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Diplomarbeit an der Universität Hildesheim Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? Eine empirische Untersuchung zum Audience Development am Beispiel des Festivals der Kulturen MELEZ Vorgelegt von Sina Haberkorn Im Studiengang Kulturwissenschaften und ästethische Praxis Erstprüferin: Vera Timmerberg Zweitprüferin: Prof. Dr. Birgit Mandel 10.03.2009

Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

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Page 1: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

Diplomarbeit an der Universität Hildesheim

Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen?

Eine empirische Untersuchung zum Audience Development am Beispiel

des Festivals der Kulturen MELEZ

Vorgelegt von Sina Haberkorn

Im Studiengang Kulturwissenschaften und ästethische Praxis

Erstprüferin: Vera Timmerberg

Zweitprüferin: Prof. Dr. Birgit Mandel

10.03.2009

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Inhalt

Einleitung ....................................................................................................... 1

1. Migration und Kultur ................................................................................... 4

1.1 Begriffsdefinitionen .................................................................................................... 4

1.2 Fakten zur Einwanderung .......................................................................................... 6

1.3 Veränderungen durch Migration im kulturellen Bereich .......................................... 7

1.4 Forschungen zu Migration und Kultur ....................................................................... 7

1.4.1 Dortmunder Studie ....................................................................................... 8

1.4.2 Sinus-Studie ................................................................................................ 11

2. Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor ................................ 16

2.1 Umgang mit kultureller Vielfalt in der Kulturpolitik ............................................... 17

2.1.1 Handlungsempfehlungen zur kulturellen Vielfalt in Europa ...................... 17

2.1.2 Umgang mit kultureller Vielfalt in Deutschland ......................................... 18

2.2 Audience Development als Umgangsform mit kulturell diversem Publikum ........ 20

2.2.1 Publikumsforschung als Basis des Audience Developments ...................... 21

2.2.2 Vorgehensweise des Audience Developments .......................................... 24

2.2.3 Einbezug kultureller Vielfalt am Beispiel des New Audiences Programms 26

2.2.4 Publikum in Deutschland ........................................................................... 27

2.3 Umgang mit kultureller Vielfalt im Bundesland NRW ............................................ 30

2.3.1 Essen als Pilotstadt des „Handlungskonzepts Interkultur“ ........................ 31

2.3.2 Beispiele künstlerischer Umsetzungen zu kultureller Vielfalt .................... 32

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3. MELEZ – Festival der Kulturen ................................................................... 35

3.1 MELEZ ........................................................................................................................ 35

3.1.1 Strukturen .................................................................................................. 37

3.1.2 Zielpublikum ............................................................................................... 37

3.1.3 Umsetzung des Festivals 2008 ................................................................... 37

3.2 RUHR.2010 ................................................................................................................ 39

3.3 Stadt der Kulturen .................................................................................................... 40

4. Forschungsdesign ...................................................................................... 42

4.1 Entwicklung des Forschungsdesign .......................................................................... 42

4.1.1 Zielsetzung der Untersuchung ................................................................... 42

4.1.2 Sampling der Interviewpartner .................................................................. 43

4.1.3 Themenerschließung .................................................................................. 44

4.2 Datenerhebung ......................................................................................................... 44

4.2.1 Interviewform ............................................................................................ 44

4.2.2 Interviewaufbau ......................................................................................... 45

4.2.3 Pretest-Modifikationen .............................................................................. 46

4.3 Datenaufbereitung ................................................................................................... 47

4.3.1 Festlegung des Materials ........................................................................... 47

4.3.2 Analyse der Entstehungssituation .............................................................. 47

4.3.3 Formale Charakteristika des Materials ...................................................... 48

4.4 Auswertungsmethode .............................................................................................. 49

4.5 Gültigkeit und Qualität der Untersuchung .............................................................. 50

4.5.1 Gütekriterien .............................................................................................. 50

4.5.2 Geltungskriterien ....................................................................................... 51

4.5.3 Erhalt der Perspektive ................................................................................ 51

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5.Auswertung der Interviews ........................................................................ 52

5.1 Portraits der Befragten............................................................................................. 52

5.1.1 Pretest: Befragter AR ................................................................................. 52

5.1.2 Pretest: Befragter BT .................................................................................. 55

5.1.3 Pretest: Befragter CT .................................................................................. 57

5.1.4 Befragter DT ............................................................................................... 61

5.1.5 Befragte ER ................................................................................................. 64

5.1.6 Befragte FP ................................................................................................. 66

5.1.7 Befragte GP ................................................................................................ 68

5.1.8 Befragter HP ............................................................................................... 72

5.1.9 Befragter II.................................................................................................. 74

5.1.10. Befragter JI .............................................................................................. 78

5.1.11 Befragte KI ................................................................................................ 81

5.1.12 Befragte LT ............................................................................................... 84

5.2 Gemeinsame Kategorien der Interviews ............................................................ 87

5.3 Ergebnisse unter Einbezug theoretischer Annahmen ......................................... 95

5.3.1 Kulturelle Präferenzen und Kulturnutzung ................................................ 95

5.3.2 Identifikation mit dem Angebot als nachfragebegünstigender Faktor ...... 96

5.3.3 Weitere nachfragebegünstigende Faktoren .............................................. 97

5.3.4 Migrantenvereine und kulturelle Partizipation .......................................... 98

5.3.5 Barrieren .................................................................................................... 99

5.3.7 Informations- und Vertriebswege .............................................................. 99

6. Ansätze zum Audience Development für das Festival MELEZ ................... 101

6.1 PR und Vertrieb über audio-visuelle Medien ........................................................ 101

6.2 Barrierefreiheit durch Preis und Alltagsorte ......................................................... 102

6.3 Zielgruppenansprache - Die Vielfalt im Ruhrgebiet: Das bist du! ......................... 103

6.4 Treffpunkt: MELEZ .................................................................................................. 104

