indikatoren stammen die meis-
tens aus drei Bereichen: HotSpots in der Vorkette und bei der Entsorgung/ Recycling, z.B.
Löhne unter dem Existenzminimum oder Kinderarbeit. Ein weiterer Bereich sind die Auswir-
kungen der Produktnutzung, z.B. Computerspiele, und ein weiterer Bereich befasst sich mit
den indirekten Auswirkungen auf die Gesellschaft, z.B. Handy- Nutzung. Für die Sozialbilanz
gibt es noch keine allgemein akzeptierte Liste von sozialen Indikatoren. PROSA (s. Kap.
3.1.10.) hingegen stellt eine Liste von Indikatoren bereit, welche nach vier
Stakeholdergruppen57
geordnet sind. Die Liste enthält die Indikatoren, die in den wichtigsten
Gesetzen oder Codes (ILO- Standards58
, OECD- Guidelines on Multinational Enterprises,
Global Reporting Initiative, SA 800059
, Kernkriterien von Stiftung Warentest) zum Thema
der Sozialbilanz enthalten sind.
Ein kleiner Ausschnitt der sozialen Kriterien und Indikatoren ist in Tabelle 2 ersichtlich.
Tabelle 2: Soziale Indikatoren
Quelle: Ökoinstitut. PROSA. Sozialbilanz
Stakeholder Kriterium Indikator
Arbeitnehmer Sichere und gesunde Arbeitsbedin-
gungen; etc.
Anzahl ( tödlicher) Arbeitsunfälle;
Arbeitsplatz verbunden mit Lärm,
Geruch, Dämpfen, Staub, Hitze;
Zugang zu sauberem Trinkwasser
und sanitären Anlagen am
Arbeitplatz; etc.
57 Stakeholder sind einzelne oder meist interne oder externe Gruppen, die Ansprüche an ein Unternehmen haben,
da sie von den unternehmerischen Tätigkeiten gegenwärtig oder in Zukunft direkt oder indirekt betroffen
sind.
58 International Labour Organisation (ILO) ist eine UN- berufene Organisation, dessen Aufgabe es unter ande-
rem ist, international Standards bzgl. Arbeit und Soziales einzuführen, zu überprüfen und durchzusetzen.
59 SA 8000 ist ein internationaler Standard, gegründet von der NGO Social Accountability International (SAI)
aus New York, mit dem Ziel Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern zu verbessern. SA 8000 ist eine in-
ternationale Norm, nach deren sich Unternehmen auf freiwilliger Basis zertifizieren lassen können. SA
8000 basiert auf ILO und somit der UN.
Bewertungsmodelle und -kriterien
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Stakeholder Kriterium Indikator
Gleichbehandlung; Chancen-
gleichheit und faire Behandlung;
Nationale Rahmenbedingungen;
Anteil der Frauen in Führungsposi-
tionen; etc.
Gesellschaft Öffentliches Engagement für das
Konzept der nachhaltigen Entwick-
lung; etc.
Besondere Auszeichnung für sozia-
les und/oder nachhaltiges Engage-
ment; Hinweise auf Aktivitäten
(Lobbyarbeit, etc.) gegen Aktivitä-
ten zur Umsetzung der Nachhaltig-
keitsziele; Erstellung eines Nach-
haltigkeitsberichts; etc.
Private, gewerbliche und staatliche
Nutzer
Qualität des Produktes/ der Dienst-
leistung; etc.
Qualität im Verhältnis zu anderen
Produkten; etc.
Benachbarte und regionale Bevöl-
kerung
Gesellschaftliche Mitbestimmung;
etc.
Informationsmöglichkeiten für
Anwohner; etc.
Die Ergebnisse der Sachbilanz und der Wirkungsabschätzung werden im Schritt der Auswer-
tung bewertet. Das größte Hindernis für eine Erstellung einer Sachbilanz ist die lückenhafte
Datenlage. So gibt es z.B. noch keine Modul- Daten für zentrale Prozesse und Vor- Produkte,
was jedoch besonders wichtig ist, da die Vorketten oft äußerst komplex sind und meistens
Zulieferer aus anderen Ländern mit einbeziehen.
An dieser Stelle ist zu sagen, dass nun schon drei Bewertungsverfahren vorgestellt wurden,
die alle drei Nachhaltigkeitsbereiche abdecken und sich vom Aufbau der Methodik sehr ähn-
lich sind- die Ökobilanz, die Lebenszykluskostenrechnung und die Sozialbilanz.
In Kapitel 3.1.10 wird mit „PROSA“ ein Instrument vorgestellt, das die drei Bilanzen zu einer
ganzheitlichen Nachhaltigkeitsbewertung vereint. Bei einer Durchführung von zwei oder gar
drei Bilanzen ist sehr darauf zu achten, das konsistente, im Idealfall identische Systemgrenzen
(Untersuchungsgrenzen) für alle Bilanzen, definiert sind. Das Problem der mangelhaften Da-
tensituation könnte ein standardisiertes und regelmäßiges Durchführen de Methoden alsbald
beheben. Eine Standardisierung, bzw. Normierung von LCC und SLCA wäre sinnvoll, um
eine Harmonisierung und eine Anpassung an LCA herzustellen.
Bewertungsmodelle und -kriterien
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3.1.6 Technikfolgenabschätzung/ Technology Assessment (TA)
Die Methode der Technikfolgenabschätzung bewertet technische Verfahren, welche bzgl.
ihrer Wirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Ökonomie untersucht werden. Das heißt, es
werden nicht nur ökologische Folgen, sondern auch Folgen für Gesellschaft und Ökonomie
abgebildet. Die Technikfolgenabschätzung kann unter die Kategorie der „Risikofolgenab-
schätzungen“ gelistet werden, da Risiken für Umwelt, Mensch und Wirtschaft versucht wer-
den abzuschätzen. Hierzu gibt es z.B. das Büro für Technikfolgen- Abschätzung beim Deut-
schen Bundestag (TAB), welches als wissenschaftliche Einrichtung den Deutschen Bundestag
und seine Ausschüsse hinsichtlich der wissenschaftlich- technischen Entwicklung und deren
Folgen berät.60
Der Verein deutscher Ingenieure definiert die Technikfolgenabschätzung als
„planmäßiges, systematisches, organisiertes Vorgehen, das den Stand einer Technik und ihre
Entwicklungsmöglichkeiten analysiert, unmittelbare und mittelbare technische, wirtschaftli-
che, gesundheitliche, ökologische, humane, soziale und andere Folgen dieser Technik und
möglicher Alternativen abschätzt, aufgrund definierter Ziele und Werte diese Folgen beurteilt
oder auch weitere wünschenswerte Entwicklungen fördert, Handlungs- und Gestaltungsmög-
lichkeiten daraus herleitet und ausarbeitet.“61
Es wird hauptsächlich von einer quantitativen
Bewertung mit monetären Werten ausgegangen, jedoch werden auch auf qualitativer Ebene
Alternativen zur Verbesserung der betrachteten Technologie bzw. ihrer Anwendung betrach-
tet. Der Untersuchungsraum der Technikfolgenabschätzung unterliegt den inländischen Terri-
torialgrenzen und umfasst die gesamte Volkswirtschaft. Die Technikfolgenabschätzung gibt
den Rahmen für verschiedene Bewertungsinstrumente, z.B. Ökobilanz, Nutzen- Kosten- Ana-
lyse, Nutzwertanalyse, etc. So ist die TA ein aus verschiedenen Analysephasen bestehendes
Forschungsprojekt, welches somit je nach gewähltem Ausmaß eine hohe Aussagekraft über
die Auswirkungen auf die verschiedenen Bereiche haben kann, 62
dadurch jedoch sehr kom-
plex und aufwendig durchzuführen ist.
60 W. PFLÜGNER (2010). Vorlesungsskript Bewertung von Umweltrisiken. Block 2. S. 4.
61 JÄGER ET AL. Instrumente zur Nachhaltigkeitsbewertung. Forschungszentrum Jülich. S.4 nach VDI (1990). S.
2
62 JÄGER ET AL. Instrumente zur Nachhaltigkeitsbewertung. Forschungszentrum Jülich. S.4
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 43
Die Richtlinie 3780 „Begriffe und Grundlagen der Technikbewertung“ des Vereins deutscher
Ingenieure beschreibt den Aufbau folgendermaßen63
:
1. Phase der Analyse: In dieser Phase wird die Notwendigkeit erkannt, ob die mögli-
chen Folgen des Einsatzes einer Technologie analysiert werden sollten. Das Problem
wird definiert und der Untersuchungsgegenstand und –raum wird festgelegt;
2. Phase der Prognose: Nun erfolgt die Folgenabschätzung. Der Stand der Technik
wird ermittelt. In diesem Schritt werden auch die Einzelbewertungsmethoden, wie die
Ökobilanz, die Kostenermittlung, etc. durchgeführt. Die Entwicklungsziele und die
zeitlichen Entwicklungshorizonte der Technik werden definiert. Nachdem Referenzen,
also das Heranziehen von ähnlichen Technologien in der Vergangenheit, aufgeführt
werden, werden die Folgen der gegenwärtigen und zukünftigen Anwendung der Tech-
nik ermittelt, sowie Abschätzungen von Folgen vorgenommen, die aufgrund von
Wechselwirkungen nicht direkt abgeleitet werden können Als nächstes werden mögli-
che Alternativen betrachtet und Bewertungskriterien formuliert. Dieser Schritt wird
mit einem Vergleich von Folgeabschätzungen der analysierten Technologie und mög-
licher Alternativen abgeschlossen;
3. Phase der Bewertung: In diesem Schritt erfolgt die Bewertung;
4. Phase der Handlungsempfehlung: In dieser Phase wird die Entscheidung getroffen,
welche der technischen Alternativen zur Lösung eines Problems herangezogen werden
soll. An dieser Stelle können auch Richtlinien zur Vermeidung gewisser Risiken und
die verbesserte Nutzung von Chancen herausgearbeitet werden;
3.1.7 Produktfolgenabschätzung
Die Übertragung des Konzeptes der Technikbewertung auf die Handlungsfelder in Unterneh-
men bietet die Produktfolgenabschätzung. So wird nicht wie bei der Technikfolgenabschät-
zung die gesamte Volkswirtschaft mit einbezogen sondern nur die Ebene, bzw. die Hand-
lungsfelder und Entscheidungsabläufe eines Unternehmens.
63 VEREIN DEUTSCHER INGENIEURE (VDI). VDI- Richtlinie 3780 in Auszügen. S. 86 ff.
Bewertungsmodelle und -kriterien
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Ziel der Produktfolgenabschätzung ist es, Produkte und Prozesse in ihrem gesamten Wir-
kungszusammenhang zu erfassen, mögliche Handlungsalternativen zu untersuchen und die
Folgen der jeweiligen Alternative zu bewerten. Die Produktfolgenabschätzung ist wie die
Technikfolgenabschätzung kein eigenständiges Bewertungsinstrument, sondern ein Rahmen-
konzept zur Entscheidungsfindung, das durch konkrete Informationsinstrumente, wie der
Ökobilanz, Sozialbilanz und der Gesamtkostenrechnung, etc. konkretisiert werden muss.
Es werden nicht nur Folgen und Verantwortung von Produkten auf Wirtschaft, Gesellschaft
und Umwelt hinterleuchtet, sondern vor allem Produkt- und Prozessalternativen und ihre
kurz- und langfristigen Wirkungen in allen Lebensphasen analysiert, bewertet und miteinan-
der verglichen. Ein besonderes Augenmerk wird hier auf die nicht unmittelbar zu erkennen-
den Langzeitfolgen gerichtet, die womöglich erst in der Zukunft eintreten werden.
Die Durchführung einer Produktfolgenabschätzung erfolgt in Anlehnung nach VDI- Richtli-
nie 3780 der Technikfolgenabschätzung. Für den Prozess zur Ermittlung von Produktfolgen
sind die Schritte Analyse, Prognose, Bewertung und Handlungsempfehlung durchzuführen.
Auch die Produktfolgenabschätzung ist auf eine mehrdimensionale Abschätzung ausgerichtet,
d.h. es werden Auswirkungen auf ökologische, ökonomische und soziale Aspekte analysiert.64
3.1.8 Stoffstromanalyse
Es handelt sich um ein systemanalytisches Verfahren zur Erfassung von Stoff- und Material-
strömen, die mit bestimmten Produkten, Verfahren, Dienstleistungen oder ganzen Bedürfnis-
feldern (Bauen, Mobilität, etc.) verbunden sind. Da die Stoffstromanalyse international nicht
genormt ist, existieren zahlreiche, sich ähnelnde Methoden. Im Unterschied zur Ökobilanz
wird bei der Stoffstromanalyse neben der Erörterung von Mengen und Wege von Stoffen und
Materialien keine Wirkungsabschätzung durchgeführt. 65
Auch bei diesem Verfahren werden
zeitliche und räumliche Systemgrenzen festgesetzt, innerhalb derer Stoffumsätze quantifiziert
werden und eine Stoff- und Energiebilanzierung erstellt wird.
64 JÄGER ET AL. Instrumente zur Nachhaltigkeitsbewertung. Forschungszentrum Jülich. S.8
65 UMWELTBUNDESAMT (2011). Nachhaltige Produktion. Stoffstromanalyse
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 45
Die Enquete- Kommission des deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Um-
welt“ definiert einen Stoffstrom wie folgt:
„Der Weg eines Stoffes von seiner Gewinnung als Rohstoff über die verschiedenen
Stufen der Veredelung bis zur Stufe des Endprodukts, den Gebrauch/ Verbrauch des
Produktes, gegebenenfalls seine Wiederverwendung/ Verwertung bis zur Entsor-
gung.“66
Als Stoff wird nicht unbedingt ein chemisches Element als reinste Stoffform herangezogen,
sondern eher Stoffverbindungen, komplex zusammengesetzte Stoffe (z.B. Rohstoffe), Zwi-
schen- und Endprodukte oder Abfälle und Emissionen. Ziel der Analyse ist es, Stoff- und
Energieträger zu identifizieren, zu quantifizieren, den Verbleib dieser in einem abgegrenzten
Untersuchungsraums zu ermitteln, sowie Ursachen für Stoffströme zu ermitteln und noch wei-
tergehend die Reduktion, bzw. Optimierung von Energie- und Stoffströmen zu ermöglichen.
Die Herangehensweise kann differenziert werden. Entweder liegt das Augenmerk auf einer
stoffbezogenen Betrachtung, also auf einem Stoff, welcher räumlich und zeitlich abgegrenzt,
in seiner Zusammensetzung und in seinem Verlauf durch technische und natürliche Systeme
verfolgt werden soll. Hier wird weniger auf die Erfüllung einer bestimmten Funktion geach-
tet. Oder es wird eine produktbezogene Stoffstromanalyse erstellt, mit der Intention das Au-
genmerk auf die Herstellung, Nutzung und Entsorgung einzelner Produkte zu richten. Diese
Vorgehensweise kann zu einer Ökobilanz führen.
Die Stoffstromanalyse ist oftmals ein Bestandteil einer Ökobilanz, am deutlichsten im Schritt
der Sachbilanz zu erkennen, und bezieht sich auch auf die ökologische Dimension.
3.1.9 Produktlinienanalyse
Die Produktlinienanalyse wurde im Jahr 1987 vom Ökoinstitut67
entwickelt. Die Produktli-
nienanalyse wurde als Methode zur integrierten Analyse ökologischer, sozialer und ökonomi-
scher Aspekte entlang der Produktlinie entwickelt.
66 LEXIKON DER NACHHALTIGKEIT (2011). Enquete- Kommission. Schutz des Menschen und der Umwelt
67 Das Ökoinstitut ist eine NGO mit Hauptsitz in Freiburg. Das Institut berät und forscht in Sachen nachhaltiger
Entwicklung.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 46
Anders als die Technikfolgenabschätzung bilanziert die Produktlinienanalyse auch außerhalb
der Territorialgrenzen. Bewertet werden auftretende Stoff- und Energieumsätze, aber nicht in
einer eindimensionalen (z.B. monetären) Beschreibung sondern in einer beschreibenden
Form. Wie bei Öko-, Kosten- und Sozialbilanz zieht sich der Betrachtungsrahmen über den
gesamten Lebenszyklus eines Produktes.
Eine Produktlinienanalyse erfasst, analysiert und bewertet zudem den Nutzen eines Produktes
mit Hilfe einer Nutzen- Kosten- Analyse. Produktlinienanalysen dienen vor allem dem Ver-
gleich verschiedener Produktalternativen und der Optimierung von Produktlinien. Desweite-
ren wird vordergründig die Frage behandelt, was die Bedürfnisse sind, welche mit diesem
Produkt befriedigt werden sollen. Der Bedürfnisbezug des Instruments ermöglicht es, ver-
schiedene Produktalternativen zu definieren und damit verbundene technische und nicht-
technische Lösungen mit zu betrachten.
Das Verfahren setzt sich aus den Schritten Scoping, Sachbilanz, Wirkungsabschätzung und
Bewertung zusammen, also ähnlich dem Verfahren der genannten Bilanzen.68
Die Durchführung dieser Methode ist äußerst komplex, auch aufgrund der Berücksichtigung
des Nutzens.69
3.1.10 Product Sustainability Assessment (PROSA)
Die vom Ökoinstitut entwickelte Produktlinienanalyse ist die Vorläufermethode von PROSA.
In Kooperation mit dem Chemiekonzern Hoechst, der eine unternehmensspezifische Methode
zum Nachhaltigkeitsmanagement von Produktportfolio und Produkten entwickeln wollte,
wurde PROSA entwickelt. Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF).
PROSA dient zur strategischen Analyse und Bewertung von Produktportfolios, Produkten
und Dienstleistungen. Besondere Schwerpunkte liegen im Vergleich zur Ökobilanz auf der
Analyse sozialer und ökonomischer Aspekte, sowie auf dem Einbezug von Nutzenaspekten
68 ÖKOINSTITUT. PROSA. Produktlinienanalyse
69 JÄGER ET AL. Instrumente zur Nachhaltigkeitsbewertung. Forschungszentrum Jülich. S.22
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 47
und Konsumforschung. Ziel ist eine klar strukturierte praxistaugliche integrierte Nachhaltig-
keitsbewertung nach dem Schema:
LCSA (Life Cycle Sustainability Assessment) =LCA (Life Cycle Assessment) +LCC (Life
Cycle Costing) + SLCA (Social Life Cycle Assessment).
Aufgrund der offenen Struktur von PROSA können damit auch Nachhaltigkeitsanalysen auf
anderen Ebenen durchgeführt werden, z.B. für Technologien, Infrastrukturprojekten oder ge-
ographischen Einheiten. Die Methode bezieht sich auf die komplette Produktlinie und analy-
siert und bewertet die ökologischen, ökonomischen und sozialen Chancen und Risiken zu-
künftiger Entwicklungen. Wie man in Abbildung 8 erkennen kann, wird auf etablierte Ein-
zelmethoden, wie die Ökobilanz, Lebenszykluskostenrechnung, etc. zurückgegriffen. Neu für
PROSA wurden die Methode der Benefit- Analyse und das Bewertungsmodell ProfitS (Pro-
duct- fit- to- Sustainability) entwickelt. Je nachdem, was die Zielsetzung ist und um was für
ein Produkt es sich handelt, können die Werkzeuge unterschiedlich gewichtet werden und
evtl. nicht relevant sein. Umgekehrt können nötige Methoden mit einbezogen werden, wie
z.B. Lärmgutachten, toxikologische Gutachten, etc.
Abbildung 8: Die Grundstruktur von PROSA
Quelle: ÖKO- INSTITUT. PROSA
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 48
Abbildung 8 schematisiert den Ablauf der Bewertungsmethode PROSA. Tabellarisch wird
der Ablauf in Tabelle 3 dargestellt.
Die Zielsetzung beinhaltet die Aufgabenstellung und eine Konkretisierung des Ziels. Je nach
ausgewähltem Produktfeld, welches mithilfe einer Produktportfolio- Analyse ausgewählt
wurde, folgt eine Bestandsaufnahme und Analyse der internen und externen Akteure und
desweiteren sollte geklärt werden, welche Stakeholder intern, jedoch meist extern involviert
sind.
Im nächsten Schritt, der Analyse des Marktes und des Umfelds, wird das ausgewählte Produkt
(Produktreihe, Dienstleistung, etc.), sowie das Umfeld, d.h. Stakeholder und weitere Bezugs-
punkte, z.B. Technologie, Region, Kultur, etc. beschrieben.
Beim Schritt der Ideenfindung werden Ideen, Visionen und Vorschläge zu Produkt- und/oder
Systementwicklungen gesammelt. Die zu bewertenden Nachhaltigkeitsaspekte sollen mithilfe
von festgelegten Indikatoren und Mindestkriterien definiert werden.
Im Rahmen der Nachhaltigkeitsanalyse, welche wohl den Gesamtablauf dominiert, werden
ökologische, ökonomische und soziale Aspekte mithilfe der Ökobilanz, Lebenszykluskosten-
rechnung und der Sozialbilanz analysiert. Desweiteren werden Konsummuster potentieller
Kunden durch Konsumforschung und der Nutzen des analysierten Produktes mithilfe der
Benefit- Analyse ermittelt.
Im letzten Schritt der Strategieplanung, bzw. -entwicklung findet aus den gewonnenen Er-
kenntnissen neben einer Ableitung von Entwicklungspfaden, Handlungs- und Produktoptio-
nen eine Bewertung der durchgeführten Bilanzen statt. Hierfür werde die Einzelbewertungs-
modelle EcoGrade, SocioGrade, BeneGrade, EcoEfficiency und das Gesamtbewertungsmo-
dell ProfitS herangezogen.
Folgende Vorteile kann eine Durchführung haben:
Identifizierung von Chancen und Risiken;
Identifizierung von Zukunftsmärkten und neuartiger Konsumentenbedürfnisse;
Berücksichtigung aktueller und zukünftiger gesellschaftlicher Rahmenbedingungen;
Vermeidung von Fehlinvestitionen;
Bewertungsmodelle und -kriterien
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Inspiration durch Ansichten und Werthaltungen verschiedener Akteure, Regionen und
Kulturen;
Tabelle 3: Zeitlicher Ablauf von PROSA und Aufgabenstellung der Phasen
Quelle: ÖKO- INSTITUT. PROSA
Phase Aufgabenstellung und Ergebnis
der Phase
Tools und Hilfsmittel
Zielsetzung Konkretisierung der Aufgabenstel-
lung und der Kapazitäten (perso-
nell und finanziell) sowie Termin-
vorgabe;
Durchführung einer internen und
externen Akteurs- Analyse und
Klärung des Einbezugs von inter-
nen und externen Akteuren (Unter-
nehmen, Stakeholder);
Akteurs- Analyse; Stakeholder-
Einbezug; Checkliste Akteurs-
Kooperation
Auswahl prioritärer Produktfelder; Produktportfolio- Analyse;
Markt- und Umfeld- Analyse Umfassende Beschreibung des
Produktes und seines Umfelds
(Gesellschaft, Markt, Technologie,
Land oder Region, etc.), ggf. Zu-
sammenfassung denkbarer Sys-
tementwicklungen in konsistenten
Szenarien;
Megatrend- Szenarien;
Ideenfindung Sammlung von Visionen, Ideen,
Produkt- oder Systemalternativen;
Priorisierung für die Analyse-
Phase;
Auswahl der zu bewertenden
Nachhaltigkeitsbezüge und Festle-
gung geeigneter Schlüssel- Indika-
toren; Festlegung von Mindestkri-
terien der Nachhaltigkeit;
Indikatoren- Listen; Entschei-
dungs- Matrix;
Nachhaltigkeitsanalyse Vertiefte Nachhaltigkeits- Analyse; Checkliste Integration;
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 50
Phase Aufgabenstellung und Ergebnis
der Phase
Tools und Hilfsmittel
Analyse ökologischer Aspekte
entlang der Produktlinie;
Ökobilanz (LCA);
Analyse ökonomischer Aspekte
entlang der Produktlinie;
Lebenszykluskosten- Analyse
(LCC);
Analyse sozialer und gesellschaft-
licher Einflussfaktoren entlang der
Produktlinie;
Sozialbilanz (SLCA);
Identifizierung von Konsumenten-
gruppen und ihrer Bedürfnis- und
Nutzenansprüche;
Konsumforschung, Benefit- Analy-
se;
Bei Bedarf, Analyse weiterer und
anderer Aspekte mit speziellen
Tools wie Sicherheitsanalysen,
toxikologische Analysen, Lärm-
analyse o.ä. („Joker“ als Platzhalter
für solche Tools);
Joker;
Strategieplanung Ableitung von Entwicklungspfaden
und konkreter strategischer Hand-
lungs- oder Produktoptionen und
anschließende Bewertung. Be-
standteil der Bewertung sind eine
Nutzen- Nachhaltigkeits- Abwä-
gung und die Prüfung, ob Mindest-
kriterien der Nachhaltigkeit einge-
halten werden.
Bewertungs- Modell ProfitS (Pro-
ducts- fit- to- Sustainability) und
Teilbewertungsmodelle für einzel-
ne Dimensionen:
EcoGrade,
EcoEfficiency,
SozioGrade,
BeneGrade;
3.1.10.1 EcoGrade
Die Besonderheit in der PROSA Methode liegt in den integrierten Bewertungsansätzen. Das
Umwelt- Bewertungs- Modell EcoGrade ist neben der Lebenszykluskostenrechnung, bzw.
Ökoeffizienz, SocioGrade und BeneGrade eines davon. Eine Ökobilanz muss vor EcoGrade
durchgeführt werden, da EcoGrade die Ökobilanz bewertet. Neben der Ökobilanz wird noch
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 51
eine Risikoprüfung durchgeführt, welche hauptsächlich auf Toxizitätspotentiale ausgerichtet
ist.
Die verschiedenen Umweltbelastungen werden auf Basis gesellschaftlich festgelegter quanti-
tativer Umweltziele gewichtet. Jede Umweltauswirkung wird gemäß ihres Beitrages zu natio-
nalen oder internationalen Umweltzielen in Umweltbelastungspunkte (UBP) umgerechnet (s.
Kap. 3.1.3. Methode der ökologischen Knappheit).
Abbildung 9: Bewertungsmodell Eco- Grade
Quelle: ÖKO- INSTITUT. PROSA
3.1.10.2 SocioGrade
Ziel des Bewertungsmodells SocioGrade ist es, mögliche Maßnahmen zur Lösung sozialer
Probleme herzuleiten. SocioGrade ist ein Excel- Tool. Innerhalb der vier genannten Gruppen
(siehe Kap. 3.1.5.), Arbeitnehmer, benachbarte Bevölkerung, Gesellschaft und Nutzer, können
Indikatoren gewählt werden, die relevant sind. Zu den jeweiligen Indikatoren sollen passende
Maßnahmen eingetragen werden. Die Indikatoren können je nach Bedeutung gewichtet wer-
den und mit einer numerischen Bewertung von 1 (sehr gut) bis 10 (sehr schlecht) bewertet
werden. Im Beispiel der Tabelle vier sind alle Indikatoren und Maßnahmen mit einer eins
gleich gewichtet.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 52
Tabelle 4: Auszug aus dem Bewertungsmodell SocioGrade
Quelle: ÖKO- INSTITUT. PROSA. Sozialbilanz und SocioGrade
Arbeitnehmer Kurztitel Kurz- Info, Seiten-
zahl Bericht
Maßnahmen Gewichtung Bewertung
Indikator 1 Vereinigungs- und
Gewerkschaftsfreiheit
Nein, S.5 Bildung einer Betriebs-
vertretung aktiv unter-
stützen
1 10
Indikator 2 Gleichbehandlung
und
Chancengleichheit
Frauen bei gleicher
Arbeit deutlich
unterbezahlt
Gleichbezahlung sicher-
stellen
1 9
Indikator 3 Sichere und gesunde
Arbeitsbedingungen
Pestizidvergiftungen
wie Durchschnitt
Branche, S. 15
Angemessene Schutz-
und Aufklärungsmaß-
nahmen
1 6
… … … … 1 …
Benachbarte
Bevölkerung
Kurztitel Kurz- Info,
Seitenzahl Bericht
Maßnahmen Gewichtung Bewertung
Indikator 1 Achtung der Men-
schenrechte
Keine Vorfälle, S.16 entfällt 1 1
Indikator 2 … … … 1 …
Gesamtbewertung numerisch …
Gewichtung kann geändert werden. Bewertung mit 1=sehr gut bis 10=schlecht
Datum Bewertung durch Strategieteam Unternehmen
3.1.10.3 BeneGrade
Mit der Benefit- Analyse wird der jeweilige Nutzen von Produkten und/oder Dienstleistungen
ermittelt und bewertet. Die Nutzer sind meistens die privaten Haushalte, gewerbliche Nutzer,
öffentliche Verwaltung oder andere Institutionen. Mit PROSA wird der Nutzen intensiv ana-
lysiert, da er letztlich über Kauf- und Gebrauchsentscheidungen der Konsumenten entscheidet
und weil eine Bewertung bei höheren sozialen oder ökologischen Risiken auch bei der Ge-
setzgebung produktpolitisch begründet und verantwortet werden muss.
Mit der Benefit- Analyse werden je nach Fragestellung der Gebrauchsnutzen, der symbolische
Nutzen und der gesellschaftliche Nutzen analysiert. Im Untersuchungsrahmen muss berück-
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 53
sichtigt werden, dass die Ergebnisse in unterschiedlichen Ländern und Zielgruppen demnach
unterschiedlich ausfallen werden. Drei Checklisten für die genannten Nutzenkategorien wer-
den auch für das passende Bewertungsinstrument BeneGrade verwendet, die in der Tabelle
hinter jeden Nutzen- Typ aufgeführt wird. Für den Gebrauchsnutzen gibt es unterschiedliche
Begriffe- unter anderem funktioneller Nutzen, Hauptnutzen, technischer Nutzen. Ein Beispiel
für diesen Nutzen, der meist messbar ist (Leistung, Haltbarkeit, etc.), ist das hygienische und
optische Waschergebnis beim Händewaschen.
Tabelle 5: Nutzen- Typen und Nutzer der Ergebnisse
Quelle: ÖKO- INSTITUT. PROSA. Benefit- Analyse und BeneGrade
Nutzen- Typ und Checkliste Die Nutzer der Analyse und ihre Gründe
Gebrauchsnutzen: Leistung; Zusatzleistung; Bedarfs-
gerecht; Haltbarkeit; Zuverlässigkeit in der Funktion;
Sicherheit/ Versorgungssicherheit; Ser-
vice/Reparierbarkeit/Ersatzteile; Convenience/ Zeit;
Gute Verbraucherinformationen; Verfügbarkeit;
Unternehmen: Portfolio- Strategie; Chancen- Analyse;
Optimierung der Produktentwicklung und Vermark-
tung;
Test- und Konsumenten- Organisationen: Grundlage
für Kauf- Empfehlungen;
Nutzer: Grundlage für Kauf- und Nutzungsverhalten;
Produktpolitik: Grundlage für Risiko- Nutzen- Bewer-
tung bei Gesetzen und Förderprogrammen;
Symbolischer Nutzen: Äußere Erscheinung/ Design/
Geschmack/ etc.; Prestige/ Status; Identität; Kompe-
tenz, Sicherheit/ Vorsorge; Privatheit; Sozialer Kon-
takt/ Gemeinschaftspflege; Genuss/Vergnügen; Kon-
sonanz mit gesellschaftlichen, religiösen oder ethi-
schen Präferenzen;
Unternehmen: Optimierung der Produktvermarktung;
Gesellschaftlicher Nutzen („Public Value“): Armuts-
bekämpfung; Grundbedürfnis Ernährung; Wohnen
und Gesundheit; Information und Bildung; Friedenssi-
cherung; Klimaschutz; Biodiversität; Qualifizierte
Arbeitsplätze; Gesellschaftliche Stabilität;
Unternehmen: Portfolio- Strategie; Chancen- Analyse;
Optimierung der Produktvermarktung;
Nutzer: Ethische Grundlage für Kauf;
Produktpolitik: Grundlage für Risiko- Nutzen- Bewer-
tung bei Gesetzen und Förderprogrammen;
Bewertungsmodelle und -kriterien
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Der symbolische Nutzen, auch psychologischer Nutzen genannt, wird über das Produkt und
dessen Vermarktung transportiert und wirkt sich unbewusst auf das Empfinden (Gefühle,
Stimmungen), der Konsumenten aus. In Wohlstandsgesellschaften, in denen eine hohe Pro-
duktqualität besteht, der Gebrauchsnutzen also meistens hoch ist, überwiegt der symbolische
Nutzen teilweise über dem Gebrauchsnutzen, wie z.B. das Bevorzugen einer bestimmten
Marke.
Der gesellschaftliche Nutzen birgt hohe Nachhaltigkeitschancen, d.h. er kann dazu beitragen,
durch nachhaltige Produkte, nationale und internationale Ziele, wie die Armutsbekämpfung,
der Klimaschutz, der Erhalt der Biodiversität, zu erreichen. Ein Fair Trade- Produkt ist ein
Beispiel, bei dem der gesellschaftliche Nutzen hoch ist.
Der aus der Bewertung gezogene Nutzen wird bei der Gesamtbewertung mit ProfitS den Er-
gebnissen LCA, LCC und SLCA, gegenüber gestellt.
Die Analyse des Nutzens eines Produktes ist eine der Besonderheiten von PROSA. Interes-
sant wäre zu wissen, wie eine Bewertung des Nutzens von statten geht und was die Folgen
wären, wenn der gesellschaftliche Nutzen nicht vorhanden ist, bzw. durch einen Prozess eher
ein gesellschaftlicher Schaden entsteht. Über gewisse Produkte ließe sich sicherlich streiten.
An dieser Stelle kann, in Bezug zu der Aussage des Brundtland- Berichts aus Kapitel 2.1.
„(…) the idea of limitations imposed by the state of technology and social organisations on
the environments ability to meet present and future needs”, kritisch hinterfragt werden, ob der
Staat die Herstellung und Vermarktung von Produkten nicht verstärkt regulieren sollte.70
3.1.10.4 ProfitS (Product- fit- to- Sustainability)
Das integrierte Bewertungsmodell ProfitS schließt eine Bewertung der Nutzen-, sozialen-,
Kosten- und der ökologischen Aspekte ein. Falls nur ökologische und ökonomische Belange
bewertet werden sollen, wird das Ökoeffizienz- Kerntool angeboten (siehe BASF).
Ziel der ganzheitlichen Bewertung mit ProfitS ist die Vorbereitung von strategischen Ent-
scheidungen und die Ermittlung von Nachhaltigkeits- Chancen und Optimierungen.
70 ÖKO- INSTITUT. PROSA. Benefit- Analyse und BeneGrade
Bewertungsmodelle und -kriterien
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Das Ergebnis der einzelnen Bewertungen kann graphisch zur besseren Veranschaulichung in
einem Spinnen- oder in einem Balkendiagramm dargestellt werden. Das ist besonders sinn-
voll, wenn es sich, wie in den Abbildungen 11 und 12 um Alternativen handelt. Das Ergebnis
kann qualitativ- argumentativ oder quantitativ dargestellt werden.71
Abbildung 10: Integrierendes Bewertungsmodell ProfitS
Quelle: ÖKO- INSTITUT. PROSA. ProfitS
71 ÖKO- INSTITUT. PROSA. Benefit- Analyse und BeneGrade
Bewertungsmodelle und -kriterien
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Abbildung 11: Spinnen- Diagramm von ProfitS
Quelle: ÖKO- INSTITUT. PROSA. ProfitS
Abbildung 12: Balken- Diagramm von ProfitS
Quelle: ÖKO- INSTITUT. PROSA. ProfitS
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 57
Im Folgenden werden zwei Zertifikate FSC und MSC, bzw. Organisationen vorgestellt, wel-
che in den Rohstoffbrachen der Holz- und Fischindustrie tätig sind. Sie werden an dieser Stel-
le erläutert, da diese Zertifizierungen Produkte als nachhaltig verifizieren.
Holz und Fisch sind erneuerbare Ressourcen, d.h. hier ist eine nachhaltige Bewirtschaftung
möglich, auch in Anbetracht des hohen wirtschaftlichen Nutzens nötig, um die Bestände lang-
fristig qualitativ und quantitativ aufrechtzuerhalten. Bei der Entnahme der beiden Ressourcen
handelt es sich immer um direkte Eingriffe in Ökosysteme (im Vgl. zur Förderung von nicht-
erneuerbaren Ressourcen, welche meistens unter der Erdoberfläche mit, je nach Abbaumetho-
de, weniger großen Beeinträchtigungen der terrestrischen oder marinen Systeme72
).
In Anbetracht der immensen Rodungen, insbesondere der tropischen Wälder, und der damit
einhergehenden Gegebenheiten (Raubbau, Korruption, Umweltzerstörung, profitorientierte
Holzkonzerne, etc.) wird eine transparente nachhaltige Wirtschaftsweise von Seiten der Kon-
sumenten verstärkt verlangt.
Wie schon in der Einleitung erwähnt, gibt es unzählige Produkte, mit Plaketten und Siegeln
versehen, anhand derer Unternehmen versuchen ihre gesellschaftliche Betriebserlaubnis zu
erlangen. Um es noch einmal zu verdeutlichen, stellt sich bei genauerer Betrachtung jedoch
heraus, dass etwa 80% der über 1000 gebräuchlichen Siegel falsche oder übertriebene Hoff-
nungen wecken. Meistens sind diese Siegel von den Unternehmen selbst ausgestellt, nicht von
unabhängigen Organisationen. 73
3.1.11 Forest Stewardship Council (FSC)
Das Forest Stewardship Council ist eine internationale Organisation mit Hauptsitz in Deutsch-
land, die durch den Anreiz des Zertifikates als Marketinginstrument eine nachhaltige Wald-
72 Beim Abbau nicht- erneuerbarer Ressourcen, wie Öl, Gas und Kohle, handelt es sich zwar meist nicht um
erdoberflächig vorhandene Rohstoffe, trotzdem sind die Folgen der Entnahme, in Anbetracht der Ölkata-
strophen in den Meeren oder der Ölsandabbau in Alberta, Kanada, oft verheerend für Ökosysteme und Be-
völkerung.
73 GERD BILLEN. Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen in GEO 12/2008, Kluger Konsum, Was
wirklich zählt, S. 177
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 58
bewirtschaftung fördert. Nachhaltigkeit heißt im Sinne des FSC eine umweltverträgliche, so-
zialgerechte und ökonomisch sinnvolle Bewirtschaftung anzustreben. So wie der überlieferte
Ursprung der Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft liegt, ist auch für den FSC das langfristige
Ziel, das Ökosystem Wald in seiner Vielfalt zu sichern und zur gleichen Zeit dauerhaft Holz
nutzen zu können.
Unabhängige Zertifizierungsorganisationen bewerten bzw. überprüfen die Erfüllung der Kri-
terien und vergeben demnach das Gütesiegel FSC an die jeweiligen Forstbetriebe. Die Begut-
achtung durch unabhängige Organisationen ist von großer Bedeutung, da es sich um eine un-
abhängige Bewertung ohne eigene Interessen handelt. Die Zertifizierungsbetriebe wiederrum
werden extern auch regelmäßig überprüft.
Die komplette Lieferantenkette, von der Bewirtschaftung des Waldes bis hin zur Produktfer-
tigstellung für den Abnehmer, unterliegt der Zertifizierung, sodass der Konsument sicher sein
kann, ein geprüftes Produkt nach bestimmten Standards und Kriterien zu kaufen.
Den Bewertungsrahmen der Zertifizierung bilden die zehn Prinzipien, welche wiederrum in
zahlreiche, insgesamt 56 Kriterien unterteilt sind. Diese Prinzipien werden in jedem Land an
die nationalen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst. Insge-
samt handelt es sich um ein international einheitliches Prüfsystem. Mithilfe von Indikatoren
wird überprüft ob die Kriterien eingehalten werden, d.h. die eigentliche Bewertung richtet
sich nach der Erfüllung der Indikatoren. Jeder Indikator ist in weitere untergeordnete detail-
lierte Indikatoren untergliedert. Die nachstehende Auflistung der Prinzipien zeigt anhand je
eines Beispiels für soziale, ökologische und ökonomische Belange die Hierarchie von Prinzip-
Kriterium- Indikator- Subindikator.74
Folgende Prinzipien sind zu beachten bzw. zu befolgen:75
Prinzip 1: Einhaltung der Gesetze und der FSC Prinzipien;
Prinzip 2: Besitzansprüche, Landnutzungsrechte und Verantwortlichkeiten;
Prinzip 3: Rechte indigener Völker;
Prinzip 4: Beziehungen zur lokalen Bevölkerung und Arbeitnehmerrechte;
74 FSC (2012). FSC im Markt.
75 FSC (2010). Deutscher FSC- Standard. S.7ff.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 59
o Kriterium 4.1: Der lokalen Bevölkerung sollten Arbeitsmöglichkeiten, Schu-
lungen und andere Dienstleistungen angeboten werden;
Indikator 4.1.1.: Der Waldbesitzer berücksichtigt das Angebot lokaler
Arbeitskräfte und Unternehmer bei der Vergabe von Aufträgen;
Detaillierter Indikator (D.I.): Lokale Unternehmer sind bekannt
und werden kontaktiert;
D.I.: Ausschreibungsbedingungen benachteiligen lokale Unter-
nehmer nicht;
Indikator 4.1.2.: Die Beschäftigten können regelmäßig Aus- und
Weiterbildungsmaßnahmen wahrnehmen; Die Arbeitgeber unterstützen
sie dabei;
D.I.: Der Arbeitgeber bietet Informationen zu, und Teilnahme-
möglichkeiten an Aus- und Weiterbildungsprogrammen, ein-
schließlich Sicherheitstrainings, für alle Beschäftigten an;
D.I.: Die Beschäftigten empfinden Informationen und Teilnah-
memöglichkeiten als ausreichend;
Indikator 4.1.3.: Der Wald kann von der lokalen Bevölkerung zu Erho-
lungszwecken betreten werden;
Indikator 4.1.4.: Der Wald kann von lokalen Schulen und Bildungsein-
richtungen zum Zweck der Weiterbildung genutzt werden;
Indikator 4.1.5.: Der Forstbetrieb bietet Ausbildungs- und Praktikums-
plätze für lokale Bewerber im Rahmen seiner Möglichkeiten an;
o Kriterium 4.2.: Der Forstbetrieb hält die einschlägigen gesetzlichen Bestim-
mungen und/ oder Verordnungen bzgl. Gesundheit und Sicherheit aller Be-
schäftigten ein oder übertrifft sie;
o …
Prinzip 5: Nutzen aus dem Walde;
Prinzip 6: Auswirkungen auf die Umwelt;
o Kriterium 6.1.: In Abhängigkeit von Intensität und Umfang der Waldbewirt-
schaftung und der Einmaligkeit der betroffenen Naturgüter werden die Um-
weltauswirkungen bei der Waldbewirtschaftung vor ihrer Durchführung beur-
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 60
teilt. Je nach Ergebnis der Beurteilung werden die Maßnahmen ggf. angepasst.
Dabei sind auch Belange des Landschaftsschutzes sowie der lokalen Verarbei-
tung mit einzubeziehen;
Indikator 6.1.1.: Dem Forstbetrieb sind die allgemeinen und wissen-
schaftlich erfassten Auswirkungen forstlichen Handelns auf das Öko-
system bekannt. Besondere Berücksichtigung finden hierbei die Inven-
turergebnisse (In Prinzip 7 werden Inventuren des Waldes verlangt).
D.I.: Der Forstbetrieb kann seine Kenntnisse der Auswirkungen
darlegen;
Indikator 6.1.2.: Stehen alternative, umweltschonende Verfahren zur
Wahl, werden diese gewählt solange dies betriebswirtschaftlich tragbar
ist;
…
o Kriterium 6.2.: Schutzgebiete sind etabliert um seltene, gefährdete und vom
Aussterben bedrohte Arten und deren Lebensräume zu schützen. Ausgewiese-
ne Naturschutzgebiete und Schutzzonen sind der Größe und Intensität der
Waldbewirtschaftung und der Einmaligkeit der betroffenen Naturgüter nach
entsprechend eingerichtet. Überjagung und Überfischung, sowie Sammeln und
Fallen stellen, werden verhindert;
o Kriterium 6.3.: Die ökologischen Funktionen und Werte des Waldes werden
erhalten, verbessert oder wiederhergestellt;
Prinzip 7: Bewirtschaftungsplan;
o Kriterium 7.1.: Der Bewirtschaftungsplan und die zugehörigen Dokumente
enthalten Angaben hinsichtlich,
o A)Betriebsziele;
o B)Beschreibung der bewirtschafteten Wälder, des Eigentumsstatus und der
Nutzungsrechte, der beschränkenden Umweltfaktoren, der sozioökonomischen
Bedingungen und der angrenzenden Flächen;
o C)…
Indikator 7.1.1. Klare, erreichbare und messbare Bewirtschaftungsziele
und Maßnahmen für die mittel- und langfristige Planung werden gemäß
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 61
den ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten dieser Richtli-
nie hergeleitet;
…
Prinzip 8: Kontrolle und Bewertung;
Prinzip 9: Erhaltung von Wäldern mit hohem Schutzwert;
Prinzip 10: Plantagen;
Zertifizierungssysteme für nachhaltiges Bauen, wie sie in Kapitel 3.2.5. erläutert werden,
können in Zusammenhang zum diesem Kapitel unter anderem eine Triebkraft für die Verbrei-
tung von FSC- zertifizierten Produkten sein. Neben dem FSC- Siegel gibt es weitere Siegel,
wie z.B. das Naturland- Siegel, welches eine ökologische Waldnutzung und Umweltverträg-
lichkeit bei der Verarbeitung innerhalb Deutschlands garantiert. Neben viel positiver Aner-
kennung bzgl. des Zertifikates FSC, steht die Organisation jedoch wie auch das im folgenden
Kapitel erläuterte Zertifikat MSC in der Kritik von einigen Umweltverbänden. Es wird vor-
geworfen, dass die Anpassung an nationale Gegebenheiten der verschiedenen Ländern, nicht
nachhaltige Zustände hervorruft, im Falle des FSC z.B. Kahlschlag. Zudem bestehen teilweise
Ungewissheiten an zweifelhaften Zertifikaten und mangelhafter Kontrolle der Zertifizierungs-
firmen.76
3.1.12 Marine Stewardship Council (MSC)
Die Nachfrage nach Meeresfrüchten und Fisch führt bei wachsender Weltbevölkerung und
steigendem Wohlstand zu einer Steigerung bei sinkendem Angebot. Neben den schon seit
Jahrzehnten in großen Mengen konsumierenden Industrieländern, steigt die Nachfrage vor
allem in den Schwellenländern. So hat sich in China der Konsum von Meeresprodukten in
den letzten zehn Jahren verdoppelt.
Besonders bedroht sind Fischbestände in Gewässern, die sich durch mehrere Staaten ziehen,
welche sich oftmals nicht einig werden über Fangquoten und -rechte.
76 PRO-REGENWALD (2008), GREENPEACE (2003)
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 62
Aus den gleichen Gründen wie bei der Gründung des FSC haben sich Großkonzerne, allen
voran Unilever77
, dazu entschlossen ihre Wirtschaftsweise aufgrund der Verknappung zu än-
dern. 1997 gründeten Unilever und der World Wildlife Fund (WWF) die Organisation „Mari-
ne Stewardship Council“ (MSC). Auch hier besteht der wesentliche Unterschied zu den zahl-
reichen Siegeln, dass MSC Produkte durch unabhängige Zertifizierungsunternehmen zertifi-
ziert und geprüft werden und nicht durch selbst ernannte unternehmensinterne Zertifizierer.78
Die festgelegten Kriterien streben eine nachhaltige Fischerei an und wurden in Gesprächen
mit Fischern, Fischverarbeitenden, Einzelhändlern, Umweltgruppen, etc. erarbeitet. Die Krite-
rien richten sich unter anderem nach einer langfristigen Gesundheit der Bestände (einschließ-
lich ihrer Geschlechts- und Altersverteilung sowie ihrer genetischen Vielfalt), der Unver-
sehrtheit der Ökosysteme und nach möglichst geringen Auswirkungen auf Lebensräume und
unerwünschte Arten (Beifang). Die MSC- Zertifizierung erfolgt nach einem Punktesystem.79
3.2 Projekte
3.2.1 Wirtschaftlichkeitsuntersuchung
Für eine Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Projekten, sind nach §7 der Bundeshaushalts-
ordnung (BHO) und §6 des Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) Wirtschaftlichkeitsuntersu-
chungen durchzuführen. Diese Untersuchungen sollen von den öffentlichen Einrichtungen vor
dem Tätigen einer Ausgabe durchgeführt werden.
So heißt es in §6 HGrG „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Kosten- und Leistungsrech-
nung“:
„(1)Bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sind die Grundsätze der Wirt-
schaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten.
77 Der Unilever Konzern gehört weltweit zu den größten Abnehmern von Gefrierfisch. Unilever- Produkte sind
in Deutschland unter dem Markennamen „Iglo“ bekannt.
78 MSC. Fragen
79 MSC. Zertifizierung
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 63
(2) Für alle finanzwirksamen Maßnahmen sind angemessene Wirtschaftlichkeitsunter-
suchungen durchzuführen.
(3) In geeigneten Bereichen soll eine Kosten- und Leistungsrechnung eingeführt wer-
den.“
Zusätzlich dazu verlangen die Gemeindehaushaltsverordnungen der verschiedenen Länder
eine dementsprechende Umsetzung. So heißt es z.B. in der Gemeindehaushaltsverordnung
von Hessen (GemHVO 2006) in §12 (1):
„(1) Bevor Investitionen von erheblicher finanzieller Bedeutung beschlossen werden,
soll unter mehreren in Betracht kommenden Möglichkeiten für einen Wirtschaftsver-
gleich, mindestens durch einen Vergleich der Anschaffungs- oder Herstellungskosten
und der Folgekosten, die für die Gemeinde wirtschaftlichste Lösung ermittelt werden.“
Zusätzlich dazu heißt es in §14 „Kosten- und Leistungsrechnung“ der hessischen GemHVO:
„Zur Unterstützung der Verwaltungssteuerung und für die Beurteilung der Wirtschaft-
lichkeit und Leistungsfähigkeit bei der Aufgabenerfüllung ist eine Kosten- und Leis-
tungsrechnung zu führen. Deren Ausgestaltung bestimmt die Gemeinde nach ihren ört-
lichen Bedürfnissen.“
Überwiegend sind staatliche Einrichtungen Anwender der folgenden Analysen, da diese im
Vergleich zur privaten Wirtschaft genannte Gesetze befolgen müssen, um für die gesellschaft-
liche Wohlfahrt die bestmöglichste Lösung zu finden und daher auf folgende Instrumente,
insbesondere das der Nutzen- Kosten- Analyse, zurückgreifen müssen.
Bezüglich Nachhaltigkeit ist an dieser Stelle zu sagen, dass bei einer Bewertung der Wirt-
schaftlichkeit mit dem Ziel die bestmöglichste Lösung für die Gesellschaft zu erörtern, in ge-
wisser Weise soziale Aspekte automatisch mitberücksichtigt werden, da die Bürger als Steu-
erzahler von der Wirtschaftlichkeit der Projekte indirekt betroffen sind, d.h. es werden neben
den ökonomischen Aspekten indirekt auch soziale Aspekte berücksichtigt.
3.2.2 Nutzen- Kosten- Analyse
Eine wie in den Gesetzen BHO und HGrG geforderte Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ist die
Nutzen- Kosten- Analyse (NKA). Die NKA ist ein monetäres Bewertungsverfahren für Pro-
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 64
jekte, welches die Kosten eines Projektes dem volkswirtschaftlichen Nutzen, welcher aus der
Durchführung des Projektes resultiert und ebenfalls monetär abgebildet wird, gegenüberstellt.
Es soll herausgefunden werden, ob das Ergebnis (der Nutzen) einer Aktion den Aufwand (die
Kosten (Investitions-, laufende- und Reinvestitionskosten)) rechtfertigt.80
Staatliche Entscheidungsträger sind primäre Anwender dieses Bewertungsinstruments, da nur
deren Verantwortungsbereich -im Gegensatz zur Privatwirtschaft- sie auffordert, gesamtge-
sellschaftliche Belange bei der Entscheidung über ein Investitionsobjekt in den Blick zu neh-
men. Als Entwicklungsmotiv stehen immer Effizienzüberlegungen im Vordergrund. Die Effi-
zienzüberlegungen, die mit ausschließlich monetären Werten dargestellt sind, sind nicht aus-
schließlich auf das abgeschossene Projekt an sich bezogen, sondern auch auf die Planung und
Ausführung. Angestrebt wird ein möglichst großes Kosten- Nutzen- Verhältnis von mindes-
tens >1, d.h. möglichst geringe Kosten bei möglichst großem Nutzen. Da der volkswirtschaft-
liche Nutzen berechnet wird, werden soziale Aspekte und auch Umweltaspekte in die Unter-
suchung mit ein bezogen, was bedeutet, dass die Nutzen- Kosten- Analyse, auch wenn wirt-
schaftliche, soziale (volkswirtschaftliche) und ökologische Aspekte nicht gleichwertig mit
einbezogen werden, einen Nachhaltigkeitsansatz beinhaltet.
Ein weiteres Ziel ist es, eine transparente Entscheidungsgrundlage darüber anzubieten, ob es
aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist, ein bestimmtes öffentliches Projekt zu realisieren
und welche der untersuchten Alternativen am vorteilhaftesten ist. Das Kosten- Nutzen- Ver-
hältnis eignet sich sehr gut in der Gegenüberstellung mit anderen Ergebnissen, unter anderem
auch im Vergleich zur Nullvariante.
Als Beispiel für den Einsatz von Kosten- Nutzen- Analysen ist die Verkehrswegeplanung zu
nennen.81
Im Rahmen eines großen Verkehrsprojektes im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) werden
drei Bewertungsansätze verfolgt (s.Abb.13). Erstens wird der volkswirtschaftliche Nutzen mit
Hilfe einer Nutzen- Kosten- Analyse berechnet. Hier sollte jedoch das Kosten- Nutzen- Ver-
hältnis bei einem Projekt des vordringlichen Bedarfs >3 sein. Zweitens wird die Raumverträg-
80 H. HANUSCH (1994). Nutzen- Kosten- Analyse. S.1ff.
81 U. BOESCHEN (2011). Vorlesungsskript Verkehrswegeplanung
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 65
lichkeit mit Hilfe eines Raumordnungsverfahrens parallel zur Linienbestimmung geprüft und
drittens werden die Vorhaben umwelt- und naturschutzfachlich untersucht, sowie die ökologi-
schen Risiken mit einer Umweltrisikoanalyse und einer Umweltverträglichkeitsprüfung im
Rahmen der Planfeststellung ermittelt. Wenn eine Plangenehmigung ausreicht, wird auf eine
Planfeststellung und somit auch auf eine UVP verzichtet. Dann werden die Umweltbelange
zwar trotzdem ermittelt, jedoch nicht in dem Maße einer UVP. Die Nutzen- Kosten- Analyse
ist von den drei Ansätzen der ausschlaggebende, d.h. die ökologischen, ökonomischen und
sozialen Belange werden nicht gleichwertig berücksichtigt. CO2- Emissionen werden zwar in
der Nutzen- Kosten- Analyse monetarisiert, jedoch haben diese keinen ausschlaggebenden
Stellenwert in der Gesamtprojektbewertung im Vergleich zu wirtschaftlichen Aspekten. Zu-
dem wird weder in der Umweltrisikoanalyse noch in der Nutzen- Kosten- Analyse eine aus-
reichende, verkehrsträgerübergreifende Alternativenprüfung durchgeführt. 82
Folgende Umweltaspekte werden in der Nutzen- Kosten- Analyse im BVWP berechnet: 83
Geräuschbelastungen: Die Wirkungen der innerörtlichen Geräuschbelastungen werden
berücksichtigt, wenn im Vergleichsfall nachts 37 dB(A) überschritten werden und die
Differenz der Lärmbelastung zwischen Vergleich- und Planfall > 2dB(A) ist. Die au-
ßerörtliche Geräuschbelastung wird in 100m Entfernung berechnet. Wenn die Diffe-
renz der Lärmbelastung zwischen Vergleichs- und Planfall > 2dB(A) ist, muss sie in
die Berechnung mit einfließen. Innerorts werden Lärm- Einwohner- Gleichwerte
(LEG) (in Abhängigkeit von der Höhe der vorliegenden Zielpegelüberschreitungen
sowie der Zahl und dem Grad der Beeinträchtigung betroffener Einwohner) zu Hilfe
genommen und mit 54,71 Euro je LEG monetarisiert. Außerorts werden die Gebiete in
Schutz-/Erholungsgebiete mit max. 59dB(A) und in sonstige Gebiete mit max. 64
dB(A) gegliedert. Bei Zielüberschreitungen wird eine Bewertung anhand eines Ver-
meidungskostenansatzes durchgeführt;
Abgasbelastungen:
82 SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012. S.253
83 U. BÖSCHEN. (2011). Vorlesungsskript Verkehrswegeplanung
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 66
Die Bewertung der Luftschadstoffe erfolgt mittels Vermeidungskostenansatz. So wird z.B.
eine Tonne CO2 mit 205 Euro und eine Tonne NOx- Äquivalente mit 365 Euro versehen.
