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Nachruf: In memoriam Rolf Winau 25. 02. 1937–15. 07. 2006

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DOI: 10.1002/bewi.200701294

Nachruf

In memoriam Rolf Winau25. 02. 1937 – 15. 07. 2006

Die Nachricht von seinem Tod kam f�r die meistenKollegen im In- und Ausland �berraschend; denn we-nige wußten von der schlimmen Diagnose, die nur ei-nige Monate zuvor gestellt worden war. Das war kurzvor der Feier zu seinem 69. Geburtstag, mit der RolfWinau sich nolens volens aus der vordersten Reihe derBerliner Universit�tsmedizin verabschiedete, in der erseit Jahrzehnten eine prominente Rolle gespielt hatte. Nach seiner Emeritierung, sohatte er gerne erkl�rt, wollte er endlich in Ruhe die Fr�chte, die auf seinen langj�hri-gen wissenschaftlichen Arbeitsfeldern gereift waren, zusammentragen und publizie-ren. So etwa die Auswertung von Untersuchungen zur Mortalit�t in Berliner Kir-chengemeinden (ein bereits Ende der 1970er Jahre begonnenes Projekt), die Ge-schichte der deutschen Luft- und Raumfahrtmedizin und deren Zwangstransfer indie USA nach 1945 oder die Geschichte der Berliner Medizin im 20. Jahrhundert.Daß ein R�ckzug in die Gelehrtenstube seinem ungebrochenen Tatendrang gen�genk�nnte, hatte keiner seiner Kollegen und Mitarbeiter geglaubt. Daß er seinen Ruhe-stand nicht mehr erleben w�rde, ahnte niemand. Rolf Winau geh�rte nicht zu dengeduldigen Geschichtsschreibern; selbstgen�gsame Gelehrsamkeit war ihm suspekt.Er wollte etwas bewegen, und dies tat er mit Engagement und Effizienz, sei es imRahmen universit�rer Gremien und �mter oder in den medizin- und wissenschafts-historischen Fachgesellschaften, sei es als begehrter Redner auf medizinischen Fach-tagungen und akademischen Festveranstaltungen, wo er auch die unbequemen Kapi-tel der Geschichte zum Thema machte und dennoch die Zuh�rer in den Bann zuschlagen wußte, oder als Veranstalter medizinhistorischer Stadtf�hrungen zum Ver-gn�gen der Kollegen oder zur Pflege ausw�rtiger G�ste aus Wissenschaft und Poli-tik. Seine Begeisterungsf�higkeit ließ ihn neue Ideen aufgreifen und unterst�tzen,sein Pragmatismus gepaart mit rheinischer Großz�gigkeit hat vielen Projekten denWeg geebnet oder zu einem erfolgreichen Ende verholfen.

Rolf Winau wurde am 25. Februar 1937 in D�sseldorf geboren und wuchs inRheinland-Pfalz auf. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums in Kob-lenz begann er 1956 das Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie inBonn und Freiburg, wo er seine sp�tere Frau Erika kennen lernte, 1962 das Staats-examen ablegte und 1963 mit einer Arbeit �ber Formular und Rhetorik in den Ur-kunden Kaiser Ludwigs II den philosophischen Doktorgrad erwarb. Im gleichenJahr holte ihn Edith Heichkel-Artelt als Wissenschaftlichen Assistenten an das Me-dizinhistorische Institut in Mainz, wo er parallel zu seiner Assistentent�tigkeit mitdem damals f�r eine Karriere in der Medizingeschichte unerl�ßlichen Medizinstu-

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Johanna Bleker

dium begann. Nach dem medizinischen Staatsexamen und der Promotion mit einerpreisgekr�nten Arbeit �ber Christian Mentzel und die Academia Naturae Curioso-rum im Jahre 1968 erhielt er 1970 die �rztliche Approbation. 1972 erfolgte die Habi-litation f�r das Fach Geschichte der Medizin und die Verleihung des apl.-Professors,1973 die Ernennung zum Wissenschaftlichen Rat und Professor. Neben seiner aka-demischen T�tigkeit �bernahm er �rztliche Bereitschaftsdienste, was einerseits derAufbesserung des Einkommens der zuletzt mit vier Kindern gesegneten Familiediente, andererseits zu einer effizienten Neuorganisation des ,�rztlichen Notfall-dienstes Mainz und Rheinhessen‘ f�hrte, dessen Leitung Winau ab 1972 �bernahm.1976 wurde Rolf Winau 39j�hrig zum Ordentlichen Professor und Leiter des Insti-tuts f�r Geschichte der Medizin an der Freien Universit�t Berlin berufen.