6.5 Programmgestaltung .............................................................................................. 105

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6.5.1 Ruhrgebiet statt Anatolien ....................................................................... 105

6.5.2 MELEZ : Der Name des Festivals macht Programm ................................. 105

6.5.3 Programm für die Familie und Kinder ...................................................... 106

6.5.4 Klischeebrecher ........................................................................................ 107

6.6 Partizipation: Einbindung der Kulturvereine ......................................................... 107

6.7 Nachhaltigkeit: MELEZ.de als interkulturelle Plattform ....................................... 108

7.Fazit ......................................................................................................... 110

8. Literaturverzeichnis ................................................................................. 114

Eidesstattliche Erklärung……………….……………………………………………………………123

Anhang……………………………………………………………………………………………………….….I Protokoll: Gespräch mit den MELEZ-Organisatoren…………………………………………………………….…….I

Interview AR…………………………………………………………………………………………………………………………...IV

Interview BT………………………………………………………………………………………………………………………..XVIII

Interview CT…………………………………………………………………………………………………………………………XXV

Interview DT………………………………………………………………………………………………………………………XXXVI

Interview ER………………………………………………………………………………………………………………………..XLIV

Interview FP ………………………………………………………………………………………………………………………..…LII

Interview GP……………………………………………………………………………………………………………………..…..LVI

Interview HP…………………………………………………………………………………………………………………………LXV

Interview II ………………………………………………………………………………………………………………………….LXXI

Interview JI………………………………………………………………………………………………………………….……..LXXX

Interview KI……………………………………………………………………………………………………………………………XCI

Interview LT…………………………………………………………………………………………………………………….. XCVIII

Interviewleitfaden……………………………………………………………………………………………………………….CVIII

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Einleitung

Im Fokus dieser Arbeit steht die Frage, wie man neues Publikum für Kunst und Kultur

gewinnen kann. Personen mit Migrationshintergrund wurden dazu als Zielgruppe definiert.

Nach dem Bericht der Enquete-Kommission zur „Kultur in Deutschland“ werden diese als

Publikum derzeit wenig eingebunden (vgl. Enquete-Kommission 2007: 213). Im

gesellschaftlichen Diskurs ist Migration jedoch ein aktuelles Thema, das ebenfalls

Auswirkungen auf den kulturellen Sektor hat. Bisher wird hier wie in anderen Bereichen ein

eher defizitorientierter Integrationsgedanke verfolgt. Um jedoch die Grenzen zwischen dem

„Eigenen“ und dem „Fremden“ zu überbrücken, muss in Zukunft kulturelle Vielfalt als

bereichernder Bestandteil unserer Gesellschaft angesehen werden. Kunst und Kultur kann

Menschen verbinden und kann durch Partizipationsmöglichkeiten zu gesellschaftlicher

Teilhabe befähigen. Neue Kunstformen, die durch kulturelle Vielfalt entstehen, können unser

kulturelles Leben in Deutschland bereichern. Grundlage zu Veränderungen in Kulturpolitik und

Kulturmanagement ist das Verständnis von Kultur als Transkulturalität.

Zu den Zielen dieser Arbeit gehört es herauszuarbeiten, ob Personen mit unterschiedlichen

Migrationshintergründen als Zielpublikum für Kunst und Kultur zusammengefasst werden

können. Inwiefern nutzen sie Kultur? Haben sie gemeinsame kulturelle Interessen, besuchen

sie ähnliches kulturelles Angebot oder finden sich gemeinsame Faktoren, die von

Kulturnutzung zurückhalten? Welche gemeinsamen Aspekte hinsichtlich ihrer Identität

könnten Auswirkung auf ihr Verständnis von Kultur und ihre Kulturnutzung haben? Eine

empirische Untersuchung im Ruhrgebiet am Beispiel des Festivals der Kulturen MELEZ soll

Antworten zu diesen Fragen finden. Auf Grundlage der persönlichen Eindrücke und

Bedürfnisse der Befragten werden in der vorliegenden Arbeit Empfehlungen für ein kulturelles

Angebot entwickelt, das diese Menschen tatsächlich einzubinden vermag.

Im Folgenden soll eine Darstellung über den Aufbau der Arbeit gegeben werden.

Im ersten Kapitel „Migration und Kultur“ wird zunächst erörtert, welche Begriffe innerhalb der

vorliegenden Arbeit genutzt werden. Darüber hinaus wird der aktuelle Datenstand zu

Migration und Kultur in Deutschland dargestellt. Dabei ist zentral, dass der demographische

und gesellschaftliche Wandel in Deutschland auch Grundlage für Veränderungen innerhalb des

kulturellen Sektors ist. In den Blick genommen werden besonders die Erkenntnisse zu

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Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und

die Sinus-Studie gewonnen werden.