Krebserregende Luftschadstoffe werden mit Hilfe des „Unit Risk“, dem Risiko bei einer le-
benslangen konstanten Exposition gegenüber einer Menge von 1 µg Schadstoff/m³ Atemluft
an Krebs zu erkranken, berechnet. Der Schadenskostenansatz wird analog zu den Todesfällen
infolge Atemwegserkrankungen mit 0,79 Mio. Euro je Schadensfall angesetzt.
Das heißt, das Ergebnis der Nutzen- Kosten- Analyse ist nicht das alleinige Entscheidungskri-
terium bei großen Infrastrukturprojekten, sondern neben einer ausführlichen Raumverträg-
lichkeitsprüfung und einer Umweltverträglichkeitsprüfung ein Kriterium, welches jedoch
meistens prioritär gehandhabt wird. Die NKA ist im Gegensatz zu den beiden anderen Bewer-
tungsverfahren monetär ausgedrückt Da in der Verkehrswegeplanung ohnehin schon eine
breite Lücke zwischen dem prognostizierten steigenden Güterverkehr und den nationalen
Klimaschutzzielen besteht84
, wird diese sicherlich auch nicht kleiner, wenn wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Aspekten in der Projektbewertung meist im Vergleich zu den ökologi-
schen Aspekten eine größere Bedeutung zukommt.
Abbildung 13: Bewertungsmethoden in der Verkehrswegeplanung
Quelle: DR. LOHSE. TU Dresden (2009). Bewertungsmethoden von Verkehrssystemen und –anlagen. S.34
84 U. BÖSCHEN (2011). Vorlesungsskript Verkehrsprognose
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 67
Oftmals wird die NKA auch als Rechtfertigung und politisches Mittel zur Durchführung eines
Projektes herangezogen.85
Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Nutzen- Kosten- Analysen ist die Gegenüberstel-
lung des Nutzen und der Kosten von Aufwendungen, bzw. Anpassungsmaßnahmen im Rah-
men des Klimawandels. Es wird immer wieder auf horrende ökonomische Belastungen auf-
grund von Naturkatastrophen hingewiesen. Folgende Tabelle gibt einen kleinen Überblick
über finanzielle Auswirkungen von Naturkatastrophen:
Tabelle 6: Umweltökonomische Schäden in Milliarden Dollar
Quelle: MÜNCHNER RÜCK (2012). TopicsGeo. Beben, Flut, Atomunfall. S.34
Sturm Katrina August ´05 125
Sturm Iwan (Karibik, USA) September ´04 23
Sturm Ike September ´08 38
Überflutungen (z.B. Oderhochwas-
ser) und Stürme in Europa
August ´02 21,5
Dürre und Hitzewelle Juli ´03 13,8
Durch Anpassungs- und/oder Vermeidungsmaßnahmen kann ein Betrag zur Schadensreduzie-
rung von Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel verursacht oder verstärkt werden,
ermittelt werden, also ein geschätzter monetärer Nutzen von eingespartem Geld durch weni-
ger und verminderter Schäden. Dagegengestellt wird ein Betrag, der für die Aufwendungen
der Maßnahmendurchführung aufgebracht werden muss. Ist dieser Betrag kleiner als der des
Nutzen, handelt es sich um ein positives Nutzen- Kosten- Verhältnis, also größer als eins
(>1).
Das Nutzen- Kosten- Verhältnis errechnet sich wie folgt:
Nutzen- Kosten- Verhältnis (NKV) =Summe der Barwerte der Nutzenelemente (Nb)/Summe
der Barwerte der Investitionskosten (Kb);
85 LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER (LAWA) (1981). Grundzüge der Nutzen- Kosten- Untersuchungen.
S.27
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 68
3.2.3 Kostenwirksamkeitsanalyse (Kosten- Nutzwert- Analyse)
Kostenwirksamkeitsanalysen (KWA) können durchgeführt werden, wenn zur Lösung einer
fest umrissenen Aufgabe innerhalb vorgegebener Beschränkungen mehrere Maßnahmen, Pro-
jekte oder Systeme zur Auswahl stehen. Die beste Lösung, also jenes Projekt, das die Anfor-
derungen des Entscheidungsträgers am besten erfüllt, soll durch die Durchführung einer
KWA gefunden werden. Der Begriff Wirksamkeit ist dabei nicht mit dem Begriff Nutzen der
Nutzen- Kosten- Analyse gleichzusetzen.
Im Gegenteil zur Nutzen- Kosten- Analyse werden bei der KWA nur die Kosten
monetarisiert, nicht jedoch die Wirksamkeit. Diese erfolgt auf verbal- argumentativ Weise.
Diese unterschiedlichen Berechnungen lassen eine direkte Gegenüberstellung und Abwägung
von Vor- und Nachteilen, so wie es bei der Nutzen- Kosten- Analyse der Fall ist, nicht zu.
Dafür können im verbalen Ausdruck Dinge kommuniziert werden, die schwierig in Zahlen zu
fassen sind.
Unter dem Begriff der Kostenwirksamkeitsanalyse werden einige sich sehr ähnelnde Verfah-
ren zusammengefasst. Darunter auch die Kosten- Nutzwert- Analyse, welche die höchstwerti-
ge Form einer Kostenwirksamkeitsanalyse darstellt. 86
Das Ziel der KWA ist es eine Entscheidungsgrundlage zu liefern, welche, der zum Vergleich
herangezogenen Alternativen, realisiert werden soll. Durch die KWA lässt sich die relative
Effizienz von Maßnahmen oder Maßnahmenbündel vergleichen. Eine absolute Effizienz, wie
die der NKA ist jedoch nicht möglich. Jedoch hat, wie erwähnt, eine verbale Argumentation
den Vorteil schlecht zu monetarisierende Nutzen darzustellen. Die nicht- monetäre Bewer-
tungsmethode der Kostenwirksamkeitsanalyse kann als Ergänzung zur monetären Bewer-
tungsmethode angesehen werden.
Neben den aufgeführten Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen gibt es noch zahlreiche weitere.
Des Öfteren werden zur Projektbewertung bzgl. der Wirtschaftlichkeit Kostenvergleichsrech-
nungen durchgeführt, welche von einem gleichen Nutzen ausgehen und nur die Kosten ver-
86 LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER (LAWA) (1981). Grundzüge der Nutzen- Kosten- Untersuchungen.
S.21
Bewertungsmodelle und -kriterien
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schiedener Alternativen vergleicht. Nutzen- Kosten- Analysen sind dagegen höherwertige
Verfahren, welche, meist nur dann eingesetzt werden, wenn sie verlangt werden.87
3.2.4 Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)
Unter den Begriff der Umweltprüfung fallen folgende zwei Instrumente:
Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP);
Die strategische Umweltprüfung (SUP), auf welche im Kapitel 3.3.“Pläne und Pro-
gramme“ näher eingegangen wird;
Umweltprüfungen sind durch das 1990 in Kraft getretene Umweltverträglichkeitsprüfungsge-
setz (UVPG), gesetzlich verankert. Zusätzlich dazu wurde im Jahr 1995 eine Verwaltungsvor-
schrift, die UVPVwV, ins Leben gerufen. Eine UVP ist bei Projekten ab einer gewissen Grö-
ße nach Anhang 1 UVPG, durchzuführen. Die Prüfung findet oft im Rahmen eines Plan-
feststellungsverfahrens statt.
Zweck der UVP ist es, nach §1 UVPG sicherzustellen, dass bei bestimmten öffentlichen und
privaten Vorhaben, sowie bei bestimmten Plänen und Programmen zur wirksamen Umwelt-
vorsorge nach einheitlichen Grundsätzen gegriffen wird.
Die Auswirkungen auf die Umwelt im Rahmen von Umweltprüfungen (UVP und SUP) sollen
frühzeitig und umfassend ermittelt, beschrieben und bewertet werden. Die Ergebnisse der
durchgeführten Umweltprüfungen sollen bei allen behördlichen Entscheidungen über die Zu-
lässigkeit von Vorhaben und bei der Aufstellung oder Änderung von Plänen und Programmen
so früh wie möglich berücksichtigt werden.88
Anlage 1 des UVPG´s enthält eine Liste UVP- pflichtiger Vorhaben. Hauptbestandteil der
UVP ist die Prüfung und Beurteilung von Auswirkungen gewisser Projekte auf folgende
Schutzgüter nach §2 UVPG:
Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die bio-
logische Vielfalt;
87 W. PFLÜGNER. Bewertungen in der Wasserwirtschaft. S.3
88 UVPG §1Zweck des Gesetzes
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 70
Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft;
Kulturgüter und sonstige Sachgüter, sowie
Die Wechselwirkungen zwischen den genannten Schutzgütern;
Abschnitt zwei des UVPG´s erläutert den Ablauf einer Umweltverträglichkeitsprüfung.
Prinzipiell richtet sich das Umweltrecht nach dem Vermeidungsprinzip, d.h. Eingriffe in Na-
tur und Landschaft sollen soweit es geht vermieden werden (s. Kap. 4.3.4.). Jedoch scheitert
die Durchführung eines Projektes meist nicht an einer UVP, vielmehr bewirkt eine UVP meis-
tens gesetzte Auflagen, die als Bedingung für die Zulassung des Projektes durchgeführt wer-
den müssen.
Nun folgen zwei Zertifikate, welche sich auf das Themenfeld des nachhaltigen Bauens bezie-
hen und deshalb in diesem Kapitel 3.2. „Projekte“ dargestellt werden.
Das Stichwort „Green Building“- eine ressourcenschonende und nachhaltige Gebäudeent-
wicklung- fällt im Rahmen der Nachhaltigkeitsdebatte regelmäßig. Nachhaltiges Bauen hat
mittlerweile einen etablierten Stellenwert in der Bauindustrie, in der Immobilienbranche und
in der öffentlichen Diskussion. Der Gebäudesektor verbraucht nicht nur 30-40% der weltwei-
ten Energieressourcen, sondern auch noch einen hohen Anteil der weltweiten Wasserressour-
cen und zusätzlich dazu noch 40- 50% der zur Verfügung stehenden Rohmaterialien.89
Des-
halb ist die stetige Nachfrage nach neuen und effizienteren Technologien und Materialien
gegeben, um den Bedarf an Energie, Wasser und Materialien einzuschränken, ohne dabei so-
zial- und wirtschaftlich unverträglich zu werden.
Es gibt, wie Abbildung 14 darstellt, weltweit zahlreiche Zertifizierungssysteme für nachhalti-
ges Bauen. DGNB und LEED sind zwei davon, welche im Weiteren näher erläutert werden.
Die Zertifizierungssysteme unterliegen einer stetigen Weiterentwicklung. So beschränkten
sich die Gütesiegel bislang meist auf eine Bewertung von neu errichteten Einzelgebäuden, bis
neben der Erweiterung um Varianten zur Bewertung weiterer Gebäudetypen und Bestandsge-
89 BUND. Klima und Energie
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 71
bäuden auch die Entwicklung von Bewertungsverfahren für Siedlungen und Stadtquartiere
folgte.
Abbildung 14: Zertifizierungssysteme weltweit für nachhaltiges Bauen
Quelle: Eigene Bearbeitung nach P.MÖSLE ET.AL (2008). Drees&Sommer. Green Building Label
3.2.5 Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB)
Die deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen ist eine Non- Profit- und Non-
Governmental- Organisation. Die Geschäftsstelle des Vereins befindet sich in Stuttgart, wo
alle Tätigkeiten koordiniert werden. Das Zertifizierungssystem ist gemeinsam von der deut-
schen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen und vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung konzipiert worden und ist derzeit das jüngste unter den Systemen.
Das Zertifikat der DGNB ist ein Instrument für die Planung und für die Bewertung nachhalti-
ger Gebäude und Stadtteile.
Der zuständige Bauherr kann für ein gewünschtes Zertifikat oder Vorzertifikat einen von der
DGNB zugelassenen Auditor für das jeweilige Projekt beauftragen, ihn bei allen Schritten zur
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 72
Zertifizierung zu beraten. Das Vorzertifikat wird von der DGNB angeboten, um Gebäude
schon in der Planungs- und/oder Bauphase zu bewerten. 90
Der Zertifizierungsprozess erfolgt für ein Vorzertifikat, wie auch für das Vollzertifikat, fol-
gendermaßen: 91
Vorbereitung und Anmeldung:
o Der Bauherr sucht und beauftragt einen DGNB Auditor oder Consultant. Die
Beratung erfolgt schon vor der eigentlichen Anmeldung für die Zertifizierung;
o Der Auditor meldet das Gebäude oder das Stadtquartier zur Zertifizierung bei
der DGNB an;
o Die DGNB schließt mit dem Bauherrn einen Vertrag für die Zertifizierung;
Einreichung:
o Der Auditor reicht alle Unterlagen bei der DGNB ein;
o Auditor und Bauherr erhalten eine Empfangsbestätigung über die eingegange-
nen Unterlagen;
Prüfung:
o Zwei unabhängige Prüfer der DGNB führen eine erste Prüfung durch;
o Die DGNB verschickt den ersten Bericht an den Auditor;
o Nachdem der Auditor seine Stellungnahme zu dem ersten Prüfbericht abgelegt
hat, führt die DGNB eine zweite Prüfung mit zwei unabhängigen Prüfern
durch;
o Nachdem der Bauherr und der Auditor ihr Einverständnis mit dem Prüfergeb-
nis erklären, verifiziert der DGNB Zertifizierungsausschuss das Prüfergebnis;
Ergebnis und Verleihung:
o Die DGNB sendet eine abschließende Ergebnismitteilung an Bauherr und Au-
ditor;
o Die DGNB ermöglicht dem Auditor eine Prüfungseinsicht im Beisein eines
Prüfers;
90 DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR NACHHALTIGES BAUEN (2012). Verein
91 DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR NACHHALTIGES BAUEN (2012). Zertifizierung
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 73
o Das geprüfte Gebäude wird mit dem DGNB Vorzertifikat, bzw. DGNB Zerti-
fikat ausgezeichnet. Die Zertifizierung erfolgt je nach Erfüllung der Kriterien
in Gold, Silber oder Bronze;
Abbildung 15: Ganzheitliche Betrachtung des Gebäudekomplexes
Quelle: DGNB (2012). Zertifizierung
Die ganzheitliche Betrachtung des Gebäudelebenszyklus´ zeigt schematisch, dass bereits in
der Planungsphase die Nachhaltigkeitsziele definiert werden können, bzw. sollten, da in die-
ser Phase die Beeinflussbarkeit noch am höchsten und der Aufwand am geringsten ist, was
sich dann jedoch, je weiter die Projektphasen fortgeführt werden, genau umdreht. Je weiter
das Projekt fortgeschritten ist, desto kleiner wird die Beeinflussbarkeit von Veränderungen
und desto größer wird der Aufwand. Aus diesen Gründen wird auch zu einem Vorzertifikat
geraten, um genau dieses Schema zu verfolgen.
In die Bewertung fließen ca. 60 Kriterien der Themenfelder ökologische Qualität, ökonomi-
sche Qualität, soziokulturelle und funktionale Qualität, technische Qualität, Prozess Qualität
und Standort Qualität mit ein.
Die Kriterien können durch nutzungsspezifische Faktoren so gewichtet werden, dass eine an-
gepasste Bewertung unterschiedlicher Gebäudetypen möglich ist, da mehrere Gebäudetypen,
wie z.B. Büro- und Verwaltungsgebäude, Handelsbauten, Industriebauten, Wohnbauten, Ho-
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 74
tels, etc. von der DGNB zertifiziert werden können. Somit entsteht eine auf den Gebäudetyp
passende Bewertungsmatrix für das jeweilige Nutzungsprofil.
Für jedes Kriterium wurden klare Zielwerte und einheitliche Messmethoden definiert. Das
jeweilige Kriterium kann mit bis maximal zehn Punkten bewertet werden. Die Bewertung
erfolgt in zwei Stufen. Die erste Stufe erfolgt unabhängig vom jeweiligen Nutzungsprofil des
Gebäudes. Die zweite Stufe ist detaillierter und auf das Nutzungsprofil bezogen. Je nach Nut-
zungsprofil kann so die Gewichtung eines Kriteriums um das Dreifache seines Ausgangswerts
erhöht oder vollständig ausgeblendet werden. Bei der Erstellung der Kriterien ist darauf ge-
achtet worden, den gesamten Lebenszyklus in Betracht zu ziehen. Zudem spielen eine Ökobi-
lanz für das gesamte Gebäude sowie lebenszykluskostenbasierte Kostenthemen eine Rolle.
Folgende Tabelle stellt einen Auszug der Themenfelder und jeweiligen Kriterien des DGNB-
Zertifikats dar.
Tabelle 7: Themenfelder und Ausschnitt der zugehörigen Kriterien der DGNB Zertifizierung für Einzelgebäude
Quelle: DGNB (2012). Zertifizierung
Hauptkriterium Kriteriengruppe Kriterium
Allgemeine Grundlagen
Ökologische Qualität Ökobilanz Treibhauspotential GWP
Ozonschichtabbaupotential (ODP)
Ozonbildungspotential (POCP)
Versauerungspotential (AP)
Überdüngungspotential (EP)
Wirkungen auf globale und lokale
Umwelt
Risiken für die lokale Umwelt
Nachhaltige Ressourcenverwen-
dung
Ressourceninanspruchnahme und
Abfallaufkommen
Primärenergiebedarf nicht erneuer-
barer- Ressourcen
Abfall nach Abfallkategorien
Frischwasserverbrauch Nutzungs-
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 75
Hauptkriterium Kriteriengruppe Kriterium
phase
Flächeninanspruchnahme
Ökonomische Qualität Lebenszykluskosten Gebäudebezogene Kosten im Le-
benszyklus
Wertentwicklung Drittverwendungsfähigkeit
Marktfähigkeit
Soziokulturelle und funktionale
Qualität
Gesundheit, Behaglichkeit und
Nutzerzufriedenheit
Thermischer Komfort im Winter
Thermischer Komfort im Sommer
Innenraumhygiene
Akustischer und visueller Komfort
Gebäudebezogene Außenraumqua-
lität
Sicherheit und Störfallrisiken
Funktionalität Barrierefreiheit
Flächeneffizienz
Umnutzungsfähigkeit
Öffentliche Zugänglichkeit
Fahrradkomfort
Gestalterische Qualität Sicherung der gestalterischen und
städtebaulichen Qualität im Wett-
bewerb
Qualitätsmerkmale des Nutzungs-
profils
Technische Qualität Qualität der technischen Ausfüh-
rung
Brandschutz
Schall-, Lärm-, Immissionsschutz
Wärme- und feuchteschutztechni-
sche Qualität der Gebäudehülle
Backupfähigkeit, Bedienbarkeit
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 76
Hauptkriterium Kriteriengruppe Kriterium
und Ausstattungsqualität der TGA
(Technische Gebäudeausstattung)
Dauerhaftigkeit/ Anpassung der
Bauprodukte; Systeme und Kon-
struktionen an die geplante Nut-
zungsdauer
Widerstandsfähigkeit gegen klima-
tische Ereignisse
Rückbau- und Recyclingfreund-
lichkeit
Prozessqualität Qualität der Planung Qualität der Projektvorbereitung
Sicherung der Nachhaltigkeitsas-
pekte in Ausschreibung und Verga-
be
Qualität der Bauausführung Baustelle/ Bauprozess
Qualität der ausführenden Fir-
men/der Bauausführung
Qualität der Bewirtschaftung Strategie und Controlling
Qualität der Bewirtschaftung
Ressourcenmanagement
Standortqualität Standortqualität Risiken und Verhältnisse am Mik-
rostandort
Verkehrsanbindung
Nähe zu nutzungsrelevanten Ein-
richtungen und Objekten
Planungsrechtliche Situation
…
Neben der DGNB und dessen vorgestelltem Bewertungsverfahren und –system, gibt es in
Deutschland vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ein
eigenes „Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) - Neubauten von Büro -und Verwal-
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 77
tungsgebäuden“, welches auf einem Leitfaden für nachhaltiges Bauen basiert. Dieses Bewer-
tungssystem ist dem der DGNB sehr ähnlich, sicherlich auch deshalb weil das BMVBS das
System der DGNB mitentwickelt hat. In Ergänzung zu BNB wurde auch im Jahr 2011 das
Bewertungssystem „Nachhaltige Außenanlagen auf Bundesliegenschaften“ entwickelt. Dieses
System gliedert sich wie das BNB und auch wie das der DGNB in sechs
Hauptkriteriengruppen, welche wiederrum in mehrere Unterkriterien und Indikatoren unter-
gliedert sind. Die Kriterien sind anschließend zu bewerten- entweder mit Checklisten oder im
Abgleich mit vorgegebenen Qualitätsstufen. Teilweise sind die Kriterien anhand von mess-
und berechenbaren Größen quantitativ zu bewerten, wie z.B. die Anzahl an Fahrradstellplät-
zen oder der Versiegelungsgrad. Andere Kriterien hingegen werden qualitativ beurteilt, wie
z.B. die Verwendung von zertifiziertem Holz oder Ausstattungsmerkmale. Letzen Endes gibt
es für jedes Kriterium einen Bewertungsmaßstab, demnach max. 100 Punkte vergeben werden
können. Die Hälfte der Punktzahl wird erreicht, wenn nach dem aktuellen Stand der Technik
gebaut wird und ein Mindeststandard an nachhaltigen Qualitätsmerkmalen vorhanden ist.
Weitere Punkte gibt es bei einer Überschreitung dieser Mindestanforderungen für weitere
Anstrengungen. Je nach Bedeutung können die Kriterien unterschiedlich gewichtet werden.
Das Gesamtergebnis wird mit Gold, Silber oder Bronze zertifiziert.92
3.2.6 Leadership in Energy and Environmental Design (LEED)
Das aus den USA stammende Regelwerk LEED wurde vom U.S. Green Building Council
entwickelt und stellt das weltweit am weitesten verbreitete Zertifizierungssystem für nachhal-
tiges Bauen dar. LEED setzt Standards und Maßstäbe für umweltfreundliche Konstruktionen
und Materialauswahl in der Bauindustrie. Anreizmethoden für LEED- zertifiziertes Bauen für
Unternehmen sind z.B. Steuererleichterungen, mittlerweile gewährleistet von vielen US-
Bundesstaaten und Stadtverwaltungen. Teilweise wird eine Einhaltung dieser Standards bei
staatlichen Bauprojekten zwingend vorgeschrieben.
92 BUNDESMINISTERIUM FÜR VERKEHR, BAU UND STADTENTWICKLUNG (2012). Nachhaltig geplante Außenan-
langen auf Bundesliegenschaften. S.11
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 78
Im Vergleich zu DGNB zertifizierten Gebäuden gibt es bei LEED vier Qualitätsstufen: Ein-
fach, Silber, Gold und Platin. Dieses Bewertungssystem definiert Kriterien in den Themenbe-
reichen Standortkonzept, Wasser- und Energieverbrauch, Baustoffe und umweltfreundlicher
Innenausbau. Wie auch bei einer DGNB- Zertifizierung können Gebäude unterschiedlicher
Funktion LEED- zertifiziert werden. Grundsätzlich erfolgt eine Unterscheidung in Neubauten,
Bestandsbauten und Sanierungsobjekten.93
Folgende Bewertungskriterien werden für Neubauten bei LEED- Zertifizierungen angewen-
det94
:
Kategorie 1: Sustainable Sites- nachhaltiger Standort und Außenraum;
Kategorie 2: Water Efficiency- Wassereffizienz;
Kategorie 3: Energy and Atmosphere- Energiebedarf während der Nutzung;
Kategorie 4: Material and Ressources- verwendete Baumaterialien;
Kategorie 5: Indoor Environmental Quality- Umweltqualität des Innenraums, Gesund-
heit, Behaglichkeit;
Kategorie 6: Innovation and Design Process- Innovationsmanagement, Gestaltungs-
prozess;
Die Kategorien sind in zahlreiche Kriterien untergliedert, welche je Erfüllungsgrad zu einer
Zertifizierung führen.
Die Bewertung, bzw. die Erfüllung der Kriterien erfolgt mit Hilfe eines Punktesystems:
Bei 40 bis 49 Punkten erfolgt eine einfache Zertifizierung, sozusagen ein schlichtes
Bestehen;
Bei 50 bis 59 erreichten Punkten erhält der Bauherr ein Silbersiegel;
Bei 60 bis 79 Punkten wird ein Goldsiegel vergeben, was einer Erfüllung der Kriteri-
en zu 55% entspricht;
93 VERBAND BERATENDER INGENIEURE (VBI). LEED
94 P.MÖSLE ET.AL (2008). Drees&Sommer. Green Building Label
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 79
Bei 80 und mehr Punkten wird mit Platinum ausgezeichnet, d.h. es müssen mindes-
tens 73% der Kriterien erfüllt sein. Demzufolge müssen um die höchste Auszeichnung
zu erlangen, nicht alle Anforderungen erfüllt werden.
Diese Punkteverteilung gilt, abgesehen von „LEED for Homes“, also Privateigenheime, für
alle Varianten von LEED.
Bei einem Vergleich der beiden Zertifizierungssysteme können einige Punkte erwähnt wer-
den:95
Obwohl die Einzelanforderungen an die Gebäudehülle bei LEED viel niedriger sind
als beim deutschen Zertifizierungssystem, werden beim Zusammenspiel der Raum-
koordinierung im Falle der höchsten Auszeichnung beachtliche Anforderungen ge-
stellt;
Bei beiden Systemen werden beim Thema Luftqualität sowohl die Schadstoffemissio-
nen aus den Materialien der Teppiche, Lacke, Farben und Kleber, als auch die Lüf-
tungsart hinsichtlich Lüftungswechselrate und Lüftungseffektivität betrachtet;
Bei LEED wird vor allem ein Augenmerk auf den VOC96
- Gehalt der eingesetzten
Materialien gesetzt, um diesen soweit wie möglich zu beschränken. Bei DGNB wird
dagegen eher auf den Einsatz zertifizierter Produkte, wie z.B. „Blauer Engel“, die
Einhaltung der Empfehlungen der Gefahrenstoffverordnung, etc. geachtet;
Die Punkteverteilung bei LEED und DGNB ist unterschiedlich. Während bei LEED
55% an Erfüllung der Kriterien ausreicht um das Goldsiegel zu erhalten, müssen beim
deutschen System mindestens 85% der Kriterien erfüllt sein, um Gold zu erhalten. So
betrachtet sind die deutschen Anforderungen im Vergleich zu den amerikanischen An-
forderungen höher. Der Unterschied und Anspruch der Anforderungen kann diskutiert
werden;
Wie folgende Tabelle zeigt, besitzt das deutsche Zertifizierungssystem die weitrei-
chendste Ausrichtung, sowohl in der Themenbreite als auch -tiefe.
95 P.MÖSLE ET.AL (2008). Drees&Sommer. Green Building Label
96 Volatile Organic Compound- Flüchtige organische Verbindungen
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 80
Tabelle 8: Vergleich der Zertifizierungssysteme DGNB und LEED
Quelle: P.MÖSLE ET.AL (2008). Drees&Sommer. Green Building Label
Nr. DGNB Kriterium DGNB/Neubau Büro LEED/Neubau Büro
1 Treibhauspotential Hohe Anforderungen Mittlere Anforderungen
2 Ozonschichtabbaupotential Hohe Anforderungen Mittlere Anforderungen
3 Ozonbildungspotential Hohe Anforderungen Nicht enthalten
4 Versauerungspotential Hohe Anforderungen Nicht enthalten
5 Überdüngungspotential Hohe Anforderungen Nicht enthalten
6 Risiken für die lokale Umwelt (Grund-
wasser, Oberflächenwasser, Boden,
Luft, etc.)
Hohe Anforderungen Nicht enthalten
7 Sonstige Wirkungen auf die lokale
Umwelt
Hohe Anforderungen Hohe Anforderungen
8 Sonstige Wirkungen für die globale
Umwelt (z.B. Materialverwendung aus
erneuerbaren Ressourcen)
Hohe Anforderungen Mittlere Anforderungen
9 Mikroklima (Wärmeinseleffekt) Mittlere Anforderungen Mittlere Anforderungen
10 Primärenergiebedarf nicht erneuerbar
Ressourcen (PEne)
Hohe Anforderungen Mittlere Anforderungen
11 Primärenergie erneuerbar Ressourcen
(PEe)
Hohe Anforderungen Hohe Anforderungen
12 Sonstiger Verbrauch nicht erneuerbarer
Ressourcen
Hohe Anforderungen Nicht enthalten
13 Abfall nach Abfallkategorien Geringe Anforderungen Mittlere Anforderungen
14 Frischwasserverbrauch Nutzungsphase Mittlere Anforderungen Hohe Anforderungen
15 Flächeninanspruchnahme Mittlere Anforderungen Mittlere Anforderungen
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 81
3.3 Programme und Pläne
Auf der Programmebene gibt es weitaus weniger Bewertungsverfahren als für Produkte oder
Projekte.97
Neben der strategischen Umweltprüfung (SUP) gibt es weitere Prüfungen, wie
z.B. die Umweltprüfung im Bauleitplan, die Umweltprüfung im Raumordnungsplan, etc. Der
Ablauf dieser Prüfungen ähnelt dem der UVP, der Untersuchungsraum variiert jedoch unter
den Verfahren, somit auch der Maßstab und der Detaillierungsgrad.
3.3.1 Strategische Umweltprüfung (SUP)
Die strategische Umweltprüfung wird ebenfalls nach dem UVPG durchgeführt, erfolgt jedoch
im Gegensatz zur UVP bei der Aufstellung von Plänen und Programmen. Teil 3 des UVPGs
widmet sich der strategischen Umweltprüfung.
Der Untersuchungsraum ist meist von kleinerem Maßstab, da es sich meistens um ein größe-
res Gebiet handelt als bei der UVP. Aufgrund des größeren Betrachtungsraums erfolgt die
Prüfung weniger detailliert als die der UVP.
Der Ablauf einer SUP ähnelt dem der UVP, welcher in folgender Schrittabfolge durchgeführt
wird:
Klärung der Erforderlichkeit (Screening) nach §14 a,b,c,d,e UVPG;
Festlegung des Untersuchungsrahmens (Scoping) nach § 14 f UVPG;
Umweltbericht als zentrales Mittel der SUP nach §14g UVPG, welcher in der UVP
nicht erforderlich ist,. Der Umweltbericht ist im Baugesetzbuch (BauGB) Grundlage
zur Zulassung gewisser Bauleitpläne. Anlage 1 des BauGB beschreibt die Abfolge ei-
nes Umweltberichts;
Behördenbeteiligung nach §14h UVPG;
Öffentlichkeitsbeteiligung nach §14i UVPG;
Umweltfolgenbewertung und –berichterstattung nach §14kUVPG;
Bekanntgabe nach §14lUVPG;
Überwachung der Umweltfolgen durch ein Monitoring nach §14mUVPG;
97 W. PFLÜGNER. Bewertungen in der Wasserwirtschaft. S.2
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 82
3.3.2 Raumordnungsverfahren (ROV)
Die für Raumordnung zuständige Behörde prüft in einem Verfahren die Raumverträglichkeit
raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen im Sinne von §1 der Raumordnungsverord-
nung.
Im Allgemeinen ist zu sagen, dass bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen nach §8
ROG, Umweltprüfungen nach §9 ROG durchzuführen sind, um Auswirkungen des Raumord-
nungsplans auf die Schutzgüter (§2 UVPG) ermitteln, beschreiben und bewerten zu können.
Eine Raumordnungsprüfung prüft die Auswirkungen von Projekten und Maßnahmen auf die
bestehende Raumordnung und deren Grundsätze. Hierbei sind vor allem überörtliche Ge-
sichtspunkte relevant. Die Prüfung soll ermitteln, ob die festgelegten Erfordernisse der Raum-
ordnung, also die Ziele, Grundsätze und Flächennutzungen mit den Planungen oder Maßnah-
men übereinstimmen, was die Auswirkungen sind und was es für Standort- oder
Trassenalternativen gibt.98
3.4 Institutionen
Da das Bemühen um eine nachhaltige Entwicklung immer mehr als Integrationsaufgabe ver-
standen werden muss und im Laufe der Entwicklung wirtschaftliche, soziale und ökologische
Ziele immer wieder neu ausgerichtet werden müssen, überschreitet der Prozess Sektorengren-
zen und berührt eine Vielzahl von Akteuren. Deshalb ist es eine Voraussetzung für das Gelin-
gen und das Voranschreiten der Entwicklung, die institutionellen Einrichtungen entsprechend
umzubauen und zu erweitern. Seit der Agenda 21- Bewegung gibt es Erkenntnisse über neue
institutionelle Verfahren zur Umsetzung des Nachhaltigkeitskonzepts.99
Immer mehr öffentliche Einrichtungen nutzen Nachhaltigkeitschecks oder -prüfungen, um
dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung nach zu kommen. Noch erfolgen diese Prüfun-
gen jedoch meistens nicht als Bedingung zur Abnahme von Projekten und weiteren Prozes-
98 K. WERK. Vorlesungsskript „Planungsrecht“
99 C. BOCCOLARE (2002). Nachhaltige Entwicklung. S. 25
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 83
sen. Prüfraster sind eine Entscheidungshilfe bei der Projektauswahl oder für deren Planung
und Verbesserung.
3.4.1 Nachhaltigkeitsprüfung
Die Nachhaltigkeitsprüfung für Gesetzesentwürfe wurde durch die Koalitionsvereinbarung
der Landesregierung Baden- Württembergs 2011 für alle Gesetze, Rechtsverordnungen, Ver-
waltungsvorschriften und innerdienstliche Anordnungen eingeführt. Damit soll im Bundes-
land Baden- Württemberg dafür gesorgt werden, Nachhaltigkeit im Regierungs- und Verwal-
tungshandeln zu berücksichtigen und zukünftiges Handeln nach dem Leitbild der Nachhaltig-
keit auszurichten.
Inhaltlich soll die Prüfung dafür sorgen, alle fachbezogenen und fachübergreifenden Wirkun-
gen und Nebenwirkungen eines Vorhabens abzuschätzen, also eine sogenannte Regelungsfol-
genabschätzung durch zu führen. Diese Prüfung soll zu einer Nachhaltigkeitsprüfung zuge-
spitzt werden, indem Auswirkungen auf ökologische, ökonomische und soziale Verhältnisse
betrachtet werden. Der eigentliche Inhalt der Prüfung wird durch einen Leitfaden, der Fragen
und Anhaltspunkte zu zehn Bereichen nachhaltiger Entwicklung bereitstellt, konkretisiert. Der
Leitfaden orientiert sich an den „Zielen einer nachhaltigen Entwicklung für Baden- Württem-
berg“, welche auf der Nachhaltigkeitskonferenz aufgestellt wurden. Die zehn Bereiche sind
Mensch und Gesellschaft, Gesundheit und Ernährung, Arbeit und Beschäftigung, Wirtschaft
und Konsum, Bildung und Forschung, Natur und Umwelt, Energie und Klima, Verkehr und
Mobilität, Öffentliche Haushalte, Globalisierung und internationale Verantwortung und sons-
tige Auswirkungen.
Wenn erhebliche Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung durch ein Vorhaben offen-
sichtlich nicht zu erwarten sind, kann von einer Prüfung abgesehen werden. Die Gründe dafür
müssen allerdings schriftlich festgehalten werden. Die Verfahren werden gewöhnlich haupt-
sächlich von den zuständigen Ministerien durchgeführt.100
100 MINISTERIUM FÜR UMWELT, NATURSCHUTZ UND VERKEHR BADEN- WÜRTTEMBERG (2011). Nachhaltigkeits-
strategie. Baden- Württemberg. S.3ff.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 84
3.4.2 Nachhaltigkeitschecks in der kommunalen Verwaltung
Es gibt zahlreiche Nachhaltigkeitschecks, die für die Bewertung von Projekten durchgeführt
werden können, bzw. sollten. Einen einheitlichen Standard gibt es nicht. Das Agenda- Büro
der Landesanstalt für Umweltschutz Baden- Württemberg (LfU) bietet einige Arbeitsmateria-
lien diesbezüglich.101
Dementsprechend arbeitet die Stadt Pleidelsheim in Baden- Württemberg schon seit einiger
Zeit mit einem sogenannten „Nachhaltigkeitscheck für Gemeinderatsvorlagen“, welcher im
Agenda- Büro der Landesanstalt für Umweltschutz Baden- Württemberg, mit der Intention
auf kommunaler Ebene dem Leitbild der Nachhaltigkeit gerecht zu werden, entwickelt wurde.
Die ausgefüllten Checklisten sollen allen Gemeinderatsvorlagen beigefügt werden, um den
Beteiligten darzulegen, was mit dem Beschluss oder Projekt im Hinblick auf eine nachhaltige
Entwicklung alles bedacht werden sollte. Bewertet werden die Themen Zukunftsfähigkeit,
soziale Gerechtigkeit, ökonomische Nachhaltigkeit und ökologische Tragfähigkeit. Zu diesen
vier Oberthemen müssen 25 Fragen beantwortet werden, welche mit „Ja“, „Nein“, „Teilwei-
se“ oder „Nicht zutreffend“ bewertet werden. Einige der Fragen sind spezifiziert.
Das Instrument des rasch durchzuführenden Nachhaltigkeitschecks dient der verwaltungsin-
ternen Bewertung als Grundlage für die Diskussion im Gemeinderat.102
An diesem Beispiel wird gezeigt, dass auch kleine Gemeinden wie Pleidelsheim mit ca. 6000
Einwohnern103
Akteure in Sachen Nachhaltigkeit sein können und mit Engagement unter den
Gemeinden voran gehen können.
3.4.3 Umweltökonomische Gesamtrechnung (UGR)
Die umweltökonomische Gesamtrechnung ist ein Berichtsystem, das die Beziehungen zwi-
schen wirtschaftlichen Aktivitäten und der Entwicklung des Umweltzustands statistisch do-
101 M. WALSER (2008). Universität St. Gallen. Überblick über die Instrumente zur Nachhaltigkeitsbeurteilung im
deutschsprachigen Raum. S.12
102 LANDESANSTALT FÜR UMWELTSCHUTZ. BADEN- WÜRTTEMBERG (LFU). Agenda Büro.
103 STADT PLEIDELSHEIM (2011). Daten und Fakten
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 85
kumentieren soll.104
Es wird aufgezeigt welche Auswirkungen wirtschaftliche Aktivitäten auf
die Umwelt haben, und im Gegenzug, welche Rolle die Umwelt für die Wirtschaft spielt. Die
UGR ist eine Erweiterungsrechnung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, welche um
den Faktor Natur ergänzt wird. Betrachtet und dargestellt werden die Umweltbelastung durch
die Wirtschaft, der momentane Umweltzustand und dementsprechend Umweltschutzmaß-
nahmen zum Erhalt und zur Verbesserung des Umweltzustands. Die Stoff- und Energieflüsse
werden mit Hilfe von Input- Output- Tabellen monetär und physisch bilanziert, d.h. in diesem
Schritt kommen Instrumente, wie z.B. die Stoffstromanalyse zum Einsatz. Die Erfassung der
verschiedenen Stoffflüsse erfolgt auf einem Konto, welches aus einer Materialentnahmeseite
(Rohstoffe, Gase, importierte Güter, etc.) und einer Materialabgabeseite (Emissionen in die
Umweltmedien, etc.) besteht. Die dort gelisteten Daten werden in Stoffe, physische Einheiten
(Tonnen) und wirtschaftliche Aktivitäten untergliedert, sodass die ermittelten Saldi Auf-
schluss über die Effizienz der Nutzung der Umwelt gibt, besonders wenn lange Zeitreihen
betrachtet werden. Neben den Stoff- und Energieflüssen werden noch Fläche und Raum hin-
sichtlich Umweltauswirkungen durch wirtschaftliche Aktivitäten betrachtet.
Die UGR werden durch das Statistische Bundesamt und die statistischen Ämter der Länder
veröffentlicht. Die Daten werden von Ämtern wie dem Umweltbundesamt und dem deutschen
Institut für Wirtschaftsbewegung zur Verfügung gestellt.
Ziel der umweltökonomischen Gesamtrechnung der Länder ist es, auf Länderebene zu doku-
mentieren, inwieweit die Natur durch die Wirtschaft und die privaten Haushalte verbraucht,
entwertet oder zerstört wird. Die Inanspruchnahme der Umwelt wird z.B. anhand der Themen
und Indikatoren, welche auch in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie „Perspektiven für
Deutschland“ vorkommen, Energie-, Flächen-, Rohstoff- und Wasserverbrauch, Abfallentsor-
gung und Luftemissionen, dargestellt. Grundlage zur Bewertung sind ausschließlich monetäre
Größen, was eine Gegenüberstellung der wirtschaftlichen und der ökologischen Aspekte er-
möglicht.
In Deutschland hat man sich dem „System for Integrated Environmental and Economic
Accounting“ (SEEA) der Vereinten Nationen als Vorbild für die UGR angeschlossen. Dieses
104 JÄGER ET AL. Instrumente zur Nachhaltigkeitsbewertung. S.55
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 86
System ist zwar noch dem ökonomischen Bereich zuzuordnen, jedoch ist hier der Rahmen der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung um nicht- monetäre Größen erweitert. 105
3.4.4 Umweltmanagementsysteme (EMAS, ISO 14001, ÖKOPROFIT)
Umweltmanagementsysteme (UMS) sind weltweit immer häufiger angewandte Systeme,
meist auf betrieblicher Ebene, welche zur Verbesserung der ökologischen und ökonomischen
Leistungen eingesetzt werden. Neben dem europäischen UMS EMAS (Eco- Management and
Audit Scheme), welches durch das Umweltauditgesetz (UAG) gefördert werden soll, gibt es
die internationale Norm ISO 14001(„Umweltmanagementsysteme- Anforderungen mit Anlei-
tung zur Anwendung“) als weltweit akzeptierten und angewandten Standard für betriebliches
Umweltmanagement. In Deutschland sind 5.800 Unternehmen ISO 14001- zertifiziert und
1.979 Unternehmen EMAS- zertifiziert. Weltweit sind mehr als 250.000 Unternehmen ISO
14001 zertifiziert.106
Unternehmen oder Behörden, die nach dem europäischen Umweltmanagementsystem EMAS
zertifiziert sind, agieren grundsätzlich nach den Anforderungen der ISO 14001. EMAS- zerti-
fizierte Betriebe gehen über die Anforderungen der ISO 14001 hinaus. So kommen Punkte,
wie die Information der Öffentlichkeit, Beteiligung der Arbeitnehmer/innen und eine Einhal-
tung aller umweltrechtlichen Anforderungen bei EMAS hinzu.
Als Schema für den Aufbau, die Anwendung und die Aufrechterhaltung eines Umweltmana-
gementsystems wird in der Regel ein Plan- Do- Check- Act- Kreislauf (PDCA) verfolgt (s.
Abb.16).
105 STATISTISCHES BUNDESAMT (2011). Umweltnutzung und Wirtschaft. S.15
106 UMWELTBUNDESAMT (2010). Umweltökonomie und Umweltmanagement
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 87
Abbildung 16: Umweltmanagementsystem nach Plan- Do- Check- Act- Zyklus
Quelle: H. ECKHARDT. Vorlesungsskript “Industrial Waste Abatement and Management”. S. 30
Derzeit läuft der drei- jährige Prozess einer Novellierung von ISO 14001.107108
Davon betrof-
fen sind alle Unternehmen, Behörden und sonstige Institutionen, die nach ISO 14001 zertifi-
ziert sind und jene europäische Einrichtungen, die nach EMAS zertifiziert sind.
Experten aus Entwicklungs- und Schwellenländer sollen insbesondere mit einbezogen wer-
den, da betriebliche Umweltmanagementsysteme weltweit im Rahmen der Umwelt- und
Nachhaltigkeitsdebatte eine immer größere Bedeutung erlangen und eventuell bei der Verga-
be von Aufträgen Bedingung sein werden.
Folgende Inhalte sollen in der Novelle besonders fokussiert werden:
107 UMWELT. Wirtschaft, Innovationen. Ein Standard auf dem Prüfstand. Ausgabe 4/2012. S. 50.
108 DIN. Normenausschuss Grundlagen des Umweltschutzes (NAGUS)
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 88
UMS sollen Bestandteil einer nachhaltigen Entwicklung und gesellschaftlichen Ver-
antwortung vor dem Hintergrund der ISO 26000 (Leitfaden zur gesellschaftlichen
Verantwortung) werden;
Die Rolle von UMS in der Steigerung und Verbesserung der Umweltleistung und ei-
ner Umweltleistungsbewertung mithilfe von Kennzahlen;
Einhaltung geltender Rechtsgrundlagen und selbst aufgesetzter Ziele und Grundsätze;
Integration von UMS in die gesamte Unternehmensführung;
Möglichkeiten der Integration von UMS in kleinere und mittlere Betriebe;
UMS als parallel laufendes System oder Teilsystem (evtl. von Treibhausgas- oder
Energiemanagement);
UMS in der externen Kommunikation;
Der Stellenwert von UMS in der internationalen politischen Agenda;
Insgesamt sollen Transparenz und Verantwortung im betrieblichen Umweltmanagement ge-
stärkt werden. Das Prinzip der Ökobilanz soll vermehrt eingesetzt werden und einen wichti-
gen Beitrag zur besseren Identifizierung und Bewertung von Umweltauswirkungen von Pro-
dukten und Prozessen leisten.
Neben EMAS und ISO 14001 gibt es auf internationaler Ebene das UMS ÖKOPROFIT (Öko-
logisches Projekt für Integrierte Umwelt- Technik), welches auch hauptsächlich auf betriebli-
cher Ebene eingesetzt wird. ÖKOPROFIT spricht ökologische, ökonomische und soziale Be-
lange an, d.h. die Anforderungen gehen über die ökologische Dimension hinaus.109
Dieses
UMS erfolgt im Kern ebenfalls nach dem PDCA- Zyklus. ÖKOPROFIT betont, dass bei einer
gewünschten Zertifizierung nach EMAS oder ISO 14001, es eine sinnvolle Voraussetzung ist,
zuvor ÖKOPROFIT- zertifiziert zu werden, da dadurch Kosten eingespart werden und durch
ÖKOPROFIT bereits 75% der Voraussetzungen einer ISO/EMAS- Kompetenz bestehen.
Qualitativ jedoch steht EMAS an erster Stelle, wonach ISO 14001 und dann Ökoprofit folgen.
109 ÖKOPROFIT (2008). Das Ökoprofit- Konzept
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 89
3.5 Indikatorensysteme
Neben den hauptsächlich verbal- argumentativen Methoden, mit Ausnahme der monetären
Wirtschaftlichkeitsbewertungen, gibt es quantifizierende Methoden, deren Bestandteil jegli-
che Formen von Indikatoren sind. Die Erarbeitung von Indikatoren zur Operationalisierung
des Leitbildes Nachhaltigkeit wurde bereits in der Agenda 21 von Rio de Janeiro 1992 gefor-
dert. So sind Indikatorensätze die bisher gängigste Methode zur Nachhaltigkeitsbewertung,
was auch an der großen Anzahl unterschiedlicher Ansätze deutlich wird.
Indikatoren sind Messgrößen und Anzeiger von Erfolg oder Misserfolg bestimmter Parame-
ter. Anhand von definierten Zielsetzungen kann mit geringem Aufwand ein Soll- Ist Vergleich
durchgeführt werden. Das Definieren von Zielen ist dabei sehr wichtig. Unter den existieren-
den Indikatorsystemen wird grob in eindimensionale und multidimensionale Systeme unter-
schieden. Die sogenannten Generalisten favorisieren ein System von nur wenigen oder gar nur
einem aggregierten, aus vielen Einzelwerten bestehenden Indikator(en), um eine höhere Aus-
sagekraft, eine bessere internationale Kommunizierbarkeit und Vergleichbarkeit zu erreichen.
Dieser Ansatz findet meistens im internationalen Rahmen Anwendung. Beispiele dafür sind
der Human Development Index110
und der Environmental Sustainability Index.111
Im Vergleich dazu präferieren die „Spezialisten“ ein System mit vielen Einzelindikatoren, um
eine detailliertere Aussage über komplexe Zusammenhänge für eine politische Feinsteuerung
zu ermöglichen. Dieser Ansatz wird meistens auf nationaler, regionaler und kommunaler
Ebene herangezogen. Beispiele hierfür sind die nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bun-
desregierung und die Indikatoren der nationalen Strategie der biologischen Vielfalt nach dem
DPSIR- Ansatz der OECD (s. Kapitel 4.3.31.).112
110 Der Human Development Index (HDI) ist ein von den Vereinten Nationen entwickelter Wohlstandsindikator
für Länder. In den Index fließen eine Vielzahl an Kriterien ein, z.B. Pro- Kopf- Einkommen, Lebenserwar-
tung (besteht aus den Indikatoren Gesundheit, Hygiene, Ernährung, etc.), Bildungsgrad, etc.
111 Der Environmental Sustainability Index (ESI) ist ein aus 21 Indikatoren zusammengesetzter Index, der im
Gegensatz zum HDI- Index nicht von der UN erstellt wird, sondern vom Environmental Performance Mea-
surement Project der Yale- University zusammen mit einigen weiteren Forschungseinrichtungen.
112 C. BOCCOLARE (2002). Nachhaltige Entwicklung. S. 30
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 90
Indikatoren sind an sich kein eigenständiges Bewertungsverfahren, lediglich Kenngrößen,
konkretisierte Kriterien, welche eine unkomplizierte Hilfestellung für Bewertungen leisten
können. Je nachdem was die Zielsetzung ist, kann nach dem Aufstellen der Indikatoren an-
hand nach einem Soll- Ist- Vergleich eine Bewertung erfolgen. Indikatoren haben die Vorteile
der Vergleichbarkeit, der Objektivität und der Kommunizierbarkeit.
Um noch einmal auf eindimensionale Indikatoren zurückzukommen, war es im Rahmen der
Agenda- 21- Bewegung eine der Absichten für die Entwicklung von Indikatoren, Alternativen
für den Wohlfahrtsindikator Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu finden, da der Vorwurf bestand
und besteht, dass die Aussagekraft des BIP nicht befriedigend ist und kein eindeutiger Zu-
sammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Wohlergehen besteht. Neben dem oben
genannten HDI- Index, welcher bei weitem nicht nur das BIP berücksichtig, sondern viele
weitere Parameter, gibt es weitere aus vielen Kriterien aggregierte Indikatoren, darunter auch
der Genuine Progress Indicator (Tabelle 10), der zwar vom BIP als Grundlage ausgeht aber
dieses modifiziert, indem ökologische und soziale Einflussfaktoren auf die Wohlfahrt, wie
z.B. Umweltdegradation, ehrenamtliche Arbeit, etc. monetarisiert und hinzugerechnet bzw.
abgezogen werden.113
So empfiehlt Carlos Joly, der Mitautor der aktuellen Club of Rome
Prognose für 2052, umweltrelevante Faktoren, wie Wasserressourcen, Bodenfruchtbarkeit,
Lebensqualität und Klima in die Berechnungen des Bruttoinlandsprodukts mit einzubezie-
hen.114
Tabelle 10 stellt eine Übersicht zu Konzepten der Wohlfahrts- und Nachhaltigkeitsmessung
dar. Erwähnt wurden bisher der HDI, ESI und der Genuine Progress Indicator als eindimensi-
onale Indikatoren. Auf weitere Einzelne wird an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen.
113 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 80
114 DIE ZEIT. Club of Rome. Der Weltuntergang zieht sich. 5/2012
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 91
Tabelle 9: Übersicht über Konzepte zur Wohlfahrts- und Nachhaltigkeitsmessung
Quelle: WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 80
Art des Messkonzepts Bezeichnung des Index´/ Indikators Ökonomi-
sche Di-
mension
Soziale
Dimension
Ökologi-
sche Di-
mension
Erweiterungen des BIP:
monetarisierte Indikato-
ren/ Indizes
Measure of Economic Welfare x x x
Index of Sustainable Economic Welfare
(ISEW)
x x x
Genuine Progress Indicator (GPI) x x x
Full Cost of Goods and Services (FCGS) x x
National Welfare Index (NWI) x x x
Erweiterungen des BIP:
Umweltökonomische
Gesamtrechnung
Umweltökonomische Gesamtrechnung/
UN System of Environmental and Eco-
nomic Accounting (SEEA)
x x
Nicht monetarisierte
Indikatoren/ Indizes
Ecological Footprint x
Living Planet Index x
Zusammengesetzte Indi-
katoren/ Indizes (Integ-
ration monetarisierter
und nicht
monetarisierter Größen)
Human Development Index (HDI) x x
Index of Economic Wellbeing x x x
Happy Planet Index x x
KfW Nachhaltigkeitsindikator x x x
Sustainable Development Indicators
(Eurostat)
x x x
Index of Economic Freedom x x
Environmental Sustainability Index
(ESI)/ Environmental Performance Index
(EPI)
x x
Gross National Happiness (Bhutan) x x x
Canadian Index of Wellbeing (CIW)
Corruption Perception Index (CPI) x
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 92
Art des Messkonzepts Bezeichnung des Index´/ Indikators Ökonomi-
sche Di-
mension
Soziale
Dimension
Ökologi-
sche Di-
mension
National Accounts of Well- being x
Auf nationaler Ebene und auf Landesebene basieren Nachhaltigkeitsstrategien meist auf einer
Reihe von Indikatoren. Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie und die Nachhaltigkeitsstrate-
gie des Bundeslandes Hessen ähneln sich teilweise im Aufbau. Ein Unterschied ist, dass die
hessische Strategie in die Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziales und die Strategie der
Bundesregierung in die Leitbilder Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zu-
sammenhalt und internationale Verantwortung untergliedert ist. Die Nachhaltigkeitsstrategie
der Bundesregierung bietet einen Satz von 21 Indikatoren, welche durch eine regelmäßige
Überprüfung aktuell gehalten werden müssen.
Im Weiteren werden Indikatoren der hessischen Nachhaltigkeitsstrategie und die der nationa-
len Strategie aufgeführt. Zu der hessischen Strategie ist zu sagen, dass es sich bei den Indika-
toren vielmehr um Ziele handelt.
Tabelle 10: Indikatoren der hessischen Nachhaltigkeitsstrategie
Quelle: HESSISCHES MINISTERIUM FÜR UMWELT, ENERGIE, LANDWIRTSCHAFT UND
VERBRAUCHERSCHUTZ.(2011). Nachhaltigkeitsstrategie Hessen.
Ökologie Ökonomie Soziales
Energieproduktivität:
Bis 2020 Verdoppelung der Ener-
gieproduktivität gegenüber 1990,
mind. jedoch den Index Deutsch-
lands zum Jahr 2020 um 10 Punkte
übertreffen
Treibhausgasemissionen:
Nationales Ziel erreichen, Index
bis 2012 um 21 % und bis 2020 um
40 % senken
Adipositas (Fettleibigkeit) bei Kin-
dern:
Halbierung des Anteils adipöser
Kinder von 4,7 % im Jahr 2007 auf
2,4 % im Jahr 2020
Erwerbstätigenquote nach Alter:
Nationales Ziel erreichen:
Anstieg der Quote bis 2020 bei 15-
bis unter 65-Jährigen: 75 % 55- bis
unter 65-Jährigen: 57 %
Erneuerbare Energien:
Anteil der EE am Endenergiever-
brauch (EEV) der Sektoren Haus-
halte und Industrie bis 2020 auf 20
% erhöhen
b) EEV dieser Sektoren bis 2020
um 20 % gegenüber 2006 senken
Ausländische Schulabgänger mit
Schulabschluss:
Nationales Ziel (Angleichen der
Quote von ausländischen Schulab-
gängern an Quote deutscher Schü-
ler bis 2020) erreichen
Private und öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung
Modal Split: 18- bis unter 25- jährige ohne bzw.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 93
Ökologie Ökonomie Soziales
(FuE):
Nationales Ziel (Anteil der Ausga-
ben für FuE am BIP von 3 % bis
2010) erreichen und halten
a) Anstieg des Wegeanteils von
ÖPNV, Fahrrad und Fuß von 42 %
im Jahr 2008 auf 50 % im Jahr
2020
b) Nachhaltigere Gestaltung des
motorisierten Individualverkehrs
fördern
mit niedrigem Schulabschluss:
Nationales Ziel (Anteil bis 2020 auf
4,5 % senken) erreichen
BIP je Erwerbstätigen:
Indikator dient als Übergangslö-
sung
Siedlungs- und Verkehrsfläche:
Flächeninanspruchnahme von max.