Die �berdurchschnittlich gute Ausstattung des Berliner Instituts mit vier Profes-suren und einer Akademischen Ratsstelle ließ dem jungen Ordinarius zun�chst we-nig Gestaltungsspielraum im eigenen Haus. Neue medizinhistorische Schwerpunkt-setzungen ergaben sich vor allem aus Kontakten zu anderen j�ngeren Kollegen ander Freien Universit�t, wie dem Sozialhistoriker Arthur E. Imhof, dem Medizinpsy-chologen Hans Peter Rosemeier, dem Psychiater Hanfried Helmchen. Die aus dieserinterdisziplin�ren Zusammenarbeit entstandenen B�nde Tod und Sterben 1984 (her-ausgegeben mit Hans Peter Rosemeier) und Versuche mit Menschen 1986 (herausge-geben mit Hanfried Helmchen) hat er selbst gelegentlich als zwei seiner wichtigstenBuchpublikationen bezeichnet. Auch seine Ver�ffentlichungen zur Geschichte derBerliner Medizin wirkten weit �ber das medizinhistorische Fachpublikum hinaus.Schon am Ende seiner Mainzer Zeit hatte Winau in Zusammenarbeit mit GunterMann die Bedeutung des Sozialdarwinismus f�r die Medizin des 20. Jahrhunderts inden Blick genommen. Die Anfang der 1980er Jahr in der Medizingeschichte einset-zende, jedoch vielfach noch als unerw�nscht und damit unseri�s zur�ckgewieseneBesch�ftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der deutschen Medizinfand in ihm einen kraftvollen Mentor. Mit seiner autorit�ren R�ckendeckung konnteGerhard Baader mit engagierten Studenten und Doktoranden die Beteiligung der�rzteschaft an den zwischen 1933 und 1945 begangenen Verbrechen zu einem zen-tralen Arbeitsthema des Instituts entwickeln. Seine Kontakte erm�glichten es jungenAutoren, die Vernichtung der j�dischen Traditionen in der Berliner Medizin zu un-tersuchen und zu ver�ffentlichen. Ende der 1980er Jahre war Berlin neben Mainzund M�nster eines der drei f�hrenden medizinhistorischen Zentren f�r die Medizinim ,Dritten Reich‘ und ihre Vorgeschichte geworden. Winau selbst hat das Thema inder Mehrzahl seiner �ber 200 Ver�ffentlichungen aufgegriffen und mit seinen zahl-reichen Vortr�gen in die �rzteschaft hineingetragen. Die Projekte Zerst�rte Fort-schritte – Das j�dische Krankenhaus in Berlin 1989 (mit Dagmar Hartung-von Doe-tinchem) und Exodus von Wissenschaften aus Berlin 1994 (mit Wolfram Fischer, K.Hierholzer, M. Hubenstorf und P. Th. Walther) sind die wohl prominentesten Zeug-nisse seines fortdauernden Engagements.

Daß er hierbei vor allem in der Rolle des Organisators, Vermittlers und Gutach-ters t�tig war, korrespondierte mit seiner Rolle in der Berliner Hochschulpolitik, inder er seit 1979 f�hrende Positionen einnahm, und seinen fachpolitischen Aktivit�-ten, die nicht nur an den verschiedenen Vorstandst�tigkeiten ablesbar sind. (Vorsit-zender der Berliner Gesellschaft f�r Geschichte der Medizin 1979–2006, der Deut-schen Gesellschaft f�r Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik

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1982–1985, des Fachverband Medizingeschichte 1993–1999). Zu nennen sind auchseine langj�hrige T�tigkeit f�r das Institut f�r Medizinische Pr�fungsfragen undseine unspektakul�re Arbeit am Gegenstandskatalog f�r die Medizingeschichte, des-sen verschiedene Auflagen eine Strategie der vorsichtigen Modernisierung des Pr�-fungsstoffs erkennen lassen, bis 1991 auch die Medizin im Nationalsozialismus alsexplizites Thema aufgenommen wurde. Und nicht zuletzt ist es seinem Auftritt beider Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaftenzu verdanken, daß die Medizingeschichte heute durch das Pflichtfach Geschichte,Theorie und Ethik der Medizin in der neuen �rztlichen Approbationsordnung ver-ankert ist.

Seine souver�ne Beherrschung von Hochschulgesetzen und Satzungen, an derenAusarbeitung er sich vielfach beteiligte, sein l�sungsorientiertes Verhandlungsge-schick, das auch strategisch effektive Wutausbr�che einschloß, seine spontane Be-reitschaft zur Verantwortung machten ihn zu einem begehrten und bew�hrten Kri-senmanager. 1979–1981 war er Dekan, 1981–1985 und 1987–1995 Prodekan desFachbereichs Grundlagenmedizin der Freien Universit�t, 1986–2002 leitete er denPromotionsausschuß. Als Mitte der 1990er Jahre die Idee entstand, die kleinen medi-zinischen F�cher der Freien und der Humboldt-Universit�t zu einem interuniversi-t�ren Zentrum zusammenzufassen, nahm Winau auch diese Herausforderung auf,wurde 1998 Gr�ndungsdirektor des zu errichtenden Zentrums f�r Human- und Ge-sundheitswissenschaften, dem er von dessen formaler Gr�ndung 2001 bis zu seinerEmeritierung vorstehen sollte. 1995 war er zudem zum Professor am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin ernannt worden, wo er schon seit Jahren Seminaref�r Historiker angeboten und die Medizingeschichte als Nebenfach vertreten hatte.1998 hatte er �berdies die kommissarische Leitung des Instituts f�r Anthropologieder Charit� �bernommen. Als 2003 der Zusammenschluß der Medizinischen Fach-bereiche der Berliner Universit�ten zur ,Charit� – Universit�tsmedizin Berlin‘ voll-zogen wurde, stand Rolf Winau noch einmal zur Verf�gung und �bernahm das ar-beitsreiche Amt des Studiendekans.

Das Berliner medizinhistorische Institut, dessen Gesch�ftsf�hrung er bereits 2001in andere H�nde gelegt hatte, erlebte ihn nach seiner Emeritierung wieder als st�n-digen Gast, der trotz seiner schweren Krebserkrankung an seinen Verpflichtungenals akademischer Lehrer festhielt und sich voll Optimismus an den Zukunftsplanun-gen beteiligte. Doch sein Glaube an den Erfolg neuer experimenteller Therapienwurde entt�uscht. Er starb am 15. Juli 2006. Die f�r September geplante Verleihungder Sudhoff-Plakette durch die Deutsche Gesellschaft f�r Geschichte der Medizin,Naturwissenschaft und Technik kam nicht mehr zu Stande. Er h�tte sich �ber dieseAnerkennung gefreut.

Johanna Bleker

Anschrift der Verfasserin: Prof. Dr. Johanna Bleker, Ringstrasse 30, D-12205 Berlin

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