Das zweite Kapitel geht aufbauend zum ersten Kapitel der Frage nach, wie im kulturellen

Bereich auf die Veränderungen durch die Migration reagiert wird. Ansätze der europäischen

und deutschen Kulturpolitik für den Umgang mit Migration werden dargestellt. Es wird gezeigt,

dass Kulturpolitik einen Einfluss darauf haben kann, wie Personen mit Migrationshintergrund

als Publikum eingebunden werden. In diesem Zusammenhang werden Möglichkeiten zum

Umgang mit kultureller Vielfalt durch die Darstellungen von britischen Modellen aufgezeigt.

Audience Development soll als eine adäquate Herangehensweise vorgestellt werden, um

Personen mit Migrationshintergrund als Publikum durch ganzheitliche Methoden einzubinden.

Dabei wird herausgestellt, dass Erkenntnisse aus Publikumsstudien wichtige Grundlage des

Audience Developments sind. In Deutschland steht sowohl die Kulturmarktforschung als auch

das Audience Development noch in den Anfängen. Einige Publikumsforschungen werden

vorgestellt, um später einen Vergleich zu den bereits in Kapitel eins vorgestellten

Erkenntnissen zu Personen mit Migrationshintergrund leisten zu können. Darüber hinaus

werden der Umgang mit kultureller Vielfalt im Bundesland Nordrhein-Westfalen und einige

Beispiele zu gelungenen künstlerischen Projekten vorgestellt.

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Festival MELEZ. Hier wird herausgestellt, inwiefern

kulturelle Vielfalt in der Programmatik des Festivals berücksichtigt wird und wie diese

Programmatik im Veranstaltungsprogramm des Jahres 2008 eingebunden wurde. Weiterhin

wird der Frage nachgegangen, ob eine Zielgruppenansprache von Personen mit

Migrationshintergrund stattfindet. Auch die Hintergründe in Bezug zu RUHR.2010, in dessen

Rahmen das Festival zum fünften Mal stattfinden wird, werden erörtert.

Im Ruhrgebiet wurde eine empirische Untersuchung mit Bezug zum Festival MELEZ mit

Personen mit Migrationshintergrund durchgeführt, welche im vierten Kapitel vorgestellt wird.

Die Vorüberlegungen zur Forschung werden dargelegt sowie die Methodik, welche bei

Interviewdurchführung und Interviewauswertung gewählt wurde, erläutert.

Im fünften Kapitel werden die Auswertungsergebnisse der Interviews präsentiert. Zunächst

wird in Kurzdarstellungen der individuelle Interviewinhalt dargelegt. Im Folgenden werden

gemeinsame Kategorien der Interviews herausgestellt und danach mit den theoretischen

Annahmen der Kapitel eins und zwei verglichen. Fokus liegt hierbei darauf zu zeigen, welche

Ergebnisse bestätigt wurden, welche Ergebnisse spezifisch für die Zielgruppe sind und welche

neuen Erkenntnisse sich innerhalb der empirischen Untersuchung ergeben haben.

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Im sechsten Kapitel werden Ansätze zu Strategien für das Audience Development

vorgeschlagen. Dabei werden Handlungsempfehlungen für die Bereiche Kultur-PR,

Kulturmarketing und Kulturvermittlung auf Grundlage der Ergebnisse und Vorschläge aus den

Interviews und dem theoretischen Vergleich gegeben.

Im siebten Kapitel, dem Fazit, wird eine abschließende Betrachtung der Thematik durchgeführt

und ein Ausblick gegeben.

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Migration und Kultur 1

1. Migration und Kultur

1.1 Begriffsdefinitionen

Zunächst sollen die verwendeten Begriffe näher definiert werden, um so deren Verwendung

innerhalb der Arbeit verständlicher zu machen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werde

ich in der gesamten Arbeit die männliche Schreibweise benutzen, meine aber auch das

weibliche Geschlecht. Die folgenden Begriffsdefinitionen zu Migranten, sowie zu Personen mit

Migrationshintergrund sind dem Mikrozensus 2006 des Statistischen Bundesamtes

entnommen (vgl. Statistisches Bundesamt 2006: 309ff).

Unter „Migranten“ werden dabei Personen subsumiert, die im Ausland und nicht in der

heutigen Bundesrepublik Deutschland geboren wurden. Diese Menschen sind Zuwanderer, das

bedeutet nach Deutschland zugezogen, und sie können sowohl deutscher als auch

ausländischer Staatsangehörigkeit sein. Spätaussiedler sind ein Beispiel für Migranten, die über

die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen.

Migranten zählen zu „Personen mit Migrationshintergrund“. Diese Formulierung definiert sich

nach dem Statistischen Bundesamt wie folgt: Hierzu gehören Menschen ausländischer

Staatsangehörigkeit, welche in Deutschland leben sowie alle Zugewanderten, unabhängig von

ihrer Nationalität. Zu den Personen mit Migrationshintergrund zählen auch in Deutschland

geborene Ausländer, die mittlerweile eingebürgert wurden. Aber auch für Personen ohne

eigene Migrationserfahrung, d.h. bei deutschen Staatsbürgern, welche schon in Deutschland

geboren wurden, kann sich der Migrationshintergrund durch den Migrationsstatus der Eltern

ergeben. Die Nachkommen der ersten Generation gehören zu Personen mit

Migrationshintergrund, wenn mindestens ein Elternteil zu den Spätaussiedlern oder

Eingebürgerten zählt. Der andere Elternteil kann ohne Migrationshintergrund sein. „Außerdem

gehören zu dieser Gruppe seit 2000 auch die (deutschen) Kinder ausländischer Eltern, die die

Bedingungen für das Optionsmodell erfüllen, d.h. mit einer deutschen und einer

ausländischen Staatsangehörigkeit in Deutschland geboren wurden“ (Statistisches Bundesamt

2006: 326). Nach der Definition des Statistischen Bundesamtes können Personen ohne eigene

Migrationserfahrung, deren Eltern ebenfalls die Migration nicht selbst erlebt haben, auch zu

Personen mit Migrationshintergrund gezählt werden, wenn beispielsweise die Eltern

eingebürgert wurden.