2,5 ha/Tag ab 2020 (Zwischenzie-
le: 3,2 ha/Tag ab 2012 und 2,8
ha/Tag ab 2016)
Bildungsgerechtigkeit:
Aktueller Zielindikator wird durch
einen Indikator auf der Basis der
Bildungsstandards ersetzt, dann
wird Ziel festgelegt
Artenvielfalt:
Anstieg des Bestands repräsentati-
ver Vogelarten vom Indexwert 69
im Jahr 2009 auf 100 im Jahr 2020
Entwicklungszusammenarbeit:
Anstieg der Zahl der im Entwick-
lungspolitischen Netzwerk Hessen
zusammengefassten Organisationen
von 80 im Jahr 2009 auf 135 im
Jahr 2020
Die Handlungsfelder und die jeweiligen Indikatoren der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
sind anders aufgebaut als die der hessischen Strategie. Die Festlegungen der Ziele der Um-
weltpolitik wurden im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP im Jahr 2009 festge-
legt.
Erläuterung der Symbole für den Status der gesetzten Ziele
Zielwert des Indikators ist erreicht oder verbleibende „Wegstrecke“ wird bis zum Zieljahr
bewältigt (Abweichung weniger als 5 %).
Indikator entwickelt sich in die richtige Richtung, aber im Zieljahr verbleibt / verbliebe bei
unveränderter Fortsetzung der durchschnittlichen jährlichen Entwicklung noch eine Wegstre-
cke von 5 bis 20 % bis zur Erreichung des Zielwerts.
Indikator entwickelt sich in die richtige Richtung, aber im Zieljahr verbleibt / verbliebe bei
unveränderter Fortsetzung der durchschnittlichen jährlichen Entwicklung noch eine Wegstre-
cke von mehr als 20 % bis zur Erreichung des Zielwerts.
Indikator entwickelt sich in die falsche Richtung; Wegstrecke zum Ziel würde sich bei unver-
änderter Fortsetzung der durchschnittlichen jährlichen Entwicklung weiter vergrößern.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 94
Tabelle 11: Leitbilder und Indikatoren der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
Quelle: STATISTISCHES BUNDESAMT (2012). Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Indikatorenbericht 2012
Indikatorenbereiche Indikatoren Ziele Status
Generationsgerechtigkeit
Ressourcenschonung
Ressourcen sparsam und effizi-
ent nutzen
Energieproduktivität
Verdoppelung von 1990
bis 2020
Primärenergieverbrauch
Senkung um 20% bis 2020
und um 50% bis 2050
jeweils gegenüber 2008
Rohstoffproduktivität Verdoppelung von 1994
bis 2020
Klimaschutz
Treibhausgase reduzieren
Treibhausgasemissionen Reduktion um 21% bis
/2012, um 40% bis 2020
und um 80 bis 95% bis
2050, jeweils gegenüber
1990
Erneuerbare Energien
Zukunftsfähige Energieversor-
gung ausbauen
Anteil erneuerbarer Energien
am Endenergieverbrauch
Anstieg auf 18% bis 2020
und 60% bis 2050
Anteil des Stroms aus erneu-
erbaren Energiequellen am
Stromverbrauch
Anstieg auf 12,5% bis
2010, auf mind. 35% bis
2020 und auf mind. 80%
bis 2050
Flächeninanspruchnahme
Nachhaltige Flächennutzung
Anstieg der Siedlungs- und
Verkehrsfläche
Reduzierung des täglichen
Zuwachses auf 30ha bis
2020
Artenvielfalt
Arten erhalten- Lebensräume
schützen
Artenvielfalt und Land-
schaftsqualität
Anstieg auf den Indexwert
100 bis zum Jahr 2015
Staatsverschuldung
Haushalte konsolidieren- Gene-
Staatsdefizit Jährliches Staatsdefizit
kleiner als 3% des BIP
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 95
Indikatorenbereiche Indikatoren Ziele Status
rationsgerechtigkeit schaffen Strukturelles Defizit Strukturell ausgeglichener
Staatshaushalt , gesamt-
staatliches strukturelles
Defizit von max. 0,5% des
BIP
Schuldenstand Schuldenstandsquote max.
60% des BIP
Wirtschaftliche Zukunftsvor-
sorge
Gute Investitionsbedingungen
schaffen- Wohlstand dauerhaft
erhalten
Verhältnis der Bruttoanlagen-
investition zum BIP
Steigerung des Anteils
Innovation
Zukunft mit neuen Lösungen
gestalten
Private und öffentliche Aus-
gaben für Forschung und
Entwicklung
Steigerung auf 3% des
BIP bis 2020
Bildung
Bildung und Qualifikation kon-
tinuierlich verbessern
18- bis 24-jährige ohne Ab-
schluss
Verringerung des Anteils
auf unter 10% bis 2020
30- bis 34- jährige mit tertiä-
rem oder postsekundarem
nicht tertiären Abschluss
Steigerung des Anteils auf
42% bis 2020
Studienanfängerquote Erhöhung auf 40% bis
2010, anschließend weite-
rer Ausbau und Stabilisie-
rung auf hohem Niveau
Lebensqualität
Wirtschaftliche Leistungsfä-
higkeit
Wirtschaftsleistung umwelt-
und sozialverträglich steigern
BIP je Einwohner Wirtschaftliches Wachs-
tum
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 96
Indikatorenbereiche Indikatoren Ziele Status
Mobilität
Mobilität sichern- Umwelt
schonen
Gütertransportintensität Absenkung auf 98% ge-
genüber 1999 bis 2010
und auf 95% bis 2020
Personentransportintensität Absenkung auf 90% ge-
genüber 1999 bis 2010
und auf 80% bis 2020
Anteil des Schienenverkehrs
an der Güterbeförderungsleis-
tung
Steigerung auf 25% bis
2015
Anteil der Binnenschifffahrt
an der Güterbeförderungsleis-
tung
Steigerung auf 14% bis
2015
Landbewirtschaftung
In unseren Kulturlandschaften
umweltverträglich produzieren
Stickstoffüberschuss Verringerung bis auf 80
kg/ha landwirtschaftlich
genutzter Fläche bis 2010,
weitere Absenkung bis
2020
Ökologischer Landbau115 Erhöhung des Anteils des
ökologischen Landbaus an
der landwirtschaftlich
genutzten Fläche auf 20%
in den „nächsten Jah-
ren“116
Luftqualität
Gesunde Umwelt erhalten
Schadstoffbelastung der Luft Verringerung auf 30%
gegenüber 1990 bis 2010
115 Nach Kapitel 2.1.1. „Ökologie“ ist auch der Begriff „ökologische Landwirtschaft“ ein unsinniger Begriff, da
dies strenggenommen keine Aussage über die Bewirtschaftungsform macht. Mit ökologischer Landwirt-
schaft ist eine umweltschonende Kreislaufwirtschaft, im Sinne von z.B. dem Demeter- Standard gemeint.
116 An diesem Beispiel ist zu sehen, dass es wichtig ist konkrete Ziele zu setzen. Die Bedeutung von „nächsten
Jahre“ ist interpretierbar.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 97
Indikatorenbereiche Indikatoren Ziele Status
Gesundheit und Ernährung
Länger gesund leben
Vorzeitige Sterblichkeit (To-
desfälle pro 100.000 Einwoh-
ner unter 65 Jahren) Männer
Rückgang auf 190 Fälle
pro 100.000 bis 2015
Vorzeitige Sterblichkeit (To-
desfälle pro 100.000 Einwoh-
ner unter 65 Jahren) Frauen
Rückgang auf 115 Fälle
pro 100.000 bis 2015
Raucherquote von Jugendli-
chen (12 bis 17 Jahre)
Absenkung auf unter 12%
bis 2015
Raucherquote von Erwachse-
nen (ab 15 Jahre)
Absenkung auf unter 22%
bis 2015
Anteil der Menschen mit
Adipositas (Fettleibigkeit)
(Erwachsene ab 18 Jahre)
Rückgang bis 2020
Kriminalität
Persönliche Sicherheit weiter
erhöhen
Straftaten Rückgang der Zahl der
erfassten Fälle je 100.000
Einwohner auf unter 7.000
bis zum Jahr 2020
Sozialer Zusammenhalt
Beschäftigung
Beschäftigungsniveau steigern
Erwerbstätigenquote insge-
samt (15 bis 64 Jahre)
Erhöhung auf 73 % bis
2010 und 75% bis 2020
Erwerbstätigenquote Ältere
(55 bis 64 Jahre)
Erhöhung auf 55 % bis
2010 und 60% bis 2020
Perspektiven für Familien
Vereinbarkeit von Familie und
Beruf verbessern
Ganztagsbetreuung für Kinder
0- bis 2-jährige
Anstieg auf 30% bis 2010
und 35% bis 2020
Ganztagsbetreuung für Kinder
3- bis 5-jährige
Anstieg auf 30% bis 2010
und 60% bis 2020
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 98
Indikatorenbereiche Indikatoren Ziele Status
Gleichstellung
Gleichstellung in der Gesell-
schaft fördern
Verdienstabstand zwischen
Männern und Frauen
Verringerung des Ab-
stands auf 15 % bis 2010
und auf 10% bis 2020
Integration
Integrieren anstatt ausgrenzen
Ausländische Schulabsolven-
ten mit Schulabschluss
Erhöhung des Anteils der
ausländischen Schulab-
gänger mit mindestens
Hauptschulabschluss und
Angleichung an die Quote
deutscher Schulabgänger
bis 2020
Internationale Verantwortung
Entwicklungszusammenarbeit
Nachhaltige Entwicklung unter-
stützen
Anteil öffentlicher Entwick-
lungsausgaben am Bruttonati-
onaleinkommen
Steigerung auf 0,51% bis
2010 und 0,7% bis 2015
Märkte öffnen
Handelschancen der Entwick-
lungsländer verbessern
Deutsche Einfuhren aus Ent-
wicklungsländern
Weiterer Anstieg
Ein weiterer Ansatz zur Indikatorenaufstellung ist der DPSIR- Ansatz (Abb. 17), welcher un-
ter anderem für die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt herangezogen wurde (s. Kap.
4.3.1.). Es handelt sich um eine vereinfachte Darstellung vom Bezug einer Umweltbelastung
zu einer Umweltschutzmaßnahme. Dieses Indikatorenkonzept wird z.B. von der europäischen
Umweltagentur (EEA), dem United Nations Environment Programme (UNEP) und dem
Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) genutzt. Dieser Ansatz besteht aus folgenden
Komponenten:
Driving Forces (Treibende Kräfte): Die Triebkräfte beschreiben Bereiche des Lebens,
welche durch Prozesse einen gewissen Druck auf die Umwelt ausüben können, z.B.
die chemische Industrie, Haushalte, etc.;
Pressure (Belastungen): Die Belastungen erfolgen durch die „Driving Forces“, als Ab-
fälle, Flächenversiegelung, etc.;
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 99
State (Zustand): Der Zustand beschreibt ein Umweltmedium, welches den Belastun-
gen ausgesetzt ist, z.B. ein Oberflächengewässer;
Impacts (Auswirkungen): Die Auswirkung ist die Wirkung durch die Belastung, z.B.
der Treibhauseffekt oder Wasserverschmutzung;
Responses (Reaktion/ Maßnahme): Mit einer Reaktion oder Maßnahme wird auf die
Auswirkungen reagiert, mit z.B. einer Anpassung oder Umweltforschung, etc.;117
Abbildung 17: Beispiel einer DPSIR- Analyse im Bereich Lärm
Quelle: Eigene Bearbeitung nach BUNDESAMT FÜR UMWELT (BAFU) (2011). Umweltzustand
3.6 Übersicht, Zusammenfassung und Ergänzungen der Bewertungsmodelle
Die vorgestellten Bewertungsinstrumente sollen nun zusammengefasst und verglichen wer-
den. Drei der Kriterien sind zum einen die Nachhaltigkeitsdimensionen, Ökologie, Ökonomie
und Soziales, nach welchen die Instrumente je nach Ausrichtung farblich markiert sind.
117 BUNDESAMT FÜR UMWELT (BAFU)(2011). Umweltzustand
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 100
Weitere Kriterien sind Ähnlichkeit mit anderen Instrumenten, Objektivität, Reproduzierbar-
keit, Operabilität und Vollständigkeit. Objektivität ist grundsätzlich darauf bezogen, ob ein
Verfahren mit Hilfe von Kennzahlen, monetären Werten oder ausschließlich verbal argumen-
tativ ausgeführt wird. Reproduzierbarkeit gibt in diesem Zusammenhang Aufschluss darüber,
ob ein Verfahren beliebig oft wiederholt werden kann mit dem gleichen Ergebnis oder ob
dieses aufgrund von fehlender Standardisierung und Subjektivität unterschiedlich ausfallen
würde. Das Kriterium Vollständigkeit bezieht sich auf die drei Bereiche der Nachhaltigkeit.
Da die meisten vorgestellten Instrumente nur eine Dimension behandeln, sind diese demnach
nicht vollständig.
Die vorgestellten Bewertungsmodelle richten sich an bestimmte Nutzergruppen. Zu diesen
gehören Unternehmen, Behörden, weitere staatliche Einrichtungen, etc. Daraus ist zu schlie-
ßen, dass es nicht für alle Lebensbereiche Nachhaltigkeitsmessmethoden bzw. Ansätze dafür
gibt.
Als Ergänzung zu Kapitel drei ist deshalb hinzuzufügen, dass der private Lebensbereich, d.h.
der Lebensstil, bisher bzgl. Nachhaltigkeit unberührt ist. Gewisse Verhaltensweisen werden
indirekt durch Gesetze gelenkt (BauGB, BGB, etc.) aber das Konsumverhalten beispielsweise
wird nicht rechtlich gelenkt, d.h. dafür gibt es keine Nachhaltigkeitsmessungen. Derzeit arbei-
tet das Umweltbundesamt daran, rechtliche Instrumente zur Förderung eines nachhaltigen
Konsums heraus zu arbeiten. Zu den auf Produkte bezogenen Instrumenten gehören, „Besteu-
erung des Produktkaufs“, „Privilegierung von Sharing- Produkten“, „Produktnutzungsverbo-
te“ und „Pfand auf Elektrogeräte“.118
Darüber hinaus wurden im englischen Sprachraum, überwiegend in England, sogenannte Per-
sonal Carbon Trading (pct)- Konzepte entwickelt- Emissionshandelkonzepte, welche Emissi-
onen der Privathaushalte mit einbeziehen. Folgende Konzepte werden derzeit diskutiert:119
118 UMWELTBUNDESAMT (2012). Rechtliche Instrumente zur Förderung des nachhaltigen Konsums- am Beispiel
von Produkten
119 LEXIKON DER NACHHALTIGKEIT (2012). Personal Carbon Allowances: Emissionshandelrechte für
Prinvathaushalte
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 101
TEQ (Tradable Energy Quotas) bzw. DTQ (Domestic Tradable Quotas): In diesem
Konzept werden alle Emissionen von Industrie und Gesellschaft erfasst, d.h. das her-
kömmliche System des Emissionshandels würde durch das TEQ- System abgelöst
werden. TEQ wurde von David Fleming120
entwickelt und wird seit 2003 vom“ Tyn-
dall Centre for Climate Change Research“ in England weiterentwickelt;
PCA (Personal Carbon Allowances): Dieses Konzept erfasst und vermarktet die in-
dustriellen und gesellschaftlichen Emissionen getrennt voneinander. Im Privaten Be-
reich wird der Transport, inkl. ÖPNV und das Heizen besonders betrachtet. Dieses
System würde dem bisherigen Emissionshandelsystem hinzugefügt werden. PCA
wurde von Mayer Hillman und Tina Fawcett am Environmental Change Institut in Ox-
ford, England entwickelt;
Carbon Credit Card: Die Carbon Credit Card bzw. CO2- Karte, wurde in England be-
reits durch das Umweltministerium angekündigt. Mit diesem Instrument soll der Kon-
sument neben dem Verkaufspreis eines Produktes auch CO2- Punkte zahlen, die dem
Konsument jährlich in geringer werdenden Mengen zugeteilt werden. Falls die ihm
zugeteilten Punkte für seinen Lebensstil nicht ausreichen, kann die Person über eine
Börse von einer anderen Person, die z.B. kein Auto hat oder allgemein sparsam ist, zu-
sätzliche Punkte monetär erwerben (das Prinzip ähnelt dem derzeitigen
Emissionshandelsystem);
Abschließend ist zu der Übersicht der Modelle nochmals zu betonen, dass es bisher keine
rechtlich verankerten Nachhaltigkeitsbewertungskonzepte gibt, die Produkte, Prozesse, etc.
als nachhaltig verifizieren. Es gibt zwar Konzepte, die Produkte, Prozesse, etc. untereinander
vergleichen und aus dem Vergleich schließen, welches von den verglichenen Produkte, Pro-
zessen, etc. nachhaltiger ist als das andere, da die ökologischen, ökonomischen oder sozialen
Auswirkungen geringer sind, aber ob es an sich nachhaltig ist, kann das Modell nicht beurtei-
len, da die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.
120 Dr. David Fleming (1940- 2010) war ein englischer Umweltaktivist aus London, der neben der Entwicklung
von TEQ an dem Konzept „Peak Oil“ und weiterer Umweltaktivitäten mitgewirkt hat.
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 102
Tabelle 12: Übersicht der Bewertungsmodelle
Quelle: Eigene Bearbeitung
Ökolo-
gie
Öko-
nomie
Sozia-
les
Ähnlichkeit
mit:
Objek-
tivität
Repro-
duzierba
rkeit
Ope-
rabilitä
t
Voll-
ständig
keit
Produkte
Ökobilanz (LCA) UBP, SSA - - + -
Methode der öko-
logischen Knapp-
heit (UBP)
LCA, SSA + + + -
Technikfolgenab-
schätzung (TA)
PA - - - +
Produktfolgenab-
schätzung (PA)
TA, PLA,
PROSA
- - - +
Produktlinienana-
lyse (PLA)
PA, PROSA - - + +
Lebenszykluskos-
tenrechnung (LCC)
+ - + -
Sozialbilanz
(SLCA)
- - + -
Stoffstromanalyse
(SSA)
LCA, UBP - - + -
PROSA PA, PLA - - + +
FSC + + + +
MSC + + + +
Projekte
Nutzen- Kosten-
Analyse (NKA)
+ + + +
Kostenwirksam-
keitsanalyse
(KWA)
- - + +
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 103
Ökolo-
gie
Öko-
nomie
Sozia-
les
Ähnlichkeit
mit:
Objek-
tivität
Repro-
duzierba
rkeit
Ope-
rabilitä
t
Voll-
ständig
keit
UVP - - + -
DGNB + + + +
LEED + + + +
Programme und Pläne
SUP - - + -
ROP - - + +
Institutionen
Nachhaltigkeitsprü-
fung für Gesetzes-
entwürfe (NP)
- - + +
Nachhaltigkeits-
check (NC)
- - + +
Umweltökonomi-
sche Gesamtrech-
nung (UGR)
+ + - -
EMAS ISO 14001,
Ökoprofit
+ + + -
ISO 14001 Ökoprofit,
EMAS
+ + + -
Ökoprofit EMAS, ISO
14001
+ + + +
Indikatoren
+ + + +
Die Methoden, die nur ökologische Belange untersuchen weisen Ähnlichkeiten auf. Die Öko-
bilanz, die Methode der ökologischen Knappheit und die Stoffstromanalyse sind sich ähnlich,
wenn auch die Methode der ökologischen Knappheit wohl am detailliertesten und am objek-
tivsten ist, wobei die Ökobilanz im Gegensatz zu den zwei Methoden international genormt
ist. Die Methode der ökologischen Knappheit ist in der Wirkungsabschätzung, gepaart mit
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 104
einer verbal argumentativen Beschreibung, sinnvoll einzusetzen, um ein konkretes Ergebnis
zu erzielen. Wie erwähnt, ist die Stoffstromanalyse meistens die Sachbilanz innerhalb der
Ökobilanz. Vom Aufbau ausgehend, sind sich Ökobilanz, Lebenszykluskostenrechnung und
Sozialbilanz sehr ähnlich. Wie in Kapitel 3.1.5. bereits erwähnt wurde, ist die Kombination
der drei Instrumente, unter der Voraussetzung des gleichen Untersuchungsraumes und einer
Vereinheitlichung des Ablaufs, die Basis einer Nachhaltigkeitsbewertung.
Da die Produktlinienanalyse die Vorläufermethode von PROSA ist, sind sich beide Verfahren
sehr ähnlich. PROSA stellt einen Rahmen dar für die Kombination von Öko-, Kosten-, Sozial-
und Nutzenbilanz. Die Besonderheiten sind die anschließenden Bewertungen der Bilanzen
und die Integration des Nutzens.
Die aufgeführten Umweltmanagementsysteme sind sich ähnlich, variieren jedoch hinsichtlich
der Qualitätsansprüche. Wie erwähnt, erfüllt EMAS, gefolgt von ISO 14001 und
ÖKOPROFIT die höchsten Qualitätsstandards. Im Gegenzug ist es zeitlich und finanziell um
einiges aufwendiger ein EMAS- oder ein ISO- Zertifikat zu erhalten, als ein ÖKOPROFIT-
Zertifikat.
Für die Sparte „Produkte“ wird deutlich, dass sich die erläuterten Instrumente besonders für
die Produktbewertung in Unternehmen eignen. Die Instrumente für Projekte, Pläne und Pro-
gramme sind eher für Aufträge der öffentlichen Hand- der Behörden, Kommunen und weite-
ren staatlichen Einrichtungen geeignet. Die Umweltmanagementsysteme sind zwar hauptsäch-
lich in Unternehmen üblich, können jedoch auch ohne weiteres in Kommunen und öffentli-
chen Institutionen eingeführt werden.
Zu den Indikatoren ist zu sagen, dass sich teilweise Kriterien besser eignen als Indikatoren,
vor allem auf der Mikroebene, auf die sich die folgenden Beispiele des Kapitels vier beziehen.
Indikatoren sind meist zahlenbasiert, was zwar eine gute Vergleichbarkeit, Objektivität und
Kommunizierbarkeit gewährleistet, jedoch ist diese zahlenmäßige Fassbarkeit oft nicht gege-
ben und möglich. Kriterien hingegen können an die Bedürfnisse der kommunalen Ebene und
an die örtlichen oder regionalen Gegebenheiten angepasst werden. Der Unterschied zwischen
Kriterien und Indikatoren ist besonders gut in Kapitel 3.1.11 des FSC zu erkennen. Kriterien
sind maßnahmenbezogen und zielorientiert- Indikatoren hingegen sind Zustände, an denen der
Bewertungsmodelle und -kriterien
Seite 105
Zielerreichungsgrad abzulesen ist. Bei einer Heranziehung von Kriterien sind jedoch die Pa-
rameter Vergleichbarkeit, Objektivität und Kommunizierbarkeit nicht mehr gegeben.
Im Folgenden sollen nun praktische Beispiele erläutert werden- einerseits um den theoreti-
schen Teil der Kapitel zwei und drei greifbarer zu machen und andererseits um zu prüfen, ob
die vorgestellten Bewertungsmethoden in der Praxis in verschiedenen Sektoren nützlich und
geeignet sind, eine nachhaltige Entwicklung verstärkt in die Wege zu leiten.
Themenkomplexe
Seite 106
4. Themenkomplexe
Klimaschutz, welcher im Themenfeld Nachhaltigkeit eine dominierende Größe einnimmt,
kann in drei zentrale Transformations- oder Aufgabenfelder untergliedert werden. Dies sind
erstens die Energiesysteme, zweitens die urbanen Räume und drittens die Landnutzungssys-
teme.121
Dieses Kapitel stellt drei Bereiche oder Akteure vor, in denen teilweise schon eine nachhalt i-
ge Entwicklung stattfindet und angestrebt wird. In Unternehmen, Kommunen und in der
Landnutzung kann nachhaltig gewirtschaftet werden. Jedoch besteht auch hier das Problem,
dass aufgrund der mangelnden Bewertungs- und Messinstrumente die Frage, was nun eine
nachhaltige Bewirtschaftung ist und was nicht, nur unbefriedigend beantwortet werden kann.
Jedoch eignen sich Kommunen und Unternehmen insbesondere als konkrete Vorzeigemodel-
le, um darzustellen, wie Nachhaltigkeit im Kleinen umzusetzen ist. Eine nachhaltige Gesell-
schaft scheint eine gigantische, nach menschlichem Ermessen unlösbare Aufgabe zu sein, was
oft zu Resignation und Apathie führt. Deshalb ist es hilfreich, produktiv und motivierend,
anhand von konkreten Zielen und Zwischenzielen Lösungen zu erarbeiten, diese zu verbreiten
und als Modelle zu präsentieren.122
Abschließend soll in diesem Kapitel erörtert werden, in wie fern die drei Themenfelder in
Beziehung zu den vorherig dargestellten Bewertungsmodellen und –kriterien stehen. Dies soll
geschehen indem Tabelle 12 ergänzt wird.
4.1 Unternehmen- Nachhaltigkeit in der privaten Wirtschaft
Nachhaltigkeitsmanagement ist zunehmend fester Bestandteil strategischer Unternehmenspo-
litik geworden. Dabei nehmen Unternehmen eine bedeutende Rolle ein, wenn es darum geht,
neue nachhaltige Methoden zu etablieren. Diese Methoden beziehen sich meistens auf Pro-
dukte, Dienstleistungen und das Unternehmensmanagement. Die meisten Firmen stehen in der
Mitte der Kette zwischen Primärproduzent und Konsument. So kann Einfluss von verschiede-
121 WBGU (2011). Gutachten- Gesellschaftsvertrag. S. 63
122 WBGU (2011). Gutachten- Gesellschaftsvertrag. S. 255
Themenkomplexe
Seite 107
nen Seiten erfolgen. Einerseits können Unternehmen Druck bzgl. einer nachhaltigeren Erzeu-
gung,- auf ihre Lieferanten ausüben, so wie etwa die Organisation FSC bestimmte Standards
von allen Firmen entlang der Verarbeitungs,- Liefer- und Produktionskette verlangt. Anderer-
seits können Konsumenten und die Öffentlichkeit,- Druck auf die Unternehmen ausüben, in
dem sie z. B. umweltbewusst handelnde Konzerne bevorzugen. Bis zu einem gewissen Grad
liegt es in der Verantwortung der Öffentlichkeit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass
ein Unternehmen seine Wirtschaftsweise überdenkt und gegebenenfalls umstellt.123
Sicherlich
ist diese Umstellung je nach Lobby und Branche mit verschiedenen Schwierigkeiten verbun-
den.
Im Folgenden wird der Chemiekonzern BASF und dessen Wirtschaftsweise bzgl. Nachhaltig-
keitsmanagement und -bewertung dargestellt.
4.1.1.1 Nachhaltige Chemie- Konzepte
In diesem Kapitel werden verschiedene Initiativen und Programme der chemischen Industrie
dargestellt, deren Anforderungen und Standards einige Chemiekonzerne, unter anderem auch
der folgende Beispielkonzern BASF, im Rahmen einer Mitgliedschaft oder ähnlicher Ver-
pflichtungen, erfüllen. Zusätzlich zu folgenden Konzepten, welche die BASF alle in das Un-
ternehmensmanagement integriert hat und die sich grundsätzlich auf das Management einer
Firma beziehen, werden in Kapitel 4.1.1.3. einige BASF interne Nachhaltigkeitsbewertungs-
methoden vorgestellt, welche ausschließlich für die Produktentwicklung und –bewertung an-
gewendet werden.
Die folgenden Initiativen resultieren aus dem Umstand, dass die chemische Industrie ihrer
gesellschaftlichen Aufgabe, der sogenannten „Corporate Social Responsibility (CSR)“ gerecht
zu werden versucht.
Responsible Care (RC), 1985 in Kanada initiiert, ist eine weltweite Initiative, auf welche sich
chemische Unternehmen auf freiwilliger Basis einlassen können, mit dem Ziel, über Vorge-
schriebenes hinaus Nachhaltigkeit in der chemischen Industrie zu fördern, Produktverantwor-
tung zu übernehmen, mehr Sicherheit für Werke und Nachbarschaft zu schaffen, sowie den
123 J. DIAMOND (2011). Kollaps. S. 596
Themenkomplexe
Seite 108
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und den Umweltschutz zu verbessern. Mittlerweile führen
Chemieverbände in 53 Ländern der Welt Responsible Care- Programme durch. Zwischen den
Teilnehmern besteht ein Netzwerk, durch das ein regelmäßiger Austausch, z.B. in Form von
Konferenzen, stattfindet. In Deutschland wird das RC- Programm vom Verband der chemi-
schen Industrie (VCI) gemanagt. Die RC- Initiative wird als Beitrag der Chemieindustrie zur
nachhaltigen Entwicklung gesehen.124
Der der Initiative zugrunde liegende Managementansatz basiert auf den international aner-
kannten Elemente des Regelkreises „Plan- Do- Check- Act“ (s.Abb.16).
Die Unternehmen müssen ihr Vorgehen selbst bewerten und darüber hinaus Verifizierungs-
verfahren anwenden, die entweder von Verbänden, staatlichen Stellen oder anderen externen
Organisationen durchgeführt werden. Der internationale Chemieverband ICCA hat im Jahr
2006 ausführliche Grundsätze veröffentlicht, an denen sich alle nationalen Programme aus-
richten. Diese Grundsätze sind in Deutschland vom VCI in elf Leitlinien weiterentwickelt
worden. Unternehmen, die Mitglied im RC- Verband sind, müssen die Anforderungen der im
Jahr 2007 aktualisierten Leitlinien erfüllen, welche wie folgt lauten:125
Sicherheit und Schutz von Mensch und Umwelt;
Bewusstseinsstärkung für Sicherheit und Umwelt der Mitarbeiter;
Transparenz für die Öffentlichkeit;
Ständige Verbesserung der Sicherheit der Produkte;
Informationen zu Vorschriften über den sicheren Transport, die Lagerung, die sichere
Anwendung, Verwertung und Entsorgung der Produkte;
Kontinuierliche Erweiterung des Wissens über die Produkte und Verfahren;
Die Vermarktung von Produkten einschränken oder deren Produktion einstellen, falls
die Vorsorge zum Schutz vor Gefahren für Gesundheit und Umwelt dies erfordert;
Die Produktionsanlagen müssen sicher für Gesundheit und Umwelt sein;
124 RESPONSIBLE CARE (2010). Verantwortliches Handeln der Chemie in Deutschland
125 VERBAND DER CHEMISCHEN INDUSTRIE (2010). Responsible Care: Verantwortliches Handeln der Chemie in
Deutschland. S.5
Themenkomplexe
Seite 109
Wissen und Erfahrung in die Erarbeitung praxisnaher und wirkungsvoller Gesetze,
Verordnungen, Normen und Standards einbringen;
Die Unternehmen betreiben und fördern den Dialog mit ihren Stakeholdern;
Unterstützung des nationalen Responsible-Care-Programms;
Werden diese Leitlinien umgesetzt, wird die Firma mit dem auf drei Jahre limitierten Zertifi-
kat „Responsible Care“ ausgezeichnet. Die Leitlinien fließen zur Konkretisierung wiederrum
in Projekte ein. Ein Projekt im Rahmen von RC kann z.B. eine Betriebsleitertagung zu Si-
cherheit und Umweltschutz sein oder ein vorbildliches Qualifizierungs- und Ausbildungspro-
gramm. Grundsätzlich beachtet RC nicht nur umweltbezogene Aspekte, sondern auch die Be-
reiche betriebliche Sicherheit und Arbeitnehmerschutz, was RC von Managementsystemen,
wie EMAS und ISO 14001 unterscheidet. Desweiteren ist RC ausschließlich RC auf die che-
mische Industrie zugeschnitten, wohingegen EMAS oder ISO 14001 auf verschiedene Bran-
chen abgestimmt werden können.
Responsible Care spannt einen Bogen zu weiteren Programmen der chemischen Industrie, wie
z.B. REACH (Registration, Evaluation, Authorization of Chemicals) oder Global Product
Strategy (GPS).
REACH ist eine EG- Verordnung, die Hersteller oder Importeure verpflichtet, gefährliche
Eigenschaften von Stoffen sowie deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und
auf die Umwelt zu analysieren. Durch REACH werden potentiell gefährliche Bestandteile in
Gebrauchsgegenständen ermittelt. Als Konsequenz werden diese Stoffe verboten oder be-
schränkt. Desweiteren müssen Hersteller und Importeure den Verbraucher mit Informationen
möglicher gefährlicher Eigenschaften sowie mit Auskünften über einen sicheren Gebrauch
versorgen. Mittels REACH werden in den nächsten elf Jahren ca. 30.000 Stoffe registriert.
Prioritär werden die am häufigsten hergestellten und bedenklichsten Stoffe registriert, bewer-
tet und unter Bedingungen zugelassen, bzw. beschränkt oder verboten.
Die europäische Chemikalienagentur (ECHA) verwaltet das REACH- Programm, wobei die
Europäische Kommission und die Bundesstelle für Chemikalien, welche bei der Bundesan-
Themenkomplexe
Seite 110
stalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin angesiedelt ist, ebenfalls vor allem im Risiko-
management über Verwaltungs- und Bestimmungsrecht verfügen. 126
Die „Global Product Strategy“ (GPS) ist wie RC eine Initiative des Weltchemieverbandes
ICCA, im Rahmen derer sich Mitglieder der chemischen Industrie verpflichten, weltweit eine
umfangreiche Produktverantwortung (Product Stewardship) zu übernehmen. GPS umfasst das
Ermitteln von Informationen für alle vermarkteten Stoffe (physikalisch- chemische Parameter,
toxikologische und ökotoxikologische Daten, Informationen zur Verwendung und Exposit i-
on), sowie die Risikobewertung auf deren Basis. Für Stoffe mit erhöhtem Gefährdungspoten-
tial oder einer hohen Exposition von Mensch oder Umwelt werden stufenweise mehr Informa-
tionen verlangt. Dabei wird deutlich, dass das Ziel von GPS darin liegt, Stoffe auf deren Ri-
siko hin zu bewerten und dementsprechend zu managen. Das Vertrauen in die chemische In-
dustrie und in ihre Produkte soll dadurch verbessert werden. Zudem sollen durch das Verfol-
gen der GPS Standards und Verfahrensweisen zur Wahrnehmung von Produktverantwortung
international angeglichen werden.127
GPS steht in Zusammenhang mit REACH, RC und GHS128
. Zusammen mit der RC- Initiative
ist GPS der Kernbeitrag der chemischen Industrie zum „Strategic Approach to International
Chemicals Management“ (SAICM), sprich dem strategischen Ansatz zum internationalen
Chemikalienmanagement der internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen der Vereinten
Nationen, Für Unternehmen, welche in der EU ihren Sitz haben, geht die Umsetzung von
GHS, GPS und REACH Hand in Hand. 2018 ist die gesetzte Frist bei GPS, für alle vermark-
teten Stoffe die sicherheitsrelevanten Basisinformationen und Risikobewertungen erarbeitet
zu haben. Für REACH gilt ebenfalls das Jahr 2018 als letzte Registrierungsfrist für alle pro-
duzierten Stoffe zwischen 1- 100 Tonnen pro Jahr. Im Rahmen von REACH und GPS müssen
126 UMWELTBUNDESAMT (2012). REACH
127 VERBAND DER CHEMISCHEN INDUSTRIE (2010). Responsible Care. Projekte zu Umweltschutz, Gesundheit,
Sicherheit. S. 11
128 GHS (Globally Harmonised System) ist ein System, welches ambitioniert ist, ein weltweit einheitliches Sys-
tem zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien zu sein und zu schaffen. In den Ländern, in wel-
chen GHS eingeführt wird, werden Chemikalien in Zukunft nach einheitlichen Kriterien eingestuft und ge-
kennzeichnet, sodass Ungleichheiten zwischen den Nationen behoben werden. (Umweltbundesamt. Chemi-
kalienpolitik und Schadstoffe.2012)
Themenkomplexe
Seite 111
die erarbeiteten Ergebnisse öffentlich kommuniziert werden und bis zum Jahr 2018 der Öf-
fentlichkeit verständliche Informationen über die jeweiligen Stoffe zur Verfügung gestellt
werden. Für alle genannten Initiativen gilt es die Transparenz gegenüber Kunden und der Öf-
fentlichkeit zu erhöhen- z.B. durch Veröffentlichung von sicherheitsrelevanten Produktinfor-
mationen auf der firmeneigenen Internetseite. Eine weitere Maßnahme für eine bessere
Transparenz wäre, wenn Unternehmen ihren Kunden zeigten, dass sie ihre produzierten Stoffe
unter REACH und/oder GPS vorregistriert oder registriert haben. Dadurch wirkt das Unter-
nehmen vertrauenswürdig und leistet seinen Beitrag zu „Product Stewardship“ und“ Corpora-
te Social Responsibility“, welcher so zu sagen als Beweis für einen verantwortungsbewussten
Umgang mit der Produktion und dem Handel von Chemikalien gedeutet werden kann.
Dabei unterscheiden sich REACH und GPS in der Hinsicht, als dass die Anforderungen von
GPS auch für Stoffe gelten, die von europäischen Unternehmen außerhalb der EU hergestellt
und vermarktet werden. Grundlegend leisten die gesetzlichen Standards von REACH und
GPS die von Responsible Care geforderte Produktverantwortung.
Neben den genannten Initiativen, Programmen und Übereinkommen gibt es selbstverständlich
weitere nennenswerte, wie z.B. das Stockholmer Übereinkommen, das Rotterdammer Über-
einkommen und das Basler Übereinkommen (s. Abb. 18).
Zur besseren Übersicht zeigt Abbildung 18, in welchem Zusammenhang und in welcher Hie-
rarchie die erläuterten Initiativen, Programme und Verordnungen zueinander stehen.
Themenkomplexe
Seite 112
Abbildung 18: Übersicht der Einzelinitiativen im Chemikalienmanagement
Quelle: Eigene Bearbeitung u.a. nach Umweltbundesamt (2012). Nachhaltige Chemie
Auch das Umweltbundesamt (UBA) beschäftigt sich zunehmend mit dem Thema „Nachhalti-
ge Chemie“. Dabei betont es zusammenfassend, dass das Konzept der nachhaltigen Chemie
Themenkomplexe
Seite 113
das Ziel hat, vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutz mit einer innovativen ökonomi-
schen Strategie zu verbinden, welche zu mehr Beschäftigung führen soll.
Als beispielhaften Ansatz für die Umsetzung von nachhaltiger Chemie wird Anhang IV der
„Richtlinie zur integrierten Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzungen
(IVU- Richtlinie)“ der EG aufgeführt129
. Dieser enthält zwölf Leitkriterien, welche in einer
nachhaltigen chemischen Produktion einzuhalten sind. Diese sind:
Einsatz abfallarmer Technik;
Einsatz weniger gefährlicher Stoffe; Hierzu hat auch das UBA zusammen mit der Or-
ganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr
2004 das Kriterium der „qualitativen Entwicklung“ erarbeitet, welches fordert, unge-
fährliche Stoffe, oder, wo dies nicht möglich ist, Stoffe mit geringer Gefährlichkeit für
Mensch und Umwelt einzusetzen und ressourcenschonend produzierte und langlebige
Produkte herzustellen;
Förderung der Rückgewinnung und Wiederverwertung der bei den einzelnen Verfah-
ren erzeugten und verwendeten Stoffe und ggf. der Abfälle;
Vergleichbare Verfahren, Vorrichtungen und Betriebsmethoden, die mit Erfolg im in-
dustriellen Maßstab erprobt wurden;
Fortschritte in der Technik und in den wissenschaftlichen Erkenntnissen; Das Kriteri-
um „Wirtschaftliche Innovation“ des UBA und der OECD fordert nachhaltige Chemi-
kalien, Produkte und Produktionsweisen, welche bei den industriellen Anwendern und
bei den privaten Konsumenten Vertrauen schaffen und damit Wettbewerbsvorteile er-
schließen;
Art, Auswirkungen und Menge der jeweiligen Emissionen;
Zeitpunkte der Inbetriebnahme der neuen oder der bestehenden Anlagen;
Für die Einführung einer besseren verfügbaren Technik erforderliche Zeit;
Verbrauch an Rohstoffen und Art der bei den einzelnen Verfahren verwendeten Roh-
stoffe (einschließlich Wasser) sowie Energieeffizienz; Das UBA hat mit der OECD
dazu das Kriterium der „quantitativen Lebenswegbetrachtung“ erarbeitet, welches for-
129 UMWELTBUNDESAMT (2012). Nachhaltige Chemie nach Richtlinie 96/61/EG
Themenkomplexe
Seite 114
dert, den Verbrauch von erneuerbaren Ressourcen möglichst zu verringern- Emissio-
nen oder Einträge von Chemikalien und Schadstoffen in die Umwelt zu vermeiden,
oder wo dies nicht möglich ist, diese auch aus Kostenspargründen zu verringern;
Die Notwendigkeit, die Gesamtwirkung der Emissionen und die Gefahren für die
Umwelt soweit wie möglich zu vermeiden oder zu verringern; Hierzu hat das UBA
mit der OECD das Kriterium der „umfassenden Lebenswegbetrachtung“ erarbeitet,
welches fordert Analysen, zur Rohstoffgewinnung, Herstellung, Weiterverarbeitung,
Anwendung und Entsorgung von Chemikalien und Produkten durchzuführen, um den
Ressourcen- und Energieverbrauch zu senken und gefährliche Stoffe zu vermeiden;
Die Notwendigkeit, Unfällen vorzubeugen und deren Folgen für die Umwelt abzumil-
dern; Das Kriterium „Aktion statt Reaktion“ hierfür fordert, bereits im Vorfeld zu
vermeiden, dass Chemikalien während ihres Lebensweges Umwelt und menschliche
Gesundheit gefährden und die Umwelt als Quelle und Senke überbeanspruchen.130
Darüber hinaus sollten weitere Anforderungen sollten in der chemischen Industrie erfüllt sein.
Dazu gehört unter anderem das Verbot, bzw. die Einschränkung von CMR- Stoffen (Kanze-
rogene, Mutagene und reproduktionstoxische Stoffe), persistenten (langlebigen) und bioak-
kumulierenden (anreicherungsfähigen) Stoffen.131
Weitere Anforderungen an eine nachhaltige
Chemie zeigt Abbildung 19.
130 UMWELTBUNDESAMT (2012). Nachhaltige Chemie
131 UMWELTBUNDESAMT (2012). Nachhaltige Chemie
Themenkomplexe
Seite 115
Abbildung 19: Anforderungen an nachhaltige Chemikalien
Quelle: Eigene Bearbeitung nach Umweltbundesamt (2012). Nachhaltige Chemie
4.1.2 Beispiel BASF
Die BASF ist ein internationaler Chemiekonzern mit Hauptsitz in Ludwigshafen. Da die
Chemieindustrie mit fast allen Wirtschaftszweigen verflochten ist, ist das Produktsortiment
dementsprechend umfangreich. Der Tätigkeitsbereich, bzw. das Produktportfolio der BASF
umfasst Chemikalien, Kunststoffe, Veredelungsprodukte, Pflanzenschutzmittel, Feinchemika-
lien, Öl und Gas, etc. Zum einen handelt es sich dabei um Vorprodukte für andere Industrie-
zweige, z.B. für die Automobil- und Energieindustrie, die Landwirtschaft, die Bauindustrie,
Pharmaindustrie, etc. Zum anderen werden Produkte für den Eigenbedarf und Endprodukte
hergestellt. In der chemischen Industrie stellt die größte Produktgruppe mit 31,3% Fein- und
Spezialchemikalien für z.B. Kosmetika dar. Dem folgen mit 24,4% Pharmazeutika und mit
21,4% Petrochemikalien.132
132 VERBAND DER CHEMISCHEN INDUSTRIE (2010). Responsible Care. Projekte zu Umweltschutz, Gesundheit,
Sicherheit
Themenkomplexe
Seite 116
Der Umweltschutz hat in der chemischen Industrie seit einigen Jahren einen hohen Stellen-
wert. So werden Umweltberichte mit Informationen über das Unternehmen und seine Produk-
te, Umweltmanagementsysteme des Unternehmens, gegenwärtige Umweltbelastungen, er-
reichte Verbesserungen und zukünftige Ziele schon seit den 80er Jahre erstellt. Der Druck der
Öffentlichkeit und der Politik, sowie die extreme Umweltverschmutzung in den 70er Jahren
sind sicherlich Gründe für den stattgefundenen Wandel. Diese Entwicklung hält weiterhin an,
sodass mittlerweile etwa 10% der Unternehmen der chemischen Industrie nach EMAS zertifi-
ziert sind.
Die BASF richtet ihr Handeln am Leitbild einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Entwick-
lung aus. Für das Unternehmen bedeutet nachhaltiges Wirtschaften ökonomischen Erfolg mit
ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung in Einklang zu bringen. Drei Bereiche, in
denen Innovationen aus der Chemie hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung wesentlich
sein werden, sind zum einen der Bereich Rohstoffe, Umwelt und Klima; der zweite Bereich
schließt Nahrungsmittel und Ernährung ein und der dritte Bereich umfasst die Lebensquali-
tät.133
4.1.2.1 Ziele und Strategien
Die BASF hat sich selbst Ziele zu den Bereichen Wirtschaft, Umwelt, Sicherheit und Pro-
duktverantwortung, sowie Mitarbeiter und Gesellschaft gesetzt.
133 BASF (2012). Sustainability
Themenkomplexe
Seite 117
Tabelle 13: Wirtschaftliche Ziele
Quelle: BASF (2012). Sustainability. Management und Instrumente für Nachhaltigkeit. Ziele.
Jährliche Ziele Ziele 2015 Ziele 2020 Stand Ende 2011
Wachstum Umsatz von ca. 85
Milliarden €
Umsatz von ca. 115
Milliarden €
Umsatz von 73,5
Milliarden €
Profitabilität Verdienst einer
Prämie auf die Ka-
pitalkosten der
BASF von durch-
schnittlich mind.
2,5 Milliarden €/
Jahr
Verdienst einer
Prämie auf die
Kapitalkosten der
BASF von 2,6 Mil-
liarden €
EBITDA von ca. 15
Milliarden €
Verdoppelung des
EBITDA gegenüber
2010 auf ca. 23
Milliarden €
EBITDA von 12
Milliarden €
Ergebnis je Aktie
von ca. 7,5 €
Ergebnis je Aktie
von 6,74 €
Die Tabelle verdeutlicht, dass ein konstantes Wirtschaftswachstum zu den längerfristigen Zie-
len der BASF gehört. Für das Jahr 2015 wird ein Umsatz von 85 Milliarden Euro angestrebt
und für das Jahr 2020 ein Umsatz von 115 Milliarden Euro. Ende des Jahre 2011 erzielte das
Unternehmen ein Umsatz von 73,5 Milliarden Euro. Die Ziele basieren auf der Annahme ei-
nes stetigen Wirtschaftswachstums, gemessen an einem wachsenden Bruttoinlandsprodukt bis
2020 von jährlich 3% und an einer weltweit wachsenden Chemieproduktion von jährlich 4%.
Tabelle 14: Ziele Umwelt, Sicherheit und Produktverantwortung
Quelle: BASF (2012). Sustainability. Management und Instrumente für Nachhaltigkeit. Ziele.
Ziele 2020 Stand Ende 2011
Energie und Klimaschutz
Emission Treibhausgase je Tonne Verkaufsprodukt (Basisjahr
2002)
-40 % -34,6 %
Themenkomplexe
Seite 118
Ziele 2020 Stand Ende 2011
Verbesserung der Energieeffizienz bei Produktionsprozessen
(Basisjahr 2002)
+35 % +26,2 %
Begleitgas, das bei der Ölförderung der Wintershall134 freige-
setzt wird, wird nicht mehr abgefackelt (Ziel 2012)
100% >95%
Reduktion der Emissionen im BASF- Geschäft (ohne Öl
und Gas)
Emission luftfremder Stoffe in die Luft (Basisjahr 2002) -70% -60,5%
Emission in das Wasser von organischen Stoffen (Basisjahr
2002)
-80% -73,5%
Bezug von Trinkwasser in die Produktion (Basisjahr 2010) -50% -20,9%
Einführung nachhaltiges Wassermanagement an Produktions-
standorten in Wasserstressgebieten
100% 2%
Transportsicherheit
Transportunfälle (Basisjahr 2003) -70% -67,9%
Produktverantwortung >99% 29,5%
Risikobewertung aller Produkte, die wir weltweit in Mengen
von mehr als einer Tonne pro Jahr verkaufen
Diese Entwicklung gliedert sich in die der deutschen chemischen Industrie ein. Die deutsche
Chemiebranche hat ihren absoluten Energieverbrauch von 1990 bis 2008 um 18 Prozent ver-
ringert, obwohl die Produktion seitdem um mehr als die Hälfte (58%) gewachsen ist. Die kli-
marelevanten Emissionen gingen in dieser Zeitspanne sogar um 37 Prozent zurück. Dies rührt
daher, dass die Produkte der chemischen Industrie über ihren gesamten Lebensweg 2,6 Mal so
viele Emissionen einsparen, wie ihre Produktion verursacht. Dem Ausstoß von 3,3 Milliarden
134 Die Wintershall Holding GmbH ist der größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent mit Hauptsitz in Kassel
und eine 100%ige Tochtergesellschaft der BASF
Themenkomplexe
Seite 119
CO2- Äquivalenten durch die chemische Industrie stehen durch die Anwendung chemischer
Produkte Einsparungen von bis zu 8,5 Milliarden Tonnen CO2- Äquivalenten gegenüber.135
Aus den genannten Werten und Zielen geht hervor, dass das Unternehmen BASF versucht
Wachstums mit Effizienzverbesserungen zu kombinieren. Wie schon in Kapitel 2.1.2.1. „Die
Wachstumsdebatte“ erwähnt, gehen Wachstumskritiker davon aus, dass bei weiterem Wirt-
schaftswachstum und der damit in Verbindung stehenden steigenden Nachfrage, der globale
Energie- und Ressourcenverbrauch selbst bei Effizienzverbesserungen weiter steigen wird
und nicht auf ein nachhaltiges Maß reduziert werden kann.
Tabelle 15: Ziele Mitarbeiter und Gesellschaft 1
Quelle: BASF (2012). Sustainability. Management und Instrumente für Nachhaltigkeit. Ziele.
Ziele 2020 Stand Ende 2011
Arbeitssicherheit
Arbeitsunfälle mit Ausfalltagen je eine Million
geleisteter Arbeitsstunden (Basisjahr 2002)
-80% -42%
Gesundheitsschutz
Health Performance Index (jährliches Ziel) >0,9 0,86
Tabelle 16: Ziele Mitarbeiter und Gesellschaft 2
Quelle: BASF (2012). Sustainability. Management und Instrumente für Nachhaltigkeit. Ziele.
Führungskräfte Langfristige Ziele Stand Ende 2011
Internationalität der oberen Füh-
rungskräfte
Erhöhung des Anteils nichtdeutscher
oberer Führungskräfte (Basisjahr
2003: 30%)
33,0 %
Obere Führungskräfte mit interna-
tionaler Erfahrung
Anteil an oberen Führungskräften mit
internationaler Erfahrung über 70%
79,7 %
Frauen in Führungspositionen Erhöhung des Frauenanteils in Füh-
rungspositionen weltweit
16,2 %
135 VERBAND DER CHEMISCHEN INDUSTRIE (2010). Responsible Care: Verantwortliches Handeln der Chemie in
Deutschland.S. 6
Themenkomplexe
Seite 120
Mitarbeiter Langfristiges Ziel Stand Ende 2011
Personalentwicklung Etablierung eines einheitlichen Ver-
ständnisses von Personalentwicklung
als gemeinsame Verantwortlichkeit
von Mitarbeitern und Führungskräf-
ten mit entsprechenden Prozessen und
Instrumenten
Umsetzung in allen Regionen
gestartet
4.1.2.2 Ökoeffizienz- Analyse
Abbildung 20: Stellenwert der Ökoeffizienz-Analyse
Quelle: Quelle: BASF (2012). Quantifying Sustainability
Das Bewertungsverfahren der Ökoeffizienz- Analyse wurde 1996 von der BASF selbst entwi-
ckelt und durch den TÜV Rheinland im Jahr 2002 validiert. Zudem hat das Verfahren im Jahr
2009 von der NSF (National Sanitation Foundation) das international anerkannte Gütesiegel
erhalten. Dafür hat die NSF zusammen mit Stakeholdern und Fachleuten der BASF Corpora-
tion Standard Anforderungen für Ökoeffizienz- Analysen festgelegt. So ist es Ziel des NSF-
Themenkomplexe
Seite 121
Protokolls 352136
für Nachhaltigkeitsbewertungen Schlüssigkeit, Objektivität und Transparenz
sicherzustellen.
Das Verfahren basiert zu einem großen Teil auf dem Standard ISO 14040 (s. Kapitel 3.1.) und
vergleicht Produkte oder Verfahren, welche den gleichen Kundennutzen erfüllen, aber hin-
sichtlich ihrer ökologischen und ökonomischen Aspekte über den gesamten Lebensweg von-
einander abweichen.
Dabei werden die ökonomischen Aspekte mithilfe einer Lebenszykluskostenrechnung und die
ökologischen Belastungen mithilfe einer vereinfachten Ökobilanz ermittelt. Die Wirtschaft-
lichkeit eines Produktes wird ins Verhältnis zu den ökologischen Auswirkungen gesetzt, um
herauszufinden, welches Produkt bei gleichem Kundennutzen, wirtschaftlich und ökologisch
am besten geeignet ist.
Ökoeffizienzanalysen charakterisieren damit das Verhältnis zwischen Zielerreichung (mög-
lichst wenig Umweltbelastung) und Aufwand oder Mitteleinsatz (Finanzen).
Es handelt sich um eine vergleichende Methodik, bei der ökologische und ökonomische Le-
benswege eines Produktes mit den Lebenswegen eines anderen Produktes verglichen werden.
Es werden keine einzelnen Produkte betrachtet.
Bei der Durchführung der Analyse wird, nachdem der Kundennutzen definiert wurde, der
Untersuchungsrahmen festgelegt. Innerhalb dessen werden die vereinfachte Ökobilanz und
die Lebenszykluskostenrechnung durchgeführt. Um den ökologischen Fingerabdruck zu defi-
nieren, werden sechs Kategorien von Umwelteinwirkungen herangezogen. Diese sind der
Verbrauch von Rohstoffen und von Energie, Emissionen in Luft, Wasser und Boden, die
Landnutzung, das Toxizitätspotential der eingesetzten und frei werdenden Stoffe und das Ri-
sikopotential.
136 NSF ist eine international aufgestellte Zertifizierungs- und Standardisierungsorganisation. Das NSF Protokoll
352 (Validation and Verification of Eco Efficiency Analysis) wurde von der NSF entwickelt, um durchge-
führte Ökoeffizienz- Studien von Unternehmen, die nach den Anforderungen des Protokolls erstellt wur-
den, zu validieren und zu überprüfen. Diese Prüfungsverfahren verleihen den Unternehmen mehr Glaub-
würdigkeit bezüglich ihrer Methoden und Ergebnisse.
NSF (2012). Eco Effiziency
Themenkomplexe
Seite 122
Abbildung 21: Veranschaulichung des ökologischen Fingerabdrucks verschiedener Alternativen
Quelle: Quelle: BASF (2012). Quantifying Sustainability
Abbildung 22 zeigt die Schrittabfolge einer Ökoeffizienzabfolge.
Abbildung 22: Ablauf der Ökoeffizienz- Analyse
Quelle: Eigene Bearbeitung nach P. Saling, R. Höfer (ed) (2009).“Metrics for Sustainability”
Themenkomplexe
Seite 123
Abbildung 23: Ökoeffizienz- Ranking
Quelle: BASF (2012). Quantifying Sustainability
Die Ergebnisse der Umweltgesamtbelastung und der Gesamtkostenrechnung werden nun in
einem Portfolio dargestellt, welches eine Übersicht über die ökoeffizientesten Lösungen, samt
ihren relativen Kosten- und Umweltbelastungen, gibt. Das Ziel der Ökoeffizienz- Analyse ist
es, anhand der Matrix (Abb.23) ein Ranking verschiedener Varianten und Szenarien zu er-
möglichen. Zudem können durch die detaillierte Erörterung des Lebensweges wie bei der
Ökobilanz oder anderen Methoden Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken erkannt wer-
den, an welchen im weiteren Verlauf gearbeitet werden kann. Nachdem die Analyse durchge-
führt wurde, wird sie von einer unabhängigen dritten Partei, einer sogenannten kritischen Be-
gutachtung nach DIN EN ISO 14040 bis 14043 unterzogen. Das Produkt oder der Prozess
kann mit einem Ökoeffizienzsiegel versehen werden, wenn dieses/r deutlich bes-
ser/ökoeffizienter abschneidet als die vergleichbaren Produkte/Prozesse. Nach drei Jahren
jedoch müssen die Ergebnisse aufgrund von Marktveränderungen oder ähnlichem erneut
überprüft werden.