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Migration und Kultur 1

Unter Migranten und Personen mit Migrationshintergrund werden nur diejenigen gefasst, die

selbst oder deren Vorfahren nach 1950 in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik

Deutschland einwanderten. Menschen, deren Migration vor 1950 stattfand werden jedoch als

Personen ohne Migrationshintergrund bezeichnet. Um Migranten zu beschreiben, welche aus

arbeitsbedingten Beweggründen nach Deutschland kamen, werde ich innerhalb der Arbeit den

Begriff „Arbeitsmigranten“ verwenden, anstatt der häufig verwendeten Bezeichnung

„Gastarbeiter“, welche eine ausgrenzende Konnotation innehat.

Darüber hinaus ist die Einordnung der Begriffe „Interkulturalität“, „Multikulturalität“ und

„Transkulturalität“ bedeutsam, weil die diversen Verständnisse von Kultur auch das

Verständnis von Migrationsprozessen beeinflussen. Multikulturell bedeutet nach Definition

des Dudens „viele Kulturen umfassend, beinhaltend“ (Duden 2001: 655). Der Begriff

Multikulturalität geht von der Annahme aus, dass die verschiedenen Kulturen nebeneinander

stehen. Mittlerweile wird besonders im kulturellen Bereich, wie etwa im Bericht der Enquete-

Kommission des Deutschen Bundestages 2007 zu „Kultur in Deutschland“, das Konzept der

Interkulturalität verwendet. Dort wird wie folgt definiert: „Unter Interkultur wird dabei der

Austausch zwischen und das Miteinander von Kulturen, der wechselseitige Dialog und

Lernprozess, verstanden“ (Enquete-Kommission 2007: 210/211). Der Begriff geht zwar von den

Beziehungen zwischen den Kulturen aus, allerdings liegt ihm die Konnotation zugrunde, dass

dieses Miteinander Problematiken aufwirft. Nach Welsch gehe das Konzept der

Interkulturalität von der Vorstellung aus, Kulturen seien in sich geschlossen. Weiterhin suche

das Konzept „nun nach Wegen, wie die Kulturen sich gleichwohl miteinander vertragen, wie sie

miteinander kommunizieren, einander verstehen oder anerkennen können“ (Welsch 1995: 2).

Unter Transkulturalität wird auf ein weiteres Kulturverständnis hingewiesen. Dieses Konzept

geht davon aus, dass Kulturen nicht in sich homogen und exklusiv sind, sondern dass in der

heutigen Gesellschaft Verflechtungen und Vermischungen der Kulturen ganz selbstverständlich

geschehen. „Die Lebensformen enden nicht mehr an den Grenzen der Nationalkulturen,

sondern überschreiten diese und finden sich ebenso in anderen Kulturen“ (ebd.). Diese

Vermischungen und Verflechtungen sind nach Welsch unter anderem Folge von

Migrationsprozessen (ebd.).

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Migration und Kultur 1

1.2 Fakten zur Einwanderung

Die europäische Geschichte ist geprägt durch Migrationen. Diese Wanderungsbewegungen

vollzogen sich aus unterschiedlichen Gründen. In den vergangenen Jahrzehnten ist

Deutschland verstärkt Ziel der Zuwanderung geworden und entwickelte sich zum

Einwanderungsland. In Deutschland leben rund 15,1 Millionen Personen mit

Migrationshintergrund. Davon befinden sich 7,3 Millionen Personen mit nicht-deutscher

Nationalität, während die anderen Personen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Mittlerweile weisen 18,4 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik einen

Migrationshintergrund auf. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen ist der Anteil höher. Hier

haben 4,2 Millionen und somit 23 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund bei

einer Gesamtbevölkerung von 18 Millionen (vgl. Statistisches Bundesamt 2006: 110/111).

Hinzu kommt, dass die Zahl der Personen ohne Migrationshintergrund sinkt, da die

Geburtenrate zurückgeht. So ergibt sich beispielsweise ein Anstieg von 18,3 auf 18,4 Prozent

der Personen mit Migrationshintergrund zwischen den Jahren 2005 und 2006. Immer häufiger

gibt es deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund.

Im Ruhrgebiet leben 5,23 Millionen Einwohner (vgl. LDS NRW/Statistisches Bundesamt

Wiesbaden/RVR-Datenbank 2007: 1). In der Stadt Dortmund beispielsweise ist der Anteil an

Personen mit Migrationshintergrund mit 27,5 Prozent noch höher als im Bundesland (vgl. LDS

NRW/Cerci 2008a: 9). Im Ruhrgebiet versammeln sich Menschen aus 170 Nationen. Die

Industrieregion ist besonders durch Arbeitsmigranten geprägt. Ab den 50er Jahren gab es

vermehrt Anwerbungen ausländischer Arbeiter und es wurden Arbeitsabkommen geschlossen

mit Ländern wie etwa der Türkei (vgl. Bade/Oltmer 2004: 42ff). Da viele Arbeitgeber daran

interessiert waren, ihre bereits angelernten ausländischen Arbeitnehmer weiterhin

anzustellen, blieben viele in Deutschland. Auch die Familien der Arbeitsmigranten wurden

nachgeholt. 1973 kam es zum Anwerbestopp. Nun galt es den neuen Anforderungen der

Migration gerecht zu werden. Mittlerweile ist kulturelle Vielfalt Teil der deutschen

Gesellschaft. Viele Personen mit Migrationshintergrund sind in Deutschland geboren und ihre

Migrationsgeschichte geht hin bis zu den Großeltern bzw. Urgroßeltern. So ergibt sich die

Situation, dass in Deutschland und insbesondere im Bundesland Nordrhein-Westfalen

Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zusammenleben.

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Migration und Kultur 1

1.3 Veränderungen durch Migration im kulturellen Bereich

Die eigene Anerkennung der Bundesrepublik als Einwanderungsland ist seit den 90er Jahren

vorangeschritten. Laut dem Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages von

2007 ist es von großer Bedeutung, auch die kulturellen Auswirkungen von Migration zu

beachten. Wenn man Deutschland als Einwanderungsnation anerkenne, müsse man auch

Interkulturalität als Teil des allgemeinen kulturellen Lebens anerkennen (vgl. Enquete-

Kommission 2007: 212).

Dies bedeute unter anderem, Personen mit Migrationshintergrund in Kunst und Kultur

einzubeziehen. Zur derzeitigen Situation von Personen mit Migrationshintergrund als

Kulturpublikum deklariert die Enquete-Kommission:

„In der Publikumsstruktur spiegelt sich Migration so gut wie gar nicht wider. Dies hat

sicherlich zu einem ganz erheblichen Ausmaß mit Bildungsvoraussetzungen, Schwellenängsten

und Fremdheit, aber auch mit nicht vorhandenem Interesse zu tun. Andererseits jedoch

haben sich die bestehenden Kulturbetriebe und Förderstrukturen bisher kaum auf eine

interkulturelle Öffnung besonnen“ (Enquete-Kommission 2007: 213).1

Forschungen zum Thema Migration und Kultur sind notwendig, um Annahmen zu den

Motivationen und Barrieren zur Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund zu

belegen oder auch zu widerlegen, denn es ist noch wenig bekannt über Lebenswelten sowie

Wahrnehmungs- und Wertemuster von Personen mit Migrationshintergrund (vgl. Harting in:

Jerman 2007: 24). Die Enquete-Kommission verweist ebenfalls auf mangelnde Informationen

und Daten im thematischen Bereich der Interkultur und empfiehlt Bund und Ländern

Forschungen hierzu zu betreiben.

1.4 Forschungen zu Migration und Kultur

Um Personen mit Migrationshintergrund als Kulturpublikum zu gewinnen, bedarf es zunächst

der genauen Kenntnis über soziodemografische Daten, aber auch Wissen über kulturelle

Präferenzen, Kulturnutzung und Motivationen zu Kultur. „Zu den Kunst- und Kulturthemen im

1 Zwar weist der Bericht im Folgenden darauf hin, dass das nichtvorhandene Interesse auch bei bildungsfernen

autochthonen Bevölkerungsteilen anzutreffen sei, jedoch soll hier darauf hingewiesen werden, dass sich

beispielsweise anhand der Ergebnisse der Dortmunder Studie die Annahme des mangelnden Interesses bei

Personen mit Migrationshintergrund als falsch erweist.

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Migration und Kultur 1

engeren Sinne – wie kulturelle Bildung, kulturelle Präferenzen und Gewohnheiten von

Menschen mit Migrationshintergrund – wurde bisher nur punktuell geforscht“ (Cerci in: Jerman

2007: 51). Zwei der großen Forschungsansätze, die diesen Fragen in Deutschland nachgehen,

sollen hier unter diesem Kapitel vorgestellt werden: Die sogenannte Dortmunder Studie und

die Sinus-Studie. Weitere Informationen über die Soziodemografie existieren im Mikrozensus

des Statistischen Bundesamtes. Darüber hinaus bestehen spezifischere Studien zu Personen

mit Migrationshintergrund von Kulturinstitutionen wie etwa „Migranten und Medien 2007“,

welches von der ARD/ZDF-Medienkommission durchgeführt wurde.

Als Vergleiche werden im zweiten Kapitel weitere Forschungen vorgestellt. Zum einen wird

dort eine Studie aus Großbritannien präsentiert, welche nicht als relevant für die

Bundesrepublik gelten kann, aber den Fortschritt der Publikumsforschung in Großbritannien

zeigt. Zum anderen sollen zwei Beispiele zur Publikumsforschung in Deutschland ohne

konkreten Bezug zur Migration im nächsten Kapitel aufgezeigt werden, um einen Vergleich

zwischen den Ergebnissen von Personen mit und ohne Migrationshintergrund erstellen zu

können.