Das Ergebnis der Analyse wird zum einen zur Entscheidungsfindung und zum anderen zur
Forschung, Produktentwicklung und zur besseren Kommunikation in der Politik, Gesetz-
gebung und Marketing eingesetzt. Eine Ökoeffizienz- Analyse ist sinnvoll, wenn soziale As-
pekte keine große Rolle spielen oder entsprechende Daten schwer zu erheben sind. Die Ver-
Themenkomplexe
Seite 124
einfachungen in den Bilanzen erlauben die rasche Erstellung von Ökoeffizienz- Analysen und
damit auch die Bewertung vieler Produkte. Mittlerweile wurden etwa 400 Ökoeffizienz- Ana-
lysen von der BASF durchgeführt. Teilweise sind die Ergebnisse überraschend. Um das Ver-
fahren anschaulicher zu präsentieren, werden zwei Beispiele erläutert.137
4.1.2.2.1 Beispiele
Das erste Beispiel vergleicht Bio- Äpfel mit konventionellen Äpfeln.
Ziel der Analyse ist die Erkenntnis, ob und warum biologische oder konventionelle Äpfel eine
bessere Ökoeffizienz haben. Dafür wurden 1000 Kilogramm Äpfel beider Anbaumethoden
mit Hilfe der Ökoeffizienzanalyse miteinander verglichen.
Wie in Abbildung 24 zu sehen ist, liegt der ökologische Fingerabdruck der beiden Äpfel sehr
nah beieinander, während der ökonomische Fingerabdruck der Gesamtkostenrechnung sehr
stark voneinander abweicht. Der Prozess eines konventionellen Apfels ist gegenüber dem
Prozess eines biologischen Apfels von der Herstellung des Düngers und der Pflanzenschutz-
mittel, über den Anbau und die Pflege bis zur Vermarktung im Supermarkt wesentlich kos-
tengünstiger. Die ausschlaggebenden Gründe hierfür sind zum einen der um 30% höhere Ern-
teertrag eines konventionell produzierten Apfels im Vergleich zu einem biologisch produzier-
ten Apfel. Desweiteren liegt es an dem 70%igen höheren Pflegeaufwand bei biologischen
Äpfeln.
Die biologischen Äpfel fordern weitaus weniger Energieaufwand und CO2- Äquivalente zur
Produktion von Dünger und Pflanzenschutzmittel, jedoch eine viel aufwendigere Pflege und
Kultivierung.
137 BASF (2012). Sustainability. Messbarkeit. Ökoeffizienz- Analyse
Themenkomplexe
Seite 125
Abbildung 24: Ökoeffizienzranking der Braeburn Äpfel
Quelle: BASF (2012). Sustainability. News. Organic Apples
Abbildung 25: Ökologischer Fingerabdruck der Braeburn Äpfel
Quelle: BASF (2012). Sustainability. News. Organic Apples
Themenkomplexe
Seite 126
Das Spinnendiagramm schematisiert das Ergebnis des ökologischen Fingerabdrucks mit Hilfe
der Indikatoren Energieverbrauch, Emissionen, Toxizitätspotential, Risikopotential, Ressour-
cenverbrauch und Landverbrauch. Je näher das Netz in der Graphik dem Inneren kommt, des-
to kleiner sind die Auswirkungen. Auch bei dieser Darstellung kommt zur Geltung, dass der
konventionell produzierte Apfel bzgl. der ausgewählten Indikatoren weniger Auswirkungen
hat als der biologisch produzierte Apfel.
Abbildung 26: Energiebedarf während des Lebenszyklus´ der Äpfel
Quelle: BASF (2012). Sustainability. News. Organic Apples
Abbildung 26 zeigt den großen Unterschied im Aufwand der Pflege je nach Wirtschaftsweise.
Wie erwähnt, ist der Pflegeaufwand eines biologisch produzierten Apfels um ein vielfaches
Themenkomplexe
Seite 127
höher als der eines konventionell produzierten Apfels. Dafür benötigt die biologische Wirt-
schaftweise weniger Energie und CO²- Äquivalente für die Herstellung von Dünger und
Pflanzenschutzmittel.
Abbildung 27: Emissionen in CO²- Äquivalente während des Lebenszyklus der Äpfel
Quelle: BASF (2012). Sustainability. News. Organic Apples
Wie alle Graphiken demonstrieren, schneidet der biologische Apfel in allen Bereichen besser
ab, außer bei der Kultivierung aufgrund des höheren Pflegeaufwands.
An diesem Beispiel ist zu hinterfragen, ob Auswirkungen der verschiedenen Bewirtschaf-
tungsformen auf den Boden, den Wasserhaushalt und auf die biologische Vielfalt ebenfalls
überprüft wurden oder nicht- evtl. unter dem Kriterium Toxizitätspotential. Interessant wäre
auch zu wissen, ob das Ergebnis anders ausfallen würde, wenn soziale Komponenten zusätz-
Themenkomplexe
Seite 128
lich berücksichtigt werden würden, z. B. in Bezug auf Gesundheit, Verantwortung für kom-
mende Generationen, langfristiges Toxizitätspotential und Arbeitsplätze (durch den hohen
Pflegeaufwand entsteht mehr Arbeit als bei den konventionellen Äpfeln). Eventuell wäre es
sinnvoll, einige Indikatoren, je nach Bedeutung unterschiedlich zu gewichten. Interessant ist
auch, wie das Kriterium „Land Use“ bewertet wurde. Für eine gleich große Ernte wird für die
biologische Wirtschaftsweise mehr Land benötigt (s. Abb. 25). Eine biologische Apfelplanta-
ge ist jedoch aus landespflegerischer Sicht keine negative Beeinträchtigung bzgl. Flächenin-
anspruchnahme- im Gegenteil. In der Darstellung des Ökoeffizienz- Rankings als Endergeb-
nis (s. Abb. 24) wäre es nun interessant zu wissen, ob dieses Kriterium als negativ oder als
positiv bewertet wurde.
Ein weiteres Beispiel, welches an dieser Stelle nicht detailliert ausgeführt wird, vergleicht
regionale mit importierten Äpfeln. Kurz nach der Ernte im Herbst weisen in Deutschland re-
gionale Äpfel eine deutlich bessere Öko- und Kostenbilanz vor, da der Transport und dessen
Auswirkungen des Imports von ausländischen Äpfeln wegfallen. Ab einer gewissen Zeit je-
doch, laut BASF sechs bis sieben Monate nach der Ernte in Deutschland, weisen importierte
Äpfel aus Südeuropa, Chile, Argentinien und Neuseeland eine besser Ökoeffizienz auf, da
regionale Äpfel diese Zeit über kalt gehalten werden müssen, was durch den Energieaufwand
die Ökoeffizienz schlechter ausfallen lässt als bei importierten Äpfel aus den südlichen Län-
dern, die bis zum Frühjahr immer frisch geerntet werden und sich daher nur der Transport
negativ auf die Ökoeffizienz auswirkt. An diesem Beispiel wird die Verbindung zum Bürger
hervorgehoben. Wenn die Nachfrage nach Äpfeln im März, wenn die Äpfel in Deutschland
nicht wachsen, gegeben ist, werden sie importiert, was aufgrund des Fluges große Mengen an
Treibhausgasen verursacht. Sind es gekühlt gelagerte Äpfel aus Deutschland, erzeugt dies
ebenfalls Treibhausgasemissionen.138
Das dritte Beispiel befasst sich mit dem Kunststoff Ultradur® High Speed.139
138 BASF (2012). Sustainability. News.Imported Apples
139 BASF (2012). Sustainability. Ultradur® High Speed
Themenkomplexe
Seite 129
Ultradur® High Speed ist ein von der BASF hergestelltes besonders leichtfließendes PBT
Produkt. Ultradur ist der Handelsname der BASF für die teilkristallinen, thermoplastischen,
gesättigten Polyester auf der Basis von Polybutylenterephthalat (PBT). Diese Stoffe werden
als Werkstoffe für belastbare technische Teile in vielen industriellen Bereichen eingesetzt, z.
Bsp. im Fahrzeugbau, in der Elektrotechnik, in Spiel-, Sport- und Freizeitanwendungen, in
Haushaltsgeräten und im Maschinenbau.
Das Produkt ist der erste technische Kunststoff der BASF, der mit dem Ökoeffizienz- Siegel
versehen wurde. Verglichen wurde Ultradur® High Speed mit weiteren Standard PBT- Pro-
dukten der BASF. Das Ergebnis der Untersuchungen war, dass Produkte, die aus Ultradur®
High Speed gefertigt werden, deutlich ökoeffizienter sind als Produkte aus einem Standard
PBT. Dieser Unterschied wird auf die gute Fließfähigkeit von Ultradur® High Speed zurück-
geführt, die mithilfe eines Nano- Additivs erzielt wurde. Aufgrund der guten Fließfähigkeit
des neuen Materials kann die Verarbeitungstemperatur und der Einspritz- und Haltedruck der
Spritzgießmaschine gesenkt werden und dadurch Energieeinsparungen bis zu 20% erzielt
werden.
Hinzu kommt, dass das Werkzeug einfacher gestaltet werden kann und neue Bauteile dünn-
wandiger sein können, sodass durch Materialeinsparungen Kosten gespart werden. Die Menge
an Ausschuss wird weniger, da sich das Werkzeug durch die guten Fließeigenschaften leichter
füllen lässt. Auch das spart Kosten. Das Fazit für Ultradur® High Speed ist, dass dieser
Kunststoff im Vergleich zu anderen Lösungen kostengünstiger und umweltschonender ist.
Themenkomplexe
Seite 130
Abbildung 28: Ökoeffizienz Ranking der PBT Produkte
Quelle: BASF (2012). Sustainability. Ultradur® High Speed
Abbildung 29: Kosteneinsparung Standard Ultradur vs. Ultradur® high Speed
Quelle: BASF (2012). Sustainability. Ultradur® High Speed
Themenkomplexe
Seite 131
Abbildung 30: Spinnendiagramm Standard Ultradur vs Ultradur® High Speed
Quelle: Eigene Bearbeitung nach BASF (2012). Sustainability. Ultradur® High Speed
An dieser Stelle ist es eine wichtige Information, dass PBT´s im Anhang XIII der REACH-
Verordnung gelistet sind und zudem vom Umweltbundesamt (UBA) kritisiert werden. PBT-
Stoffe zeichnen sich nach REACH und UBA durch drei Eigenschaften aus:
Persistent: Persistente Stoffe (lat. persistere=verharren) sind schlecht bis nicht abbau-
bar. Nach REACH ist ein Stoff persistent, wenn er eines der fünf Kriterien erfüllt:
o Die Halbwertszeit in Meerwasser beträgt mehr als 60 Tage;
o Die Halbwertszeit in Süßwasser oder Flussmündungen beträgt mehr als 40 Ta-
ge;
o Die Halbwertszeit in Meeressediment beträgt mehr als 180 Tage;
o Die Halbwertszeit in Süßwassersediment oder Flussmündungssediment beträgt
mehr als 120 Tage;
o Die Halbwertszeit im Boden beträgt mehr als 120 Tage;
Bioakkumulierbar: Ein Stoff ist akkumulierbar, wenn er in einem lebenden Organis-
mus, aufgenommen durch Nahrung oder umgebende Medien, wie Wasser, Boden oder
Luft, angereichert wird. Oft lagern sich akkumulierbare Stoffe Entgiftungsorganen,
wie Leber und Niere, an. Das Akkumulationspotential kann mit dem Parameter des
Themenkomplexe
Seite 132
Biokonzentrationsfaktors (BCF) abgeschätzt werden. Dieser Faktor beschreibt das
Verhältnis zwischen der Konzentration eines Stoffes in einem aquatischen Organismus
und dem umgebenden Wasser. Gemäß der REACH- Verordnung erfüllt ein Stoff das
Kriterium bioakkumulierbar, wenn der BCF höher als 2.000 ist;
Toxisch: Im Sinne von REACH wird das Kriterium „Toxisch“ in Bezug auf PBT-
Stoffe erfüllt, wenn eine der folgenden Eigenschaften erfüllt wird:
o Die Konzentration, bei der keine Langzeitwirkungen auf Meeres- oder Süß-
wasserlebewesen beobachtet werden kann, beträgt weniger als 0,01 mg/L. Die-
se Langzeitwirkung wird mit Hilfe von NOEL (No Observed Effect Level) er-
fasst. Dabei handelt es sich um jene Konzentration, bei der keine signifikanten,
beobachtbaren Wirkungen nach längerer Exposition auftreten. Dieser Wert
wird in der Regel experimentell durch Labortests an Wasserorganismen, z.B.
Fischen, Algen und Wasserflöhen ermittelt;
o Der Stoff wird als karzinogen (krebserregend) der Kategorie 1 oder 2, als mu-
tagen (erbgutverändernd) der Kategorie 1 oder 2 oder als fortpflanzungsge-
fährdend der Kategorie 1, 2 oder 3 eingestuft.
o Es gibt andere Belege für eine chronische Toxizität eines Stoffes, die eine Ein-
stufung mit dem Risikosatz 48 (Gefahr ernster Gesundheitsschäden bei länge-
rer Exposition) gemäß der Stoffrichtlinie 67/548/EWG bedingen. 140
Laut den vom Umweltbundesamt erarbeiteten Anforderungen an nachhaltige Chemikalien,
sind PBT- Stoffe nicht nachhaltig (s.Abb.19).
Im folgenden Kapitel der SeeBalance®- Methodik wird nun den beiden genannten Analysen
der Ökologie und Ökonomie im Sinne der drei- Säulen- Theorie die dritte Säule, die soziale
Komponente, hinzugefügt.
140 REACH- Helpdesk
Themenkomplexe
Seite 133
4.1.2.3 SeeBalance®
Abbildung 31: Ökoeffizienz- Analyse und Seebalance®
Quelle: BASF (2012). Messbarkeit. Seebalance®
Die SeeBalance®- (SocioEcoEfficiency Analysis) Methode wurde von der BASF entwickelt
und baut auf die Ökoeffizienz- Analyse auf. Im Gegensatz zur Ökoeffizienz- Analyse werden
bei dieser Methode alle drei Nachhaltigkeitsbereiche- Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft-
einbezogen, d.h. es werden die sozialen Auswirkungen von Produkten und Herstellungsver-
fahren ebenfalls berücksichtigt.
Im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren von REACH kann dieses Verfahren als
sozioökonomische Analyse hinzugezogen werden.
Zur Erfassung gesellschaftlich relevanter Faktoren wurden fünf Kriterien definiert, welche
wiederrum in Indikatoren eingeteilt sind. Die ausgewählten Kriterien sind Arbeitnehmer, in-
ternationale Gemeinschaft, zukünftige Generationen, Endverbraucher und Umfeld und Ge-
sellschaft.
Themenkomplexe
Seite 134
Tabelle 17: Sozialprofil von SeeBalance
Quelle: BASF (2012). Messbarkeit. SeeBalance®
Arbeitnehmer Internationale
Gemeinschaft
Zukünftige Genera-
tionen
Endverbraucher Umfeld und Gesell-
schaft
Berufsunfälle Kinderarbeit Auszubildende Toxizitätspotential- Beschäftigte
Tödliche Arbeits-
unfälle
Direktinvestitio-
nen
Forschung und Ent-
wicklung
Andere Risiken und
Produktmerkmale
Qualifizierte Arbeit-
nehmer
Berufskrankheiten Importe aus Ent-
wicklungsländern
Investitionen Gleichberechtigung
Toxizitätspotential-
und Transport
Vorsorge Integration
Löhne und Gehäl-
ter
Teilzeitbeschäftigte
Berufliche Bildung Familienunterstützung
Streiks
Die ausgewerteten Indikatoren werden wie die ökologischen Indikatoren in einem sozialen
Fingerabdruck dargestellt (s. Abb. 32). Der soziale Fingerabdruck wird zusammen mit dem
ökologischen Fingerabdruck und dem Ergebnis der Gesamtkostenrechnung in einer Nachhal-
tigkeitsmatrix, dem sogenannten SeeCube® graphisch abgebildet. Im SeeCub® können meh-
rere Varianten gegenübergestellt, sowie Szenarien abgebildet werden.
Themenkomplexe
Seite 135
Abbildung 32: Die Integration eines sozialen Fingerabdrucks im SeeCube®
Quelle: BASF (2012). Messbarkeit. SeeBalance®
4.1.2.4 AgBalance
Nachdem schon einige Erfahrungen mit der Ökoeffizienz- Analyse und SeeBalance® ge-
sammelt wurden, hat die BASF, welche auch in der Landwirtschaft tätig ist, AgBalance ent-
wickelt, um eine Methode zur Bewertung und Messung von Nachhaltigkeit in der Landwirt-
schaft nutzen zu können. Produkte, Prozesse, unterschiedliche Bewirtschaftungsformen, etc.
können in der Landwirtschaft auf ihre Nachhaltigkeit hin bemessen werden.
Für eine ganzheitliche Bewertung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien
wurden 69 Indikatoren entwickelt, die auf 200 verschiedenen Messgrößen basieren.
Die Nachhaltigkeitsmessmethode AgBalance wurde nach der Entwicklung der einzelnen In-
dikatoren und der Methode an sich von den unabhängigen Prüfern TÜV SÜD. DNV Business
Assurance und NSF International geprüft und validiert.
Folgende 69 Indikatoren aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft werden
von AgBalance bewertet.
Themenkomplexe
Seite 136
Tabelle 18: Ökologische Indikatoren von AgBalance
Quelle: BASF (2012). Messbarkeit. AgBalance
Boden Biodiversität Wassernut-
zung
Landnutzung Energieverbrauch Emissionen Ressourcen-
verbrauch
Ökotoxizitätspoten-
tial
Humussaldo Biodiversitäts-
status
Wassernut-
zung gesamt
Landwirtschaft
genutzte Fläche
Nicht- erneuerbare
Energien
Luftemissionen Verbrauch abioti-
scher Ressourcen
Ökotoxizitätspotenti-
al
Nährstoffsaldo Agrarumwelt-
maßnahmen
Landnut-
zung/Landnutzun
gswandel
Erneuerbare
Energien
Treibhausgas-
emissionen
Verdichtung Schutzgebiete Versauerungs-
potential
Erosion Ökotoxizität Ozonzerstörungspo-
tential
Bewirtschaf-
tungsintensität
fotochem. Ozonbil-
dungspotential
Stickstoffüber-
schuss
Wasseremission
Fruchtfolge Abfallstoffe
Auskreuzungs-
potential
Themenkomplexe
Seite 137
Tabelle 19: Ökonomische Indikatoren von AgBalance
Quelle: BASF (2012). AgBalance
Variable Kosten Fixe Kosten Makroökonomie
Bodenbearbeitung Abschreibungen Subventionen
Saatgut Instandhaltung Bruttowertschöpfung
Pflanzenschutz Versicherungen Gewinn
Düngung Arbeitskosten Zusätzliche volkswirtschaftliche
Effekte
Maschinenkosten Investitionen
Weitere Fixkosten
Tabelle 20: Soziale Indikatoren von AgBalance
Quelle: BASF (2012). AgBalance
Landwirt/ Unter-
nehmen
Verbraucher Lokale/nationale Ge-
meinschaft
Internationale Ge-
meinschaft
Zukünftige Ge-
nerationen
Gehalt/ Lohn Rückstände in
Lebens-
Zugang zu Land Importe aus Entwick-
lungsländern
Auszubildende
Weiterbildung Grenzwertüber-
schreitungen
Beschäftigungsverhält-
nisse
Fairer Handel Soziale Sicherung
Organisationsgrad/
Verbandsmitglied-
schaft
Vergiftungspo-
tential
Gleichberechtigung Kinderarbeit Forschung und
Entwicklung
Löhne/Gehälter Produkteigen-
schaften
Integration von Men-
schen mit Behinderung
Ausländische Direktin-
vestitionen
Kapitalanlagen
Vergiftungspoten-
tial
Produktrisiken Qualifikation der Ar-
beitnehmer
Risikopotential am
Arbeitsplatz
Beschäftigte/ Ange-
stellte
Streiks und Aus-
sperrungen
Teilzeitbeschäftigte
Familienunterstützung
Themenkomplexe
Seite 138
Die Durchführung der Methode AgBalance erfolgt in drei Schritten.
Datensammlung;
o Landwirte, Biologen, Bodenwissenschaftler, Ökonomen, etc. definieren zu-
sammen den relevanten Handlungsbereich und dessen Grenzen. Daten dazu
werden von Institutionen, wie der FAO141
, IUCN142
, Ergebnisse aus Studien,
etc. zusammengetragen und daraus Indikatoren entwickelt;
Rechnung;
Ergebnisse;
4.1.2.5 Produkt Carbon Footprint (PCF)
Im Januar 2012 wurde der internationale Norm- Entwurf ISO 14067 veröffentlicht. Die ISO-
Norm 14067 soll für Transparenz bei der Berechnung und Kommunikation der Treibhausgas-
Emissionen von Produkten sorgen. Der Entwurf legt für Waren und Dienstleistungen fest, wie
die Bilanz der Treibhausgase über die komplette Lebensdauer eines Produktes erstellt wird.
Desweiteren regelt er die Kommunikation an Verbraucher und sorgt somit für eine transpa-
rente und vergleichbare Darstellung des Carbon Footprints.143
Der CO2 Fußabdruck, oder auch Carbon Footprint genannt, kann ein Teil einer Ökobilanz
sein. Er fokussiert lediglich die Treibhausgasemissionen, die während des Lebensweges eines
Produkts emittiert werden, und als CO2 Emissionen oder als CO2 Äquivalente dargestellt wer-
den. CO2 Fußabdrücke können für Produkte, Prozesse und für komplette Einrichtungen und
Unternehmen erstellt werden.
Eine Definition der BASF heißt folgendermaßen:
„Ein Product Carbon Footprint (PCF) ist die Summe der Treibhausgasemissionen, die
ein Produkt während seines gesamten Lebensweges verursacht. Er wird in Politik, In-
dustrie, Wissenschaft und der Öffentlichkeit als ein Instrument diskutiert, um über die
Klimawirksamkeit von Produkten zu informieren.“
141 Food and Agriculture Organization
142 International Union for Conservation of Nature
143 DIN. Norm definiert Carbon Footprint von Produkten
Themenkomplexe
Seite 139
Um einen aussagekräftigen und vergleichbaren CO2 Abdruck zu erlangen, sind der BASF
nach einige Dinge zu beachten:
Der Carbon Footprint ist nur Teil einer Nachhaltigkeitsmessmethode. Er liefert ledig-
lich eine Aussage über die Treibhausgasemissionen im Bereich Ökologie und Um-
weltauswirkungen;
Das Ergebnis wird nicht alleine interpretiert, sondern im Vergleich mit den Ergebnis-
sen der anderen Aspekte, wie Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, auf die Nutzung
von Ressourcen, etc.;
Die Vorgehensweise der Berechnung sollte sich an die Standards von ISO 14040 und
14044 lehnen, also eine Aufnahme aller Emissionen von der Wiege bis zur Bahre er-
möglichen, um Ergebnisse einheitlich miteinander vergleichen zu können;
4.1.2.6 Zwischenfazit
Aufgrund des internationalen Netzwerks des Unternehmens und der daran ausgerichteten
Strategie zur Umsetzung von Nachhaltigkeit des unternehmensinternen Rates (Sustainability
Council), ist von einem wachsenden Bewusstsein und Handeln im Sinne einer nachhaltigen
Wirtschaft auszugehen.144
Die erläuterten Initiativen in Kapitel 4.1.1.1. sind in ihren Prinzi-
pien zwar logisch nachvollziehbar, jedoch sehr undurchsichtig und unkonkret.
Die BASF erkennt als weltweit führendes Chemieunternehmen Chancen und Möglichkeiten
einer Vorreiterrolle als nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen, auch wenn es bis jetzt noch
am Anfang der Bemühungen steht.
Das Erstellen und Anwenden eigener Nachhaltigkeitsmessmethoden145
bestätigt das Engage-
ment des Unternehmens. In Zusammenhang mit Kapitel drei wird deutlich, dass von Unter-
nehmens- bzw. Industrieseite vor allem Lebenszyklusmanagement betrieben werden kann und
wird.
144 BASF (2012). Der Nachhaltigkeitsrat der BASF
145 P. SALING, R. HÖFER (ed) (2009).“Metrics for Sustainability”
Themenkomplexe
Seite 140
Jedoch geht es bei den Nachhaltigkeitsbewertungsmethoden meistens um Vergleiche zwi-
schen Produkten und /oder Prozessen. Generell zu hinterfragen ist, ob ein Produkt, nur weil es
ökologisch, ökonomisch oder gesellschaftlich besser abschneidet als ein anderes, folglich als
nachhaltig zu bewerten ist, unabhängig vom eigentlichen Produkt.
Die Ökoeffizienz- Analyse ist kritisch zu betrachten, da es keine vollständige Messmethode,
im Sinne einer konsequent vorangetriebenen Nachhaltigkeitsentwicklung ist, da nur ökologi-
sche und ökonomische, jedoch keine sozialen Aspekte beachtet werden. Die Ergebnisse wür-
den bei einem Einbezug aller drei Bereiche eventuell differenzierter ausfallen.
Allgemein betrachtet wird der Anschein erweckt, als ob teilweise „Greenwashing146
“ betrie-
ben würde. Am Beispiel des Ultradur® High Speed wurde schon erwähnt, dass das eigentli-
che Produkt, laut Umweltbundesamt, aufgrund seiner Eigenschaften in der Umwelt nicht
nachhaltig ist, dieses aber durch die Ökoeffizienz- Analyse im Vergleich zu anderen PBT-
Produkten auf den ersten Blick nachhaltig scheint, bzw. als nachhaltig vermarktet wird. Die-
ses Produkt ist nur eines von vielen, welches unter gleichen Kriterien als nicht nachhaltig be-
wertet wird. Es handelt sich vielmehr um eine Optimierung ökologischer, ökonomischer und
teilweise sozialer Aspekte von dennoch nicht nachhaltigen Produkten.
Desweiteren erforscht und produziert die BASF, die seit 2007 in Kollaboration mit dem US-
Biotechnologieunternehmen Monsanto147
steht, genetisch veränderte Pflanzen, hauptsächlich
Mais, Soja und Weizen, welche durch stresstolerante Eigenschaften globale Ernährungsprob-
leme lösen sollen. Gentechnik wird aufgrund seiner Risiken für Umwelt, Gesundheit, Wahl-
freiheit und Wirtschaft, von der Bevölkerung und Verbänden, wie Greenpeace148
, BUND149
,
146„ Greenwashing“ ist eine kritische Bezeichnung für Maßnahmen von Unternehmen, die darauf abzielen, dem
Unternehmen in der Öffentlichkeit ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image zu verlei-
hen.
147 Monsanto steht aufgrund seiner skandalösen Geschichte (PCB, Dioxine, etc.) und Gegenwart in starker Kritik
im europäischen Raum. Monsanto wird vorgeworfen, die globale Landwirtschaft durch Gentechnik zuneh-
mend zu kontrollieren und die Landwirte von sterilen Pflanzensamen und zugehörigen Pflanzenschutzmit-
teln und Düngemitteln abhängig zu machen.
148 GREENPEACE. Gentechnik. Gefahren und Risiken
Themenkomplexe
Seite 141
etc. stark kritisiert. Aufgrund der mangelnden Akzeptanz und breiten Ablehnung der Gen-
technik in der Landwirtschaft in der europäischen, insbesondere deutschen Bevölkerung, hat
die BASF die Zentrale der BASF- Pflanzengentechnik von Limburgerhof bei Ludwigshafen
in den US- Bundesstaat North- Carolina verlegt.150
Die Diskussion über „Greenwashing“ be-
kommt zudem neue Impulse durch den Aspekt der Biodiversität, welche in absolutem Gegen-
satz zur Gentechnik steht.
Die wirtschaftliche Priorisierung wird angesichts der Zahlen aus Tabelle 15 deutlich. Es wird
vermittelt, dass wirtschaftliche Aspekte grundsätzlich die Basis der Unternehmensstrategie
sind und dass das erwerbswirtschaftliche Prinzip und das Streben nach Gewinnmaximierung,
neben dem Autonomieprinzip (Selbstbestimmung des Wirtschaftsplans) und dem Prinzip des
Privateigentums Merkmale des Unternehmens und allgemein der privaten Wirtschaft sind.
Seit einigen Jahren dringen Umwelt- und Gesundheitsschutz, auch im Rahmen der Nachhal-
tigkeitsdebatte zunehmend in den Vordergrund. Es wird versucht, diese neuen Faktoren z.B.
anhand genannter Initiativen und Programme in das Unternehmen zu integrieren. Trotz allem
bleibt die Ökonomie in der privaten Wirtschaft wichtigster Grundsatz, was an diesem Punkt
nicht unbedingt zu kritisieren, sondern eher zu diskutieren wäre.
Die Aufzählung der Kritikpunkte lässt die positiven Aspekte der Nachhaltigkeitsstrategie des
Unternehmens in den Schatten rücken. Tatsächlich können die Bemühungen des Konzerns,
sich der Nachhaltigkeitsbewegung anzuschließen, nicht geleugnet werden. Jedoch sind einige
Aspekte schwer zu hinter leuchten und erwecken schnell den Eindruck des „Greenwashings“,
da die grundlegenden Produkte und Prozesse oftmals nicht nachhaltig sind.
In Bezug zu Kapitel drei kann festgestellt werden, dass einige Bewertungsinstrumente in Un-
ternehmen angewandt werden können. Dazu gehören alle Instrumente, die unter der Kategorie
Produkte gelistet sind.
149 BUND (2011). Gentechnik. Risiken
150 DIE ZEIT. BASF verlagert grüne Gentechnik in die USA. Nr. 3, 1/2012
Themenkomplexe
Seite 142
4.2 Kommunen – Nachhaltigkeit im öffentlichen Sektor
Urbanisierung ist eines der großen Transformationsfelder und einer der Megatrends, mit dem
die Gesellschaft in den kommenden Jahren/Jahrzehnten verstärkt konfrontiert werden wird. 151
Deshalb sind Städte wichtige Orte, um sich verstärkt für eine nachhaltige Entwicklung einzu-
setzen.
Im Jahr 2050 werden den laufenden Projektionen zufolge etwa 70% der Weltbevölkerung in
städtischen Räumen leben.152
Städte konsumieren 80% der weltweit erzeugten Energie und
verursachen ca. 85% des weltweiten Ausstoßes an Treibhausgasen. Gleichermaßen sind sie
für die Auswirkungen des Klimawandels und der weltweiten Ressourcenverknappung beson-
ders vulnerabel.153
Zugleich aber haben Ballungsräume eine hohe Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung
unserer Gesellschaft, da in den verdichteten Gebieten Ressourcen, wie Energie, Fläche und
Infrastruktur effektiver genutzt werden können. Zudem sind Ballungsräume besser in der La-
ge für die Bewohner Einrichtungen, wie Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, ärztliche Versor-
gung, etc. sicherzustellen, als dies auf dem Land möglich ist. 154
Neben diesen funktionellen
Aspekten ist Lebensqualität mit diesen Funktionen zu vereinen. Lebensqualität setzt sich aus
objektiven und subjektiven Faktoren zusammen. Diese können unter anderem Einkommen,
Gesundheit, Wohnumfeld, Wohnsituation, Mobilität, soziale Integration, Bildung,- Freizeit-
und kulturelle Angebote, Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit sein. Desweiteren spielen
ökologische Faktoren eine Rolle, die mit den genannten ein hergehen. So erfordern soziale
und kulturelle Aktivitäten wie Freizeit und Erholung eine gesunde Umwelt.155
In Anbetracht dessen, dass urbane Räume auch unter den Begriff Landschaft fallen, handelt es
sich hierbei auch um eine Landnutzung. Ballungsräume sollen aufgrund ihrer Komplexität
151 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S.4
152 OECD (2012). Umweltausblick. Trübe Aussichten
153 BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (2010). Forschung für nachhaltige Entwicklung. S.4
154 SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012. S.275
155 SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012. S.275
Themenkomplexe
Seite 143
und Bedeutung für die Zukunft in diesem Kapitel hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung
in mehreren Beispielen behandelt werden.
Die Stadt Freiburg im Breisgau wird anhand von einigen Beispielen hinterleuchtet, sowie die
schwedische Stadt Malmö, wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie Freiburg.
4.2.1 Beispiel Freiburg im Breisgau
Abbildung 33: Freiburg im Breisgau/ Darstellung der Schwerpunkte
Quelle: Stadt Freiburg. FreiGIS
Als praktisches Beispiel wird die Stadt Freiburg im Breisgau herangezogen. Freiburg befindet
sich im Südwesten von Baden- Württemberg an der französischen und schweizerischen Gren-
ze. Die Zahl der Wohnbevölkerung liegt etwa bei 210.277 Menschen verteilt auf sechs Orts-
teile. Die Fläche der Stadt beträgt insgesamt 15.306 ha.156
Freiburg steht schon seit einigen Jahren als Modellstadt für Nachhaltigkeit in Kommunen und
„Green City“ in der öffentlichen Diskussion. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, die dies
bestätigen waren unter anderem die Auszeichnung 1992 zur deutschen Umwelthauptstadt, der
156 FREIBURG (2012). Statistik
Themenkomplexe
Seite 144
europäische Nahverkehrspreis, der deutsche Solarpreis, der Bundespreis für Nachhaltigkeit in
der Stadtentwicklung und der erste Preis im Wettbewerb „zukunftsfähige Kommune“. Des-
weiteren wurde Freiburg im Jahr 2010 zur Bundeshauptstadt im Klimaschutz ernannt und im
gleichen Jahr erhielt die Stadt von der britischen Academy of Urbanism den Titel „The Euro-
pean City of the Year“ für eine vorbildliche Stadtplanung und -gestaltung.
Auch weltweit hat sich die Stadt Freiburg als Pionier einer nachhaltigen Stadtentwicklung
etabliert. So wurde die süddeutsche Stadt auf der EXPO 2010 in Shanghai unter dem Motto
„Better City- Better Life“ im Themenpark „Urban Best Practices Area“ neben 55 anderen
Städten als Modellstadt präsentiert. Der Fokus lag hauptsächlich auf dem Entwicklungspro-
jekt „Stadtteil Vauban- neues Wohnquartier“, welches im genannten Themenpark als Projekt
für eine nachhaltige Stadtentwicklung präsentieren wurde. Der Auftritt auf der EXPO expan-
dierte den internationalen Ruf als nachhaltige Stadt bis hin zu einer weltweiten Anerkennung,
gezeichnet durch einen Tourismus, der neben der reizvollen Landschaft durch fachliche As-
pekte der Stadtentwicklung, verstärkt erzeugt wurde.157
Freiburg besticht in großem Stil vor allem durch die Art der Energiegewinnung, nämlich aus
erneuerbaren Energien, insbesondere der Sonnenenergie, also der Photovoltaik und der
Solarthermie. So ist der Anteil der Energie aus erneuerbaren Energien am derzeitigen Ener-
giemix 70%. Wie erwähnt ist der größte Anteil davon der Sonnenenergie zuzuschreiben, ge-
folgt von Windenergie, Wasserenergie und Biomasse. Die Lage am Fluss Dreisam, der durch
die Stadt fließt, ermöglicht eine Energiegewinnung aus 45 Mikrowasserwerken mit jeweils
etwa 6-8 Megawatt Energie. Es wurden Mikrowasserwerke gewählt, um die Flora und insbe-
sondere Fauna zu schützen.158
Die Bedeutung von modellhaften Beispielen, wie die der Stadt Freiburg ist deshalb so hoch,
da komplexe Lernprozesse und umfassende Innovationen zumeist nicht durch Qualität der
Krisendiagnosen und Ursachenanalysen initiiert werden, sondern mit der Etablierung über-
zeugender Orientierungsangebote und Handlungskonzepte und durch die Öffnung experimen-
teller Plattformen, auf denen Bekanntes zu Neuem neu arrangiert werden kann, initiiert wer-
157 STADT FREIBURG (2011). Green City
158 A. BURZACCHINI. Aiforia- Agency for Sustainability. Freiburg
Themenkomplexe
Seite 145
den.159
Das heißt es ist förderlich neue Konzepte, am besten anhand von konkreten Beispielen
der Öffentlichkeit zu präsentieren und so Vertrauen, Bereitschaft und Engagement zu erzeu-
gen. Diese Anerkennungen und Erfolge verdankt Freiburg einer Reihe von Faktoren.
Im Folgenden werden nun einige Stadtteile, untergliedert in städtebauliche Parameter, vor
allem des Quartiers Vauban vorgestellt.
4.2.1.1 Vauban
Abbildung 34: Stadtteil Vauban
Quelle: Stadt Freiburg. FreiGIS
Der Freiburger Stadtteil Vauban160
soll aufgrund seiner Modellhaftigkeit genauer betrachtet
werden- in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht.
Das Quartier ist auf ehemaligem französischem Kasernengelände in drei Bauabschnitten er-
baut worden. Die gesamte Bauphase betrug neun Jahre, von 1997 bis 2006. Nachdem die
französischen Streitkräfte im Jahr 1992 abzogen und das Bundesvermögensamt fiel, kaufte
159 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 256
160 Das ehemalige Kasernengelände der französischen Streitkräfte nach dem 2. Weltkrieg wurde nachdem fran-
zösischen Festungsbaumeister Vauban benannt.
Themenkomplexe
Seite 146
die Stadt von den 38 ha, 34 ha für umgerechnet 20,45 Mio. Euro des Areals für folgende Ent-
wicklungsmaßnahmen. Rund 4 ha übernahmen das Studentenwerk und die Selbstbestimmte
Unabhängige SiedlungsInitiative (SUSI161
). Im Jahr 1994 wurde von der Stadt ein Ideenwett-
bewerb ausgelobt, den das Architekturbüro Kohlhoff&Kohlhoff aus Stuttgart gewann. Fol-
gendes waren die Planungsvorgaben:162
Mischung von Arbeit und Wohnen;
Vorrang für Fußgänger, Radfahrer und öffentliche Verkehrsmittel;
Erhalt des Baumbestandes und des Biotops St. Georgener Dorfbach;
Mischung sozialer Gruppen;
Gute Verbindung der Wohnungen zu den Freiräumen;
Nahwärmeversorgung und Wohnhäuser in Niedrigenergiebauweise;
Der städtebauliche Entwurf wurde zur Grundlage des 1997 rechtskräftigen Bebauungsplan,
woraufhin die Bauphase begann. Das Gebiet umfasst 380.000 m² und 5500 Einwohner. In den
folgenden Unterkapiteln, welche in städtebauliche Themenfelder gegliedert sind, soll hervor-
gehoben werden, auf welche Art und Weise Vauban entwickelt wurde und was das Stadtquar-
tier so besonders macht.163
4.2.1.1.1 Wohnformen
Um eine individuelle Gestaltung zu sichern und eine monostrukturierte Siedlung zu vermei-
den, wurden 70% der Grundstücke an private Bauherren verkauft. Die privaten Objekte der
Bauherren können in Einzelbauvorhaben und in Objekte von Bauherrengemeinschaften, den
sogenannten Baugruppen, auf die alsbald detaillierter eingegangen wird, untergliedert werden.
161 Die Initiative SUSI wurde 1990 mit dem Abzug der Streitkräfte und dem städtebaulichen Kauf des Areals
Vauban gegründet. Die Idee war die alten Kasernengebäude zu erhalten, zu sanieren und daraus sozialver-
träglichen Wohnraum zu gestalten. Seit den ersten Umnutzungskonzepten der Gruppe, vergrößerte sich
SUSI zunehmend und ist seitdem mit den Bürgern fester Bestandteil bei Planungs- und Entscheidungspro-
zessen.
162 STADT FREIBURG (2012). Quartier Vauban
163 A. BURZACCHINI. Aiforia- Agency for Sustainability. Freiburg
Themenkomplexe
Seite 147
Die Wohnformen von Bauträgern untergliedern sich in Mietwohnungsbau, in Kaufobjekte
und Zwischenformen, wie einige Objekte auf genossenschaftlicher Basis.
Eine Baugruppe oder Baugemeinschaft ist eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam ein
Haus (Reihenhaus, Geschossbau oder Doppelhäuser), bauen oder umbauen will. Es kann auch
eine Baugemeinschaft gegründet werden, um Häuser im Bestand zu sanieren.164
Im Vauban wurden die meisten Häuser von den dort ansässigen 60 Baugruppen initiiert. Die
Stadt Freiburg steht im Vergleich dazu mit mittlerweile 200 Baugruppen als Wiege für bür-
gerinitiierter Baugemeinschaften, welche schon immer Vorreiter für energetisches Bauen wa-
ren. So entstanden die ersten Passivhäuser (siehe Abbildung 37) durch Baugruppen. Wie in
Abbildung 35 zu sehen ist, stehen die meist viergeschossigen Mehrfamilienhäuser lückenlos
aneinander und trotzdem sehen die Häuser individuell sehr unterschiedlich aus. Diese relativ
hohe Wohndichte macht die gegebene Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs wirtschaftlich.
Zudem wird der Außenbereich vor Bebauung geschützt. Die Häuserreihen werden immer
wieder von großzügigen Grünflächen durchzogen, welche in starker Partizipation mit den
Bürgern individuell gestaltet wurden.165
Bei der Gründung einer Baugemeinschaft treten Interessenten in Kontakt miteinander und
lernen sich kennen. Sie finden einen Architekten, evtl. einen Projektleiter und einen Modera-
tor für die gemeinsame Koordinierung und die Planung. Nachdem ein Bauplatz gefunden
wurde, wird die Baugemeinschaft rechtsfähig und verbindlich. Die Rechtsform kann durch
Gründung einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GBR), einer Wohngenossenschaft oder
eines Vereins erfolgen.
Die Mitglieder der Baugruppen sind von Anfang an, also ab der Planung der Häuser, fest in-
volviert.
Soziale Motive zur Bildung einer Wohngemeinschaft können unter anderem sein:
Die Nachbarn vor dem Einzug kennenlernen, bzw. mit Freunden oder Bekannten zu-
sammen einer Baugruppe beitreten;
Sich gegenseitig beim Bauen und Wohnen unterstützen;
164 STADT FREIBURG (2012). Quartier Vauban
165 A. BURZACCHINI. Aiforia- Agency for Sustainability. Freiburg
Themenkomplexe
Seite 148
Gemeinsame Planung des Hauses;
Individuelle Gestaltung der Wohnung mit vorgegeben Grundriss;
Gemeinsame Gestaltung der Gärten und Gemeinschaftsräume;
Nachbarschaft als soziales Netzwerk gestalten;
Kinder finden leicht Spielgefährten;
Großer Input von Seiten der Bewohner, der Architekten Entstehung neuer Wohn-
formen;
Wunsch in einem selbstorganisierten Stadtteilzentrum zu wohnen;
Ökologische Motive können sein:
Vermeidung von Zersiedelung der Landschaft und intensiver Nutzung der Autos;
Wunsch nach Schonung der Umwelt und Gesundheit durch Verwendung entsprechen-
der Technik und Materialien;
Wunsch nach Schonung der Energieressourcen durch eigene Energieversorgung;
Spezielle Förderung von Biodiversität, z.B. durch das Einrichten von Nistplätzen für
Mauersegler;
Ökonomische Gründe können sein:
Bis zu 20% Kosten gegenüber konventionellem Bauen sparen;
Nebenkosten stark reduzieren durch Wärmedämmung;
Die Allgemeinkosten werden auf mehrere Familien verteilt;
Allgemein werden Energieressourcen gespart;166
Die Beschreibung dieses Kapitels macht deutlich, dass durch die Bedeutung der ökologi-
schen, sozialen und ökonomischen Aspekte, ein Nachhaltigkeitsansatz besteht. In sozialer
Hinsicht ist zu bemängeln, dass die erläuterten Wohnformen nicht für sozial schwache Men-
schen zugänglich sind.
166 R. PRIGGE, H.WAGNER (2011). Film „Wohnen im Vauban. Wie Baugemeinschaften einen Stadtteil der Zu-
kunft gestalten“
Themenkomplexe
Seite 149
Abbildung 35: Typischer Baustil in Freiburg- Vauban
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.7.2012
Abbildung 36: Wohngenossenschaft Genova als Größte in Vauban
Quelle: Eigene Aufnahme. 3.7.2012
Themenkomplexe
Seite 150
Abbildung 37: Das erste Mehrfamilienpassivhaus der Welt der Baugemeinschaft „Wohnen und Arbeiten“
Quelle: Eigene Aufnahme, 2.5.2012
4.2.1.1.2 Bauen
Alle in Vauban bestehenden Häuser sind nach dem Baukonzept eines Passivhauses oder min-
destens eines Niedrigenergiehauses gebaut. Das Konzept des Passivhauses beschreibt folgen-
de Grundsätze167
:
Wärmedämmung:
o Alle opaken Bauteile, also Bauteile, die kein Licht durchlassen, der Außenhül-
le des Hauses sind so gut gedämmt, dass sie einen Wärmedurchgangskoeffi-
zienten (U- Wert)168
von maximal 0,15W/m²K haben, d.h. pro Grad Tempera-
167 PASSIVHAUS- INSTITUT (2012). Qualitätsanforderungen an Passivhäuser
168 Der Wärmedurchgangskoeffizient ist ein Maß für den Wärmestromdurchgang durch eine Materialschicht,
wenn auf beiden Seiten verschiedene Temperaturen anliegen. Er gibt die Leistung (Energiemenge pro Zeit-
einheit) an, die durch eine Fläche von 1m² fließt, wenn sich die beiden anliegenden Lufttemperaturen stati-
onär um 1 Kelvin unterscheiden.
Themenkomplexe
Seite 151
turunterschied und Quadratmeter Außenfläche gehen höchstens 0,15 W verlo-
ren;
Fenster
o Die Fenster (Verglasung einschließlich der Fensterrahmen) sollen einen U-
Wert von 0,8W/m²K nicht überschreiten, bei g- Werten über 50% (g- Wert=
Gesamtenergiedurchlasswert, Anteil der für den Raum verfügbaren Sonnen-
energie). Große Fenster und Balkon befinden sich auf der Süd- und Westseite
des Hauses;
Lüftungswärmerückgewinnung
o Die Komfortlüftung mit der hochwirksamen Wärmerückgewinnung bewirkt in
erster Linie eine gute Raumluftqualität- in zweiter Linie dient sie der Energie-
einsparung. Im Passivhaus werden mindestens 75% der Wärme aus der Abluft
über einen Wärmeübertrager der Frischluft wieder zugeführt;
o Be- und Entlüftung mit Wärmetauschern, sodass sich die Frischluft an der ver-
brauchten aber warmen Luft erwärmt
o Solarmodule, Beteiligung an einer regionalen Windkraftanlage
o Eigenes blockheizkraftwerk Kraft- Wärmekopplung, es wird nicht nur
wärme produziert , sondern auch Strom
o Verbrauchte Luft wird abgesaugt aber heizt frische Luft vor
Luftdichtheit des Gebäudes
o Die Leckage durch unkontrollierte Fugen muss beim Test mit Unter-
/Überdruck von 50 Pascal kleiner als 0,6 Hausvolumen pro Stunde sein;
Wärmebrückenfreiheit des Gebäudes
o Alle Kanten, Ecken, Anschlüsse und Durchdringen müssen besonders sorgfäl-
tig geplant und ausgeführt werden, um Wärmebrücken zu vermeiden. Wärme-
brücken, die nicht vermieden werden können, müssen soweit wie möglich mi-
nimiert werden. Der Balkon wird deshalb vor das Haus gebaut (s. Abb. 38);
Für einen besseren Überblick der Standards, gibt Abbildung 39 einen visuellen Eindruck, was
bei der Errichtung eines Passivhauses alles beachtet werden muss.
Themenkomplexe
Seite 152
Abbildung 38: Abstehender Balkon um Wärmebrücken zu vermeiden
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.7.2012
Abbildung 39: Qualitätsanforderungen an ein Passivhaus
Quelle: PASSIVHAUS- INSTITUT (2012). Qualitätsanforderungen an Passivhäuser
Themenkomplexe
Seite 153
Im Norden von Vauban schließt sich die Solarsiedlung an das Stadtviertel an. Hier wurden
vom Architekten Rolf Disch Energie plus Häuser geplant, d.h. es wird durch erneuerbare
Energien mehr Energie erzeugt als das einzelne Haus benötigt. Die überschüssige Energie
wird weitergeleitet. Wie in Abbildung 42 zu sehen ist, wurden die Dächer der Einfamilien-
häuser komplett mit Solarzellen bebaut, um so das Maximum an Solarenergie zu erzeugen.
Das Solarschiff (Abb. 40) ist ein Gebäudekomplex, der durch oben aufsitzende Häuser eben-
falls mit Solarenergie versorgt wird. In diesem Komplex befinden sich ein großer Naturkost-
laden, eine Drogerie, eine GLS Bank und mehrere Büroräume.
In der Solarsiedlung gibt es im Vergleich zu Vauban oder vielmehr zu Rieselfeld wenig sozia-
le Durchmischung. Es handelt sich um Einfamilienhäuser, welche um 40% teurer sind als
Passivhäuser. Aus diesem Grund wurde beschlossen, für die Allgemeinheit Passivhäuser zur
Verfügung zu stellen. Dieser soziale Aspekt zeigt, dass eine nachhaltige Stadtentwicklung alle
sozialen Schichten so weit wie möglich mit ein bezieht und nicht nur für die Oberklasse mög-
lich ist.169
Abbildung 40: Sonnenschiff der Solarcity im Vauban 1
Quelle: Eigene Aufnahme, 2.5.2012
169 A. BURZACCHINI. Aiforia- Agency for Sustainability. Freiburg
Themenkomplexe
Seite 154
Abbildung 41: Sonnenschiff der Solarcity im Vauban 2
Quelle: Eigene Aufnahme, 2.5.2012
In der Bauleitplanung besteht seit dem 1.1.2011 die Satzung, dass bei einem privaten Neubau
das Gebäude nach dem Niedrigenergiestandard verwirklicht werden muss. Ab dem 1.1.2013
wird die Regelung ebenfalls für öffentliche Gebäude gelten. Da der Bau von Niedrigenergie-
häusern oder gar von Passivhäusern nicht wesentlich teurer ist als der Bau von einem „norma-
len“ Haus, ist diese Satzung sozial verträglich. Hinzu kommt, dass die Energiekosten eines
Passivhauses im Vergleich zu einem normal herkömmlich gebauten Hauses nur ein Zehntel
betragen.170
Die beschriebenen Standards für energieeffizientes Bauen sollen nicht den Eindruck erwe-
cken, dass eine alleinige Verfolgung von Energiestandards nachhaltiges Bauen bedeutet. Pa-
rameter, wie die Qualität des Raumklimas oder die Langlebigkeit der Materialien sowie die
Kriterien nach Kapitel 3.2.5. und 3.2.6. sollten für den Standard „Nachhaltiges Bauen“ ebenso
erfüllt werden, also nicht nur Maßnahmen zur Energieeffizienz.
170 STADT FREIBURG (2012). Freiburger Baustandards. S.2
Themenkomplexe
Seite 155
Abbildung 42: Energie- plus- Häuser in Freiburg- Vauban
Quelle: Eigene Aufnahme, 2.5.2012
4.2.1.1.3 Verkehr
Die Möglichkeit, mehrere Ziele auf unterschiedlichen, möglichst kurzen Wegen erreichen zu
können, macht einen Teil der Lebensqualität in städtischen Gebieten aus. Dieser Anspruch
und die Notwendigkeit mobil zu sein, prägen die Städte im Stadtbild, in der Luftqualität, in
der Aufenthaltsqualität, etc. Am prägendsten, bezüglich dieser Auswirkungen, ist unter den
Verkehrsmitteln wohl der motorisierte Individualverkehr (MIV).
Vauban steht für die „Stadt der kurzen Wege“ und zudem als autofreier Distrikt, was jedoch
nicht ganz der Wahrheit entspricht. Es existieren 164 PKWs auf 1000 Einwohner.171
Um eine
hohe Mobilität zu gewährleisten und gleichzeitig die Lebensqualität aufrechtzuerhalten, und
171 STADT FREIBURG (2012). Quartier Vauban
Themenkomplexe
Seite 156
die Belastungen von Mensch und Umwelt durch den Verkehr zu verringern, ist es notwendig
den Verkehr umweltfreundlich zu gestalten, mitunter den Umweltverbund, d.h. den öffentli-
chen Nahverkehr und den Rad- und Fußverkehr, zu stärken. Gleichzeitig muss der MIV rest-
riktiv behandelt werden. So entsteht weniger Lärm, mehr Platz und Sicherheit, was wiederrum
zu einer höheren Aufenthaltsqualität führt. Eine restriktive Behandlung des MIV heißt, die
Infrastruktur so auszulegen, dass es unpraktisch, teuer und unattraktiv ist, den MIV regelmä-
ßig zu nutzen. Im Besitz eines Autos muss im Vauban ein Parkstand beantragt werden, der
rund 17.000 Euro, kostet- so viel zu den Kosten des MIVs.172
Push- Maßnahmen173
, wie Car- Sharing, Park& Ride, besondere Tarife für den ÖPNV (z.B.
Studententicket) „Rent a Bike“, bzw. Fahrradverleihstationen, zahlreiche Fahrradstellplätze,
Bike& Business, Bike& Ride und ein gut ausgebautes Fuß- und Radwegenetz der Stadt er-
möglichen einen attraktiven Umweltverbund. Pull- Maßnahmen174
hingegen sind, speziell auf
Vauban bezogen, die erwähnten Parkstandpreise von 17.000 Euro, schmale Straßen, bzw.
Wege, welche immer wieder durch Pfeiler untergliedert sind und somit für den MIV höchst
unattraktiv sind. Allgemeine Pull- Maßnahmen sind z.B. City- Maut, Umweltzonen, Zu-
fahrtsbeschränkungen, Parkraummanagement, Verkehrstelematik und Verkehrsberuhigung. 175
Die Stadtstruktur „der kurzen Wege“ wird vom Freiburger „Märkte- und Zentrenkonzept“
verstärkt integriert und verfolgt, auf das in Kapitel 4.2.3. detailliert eingegangen wird. Schu-
len, Kindergärten- Läden und sonstige Einrichtungen sind zu Fuß oder mit dem Fahrrad vor
Ort zu erreichen. Vor Ort in einem der regionalen Bioläden einzukaufen ist für die Bürger
besonders geschickt, da Bewohner des Stadtteils durch eine spezielle Einkaufskarte im Ein-
zelhandel in Vauban Rabatt bekommen. Dieses Anreizinstrument gilt ebenso für den Einkauf
172 A. BURZACCHINI. Aiforia- Agency for Sustainability. Freiburg
173 Push (Förderung)- Maßnahmen sind im Verkehrssektor gewisse Handlungen, durch die Entwicklungen ge-
fördert werden- im Fall von Vauban und nach dem neuesten Stand im Verkehrsmanagement ist das die
Förderung des Umweltverbunds.
174 Das Pendant zu den Push- Maßnahmen sind die Pull (Wegnehmen, entziehen, eindämmen)- Maßnahmen.
Diese Handlungen bewirken durch beispielsweise Verbote oder zusätzliche Kosten, ein Eindämmen einer
Entwicklung. Bezüglich des Textes und der allgemein angestrebten Nachhaltigkeit im Verkehrsmanage-
ment geht es um die restriktive Behandlung des MIVs.
175 P. SCHÄFER (2011). Vorlesungsskript Megatrends
Themenkomplexe
Seite 157
auf dem Markt, der zwei Mal die Woche auf dem Marktplatz (s.Abb.43) stattfindet. Der
Marktplatz bietet auch Platz für andersartige Veranstaltungen und Organisationen.
Ein Nachteil des Verkehrskonzeptes ist das bisherige Fehlen einer geeigneten Lenkung für
Besucher, die mit dem Auto anreisen. Ein weiteres Problem ist der oft weite Weg der wenigen
Parkstellplätze zu den Wohnhäusern.
Abbildung 43: Marktplatz und sozialer Mittelpunkt von Vauban
Quelle: Eigene Aufnahme, 2.5.2012
4.2.1.1.4 Regenwasserbewirtschaftung
In urbanen Räumen wird aus ökologischen, klimatischen und ökonomischen Gründen immer
größeren Wert auf eine nachhaltige Siedlungswasserwirtschaft gelegt. Der Klimawandel und
damit einhergehende Ereignisse, wie Starkregenereignisse und Überschwemmungen fordern
verstärkt eine möglichst naturnahe Wasserbewirtschaftung in Städten.