1.4.1 Dortmunder Studie:

„Kulturelle Vielfalt in Dortmund. Pilotstudie zu kulturellen Interessen und Gewohnheiten

von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Dortmund.“

Zunächst soll hier die sogenannte Dortmunder Studie vorgestellt werden, in deren Rahmen

insbesondere Menschen im Ruhrgebiet befragt wurden. Da die Region auch Befragungsort der

folgenden empirischen Arbeit ist, sind die Ergebnisse der Studie besonders relevant. Die Studie

trägt den Titel „Kulturelle Vielfalt in Dortmund. Pilotstudie zu kulturellen Interessen und

Gewohnheiten von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Dortmund“. Ausgangspunkt der

Studie war das Pilotprojekt „Kommunales Handlungskonzept Interkultur“, welches 2005 vom

Referat „Interkulturelle Kulturarbeit – Dialog der Kulturen“ der Kulturabteilung des

Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen initiiert wurde. Das Projekt sollte

erstmals die Interessen und Gewohnheiten von Personen mit Migrationshintergrund

systematisch erfassen. Ziel der Studie war, diese Daten für Kulturmanager, Künstler und die

Kulturpolitik bereitzustellen. Nach Auffassung der Initiatoren bestand besonders im Bereich

der Kulturpolitik noch Bedarf, auf die gesellschaftlichen Veränderungen durch

Einwanderungsprozesse auf adäquate Weise zu reagieren. Angestrebt wurde vor allem die

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Migration und Kultur 1

Steigerung der kulturellen Partizipation von Personen mit Migrationshintergrund (vgl. LDS

NRW/Cerci 2008a: 6).

Als Pilotkommune wurde die Stadt Dortmund ausgewählt. Die Durchführung der Studie

erfolgte über computergestützte telefonische Interviews (CATI). Diese wurden nach einem

Fragebogen angelegt. Die 29 Interviewführenden vollzogen die Befragungen nicht nur auf

Deutsch, sondern auch auf Türkisch und Russisch. Befragt wurden Dortmunder Bürger ab 16

Jahren. Insgesamt wurden mit 1023 Personen Gespräche geführt, von denen 508 keinen

Migrationshintergrund hatten. Dabei wurden 136 Personen mit osteuropäischem

Migrationshintergrund, 126 mit türkischem Migrationshintergrund, 126 mit südeuropäischem

Hintergrund und weitere 127 Personen mit einem anderen Migrationshintergrund befragt (vgl

LDS NRW/Cerci 2008a: 10).

Es kristallisierten sich Kernergebnisse heraus. Die Befragung ergab, dass Personen mit

Migrationshintergrund ähnliche kulturelle Präferenzen haben wie Personen ohne

Migrationshintergrund. Es ließen sich jedoch leichte Abweichungen im Bereich Rock-Pop,

klassische Musik, Kabarett/Comedy, Musical und Oper erkennen, da hier Personen mit

Migrationshintergrund geringeres Interesse darlegten. Nach der Dortmunder Studie bestehe

aber ein höheres Interesse an Weltmusik, elektronischer Musik und Hip Hop, sowie an Kino

bzw. Film. Das hohe Interesse an Konzerten mit Musik aus der Herkunftsregion sticht in den

Ergebnissen der Befragungen heraus.

Abbildung 1: Übersicht Interesse an Kulturveranstaltungen 1/6 (LDS NRW/Cerci 2008a: 29)

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Migration und Kultur 1

Hingegen weisen die erhobenen Daten zu den Kulturbesuchen auf eine Diskrepanz zwischen

dem Interesse an Kunst und Kultur und der tatsächlichen Kulturnutzung hin. Obwohl Personen

mit Migrationshintergrund in gleichem Maße Interesse an kulturellen Veranstaltungen haben,

nehmen sie seltener kulturelles Angebot wahr als Personen ohne Migrationshintergrund.

Beispielsweise haben Personen mit Migrationshintergrund (40 Prozent) mehr Interesse an

Festivals als Personen ohne Migrationshintergrund (38 Prozent). Allerdings besuchten sechs

Prozent der Personen ohne Migrationshintergrund mindestens einmal in den letzten sechs

Monaten Festivals, während es bei den Personen mit Migrationshintergrund nur zwei Prozent

waren (vgl. LDS NRW/Cerci 2008a: 70). Da bei klassischer Musik, Rock/Pop sowie

Kabarett/Comedy bereits wenig Interesse bestand, werden diese auch weniger genutzt.

Darüber hinaus werden nach den Ergebnissen der Studie auch religiöse Musik/Kirchenmusik,

Jazz sowie Schauspiel/Theater wenig besucht. In gleichem Maße wie Personen ohne

Migrationshintergrund besuchen Personen mit Migrationshintergrund elektronische Musik,

Weltmusik, Kino/Film und Literaturveranstaltungen. Die Ungleichheit, die sich aus dem

Vergleich von Kulturbesuchen und Interesse an Kunst und Kultur ergibt, lässt darauf schließen,

dass die Steigerung der kulturellen Nutzung von Personen mit Migrationshintergrund

besonders für Kultureinrichtungen ein Ziel sein sollte. Im Bereich der kulturellen Bildung ergab

die Forschung, dass sowohl die frühkindliche Musikerziehung als auch das regelmäßige Spielen

eines Musikinstrumentes bei Kindern mit Migrationshintergrund niedriger ist als bei Kindern

ohne Migrationshintergrund. Die Schule sei allerdings ein „wichtiger Ort der kulturellen

Bildung“ (LDS NRW/Cerci 2008a: 3) für Kinder mit Migrationshintergrund.

Abbildung 2: Übersicht Information Kulturveranstaltungen 1/4 (LDS NRW/Cerci 2008a: 77)

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Migration und Kultur 1

Weiterhin legte die Studie offen, dass die Ausgaben für Kultur bei Personen mit

Migrationshintergrund geringer sind. Auch die Informationswege zu Kulturveranstaltungen

wurden in die Befragung aufgenommen. Hierbei ergab sich, dass sich die meisten Personen

über Empfehlungen von Freunden und Bekannten Informationen zu Kulturveranstaltungen

einholten. Personen mit Migrationshintergrund nutzen zudem das Fernsehen als

Informationsquelle häufiger als Personen ohne Migrationshintergrund. Überdies belegen die

Forschungsergebnisse, dass nur 50 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund mit dem

kulturellen Angebot sehr zufrieden bzw. zufrieden sind. Das sind 20 Prozent weniger als bei der

autochthonen Bevölkerung. Als Verbesserungsvorschläge wurden Preisermäßigungen,

vermehrte, beziehungsweise verbesserte Werbemaßnahmen und PR und bessere

Erreichbarkeit genannt. Darüber hinaus wünschen sich die Personen mit

Migrationshintergrund mehr Angebote für Familien, Kinder und Jugendliche und mehr

Angebote mit Bezug zur Herkunftskultur und – sprache bezüglich Werbematerial, Programm

und Künstler.

1.4.2 Sinus-Studie

„Die Milieus der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland“

Auch die Sinus-Sociovision GmbH führte Befragungen mit Personen mit Migrationshintergrund

durch. „Kulturelle Präferenzen und Gewohnheiten“ waren ein Teilbereich der Forschung,

weshalb die Studie für diese Arbeit bedeutsam ist. Der volle Titel lautet: „Die Milieus der

Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland“ (LDS NRW/Cerci 2008b). Die Studie

wurde von einem Gremium aus Politik, Medien und Verbänden, unter anderem vom

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Kulturabteilung des

Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, in Auftrag gegeben. Durchführende

Firma war die Sinus Sociovision GmbH. Dieses Unternehmen hat in den Jahren 2006 und 2007

eine qualitative Studie zu den Lebenswelten von Menschen mit Migrationshintergrund in

Deutschland durchgeführt. Diese wurde 2008 auf repräsentativer Basis quantifiziert. Unter

Personen mit Migrationshintergrund sind hier, neben den in Deutschland lebenden

Ausländern, die in Deutschland lebenden Migranten und deren Nachkommen, wenn diese in

der Bundesrepublik leben, gemeint.

Page 17: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

12

Migration und Kultur 1

Es wurden über 100 mehrstündige Tiefeninterviews mit Personen diverser ethnischer Herkunft

im gesamten Bundesgebiet geführt und diese mit sozialwissenschaftlichen Methoden

ausgewertet. Davon ausgehend wurde eine Befragung von 2072 Personen ab einem Alter von

14 Jahren unternommen, welche eine Validierung und Strukturbeschreibung der Migranten-

Milieus intendierte. Somit kommt der Studie inhaltliche Gültigkeit zu. Ziel der gesamten Studie

„war ein unverfälschtes Kennenlernen und Verstehen der Alltagswelt von Migranten, ihrer

Wertorientierungen, Lebensziele, Wünsche und Zukunftserwartungen“ (Sinus Sociovision

GmbH 2008: 1).

Das zentrale Ergebnis der Sinus-Studie ist die Identifikation und Beschreibung von acht

Migranten-Milieus. Diese erfolgten unter dem Ansatz der Sinus-Milieus, welcher aus

dreißigjähriger sozialwissenschaftlicher Forschung zur Lebensweltanalyse moderner

Gesellschaften hervorgeht. Durchgeführt wurde der Ansatz der ganzheitlichen

Lebensweltanalyse bereits in 18 Ländern, allerdings wurde bei dieser Studie erstmalig die

Migranten-Population Forschungsgegenstand. Die Einordnung in die verschiedenen Milieus

erfolgt anhand ähnlicher Lebensziele und -stile, Wertebilder, Alltagsästhetiken und

Integrationsniveaus (vgl. LDS NRW/Cerci 2008b).

Abbildung 3: Soziale Lage und Grundorientierung (LDS NRW/Cerci 2008b: 6)

Die Milieus wurden differenziert in das religiös-verwurzelte Milieu, das traditionelle

Gastarbeitermilieu, das statusorientierte Milieu, das entwurzelte Milieu, das adaptive

Integrationsmilieu, das intellektuell-kosmopolitische Milieu, das multikulturelle Performermilieu

und das hedonistisch-subkulturelle Milieu. Allerdings können diese verschiedenen Milieus nicht

Page 18: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

13

Migration und Kultur 1

als geschlossen betrachtet werden, sondern die Grenzen zwischen ihnen verlaufen fließend

(vgl. Sinus-Sociovision GmbH 2008: 6). Durch die Einteilung in diese acht Milieus zeigt sich,

dass Personen mit Migrationshintergrund keine homogene Gruppe sind, sondern die

Lebensauffassungen und Lebensweisen innerhalb dieser Gruppe differieren. Klischees werden

durch die Darstellung eines facettenreichen Bildes von Personen mit Migrationshintergrund

widerlegt. Nicht die ethnische Herkunft und die soziale Lage sind für die Zuteilung in die

unterschiedlichen Milieus entscheidend, sondern die Wertvorstellungen, Lebensstile und

ästhetischen Vorlieben. „Man kann also nicht von der Herkunftskultur auf das Milieu schließen.