Ballungsräume werden deshalb in besonderem Maße herangezogen ein alternatives Entwässe-
rungskonzept zu betreiben, da hier der Anteil an versiegelten und befestigten Flächen beson-
Themenkomplexe
Seite 158
ders hoch ist, und sich der Wasserhaushalt in Ballungsräumen demnach gegenüber dem der
freien Landschaft völlig anders verhält. Urbane Räume mit einer hohen Versiegelungsrate und
einem Mischsystem, wie es zu 2/3 in Deutschland üblich ist176
, fließt das Regenwasser größ-
tenteils oberirdisch in die Kanalisation ab. Dieser zusätzliche Abfluss, auch in Anbetracht der
im Rahmen des Klimawandels zunehmenden Starkregenereignisse, neben dem Schmutzwas-
ser überfordert die Kanalisation und die Kläranlagen und führt zudem durch steigende Bau-,
Material- und Betriebskosten auch zu steigenden Gebühren für den Bürger177
. Desweiteren
führt diese konventionelle Wasserbewirtschaftung, dass das Grundwasser nicht neu gebildet
wird, dass Abflüsse beschleunigt abfließen und Überschwemmungen herausgefordert werden.
Im Jahr 2009 wurde nach §55 „Grundsätze der Abwasserbeseitigung“ des Wasserhaushaltsge-
setz (WHG) rechtlich festgelegt, wie mit Niederschlagswasser in bebauten Gebieten umge-
gangen werden muss. So heißt es wie folgt:
„Niederschlagswasser soll ortsnah versickert, verrieselt oder direkt oder über eine Ka-
nalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden,
soweit dem weder wasserrechtliche noch sonstige öffentlich- rechtliche Vorschriften
noch wasserwirtschaftliche Belange entgegenstehen.“
Zudem fordert die DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall)
die Veränderungen des natürlichen Wasserhaushalts durch Siedlungsaktivitäten in mengen-
mäßiger und stofflicher Hinsicht so gering zu halten, wie es technisch, ökologisch und wirt-
schaftlich vertretbar ist.178
Zu diesem Thema wird ein Projektbeispiel aus Freiburg Vauban erläutert.
Generell gibt es für Niederschläge die Möglichkeiten des Verdunstens, der Versickerung und
des Abfließens.179
Nach dem neuesten Stand soll ein Abfluss soweit es geht vermieden wer-
den, z.B. durch dezentrale Maßnahmen (Vegetation, Dachbegrünung, Zisternen, etc.). Danach
folgt die Verdunstung und die Versickerung mit Hilfe von Versickerungseinrichtungen, wo-
176 INSTITUT FÜR HYDROLOGIE- Universität Freiburg. Regenwasserbewirtschaftung, S.3
177 H. ECKHARDT: Technische Infrastruktur 1, S.86
178 DWA-A 100 2006
179 H. ECKHARDT: Technische Infrastruktur Skript 1, S.86
Themenkomplexe
Seite 159
nach bei Starkregenereignissen das überschüssige Wasser zum Abfluss kommt- entweder in
die Kanalisation oder in ein Gewässer.
Vor 10 Jahren wurde in Freiburg Vauban beschlossen das Regenwasser, das überwiegend im
Trennsystem180
bewirtschaftet wird, in Mulden- Rigolen und durch weitere dezentrale Maß-
nahmen, z.B. Dachbegrünung, Bäume, Regentonnen vorwiegend vor Ort zurückzuhalten,
dann zu speichern- für eine Verdunstung und Versickerung.
Dieses Projekt bzw. Evaluierung des Projekts soll folgende Fragestellungen klären181
:
Entsprechen die Annahmen und Berechnungen bzgl. des Niederschlags und Abflusses,
welche 1996 getroffen wurden, dem heutigen Abfluss- und Versickerungsverhalten?
In Vauban gibt es viele Dachbegrünungen. Welchen Einfluss haben diese auf das Ab-
fluss- und Versickerungsverhalten?
Haben vorhandene Gehölze und Sträucher einen Einfluss auf den Abfluss bei Starkre-
genereignissen?
Allgemein gibt es zu dem möglichen Einfluss von Vegetation auf den Wasserhaushalt
in Zusammenhang mit Siedlungswasserwirtschaft widersprüchliche Angaben. So gibt
es Studien über großen Nutzen von Vegetation im Verhältnis zu den Kosten von Infra-
struktur und Maßnahmen bzgl. Siedlungswasserwirtschaft. Es wird der Nutzen von
Bäumen wohl stark unterschätzt. So gibt es Studien, die durch eine Nutzen- Kosten-
Analyse zeigen, dass Bäume einen positiven Einfluss auf die Stadtentwässerung im
Wert von 400.000.000.000 Dollar haben. Dieser Wert lässt sich durch den Nutzen der
Bäume bzgl. der Reduzierung des Abflusses und somit der Reduzierung der Kosten
für die Infrastruktur und Maßnahmen, erklären. Es gibt zahlreiche Studien, die den
Einfluss auf die Interzeption quantifizieren. Jedoch sind die meisten Studien in bewal-
deten Gebieten durchgeführt worden, d.h. dass Gehölze in Städten ein weitaus größe-
res Kronendach, eine dichtere Belaubung vorweisen, was andere Ergebnisse erwarten
lässt;
180 Entwässerung im Trennsystem heißt, dass es zwei Kanäle gibt, die das häusliche, gewerbliche und industrielle
Schmutzwasser separat vom anfallenden Niederschlagswasser entsorgt- ECKHARDT, HEINZ: Technische
Infrastruktur Skript 2, S.8
181 INSTITUT FÜR HYDROLOGIE- Universität Freiburg. Regenwasserbewirtschaftung, S.4
Themenkomplexe
Seite 160
Welche Schlüsse und Empfehlungen können aus der Evaluierung gezogen werden?
Die Evaluierung ist zurzeit in Gange, sodass in dieser Arbeit keine Aussagen diesbe-
züglich getroffen werden können;
Die einzelnen Komponenten der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung (Dächer, Vegetati-
on, Rigolen, Versickerungsgräben) sollen einzeln und integrativ erfasst und bzgl. der Retent i-
on (Menge und Intensität) quantifiziert werden. Um die Retention der Komponenten zu erfas-
sen, werden Input, Output und evtl. Speicheränderungen erfasst. Teilweise werden einzelne
Komponenten zur Absicherung der Ergebnisse auch durch künstliche Versuche überprüft.
Die Grundvoraussetzungen sind in Freiburg Vauban nicht besonders gut, da es sich bei den
Untergrundverhältnisse an vielen Stellen um einen lehmigen, d.h. sehr bindigen und nahezu
wasserundurchlässigen Boden handelt. Der Bodentyp und dessen Eignung für eine Versicke-
rung wird in der Wasserwirtschaft mit dem Kf- Wert angegeben.
Der Durchlässigkeitsbeiwert (Kf- Wert) ist ein rechnerischer Wert, der die Wasserdurchläs-
sigkeit beschreibt und der als Faktor bei Berechnungen in die Wasserwirtschaft eingeht. Die
Formel zur Berechnung des Kf- Wertes ist kf = Q/J⋅A[m/s]. Die Einheit ist Meter pro Sekun-
de und beschreibt daher wie viele Sekunden das Wasser braucht, um einen Meter des Bodens
zu durchdringen, bzw. zu durchsickern. 182
182 H. ECKHARDT: Technische Infrastruktur Skript 1, S.32
Themenkomplexe
Seite 161
Abbildung 44: Kf- Wert
Quelle: H. ECKHARDT: Technische Infrastruktur Skript 1, S.32
Ein Durchlässigkeitsbeiwert sollte zwischen 10-3
und 10-6
liegen, um die Funktionsfähigkeit
einer Versickerungsanlage sicher zu stellen. Im Quartier besteht durch den lehmigen Boden
ein Kf- Wert von 10-5
bis 10-11
, je nachdem wie die Bestandteile des Lehms, nämlich Ton,
Schluff und Sand verteilt sind. Wenn der Tonanteil im Schluff besonders hoch ist, ist der Bo-
den dementsprechend aufgrund der Bindigkeit von Ton, wasserundurchlässiger als wenn der
Sandanteil im Lehm überwiegt und die Poren daher um einiges größer sind. Aus diesem
Grund sollten im Vauban zunächst keine Versickerungsanlagen installiert werden, sondern
zunächst nur der Ausbau einer herkömmlichen Trennkanalisation durchgeführt werden. In den
folgenden Jahren jedoch wurde dieser Beschluss durch die hohen Ansprüche der Stadt Frei-
burg in nachhaltiger Stadtentwicklung und auch durch Rechtsgrundlagen (WHG) überdacht.
Deshalb wurden zur Ableitung des Regenwassers in den Neubaugebieten Sammelgräben (s.
Abb.45) angefertigt, die das Regenwasser aus den Wohngebieten in die Gräben „Nord“ und
„Boulevard“ leiten sollten (s. Tabelle 22).
Abbildung 45 gibt einen Überblick über das Entwässerungssystem. Die Pfeile geben die
Fließrichtung des Regenwassers an. Die Verweise auf mehrere Abbildungen sollen einen Be-
zug zu Schema 45 herstellen.
Themenkomplexe
Seite 162
In den Gräben „Nord“ und „Boulevard“ sind Mulden- Rigolen eingebaut, in denen das ge-
speicherte Regenwasser versickert werden soll. Bei Starkregenereignissen oder lang anhalten-
den Niederschlägen wird das überschüssige Wasser, das nicht mehr in den Mulden- Rigolen
gespeichert werden kann, über den Überlaufschacht dem Dorfbach zugeführt.
Mulden- Rigolen kombinieren die Vorteile von Mulden und Rigolen. Mulden sind generell
sehr leicht anzulegen. Meistens beträgt die Tiefe der Mulde max. 30 cm um Dauerstau zu ver-
hindern und um Absturz- und Ertrinkungsgefahren zu minimieren. Da es sich in der Praxis
bewährt hat, die Mulde mit einer Schicht Mutterboden anzulegen, wurde im Vauban eine
Mutterbodenschicht mit einer Mächtigkeit von 0,3- 0,5 m angelegt. Der Grundwasserflurab-
Abbildung 45: Regenwasserentwässerungskonzept Vauban
Quelle: Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Jörg Lange, Institut für Hydrologie, Universität Freiburg
Themenkomplexe
Seite 163
stand muss mindestens 1 m betragen, um einen Mindestabstand zwischen der Sohle der Ver-
sickerungsanlage und dem Grundwasserspiegel zu gewährleisten.
In einer Rigole wird das Regenwasser unterirdisch gespeichert und nach und nach durch Ver-
sickerung dem Untergrund zugefügt. In Freiburg Vauban wurde größtenteils anstatt einer
Kies-, Lava- oder Kunststoffrigole, ein Hohlraumkörper aus Polypropylen, das sogenannte
RigoFill, mit einem Porenvolumen von 95% eingebaut, um die Speicherkapazität zu erhöhen.
Abbildung 46: Bau einer RigoFill- Rigole
Quelle: Mit freundlicher Genehmigung der Firma Ernst& Co Freiburg
Die Vorteile der Kombination sind, dass die Mulde das Niederschlagswasser oberirdisch spei-
chert, wohingegen die Rigole unterirdisch als Vergrößerung des Speichervolumens dafür
sorgt, dass die Mulde nicht zulange eingestaut ist und langfristig funktionstüchtig bleibt. Vor
Ort fiel die Wahl auf ein Mulden- Rigolen- System, da aufgrund der städtischen Umgebung
wenig Freifläche zur Verfügung steht und der Boden keine gute Wasserdurchlässigkeit auf-
weist.
Themenkomplexe
Seite 164
Abbildung 47: Sammlung des Regenwassers in den Wohnangern und Weiterleitung in die Mulden
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.7.2012
Abbildung 48: Einleitung in das Mulden- Rigolen System
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.7.2012
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Seite 165
Abbildung 49: Schwellen im Muldensystem
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.7.2012
Abbildung 49 zeigt eine der vorhandenen Schwellen im Muldensystem. Diese sollen das
Wasser verlangsamen, damit es leichter zur Versickerung und Verdunstung kommen kann. Im
Fall eines lang anhaltenden Regens oder einem Starkniederschlag kann es dazu kommen, dass
das Regenwasser über die Schwellen fließt.
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Abbildung 50: Stehendes Niederschlagswasser in der Mulde
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.7.2012
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Abbildung 51: Querschnitt einer Mulden- Rigole
Quelle: Mit freundlicher Genehmigung von Dipl.-Geogl. Nicole Jackisch, Institut für Hydrologie, Universität
Freiburg
Abbildung 52: Schnitt durch einen der zwei Gräben mit Überlaufschacht
Quelle: Mit freundlicher Genehmigung von Dipl.-Geogl. Nicole Jackisch, Institut für Hydrologie, Universität
Freiburg
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Seite 168
Die zwei Schnitte in Abbildung 51 und 52 zeigen einmal vereinfacht und detailliert, wie ein
Mulden- Rigolen- System aufgebaut ist. Im zweiten etwas detaillierten Schnitt ist der Über-
laufschacht zu erkennen, über den überschüssiges Regenwasser bei einem Starkregenereignis
oder einem sehr lang anhaltenden Regenereignis, direkt in die Kanalisation fließen kann.
Abbildung 53: Einleitung des überschüssigen Wassers in den Vorfluter
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.7.2012
Im Vauban werden derzeit ca. 70-80% der Flächen im Trennsystem mit offener Regenwasser-
ableitung entwässert. 183
Es handelt sich dort weitestgehend um unbedenklich bis tolerierbare Niederschlagsabflüsse,
die nicht vorbehandelt werden müssen und somit keiner Erlaubnis bedürfen. (s. Tabelle 21).
Vorbehandlungen des Wassers, physikalisch und/oder biologisch, müssen teilweise bei tole-
rierbarer und auf jeden Fall bei nicht tolerierbarer Qualität durchgeführt werden. Dazu ist zu
183 INSTITUT FÜR HYDROLOGIE- Universität Freiburg. Regenwasserbewirtschaftung, S.7
Themenkomplexe
Seite 169
sagen, dass die Straßenflächen des Quartiers aufgrund des hohen Verschmutzungsgrades,
nicht mit in das Entwässerungssystem eingebunden sind, sondern nur die Wohnanger.
Tabelle 21: Qualität der Niederschlagsabflüsse
Quelle: DWA- A 138
Flächenart Qualitative Bewertung
-Gründächer, Wiesen und Kulturland
-Dachflächen ohne Verwendung von unbeschichteten Metallen (Kupfer,
Zink und Blei)
Terrassenflächen in Wohn- und vergleichbaren Gewerbegebieten
Unbedenklich
-Dachflächen mit üblichen Anteilen an unbeschichteten Metallen
-Rad- und Gehwege in Wohngebieten, verkehrsberuhigte Bereiche
-Hofflächen und PKW- Parkplätze ohne häufigen Fahrzeugwechsel sowie
wenig befahrene Verkehrsflächen (bis DTV (durchschnittliche tägliche
Verkehrsstärke)300 Kfz)
-Straßen mit DTV 300- 5.000 Kfz
-Rollbahnen von Flugplätzen
-Dachflächen von Gewerbe und Industriegebieten mit signifikanter Luft-
verschmutzung
Tolerierbar
-Hofflächen und Straßen in Gewerbe- und Industriegebieten mit signifi-
kanter Luftverschmutzung
-Sonderflächen, s.DWA
Nicht tolerierbar
Aufgrund der hohen Investitionskosten muss aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine ge-
naue Dimensionierung der Anlagen vollzogen werden. Für die Berechnungen und Annahmen
der Regenwasserversickerung in Mulden- Rigolen sind einige Werte und Formeln relevant.
Die Berechnung einer Mulden- Rigolen- Versickerungsanlage erfolgt in drei Schritten184
:
184 TECHNISCHE UNIVERSITÄT DRESDEN (2009). Institut für Landschaftsarchitektur- Regenwassermanagement.
Mulden- Rigolenversickerung
Themenkomplexe
Seite 170
Dimensionierung der Mulde:
und
Um das Muldenvolumen in m³ zu ermitteln, bedarf es folgender Werte:
Ared: Die angeschlossene abflusswirksame Fläche angegeben in m² ist die Fläche, die für die
Mulde das Einzugsgebiet mit einer mehr oder weniger versiegelten Fläche darstellt. Je nach
Abflussbeiwert wird die Fläche meistens kleiner als die der Realität angegeben. In Vauban
beträgt die tatsächlich angeschlossene Fläche 16 ha mit Abflussbeiwerten von 0,25 bis 0,46,
d.h. die Oberflächenbeschaffenheit ist relativ durchlässig. Die angeschlossene Fläche wird mit
dem Abflussbeiwert multipliziert, um zu ermitteln wie viel Wasser von angeblich undurchläs-
siger Fläche in die Versickerungsanlage einströmt. In Vauban sind das bei der eigentlichen
Fläche von 16 ha tatsächlich nur 6,7 ha, nachdem die Fläche mi dem Abflussbeiwert multipli-
ziert wurde.
Der Abflussbeiwert Ψ ist der Quotient aus dem Teil eines Niederschlagsereignisses, der direkt
zum Abfluss gelangt (effektiver Niederschlag) und dem Gesamtniederschlag. Je höher der
Abflussbeiwert ist, desto weniger Wasser kann versickern. Bei einem Abflusswert von 1 ist
die Fläche komplett versiegelt, d.h. es kann kein Wasser versickern (z.B. Fliesen). Bei einem
Wert von 0 versickert das ganze Wasser und es entsteht kein oberflächiger Abfluss (z.B. eine
Frischwiese auf flachem Gelände).
As: Die zur Verfügung stehende und die benötigte Fläche für die Muldenversickerung wird in
m² angegeben. In Freiburg Vauban steht, wie erwähnt, wenig Fläche zur Verfügung, deshalb
muss an dieser Stelle dieser Faktor mit einfließen, um die optimale Größe, also so klein wie
möglich, bei einer Erfüllung der vollen Anforderung, zu ermitteln.
rt(n): Die maßgebende Regenspende wird in l/(s*ha) angegeben, also wie viel Liter Nieder-
schlag pro Sekunde auf einen Hektar fallen. Diese Angabe wird als Regenereignis mit einer
bestimmten Dauer und Häufigkeit anzugeben, also ist ein statistischer Regen mit Dauer D und
Häufigkeit n heran zu ziehen. In Freiburg wurde zur Berechnung der oberirdischen Rinnen in
den Wohngebieten von einem 10- minütigen Regenereignis mit einer Jährlichkeit von 0,5
ausgegangen. Zur Berechnung der offenen Gräben ist man von einem 15- minütigen Regener-
eignis mit einer Jährlichkeit von 0,2 als Bemessungsgrundlage ausgegangen.
Themenkomplexe
Seite 171
kf- Wert: Der Durchlässigkeitsbeiwert, angegeben in m/s ist in Abbildung 44 und in beglei-
tendem Text beschrieben.
t :t ist die Dauer des Bemessungsregens, angegeben in Minuten.
fz:fz ist ein Zuschlagsfaktor gemäß DWA- A 117 (Bemessung von Regenrückhalteräumen).
Die zweite Formel zur Berechnung von der Höhe h wird durchgeführt, da diese Angabe in der
Formel zur Dimensionierung der Rigole benötigt wird.
Dimensionierung der Rigole :
und
Die Rigole wird dimensioniert, indem die Länge und das Volumen berechnet werden. Dazu
werden neben den Werten zur Berechnung der Mulde weitere Werte benötigt:
QDR: (Mittlerer) Drosselabfluss angegeben in m³/s. Dieser Faktor wird nur in die Berechnung
mit einbezogen, wenn es sich um eine Rigole mit Ableitungsmöglichkeit handelt. Der Dros-
selabfluss QDR ist gewöhnlich kleiner als der Zulauf in die Rigole.
bR: Die Breite der Rigole angegeben in Meter.
hR: Die Höhe der Rigole angegeben in Meter.
SRR: Der Speicherkoeffizient der Rigole.
Festlegung der Muldenabmessungen:
und
Die Kenndaten zu den Versickerungsgräben Graben Nord und Boulevardgraben sind folgen-
de:
Themenkomplexe
Seite 172
Tabelle 22: Kenndaten zu den Versickerungsgräben
Quelle: INSTITUT FÜR HYDROLOGIE- Universität Freiburg. Regenwasserbewirtschaftung, S.8
Graben Nord Boulevardgraben
Abflusswirksame Fläche (Ared) 3,2 ha 3,5 ha
Fläche des Grabens 570 m² 670 m²
Retentionsvolumen 120 m³ 166 m³
Anzahl der Muldenkaskaden 12 18
Mittlere Einstauhöhe 0,24m 0,2m
Angenommene Sickerleistung
kf/2
5*10-6m/s 5*10-6m/s
Mittlere Sickerdauer des
Muldenvolumens
14,9h 10,6h
Erzielbare Sickerleistung 2,3 l/s 3 l/s
Tabelle 23:Verdunstungs-, Versickerungs- und Abflussmengen des Mulden- Rigolen- Systems in Vauban (Simulati-onsergebnisse) aus Freiburg (1996)
Quelle: INSTITUT FÜR HYDROLOGIE- Universität Freiburg. Regenwasserbewirtschaftung, S.8
Bilanz über den gesam-
ten Simulationszeitraum
Simulation 1 Simulation 2 Simulation 3 Simulation 4
Kf- Wert m/s 5*10-6 10-5 5*10-6 10-5
GW- Stand m³ Mittlerer Grundwasserstand Hoher Grundwasserstand
Zulaufvolumen in Mul-
den
m³ 598305 598305 598305 598305
Verdunstung Bodenspei-
cher
m³ 7250 7797 7519 8119
Verdunstung aus den
Mulden
m³ 1998 1334 1704 983
Verdunstung aus den
Rigolen
m³ 371159 432282 217140 219631
Themenkomplexe
Seite 173
Abfluss in den St.
Georgener Dorfbach
m³ 215267 155163 372641 370322
Anteil Regenwasser-
rückhaltung
% 64 74 38 38
Aus den Simulationen können folgende Schlüsse gezogen werden:
Die verbesserte Durchlässigkeit des Mutterbodens verbessert den Anteil des versicker-
ten Regenwassers;
Simulation drei und vier zeigen, dass bei erhöhten Grundwasserständen durch den
Einstau der Rigolen weniger Regenwasser versickern kann, als bei niedrigem Grund-
wasserstand und mehr Platz zwischen Sohle der Versickerungsanlage und Grundwas-
serspiegel besteht. So fließt mehr Wasser in den Dorfbach;185
Abbildung 54: Weitere dezentrale Entwässerungsmaßnahmen
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.7.2012
Neben der Vegetation, der Dachbegrünung und den Versickerungsanlagen gibt es weitere
kleine dezentrale Maßnahmen. Ein Beispiel zeigt Abbildung 54. Hier werden in der Bord-
steinkante immer wieder Lücken gelassen, damit bei Starkregenereignissen das anfallende
185 INSTITUT FÜR HYDROLOGIE- Universität Freiburg. Regenwasserbewirtschaftung, S.8
Themenkomplexe
Seite 174
Wasser in den begrünten Randbereich abfließen kann. Ein weiterer, weicher Faktor, der für
eine naturnahe Regenwasserbewirtschaftung spricht, ist zum einen die attraktive visuelle Er-
scheinung der Grünflächen und zum anderen, aus ökologischer Sicht betrachtet, der erhöhte
Grünanteil in der Stadt und die damit, des Öfteren erwähnt, verbundenen Wohlfahrtswirkun-
gen (s. u.a. Kapitel 4.3.).
4.2.1.2 Rieselfeld
Abbildung 55: Stadtteile Rieselfeld und Weingarten und das potentielle Neubaugebiet
Quelle: Stadt Freiburg. FreiGIS
Der Stadtteil Rieselfeld186
wurde zeitgleich mit Vauban ab dem Jahr 1997 bis 2010 erbaut.
Das Quartier umfasst 700.000 m² und 12.000 Einwohner, ist also ca. doppelt so groß wie
Freiburg Vauban. Im Gegensatz zu Vauban wurde in Rieselfeld besonders darauf geachtet
eine soziale Durchmischung der Bevölkerung anzustreben, d.h. nicht nur für sozial gehobene
186 Der Name Rieselfeld rührt daher, dass früher das Abwasser von Freiburg auf dem früheren Grünland
verrieselt wurde.
Themenkomplexe
Seite 175
Bürger neuen Wohnraum zu schaffen, sondern auch für sozial schwächere Menschen. Des-
halb sind in Rieselfeld 25% der Gebäude Sozialwohnungen.187
Die weiteren städtebaulichen Prinzipien stimmen in überwiegendem Maße mit denen in Vau-
ban überein. Das Verkehrskonzept verfolgt ebenfalls eine restriktive Behandlung des MIV
und eine Förderung des ÖPNV. Die Bauweise verfolgt ebenfalls den Energieeffizienzstandard
und das Regenwassermanagement erfolgt hier mit einer Regenbeckenversickerung als zentra-
le Maßnahme im Gegensatz zu Vauban, wo das Regenwasser in mehreren dezentralen Maß-
nahmen entsorgt wird. Die Wahl der zentralen Beckenversickerung in Rieselfeld ist im Ver-
gleich zu der Mulden- Rigolen- Versickerung im Vauban kostengünstiger.188
Abbildung 56: Öffentliche Verkehrsmittel in Rieselfeld
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.5.2012
187 A. BURZACCHINI. Aiforia- Agency for Sustainability. Freiburg
188 Aussage von Dipl.-Geogl. Nicole Jackisch. Institut für Hydrologie. Universität Freiburg
Themenkomplexe
Seite 176
Abbildung 57: Straßenbahnnetz in Rieselfeld
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.5.2012
Die Stadt Freiburg hat im Jahr 2005 den „Flächennutzungsplan 2020189
“ veröffentlicht, des-
sen besonderes Ziel es ist, bis zum Jahr 2020 nur 150 ha zu bebauen, bzw. zu versiegeln. Das
ist ein sehr bescheidenes Ziel, in Anbetracht des jährlichen Bevölkerungszuwachses in Frei-
burg von 2.000 Menschen. Es ist ein typisches Merkmal der deutschen Raumordnung und
Stadtplanung, die strenge Unterscheidung zwischen Außenbereich und Innenbereich zu be-
189 STADT FREIBURG. Stadtentwicklung. FNP2020
Themenkomplexe
Seite 177
wahren, um das sogenannte „Urban Spreading“190
zu vermeiden. In Abbildung 58 wird die
stringente Grenze zwischen Innen- und Außenbereich deutlich.
Abbildung 58: Innenbereich- Außenbereich in Freiburg- Rieselfeld
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.5.2012
4.2.1.3 Weingarten
In den Stadtteilen Vauban und Rieselfeld kam gut zur Geltung, wie nachhaltige Stadtplanung
von Anfang an bei Neubaugebieten zum Erfolg führen kann. Es ist unproblematisch auf der
„grünen Wiese“, wenn dies schon nicht umgangen werden kann, ein ökologisch sozial ver-
trägliches- nachhaltiges- Stadtviertel zu errichten. Schwieriger wird es bei dem Umgang mit
Bestand. Beides jedoch, Neubau und Bestand, sollte von nachhaltiger Stadtplanung betroffen
sein. Insbesondere in Deutschland, wo es das Bestreben ist, im Rahmen einer nachhaltigen
Flächenpolitik die Potentiale des Innenraums auszuschöpfen und die Ausweisung von Neu-
190 „Urban Spreading“ oder „Urban Sprawl“ steht für den Prozess der städtischen Ausbreitung in die umliegende
unbebaute Fläche.
Themenkomplexe
Seite 178
baugebiete so weit wie möglich zu vermeiden, gilt der Umgang mit Bestand, seien es einzelne
Häuser oder ganze Stadtviertel, als eine besondere Herausforderung.
Der Stadtteil Weingarten West ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein sozial schwaches Wohn-
viertel im Rahmen von internen und externen Förderprogrammen energetisch saniert wird.
Freiburger- Weingarten wurde in den 60er Jahren erbaut. Der Stadtteil hat etwa 11.000 Ein-
wohner und umfasst eine Fläche von 163 ha (1.630.000 m²- für den Vergleich mit Vauban
und Rieselfeld). Baulich geprägt ist Weingarten von vielen Hochhäusern, die in den 60er Jah-
ren gebaut wurden, hauptsächlich aufgrund der großen Wohnungsnot zu dieser Zeit. Weingar-
ten ist zu ca. 50% von Einwohnern mit Migrationshintergrund bewohnt. Das Quartier hat sich
zunehmend in einen sozialen Brennpunkt entwickelt und der Anteil an sozial benachteiligten
Menschen ist überdurchschnittlich hoch.191
Das Vorhaben Weingarten 2020 wird durch die Träger Freiburger Stadtbau GmbH,
Badenova, WärmePlus Verwaltungs- GmbH und das Frauenhofer Institut für Solare Energie-
systeme ISE durchgeführt. Um die Ziele des kommunalen Klimaschutzkonzeptes zu errei-
chen, nämlich bis zum Jahr 2030 die CO2 Emissionen um mindestens 40% zu reduzieren,
fließen jedes Jahr 1,2 Millionen Euro in städtische Klimaschutzprojekte und zusätzliche zwei
Millionen Euro in die energetische Sanierung städtischer Gebäude.
Das Vorhaben soll exemplarisch als Modellprojekt für weitere Projekte gelten. Das Ziel ist
die Planung, Umsetzung und messtechnische Analyse der energetischen Sanierung der Ge-
bäude und der Energieversorgung des Stadtteils Weingarten- West. Die Sanierung der Gebäu-
de soll nach dem Passivhaus- Standard192
erfolgen. Der Primärenergieverbrauch aller Ener-
giedienstleistungen soll um 30% reduziert werden. Das heißt konkret, dass der derzeitige Pri-
märenergieverbrauch des Stadtteils von 21,6 GWh/a auf 14,5GWh/a reduziert werden soll,
was ein Rückgang um 32% bedeutet. 193
191 A. BURZACCHINI. Aiforia- Agency for Sustainability. Freiburg
192 Die Standards für die Errichtung von Passivhäusern wurden schon im Unterkapitel „Vauban“ erläutert.
193 ENEFF: Stadt. Forschung für die energieeffiziente Stadt. Pilotprojekte
Themenkomplexe
Seite 179
Abbildung 59: Vor, während und nach der Sanierung
Quelle: Andrea Burzacchini, 3.5.2012
Themenkomplexe
Seite 180
Abbildung 60: Nordseite eines Passivhochhauses in Freiburg- Weingarten nach der Sanierung
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.5.2012
Aufnahme 60 zeigt die sanierte Nordseite des Passivhochhauses in Weingarten. Ein Standard
des Passivhauses ist die besonders gute Dämmung und Verschlossenheit der Nordseite, auf-
grund der geringen Sonneneinstrahlung. Aufnahme 61 hingegen zeigt die Westseite des
Hochhauses, welche wie auch die Südseite mit großen Fensterflächen und Balkonen ausge-
stattet ist, um die Sonneneinstrahlung zu nutzen. Die Balkone sind nach der Passivhausanfor-
derung der „Wärmebrückenfreiheit des Gebäudes“ vorne „drangesetzt“.
Themenkomplexe
Seite 181
Abbildung 61: Westseite eines Passivhochhauses in Freiburg- Weingarten nach der Sanierung
Quelle: Eigene Aufnahme, 3.5.2012
4.2.1.4 Badenova Stadion
Das Badenova Stadion liegt im Osten von Freiburg im Stadtteil Littenweiler. Es ist seit 1995
weltweit das erste Stadion mit einer Solaranlage, die den gesamten Strombedarf des Stadions
abdeckt. Die Anzahl von 6600 Solarzellen entspricht einer Fläche von 2500m² und produziert
jährlich 300.000 kWh/Jahr. Der jährliche Strombedarf des Stadions an sich beträgt 250.000
kWh/ Jahr und kann daher komplett durch den erneuerbaren Strom abgedeckt werden. Der
überschüssige Strom wird von den umgebenden Wohnhäusern genutzt. Die Lebensdauer der
Solarzellen beträgt 30 Jahre und die Amortisationszeit beträgt bei den bisherigen Zellen 15
Themenkomplexe
Seite 182
Jahre, bei den neuen Zellen 8 bis 9 Jahre. Bei der Lieferung der Solarzellen wurde darauf ge-
achtet, dass diese von regionalen Firmen hergestellt wurden.
Jedoch kann der Energiebedarf für die Rasenheizung von 600.000 kWh/Jahr nicht abgedeckt
werden, was bedeutet, dass dieser Teil durch Ökostrom aus der Umgebung gedeckt wird.
Das Nachhaltigkeitskonzept des Managements des Stadions beinhaltet weitere Aspekte. Zum
Kauf eines Jahrespasses, investiert der/ die Käufer/in automatisch in erneuerbare Energien, da
ein Teil des Preises in deren Förderung fließt.
41% der Fans reisen mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln an, da die Ver-
kehrsinfrastruktur und die Parkplatzsituation so ausgebaut sind, dass nur beschränkt Autover-
kehr fließen kann und beschränkt Parkraum vorhanden ist.
Eine Besonderheit ist auch die Architektur des Stadiums. Wie man in Abbildung 65 sehen
kann, handelt es sich nicht um eine ovale Form sondern um eine rechteckige Form. Dies er-
möglicht, dass durch die zwischen den Seiten, offen gelassenen Zwischenräume, Kaltluft-
schneisen der Täler berücksichtigt wurden. Die vorherrschenden Winde können so das Stadi-
um durchqueren, den Rasen durchlüften und allgemein für ein angenehmes Mikroklima sor-
gen.
Ein weiteres Merkmal ist der Umgang mit dem Rasen. Der Rasen wurde Anfang Mai diesen
Jahres das erste Mal nach acht Jahren erneuert. Zudem wurde nicht wie bei anderen Stadien
üblich Rollrasen eingesetzt, sondern es wurden die obersten acht Zentimeter der Rasendecke
abgenommen, diese Fläche mit neuem Substrat aufgefüllt und neuer Rasen gesät. Während
der acht Jahre wird der Rasen von Greenkeepern gepflegt, d.h. beschädigte Stellen werden
durch neue Rasensoden ersetzt. Der Rasen wird, um das Wachstum zu beschleunigen nicht
durch Leuchtröhren bestrahlt, so wie das normalerweise üblich ist- stattdessen erfolgt das
Wachstum tagsüber durch Sonnenlicht. 194
194 A. BURZACCHINI. Aiforia- Agency for Sustainability. Freiburg
Themenkomplexe
Seite 183
Abbildung 62: Erste Rasenerneuerung nach 8 Jahren
Quelle: Eigene Aufnahme, 2.5.2012
Themenkomplexe
Seite 184
Abbildung 63: Solarzellen auf dem Badenova Stadion
Quelle: Eigene Aufnahme, 2.5.2012
Abbildung 64: Vogelperspektive Badenvoa Stadion
Quelle: SC FREIBURG. Nachhaltigkeit
Themenkomplexe
Seite 185
4.2.2 Beispiel Malmö
Eine weitere Referenz hinsichtlich nachhaltiger Stadtplanung ist die drittgrößte und wachsen-
de schwedische Stadt Malmö mit 300.000 Einwohnern. Malmö nimmt ebenfalls eine Vorrei-
terrolle für nachhaltige Stadtentwicklung ein. Insbesondere der Stadtteil „Western Harbour“
und das Quartier „Ekostaden Augustenborg“ sind Vorzeigemodelle für nachhaltige Stadtent-
wicklung. Wie Freiburg, wurde auch Malmö eingeladen auf der Expo 2010 in Shanghai bei
„Urban Best Practices Area“ teilzunehmen und einige Stadtteile vorzustellen.
„Western Harbour“ wurde Anfang des Jahrhunderts von einer Industrielandschaft in einen
nachhaltigen Stadtteil entwickelt, nachdem die Werften in den 90er Jahren geschlossen wur-
den und eine Arbeitslosenquote von 30% in der Stadt herrschte, d.h. hierbei handelt es sich
hauptsächlich um Neubau. Augustenborg wurde im Rahmen eines der größten Projekte bzgl.
Nachhaltigkeit, beginnend im Jahr 1998 „saniert“. Die Projekte wurden im Jahr 2001 auf der
europäischen Bauausstellung über die Stadt der Zukunft BoO1195
, die vor Ort in Malmö aus-
gerichtet wurde, der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Bereiche Energie, Wohnen und Bauen Abfall, Siedlungswasserwirtschaft, Grünflächen
und Verkehr sind, unterstützt und gefördert von der Bevölkerung, auf Nachhaltigkeit ausge-
legt. Die Bereiche werden etwas genauer, wenn auch nicht so detailliert wie das vorherige
Kapitel der Stadt Freiburg, erläutert:196
Energie: Die Stadt Malmö verfolgt das europäische Ziel bis zum Jahr 2020 die CO2-
Emissionen um 20% zu senken. Bis zum Jahr 2030 strebt die Stadt einen 100%igen
CO2- neutralen Zustand an, bzw. eine 100%ige Energieversorgung aus erneuerbaren
Energien;
Wohnen und Bauen: Auch in Schweden gibt es ein Zertifizierungssystem, das soge-
nannte „Sweden Green Building Council“ für nachhaltiges Bauen, welches auch für
195 BoO1 ist eine internationale Wohnen und Bauen- Expo mit dem Hauptthema „The Sustainable City of To-
morrow“, welche in Malmö, Schweden im Jahr 2001 stattfand und einige Pilotprojekte initiierte.
196 FOREST RESEARCH. Sustainable drainage system in Malmö, Sweden
Themenkomplexe
Seite 186
die Zertifizierung von ganzen Stadtquartieren gilt. Das Verfahren der Zertifizierung
gleicht dem der DGNB. Das NGO- Unternehmen wurde im Jahr 2009 gegründet;197
Abfall: Es wird eine Kreislaufwirtschaft angestrebt. Der organische Abfall wird zu Bi-
ogas umgewandelt und genutzt;
Siedlungswasserwirtschaft: In beiden Stadtteilen ist das Regenwassermanagement ei-
ne der Besonderheiten. In Augustenborg war das ursprüngliche Kanalsystem unterdi-
mensioniert, was jahrelang zu Überschwemmungen und Schäden führte, bis das
„Malmö Department of Water and Waste, Wastemanagement and Biodiversity“ die
Chance im Stadtumbau sah, das System zu entlasten und zu ändern.
Das anfallende Niederschlagswasser der abflusswirksamen Fläche wird jetzt in ein of-
fenes insgesamt 6 km langes oberirdisches Kanalsystem geleitet, von wo es in kleine
Kanäle, Teiche und Grünflächen weitergeleitet wird. Dort verdunstet es, versickert es
und/oder in den Vorfluter, bzw. in das Gewässer übergeführt. Die Teiche, Gärten und
Kanäle entlasten zum einen das schlecht dimensionierte Siedlungswassersystem und
zum anderen sind sie bewusst als Naherholungsraum für die Bevölkerung geplant
worden, im privaten wie im öffentlichen Raum. Die ästhetische Aufwertung durch die
Grün- und Wasserflächen führt zu zahlreichen Wohlfahrtswirkungen, wie z.B. die
Verbesserung des Mikroklimas, Steigerung der Biodiversität, Naherholungsraum und
attraktiver Lebensraum für die Bevölkerung, Vermeidung von Überschwemmungen
und damit eine Reduzierung der Schadenskosten, etc.
197 SWEDEN GREEN BUILDING COUNCIL (2012)
Themenkomplexe
Seite 187
Abbildung 65: Offene Regenwasserspeicherung1
Quelle: Ecocity Malmö (2011)
Abbildung 66: Offene Regenwasserspeicherung2
Quelle: Ecocity Malmö (2011)
Themenkomplexe
Seite 188
Abbildung 67: Offene Regenwasserspeicherung3
Quelle: Ecocity Malmö (2011)
Grünflächen: Ein besonderer Fokus wird auf die Wohlfahrtswirkungen von Pflanzen
gelegt (Biodiversität, Schützen des Daches bei einer Dachbegrünung, Lärmdämpfung,
Erzeugung eines angenehmen Mikroklimas, besonders im Sommer, etc.). Alleine die
Dachbegrünungen, welche durch die Pflanzengattung Sedum dominiert werden und
nur eine durchschnittliche Mächtigkeit von 5 cm aufweisen, können 50% des Nieder-
schlags in Western Harbour und 70% des Niederschlags in Augustenborg, welcher auf
die Flächen fällt, eines Jahres abfangen. Weitere Vorteile sind eine beachtliche
Biodiversität, ein gutes Mikroklima und ein attraktives Stadtlandschaftsbild. Der in
Abbildung 69 zu sehende Garten in Malmö Western Harbour wurde im Jahr 2001 als
der erste botanische Dachgarten mit einer Fläche von 9000 m² gestaltet. Zusätzlich
wurden 2100 m² Dachbegrünung im Wohngebiet eingerichtet.
Die Nachhaltigkeit reicht vom öffentlichen Raum in den privaten Raum (Teiche,
Dachbegrünung, etc.). Wie im Vauban ist die Bürgerpartizipation eine Voraussetzung
für das Gelingen solch eines Projektes.
Themenkomplexe
Seite 189
Abbildung 68: Extensive und intensive Dachbegrünung
Quelle: Ecocity Malmö (2011)
Abbildung 69: Der erste städtische botanische Dachgarten
Quelle: Ecocity Malmö (2011)
Themenkomplexe
Seite 190
Die Stadt Malmö verfolgt mehrere Planungs- und Bewertungsmethoden. Zum einen gibt es
bzgl. jedem Themenbereich der Stadtplanung vereinbarte Standards, welche einzuhalten sind
und im „Malmö Quality Programme“ festgehalten sind198
. Diese Standards sind in vier große
Themenfelder untergliedert. Diese sind „Hohe architektonische Qualität“, „Soziale Nachhal-
tigkeit“, „Ökonomische Nachhaltigkeit“ und „Ökologische Nachhaltigkeit“.
Desweiteren werden zwei Instrumente eingesetzt, nämlich der „Green Space Factor“ und das
„Green Points System“.
Ziele des Qualitätsprogramms sind es z.B. Stadtplanern, Architekten, Bürgern, etc. grundle-
gende Standards darzulegen, um einen ganzheitlichen flächendeckenden Standard für eine
nachhaltige Stadt zu sichern. Desweiteren sollen damit die Ziele der Stadt Malmö sicher er-
reicht werden und die Quartiere zu internationalen Vorzeigemodellen entwickelt werden. Im
Programm werden Standards für die Themen „Streets, Plazas and Squares“, „Equipment,
Lighting, Decoration“, „Green Areas“, „Information Technology“, „Transport“, „Energy
Supply“, „Waste Management“, „Water and Sewage“, und „Social Life“ mit mehreren Unter-
kapiteln beschrieben.
An dieser Stelle werden die Standards für den Bereich „Water and Sewage“ erläutert:
Tabelle 24: Standards vzgl. Water and Sewage
Quelle: CITY OF MALMÖ. Quality Programme (1999) BoO1 City of Tomorrow
Bereich Anforderungen Verantwortung und Kontrolle
Stormwater Management
Das anfallende Regenwasser soll
vor Ort gespeichert, versickert,
verdunstet oder durch das offene
oberirdische Kanalsystem weiter-
geleitet werden- z.B. in Teiche. Es
kann auch zur Bewässerung einge-
setzt werden;
City of Malmö, Water and Drain-
age Department; Developers;
BoO1
198 CITY OF MALMÖ. Quality Programme BoO1 City of Tomorrow (1999):
Themenkomplexe
Seite 191
Bereich Anforderungen Verantwortung und Kontrolle
Contamined Stormwater,
Wastewater, Urine, faecal matter
and organic waste
Regenwasser von kontaminierten
Oberflächen sollen in Pflanzenan-
lagen und/oder Lamellenabschei-
dern gereinigt werden; Phosphor
aus Urin, Fäkalien und organischer
Abfall soll in die Landwirtschaft
rückgeführt werden;
City of Malmö; Water and Drain-
age Department
Heavy metals and other
ecotoxins
Der Anteil an Schwermetallen und
anderen ökotoxischen Stoffen soll
unter die zugelassenen Grenzwerte
sinken. Die Standards von
KRAV199 müssen eingehalten
werden.
Developers
Leakage into water and sewage
system
Die Materialien und Stoffe der
Gebäude, Bauteile, usw. sollen
keine Gefährdung für die Qualität
des Wassersystems darstellen;
City of Malmö; Water and Drain-
age Department; Developers
Main Drains Die Hauptabflusskanäle sollen
keine Leckagen haben;
Die zwei Planungs- und Bewertungsinstrumente „Green Space Factor (GSF)“ und „Green
Point System (GPS)“ fördern durch gesetzte Anforderungen vor allem Biodiversität und
Grünflächen, Soziales und ein nachhaltiges Regenwassermanagement. Es soll ein hoher
Grünanteil und ein möglichst kleiner Anteil an versiegelten Flächen sichergestellt werden.
Das Instrument bezieht sich auf das gesamte Grundstück, also das Gebäude und die Außenan-
lage. Die Stadtplaner und Architekten müssen in der Planung erläutern, wie sie den erforder-
lichen Faktor von 0,6 erreichen wollen. Landschaftsarchitekten werden zur Überprüfung der
Pläne von der Stadt beauftragt. Der Green Space Faktor bezieht sich auf die Beschaffenheit
199 KRAV ist eine schwedische private Zertifizierungsstelle. Eine KRAV- Zertifizierung schließt EU- Richtlinien
mit ein und stellt deshalb einen weitaus größeren Standard dar. Der Verband KRAV vertritt Landwirte,
Verarbeiter, Handel und Verbraucher sowie Umwelt- und Tierschutz.
Themenkomplexe
Seite 192
einer Oberfläche. Der Faktor einer Oberfläche, teilweise (ausgenommen sind Wasserflächen
und Gehölze) vergleichbar mit dem Abflussbeiwert, wird mit der Größe der Fläche multipli-
ziert und mit denen der anderen addiert. Die Summe der Flächengrößen multipliziert mit den
Faktoren wird durch die Gesamtfläche dividiert.
Die Formel lautet:
Tabelle 25 ist eine Liste der GSF je nach Oberflächentyp. Bäume und Sträucher werden je
nach Größe und Wohlfahrtswirkung, gefolgt von Vegetations- und Wasserflächen mit dem
höchsten GSF versehen. Desweiteren werden stärker versiegelte Flächen, wie versiegelte Flä-
chen mit Fugen, mit einem sehr kleinen GSF bewertet. Bei den Flächen gilt- je größer der
Abflussbeiwert ist, desto kleiner ist der GSF, d.h. desto schlechter ist die Bewertung.
Tabelle 25: Green Space Factor
Quelle: KRUSE, ANNIKA. GRABS, INTERREG IVC, EU.(2011) The Green Space Factor and the Green Point system.
S.10
Oberflächentyp Faktor
Vegetationsfläche (ohne Tiefgarage darunter) 1
Vegetation an Spalier oder Fassade 0,7
Begrünte Dächer 0,6
Vegetation auf „Beams“ mit einer Bodenschicht von
200 bis 800 mm
0,7
Wasseroberflächen 1
Sammeln und Speichern von Regenwasser 0,2
Entwässerung von versiegelten Flächen auf daneben-
liegende Vegetation
Versiegelte Flächen 0
Themenkomplexe
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Oberflächentyp Faktor
Versiegelte Flächen mit Fugen 0,2
Kies- oder Sandflächen 0,4
Baum mit einem Stammumfang von 16-20 cm (20m²) 10
Baum mit einem Stammumfang von 20- 30 cm (15m²) 15
Baum mit einem Stammumfang von mehr als 30 cm
(10m²)
20
Strauch größer 3 Meter (2m²) 2
Das zweite Instrument ist das System der „Green Points“. Da der GSF keine Qualitätsangaben
macht, d.h. ein Rasen, bestehend aus ein oder zwei Grassorten ist für die Biodiversität von
minderwertiger Bedeutung im Gegensatz zu einer Wildblumenwiese. Eine extensive Dachbe-
grünung mit einer dünnen Substratschicht, bepflanzt mit Sedum hat nicht die gleiche Wirkung
wie eine intensive Dachbegrünung mit einer dickeren Substratschicht und einer vielfältigeren
Vegetationsdecke.
Um eine gewisse Qualität bzgl. des GSF zu sichern wurde das GPS eingeführt. Von 35 Green
Points müssen sich Stadtentwickler oder Bauherren 10 Punkte auswählen, welche sie umset-
zen. Tabelle 26 ermöglicht einen Ausschnitt der 35 Punkte.
Durch das Umsetzen von 10 Punkten besteht eine Abwechslung im visuellen Bild der Grund-
stücke.
Tabelle 26: Green Point System
Quelle: KRUSE, ANNIKA. GRABS, INTERREG IVC, EU.(2011) The Green Space Factor and the Green Point system.
S.6
1 Die Gebäudefassaden beinhalten Nistmöglichkeiten;
2 Ein Biotop im Außenbereich für gefährdete Insekten;
3 Fledermausboxen im Außenbereich;
4 Keine Flächen im Außenbereich sind komplett versiegelt. Sie müssen wasserdurchlässig sein;
5 Alle unversiegelten Oberflächen im Außenbereich haben eine ausreichende Bodenmächtigkeit und –
qualität, um Gemüse anzubauen;
Themenkomplexe
Seite 194
6 Nicht mehr als 5 Bäume oder Sträucher der gleichen Art;
7 Alle Wände, wo es möglich ist, sind mit Kletterpflanzen begrünt;
8 Gestaltung von 1m² Teich auf alle 5m² befestigte Oberfläche im Außenbereich;
9 Die Vegetation des Außenraums ist nektarreich und bietet Nahrung für viele Insekten;
10 Das Regenwasser der Dächer und befestigten Flächen wird im Außenbereich gesammelt und unter
anderem für die Bewässerung eingesetzt;
11 Grauwasser wird im Außenraum recycelt und wiederverwendet;
12 Alle Dächer sind Gründächer;
13 Die Bauherren lassen sich von Ökologen beraten;
14 Der gesamte Außenbereich wird für das Anbauen von Obst, Beeren und Gemüse genutzt;
15 Der gesamte Bioabfall und Gartenabfall ist im Garten zu kompostieren;
16 Ein Teil des Außenbereichs ist der natürlichen Sukzession überlassen;
Das Konzept der nachhaltigen Stadtplanung samt den Planungs- und Bewertungsinstrumenten
wurde in den letzten Jahren weiterentwickelt, auch hinsichtlich seiner Sozialverträglichkeit.
Zu Beginn wurde der hohe Preis der Grundstücke bemängelt und die Tatsache, dass in Wes-
tern Harbour nur drei Gebäude zur Miete bestimmt waren. Diese Mängel wurden geändert,
hin zu günstigeren Immobilienpreisen und zu einem Mietwohnungsanteil von 60%.
Das Gesamtkonzept, also das grundlegende „Quality Programme“ der Stadt und das „Envi-
ronmental Building Programme“ , der Stadtentwickler und weiterer Beteiligten und die Pla-
nungs- und Bewertungsinstrumente des „Green Space Factors“ und des „Green Point Sys-
tems“ werden in dem Stadtquartier „Western Harbour“ und in einigen weiteren kleinen Stadt-
teilen Malmös verfolgt. Inzwischen ist das ehemalige Pilot Projekt in der überörtlichen Stadt-
planung fest integriert und von Planern, Behörden und Bürgern akzeptiert und gewollt. Aus
dem ursprünglichen Plan mit den Instrumenten des GSF und des GPS, den Grünanteil der
Stadtlandschaft zu erhöhen, ist eine etablierte Strategie für „grüne“ und „blaue“ (Wasser) Inf-
rastruktur in der Stadtentwicklung geworden. Das Grünsystem und das Regenwassermanage-
ment erhöhen nicht nur den sozialen und ästhetischen Wert, sondern sie sind ein großer Bei-
trag zur Anpassung an den Klimawandel in Ballungsräumen. Wie die in den vorherigen Kapi-
teln vorgestellten Beispiele ist auch die Stadt Malmö ambitioniert, derartige Konzepte der
Öffentlichkeit zu präsentieren um zu Nachahmungen anzuregen.
Themenkomplexe
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Das Punktesystem in Malmö ist nicht mit dem Ökopunktesystem in Deutschland zu verwech-
seln, dennoch hat bestehen Ähnlichkeiten. Das Ökopunktesystem bewertet alle Biotoptypen
Deutschlands je nach Ökosystemleistung mit einer bestimmten Punktezahl. So werden z.B.
Moore, Feuchtwiesen, alpine Rasen und heimische Wälder mit einer besonders hohen Punkte-
zahl versehen, da es sich um besonders wertvolle Biotope handelt mit einer hohen Ökosys-
temleistung. Das Punktesystem Malmö´s bezieht sich nur auf städtische Grünflächen oder
Gehölze mit dem Ziel einen möglichst hohen Grünflächen- und Gehölzanteil in städtischen
Gebieten zu initiieren. Die Qualität der Fläche oder des Baums wird durch Tabelle 26 gere-
gelt.
Die Maßnahmen in Malmö sind in gewisser Weise mit denen in Freiburg zu vergleichen. In
Malmö kommt besonders gut zur Geltung, dass die technischen Infrastrukturmaßnahmen auf
eine ästhetische Art und Weise durchgeführt werden. Das Punktesystem, welches einen er-
höhten qualitativen und quantitativen Zustand an städtischen Grünflächen anstrebt, ist ein
weiterer Unterschied. Kritisiert wird, dass der Stadtteil Western Harbour energiemäßig und
infrastrukturell zwar durchaus positiv ausgestattet wurde, die Mietkosten jedoch besonders
hoch sind und dadurch nicht für Jedermann zugänglich sind.
4.2.3 Bewertungskonzepte und -kriterien
Die in Malmö verwendeten Planungs- und Bewertungsinstrumente sind die Standards, welche
im „Quality Programme“ festgehalten sind und die Instrumente für eine „blaue“ und „grüne“
Infrastruktur, der „Green Space Factor“ und das „Green Point System“. Die Instrumente rei-
chen weit in den privaten Bereich hinein, was jedoch auch positive Wirkungen erzielen kann.
Vorstellbar ist ein privater „Wettbewerb“, was das Engagement bzgl. der Gestaltung des pri-
vaten Grundstücks und demnach der Bewertung angeht.
Diese Modellstädte haben im Ganzen, aber auch in Einzelheiten gezeigt, dass bestimmte
Konzepte und Standards sehr erfolgreich sind. Dazu gehört das nachhaltige Bauen. Die Be-
wertung einer nachhaltigen Bauweise, sei es der Standard der Niedrigenergiebauweise, der
Standard der Passivhausbauweise oder der der Energieplushausbauweise, hat in der Praxis
entweder durch Zertifizierungen, die jedoch nicht nur auf Energiestandards ausgerichtet ist,
sondern auch auf weitere Parameter bzgl. Nachhaltigkeit (Lebenszykluskosten bzw. Langle-
Themenkomplexe
Seite 196
bigkeit der Materialien, Umnutzbarkeit, Raumklima, etc.), oder einfach so, bisher Erfolge
gebracht.
Aufgrund dessen wurden in Freiburg seit dem Jahr 2009 gewisse Baustandards für Woh-
nungsneubauten als Satzung festgelegt, an die sich jeder Bürger halten muss. Vor 2009 galt
der NEH- Standard 2005 für eine Niedrigenergiehausbauweise, welcher in Vauban und Rie-
selfeld für gute Erfahrungen sorgte und im Jahr 2009 von dem Effizienzhausstandard abgelöst
wurde und prinzipiell dadurch die Ansprüche anhob. Der Effizienzhausstandard wird in die
zwei Stufen 2009, 2010 und 2001, 2012 untergliedert. Der Effizienzhausstandard 40 orientiert
sich an der Passivhausbauweise und der Effizienzstandard 60 ist ein anspruchsvoller Schritt
zwischen dem NEH- Standard 2005 und dem Effizienzstandard 40. In den Antragsunterlagen
wird dem Bauherr ein umfangreicher Überblick über Beispiele von Objekten in Passivhaus-
Bauweise aus der Region gegeben, sodass ein konkretes Bild entstehen kann. Ab dem Jahr
2013 sollen diese Standards auch für öffentliche Gebäude gelten.200
Der Energieeffizienzstandard ist mittlerweile in mehreren Großstädten Deutschlands rechtlich
festgelegt.201
Abbildung 70: Stufenplan für die Anhebung des energetischen Standards von Neubauten
Quelle: STADT FREIBURG (2012). Freiburger Baustandards. S.2
200 STADT FREIBURG (2012). Freiburger Baustandards
201 SIEMENS (2011). Green City Index. S.15
Themenkomplexe
Seite 197
Im Baurecht kann das Baugesetzbuch (BauGB) eine Grundlage für diesbezügliche Anforde-
rungen und Standards sein. So wie die Energiestandards verbindlich geregelt sind, so können
weitere Anforderungen im Bebauungsplan festgelegt werden, wie z.B. dass Dächer mit einer
Neigung von <10° begrünt werden müssen, so wie es im Vauban der Fall ist.
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP von 2009 sieht vor, den Klimawandel und die
Innenentwicklung im Bauplanungsrecht zu stärken. Zusätzlich dazu soll die Baunutzungsver-
ordnung gestärkt werden. Im Jahr 2011 kamen zur Stärkung der klimagerechten Stadtentwick-
lung in Kommunen einige Änderungen im Baugesetzbuch (BauGB) hinzu. Dazu ein kleiner
Ausschnitt:
o §248 Sonderregelungen zur sparsamen und effizienten Nutzung von Energie;
o §249 Sonderregelungen zur Windenergie in der Bauleitplanung;
o §1 (5), Satz 2: „Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern,
die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln und en Klimaschutz,
insbesondere auch durch eine klimagerechte Stadtentwicklung , zu fördern, sowie die
städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und
zu entwickeln;
o §1a (5): Den Erfordernissen des Klimawandels soll sowohl durch Maßnahmen, die
dem Klimawandel entgegenwirken, als auch durch solche, die der Anpassung an den
Klimawandel dienen, Rechnung getragen werden (klimagerechte Stadtentwicklung);
o §5(2), Nr.2b: (…)FNP (…) mit Anlagen, Einrichtungen und Maßnahmen, die dem
Klimawandel entgegenwirken, insbesondere zur dezentralen und zentralen Erzeugung,
Verteilung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerba-
ren Energien oder Kraft- Wärme- Kopplung;
Das Hinweisen auf Maßnahmen zur dezentralen Versorgung mit erneuerbaren Energien wird
in mehreren Paragraphen wiederholt.
o 136 (Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen) (2) Nr.1: Städtebauliche Missstände lie-
gen vor wenn, das Gebiet nach seiner vorhandenen Bebauung oder nach seiner sons-
tigen Beschaffenheit den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Ar-
beitsverhältnisse, an die Sicherheit der in ihm wohnenden oder arbeitenden Menschen
oder den Erfordernissen der klimagerechten Stadtentwicklung nicht entspricht;
Themenkomplexe
Seite 198
o §171a (Stadtumbaumaßnahmen) (3) Nr.6: Stadtumbaumaßnahmen sollen insbesonde-
re dazu beitragen, dass brachliegende oder freigelegte Flächen einer nachhaltigen, ins-
besondere klimagerechten Stadtentwicklung oder einer mit dieser verträglichen Zwi-
schennutzung zugeführt werden;
o §171c (Stadtumbauvertrag): Die Gemeinde soll soweit erforderlich zur Umsetzung ih-
res städtebaulichen Entwicklungskonzeptes die Möglichkeit nutzen, Stadtumbaumaß-
nahmen auf der Grundlage von städtebaulichen Verträgen im Sinne des §11 insbeson-
dere mit den beteiligten Eigentümern durchzuführen. Gegenstände der Verträge kön-
nen insbesondere auch sein, die Durchführung des Rückbaus oder der Anpassung bau-
licher Anlagen innerhalb einer bestimmten Frist oder die Kostentragung dafür.
Es gibt, wie in den Unterkapiteln „Vauban“ und „Rieselfeld“ aufgeführt, neben den Praxisbei-
spielen für nachhaltiges Bauen, weitere Beispiele für eine nachhaltige Stadtentwicklung, z.B.,
für eine nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung, für ein nachhaltiges Mobilitäts- und Ver-
kehrsmanagement (restriktive Behandlung von MIV und Stärkung des ÖPNV), für soziales
Zusammenleben, regionale Wertschöpfung, etc. An dieser Stelle soll bzgl. der Stadt der kur-
zen Wege auf das schon erwähnte „Märkte- und Zentrenkonzept“ der Stadt Freiburg einge-
gangen werden. Dieses Konzept ist ein Einzelhandelskonzept mit dem Leitbild „der Stadt der
kurzen Wege“, welches 1997 fertiggestellt wurde. Es wurde ins Leben gerufen, um einer wei-
teren Flächeninanspruchnahme in den peripheren Gebieten der Stadt für große Einkaufsfilia-
len vorzubeugen. Zum einen war, wie bemerkt, aus ökologischen Gründen die Flächenum-
wandlung- und die damit einhergehende -Versiegelung ein Dorn im Auge, zum anderen sollte
dem hohen Verkehrsaufkommen und dem Wandel der Orts- und Städtezentren durch die Ver-
lagerung und Filialisierung des Einzelhandels entgegengewirkt werden. Denn die Attraktivität
und Wertschöpfung eines Zentrums liegt in der Vielfalt unterschiedlicher Einzelhandelsange-
bote, Dienstleistungen, Gastronomieangebote, Freizeitmöglichkeiten und kulturellen Angebo-
ten in Verbindung mit einer stadträumlichen Identität. Insbesondere Lebensmittelgeschäfte,
Fachgeschäfte und Kaufhäuser wirken anziehend in den Stadt- oder Stadtteilzentren. Der an-
gesprochene Aspekt der Flächenversiegelung betont nochmal die Bestrebungen Freiburgs im
Rahmen des FNP´s 2020 und der jährlichen Bevölkerungszunahme der Stadt um 2.000 Men-
schen, nur weitere 150ha Fläche zu versiegeln.
Themenkomplexe
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In Freiburg wurden im Jahr 2002 die Einkäufe und privaten Erledigungen zu 31% zu Fuß, zu
25% mit dem Fahrrad, zu 17% mit dem ÖPNV und zu 26% mit dem MIV organisiert. Das ist
schon eine sehr gute Bilanz, welche noch verbessert werden sollte.202
Das Märkte- und Zentrenkonzept hat folgende Zielsetzungen: 203
Die Freiburger Innenstadt nimmt die Aufgabe als oberzentraler Versorgungsbereich
wahr. In diesem Bereich sind alle Einzelhandelsgrößenordnungen- und Sortimente zu-
lässig;
Der Einzelhandel in der Innenstadt und den Stadt- und Ortsteilen soll als Nutzung mit
Kern- und Magnetfunktion der städtebaulichen und funktionsräumlichen Erhaltung
und Stärkung der Zentren dienen. Lebendige Zentren setzen einen tragfähigen Einzel-
handel voraus;
Innenstadt- Stadt- und Ortszentren dienen einer möglichst fußläufig zu erreichenden
Grund- und Nahversorgung der Bevölkerung. Diese Anforderung folgt dem Prinzip
der dezentralen Stadtentwicklung und der Stadt der kurzen Wege;
Die Reduzierung des motorisierten Einkaufsverkehrs bzw. die Erhaltung des Anteils
am motorisierten Einkaufverkehrs am gesamten Einkaufverkehrs (Modal Split) auf
heutigem Niveau;
Die Begrenzung der Mietreise und der Bodenpreisentwicklung und damit die Reduzie-
rung von Verdrängungseffekten in den Gewerbegebieten dient dem Erhalt einer le-
bendigen Nutzungsmischung in der Stadt;
Die Ziele sollen mit dem Instrument des Bau- und Planungsrechts erreicht werden. Der Flä-
chennutzungsplan 2020 (FNP 2020) stellt alle Sonderbauflächen für den großflächigen Ein-
zelhandel (über 800m² Verkaufsfläche) für zentrenrelevanten und nicht- zentrenrelevanten
Einzelhandelstandorte dar. Die Flächen im FNP neben den Sondergebieten werden im Rah-
men des Märkte- und Zentrenkonzepts in drei weitere Regelungstypen unterschieden: 204
202 A. BURZACCHINI. Aiforia- Agency for Sustainability. Freiburg
203 STADT FREIBURG .Stadtplanungsamt(2010). Märkte- und Zentrenkonzept. S.7 ff.
204 STADT FREIBURG .Stadtplanungsamt(2010). Märkte- und Zentrenkonzept. S.9 ff.
Themenkomplexe
Seite 200
Innenstadt, Stadtteil- und Ortszentren: Hier sind grundsätzlich alle Einzelhandelsgrö-
ßenordnungen- und Sortimente zugelassen;
Vollausschlussgebiete: Hier ist der Einzelhandel vollständig ausgeschlossen. Betroffen
davon sind einige große Gewerbe- und Industriegebiete Freiburgs;
Teilausschlussgebiete: In allen übrigen gewerblichen und gewerblich geprägten Ge-
bieten ist der zentrenrelevante Einzelhandel als Hauptsortiment ausgeschlossen, der
nicht- zentrenrelevante Einzelhandel ist bis 800m² Verkaufsfläche zulässig. (z.B.
Baumärkte, Gartenmärkte, Möbelmärkte, etc.);
Sondergebiete: Diese Flächen werden für den großflächigen Einzelhandel, also über
800m² ausgewiesen, welche baurechtlich in einem Bebauungsplan einem entsprechen-
den Sondergebiet oder einem Kerngebiet zugewiesen werden;
Die untere Graphik stellt skizzenhaft dar, wie das Märkte- und Zentrenkonzept zu verstehen
ist und wie es aufgebaut ist. Im Stadtzentrum sind aufgrund des hohen Bedarfs alle Sortimen-
te des Einzelhandels vorhanden. Die einzelnen Stadtteile Freiburgs sind ebenfalls, wenn auch
nicht so stark wie das Oberzentum, mit Lebensmittelhandel und anderen zentrenrelevanten
Sortimenten versorgt. Zwischen den Stadtteilen und in der Peripherie Freiburgs befinden sich
die Gewerbegebiete und Sondergebiete. In den Gewerbegebieten ab einer Größe von 799m²
sind zentrenrelevante und nicht zentrenrelevante Sortimente ausgeschlossen. In den Sonder-
gebieten befinden sich großflächig nur nicht- zentrenrelevante Sortimente, wie z.B. Bau- und
Gartenmärkte, Möbelhäuser, etc.
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Seite 201
Abbildung 71: Märkte- und Zentrenkonzept Freiburg
Quelle: STADT FREIBURG (2010).Stadtplanungsamt. Märkte- und Zentrenkonzept. S.20
Themenkomplexe
Seite 202
Die aufgeführten Konzepte, Standards und Anforderungen basieren größtenteils auf prakti-
schen Beispielen, die sich ebenfalls größtenteils erfolgreich entwickelt haben. Zwar sind die
meisten Entwicklungen nicht standardisiert, wie z.B. das nachhaltige Bauen ist zwar nicht
nach Tabelle 7, den Anforderungen für eine Zertifizierung der DGNB, durchgeführt, jedoch
sind die drei Nachhaltigkeitsbereiche mitberücksichtigt, bzw. dämmen keinen der drei Berei-
che ein. Auch für das Verkehrskonzept gibt es keine standardisierte Anleitung, trotzdem wer-
den auch hier alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen beachtet, insbesondere die ökologische
und die soziale.
Im Rahmen einer Bewertungsmatrix für nachhaltige Städte wurde Freiburg Vauban wie folgt
bewertet:205
Tabelle 27:Nachhaltigkeitsbewertungsmatrix des Stadtquartiers Vauban
Quelle: JI CHEN. ÖKOSIEDLUNGEN (2006).Projekte. Modellstadtteil Vauban
Punkte 84 bis 63 62 bis 42 41 bis 21 20 bis 0
A B C D
Städtebau Kriterien (19 von 21 Punkten) +++ ++ + 0
1.Dichte: GRZ, GFZ (qualifizierte Dichte, lage-
typanhängig)
2.Integration in die Siedlungssysteme
3.Lokalklima (Frischluftschnei-
sen)/landschaftliche Integration
4.Externe Erschließung: Rad-/Fußwege, Straßen,
ÖPNV, Carsharing
5.Interne Erschließung: Stellplatz-/autofreie Sied-
lung, Stellplätze
6.Nutzungsmischung: kurze Wege, Belebung des
öffentlichen Raums
205 JI CHEN.ÖKOSIEDLUNGEN(2006).Projekte. Modellstadtteil Vauban
Themenkomplexe
Seite 203
7.Städteräumliche Qualitäten, Nutzbarkeit von
Freiflächen
Ökologie (17 von 21 Punkten) +++ ++ + 0
1.Boden: Bodenmanagement, Versiegelung,
Stadtbrachen
2.Freiraumplanung: Mikroklima, begrüntes
Dach, Biotop, Gärten
3.Ab-/Wasser, Abfall, Wertstoffverwertung
4. Energie: Regenerative, Energie sparen
5.Baustoffe: Recycling, Nachw. Baustoffe,
Zertifizierung
6.Baubiologie: Toxizität, Innenraumluft, Be-
haglichkeit
7.Rückbaufähigkeit, Problemstoffe (PVC, Ver-
bundstoffe)
Ökonomie (19 von 21 Punkten) +++ ++ + 0
1.Lebensdauer (gute bautechnische Details,
Pflegeaufwand)
2.Art der Finanzierung (Kredit der Umwelt-
bank, ökol. Förderung)
3.Investitionskosten
4.Betriebskosten (Energie, Wasser, Instandhal-
tung)
5.Flexible Grundrisse (z.B. versetzbare Wände)
6.Umnutzbarkeit (z.B. Wohn- in Gewerbenut-
zung)
7.Regionale Wertschöpfung/ lokale Ökonomie
stärken
Themenkomplexe
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Soziokulturell (20 von 21 Punkten) +++ ++ + 0
1.Mitbestimmung: Planung, Bau/ Genossen-
schaft, etc.
2.Gemeinsame Nutzung , z.B. Wohnhof, Ge-
meinschaftshaus, Werkstadt
3.Nahversorgung: Bildung, Einkaufen, Cafes,
Arbeitsplätze
4.Gemischte Altersstruktur/ Kinderfreundlich-
keit
5.Soziale Integration (gemischte Milieustruktur)
6.Berücksichtigung von Genderaspekten
7.Barrierefreiheit (Wohnung, Freiraumplanung)
Es ist anzunehmen, dass innerhalb der Bereiche A, B, C und D für die Bewertung Indikatoren,
also definierte Werte, gelistet sind, die in der Tabelle nicht ersichtlich sind. Diese sind nötig,
um eine objektive Bewertung in dem Punktesystem und einen Vergleich mit anderen Städ-
ten/Stadtteilen zu gewährleisten. Falls hinter den, mit Punkten versehenen Buchstaben, keine
Ziele und Indikatoren, wie z.B. für Ökologie Punkt 1 Boden- keine zusätzliche Versiegelung
oder Nutzung einer versiegelten Stadtbrache anstatt unversiegelten Außenbereich- stehen,
wäre diese Bewertung willkürlich und den Kriterien der Tabelle 12 nach, zwar vollständig,
jedoch subjektiv, nicht reproduzierbar und nicht kommunizierbar.
4.2.4 Zwischenfazit
Ein stimmiges Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie ist eine vielversprechende Vo-
raussetzung für ein erfolgreiches Konzept einer Kommune. In Freiburg gibt es einige Beispie-
le, bei denen Umwelt und Wirtschaft keine Gegensätze darstellen- im Gegenteil.
Sicherlich sind die Grundvoraussetzungen für diese Entwicklungen in Freiburg und auch in
Malmö sehr positiv. Die geographische und klimatische Lage Freiburgs (Freiburg ist mit über
Themenkomplexe
Seite 205
1800 Sonnenscheinstunden pro Jahr und einer jährlichen Einstrahlung von 1.117 Kilowatt pro
Quadratmeter eine der sonnenreichsten Städte Deutschlands)206
, der Facettenreichtum der
Region, das Engagement der Bevölkerung, welches in der umweltpolitischen Geschichte207
der Stadt Wurzeln findet, sind Stärken in Zusammenhang mit einer nachhaltigen Entwicklung.
Die Wirtschaft in der Region Freiburg wird von grünen Märkten dominiert. Neben der Medi-
zin- und Biotechnik spielen Umwelttechniken- und Wissenschaft eine ungewöhnlich große
Rolle. Allein die Forschung, Herstellung und Vermarktung von erneuerbaren Energien (bei
diesem Beispiel die Solarenergie) bringt eine Erwerbstätigkeit von über 2000 Beschäftigten
und ca. 100 Betrieben und liegt damit mit dem Faktor 3 bis 4 über dem Bundesdurch-
schnitt208
. Forschungseinrichtungen und Unternehmen, wie etwa das Frauenhofer Institut für
solare Energiesysteme, die Solar Universität, die Solar Fabrik, und viele weitere Firmen be-
finden sich in der Region um Freiburg.
Dieses Zusammenspiel macht wohl das Erfolgsrezept aus, welches eine nachhaltige Entwick-
lung leichter in die Gänge bringt als anderswo. Deutlich wird auch, dass eine Fokussierung
auf die lokale Ebene mit den örtlichen Stärken und Schwächen, eine Bewertung und Evaluie-
rung unabhängig von nicht existierenden absoluten Bewertungsrechtsgrundlagen, möglich
macht- gerade weil der Wirkungsgrad auf der Mikroebene höher ist als auf einer übergeordne-
ten Ebene. In Freiburg, wie auch in Malmö ist zu beobachten, dass die Abfolge von Auspro-
bieren, Weiterentwickeln und bei Erfolg gesetzlich oder andersartig verankern-, wie die Ener-
gieeffizienzstandards, den Lauf der Entwicklung dominieren- gestärkt durch planerische Wei-
chenstellungen, wie dem FNP 2020 der Stadt Freiburg, der bis zum Jahr 2020 aufgestellt ist
und mit dem Inhalt der maximalen Flächenversiegelung von 150 ha bis zum besagten Datum,
ehrgeizige Entwicklungsziele verfolgt. Das Märkte- und Zentrenkonzept ist ebenfalls ein In-
strument (Verankerung im FNP), dass ökologische, soziale und ökonomische Belange durch
gewisse Vermeidungs- und Handlungsstrategien vereint- zum Wohle der Stadt und Bürger.
206 STADT FREIBURG (2012). Solarstadt Freiburg
207 Schon im Jahr 1973 wurde gegen das geplante Kernkraftwerk Wyhl am Kaiserstuhl durch die Bevölkerung
der umliegenden Dörfer und Städte- unter anderem Freiburg- erfolgreich protestiert, sodass die Ausfüh-
rung, trotz dem schon angefangenen Bau eines Reaktorgebäudes letztendlich keine Betriebsgenehmigung
erhielt.
208 STADT FREIBURG (2011). Klimaschutz
Themenkomplexe
Seite 206
Ob es sich jedoch um Satzung und Verordnungen handelt oder z.B. um Leitfäden und „gute
Worte“ deren Befolgung erwünscht ist, ist ein großer Unterschied und einer Überlegung wert,
ob es nicht an der Zeit ist, eine etwas striktere Handhabung, besonders in Sachen Neuentwick-
lung, angebracht ist. Die Frage ist, ob sich bei einer immerwährenden Freiwilligkeit tatsäch-
lich ausreichend Veränderungen einstellen- auch in Anbetracht des vorhandenen Zeitfensters.
Zudem fehlen wohl in vielen Städten Beispiele, und zwar Beispiele im Alltag von „normalen
Bürgern“, denen Jedermann oder jede Stadt nachgehen kann. Durch konkrete Praxisbeispiele
können Weichen gestellt und Bereitschaft unter der Bevölkerung geschaffen werden.
Der demographische Wandel in Ballungsräumen weltweit, stellt eine Herausforderung für
eine nachhaltige Stadtplanung dar, welche aufgrund von sozialen, ökologischen und ökono-
mischen Belangen absolut notwendig ist. Die Stadt Freiburg, in dieser Arbeit als beispielhafte
Stadt für nachhaltige Stadtplanung aufgeführt, ist im Vergleich zu den meisten anderen Städ-
ten zwar eine sehr kleine und sehr wohlhabende Stadt und mag zu Recht bezweifeln, dass
gewisse Konzepte in anderen Dimensionen und unter anderen Umständen greifen. Trotz allem
stehen vorgestellte Stadteile und Stadtkonzepte, unabhängig von Größe und Wohlstand, für
„die Stadt als Lösung“ anstatt für „die Stadt als Problem“. Viele verschiedene Dinge, die aus-
probiert wurden, haben sich etabliert. Stattgefundene innovative Prozesse können allen Ak-
teuren in Städten Anstoß für möglicherweise erfolgreiche Prozesse und Entwicklungen geben,
ein Prinzip, auf dem Veranstaltungen, wie die in Shanghai ausgetragene EXPO 2010 „Better
City- Better Life“ oder BoO1, die in Malmö 2001 ausgetragene Expo unter dem Motto „The
Sustainable City of Tomorrow“, basieren. Desweiteren hat sich gezeigt, dass es wirksam sein
kann sich auf seine gegebenen Vorteile und Stärken zu konzentrieren und diese herauszuar-
beiten.
Die Geschichte Freiburgs offenbart, dass individuelle, wie auch kollektive Innovationsprozes-
se oftmals weniger durch kognitive Wissensbestände ausgelöst werden, sondern vielmehr
durch lebensweltlich motivierte Veränderungs- und Reformbedürfnisse, die explorativ und
experimentell vermittelt, bzw. umgesetzt werden.209
209 WBGU (2011).Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 256
Themenkomplexe
Seite 207
Der WBGU nach210
gibt es von Seiten der Regierung drei Handlungsweisen, welche die
nachhaltige Nutzung gemeinsamer Ressourcen ermöglichen und diese dennoch erhalten. Die-
se sind:
1. Regierung oder äußere Instanz greift mit oder ohne Aufforderung durch die Verbrau-
cher ein und führt Quotenregelung ein- darf keine übermäßigen Kosten für Verwal-
tung und Aufsicht verursachen; (Energieeffizienzstandard, FNP 2020, etc.)
2. Privatisierung der Ressourcen;
3. Die Verbraucher erkennen ihr gemeinsames Interesse und legen selbst Nutzungsquo-
ten fest, die sie durchsetzen und einhalten,
a. Verbraucher müssen eine einheitliche Gruppe sein;
b. Vertrauen und Kommunikation;
c. Abgrenzungen der Ressourcen, wie auch die Gemeinschaft der Verbraucher
müssen genau definiert sein;
Die drei Handlungsweisen werden an dieser Stelle erwähnt, da die dritte Handlung in Frei-
burg Vauban, und evtl. auch in anderen Stadtteilen, beherzigt wurde (nicht wortwörtlich, aber
im übertragenen Sinn), in späterer Kombination mit der ersten Handlungsweise.
In Bezug zu Kapitel drei wird festgestellt, dass die Bewertungsinstrumente der Kategorie
„Produkte“ sich nicht in Kommunen eignen, da hier nur fertig produzierte Güter eingesetzt
werden, wie z.B. in der Bauindustrie, welche vorher im Betrieb, so nachhaltig wie möglich
durch Instrumente der Kategorie “Produkte“ hergestellt werden können. Die Zertifikate
DGNB und LEED verdeutlichen, dass unter die Bewertung von nachhaltigen Gebäuden auch
die Materialienauswahl fällt. In Kommunen eignen sich Verfahren der Kategorie „Projekte“
des Kapitel drei, also Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, Umweltverträglichkeitsuntersu-
chungen und die Anwendung von Zertifizierungen für nachhaltiges Bauen. Auch Instrumente
für Programme und Pläne eignen sich, für die Aufstellung von Bebauungsplänen und Fläche-
nnutzungsplänen, welche in Deutschland die Stadtentwicklung besonders steuern. Umwelt-
verträglichkeitsprüfungen beziehen sich ebenfalls auf die Bauleitplanung. Diese Bewertungs-
instrumente können mit vorgeschlagenen Beispielprojekten Hand in Hand gehen. Konkrete
210 WBGU (2011).Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 153
Themenkomplexe
Seite 208
Ideen für eine nachhaltige Stadtentwicklung können somit für die relevante Situation und
Stadt auf Kosten, Umwelt und Bevölkerung bewertet werden.
Es besteht jedoch neben den überwiegenden Neuentwicklungen, die Frage, wie mit dem Be-
stand umzugehen ist. Dieser Bereich wird wohl vermehrt Aufmerksamkeit beanspruchen.
4.3 Landnutzung
In Anbetracht der Tatsache, dass aus den Landnutzungssystemen, also Land- und Forstwirt-
schaft, einschließlich der Waldrodungen (jährlich verringert sich weltweit die Waldfläche um
ca. 13 Mio. ha) derzeit knapp ein Viertel der globalen Treibhausgasemissionen stammen,
muss ein wesentlicher Beitrag aus der Landnutzung kommen, um eine Klimastabilisierung zu
erreichen, als Ziel und wesentlicher Bestandteil für eine nachhaltige Entwicklung.211
Auf-
grund dieser Tatsache wird dieser Themenbereich neben Kommunen und Unternehmen an
dieser Stelle aufgeführt. Als primäres Problem gelten Umwandlungen von natürlichen Öko-
systemen (Wälder, Wiesen, Feuchtgebiete, etc.) in landwirtschaftlich oder andersartig genutz-
te Flächen. Diese Umwandlungen gilt es einzuschränken, da diese Prozesse zum einen durch
die Kohlenstofffreisetzung einen immensen Einfluss auf den anthropogen erzeugten Treib-
hauseffekt haben und zum anderen den Rückgang der Artenvielfalt verursachen, bzw. verstär-
ken. Kurz- diese Eingriffe sind nicht nachhaltig, da sie dem Ökosystem in großem Ausmaß
schaden, gesellschaftlichen Wiederstand ignorieren und meistens nur vereinzelte Großkonzer-
ne wirtschaftlichen Gewinn ernten.
Mit der Landnutzung sind vielerlei Interessen verbunden. Einige davon sind.
Nahrungsmittelproduktion;
Siedlungsraum;
Verkehrsraum;
Anbau von nachwachsenden Rohstoffen zur Energiegewinnung;
Naturschutz;
Forstwirtschaft;
211 WBGU (2011).Gutachten Gesellschaftsvertrag .S. 33
Themenkomplexe
Seite 209
Zwischen den bestehenden Interessen herrschen meistens Konflikte. Diese Konflikte werden
gleichzeitig durch eine erhöhte Konkurrenz um knappe Flächen durch Bodendegradation,
Wassermangel und zunehmende Klimawirkungen verschärft.212
Ein eher neuartiger Konflikt, der mit der Debatte der Energiewende entstanden ist, ist der
zwischen der Nahrungsmittelproduktion durch die Landwirtschaft und der landwirtschaftli-
chen Erzeugung von Biomasse als Energiequelle. Dies ist ein gewaltiges Problem, da zum
einen nachwachsende Rohstoffe als Energiequelle stark propagiert werden, zum anderen muss
die weltweite Nahrungsmittelproduktion laut FAO (Federal Agricultural Organisation) bis
2050 um 70% gesteigert werden.213
Priorität einer globalen nachhaltigen Landnutzungspolitik
sollte dennoch die Sicherung der Ernährung für die knapp eine Milliarde mangel- und unter-
ernährter Menschen sein. Weiterhin besteht der Anspruch an die Landwirtschaft neben dem
erhöhten Bedarf an pflanzlichen Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffen zusätzlich
noch den erhöhten Bedarf an landwirtschaftlich erzeugten Futtermitteln für den steigenden
Fleischkonsum zu decken. All diese Interessen auf eine nachhaltige Art und Weise zu verfol-
gen scheint eine immense Herausforderung. So besteht in der Landwirtschaft die Herausfor-
derung, die Nahrungsmittelproduktion auf eine nachhaltige Art und Weise, mit Berücksicht i-
gung der biologischen Vielfalt, zu betreiben. Die Betonung liegt auf Nahrungsmittelprodukti-
on und nicht Futtermittelproduktion, d.h. langfristig sollte an einem Wandel der Ernährungs-
gewohnheiten, bzgl. des immensen Fleischkonsums, gearbeitet werden.
Aus all diesen Gründen betont der WBGU, dass der Themenkomplex Landnutzung auf der
internationalen politischen Agenda eine erheblich höhere Priorität bekommen sollte, als es
momentan der Fall ist. Dazu sollte eine globale Kommission eingerichtet werden, um neue
Strategien zur Minderung von Treibhausgasemissionen aus der Landnutzung sowie Umwand-
lung von Landnutzungsformen, zu entwickeln.
Eckpunkte dieser Strategien sollten sein214
:
Waldwirtschaft;
212 WBGU (2011).Gutachten Gesellschaftsvertrag .S. 14
213 FAO (2009). How to feed the world 2050. Seite 2
214 WBGU (2011).Gutachten Gesellschaftsvertrag .S. 15
Themenkomplexe
Seite 210
o Generell sollte die weltweite Entwaldung soweit es geht gestoppt werden. In-
ternationale Instrumente, wie REDD215
für eine Reduzierung der Entwaldung
und FSC für eine nachhaltige Bewirtschaftung sollten verstärkt und seriös ein-
gesetzt werden. Neben den Wäldern sollten weitere, für den Treibhauseffekt
und die Biodiversität relevante Ökosysteme, wie Feuchtgebiete (Moore,) be-
sondere Aufmerksamkeit entgegengebracht werden;
Landwirtschaftliche Produktion;
o Der erhöhte Nahrungsbedarf, Bedarf an nachwachsenden Rohstoffen für den
Energiesektor und der erhöhte Bedarf an stofflich genutzter Biomassen, müs-
sen bei gleichzeitiger Senkung der Treibhausgasemissionen nachhaltig gedeckt
werden;
Ernährungsweisen;
o Die Verschwendung von Lebensmitteln vor allem in den Haushalten der In-
dustrieländern sollte verringert werden;
o Wie schon erwähnt, ist global gesehen der weltweit steigende Fleischkonsum
besonders kritisch zu betrachten. Schon jetzt beansprucht die Viehwirtschaft
weltweit etwa ein Viertel der landwirtschaftlich genutzten Fläche und gilt ne-
ben der Bevölkerungsentwicklung als dynamischster Aspekt in der Landwirt-
schaft. Der Umweg von pflanzlichen Rohstoffen über die Fleischproduktion
hat erhebliche Auswirkungen auf die Landnutzung an sich, auf den Wasser-
haushalt, auf den Bodenhaushalt, auf die biologische Vielfalt, auf den Treib-
hauseffekt und auf die globale Ernährung; Eine schrumpfende Nachfrage wäre
hier eine notwendige Bürgerbewegung, welche diese bedenkliche Entwicklung
ändern könnte.216
Maßnahmen hierzu sind in Tabelle 33 ersichtlich.
215 REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) ist ein theoretisches Modell, welches Wäl-
dern als Kohlenstoffspeicher und wichtiger Bestandteil in globalen Stoffkreisläufen, einen monetären Wert
gibt, um in wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen eine konkrete und vergleichbare Gewichtung zu be-
kommen. Vor allem boreale Wälder und Regenwälder sollen dadurch geschützt werden.
216 SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012. S.3
Themenkomplexe
Seite 211
Nach diesem ganzheitlichen und knappen Überblick über Landnutzungssysteme auf globaler
Ebene, sollen nun in den folgenden Unterkapiteln Strategien und Beispiele erläutert werden,
die sich auf den urbanen Raum und weitestgehend auf Deutschland beziehen. Das Thema
Landnutzung ist unheimlich komplex und weitläufig, deshalb werden nur kleine Ausschnitte
behandelt. Im folgenden Kapitel 4.3.1. wird auf die nationale Strategie zur biologischen Viel-
falt generell und wiederrum in Bezug auf städtische Räume eingegangen. In Punkt 4.3.2. wird
auf das Konzept der Innenraumverdichtung im Siedlungsflächenmanagement eingegangen,
woraufhin der Vorgang der Entsiegelung und dessen Effekte erläutert wird.
4.3.1 Nationale Strategie zur biologische Vielfalt
Die biologische Vielfalt der Erde ist von meist unterschätztem Wert. Ökosysteme erzeugen
für den Menschen eine Reihe von Wohlfahrtswirkungen. In fast allen in dieser Arbeit heran-
gezogenen verschiedenen Gutachten wurden die Zusammenhänge zwischen den verschiede-
nen Umweltproblemen hervorgehoben. Biodiversität spielt dabei immer eine Rolle, sei es im
Hinblick auf den Wasserkreislauf, auf klimatische Wirkungen, auf gesundheitliche Leistungen
und auf ökonomischen Nutzen. Ökosystemleistungen müssen aufgewertet werden, welche
dem Umweltgutachten 2012 des SRUs nach, insbesondere Wälder, Moore und Meere sind.217
Biodiversität existiert in ländlichen, sowie in städtischen Räumen und ist demnach beiderseits
zu fördern. Die genannten Felder, welche in diesem Kapitel erläutert sind (Entsiegelung,
Biodiversität, Innenraumverdichtung) stehen in engem Zusammenhang zueinander und bezie-
hen sich für diese Arbeit verstärkt auf urbane Räume als auf ländliche Räume.
Sicherlich ist Biodiversität in vielen ländlichen Gebieten der Erde, wie z.B. die Hot Spots der
biologischen Vielfalt- die Regenwälder- von weitaus größerem Ausmaß und Bedeutung. In
dieser Arbeit jedoch soll, auch aus dem Hintergrund der starken Urbanisierung und der Wohl-
fahrtswirkungen von Grün für den Menschen, hauptsächlich biologische Vielfalt im Rahmen
der Flächennutzung in Ballungsräumen betrachtet werden.
So betont auch der OECD- Bericht „Umweltausblick 2050“, dass Umweltfunktionen genau
untersucht werden müssen, da diese weitreichende wirtschaftliche und soziale Auswirkungen
217 SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012. S. 6
Themenkomplexe
Seite 212
haben, und machen deutlich, dass Ressourceneffizienz und Landnutzung im Sinne einer nach-
haltigen Entwicklung verbessert werden müssen. So kann sich der Klimawandel auf den Was-
serkreislauf und den Schwund der biologischen Vielfalt auswirken und ebenso umweltbeding-
te Gesundheitsprobleme verstärken. Die biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen stehen
in engem Zusammenhang mit Komplexitäten, wie Wasser, Klima und menschlicher Gesund-
heit. Beispiele sind etwa Sümpfe, welche zur Wasserreinigung dienen, Mangroven, welche
Schutz vor Überschwemmungen geben, Wälder, die die Klimaregulierung unterstützen und
die genetische Vielfalt, welche pharmazeutische Entdeckungen ermöglicht.218
Für die Bewertung der nationalen Strategie der biologischen Vielfalt sind Indikatoren, die den
Zustand der biologischen Vielfalt und ihre Bestandteile darstellen grundlegende Bewertungs-
instrumente.
Die Indikatoren der nationalen Strategie für Biodiversität wurden nach dem DPSIR- Ansatz
aufgestellt (s. Kap. 3.6.). Zu diesen Indikatoren gehören unter anderem:
Tabelle 28: Auswahl einiger Indikatoren der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Quelle: BUNDESMINISTERIUM FÜR UMWELT, NATURSCHUTZ UND REAKTORSICHERHEIT (2007). Nationale Strate-
gie zur biologischen Vielfalt. S. 122
Indikator DPSIR- Aussage Indikatorensystem Verfügbarkeit auf Bun-
desebene
Nachhaltigkeitsindikator
für die Artenvielfalt
State Nationale Nachhaltig-
keitsstrategie (NHS),
Umwelt-
Kernindikatorensystem
des Umweltbundesamtes
(KIS), Länderinitiative
Kernindikatoren (LIKI)
Verfügbar
Gefährdete Arten Impact KIS 2009
218 ORGANISATION FÜR WIRTSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT UND ENTWICKLUNG (OECD) (2012): Umweltaus-
blick 2050
Themenkomplexe
Seite 213
Indikator DPSIR- Aussage Indikatorensystem Verfügbarkeit auf Bun-
desebene
Erhaltungszustand der
FFH- Lebensraumtypen
und -arten
State LIKI geplant Ab 2008
Fläche der streng ge-
schützten Gebiete
Response KIS, LIKI Verfügbar
Flächeninanspruchnahme:
Zunahme Siedlungs- und
Verkehrsfläche
Pressure KIS, LIKI, NHS Verfügbar
Landschaftszerschneidung Pressure KIS, LIKI Verfügbar
Anteil der Flächen mit
ökologischer Landwirt-
schaft an der landwirt-
schaftlich genutzten Flä-
che
Response KIS, LIKI, NHS Verfügbar
Flächenanteil zertifizierter
Waldflächen in Deutsch-
land
Response Verfügbar
Stickstoffüberschuss
(Gesamtbilanz)
Pressure NHS, KIS Verfügbar
Gentechnik in der Land-
wirtschaft
Pressure/ Response 2007
Gewässergüte- Anteil
Gewässer mit mind. GK.2
Impact LIKI Verfügbar
Marine Trophic Index Pressure CBD (Convention on
Biological Diversity)
Verfügbar
Bedeutsamkeit umweltpo-
litischer Ziele und Aufga-
ben
Response Ab 2008
Es ist aus nachhaltigen Gründen von großer Bedeutung die biologische Vielfalt zu erhalten.
Dem Stand der Dinge nach, sieht es jedoch um die Artenvielfalt der nationalen Nachhaltig-
keitsstrategie mit dem Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ schlecht aus. Das
Themenkomplexe
Seite 214
Ziel der Strategie ist es, bis zum Jahr 2015 einen Anstieg auf den Indexwert219
100 zu errei-
chen. Auch Tabelle 11 der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung und Tabelle 30 las-
sen erkennen, dass der Zustand der Biodiversität, die Flächeninanspruchnahme und die Land-
bewirtschaftung in Deutschland als sehr bedenklich bis bedenklich einzustufen ist.
Nach Tabelle 30 der Leitplanken soll die Aussterberate der Arten auf 10 begrenzt sein. Statt-
dessen liegt sie derzeit bei >100. Zur vorindustriellen Zeit lag sie bei 0,1-1. Diese Zahlen zei-
gen den erschreckenden Verlust an biologischer Vielfalt.
In diesem Kapitel und auch allgemein in der Arbeit wird ein besonderes Augenmerk auf
Biodiversität in Ballungsräumen gelegt. Was evtl. zuerst etwas widersprüchlich klingt ist es
keineswegs. Städtische Räume bieten oft Lebensräume für zahlreiche Arten, abhängig vom
Grünanteil einer Stadt, der in Bezug zu der Ausprägung der Vielfalt steht. Teilweise sind städ-
tische Räume artenreicher als die umliegende Landschaft. Insbesondere wärmeliebende Arten
siedeln sich bevorzugt in Städten an.
So ist es Ziel der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, bis 2020 die Durchgrünung
der Siedlungen einschließlich des wohnfeldnahen Grüns (Hofgrün, kleine Grünflächen, Dach-
und Fassadengrün, etc.) deutlich zu erhöhen. Öffentlich zugängliche Grünflächen sollten fuß-
läufig zur Verfügung stehen. Für gefährdete in Städten lebende Arten wie Mauersegler, Fle-
dermaus und Wegwarte sollen Lebensräume erhalten und erweitert werden, was einer Innen-
entwicklung und einer energetischen Gebäudesanierung nicht im Wege steht- im Gegenteil (s.
Kap. 4.2.1.1.1.).220
In Bezug zu kommenden Themen strebt die Strategie zur biologischen Vielfalt in urbanen
Räumen, wo es möglich ist eine Entsiegelung von versiegelten Flächen an.
219 Der Index für biologische Vielfalt ist der Zielerreichungsgrad und eine Maßzahl in % über die bundes- oder
weltweite Artenvielfalt.
220 BUNDESMINISTERIUM FÜR UMWELT, NATURSCHUTZ UND REAKTORSICHERHEIT (2007). Nationale Strategie zur
biologischen Vielfalt. S. 42
Themenkomplexe
Seite 215
Im Rahmen der Biodiversitätsstrategie werden aus genannten Beweggründen drei Punkte an-
gestrebt:221
Die Planungs- und Bewertungsinstrumente der Landschaftsplanung, der Grünord-
nungsplanung und der Bauleitplanung sollen verstärkt genutzt werden zur Entwick-
lung des städtischen Grüns und zur Vernetzung von Biotopen;
Brachen und Baulücken sollen bei der Nachverdichtung oder der ökologischen Auf-
wertung von Stadtgebieten verstärkt berücksichtigt werden;
Vorhandene Möglichkeiten, um die direkte Umgebung von Wohngebäuden zu verbes-
sern, z.B. Entsiegelung, Hof- und Gebäudebegrünung, Rückbau und Begrünung von
Straßen, sollen genutzt werden;
Für den Außenbereich gilt, dass dieser soweit wie möglich unberührt bleibt, d.h. die Auswei-
sung von Neubaugebieten oder die Erweiterung des Innenbereichs durch vereinzelte Bauplät-
ze, zu vermeiden ist. Falls eine Vermeidung der Ausbreitung aus demographischen Gründen
(s. Freiburg) nicht möglich ist, soll das entstehende Gebiet unter den erwähnten Nachhaltig-
keitsstandards (Bauen, Siedlungswasserwirtschaft, Verkehr, Biodiversität, etc.) konsequent
gestaltet werden.
Dieser Punkt wird in diesem Kapitel angesprochen, da die Vielfalt an Böden und deren Funk-
tionen gesichert werden muss. Also wird auch in diesem Bereich eine Minimierung der weite-
ren Bodeninanspruchnahme gefordert, durch effektives Flächenrecycling sowie durch ein
Nutzen der Innenraumpotentiale und der Förderung von Entsiegelung.
Instrumente wie der „GSF“ und das „GPS“ aus dem Kapitel 4.2.2. eignen sich ebenfalls, um
in städtischen Raum Biodiversität zu fördern. Da das Thema der biologischen Vielfalt eher zu
den weichen Faktoren gehört und man sich größtenteils der Bedeutung nicht bewusst ist, fin-
det dieser Bereich international wie auch national und kommunal noch zu wenig Beachtung-
mehr dazu im Kapitel 4.3.4..
221 BUNDESMINISTERIUM FÜR UMWELT, NATURSCHUTZ UND REAKTORSICHERHEIT (2007). Nationale Strategie zur
biologischen Vielfalt. S. 43ff.
Themenkomplexe
Seite 216
4.3.2 Siedlungsflächenmanagement
Abbildung 72: Landnutzungsverteilung in Deutschland
Quelle: STATISTISCHES BUNDESAMT DEUTSCHLAND (2010). Flächennutzung
Was die Flächeninanspruchnahme von 13,3% der Gesamtfläche Deutschlands für Siedlungs-
raum angeht, ist es das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung als auch der
landesweiten Nachhaltigkeitsstrategien Hessens (und anderer Bundesländer, wie z.B. Baden-
Württemberg), möglichst wenig unbebaute Fläche zu versiegeln, also den Außenbereich nach
§35 BauGB unversiegelt zu lassen und die Potentiale des Innenraums von Gemeinden und
Städten nach §34 BauGB auszuschöpfen.
Ziel der hessischen Nachhaltigkeitsstrategie ist eine Flächeninanspruchnahme von Siedlungs-
und Verkehrsfläche von max. 2,5 ha/ Tag ab dem Jahr 2020. Ab dem Jahr 2012 gilt der Wert
von 3,2 ha/Tag und ab dem Jahr 2016 gilt das Zwischenziel 2,8 ha/Tag. Insbesondere Land-
wirte beklagen den landesweiten „Flächenfraß“. So liegt der Flächenverbrauch laut des Minis-
teriums zurzeit bei 3,65 ha/Tag, d.h. das Ziel für 2012 ist nicht erreicht. 222
Ein relativ neues Instrument für ein nachhaltiges Siedlungsflächenmanagement ist ein Innen-
raumkataster, eine einheitliche Datenbank, welche an ein Geoinformationssystem angeschlos-
sen werden kann, um den geographischen Bezug herzustellen. Dieses Instrument kann von
Kommunen jeglicher Größe eingesetzt werden. In die Datenbank sollten alle Grundstücksflä-
chen eingetragen werden, welche eine potentielle Nutzungsänderung erfahren können, d.h.
222 NASSAUISCHE NEUE PRESSE. Region. Rhein- Main/Hessen. Bauern beklagen Landfraß. 7.5.2012
Themenkomplexe
Seite 217
diese Flächen können für Wohnen, Kleingewerbe oder entsiegelte Freiflächen genutzt wer-
den, anstatt Siedlungs- und Verkehrsfläche in den Außenbereich auszuweiten.223
Die Erfas-
sung der einzelnen Parzellen ist ein sehr aufwendiger Prozess und muss stets aktuell gehalten
werden. Neben den ökologischen Auswirkungen kommt hinzu, dass durch „Flächenfraß“ in
Deutschland rund 60.000 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gefährdet würden, was Auswir-
kungen in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutet.224
Desweiteren wird durch diese
Entwicklung die regionale Nahrungsmittelproduktion eingeschränkt, was eine stärkere Ab-
hängigkeit von Importen auslöst. Alles in allem ist dies eine nicht- nachhaltige Entwicklung.
Das Instrument eines Innenraumkataster zur Ausschöpfung von Potentialen im Innenbereich
kann zum einen ein „Urban Spreading“ verhindern, und zum anderen im Rahmen des demo-
graphischen Wandels eine Stärkung von Orts- bzw. Stadtstrukturen erzeugen.
Der sehr aufwendige Aufbau eines Katasters benötigt die Akzeptanz und das Mitwirken von
Bürgermeister und Verwaltung, Politik, Grundstückseigentümer, Käufer, Bürger und externe
Planer und Dienstleister. Die Akzeptanz der Bürger und der Käufer ist wohl das größte Hin-
dernis, in Anbetracht der weiterhin ausgewiesenen Neubaugebiete und der individuellen Vor-
stellungen und Wünsche der Menschen.
Fachliche Voraussetzungen für ein erfolgreiches Innenentwicklungskataster sind unter ande-
rem:
Eine solide, vollständige und verlässliche Bestandsaufnahme (unter Zuhilfenahme ei-
nes geographischen Informationssystems (GIS);
Ständige Aktualisierung der Daten;
Analyse der Daten (Entwicklungsflächen ermitteln, Prognose für die eigene Gemeinde
ableiten und städteplanerische Weichenstellungen vornehmen);
Die Daten den Nutzern zeitnah und umfänglich zur Verfügung stellen (Vermarktungs-
pool, Homepage, usw.);225
223 Nachhaltiges Flächenmanagement in Hessen. Dialogforum der Ingenieurkammer Hessen und des Ministeri-
ums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung. 9.5.2012 nach „Leben mitten in Hessen.de“
224 NASSAUISCHE NEUE PRESSE. Region. Rhein- Main/Hessen. Bauern beklagen Landfraß. 7.5.2012
225 Nachhaltiges Flächenmanagement in Hessen. Dialogforum der Ingenieurkammer Hessen. 9.5.2012 nach „Le-
ben mitten in Hessen.de“
Themenkomplexe
Seite 218
Die Verfolgung eines solchen Konzeptes kann Hand in Hand gehen mit einem Märkte- und
Zentrenkonzept (s. Kap. 4.2.3.). Eines der wichtigsten Ziele, nämlich die Stärkung der Zen-
tren und das Stoppen des „Urban Spreading“ ist in beiden Konzepten gegeben.
4.3.3 Entsiegelung
Entsiegelung ist eine Maßnahme, welche vor allem aus ökologischer Sicht an Bedeutung ge-
winnt, sich hauptsächlich in städtischen Räumen abspielt und sich ebenfalls auf den Indikator
der Flächeninanspruchnahme (Ziel: Versiegelung von 30 ha pro Tag) bezieht (s. auch Kap.
4.2.3. §171a BauGB (Stadtumbaumaßnahmen)). Neben den städtischen Gebieten, sind Ent-
siegelungsmaßnahmen in Regionen mit eine demographischen Abwanderung, wie z.B. im
Osten Deutschlands ebenfalls möglich.
Bei genauerer Betrachtung birgt diese Maßnahme auch ökonomische und soziale Vorteile. Im
Stadtstaat Bremen z.B. werden freiwillige Entsiegelungen von Flächen für den Zweck der
ökologischen Regenwasserbewirtschaftung vom Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie anhand einer Förderrichtlinie honoriert.226
Eine Entsiegelung kann entweder eine
Umwandlung in unversiegelte Fläche (Vegetationsfläche) sein oder in wasserdurchlässig be-
festigte Flächen (Teilentsiegelung oder Belagsänderung) mit einem niedrigen Abflussbeiwert
(z.B. Verbundsteine mit offenen Fugen). Die Entsiegelung sollte zu einer Entkoppelung der
Fläche zur Kanalisation führen. Eine Gefährdung von Boden und/ oder Grundwasser muss
ausgeschlossen werden, d.h. das Niederschlagswasser muss nach Tabelle 21 unbelastet sein.
Da die Wirkung einer Entsiegelungsmaßnahme auf das Abflussverhalten einer Fläche von der
Art der Entsiegelung und von der Geländeneigung abhängt, und die Entsiegelung meist dort
stattfindet, wo versiegelte Flächen bislang Kanalisationssysteme entwässert wurden, ist bei
einer wasserwirtschaftlichen Bewertung darauf zu achten, ob nach wie vor ein Ablauf oder
Überlauf in die Kanalisation vorhanden ist, da gerade bei geneigten Flächen auch nach einer
Entsiegelung noch große Abflüsse in den Kanal entstehen.227
Abbildung 73 zeigt, welche Rol-
le Entsiegelung, bzw. Vegetationsflächen in Ballungsräumen spielen. Zu der Wirkung „Kli-
226 BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND TECHNOLOGIE. Förderdatenbank
227 INGENIEURBÜRO SIEKER (2005). Entsiegelung
Themenkomplexe
Seite 219
matischer Ausgleichsraum“ ist als Beispiel zu nennen, dass der Berliner Tiergarten Tempera-
turreduktionen bis 1,5 km in das umliegende bebaute Gebiet bewirkt.228
Abbildung 73: Entsiegelung und Nachhaltigkeit in Ballungsräumen
Quelle: Eigene Bearbeitung
4.3.4 Bewertungskonzepte und -kriterien
Weltweit gibt es zahlreiche Abkommen und Programme zum Erhalt der Biodiversität. Sei es
das „Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt“, dem inzwischen 192 Staaten
und die EU beigetreten sind, das „Washingtoner Artenschutzabkommen“ oder auch der Erhalt
von Biodiversität durch die Ausweisung von Schutzgebieten, wie z.B. Natura 2000- Gebiete,
welche mittlerweile in den EU- Staaten 18% der Landesfläche beanspruchen. Trotz den Be-
mühungen um den Erhalt und den Schutz von Biodiversität, ist diese stark zurückgegangen (s.
Indikator). International sollen deshalb Instrumente wie REDD+ und weitere ähnliche Metho-
den initiiert werden, mit dem Ziel den Wert von Ökosystemen, in dem Fall Wald, zu
228 BUNDESMINISTERIUM FÜR UMWELT, NATURSCHUTZ UND REAKTORSICHERHEIT (2007). Nationale Strategie zur
biologischen Vielfalt. S. 43ff.
Themenkomplexe
Seite 220
monetarisieren und diese dadurch zu schützen. Wald wird nicht mehr nur nach dem Wert des
Holzes bewertet, sondern auch danach, wie viel er zur Luftreinhaltung beiträgt, wie viel Was-
ser und CO2 er speichert oder welchen Erholungswert er bietet.
Neben der nationalen Strategie für biologische Vielfalt und deren Indikatoren zur Messung
und Bewertung des Zustandes, gibt es weitere Instrumente, eine nachhaltige Landnutzung
voranzutreiben und diese zu bewerten. Diese Instrumente zum Schutz der Natur, stehen je-
doch oft in Konkurrenz, bzw. in Abwägung mit anderen Instrumenten und Interessen, welche
meistens prioritär behandelt werden. Die vorhandenen Instrumente beinhalten meistens nur
die ökologische Nachhaltigkeitsdimension.
In Deutschland sind die Landschaftsplanung und die Eingriffsregelung, welche im Bundesna-
turschutzgesetz verankert sind, gängige Praxis im naturschutzfachlichen Flächenmanagement.
Es handelt sich um naturschutzfachliche Instrumente, die je nach Bundesland hinsichtlich der
Bewertung von Flächen unterschiedlich eingesetzt werden. Die Vermeidung eines Eingriffes
ist oberstes Gebot. Nach §14 BNatSchG sind Eingriffe in Natur und Landschaft, Veränderun-
gen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten
Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funkti-
onsfähigkeit des Naturhaushaltes oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können.
Als Ausnahme sind Land-, Forst und Fischereiwirtschaftliche Bodennutzungen, soweit dabei
die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege berücksichtigt werden, zu nennen.
Hier greift neben dem Bundes- Bodenschutzgesetz (BBodSchG) und dem Recht der Land-,
Forst- und Fischereiwirtschaft die gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft (§5BNatSchG).
Abbildung 74 gibt Aufschluss über das Vorgehen in der Eingriffsregelung. Auch wenn der
Eingriff als Ganzes nicht vermieden werden kann, sollen die Auswirkungen des Eingriffs so-
weit es geht vermieden bzw. minimiert werden. Falls ein Ausgleich (ein Biotop gleicher Art),
nicht durchgeführt werden kann, wird ein Ersatz (ein Biotop gleichen Werts nach der Kom-
pensationsverordnung229
) gefordert.
229 Bewertungen von Flächen erfolgen im Bundesland Hessen nach der Kompensationsverordnung. In der Ver-
ordnung sind alle vorkommenden Biotoptypen Hessens gelistet und mit einer Punktzahl bewertet. Im Bun-
desland Baden- Württemberg wird dagegen eine verbal- argumentative Bewertung vollzogen.
Themenkomplexe
Seite 221
Abbildung 74: Vermeidungsprinzip in der Eingriffsregelung
Quelle: LANDESANSTALT FÜR UMWELT, MESSUNGEN UND NATURSCHUTZ. Eingriffsregelung
Instrumente wie der „GSF“ und das „GPS“ aus dem Kapitel 4.2.2. eignen sich ebenfalls, um
in städtischen Raum Biodiversität zu fördern und zu bewerten. Ein weiteres Modell, welches
ebenfalls den privaten Raum betrifft, sind Förderrichtlinien, wie die der Stadt Bremen. Weite-
re Städte, wie München, verfolgen das gleiche Prinzip des Anreizes durch Zuschüsse.230
4.3.5 Zwischenfazit
Die Bereiche, die im Kapitel Landnutzung hinsichtlich ihrer Bedeutung für eine nachhaltige
Entwicklung erläutert wurden, stehen in engem Zusammenhang, weshalb sich im Text einige
Überschneidungen und Wiederholungen ergeben. Zudem gibt es einige Überschneidungen
mit dem Kapitel „4.2. der Kommunen“. Eine klare Aussage dieses Kapitels ist, dass unter
230 STADT MÜNCHEN (2002). Baureferat
Themenkomplexe
Seite 222
anderem in Ballungsräumen ein möglichst flächeneffizientes Management verfolgt werden
sollte, nicht nur um dem Ziel gerecht zu werden, bis 2020 nur noch 30ha/d Fläche zu versie-
geln, sondern auch aufgrund der diverse beschriebenen Effekte, welche durch Entsiegelung
erzielt werden. Das Thema der biologischen Vielfalt wurde der Siedlungsentwicklung und
dem Prinzip der Entsiegelung vorn angestellt, da es alle Bereiche der Landnutzung durchzieht
und überall relevant ist und pauschal gesagt werden kann, dass biologische Vielfalt aufgrund
der besorgniserregenden Entwicklung (s. Tabelle 11) in Städten, wie auch in der freien Land-
schaft gefördert werden sollte.
Auf Ballungsräume bezogen ist es aus Gründen der Nachhaltigkeit ratsam, auf eine größtmög-
liche Durchgrünung mit einer größtmöglichen Vielfalt zu achten. Eine scheinbar ökologische
Priorisierung birgt große soziale und auch ökonomische Vorteile.
Das Instrument des Innenraumkatasters, welches mittlerweile in vielen Bundesländern einge-
setzt wird oder zumindest davon die Rede ist, kann unter der Bedingung „Akzeptanz und En-
gagement der Bürger“ ein wirkungsvolles Instrument sein. Wenn eine Region oder Stadt de-
mographisch gesehen, erhöhten Bedarf nach Wohn- und Gewerberaum hat, und es unver-
meidlich ist, Neubaugebiete auszuweisen, sollte dies, wie das Beispiel Freiburg zeigt, unter
strengen Nachhaltigkeitsstandards geschehen. Gesetzlich sollte festgelegt werden, dass Ver-
siegelungen nur unter Erfüllung aller Nachhaltigkeitsauflagen durchgeführt werden dürfen.
Diese Auflagen könnten jene sein, wie sie in Kapitel 5.2.2. und 5.2.3. aufgeführt werden.
In Bezug zu Kapitel drei der Bewertungsmodelle und –kriterien ist zu sagen, dass in der
Landnutzung insbesondere Instrumente für die Projektbewertung, für Programme und Pläne
zum Zuge kommen.
Da das Thema der biologischen Vielfalt eher zu den weichen Faktoren gehört und man sich
größtenteils der Bedeutung nicht bewusst ist, findet dieser Bereich international wie auch na-
tional und kommunal noch zu wenig Beachtung- mehr dazu im Kapitel 4.3.1..
Da die Zustände bedenklich sind und die Landnutzung eher die ökologische Sparte repräsen-
tiert, sollte diese wie das Nachhaltigkeitsei besonders gewichtet werden und verstärkt werden.
Themenkomplexe
Seite 223
4.4 Vergleich der Themenkomplexe
Bei den drei Themenkomplexen handelt es sich um sehr unterschiedliche Bereiche mit unter-
schiedlichen Schlussfolgerungen bzgl. der getätigten Maßnahmen für die Nachhaltigkeit und
deren Nachhaltigkeitsbewertung. Eine ihrer Gemeinsamkeiten ist, dass alle drei für eine nach-
haltige Entwicklung ausgelegt werden müssen und somit Heute und zukünftig vielen Verän-
derungen unterliegen. Desweiteren stehen sie in Zusammenhang zueinander und beeinflussen
sich gegenseitig.
Nichts desto trotz wird mit Hilfe von Kriterien für eine nachhaltige Entwicklung eine verglei-
chende Bewertung der Themenkomplexe Unternehmen (BASF) und Kommunen (Freiburg)
vollzogen. Die Gegenüberstellung und die Kriterien wurden selbst entwickelt.
Der Bereich Landnutzung wird im tabellarischen Vergleich ebenfalls aufgeführt, im Spinnen-
diagramm jedoch nicht, da sich ein Vergleich mit den beiden anderen Sektoren nicht eignet,
unter anderem weil die ausgewählten Unterkapitel der Landnutzung in Kapitel 4.3. den Be-
reich Landnutzung nicht in seiner Komplexität repräsentieren. Trotz dem werden im tabellari-
schen Vergleich und in der schriftlichen Ausführung alle drei Sektoren dargestellt.
Im Diagramm werden acht Kriterien abgebildet, welche in der Tabelle und im Text durch
weitere Kriterien ergänzt werden.
Es ist zu betonen, dass sich der Vergleich nur auf die untersuchten Beispiele bezieht. Falls die
Erhebung darüber hinaus geht, wird in der textlichen Erläuterung darauf hin gewiesen. Der
tabellarische Vergleich wird im Weiteren schriftlich erläutert.
Themenkomplexe
Seite 224
Tabelle 29: Vergleich der Themenkomplexe
Quelle: Eigene Bearbeitung
Parameter Unternehmen (BASF) Kommune (Freiburg) Landnutzung
(Biodiversitätsstrategie,
Innenraumkataster, etc.)
CO2- Bilanz “Schlecht” “Gut” “Sehr gut”
Übertragbarkeit der Konzepte „Mittelmäßig“ „Gut-Mittemäßig“ „Sehr gut“
Zukunftsrelevanz Sehr hoch Sehr hoch Sehr hoch
Gibt es Ansätze für Rechtsgrundlagen
bzgl. Nachhaltigkeitsbewertungen?
Ja, aber nur wenige, und nur für einzel-
ne Bereiche der Nachhaltigkeit (z.B.
REACH);
Ja, aber nur für einzelne Bereiche
der Nachhaltigkeit (z.B. WHG,
BauGB, kommunale Satzung);
Ja, aber nur für einzelne Bereiche der
Nachhaltigkeit (z.B. BNatSchG,
BauGB);
Wie hoch sind die Kosten für die Maß-
nahmen?
Kosten durch zeitlichen und sachlichen
Aufwand, jedoch wird eine Routine die
Kosten wieder senken;
Hohe Investitionskosten; Gering
Werden alle drei Säulen der Nachhal-
tigkeit gleichwertig berücksichtigt?
Die wirtschaftliche Sparte ist die
Grundlage Priorisierung
Ja, größtenteils schon; Ja, langfristig betrachtet schon;
Sind die Entwicklungen sozialverträg-
lich?
Schwer durchschaubar; Größtenteils
wohl ja;
Größtenteils ja; Ja
Wie lassen sich die in Kapitel zwei
aufgeführten Bewertungsverfahren
auf die Themenkomplexe anwenden?
Sehr gut für Produkte; Mittelmäßig Gut für Infrastrukturprojekte;
Themenkomplexe
Seite 225
Parameter Unternehmen (BASF) Kommune (Freiburg) Landnutzung
(Biodiversitätsstrategie,
Innenraumkataster, etc.)
Ist der Umgang mit Wasser nachhal-
tig?
Den Umständen entsprechend gut; Teilweise ja; Ja
Wie stark ist der Bürger betroffen/mit
einbezogen?
Indirekt stark/ Nicht Sehr stark/ Stark Indirekt stark/ Nicht
Sind die Unterschiede der Nachhaltig-
keit zum Vorherigen, Konventionellen,
groß?
Mittelmäßig Ja Ja
Gibt es bzgl. Nachhaltigkeit noch Po-
tential?
Ja Ja Ja
Laufzeit der Strategien/Projekte Unterschiedlich Unterschiedlich Andauernd
Handelt es sich um eindeutig abgrenz-
bare Maßnahmenformen?
Teilweise ja; Teilweise ja; Nein
Ermöglichen die Maßnahmen einen
Wirkungsnachweis unter beschränk-
tem Mitteleinsatz?
Teilweise ja; Teilweise ja; Nein
Themenkomplexe
Seite 226
Abbildung 75: Darstellung der vergleichenden Bewertung im Spinnendiagramm
Quelle: Eigene Bearbeitung
CO2- Bilanz: Der Vergleich der CO2- Äquivalente betrachtet die Treibhausgasemissionen
des Unternehmens BASF und die Treibhausgasemissionen der Stadt Freiburg. Die BASF
(ca. 111.000 Mitarbeiter) emittierte im Jahr 2011 25,8 Millionen Tonnen CO2- Äquivalen-
te231
, die Stadt Freiburg (ca. 225.638 Einwohner) im Jahr 2009 1,69 Millionen Tonnen.
Pro Kopf werden 7,97 Tonnen CO2 pro Jahr emittiert.232
Zum Vergleich dazu emittiert
Stuttgart (ca. 575.422) mit gut doppelt so vielen Einwohnern ca. die doppelte Menge an
CO2- Äquivalenten, nämlich 3,2 Millionen Tonnen im Jahr. Pro Einwohner werden sogar
231 BASF (2012). Globale Klimaschutzziele
232 STADT FREIBURG (2012). Klimaschutz
Themenkomplexe
Seite 227
nur 5,7 Tonnen CO2 emittiert.233
Das heißt, dass eine Stadt mit ungefähr 225.000 Einwoh-
nern in einem Jahr ca. 15mal weniger CO2- Emissionen emittiert als das Unternehmen
BASF in einem Jahr.
Natürlich wird das Unternehmen hinsichtlich der CO2- Bilanz in seinem ganzen Ausmaß
erfasst und zudem wird berücksichtigt, dass es sich um ein weltweit führendes Chemieun-
ternehmen mit ca. 111.000 Mitarbeitern, sechs Verbundstandorten und 370 Produktions-
standorten handelt. Nichts desto trotz soll dieser Vergleich die Verhältnisse verdeutlichen.
Die CO2- Emissionen aus der Landnutzung sind, zieht man die aufgeführten Beispiele
heran positiv, da die Förderung von Biodiversität und das Vermeiden von Landumnutzun-
gen CO2 speichert, bzw. eine CO2- Senke ist.
Übertragbarkeit: Dieser Punkt ist von großer Bedeutung, da es sinnvoller ist, die Entwick-
lungen von Modellprojekten voranzutreiben, welche in den Grundzügen übertragbar sind.
Das Ziel ist es, derartige Vorgehensweisen als „gute fachliche Praxis“ zu etablieren und
mit wachsender Akzeptanz nach und nach gesetzlich zu verankern. Eine Standardisierung
durch die Einführung einer Norm kann ebenfalls ein Weg sein den Stand der Technik zu
verbreiten. Die Maßnahmen der BASF, insbesondere die Initiativen (RC und GPS) sind
innerhalb der Chemiebranche übertragbar, bzw. sollten von jedem chemischen Konzern
verfolgt werden. Die Kritik gegenüber den erläuterten Initiativen und Programmen ist, wie
bereits erwähnt, dass die Maßnahmen undurchschaubar und schwammig sind und den An-
schein des „GreenWashing“ erwecken. Diese Kritik muss teilweise auch auf die Bewer-
tungsinstrumente übertragen werden. Die Bewertungsverfahren Ökoeffizienz- Analyse,
SeeBalance und AgBalance) sind theoretisch auf andere Firmen übertragbar und werden
teilweise von anderen Unternehmen schon angewendet.
Die Maßnahmen der Stadt Freiburg und auch die der Stadt Malmö sind auf Neubaugebie-
ten und einzelne Neubauten übertragbar, wenn auch der Erfolgt von der Einstellung der
Bürger abhängig ist.
233 STADT STUTTGART (2012). Stadtklima Stuttgart
Themenkomplexe
Seite 228
Die Maßnahmen im Bereich Landnutzung sind überall anwendbar, zumal es sich meistens
um Sukzessions- und Pflegeprozesse handelt und Eingriffe eher vermieden werden soll-
ten.
Zukunftsrelevanz: Da es sich bei allen drei Sektoren um Bereiche handelt, die ohne hin
schon eine hohe Dynamik auszeichnet, welche durch die Forderung nach Nachhaltigkeit
verstärkt wird, ist die Zukunftsrelevanz dementsprechend sehr hoch.234
Gibt es Ansätze für Rechtsgrundlagen bzgl. Nachhaltigkeitsbewertungen? : Ganzheitliche
rechtliche Bewertungsgrundlagen gibt es, wie schon des Öfteren erwähnt, nicht. Für Un-
ternehmen, Kommunen und Landnutzung gibt es vereinzelt Rechtgrundlagen, welche sich
jedoch meistens nur auf einen Bereich der Nachhaltigkeit beziehen. Hierbei ist zu beach-
ten, dass sich ein gesetzlich oder nicht gesetzlich geregelter Bereich oftmals positiv auf
weitere Bereiche auswirkt, (z.B. REACH bezieht sich auf ökologische und soziale Belan-
ge). Größtenteils basiert das Handeln jedoch auf freiwilliger Basis, wie im Falle der meis-
ten Bewertungsmethoden aus Kapitel drei (Ökobilanz etc.) und vier (Ökoeffizienz- Analy-
se, etc.) oder der Initiativen, denen sich die BASF angenommen hat (RC, GPS, EMAS,
…). Dennoch gibt es für die chemische Industrie vereinzelt Verordnungen wie z.B.
REACH, durch welche Verbindlichkeiten entstehen. Im Bereich der Städte gibt es die
Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, die Umweltverträglichkeitsprüfungen und vereinzelte
Rechtsgrundlagen (WHG, Bausatzung). Im Bereich Landnutzung gibt es zwar rechtliche
Instrumente (Eingriffsregelung, Bauleitplanung, etc.), welche jedoch viel Entscheidungs-
spielraum zulassen.
Wie hoch sind die Kosten? : Die Kosten der Maßnahmen der BASF, d.h. die Ausarbeitung
der Initiativen und die Anwendung der Bewertungsmethoden sind höchstwahrscheinlich
zu Beginn- durch den Sach- und Zeitaufwand, welcher sich jedoch nach einer gewissen
Routine legen wird- höher einzuschätzen. Weitere, jedoch einmalige Investitionen in den
Stand der Technik, um möglichst wenig Treibhausgase zu emittieren, das Wasser mög-
lichst gut zu reinigen, Grauwasserrecycling zu verfolgen, etc.
234 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S.3
Themenkomplexe
Seite 229
In Städten sind die Investitionskosten für gewisse Entwicklungen, z.B. den Bau oder die
Sanierung von nachhaltigen Gebäuden, die Planung und die Ausführung von Versicke-
rungsanlagen, etc. relativ hoch, wobei sich diese Kosten durch das Verfolgen des Vorsor-
geprinzips und die langfristige Entlastung durch nachhaltige Bewirtschaftungsweisen,
nach einer gewissen Zeit amortisieren. So ist beispielsweise die Regenwasserbewirtschaf-
tung in Freiburg Vauban kostspieliger als eine konventionelle Lösung, jedoch bringt die
dezentrale Bewirtschaftung viele Vorteile mit sich, unter anderem eben auch langfristig
betrachtete finanzielle Entlastungen. Aufwendige Planungen mit starkem Einbezug der
Bevölkerung sind zu Beginn ebenfalls teurer und langwieriger als partizipationslose, je-
doch sichert eine ernstgenommene Bürgerbeteiligung den langfristigen Erfolg eines Pro-
jektes oder einer Entwicklung.
Werden alle drei Säulen der Nachhaltigkeit gleichwertig berücksichtigt? :
In Unternehmen sind ökonomische und auch soziale Belange, wenn auch zweitrangig, his-
torisch beeinflusst und das Prinzip der Gewinnmaximierung grundsätzlich die Basis des
betrieblichen Handelns. Erst seit einigen Jahren werden ökologische Aspekte mit einbezo-
gen. Dazu kommt, dass Unternehmen, insbesondere Industrieunternehmen, hauptsächlich
negative Auswirkungen auf die Umwelt haben und diese, wie erwähnt, erst seit kurzem
versuchen, diese so gering wie möglich ausfallen zu lassen- bei gleich bleibendem oder
steigendem Gewinn. Aus diesen Gründen werden die Säulen nicht gleichwertig betrachtet.
In Städten, welche nachhaltig ausgerichtet sind, sind die Entwicklungen größtenteils auf
alle drei Dimensionen ausgerichtet.
In der Landnutzung sind die erwähnten Maßnahmen und Entwicklungen langfristig auch
nachhaltig. Dabei erscheint es evtl. auf den ersten Blick nicht wirtschaftlich, einen Wald
nicht abzuholzen, sondern diesen zu schützen. Langfristig gesehen, ist dies jedoch im gro-
ßen Stil nachhaltig aufgrund der geschützten Artenvielfalt, dem pharmazeutischen Poten-
tial und den zahlreichen positiven Auswirkungen auf den Naturhaushalt und somit auch
auf den Menschen.
Sind die Entwicklungen sozialverträglich? : Soweit es zu durchschauen ist, sind die Maß-
nahmen der BASF in Deutschland sozialverträglich. Die Initiativen RC und GPS sind so-
zial ausgerichtet, genau wie die Bewertungsmethoden SeeBalance und AgBalance. Die
Sozialverträglichkeit der ausländischen Standorte und im Allgemeinen die Auswirkungen
Themenkomplexe
Seite 230
der Produktion sind unklar und nicht ersichtlich. Tabelle 27 ist zu entnehmen, dass die
Entwicklungen im Vauban und auch in Malmö sozialverträglich sind. Eine Sozialverträg-
lichkeit in Städten ist relativ „leicht“ nachzuweisen, da Bürger oft unmittelbar betroffen
sind. Deshalb ist eine Partizipation der Bürger in die städtebaulichen Geschehnisse von so
großer Bedeutung und Wirkung. Die Maßnahmen im Bereich Landnutzung sind sozialver-
träglich.
Wie lassen sich die in Kapitel zwei aufgeführten Bewertungsmodelle auf die Themen-
komplexe anwenden? :
Da in Unternehmen meistens, so auch bei der BASF Produkte hergestellt werden, können
in diesem Themenkomplex zahlreiche Bewertungsinstrumente angewendet werden. Öko-
bilanzen, Ökoeffizienzbilanzen, Produktlinienanalysen, Produktfolgenanalysen, etc. kön-
nen hier erfolgreich zum Einsatz kommen.
In Kommunen kommen Bewertungsinstrumente für Projekte zum Tragen, meist im Zu-
sammenhang mit der Bauleitplanung. Jedoch hat das Beispiel Freiburg und auch Malmö
gezeigt, dass in komplexen Gefüge wie Ballungsräumen bewährte Praxismodelle greifba-
rer und nachvollziehbarer sind, als einzelne, auf viele verschiedenen Aspekte bezogenen
Bewertungsinstrumente. Es erscheint effektiver, erprobte Maßnahmen ganzheitlich auf
andere Städte zu übertragen und ggf. gesetzlich zu verankern. Dennoch schließen sich
bewährte Praxisbeispiele und projektbezogene Bewertungsmethoden nicht aus.
In der Landnutzung können Bewertungsverfahren für große Infrastrukturprojekte, wie
Straßen, Zugtrassen, Gewässerausbau für die Binnenschifffahrt, etc. durchgeführt werden.
Diese Verfahren sind hauptsächlich UVP, SUP, ROV, Nutzen- Kosten- Analyse und wei-
tere Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen.
Nun folgen weitere Kriterien, welche jedoch nicht in Abbildung 75 dargestellt sind.
Ist der Umgang mit Wasser nachhaltig? : Obwohl die BASF ein Chemieunternehmen ist,
wird Wasser so nachhaltig wie möglich genutzt. Die Ambitionen richten sich auf folgen-
de Bereiche:235
1. Optimierung der Wasserbilanz (Förderung, Nutzung und Ableitung);
235 BASF (2012). Umwelt und Sicherheit. Wasser
Themenkomplexe
Seite 231
Abbildung 76: Wasserbilanz der BASF
Quelle: BASF (2012). Wasserbedarf
2. Reduktion der Emissionen in das Wasser;
Abbildung 77: Emissionen in das Wasser
Quelle: BASF (2012). Wasserbedarf
3. Nachhaltiger Wasserumgang in Wasserstressgebieten;
4. Marktchancen nutzen: Herstellung von Produkten zur effizienten Wassernutzung
und zur Reduktion von Emissionen in das Wasser (Wasseraufbereitungstechnolo-
gie, etc.);
Freiburgs Ambitionen und die anderer Städte liegen in folgenden Bereichen:
1. Wasserverbrauch reduzieren: Der durchschnittliche Trinkwasserverbrauch eines
Freiburger Bürgers liegt zurzeit bei 80 l/d. Im Vergleich dazu liegt der durch-
schnittliche Verbrauch eines deutschen Bürgers bei 120 l/d.236
2. Diskussion über Abwärmenutzung aus der Kanalisation;237
3. Nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung (s. Kap. 4.2.1.1.4. )
4. Nachhaltige Wasserkraftgewinnung aus der Dreisam (WRRL); 238
236 Aussage von Dipl.Geol. Nicole Jackisch, Institut für Hydrologie, Universität Freiburg
237 REGIOWASSER FREIBURG (2012). Abwärmenutzung aus der Freiburger Kanalisation
Themenkomplexe
Seite 232
5. Öffentlichkeitsarbeit entlang der Dreisam; s. Fußnote 150
6. Grauwasserrecycling in privaten Haushalten; s. Fußnote 148
7. Trenntoiletten Phosphorgewinnung; s. Fußnote 148
Im Bereich der Landnutzung sind die aufgeführten Maßnahmen und Entwicklungen im-
mer im Sinne eines nachhaltigen Wasserhaushalts, da es sich meistens um Sukzessions-
oder Begrünungsmaßnahmen handelt und diese einem natürlichen Wasserkreislauf nicht
im Wege stehen.
Wie stark ist der Bürger betroffen und wie stark ist der Bürger einbezogen? : In allen drei
Bereichen ist der Bürger, bzw. die Gesellschaft indirekt oder direkt betroffen, jedoch un-
terschiedlich stark beteiligt. In Kommunen ist die Bevölkerung direkt betroffen und kann
deshalb auch am besten beteiligt werden (s. Freiburg Vauban) und am aktivsten mitarbei-
ten. Von den Handlungen der Unternehmen ist der Bürger zwar auch, jedoch nicht vor-
dergründig betroffen, da die private Wirtschaft weniger in der Öffentlichkeit steht und die
Transparenz in das Wirtschaften oft nicht gegeben ist. Auch die Landnutzung betrifft den
Bürger meist indirekt, z.B. durch die Folgen falscher Nutzung (Folgen des Klimawandels,
Erholungsräume, etc.).
Jedoch wird in diesem Zusammenhang erneut deutlich, dass wie in Kapitel 3.6. bereits
angesprochen, der Bürger und sein Lebensstil neben der Stadtentwicklung, den Unter-
nehmen, der Industrie und der Landnutzung, an einer nachhaltigen Entwicklung stark be-
teiligt ist und als indirekter Verursacher externer Effekte (soziale Effekte (z.B. Kinderar-
beit), ökologische Effekte (z.B. Ressourcenabbau) durch den Konsum seiner Verantwor-
tung gerecht werden kann. Strategien dafür sind in Kapitel 3.6. „Übersicht und Zusam-
menfassung“ und in Kapitel 5.2. „Steuerungsinstrumente“ gelistet.
Sind die Unterschiede zwischen dem nachhaltigen und dem vorherigen, konventionellen
Zustand, hoch? : Zuerst stellt sich die Frage, was die Unterschiede sind. Die Eigenschaf-
ten von nachhaltigen Produkten und Prozessen sind folgende:
o Langfristige Betrachtung;
o Ganzheitliche und globale Betrachtung der Folgen und Risiken von Handeln;
238 REGIOWASSER FREIBURG (2005).Nachhaltige Wasserwirtschaft in der Region Südbaden. S.4
Themenkomplexe
Seite 233
o Lebenszyklusdenken;
o Zukunftsorientiert;
o Sozialverträglich;
o Umweltverträglich (s. Anforderungen aus Kap. 2.2.1.);
Angesichts der Tatsache, dass es vor der Umweltbewegung in den 70er Jahren und der
Nachhaltigkeitsdebatte einige Jahre später im Bereich der Unternehmen, keine Initiativen,
Programme, Normen, Messmethoden, etc. gab, wie sie in Kapitel 4.1.1. vorgestellt wer-
den, besteht sicherlich ein Unterschied zu den heutigen Standards und Erwartungen. Auch
wenn die Produktpalette nicht nur aus nachhaltigen Produkten besteht, wird versucht, die
Prozesse so nachhaltig wie möglich zu gestalten, zudem werden Substitutionen erforscht.
Es liegt nicht in der Natur der chemischen Industrie tatsächlich nachhaltig zu sein.
Im Bereich der Urbanisierung bestehen wohl große Unterschied zwischen einer nachhalti-
gen und einer konventionellen Stadtplanung. Diese liegen in der Partizipation der Bürger
als Stadtmitgestalter und im Fokussieren auf Stadtteilzentren als in sich soziale funktio-
nierende Gefüge.
Innerhalb der Landnutzung wird unter nachhaltiger Landwirtschaft vermehrt die ökologi-
sche, gentechnikfreie Landwirtschaft verstanden, unter anderem deshalb, weil Pestizide
und chemische Düngemittel nicht zum Einsatz kommen und somit die Umweltmedien,
Ökosysteme (Wasser, Boden, Luft, Klima, Flora und Fauna) und den Menschen, nicht
langfristig belasten und gefährden. Auch die immer wiederkehrende Debatte über eine
möglichst fleischarme Ernährung ist eine unkonventionelle Entwicklung. Desweiteren
wird in einer ökologischen Landwirtschaft die Biodiversität stark gefördert. Die Zusam-
menhänge wurden in Kapitel 4.3.3.bereits dargestellt.
Besteht Potential für eine weitere nachhaltige Entwicklung? : In allen Bereichen gibt es
reichlich Potential zur Verbesserung und Steigerung des nachhaltigen Verhaltens. In der
chemischen Industrie bestehen wohl am meisten Verbesserungsmöglichkeiten, da es in der
Natur dieser Industrie liegt, eine hohe Umweltinanspruchnahme zu erzeugen, ohne dabei
wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen. Das Streben nach einer nachhaltigen Le-
benswelt ist noch lange nicht erschöpft.
Themenkomplexe
Seite 234
Laufzeit der Strategie/Projekte: Die Laufzeit der Maßnahmen kann sehr unterschiedlich
sein. Einige Prozesse, wie z.B. das Installieren von Technologien und Infrastrukturen ist
kürzer zu bewerten als gewisse Konzepte, Programme und Strategien, die aufgrund ihres
Managementansatzes von längerer Dauer sind, und sich demnach Entwicklung anpassen
und je nach Erfolg oder Misserfolg den Gegebenheiten nach neu ausrichten.
Handelt es sich um eindeutig abgrenzbare Maßnahmen? : Die aufgeführten Initiativen
(RC, GPS, etc.) der BASF ziehen sich über die gesamte Unternehmensstrategie und sind
somit nicht eindeutig abgrenzbar. Die Nachhaltigkeitsbilanzen und -analysen (Ökoeffizi-
enz, SeeBalance, etc.) sind jedoch auf Produkte und Prozesse bezogene, eindeutig ab-
grenzbare Maßnahmen. Technischen Innovationen für Energieeinsparung, Wasserbehand-
lung, etc. sind ebenfalls abgrenzbare einmalige Anwendungen. Die Handlungen in Kom-
munen, wie die Regenwasserbewirtschaftung, das nachhaltige Bauen, etc. sind auch ab-
grenzbar, wenn auch nicht so klar wie in Unternehmen. Da Städte einem ständigen Wan-
del unterliegen und sich geplante Prozesse somit fortwährend ändern, sind die Installatio-
nen der Infrastrukturen zwar abgrenzbare Maßnahmen, deren Weiterentwicklung, z.B. von
Verkehrskonzepten oder der Wandel der Gesellschaft, jedoch nicht. Die Maßnahmen in
der Landnutzung sind am wenigsten voneinander abgrenzbar.
Ermöglichen die Maßnahmen einen Wirkungsnachweis ohne großen Aufwand? : Die
Maßnahmen der Unternehmen sind wohl am schnellsten und unkompliziertesten zu be-
werten. Da das Durchführen von Bilanzen und die Erneuerung von Techniken eindeutig
abgrenzbare Handlungen sind, ist der Wirkungsnachweis dementsprechend einfach.
Monitorings und Evaluationen von Prozessen und Projekten in Kommunen können von
langer Dauer und daher aufwendig sein. Als Beispiel ist die Evaluierung des Regenwas-
sermanagements in Freiburg Vauban zu nennen, welche durch zahlreiche Messungen über
lange Zeiträume durchgeführt wird, um gewonnene Erkenntnisse weiterzugeben und
Empfehlungen auszusprechen. Landnutzungssysteme, beispielsweise die
Biodiversitätsstrategie, sind komplex und Entwicklungen diesbezüglich werden mit lang-
wierigen Monitoringprogrammen verfolgt.
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 235
5. Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen,
Kommune und Landnutzung
In diesem Kapitel wird der Entwurf eines Leitfadens für die Bewertung von Nachhaltigkeit
und dafür geeignete Maßnahmen vorgestellt. Dieser bezieht sich auf Kommunen, Unterneh-
men und die Landnutzung. Die Inhalte dieses Kapitels werden aus den Erkenntnissen, welche
während der Recherche und dem Zusammentragen gewonnen wurden und hier zusammenge-
fügt werden sollen, geschöpft. Im Rahmen des Leitfaden sollen für jeden Bereich geeignete
Bewertungsinstrumente vorgeschlagen und entsprechende Maßnahmen erläutert werden, wel-
che hauptsächlich aus den Beispielen des vierten Kapitel entnommen wurden. Die Bewertung
und die Maßnahmen sollen hinsichtlich der Themen möglichst konkret und anwenderfreund-
lich dargestellt werden. Der Entwurf erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wie auch
die Beispiele bezieht er sich auf die Mikroebene, da auf dieser Ebene, wie die Bewertung der
Beispiele gezeigt hat, der Wirkungsgrad am besten zu betrachten ist und die Handlungen di-
rekt nachvollziehbar sind. In der Tat sprechen viele Argumente für die lokale Ebene, um den
Erfolg einer aussagekräftigen Bewertung zu gewährleisten.
Zusätzlich werden aber auch übergeordnete Leitbilder, Ziele und Maßnahmen erwähnt, sodass
das Konzept in den Grundzügen nach dem Top- Down und Bottom- Up- Prinzip, dem soge-
nannten Gegenstromprinzip, aufgebaut ist. Vor allem in den nächsten zwei Abschnitten wer-
den Leitbilder, Maßnahmen und Initiativen nach dem Top- Down Prinzip erwähnt. Die Konk-
retisierung auf die drei Themenkomplexe an Kapitel 5.3. erfolgt größtenteils nach dem
Bottom- Up- Prinzip. Die Stärke der beiden Prinzipien liegt in deren Vernetzung. Abbildung
78 schematisiert das Gegenstromprinzip, mit den Kommunen und weiteren Akteuren auf der
Mikroebene (Freiburg, BASF, Malmö, etc.), den Bundesländern, dem Bund und deren Steue-
rungsinstrumente auf der Mesoebene und den globalen Zielsetzungen und Leitbildern auf der
Makroebene (Leitplanken, s. Kap. 5.1.).
Kurz zusammengefasst werden zuerst übergeordnete Leitbilder, Grenzen, Ziele und Rahmen-
setzungen erläutert. Daraufhin wird Steuerungsinstrumente eingegangen, wonach die Konzep-
te der Mikroebene für Unternehmen, Kommunen und Landnutzung erläutert werden.
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 236
Abbildung 78: Gegenstromprinzip
Quelle: WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S.193
5.1 Ziele und Rahmen
Es ist wichtig für gewisse Entwicklungen Oberziele, Zwischenziele und Unterziele zu setzen,
insbesondere wenn es sich um langwierige und komplexe Entwicklungen handelt. Ziele
und/oder Leitlinien helfen eine strategische Steuerung zu verfolgen, den Überblick zu bewah-
ren und eine Orientierung zu wahren.
Von der WBGU, wie auch vom Umweltrat wird das Konzept der ökologischen Grenzen, wel-
che in diesem Zusammenhang auch Leitplanken genannt werden, herangezogen, um eine Be-
wertung an konkreten Zielen auszurichten. Das Konzept ähnelt der Methode der ökologischen
Knappheit (s. Kap. 3.1.3.)
Die von der WBGU entwickelten planetarischen Leitplanken werden wie folgt beschrieben:
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 237
„Planetarische Leitplanken sind quantitativ definierbare Schadensgrenzen, deren
Überschreitung heute oder in Zukunft intolerable Folgen mit sich brächte, sodass auch
großer Nutzen in anderen Bereichen diese Schäden nicht ausgleichen könnte. “239
Das heißt, jenseits dieser ökologischen Grenzen wird der globale Umweltwandel zu einem
gesellschaftlich nicht mehr tolerierbaren Risiko für die menschliche Zivilisation. Deshalb soll-
ten diese Zustände des Erdsystems unbedingt vermieden werden.
Es handelt sich nicht um scharfe Grenzen, sondern um langsame, sich über einen großen Zeit-
raum hinziehende, kaum spürbare Entwicklungen, welche jedoch ab einem bestimmten, nicht
direkt vorhersehbaren Ausmaß einen sogenannten Kipppunkt erreichen, an dem die Entwick-
lung nicht mehr aufzuhalten ist. Weil es so komplex ist, zu definieren, wann diese Grenzen
erreicht sind, zeitlich wie auch materiell, und lange Phasen zwischen Übernutzung und spür-
baren Folgen bestehen, sollte nach dem Vorsorge- Prinzip verfahren werden. Dadurch werden
Risiken wie auch gewaltige Kosten reduziert. 240
.
Zu den ökologischen Grenzen gehören unter anderem die 2° Grenze, das Begrenzen des CO2-
Ausstoßes auf 2 Tonnen pro Person und Jahr, etc. 241
Die große Bedeutung der ökologischen Belange kann in Bewertungs- und Entscheidungspro-
zessen auch in einer besonderen Gewichtung dieser im Vergleich zu ökonomischen und sozia-
len Belangen zum Ausdruck kommen. Die Schwierigkeit besteht darin, einzelne Produkte,
Prozesse, etc. anhand der übergeordneten Grenzen zu bewerten, also zu beurteilen, ob ein
Produkt nachhaltig ist und sich dessen Produktion im zugelassenen ökologischen Spielraum
abspielt. Konzepte, wie die schweizerische Methode der ökologischen Knappheit, verfolgen
diesen Ansatz, bzw. erörtern den Spielraum, in dem nachhaltig gewirtschaftet werden kann.
Wie erwähnt, ist es sinnvoll bei Ungewissheiten immer nach dem Vorsorgeprinzip zu han-
deln.
Abbildung 79 zeigt das Verhältnis der Reaktionsphase zur Kontrollphase. Je länger die Reak-
tionsphase hinausgezögert wird, desto kleiner wird die Möglichkeit des Kontrollierens, bzw.
239 WBGU (2011). Gutachten- Gesellschaftsvertrag. S. 34
240 UMWELTRAT (2012). Umweltgutachten. S.16
241 WBGU (2011). Gutachten- Gesellschaftsvertrag. S. 34
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 238
desto größer wird die Zone der Unsicherheit. In der Abbildung daneben wird der Zusammen-
hang zwischen einer zunehmenden Landnutzungsänderung, insbesondere der Umwandlung
von natürlichen Ökosystemen in Ackerland oder versiegelte Fläche, und der terrestrischen
Kohlenstoffbindung dargestellt. Diese nimmt bei steigender Landnutzungsänderung zuneh-
mend ab.
Abbildung 79: Planetarische Grenzen, Schwellenwerte und Unsicherheit
Quelle: SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012. S.42
Tabelle 30 gibt einen Überblick der globalen Leitplanken, welche teilweise schon überschrit-
ten sind (graue Färbung).
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 239
Tabelle 30: Planetarische Grenzen
Quelle: SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012. S.46
Erdsystemprozesse Parameter Vorgeschlagene
Grenze
Derzeitiger
Status
Vorindustrieller
Wert
Klimawandel 1.Atmosphärische CO2-
Konzentration (ppm, Volu-
menanteil)
350
387 280
2.Veränderung der Strah-
lungsleistung (Watt pro m²)
1 1,5 0
Biodiversitätsverlustrate Aussterberate (Zahl der
Arten pro einer Million
Arten pro Jahr)
10 >100 0,1-1
Stickstoffzyklus (mit
dem Phosphorzyklus
verbunden)
Menge an N2, die für
anthropogene Nutzung aus
der Atmosphäre entnommen
wird (Millionen Tonnen pro
Jahr)
35 121 0
Phosphorzyklus (mit dem
Stickstoffzyklus verbun-
den)
Menge an Phosphor, die in
die Ozeane gelangt (Millio-
nen Tonnen pro Jahr)
11 8,5-9,5 -1
Stratosphärischer Ozon-
abbau
Ozonkonzentration (Dob-
son- Einheit)
276 283 290
Versauerung der Ozeane Globale durchschnittliche
Aragonitsättigung im Ober-
flächenwasser von Meeren
2,75 2,9 3,44
Globale Süßwassernut-
zung
Verbrauch an Süßwasser
durch den Menschen
(km³/a)
4.000 2.600 415
Landnutzungsänderungen Prozent der globalen Bo-
denbedeckung, die in Acker-
land umgewandelt wird
15 11,7 Niedrig
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 240
Atmosphärische Aero-
solbelastungen
Gesamtpartikelkonzentration
in der Atmosphäre (auf
regionaler Basis)
Noch zu bestimmen
Verschmutzung durch
Chemikalien
z.B. emittierte Mengen in
die globale Umwelt oder
Konzentrationen in der glo-
balen Umwelt an persisten-
ten organischen Schadstof-
fen, Kunststoffen, endokri-
nen Disruptoren, Schwerme-
tallen und radioaktiven Ab-
fällen oder die daraus fol-
genden Wirkungen auf Öko-
systeme und die Funktions-
fähigkeit des Erdsystems
Noch zu bestimmen
Die graue Schattierung bedeutet, dass die planetarischen Grenzen schon überschritten sind.
Die Einhaltung der Leitplanken, und somit die Wahrung der Grundlagen Natur und Umwelt,
ist eine notwendige Bedingung für den langfristigen Erfolg einer zukunftsgerechten Nachhal-
tigkeitsentwicklung.242
Deshalb sollen die Konzepte der Leitplanken und des
Nachhaltigkeitsei´s (s. Kap. 2.1.) den Rahmen für diesen Entwurf bilden, innerhalb dessen
sich der Spielraum für eine nachhaltige Entwicklung befindet. Bewertungen von jeglichen
Prozessen sollten unter Berücksichtigung des begrenzten Spielraums erfolgen. Beispiele zei-
gen, dass eine Priorisierung von ökologischen Belangen keineswegs zu einer komplett einsei-
tigen und suboptimalen Nachhaltigkeitsentwicklung geführt hat. Meistens gehen Bemühun-
gen für eine intakte Umwelt Hand in Hand mit sozialen und wirtschaftlichen Belangen. So
bewirken Maßnahmen zur Entschleunigung des Klimawandels eine Reduzierung von Natur-
ereignissen, wie Überschwemmungen und Hitzewellen, was wiederrum das Einsparen von
immensen Kosten und einer Gesundheits- evtl. sogar Todesvorsorge nach sich zieht. Wald-
schäden z.B. bedeuten nicht nur große ökologische Verluste- sondern auch wirtschaftliche
Einbußen und soziale Verluste, da Waldgebiete oft eine Erholungsfunktion erfüllen und eine
positive Wirkung auf die menschliche Gesundheit haben.
242 SACHVERSTÄNDIGENRAT FÜR UMWELTFRAGEN (SRU). Umweltgutachten 2012. S. 10
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 241
Als sozialer Faktor spielt insbesondere auch die Gesundheit des Menschen eine große Rolle.
Allein durch Umwelteinflüsse, wie den Klimawandel (Hitzewellen, Stürme, Fluten, etc.),
Wasserverschmutzung, Wasserknappheit, Luftverschmutzung, Chemikalien, etc. sterben jedes
Jahr 13 Millionen Menschen, vor allem in den Entwicklungsländern. Das heißt, dass weltweit
ein Viertel aller Todesfälle und ein Viertel aller Krankheiten Umwelteinflüssen zuzuschreiben
sind.243
Neben den übergeordneten Zielen und Rahmensetzungen wird ein Mittelweg zwischen starker
und schwacher Nachhaltigkeit favorisiert. Eine starke Einschränkung oder gar ein Verbot der
Nutzung von nicht- erneuerbaren Ressourcen ist aufgrund des Bevölkerungs- und Wirt-
schaftswachstums eine unrealistische Zielvorstellung. Zudem ist eine komplette Substitution
der Input- Produkte durch anthropogenes Kapital ebenfalls schwer umzusetzen, da, wie schon
erwähnt, einige Stoffe nicht durch anthropogen hergestellte Stoffe ersetzt werden können.
Deshalb wird ein Mittelweg gewählt, in dem nicht vollständig, aber weitestmöglich auf nicht-
erneuerbare Ressourcen verzichtet wird und doch, soweit es möglich ist, Substitutionen statt-
finden. Neben Effizienzmaßnahmen, sollten Stoffkreisläufe und Konsumverhaltensänderun-
gen eine hohe Beachtung finden.
5.2 Steuerungsinstrumente
Umweltpolitische Steuerungsinstrumente sind für eine nachhaltige Entwicklung von besonde-
rer Bedeutung. Für Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung eine finanzielle Ent-
schädigung zu verlangen, ist eine effektive Methode, welche zu schnellen Erfolgen führen
kann- meist schneller als Maßnahmen auf freiwilliger Basis. Allgemeines Ziel ist es, externe
Kosten zu internalisieren, d.h. externe Effekte des Umweltverbrauchs in das Produkt mit ein-
zurechnen. In der Umweltpolitik ist jedoch eine vollständige Internalisierung externer Effekte
aufgrund der Problematik, welche mit einer ökonomischen Bewertung der Umweltschäden
sowie der Verursacher einhergeht, schwer möglich.244
Ein derartiges Prinzip, welches im Fol-
genden anhand des Emissionshandels und der CO2- Besteuerung erläutert wird, verfährt ei-
243 WHO (2006), A.PRÜSS- ÜSTÜN, C. CORVALÁN, Preventing disease through healthy environment, To-
wards an estimate of the environmental burden of disease, S.6 ff. 244 GABLER WIRTSCHAFTSLEXIKON. Internalisierung
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 242
nerseits nach dem Verursacherprinzip, d.h. diejenigen, die durch eine Nachfrage bestimmter
Produkte und Dienstleistungen indirekt Umweltbelastungen hervorrufen, müssen dafür zu-
sätzliche Beträge erbringen. Andererseits wird das Vorsorgeprinzip ebenfalls verfolgt, da
durch eine Erhöhung der Preise der Konsum wahrscheinlich zurückgehen und somit die Um-
welt langfristig entlastet werden würde.
Politische Steuerungsinstrumente können marktwirtschaftliche Instrumente der Umweltpolitik
sein. Der Emissionshandel bewirkt mit einer Mengendefinition an vertretbaren Emissionen
eine hohe ökologische Treffsicherheit im Rahmen des vorgegebenen Spielraums. Andererseits
ist es schwer für die Unternehmen und Verbraucher eine Preisentwicklung und Belastung zu
prognostizieren.245
Um ein festgelegtes Ziel zu erreichen oder eine Grenze nicht zu über-
schreiten eignet sich das Instrument des Emissionshandels besser als eine CO2 –Besteuerung.
Die Ökosteuer (15,3 Cent/l Benzin) weist eine niedrige ökologische Treffsicherheit auf, was
bedeutet, dass eine zu niedrige Besteuerung das Umweltziel verpasst und eine zu hohe Steuer,
nicht notwendige Umstellungen erzwingt. Dennoch kann die Ökosteuer zum einen finanzielle
Mittel für Nachhaltigkeitsmaßnahmen erzeugen, zum anderen soll die Besteuerung Fahrleis-
tungen senken und den Einsatz verbrauchsarmer Fahrzeuge und alternativer Kraftstoffe för-
dern.246
Das Ziel der zwei Instrumente ist es, eine globale CO2- Bepreisung voranzutreiben. Neben
den Treibhausgasemissionen bezieht eine Internalisierung externer Kosten aber auch weitere
externe Effekte, wie z.B. den Ressourcenverbrauch und die Umweltzerstörung, mit ein. Wie
erwähnt ist es schwierig bzw. nicht möglich gewisse Umwelteinwirkungen monetär zu bewer-
ten und diesen Wert auf einzelne Produkte, Prozesse, etc. aufzurechnen.
Ein Anreiz- und Hebelinstrumente der Wasserwirtschaft ist das Instrument der Abwasserab-
gabe durch das Abwasserabgabengesetz (AbwAG), welches bei einem Direkteinleiter, also
dem direkten Einleiten von Abwasser z.B. eines Industrieunternehmens in ein Gewässer an-
statt über eine kommunale Kläranlage, regelt, dass der Abwasserverursacher je nach Art
(Stoff) und Menge der Verschmutzung sogenannte Schadeinheiten zahlen muss. Eine Schad-
245 WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 191
246 UMWELTBUNDESAMT. Was bringt die Ökosteuer?2005
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 243
einheit liegt zurzeit bei 35,79 € je nach Stoff. Natürlich müssen beim Einleiten die gesetzli-
chen Mindestanforderungen des Wasserhaushaltsgesetzes (§7a) befolgt werden.247
Das Um-
weltschadensgesetz (USchadG) ist ein weiteres Instrument, welches jedoch nicht das Vorsor-
ge-, sondern das Verursacherprinzip verfolgt.
Neben den Rechtsvorschriften sollten auch vermehrt Anreiz- und Fördermaßnahmen ins Le-
ben gerufen werden, wie z.B. die Förderrichtlinie des Stadtstaates Bremen, welche Bürgern,
wenn sie eine Fläche für eine nachhaltige Regenwasserbewirtschaftungsmaßnahme entsie-
geln, Fördergeld verspricht. Auf dieser Ebene können durch geeignete Maßnahmen gesell-
schaftliche Verstärkungsprozesse und Engagement initiiert werden.
Für die drei Bereiche stellt sich gleichermaßen die Frage, ob die vorgestellten und in Frage
kommenden Normen, Standards (EMAS, ISO, DIN) und Steuerungsinstrumente für die
Nachhaltigkeitsbewertung bzw. -anleitung wirksam genug aufgestellt sind oder ob der Rah-
men enger gezogen werden muss, um tatsächlich Veränderungen zu erzielen. Diese Frage
richtet sich auch an weitere Instrumente, wie z.B. die Umweltverträglichkeitsprüfung. Auch
hier gibt es die Option den Anhang 1 UVPG zu erweitern und somit mehr Projekte UVP-
pflichtig zu machen.
In Kapitel 3.4.4. wird diskutiert, ob es, um Ergebnisse und Verbesserungen zu erzielen, nicht
an der Zeit ist, Standardisierungen strenger und verbindlicher zu gestalten. Die Leistung der
Umweltmanagementsysteme (UMS) kann durch vergleichbare Kennzahlen erhöht werden.
UMS sollten in alle Bereiche und Standorte eines Unternehmens integriert werden. Desweite-
ren sollten Möglichkeiten geschaffen werden, UMS in kleinen und mittleren Unternehmen
anwenden zu können, denn diese beziehen sich, ebenso wie DIN´s und ISO´s hauptsächlich
auf das Management und die Qualität einer Einrichtung und weniger auf die eigentlichen Pro-
dukte. Zudem können derartige Normen und Standards mit anderen Systemen, z. b. Emissi-
onshandelssystemen, vernetzt werden.
247 Vorlesungsskript. Eckhardt. Grundlagen technische Infrastruktur Teil1.SS2011. S. 10
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 244
Abbildung 80: Der idealisierte Ablauf von Transitionen
Quelle: BUNDESMINISTERIUM FÜR VERKEHR , INNOVATION UND TECHNOLOGIE (2006) nach Rothmans et al 2001.
S.23
Die Leitfäden basieren auf den gelegten Mosaiksteinen der theoretischen Bewertungsmetho-
den und praktischen Modellbeispielen. Die Praxisbeispiele sind in der Nachhaltigkeitsbewer-
tung von großer Bedeutung, da diese höchstwahrscheinlich der Weg sind, sich einer guten
fachlichen Praxis und möglichen gesetzlichen Grundlagen zu nähern. Abbildung 80 verdeut-
licht, dass, sich die Gesellschaft wohl zurzeit mitten oder gegen Ende der Phase des
„Predevelopments“ befindet, oder, in Anlehnung an Abbildung 81, in der Phase, in der Erfol-
ge von Modellbeispielen an anderer Stelle wiederholt werden und vereinzelt Rechtsgrundla-
gen initiiert werden. Projekte erscheinen sinnvoll um Vorgehensweisen zu entwickeln und
praktische Machbarkeit zu demonstrieren. Zudem sind sie nützlich, um bei Entscheidungsträ-
gern und der Öffentlichkeit Vertrauen zu erwecken bzgl. deren Praxistauglichkeit. Routinierte
Vorgänge sind gute Voraussetzungen und Grundlagen für eine Standardisierung und ggf. ver-
bindliche Anforderungen.
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 245
5.2.1 Unternehmen
In Unternehmen können zahlreiche der beschriebenen Bewertungskonzepte angewandt wer-
den, da hier Produkte hergestellt, Projekte geplant, durchgeführt und Dienstleistungen voll-
bracht werden. Die Abläufe der einzelnen Bewertungskonzepte können durch eine Regelmä-
ßigkeit und Standardsierung zu einem routinierten Verfahren werden. Da diese Verfahren
jedoch meistens nicht garantieren können, dass ein Herstellungsverfahren/Produkt tatsächlich
nachhaltig ist und der Einblick in die private Wirtschaft nicht so transparent ist wie der von
einem Bürger auf die Stadt, sollten Unternehmen zusätzlich mehr von außen gesteuert wer-
den, folglich das bereits erläuterte Bottom- Up- Top- Down- Prinzip angewendet werden. Der
Einfluss kann zum einen durch den Konsumenten erfolgen, jedoch auch von Seiten der Politik
oder weiterer Institutionen, wie z.B. der Industrie- und Handelskammer (IHK). Im Vergleich
zur Politik hat wohl die IHK einen weitaus größeren Einfluss auf ihre Mitgliedsunternehmen.
Die Kernpunkte der IHK liegen in der Beratung von Unternehmen, in der politischen Interes-
sensvertretung der regionalen Wirtschaft und der Erfüllung gesetzlicher Auflagen. Zwar gibt
es von Seiten der IHK schon Initiativen bzgl. des Klimaschutzes und Umweltmanagements in
Unternehmen248
- in Form von Vorträgen aber es besteht keinerlei Druck. Die IHK Wiesbaden
selbst ist seit kurzem nach dem UMS ÖKOPROFIT zertifiziert.249
Wie unter anderem in Ka-
pitel 3.1.11. (FSC) betont wird, haben auch Konsumenten einen nicht zu unterschätzenden
Einfluss auf das Wirtschaften eines Unternehmens. Sie entscheiden über den Gebrauchs-,
symbolischen- und gesellschaftlichen Nutzen eines Produktes. Um eine nachhaltige Entwick-
lung einzuleiten, ist es wichtig, dass sich die Konsumenten für Produkte und Dienstleistungen
entscheiden, die neben dem Gebrauchsnutzen, nämlich dem Erfüllen der Funktion, einen ge-
sellschaftlichen Nutzen erfüllen, indem sie dazu beitragen, Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen.
Das erfordert bei den Konsumenten ein hohes Bewusstsein.
Ein hoher Gebrauchsnutzen implementiert zudem eine möglichst lange Lebenszeit des Pro-
duktes, was wiederrum nicht vom Kunden beeinflusst werden kann, sondern von der Indust-
rie.
248 INDUSTRIE- UND HANDELSKAMMER REUTLINGEN. Umwelt
249 INDUSTRIE- UND HANDELSKAMMER WIESBADEN (2012). Umweltprogramm der IHK
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 246
Tabelle 31: Leitfaden der Nachhaltigkeit- Unternehmen der chemischen Industrie
Quelle: Eigene Bearbeitung
Bereich Ziel Maßnahmen Dimension Akteur
Unternehmensmanagement Erkennen der ökologischen Verantwortung Umweltmanagementsysteme, Emissionshandel
auf Unternehmensebene, CO2-Steuer, Internali-
sierung der externen Effekte, REACH, etc.
Ökologie Unternehmen,
IHK, Politik,
Verbraucher
Erkennen der ökologischen und sozialen
Verantwortung
Corporate Social Responsibility , RC, GPS,
REACH, etc.
Soziales
Qualitativ hochwertige und langlebige Pro-
dukte keine Sollbruchstellen
Lebenszyklus der Produkte maximieren Ökonomie
Internationale Verantwor-
tung
Global Nachhaltigkeit fördern Höchste Standards weltweit an allen Standorten
Produktherstellung und -
optimierung, Dienstleistun-
gen, Prozesse
Sämtliche Produkte sind anhand der Bewer-
tungsmaßnahmen optimiert worden und
evtl. aus dem Produktportfolio entnommen
worden
Ökobilanz, Methode der ökologischen Knapp-
heit, Produktfolgenabschätzung, Ökoeffizienz-
analyse, SeeBalance, AgBalance, Sozialbilanz,
Lebenszykluskostenrechnung
Ökologie,
Soziales,
Ökonomie
PROSA Nutzen
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 247
5.2.2 Kommunen
Die Entwicklung betrachtend, wird es wohl so sein, dass durch Pioniere, wie die Stadt Frei-
burg oder Malmö, weitere Städte zu einer Transformation gebracht werden, sodass sich die
Entwicklung auf diese Art und Weise beschleunigt- Im Interesse einer nachhaltigen Entwick-
lung ist dies die positive Version. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie ein Leit-
bild zur Anleitung und Orientierung für eine nachhaltige Stadt aussehen kann. So wie es auch
Bewertungs- bzw. Zertifizierungssysteme für einzelne Gebäude gibt, gibt es, wenn auch nicht
so verbreitet, Zertifizierungen z.B. von der DGNB für nachhaltige Stadtteile.
Dieser Weg scheint sinnvoll zu sein, auch in Anbetracht der Anträge250
bei ISO, DIN und
CEN für die Normierung von verschiedenen Standards bzgl. einer nachhaltigen Stadtplanung.
Der Antrag von „Global City Indicators Facility“ 251
, Welt Bank, United Nations Environmen-
tal Programme (UNEP), United Nations Human Settlements (UN- Habitat) und der Universi-
tät Toronto wurde zwecks einer Normierung namens „Global City Indicators“ bei ISO (Inter-
nationale Organisation für Normung) mit folgenden Absichten und Forderungen eingereicht:
Normung von Indikatoren zur Bewertung von Dienstleistungen und Lebensqualität in
Städten;
Indikatoren umfassen sowohl technische als auch politische, gesellschaftliche und kul-
turelle Bereiche;
Maßstab, auf den sich alle Städte beziehen können;
Unterstützung bei Leistungsermittlung und –verbesserungen;
Aufzeigen von Methoden zur Leistungsverbesserung;
Es wurden beim ersten Antrag unter anderem Indikatoren zu den Bereichen “Education”,
“Fire and Emergency Response”, “Health”, “Recreation”, “Safety”, “Solid Waste”, “Trans-
portation”, “Waste Water”, “Water”, “Energy”, “Finance”, “Governance”, “Urban Planning”,
250 DEUTSCHES INSTITUT FÜR NORMUNG (DIN) (2011). Bereich Innovation
251 Unter anderem wurden noch ein Antrag für die Normierung von „Smart Urban Infrastructure Metrics“ von
KiSC (Japanese Industrial Standards Commitee) bei ISO eingereicht. Ein weiterer Antrag für eine Normie-
rung von „Sustainable Development in Communities“ wurde von AFNOR bei ISO und CEN (Europäisches
Komitee für Normierung) eingereicht.
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 248
“Civic Engagement”, “Culture”, “Economy”, “Environment”, “Shelter”, “Social Equity”,
“Technology and Innovation” gelistet. Es kann darüber diskutiert werden, ob es nötig ist so
detailliert mit so vielen Kriterien zu arbeiten. Im Folgenden tabellarischen Modell, was sich
wie erwähnt hauptsächlich auf die dargestellten Beispiele bezieht, werden weitaus weniger
Kriterien herangezogen.
Die Idee ist, eine unabhängige Einrichtung zu etablieren, welche sich mit einem Zertifizie-
rungssystem für nachhaltige Städte oder Stadtteile befasst. Ähnlich wie die DGNB für nach-
haltiges Bauen würde sich diese „Gesellschaft für nachhaltige urbane Räume“ mit einer Be-
wertung und Auszeichnung für Städte beschäftigen.
Schritte zur Zertifizierung können unter anderem sein:
- Die Beratung der Zertifizierungsgesellschaft;
- SWOT- Analyse der jeweiligen Stadt: Jede Stadt und jeder Ballungsraum hat Stärken
und Schwächen durch örtliche Gegebenheiten, Bevölkerungsstruktur, etc. An dieser
Stelle ist ein erneuter Bezug zur Aussage des Brundtland- Berichts angebracht: „No
single blueprint of Sustainability will be found, as economic and social systems and
ecological conditions differ widely among countries. Each nation will have to work
out its own concrete policy implications”. So wie jede Nation beurteilen muss, wo ei-
ne Entwicklung stattfinden muss, so muss auch jede Stadt, wenn auch in einem ande-
ren Maßstab, Stärken, Schwächen, Risiken und Chancen betrachten. Es wird wohl
kein absolutes Bewertungskonzept für alle Städte geben.
- Im Rahmen der SWOT- Analyse oder auch separat kann eine Betrachtung stattfinden,
die über die Grenzen der Stadt hinausgeht und sich mit Fragen wie „Wie steht die
Stadt im Raum da“, Wie wird der demographische Wandel die Stadt betreffen“, „Wie
kann langfristig auf solche Entwicklungen mit einer geeigneten Planung reagiert wer-
den“, etc. beschäftigt.
- Da eine Stadt einer kontinuierlichen Entwicklung unterliegt und nicht wie ein Produkt
ein Entwicklungsanfang und –ende hat, sollten zertifizierte, aber auch nicht zertifizier-
te Städte gewisse Satzungen einführen, wie z.B. dass als Genehmigungsbedingung für
alle Projekte ein Nachhaltigkeitsbericht abgegeben werden muss;
- Prüfung der Kriterien von einer unabhängigen Stelle der Zertifizierungsgesellschaft;
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 249
- Einrichten von Nachhaltigkeitsabteilungen in der städtischen Verwaltung zur Prüfung
von Berichten, etc.
- Im Rahmen der Zertifizierung oder anderweitig sollte festgelegt werden, dass für Städ-
te/Stadtteile, die neu gebaut werden, zwingende Regeln zu befolgen sind. Diese sind in
Tabelle 32 für die Bereiche Verkehr, Bauen, Landnutzung, Infrastruktur (Strom, Was-
ser), Stadtplanung, Abfall, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit erläutert. Für Bestands-
quartiere sollten diese Bereiche soweit es geht angewendet werden, hier besonders mit
dem Engagement der Bürger;
Die gesetzliche Verankerung, gewisse Nachhaltigkeitsbewertungen durchführen zu müssen,
kann wie in Kapitel 4.2.2.1. erläutert, im Baugesetzbuch, Wasserhaushaltsgesetz, Kreislauf-
wirtschaftsgesetz, etc. erfolgen, wobei es sich dabei nur um vereinzelte Fachbereiche handelt.
Eine weitere Möglichkeit eine ganzheitliche Betrachtung in der Planung und Bewertung zu
etablieren, ist es, eine Norm (DIN, ISO) zu verabschieden, welche eine Art Anleitung für die
Planung und Bewertung einer nachhaltigen Stadt oder eines nachhaltigen Stadtteils sein soll.
Die Kriterien und Indikatoren können sich entweder an den Nachhaltigkeitssäulen (Ökologie,
Ökonomie, Soziales und evtl. noch weitere) oder an den städtebaulichen Bereichen (Verkehr,
Wassermanagement, Wohnen und Bauen, etc.) orientieren. Sinnvoller ist eher die zweite Auf-
stellung.
Tabelle 32 kann als Orientierungshilfe oder Checklist für die Entwicklung und Gestaltung
eines nachhaltigen Stadtteils dienen. Die Begründungen für die jeweiligen Maßnahmen sind
im Text erläutert.
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 250
Tabelle 32: Leitfaden der Nachhaltigkeit- Kommunen
Quelle: Eigene Bearbeitung
Bereich Unterbereich Ziel Begründung Maßnahme Indikator
Städtebauliche Grund-
prinzipien
Bebauung und Flä-
chennutzung
Dichte Bebauung und
effiziente Flächennut-
zung;
Flächeneffizienz;
wirtschaftliche Infra-
struktur; Stadt der
kurzen Wege;
Entwicklung mit starker
Partizipation; Frischluft-
schneisen und Winde be-
rücksichtigen; landschaftli-
che Einbindung;
Dichte und Flächennutzung
(GRZ, GFZ); Abstand und
Geometrie der Wohnblocks;
Gesamtfläche und
Verteilung öffent-
lich zugänglicher
Grünflächen
Möglichst große Ge-
samtfläche und mög-
lichst gerechte Vertei-
lung auf Stadtviertel und
Wohnbereiche;
Klima, Luftqualität,
Wasserkreislauf,
Attraktivität, Bewe-
gung, Lebensquali-
tät, Biodiversität;
Brachflächen als Grünflä-
chen sichern; Frischluft-
schneisen und Winde be-
rücksichtigen; Förderricht-
linien und
Anreizinstrumente einfüh-
ren (s. 4.2.2.);
Gesamtfläche (m², km², ha)
und Verteilung (m²/Person)
von öffentlich zugänglicher
Grünfläche ;
Externe, interne
Erschließung und
Nutzungsmischung
Attraktive interne Infra-
struktur prioritär für den
Umweltverbund; Gute
infrastrukturelle Verbin-
dung zwischen intern
und extern; Nutzungs-
mischung: Stadt der
kurzen Wege, Belebung
des öffentlichen Raums
Klima, Lärm, Si-
cherheit, Lebensqua-
lität, Förderung des
Einzelhandels, Flä-
cheneffizienz
Konzepte, wie das Märkte-
und Zentrenkonzept der
Stadt Freiburg
Restriktiv Behandlung des
MIV, Stärkung des Um-
weltverbunds (Maßnahmen
in folgenden Abschnitt
„Verkehrs und Mobilität“)
Modal Split für internen und
externen Verkehr
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 251
Bereich Unterbereich Ziel Begründung Maßnahme Indikator
und der Stadt/teil- Zen-
tren;
Verkehr und Mobilität Push- Maßnahmen Der Umweltverbund
sollte einen möglichst
großen Anteil am Modal
Split haben;
Klima (Treibhausga-
se), Lärm, Sicher-
heit, Lebensqualität,
Bewegung;
Attraktiver ÖPNV, gutes
Fuß- und Radwegenetz,
Fahrradstellplätze, etc. (s.
Text);
Anteil von ÖPNV und Um-
weltverbund am Modal Split
Pull- Maßnahmen Der MIV sollte einen
kleinen Anteil am Mo-
dal Split haben;
Klima (Treibhausga-
se), Lärm, Sicher-
heit, Lebensqualität,
Bewegung;
City Maut, Stellplatzgebüh-
ren, etc. (s. Text);
Anzahl von MIV am Modal
Split
Verkehrsinfrastruk-
tur
Auf ÖPNV ausgerichtet;
Abwicklung des not-
wendigen und nicht
verlagerbaren MIVs so
umweltverträglich wie
möglich;
Klima (Treibhausga-
se), Lärm, Sicher-
heit, Lebensqualität,
Bewegung;
Verkehrsinformationssys-
teme (Telematik), Umwelt-
verbund stärken, Elektro-
mobilität;
Stauaufkommen; Gesamter
Modal Split;
Wohnen und Bauen Energieeffizienz Energieeffiziente Bau-
weise; (Energieeffizi-
enzstandard, Passiv oder
Energieplus) bei Neu-
bauten; Neben Energie-
standards DGNB- Stan-
Knappe Ressourcen;
Vorsorgeprinzip;
Energieeffizienzstandards
für alle deutschen Städte;
Verwendung regionaler und
giftfreier Materialien (Be-
zug zu Unternehmen und
Produktherstellung); Ver-
Energiebedarf;
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 252
Bereich Unterbereich Ziel Begründung Maßnahme Indikator
dards; Möglichst großer
Anteil an sanierten Ge-
bäuden;
folgung der DGNB- Stan-
dards;
Bebauungsdichte s. Text „Bebauung und
Flächennutzung“;
Flächeneffizienz,
Wirtschaftlichkeit
der Infrastruktur;
Stadt der kurzen
Wege;
Partizipation der Bevölke-
rung, für Kreativität und
Akzeptanz;
Dichte (GZR, GFZ), Ab-
stand zwischen den Gebäu-
den;
Siedlungswasserwirt-
schaft
Umgang mit Re-
genwasser
Dezentrales Regenwas-
sermanagement vor Ort;
Vorbeugen von
Hochwasser; Abhal-
ten von Starkregen-
ereignissen; Anrei-
cherung des Grund-
wassers; Verbesse-
rung des Mikrokli-
mas;
Trennkanalisation; Verhin-
dern des Ablaufs durch
dezentrale Maßnahmen;
Speichern; Verdunsten;
Versickern; Weiterleiten;
% der Regenereignisse, die
nicht in die Kanalisation
und/oder in den Vorfluter
gelangen;
Umgang mit
Trinkwasser
Sparsamer Umgang mit
Trinkwasser;
Je nach Kontinent,
Land und Lage ist
Trinkwasser ein
kostbares Gut;
Grauwasserrecycling; Zis-
ternen; innovative Sanitär-
und Haustechnik ;
Trinkwasserver-
brauch/Person;
Biodiversität und Grün
in der Stadt
Urbane Brach- und
Freiflächen
Möglichst artenreiche
und vielfältige Grünflä-
Artenschwund brem-
sen; Wohlfahrtswir-
Nach Kapitel 4.2.2. ein
System zur Förderung von
Gesamtfläche (%, m², km²,
ha)
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 253
Bereich Unterbereich Ziel Begründung Maßnahme Indikator
chen zu einem möglichst
großen Anteil an der
versiegelten Fläche;
kungen von Grün
(Klima, Luft, Was-
ser, Lebensqualität,
Gesundheit, Bewe-
gung; Attraktivität,
etc.);
Grünflächen und einer
gewissen Vielfalt, auch im
öffentlichen Raum (Tabelle
26);
Abfallmanagement Mülltrennung Vermeidungsprinzip –
Reduce, Reuse- Recyc-
le;
Entsorgungsproble-
me; Knappe Res-
sourcen;
Abfallgebühren erhöhen;
Weniger Verpackung von
Seiten der Industrie;
Abfallmenge, je Haushalt/
Stadt;
Recycling Kreislaufwirtschaft
„Cradle to cradle“;
Knappe Ressourcen;
Vorsorgeprinzip;
Pfand auf Elektrogeräte;
Urban Mining; Kreislauf-
wirtschaft;
Deckung des Rohstoffbe-
darfs durch recycelte Res-
sourcen;
Energie Anteil erneuerbarer
Energie am Ener-
giemix
Möglichst großer Anteil
an erneuerbaren Ener-
gien;
Untragbares Sicher-
heitsrisiko und Ent-
sorgungsprobleme
der Atomkraft;
Knappe Ressourcen;
Maßnahmen zur dezentra-
len Energiegewinnung;
Solar-, Wasser-, Wind- und
Bioenergie;
Anteil von erneuerbaren
Energien am Energiemix;
Bildung und Öffentlich-
keitsarbeit
Bildung und Öffent-
lichkeitsarbeit
Gebildete und infor-
mierte Bevölkerung;
Ohne Bereitschaft
und Bewusstsein der
Menschen kann sich
eine nachhaltige
Entwicklung nicht
Verankerung der „Nachhal-
tigkeitsthematik“ im Schul-
system; weitere Öffentlich-
keitsarbeit;
Verhalten der Bevölkerung;
u.a. Konsumverhalten;
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 254
Bereich Unterbereich Ziel Begründung Maßnahme Indikator
etablieren;
Partizipation und
Engagement bei
Projekten und Pro-
zessen
Engagierte und einbezo-
gene Bevölkerung;
Der Erfolg vieler
Prozesse ist abhän-
gig von der Partizi-
pation der Bürger;
Partizipation bei (großen)
Projekten; Mit einbeziehen
der Bürger in die Stadtent-
wicklung;
Negative/ Positive Evaluati-
on von Projekten;
Monitoring;
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 255
Die Aufgabenfelder, welche in der Tabelle aufgeführt sind, werden im folgenden Text be-
schrieben:
Städtebauliche Grundprinzipien:
o Bebauung und Flächennutzung: Die Beispiele Vauban und Malmö zeigen, dass
auch eine enge Bebauung und ein dichtes Zusammenwohnen, attraktiv sein
kann. Um Flächenversiegelung zu vermeiden, ist für Neubaugebiete eine dich-
te Bebauung, eine effiziente Flächennutzung und Innenraumverdichtung anzu-
streben- möglichst unter Partizipation der Bürger, um individuelle Wünsche zu
berücksichtigen. Zudem macht eine dichte Bebauung die Infrastruktur wirt-
schaftlich;
o Gesamtfläche und Verteilung öffentlich zugänglicher Grünflächen: Es ist da-
rauf zu achten, dass die Verteilung von öffentlich zugänglichen Grünflächen
gerecht ist, d.h. dass auch in sozial schwachen Quartieren, in denen es meist
auch wenig private Grünflächen gibt, ausreichend Grün vorhanden ist. Dies ist
aus gesundheitlichen und psychologischen Gründen wichtig;
o Externe, interne Erschließung und Nutzungsmischung: Interne Mobilität sollte
durch den Umweltverbund dominiert werden. Es gilt das Konzept „der Stadt
der kurzen Wege“ zu verfolgt, wie es in Freiburg im Rahmen des „Märkte- und
Zentrenkonzepts“ geschieht. Es handelt sich um nachhaltige Konzepte, da Flä-
chenversiegelung vermieden wird (ökologisch), lebendige Zentren, Qualität
und Attraktivität gefördert werden (sozial) und durch den Einzelhandel die re-
gionale Wirtschaft gefördert wird. Für eine externe Erschließung eignet sich
Car- Sharing und eine schlüssige Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr,
die interne mit externer Mobilität verknüpft;
Verkehr und Mobilität- Restriktive Behandlung des MIV, Förderung des Umweltver-
bunds:
o Push- Maßnahmen: Der Umweltverbund (öffentlicher Personennahverkehr,
Fahrrad- und Fußverkehr) sollte einen möglichst hohen Anteil am Modal Split
haben. Maßnahmen, wie Car- Sharing, Park& Ride, Sondertarife für den
ÖPNV (z.B. Studententicket) „Rent a Bike“, bzw. Fahrradverleihstationen,
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 256
zahlreiche Fahrradstellplätze, Bike& Business, Bike& Ride und ein gut ausge-
bautes Fuß- und Radwegenetz fördern den Umweltverbund;
o Pull- Maßnahmen: Der Anteil von MIV soll im Modal Split so wenig wie
möglich betragen. Maßnahmen, wie die City- Maut, Umweltzonen, Zufahrts-
beschränkungen, Parkraummanagement, Verkehrstelematik und Verkehrsbe-
ruhigung können den MIV reduzieren;
o Verkehrsinfrastruktur:. Der nicht vermeidbare MIV in den Städten wird zu-
künftig evtl. durch Hybrid- und Elektrofahrzeuge ersetzt werden. Zu beachten
sind ausreichend Ladestationen;252
Wohnen und Bauen:
o Energieeffizienzstandards, die es in Freiburg, aber auch in anderen Städten
gibt, sollten für alle Neubauten festgelegt werden. Da energieeffizientes Bauen
nur einen Teil des nachhaltigen Bauens abdeckt, können dazu z.B. die Stan-
dards der DGNB herangezogen werden. In Bezug auf den Bereich Unterneh-
men und nachhaltige Produktherstellung, sollten „nachhaltig“ bewertete Mate-
rialien genutzt werden, z.B. FSC- Holz;
o Bebauungsdichte: s. Punkt „Städtebauliche Prinzipien“;
Siedlungswasserwirtschaft:
o Umgang mit Regenwasser: Der Abfluss von Regenwasser sollte soweit es geht
zurückgehalten und versickert werden. Maßnahmen sind das Einrichten und
Fördern von wasserdurchlässigen Belägen (Förderrichtlinien, z.B. Bremen),
Dachbegrünung, Gehölze und Sträucher, Zisternen, Versickerungsanlagen,
Rückhalteeinrichtungen und Trennkanalisationen;
o Umgang mit Trinkwasser: Der Anteil des Trinkwasserverbrauchs pro Person
reduziert sich in Deutschland, in manchen Städten wie Freiburg mit 80l/d, im
Vergleich zum bundesweiten Verbrauch von durchschnittlich 120l/d besonders
stark. Maßnahmen für Trinkwassersparsamkeit können, Grauwasserrecycling,
Zisternen (zur Bewässerung mit Regenwasser anstatt Trinkwasser), sparsamer
Umgang mit Wasser oder innovative Sanitär- und Haustechnik (z.B. Bubble-
252 P. SCHÄFER (2011). Modul Verkehr im Ballungsraum. Vorlesungsskript WS 2011/12 Megatrends
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 257
Rain- Technologie) sein. Ein Problem entsteht hierbei jedoch durch die Di-
mensionierung der Kanalinfrastruktur. Durch den Verbrauch von weniger
Wasser führen manche Städte, je nach Geländeneigung, Spülungen durch, um
festgesetzte Partikel aus dem Kanalsystem zu entfernen.
Biodiversität und Grün in der Stadt:
o Urbane Brach- und Freiflächen: Diese sollten, solange sie nicht mit Wohn-
raumbedarf konkurrieren, als Vegetations- und möglichst öffentlich zugängli-
che Grünfläche gehalten werden. Artenvielfalt kann kreativ und vielfältig ge-
fördert werden. Sei es eine Nistmöglichkeit für Vögel an der Hausfassade, eine
Dachbegrünung, eine artenreich gestaltete Verkehrsinsel, Ruderalflächen, (s.
Tabelle 27), etc.
Abfallmanagement:
o Mülltrennung: Im Vergleich zu anderen europäischen und internationalen Län-
dern wird in Deutschland viel Wert auf eine saubere Mülltrennung gelegt. Die
häusliche Trennung in Papiertonne, gelber Sack, Biomüll und schwarze Tonne
wird strikt verfolgt. Hinzu kommt, dass die Mülltrennung je nach Müllart und -
menge Abfallgebühren kostet und dadurch ein Anreiz für möglichst wenig Ab-
fall besteht. Die Prinzipien Reduce- Reuse- Recycle werden dadurch verfolgt.
Diesen Müllprinzipien wird in vielen anderen Ländern, wie z.B. in Frankreich
oder in Italien, nicht nachgegangen. Besonders hervorzuheben ist hier, dass
Umweltverschmutzung, und in diesem Fall Müllerzeugung, privat Geld kostet,
und somit ein Anreiz besteht, Geld zu sparen und somit die Umwelt zu entlas-
ten.
o Recycling: In Anbetracht der Tatsache, dass die Rohstoffe zur Neige gehen,
muss verstärkt eine Kreislaufwirtschaft nach dem Prinzip „Cradle to Cradle“
angestrebt werden. Nach Angaben des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und
Entsorgung (bvse) können die drei Stoffe Gold, Silber und Kupfer in modernen
Recyclinganlagen zu über 90% zurückgewonnen werden. Diese nachhaltige
Rohstoffgewinnung wird, auch in Anbetracht der immer größer werdenden En-
tropie stetig unwirtschaftlicher, d.h. die Konzentration der gewünschten Roh-
stoffe wird immer geringer und Abbau bzw. Gewinn somit schwieriger, auf-
wendiger und ineffizienter. Wenn der gesamte Elektroschrott Deutschlands re-
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 258
cycelt werden würde, anstatt in der Schattenwirtschaft oder im Restmüll zu en-
den, könnte die Hälfte des Rohstoffbedarfs der deutschen Industrie gedeckt
werden, anstatt nur zu 14%, wie es derzeit der Fall ist. Auch die jüngste Novel-
lierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes gibt den Kommunen das Recht, als
erste Instanz über den Abfall zu entscheiden, was oft zur Folge hat, dass der
Müll auf einer Müllverbrennungsanlage verbrannt wird, um die städtischen
Anlagen auszulasten. 253
Selbstverständlich bestehen zwischen Müllerzeugung
und dessen Entsorgung diverse Zusammenhänge. So muss nicht betont wer-
den, dass Müll, welcher nicht produziert wird, auch nicht entsorgt werden
muss.
Energie:
o Anteil erneuerbarer Energie am Energiemix: Der Anteil der erneuerbaren
Energien am Energiemix sollte so hoch wie möglich sein und, wenn umsetz-
bar, aus regionaler Produktion stammen;
Bildung und Öffentlichkeitsarbeit:
o Bildung und Öffentlichkeitsarbeit:. Es ist sehr wichtig für das Voranschreiten
einer nachhaltigen Entwicklung, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit konstant
und alltäglich zu fördern. Im Bereich der Bildung wäre es mittlerweile ange-
bracht, in den Schulen ein zusätzliches Fach einzuführen, welches sich mit den
Aspekten der Nachhaltigkeit beschäftigt. So würden Kinder jeder Herkunft mit
diesem Thema früh konfrontiert werden;
o Partizipation und Engagement bei Projekten und Prozessen: Die Akzeptanz der
Bürger ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der meisten
Projekte und Entwicklungen in Städten. Freiburg zeigt mit guten Erfahrungen,
wie das Engagement und Mitwirken der Bürger Prozesse beschleunigen und
erfolgreich machen kann. Andererseits verdeutlichen Projekte wie Stuttgart 21,
dass eine von Beginn an mangelnde Partizipation und Akzeptanz zu einer ver-
zögerten Abwicklung, einer Erhöhung der Kosten und einem allgemeinen Ver-
druss der Bürger führen können;
253 DIE ZEIT. Der verlorene Schatz. Nr.20, 5/2012, S. 26
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 259
Abbildung 81: Entwicklung zum Nachhaltigkeitsstandard
Quelle: Eigene Bearbeitung
Abbildung 81 soll vereinfacht darstellen, wie sich in Bezug zu einer nachhaltigen Entwick-
lung Modellbeispiele oder Innovationen bis hin zu einer Standardisierung oder gesetzlichen
Verankerung entwickeln können. Wenn ein Projekt erfolgreich durchgeführt wurde und ge-
wissermaßen als gute fachliche Praxis anerkannt ist, wird es höchstwahrscheinlich an anderer
Stelle wiederholt, bis das Vertrauen auf Funktion und eine gewisse Routine eingetreten sind.
Dann kann es zu einer Standardisierung, z.B. in Form einer Normierung, oder zu einer gesetz-
lichen Befestigung kommen.
Wie erwähnt gibt es zahlreiche Leitfäden, Anleitungen, etc. wie eine Stadt nachhaltig, oder
wie es auch oft heißt, klimaneutral gestaltet werden kann. So hat das Hessische Ministerium
für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz einen Leitfaden erstellt, dessen
Schrittfolge an dieser Stelle flüchtig dargestellt wird.
Die sieben Schritte zur „klimaneutralen Kommune“ sind Folgende:
1. Schritt: Verankerung eines Klimaschutzbewusstseins in allen Gesellschaftsbereichen ;
2. Schritt: Politischer Beschluss über die Erreichung kommunaler Klimaneutralität;
3.Schritt: Einbeziehung kommunaler Akteure;
4.Schritt: Erstellung eines integrierten Klimaschutzkonzeptes und Aktionsplans;
5.Schritt:Finanzierung des kommunalen Klimaschutzes;
6.Schritt: Auswahl und Umsetzung der Maßnahmen;
7.Schritt:Evaluations- und Rückkopplungsprozess;
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 260
Die Schritte zur klimaneutralen Kommune sind auf Neubaugebiete sowie auf bestehende
Stadtteile beliebig anzupassen. Das Errichten von neuen Stadtgebieten ist jedoch nicht immer
und überall sinnvoll und möglich, sondern eine Frage der finanziellen und demographischen
Situation. In Anbetracht dieser Tatsache muss verstärkt überlegt werden, wie mit dem Be-
stand umgegangen werden kann, bzw. wie Bestand in eine nachhaltige städtebauliche Struktur
überführt werden kann.
In Freiburg wie auch in Malmö zeigen Beispiele (Augustenborg, Weingarten), wie mit dem
Bestand umgegangen werden kann. Ob diese Projekte im großen Stil übertragbar sind, ist je-
doch eine Frage der Wirtschaftlichkeit und der Sozialverträglichkeit.
Ein weiterer Punkt, der zur Nachhaltigkeit in Kommunen festzuhalten ist, ist, dass Einzelpro-
jekte, wie z.B. das Badenova Stadion, zwar als Beispiel oder Vorhängeschild dienen können -
für das Gesamtsystem Stadt jedoch nicht wirksam sind. Eine umfassende und ganzheitliche
Betrachtung von Planungsentscheidungen und deren Auswirkungen auf die Bereiche Ökolo-
gie, Ökonomie und Soziales lassen die meisten Planungsinstrumente und auch die in Kapitel
drei vorgestellten Bewertungsmodelle nicht zu, außer das Bewertungssystem der DGNB für
nachhaltige Stadtteile.
5.2.3 Landnutzung
Für den Themenbereich der Landnutzung, welcher im Gegensatz zu den Städten und den Un-
ternehmen nicht räumlich abgegrenzt ist, wird ebenfalls ein Leitfaden dargestellt, welcher
sowohl global als auch urban und lokal orientiert ist, d.h. es werden für diese Bereiche Indika-
toren, Ziele und Maßnahmen beschrieben. Da dies nicht von selbst geschehen wird, was an
dem erschütternden Zustand der Biodiversität abzulesen ist, müssen verstärkt rechtliche In-
strumente und Förderrichtlinien in Kraft treten, um in diesem Bereich wirklich Fortschritte zu
erzielen.
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 261
Tabelle 33: Leitfaden der Nachhaltigkeit- Landnutzung
Quelle: Eigene Bearbeitung
Bereich Unterbereich Ziel Begründung Maßnahme Indikator
Globale Land-
nutzung
Nutzung, bzw. Umwand-
lung besonders weltvoller
Ökosysteme, wie Wald,
Feuchtgebiete, Meer
Einstellung der Um-
wandlung; nur nach-
haltige Nutzung
(Wald);
Kohlenstoffspeicher; Unver-
zichtbare Bestandteile in
Stoffkreisläufen (Wasserkreis-
lauf, Sauerstoff- Kohlenstoff-
kreislauf, Biodiversität, etc.)
REDD, FSC, Internalisie-
rung externer Effekte;
Renaturierung von Moo-
ren;
Waldfläche, unterglie-
dert in Qualitäten (Bo-
reale Nadelwälder,
Regenwälder, etc.);
Moorfläche
Landwirtschaftliche Pro-
duktion
Erhöhung der Fläche
an ökologischer
Landwirtschaft auf
(…%);
Langfristige Erhaltung der
Umweltmedien (Boden, Was-
ser, Luft); Berücksichtigung
von Flora und Fauna; Förde-
rung der kleinbäuerlichen
Struktur;
Fläche an ökologischer
Landwirtschaft erhöhen,
Mindeststandards für
Bioenergieproduktion
einführen;
Fläche an ökologischer
Landwirtschaft;
Ernährungsweisen Minderung des Kon-
sums an tierischen
Produkten um (…%);
Langfristige Erhaltung der
Umweltmedien (Boden, Was-
ser, Luft); Konkurrenz für
Nahrungsmittelanbau; Ge-
fährdung der Welternährung;
Bildung; Internalisierung
externer Effekte; Kenn-
zeichnung von Umwelt-
wirkungen auf Produkten;
fleischlose Tage (z.B.
Mensa); Abbau von EU-
Subventionen für Tier-
produktion, Strengere
Raumordnungspolitik
Fläche für Futtermit-
telproduktion und
Viehhaltung;
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 262
Bereich Unterbereich Ziel Begründung Maßnahme Indikator
Land- bzw. Flä-
chennutzung in
urbanen Räumen
Biodiversität Möglichst großer
Anteil an artenreichen
und vielfältigen Grün-
flächen im Verhältnis
zur versiegelten Flä-
che;
Artenschwund bremsen;
Wohlfahrtswirkungen von
Grün (Klima, Luft, Wasser,
Lebensqualität, Gesundheit,
Bewegung; Attraktivität, etc.);
Nach Kapitel 4.2.2. ein
System zur Förderung
von Grünflächen und
einer gewissen Vielfalt,
auch im öffentlichen
Raum (Tabelle 27);
Gesamtfläche (%, m²,
km², ha); Fläche und
Anzahl
unzerschnittener ver-
kehrsarmer Räume
(UZVR)
Siedlungsflächenmanage-
ment
Einführung und Ma-
nagement von Innen-
raumkataster in städti-
schen Verwaltungen;
Schutz des Außenbereichs vor
Bebauung; soziale und struk-
turelle Aufwertung des Innen-
raums;
Einführung eines Innen-
raumkatasters und einer
sinnvollen Vermarktung;
Detaillierte Begründung
bei einer Ausweisung von
Neubaugebieten hohe
Nachhaltigkeitsstandards;
Flächenversiegelung
nationales Ziel
30ha/d; Innenraumka-
taster Ja/Nein; Lebens-
qualität in Städten;
Entsiegelung Ungenutzte Flächen
sind Grün- oder
Brachflächen;
Naturnaher Wasserhaushalt; s.
Punkt Biodiversität;
Wo der demographische
Wandel es zulässt
Entsiegelung; Förder-
richtlinien;
Flächenversiegelung
nationales Ziel
30ha/d;
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 263
Die Tabelle wird im Folgenden erläutert:
Globale Landnutzungssysteme;
o Nutzung, bzw. Umwandlung besonders wertvoller Ökosysteme: Um wertvolle
Ökosysteme, wie Wald, Feuchtgebiete und Meere, aufgrund ihrer Funktionen
langfristig zu schützen, sind Maßnahmen, wie die Initiativen von REDD, FSC,
etc. und eine Internalisierung der externen Effekte in die Konsumgüter von
Nöten;
o Landwirtschaftliche Produktion: Es ist sinnvoll, eine Erhöhung des Anteils an
ökologischer Landwirtschaft, welche zunehmend mit nachhaltiger Landwirt-
schaft gleichgesetzt wird, anzustreben, da diese im Gegensatz zur industriellen
Landwirtschaft umweltschonender ist, d.h. die Umweltmedien langfristig nicht
belastet, bzw. zerstört, Arbeitsplätze sichert und die Weltbevölkerung ernähren
könnte. 254
Dies sollte Kombination mit einer Veränderung der Ernährungswei-
sen einhergehen;
o Ernährungsweisen: Maßnahmen zur in Punkt 4.3. angesprochenen Entwick-
lung sind Bildung, Kennzeichnung von Umweltwirkungen auf Produkten, Ab-
bau von Subventionen für die Tierproduktion, etc.
Landnutzung in urbanen Räumen;
o Biodiversität: Die Ziele, Begründungen und Maßnahmen sind schon mehrfach
ausgeführt worden (s. u. a. Punkt 4.3.1. und 5.2.2.), weshalb diese an dieser
Stelle nicht erläutert werden;
o Siedlungsflächenmanagement: Auch dieser Punkt wurde schon ausführlich in
Kapitel 4.3.2. erläutert, weshalb dies an dieser Stelle nicht wiederholt wird;
o Entsiegelung: Auch dieser Punkt kann unter Kapitel 4.3.3. bzgl. den Zielen,
Begründungen und Maßnahmen nachgelesen werden.
Abschließend stellt Tabelle 34zu dem Thema der Operationalisierung und der Festlegung oder
Anleitung von Vorgehensweisen ein Portfolio an Maßnahmen dar, welche von der WBGU für
eine Operationalisierung von Nachhaltigkeit zusammengestellt wurden. Da es in den Berei-
chen Unternehmen, Kommunen/ Urbanisierung und Landnutzung unterschiedliche Marktun-
254 SCHROT&KORN. Dr. H. Herren. Weltagrarbericht 2008
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 264
vollkommenheiten und Barrieren gibt, ist es sinnvoll, nicht nur vereinzelte Politikinstrumente,
sondern eine Kombination aus mehreren Instrumenten einzusetzen. Die Übersicht ist in Inno-
vationsförderung, Investitions-, Produktions- und Konsumentscheidungen und in das Angebot
öffentlicher Güter gegliedert. Diesen Bereichen sind ordnungsrechtliche Instrumente,
Anreizinstrumente, der Staat als Investor und informatorische Instrumente zugeordnet.
Die gelisteten Instrumente wurden größtenteils im Laufe der Arbeit erwähnt. Die Methoden
können grob in Gesetze (Verbote, Standards, Grenzwerte, etc.), Geld (Anreizinstrumente,
Zahlungen für Ökosystemleistungen, etc.) und Informations- und Öffentlichkeitsarbeit (Wett-
bewerbe, Kennzeichnung von Produkten, Zertifizierungen, Selbstverpflichtungen unter Regu-
lierungsandrohung, etc.) gefasst werden. Diese Instrumente sollen als direkte und indirekte
Steuerungsimpulse auf die Marktakteure wirken und dadurch Verhaltensänderungen koordi-
nieren. Das vorgeschlagene Portfolio an Instrumenten für die drei Bereiche (Innovationsförde-
rung, etc.) ist auf die Entwicklung und Strukturierung von Subsystemen, wie Unternehmen,
Kommunen und Landnutzung anwendbar.
Neben der Fokussierung auf Technologien und Infrastruktur sollten, dem WBGU nach, eben-
falls Verhaltensänderungen und soziale Innovationen gefördert werden.
Tabelle 34: Beispielhafter Policymix für die Transformation in eine nachhaltige Gesellschaft
Quelle: WBGU (2011). Gutachten Gesellschaftsvertrag. S. 195
Ordnungsrechtliche In-
strumente
Anreizinstrumente Staat als
Investor
Informatorische
Instrumente
Innovationsförde-
rung
Technologie- und Effizi-
enzstandards
CO2- Steuer Staatliche
Bereitstel-
lung der
Infrastruktur
Auslobung von
Wettbewerben
und Preisen (Ju-
gend forscht,
klimaverträgliche
Stadt, etc.)
Produktionsstandards CO2- Zertifikate Staatliche
Demonstra-
tionsmodelle
Selbstverpflich-
tung mit Regulie-
rungsandrohung
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 265
Ordnungsrechtliche In-
strumente
Anreizinstrumente Staat als
Investor
Informatorische
Instrumente
Nachhaltigkeitsstandards
in der Landnutzung
Staatliche Förde-
rung von Forschung
und Entwicklung
Staatliche Beschaffungspo-
litik
Staatliche Beteili-
gung an Risikokapi-
tal
Regulierung der Kapital-
märkte
Staatliche Bereit-
stellung günstiger
Kredite und Über-
nahme von Kredit-
garantien
Verbote Steuerliche Innova-
tionsanreize
Stadt,- Raum- und Infra-
strukturplanung
Förderung neuer
Geschäftsmodelle
als Experiment
Patentrecht Wettbewerbliche
Förderung von
Experimenten
Investitions-, Produk-
tions- und Konsum-
entenentscheidungen
Technologie- und Effizi-
enzstandards
Produktionsstandards
Nachhaltigkeitsstandards
Emissionsgrenzwerte
Staatliche Beschaffungspo-
litik
Angebot öffentlicher
Güter
Stadt-, Raum- und Infra-
strukturplanung
Zahlungen für Öko-
systemleistungen
Staatliche
Bereitstel-
lung der
Infrastruktur
Informations-
kampagnen,
Kennzeichnung
bzw. Labeling
Leitfaden zur Nachhaltigkeit in den Sektoren Unternehmen, Kommune und Landnutzung
Seite 266
Ordnungsrechtliche In-
strumente
Anreizinstrumente Staat als
Investor
Informatorische
Instrumente
Zertifizierung Freiwillige Zerti-
fizierung
Marktregulierung Selbstverpflich-
tung mit Regulie-
rungsandrohung
Verbote
Fazit, Diskussion und Ausblick
Seite 267
6. Fazit, Diskussion und Ausblick
Im Fazit soll die Quintessenz der gewonnenen Erkenntnisse herausgeschrieben, diskutiert und
daraus schlussfolgernd ein Ausblick abgeleitet werden.
Man scheint sich generell einig zu sein über die Ernsthaftigkeit der gegenwärtigen und zu-
künftigen Megatrends und der daraus resultierenden Aufgaben. Insbesondere der Aufgabe,
übergreifend eine nachhaltige Entwicklung konsequent einzuleiten, gilt höchste Priorität. Jen-
seits aller politischen Absichtserklärungen bleibt jedoch die Notwendigkeit einer
Operationalisierung und Quantifizierung von Maßnahmen und Entwicklungsschritten. Dafür
bedarf es einer Untersuchung, auf welcher Ebene Nachhaltigkeit am besten praktiziert werden
sollte und welche Bewertungsmethoden sich dafür eignen könnten, bzw. ob diese überhaupt
existieren.
Allgemein anerkannte, möglichst gesetzlich verankerte Nachhaltigkeitsbewertungen sind ge-
fordert und notwendig, um Nachhaltigkeit, also ökologische, ökonomische und soziale Ver-
antwortung, in Prozessen jeglicher Art messbar zu machen und um verifizieren zu können,
dass ein Verfahren nachhaltig ist. Der Mangel an derartigen Methoden hat Nachhaltigkeit
bisher zu einer freiwilligen, willkürlichen und subjektiven Angelegenheit gemacht, die der
Verantwortung, welche der Gesellschaft mit der Verfolgung einer nachhaltigen Entwicklung
gegeben wurde, nicht gerecht wird. Die unüberschaubare Anzahl an Siegeln und Zertifikaten
bzgl. Nachhaltigkeit, die jedoch meistens intern ohne externe Prüfung verliehen werden und
alle unterschiedlichen, meist unbefriedigenden Standards unterliegen, demonstriert die Will-
kür und Ahnungslosigkeit diesbezüglich. Dies überfordert den Konsumenten und lässt ihn im
schlimmsten Fall resignieren.
Für diesen Zustand gibt es mehrere Gründe. Es ist bisher nicht gelungen, eine repräsentative
Sichtweise bezüglich des Themas der Nachhaltigkeit öffentlich darzulegen und die Zusam-
menhänge und Wechselbeziehungen zwischen den drei Säulen- Ökologie, Ökonomie und
Soziales- zufriedenstellend abzubilden. Es besteht keine Basis für Handlungen und bisherige
Definitionen und Absichtserklärungen haben keinen Bezug zu örtlichen Gegebenheiten.
Das Grundproblem liegt demnach darin, dass die Bedeutung von Nachhaltigkeit zwar von
mehreren Seiten (Rat für Nachhaltigkeit, Brundtland- Bericht) definiert ist, jedoch nicht ex-
plizit auf konkrete Planungen und Handlungen ausgerichtet ist. Die existierenden Definitionen
lassen einen großen Spielraum für unterschiedliche Interpretationen und folglich für unter-
Fazit, Diskussion und Ausblick
Seite 268
schiedlich hohe Maßstäbe und Anforderungen, was wiederrum dazu führt, dass die jeweiligen
Bewertungen je nach Interpretation und Standard unterschiedlich ausfallen. Diese Feststellung
kommt besonders gut beim Beispiel BASF zum Vorschein. Für das Unternehmen bedeutet
nachhaltiges Wirtschaften das erwerbswirtschaftliche Prinzip der Gewinnmaximierung, wel-
ches bei Unternehmen wohl immer prioritär gehandhabt wird, mit ökologischer und gesell-
schaftlicher Verantwortung in Einklang zu bringen. Diese auf das Unternehmen zugeschnitte-
ne Interpretation von Nachhaltigkeit verdeutlicht, dass die ökonomische Dimension eindeutig
Vorrang hat und keine gleichwertige Betrachtung der drei Faktoren besteht. Vereinzelte Pro-
dukte, welche durch ihre Eigenschaften von Grund auf nicht nachhaltig sind, da sie der Um-
welt und somit evtl. auch dem Menschen schaden, werden durch die Anwendung von erläu-
terten Bewertungsinstrumenten im Vergleich zu anderen Produkten als nachhaltig(er) bewer-
tet. Dass die Bewertung jedoch einzig auf einem Vergleich basiert, und keineswegs auf den
eigentlichen Produkten, ist ein zu diskutierender Ansatz am Verfahren der BASF. Dies ver-
deutlicht, dass das Ergebnis einer Nachhaltigkeitsbewertung in der Interpretation der Nachhal-
tigkeitsdefinition liegt und in den daraus resultierenden Ansprüchen. Um sich einig sein zu
können, wie fortzufahren und zu bewerten ist, müsste geklärt werden, was ein nachhaltiges
Produkt, Dienstleistung, Projekt, etc. ist. Ist dieses nachhaltig, wenn die drei Bereiche Ökolo-
gie, Ökonomie und Soziales nicht negativ beeinflusst, bestenfalls sogar gestärkt werden? Oder
kann auch noch von nachhaltigem Handeln gesprochen werden, wenn lediglich versucht wur-
de, die drei Bereiche zu berücksichtigen? Wenn die erste These der Nachhaltigkeit am nahe-
sten kommt, könnte ein Produkt so gut wie nie als nachhaltig bewertet werden und Branchen,
wie die der Chemieindustrie könnten nicht nachhaltig wirtschaften. Zurzeit wird wohl eher die
zweite These praktiziert, woraus zu folgern ist, dass eine gleichwertige Berücksichtigung von
Ökologie, Ökonomie und Soziales derzeit zumindest in einem wachsenden Wirtschaftssystem
eine hypothetische Vorstellung ist und sich die prekäre Aufgabe daraus ergibt, dass die drei
Bereiche miteinander konfligieren.255
In modernen Unternehmen, wie z.B. der BASF, wird zunehmend der Begriff des „grünen
Wachstums“ herangezogen, was zwar im Hinblick auf die umweltverträgliche Gestaltung von
wirtschaftlichen Aktivitäten gut ist, jedoch auch das ungebremste Wachstum der Industrie-
255 DIE ZEIT. Heikle Balance. Nr. 8, 2/2012
Fazit, Diskussion und Ausblick
Seite 269
und Schwellenländer priorisiert und rechtfertigt und dadurch der Natur evtl. sogar im Namen
der Nachhaltigkeit zur Bedrohung wird. In diesem Zusammenhang wurde in dieser Thesis
ebenfalls der Begriff des „Green Washings“ debattiert. Es sollte nicht vergessen werden, dass
Nachhaltigkeitsstrategien und –politiken ihren ursprünglichen Kern in der Umweltpolitik ha-
ben und dass es in erster Linie darum gehen sollte, die natürlichen Lebensgrundlagen zu er-
halten. Deshalb wurde in der Arbeit das Modell des Nachhaltigkeitseis favorisiert. Zum einen
ist diese Art der Gewichtung sinnvoll, da in den Industrienationen bisher die Wirtschaft im
Vergleich zu den Dimensionen „Ökologie“ und „Soziales“ überproportional bevorzugt wurde
und daher Ausgleich stattfinden muss. Zum anderen macht es Sinn, das Nachhaltigkeitsei zu
beherzigen, da das ökologische System bezogen auf eine einigermaßen intakte Umwelt abso-
lute Voraussetzung für Gesellschaft und Wirtschaft ist- und das nicht nur auf die Rahmenbe-
dingungen der Industrienationen bezogen, sondern auf globaler Ebene. Eine wachsende Wirt-
schaft oder ein ausgeglichenes Sozialsystem kann, trotz der ebenfalls großen Bedeutung für
den Menschen, nicht an diese Stelle treten. Allein Effizienzmaßnahmen und technische Inno-
vationen schieben der Übernutzung der natürlichen Lebensgrundlagen keinen Riegel vor und
werden zukünftigen Generationen keine hinreichende Verteilungsmasse zur Verfügung stel-
len, da der in Kapitel 2.5. genannte Rebound- Effekt eintritt. Dies soll nicht heißen, dass von
nun an ausschließlich ökologischen Belangen Vorzug gewährt werden sollte, lediglich weil
intakte Ökosysteme die Voraussetzung für intakte soziale und ökonomische Systeme sind, da
diese Tatsache nicht kausal zur Folge, dass intakte Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme
automatisch durch eine gesunde Umwelt induziert werden. Diese müssen ebenfalls in sich
funktionieren, auch wenn das ökologische System die absolute Grundlage sein sollte. Das
heißt, um es noch einmal zusammenzufassen, dass langfristig gesehen der ökologische Be-
reich die Basis für den sozialen und ökonomischen Bereich darstellt. Demnach ist dieser mög-
lichst zu stärken, jedoch nicht als reine Kompensationsmaßnahme für die anderen zwei Di-
mensionen zu sehen, da diese ebenfalls intern intakt sein und bestenfalls im gesunden Gleich-
gewicht zueinander stehen müssen.
Zu der Frage, auf welcher Ebene Nachhaltigkeit am besten praktiziert werden soll, ist zu sa-
gen, dass viele Fakten, wie auch schon zu Beginn der Nachhaltigkeitsdebatte mit der lokalen
Agenda 21 impliziert wurde, für die lokale bzw. regionale Ebene sprechen, um den Erfolg
einer aussagekräftigen Bewertung zu gewährleisten und um den Ansprüchen unterschiedlicher
räumlicher Gegebenheiten gerecht zu werden. Nationale und internationale Bemühungen
Fazit, Diskussion und Ausblick
Seite 270
können diesen Ansprüchen kaum gerecht werden. Auf dieser Ebene fehlt zudem die Partizipa-
tion und der Aufwand hinsichtlich der Datenbeschaffung und Datenmenge ist häufig nicht zu
vertreten. Lokale Bemühungen sind hingegen meistens überschau- und nachvollziehbar. An-
wendbarkeit, Planungs- und Politikrelevanz, Leitbildanknüpfung und Partizipation sind auf
der lokalen Ebene, was anhand der Beispiele Freiburg, Malmö und Landnutzung deutlich
wurde, meist gegeben.
Ein weiterer Aspekt, der neben Unternehmen, Kommunen und Landnutzung nicht separat
aufgeführt wurde, aber alle drei Disziplinen stark beeinflusst, ist die Rolle des Bürgers. Durch
seinen Lebensstil, sein Wohnen, Arbeiten, Konsumieren, Erholen, etc. entstehen Konsequen-
zen und nachhaltige oder eben nicht- nachhaltige Abläufe. Daraus ist zu schließen, dass der
Mensch als direkter und indirekter Mitverursacher verstärkt in die Entwicklung einbezogen
werden muss. Die vorgeschlagenen Instrumente dafür zielen weitestgehend auf eine Internali-
sierung der externen Effekte ab, was bedeutet, dass Umweltverschmutzung, Ressourcener-
schöpfung, soziale Ungerechtigkeit und Ausbeute mit in jegliche Konsumgüter eingerechnet
werden sollten. Dinge, wie Flugreisen, importierte Produkte, tierische Lebensmittel, insbe-
sondere Fleisch, etc. würden je nach Auswirkungen um einiges teurer und demnach höchst-
wahrscheinlich weniger konsumiert werden. Bei der Betrachtung derartiger Instrumente und
insbesondere deren Resultaten wird klar, dass sich die Umsetzung von Nachhaltigkeit in die-
sem Sinne nicht nur auf der physischen, sondern auch auf der psychischen und sozialen Ebene
abspielt, bzw. abspielen wird.
In diesem Zusammenhang wird ein weiterer Grund, warum es viel Zeit und Anstrengungen
benötigt, die Entwicklung der Nachhaltigkeit wirklich in Gang zu bringen, deutlich. Es wird
eine Bewusstseinsänderung vorausgesetzt. Man mag meinen, dass dieser Exkurs nichts mit
dem Thema und all den Aspekten und Beispielen zu tun hat, die in dieser Arbeit vorgestellt
wurden- sicherlich werden dazu geisteswissenschaftliche Arbeiten geschrieben- dennoch ist
es wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Entwicklung, die wir anstreben, nicht nur aus nach-
haltigen Bauprojekten und nachhaltiger Produktherstellung besteht, sondern dass es einer
ganzheitlichen Verwirklichung bedarf. In diesem Zusammenhang wird es wohl für die Gesell-
schaft von entscheidender Bedeutung sein, zu wissen, an welchen Wertvorstellungen festge-
Fazit, Diskussion und Ausblick
Seite 271
halten werden sollte und welche besser durch neue Werte ersetzt werden sollten, da sich die
Zeiten geändert haben.256
Dies gilt vor allem für die Industrienationen. Eine neue Wertvorstellung könnte sein, an regi-
onalen Dingen aus nachhaltiger Produktion mehr Wertschöpfung zu finden, ein Haus zu sa-
nieren und zu renovieren anstatt besonders individuellen Wünschen in Form eines Neubaus
auf der grüner Wiese nachzugehen und entweder nur selten zu fliegen oder sein Urlaubsziel
mit dem Zug, dem Auto, etc. zu erreichen und an näherliegenden Regionen Interesse und Reiz
zu finden. Vielleicht wird es dann nicht mehr als ungerecht empfunden, sich keinen Flug leis-
ten zu können oder weniger Fleisch essen zu müssen, da es zu teuer ist, sondern als notwendi-
ge verantwortliche Handlung in unserer Zeit, welche keineswegs zu einer Minderung des ei-
genen Lebensstils führen muss.
Als weiteres Hindernis für das konsequente Fortschreiten einer nachhaltigen Entwicklung ist
die Macht der Lobbys zu nennen, insbesondere die der Industrie, deren Interesse nicht einer
Änderung des derzeitigen Wirtschaftsmodells, sondern dem einer stetig wachsenden Wirt-
schaft, gilt.
Zusammenfassend für diesen ersten Abschnitt sind als ausschlaggebende Gründe für man-
gelnde Bewertungsinstrumente zum einen Interpretationsunklarheiten über Nachhaltigkeitsde-
finitionen und deren genannten Folgen zu nennen und zum anderen Interessenskonflikte, wel-
che eine Förderung von Nachhaltigkeit und somit auch von Bewertungsmethoden hemmen.
Der Punkt der Interessenskonflikte hängt insofern mit dem erst genannten Punkt zusammen,
als dass eine gewollte Hemmung von Nachhaltigkeit in einer willkürlichen subjektiven Inter-
pretation resultiert, welche ein gewisses Handeln legitimiert. Als dritter Grund sind Blocka-
den für neue Wertvorstellungen und Pfadabhängigkeiten hin zuzufügen.
Wie die bisherige Entwicklung und die hier aufgeführten Beispiele zeigen, wird eine nachhal-
tige Entwicklung unter den erläuterten Umständen, vorerst wohl von bewährten Praxisbeispie-
len geleitet werden. Pioniere, wie Freiburg oder Malmö, demonstrieren, wie ökologische,
ökonomische und soziale Entwicklungen ablaufen können. Es gilt, etablierte Praxisbeispiele
mithilfe von gesetzlichen Instrumenten großflächig zu verbreiten- bzw. zu schauen, wo und in
256 J. DIAMOND, Kollaps. S. 535
Fazit, Diskussion und Ausblick
Seite 272
wie weit gewisse Maßnahmen in großem Stil kopiert und an die örtlichen Gegebenheiten an-
geglichen werden können.
Ebenso wie in urbanen Räumen und in der Landnutzung mit Best Practice Beispielen kombi-
niert mit Bewertungsinstrumenten der Wirtschaftlichkeit, der Umweltverträglichkeit und der
Sozialverträglichkeit vorgegangen werden kann, sind in Unternehmen, trotz der konfliktrei-
chen Situation bzgl. Nachhaltigkeit, Produkt- und Prozessbewertungsinstrumente einzusetzen.
Diese können zwar nicht garantieren, dass ein Verfahren an sich nachhaltig ist, dennoch kann
erörtert werden, an welchen Stellen des Lebenszyklus´ Verbesserungen hinsichtlich ökologi-
schen, ökonomischen und sozialen Aspekten vorgenommen werden können. Unternehmen
sollten zudem mehr von außen gesteuert werden, d.h. von den Konsumenten und von der Po-
litik. Beispiele dafür sind von Seiten der Politik der Emissionshandel, Druck der IHK bzgl.
der Wirtschaftsweise oder aus Konsumentensicht das Sinken der Nachfrage von bestimmten
Produkten. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass es im Rahmen einer Produkt- oder Prozess-
bewertung zu diskutieren ist, ob nicht auch der Nutzen einer Produktion ebenfalls bewertet
werden sollte, so wie das Produktbewertungsinstrument PROSA dies darstellt. Im Zusam-
menhang mit dem gesellschaftlichen Nutzen wird betont, dass in unserer sozialen Marktwirt-
schaft die Konsumenten den Nutzen von Produkten zwar über die Nachfrage bestimmen, dass
aber der Staat bei zu hohen ökologischen und sozialen Belastungen für die Allgemeinheit
durch eine Produktion eingreifen soll. Die Frage ist nun, wann die Belastungen zu hoch sind.
Der Ansatz, den Nutzen eines Produktes mit zu bewerten, erscheint zwar plausibel und sinn-
voll, jedoch auch sehr subjektiv. Neben der Frage, wann Belastungen entlang des Lebenszyk-
lus´ zu hoch sind- Werte, die aus der Öko-, Sozial- und Kostenbilanz entnommen werden
können- stellt sich die Frage, ob diese Produkte bei einer zu hohen Belastung folglich tatsäch-
lich nicht produziert werden würden, was in Anbetracht der unzähligen Konsumgüter, deren
externe Effekte sicherlich hoch sind, aber trotzdem in einer unfassbaren Vielfalt produziert
werden und deren Nutzen nicht unmittelbar ersichtlich ist, sicherlich zu bestreiten ist. Als
Beispiel sind Elektrogeräte zu nennen, die regelmäßig durch neue Modelle ersetzt werden.
Abgesehen davon, dass geklärt werden müsste, wann die Schwelle der zu hohen Belastungen
erreicht ist und wer das entscheidet, ist eine zusätzliche Bewertungskategorie des Nutzens in
der Wohlstandsgesellschaft der Industrienationen durchaus plausibel. Auf die Frage, wann
Fazit, Diskussion und Ausblick
Seite 273
nun eine Belastung zu groß ist, kann als geeignete Methode für die Erfassung ökologischer
Belastungen die Methode der ökologischen Knappheit (Kap. 3.1.3.) genannt werden.
Ausblickend sind mehrere Dinge festzustellen, die zukünftig verstärkt Beachtung und Umset-
zung finden sollten.
Das mehrfach angesprochene Wirtschaftsmodell des „grünen Wachstums“, welches generell
von den meisten Unternehmen, beispielhaft repräsentiert durch die BASF, verfolgt wird, ist in
seiner Zukunftsfähigkeit stark zu bezweifeln. Trotz der Bemühungen, einer nachhaltigen
Entwicklung gerecht zu werden, ist die grüne Ummantelung schwer glaubhaft. Die Ideen des
grünen Wirtschaftens und der Effizienzsteigerung sind zwar notwendig und realistisch, wer-
den aber nicht ausreichen, um einen genügenden Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Hin-
sichtlich eines neuen Wirtschaftssystems wird es wohl viel Forschung und Überlegungen ge-
ben müssen. Abgesehen von einem zukunftsfähigen Wirtschaftsmodell ist es sicherlich sinn-
voll, Nachhaltigkeitsbewertungen, im Sinne von Öko-, Kosten- und Sozialbilanz, PROSA und
Folgenabschätzungen in Unternehmen, insbesondere in der Produktherstellung und -
optimierung, gesetzlich zu fordern.
Um dort anzuknüpfen ist das Konsumverhalten und dessen Auswirkungen der Menschen in
den Wohlstandsgesellschaften zu steuern und dafür geeignete Instrumente zu finden. Um die
angesprochenen neuen Wertevorstellungen noch einmal aufzugreifen, ist zu betonen, dass
hinsichtlich Konsumverhalten Aufklärungsarbeit von großer Bedeutung ist. Neue Wertvor-
stellungen und ein stärkeres Bewusstsein für einen nachhaltigen Lebensstil sind leichter anzu-
nehmen, wenn dies frühzeitig in Form von Bildung und/ oder Erziehung erfolgt. Deshalb
wurde im Kapitel 5.2.2. die Maßnahme vorgeschlagen, die Inhalte, Hintergründe und Not-
wendigkeiten einer nachhaltigen Entwicklung frühzeitig in das Schulsystem fest zu integrie-
ren. So würden die Kinder dieser Generation und der nächsten mit diesem Thema aufwach-
sen, was Öffentlichkeitsarbeit, etc. stark vereinfachen würde.
Normen und Bewertungsmethoden, wie z.B. die Umweltverträglichkeitsprüfung, sollten be-
züglich einer strengeren Handhabung in ihren Ansprüchen geändert werden. Auf eine UVP
bezogen wäre das eine Erweiterung des Anhangs 1 um weitere Vorhaben.
Handlungsbedarf besteht zudem im Umgang mit dem Bestand von Städten, d.h. mit einzelnen
Gebäuden, mit Stadtvierteln und der vorhandenen Infrastruktur. Für das Errichten eines nach-
haltigen Stadtquartiers gibt es in Anbetracht der zahlreichen Modellbeispiele nachvollziehbare
Vorgehensweisen. Mit dem Bestand auf eine nachhaltige Art und Weise umzugehen, ist eine
Fazit, Diskussion und Ausblick
Seite 274
Herausforderung, in der große Schwierigkeiten, aber auch Potentiale liegen. Hierbei werden
ebenfalls Bewertungen, insbesondere die der Wirtschaftlichkeit, Anwendung finden.
Weiterer Handlungsbedarf liegt in der Forschung nach Möglichkeiten, gewisse Umweltein-
wirkungen monetär zu bewerten, um diesen Wert, welcher je nach Belastungsobergrenze be-
rechnet wird, auf die Produktionsebene zu projizieren und Umweltqualitätsziele zu definieren.
Es besteht Bedarf an naturwissenschaftlich objektiv bestimmbaren Nachhaltigkeitsstandards,
z.B. welche Bodenqualität zu erhalten ist und welche Klimatoleranz besteht. Die Festlegung
und Beurteilung von Belastungsgrenzen und Veränderungen von ökologischen Systemen
können dabei immer nur auf der Grundlage anthropozentrischer Ziel- und Wertvorstellungen
als akzeptabel oder inakzeptabel gelten.
Auch wenn die Initiativen, welche in dieser Arbeit genannt wurden, zeigen, dass sich Nach-
haltigkeit hauptsächlich auf der lokalen Ebene abspielt, wurde jedoch auch deutlich, dass es
nicht ausreicht, sich auf die Entwicklung oder Verbesserung Einzelner zu konzentrieren,
vielmehr bedarf es Änderungen auf systemischer Ebene bzw. ganzer technologischer Regime.
Zwar sind Nachhaltigkeitsthemen, insbesondere Themen der Ökologie, mittlerweile
Mainstream gewordene Motive, zeigen jedoch in Anbetracht der besorgniserregenden ökolo-
gischen Trends nicht ausreichend Wirkung. Wie in Jared Diamonds Buch „Kollaps“ immer
wieder betont wird, ist der Grund des Untergangs vergangener Gesellschaften darin zu sehen,
dass sie ihre zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht nachhaltig bewirtschafteten, sondern
kurzfristig denkend erschöpften. Um diesen Fehler nicht in globalem Ausmaß zu begehen,
sollte, da wir nicht alle Umweltbelastungsobergrenzen kennen, im Sinne des Nachhaltigkeits-
eis nach dem Vorsorgeprinzip verfahren werden und unser Handeln an dem ausgerichtet wer-
den, was heute schon und erst Recht für kommende Generationen sinnvoll erscheint. Lang-
fristig gesehen ist das nachhaltig und zukunftsfähig, da immense Kosten vorsorglich vermie-
den werden, unsere „Bedürfnisse“ trotzdem befriedigt werden können und letztendlich auch
die der kommenden Generationen.
Literaturverzeichnis
Seite 275
7. Literaturverzeichnis
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