Und man kann auch nicht vom Milieu auf die Herkunftskultur schließen“ (Sinus Sociovision

GmbH 2008: 2). Obwohl Aspekte wie ethnische Zugehörigkeit, Religion und

Migrationsgeschichte die Alltagskultur beeinflussen, sind diese weder milieuprägend noch

identitätsstiftend (vgl. Sinus-Sociovision GmbH 2008: 2ff). Außerdem versteht sich der Großteil

Menschen in den Migranten-Milieus als Teil der multikulturellen deutschen Gesellschaft. Die

meisten haben ein bi-kulturelles Selbstbewusstsein und sehen ihren Migrationshintergrund

und ihre Mehrsprachigkeit als Bereicherung für sich und die Aufnahmegesellschaft. Weiterhin

sind sie daran interessiert, sich in die letztere einzufügen. Gleichfalls möchten sie dabei ihre

kulturellen Wurzeln bewahren. Das Gelingen der Integration in die deutsche Gesellschaft hängt

zum einen wesentlich von der Herkunftsregion je nach Urbanität ab und zum anderen von der

Bildung. Darüber hinaus gehört zu den Ergebnissen die Kritik an der mangelnden

Integrationsbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Sinus-Sociovision GmbH 2008: 2).

Abbildung 4: Kulturelle Präferenzen und Gewohnheiten (LDS NRW/Cerci 2008b: 7)

Page 19: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

14

Migration und Kultur 1

Im Rahmen dieser Arbeit sind besonders die Ergebnisse hinsichtlich der Nutzung von Kunst und

Kultur von Interesse. Hier wurde festgestellt, dass diese ebenfalls nicht von der

Herkunftskultur abhängig, sondern je nach Milieu verschieden ist. Innerhalb dieser Milieus

lassen sich kulturelle Präferenzen und Gewohnheiten festlegen. Um einen Einblick in die

Vielfalt der Milieus zu erlangen, sollen diese im Folgenden in Hinblick auf kulturelle

Präferenzen und Kulturnutzung vorgestellt werden (vgl. LDS NRW/Cerci 2008b: 8ff): Das

religiös-verwurzelte Milieu ist eher in der Volkskultur verankert. Personen aus diesem Milieu

besuchen gerne heimatliche Musik, Tanz-, Literatur- und Theaterveranstaltungen. Religiöse

Angebote sind hier interessant und die Personen gehen zu ethnisch geprägten Kulturzentren.

Im Bereich der kulturellen Bildung präferieren die Befragten Kursangebote der

Volkshochschule. Im traditionellen Gastarbeitermilieu orientiert man sich ebenfalls eher an der

Kultur des Herkunftslandes. Besonders das Streben nach Harmonie und Geborgenheit ist für

den Kulturkonsum entscheidend, das heißt gefühlvolle und unterhaltende Angebote wie

Liebes- und Abenteuerromane oder Komödien werden vorgezogen. Es gibt wenig Zugang zum

deutschen Kulturleben. Die Begegnung mit deutscher Kultur geschieht eher durch die Nutzung

deutscher Medien. Traditionen der Herkunftskultur wie Musik, Tanz und Esskultur werden

gepflegt. In diesem Milieu befürworten die Befragten den Kunst- und Musikunterricht an der

Schule und sie sind an Weiterbildungsangeboten interessiert. Im statusorientierten Milieu

haben die Personen eher eine Konsumeinstellung gegenüber Kunst und Kultur, da diese zu

Unterhaltungs- und Entspannungszwecken genutzt wird. Auch die Angebote mit Bezug zur

Herkunftskultur sind für die Angehörigen dieses Milieus wichtig. Neben der Affirmation des

Kunst- und Musikunterrichtes an Schulen und der Förderung der Kinder, wird kulturelle

Aktivität als beeinflussend für beruflichen und sozialen Erfolg betrachtet. Personen des

entwurzelten Milieus haben meist wenig Interesse am Hochkulturangebot. Kulturprogramme

aus dem Bereich der Populärkultur entsprechen eher ihren Präferenzen. Besonders Fernsehen

wird hier intensiv genutzt. Als wichtige Anlaufstellen wurden von diesen Befragten kulturelle

Zentren und Gemeinden der Herkunftskultur benannt. Im Gegensatz dazu ist das intellektuell-

kosmopolitische Milieu durch vielfältige kulturelle Interessen geprägt. Kunst und Kultur sind

selbstverständlicher Bestandteil des Lebensalltags. In diesem Milieu finden sich viele

Kunstschaffende. Die Personen sind außerdem besonders musikinteressiert. Die Kulturnutzung

erfolgt gerne und oft und die Befragten engagieren sich im kulturellen Bereich. Weiterhin

werden Bibliotheken, VHS, Kunst- und Musikschulen gerne genutzt und für die Schulen wird

mehr musische Bildung gefordert. Die Verortung jüngerer Menschen liegt häufig im adaptiven

Integrationsmilieu. Sie haben eine offene Einstellung zu vielfältigen Angeboten und haben

Page 20: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

15

Migration und Kultur 1

besonders hohes Interesse für interkulturelle Events und Veranstaltungen. Generell

bevorzugen die Personen eher positiv stimmende Produktionen, so etwa solche mit Bezug zu

Liebe und Romantik. Sie nutzen kulturelle Angebote, darunter auch Hochkultur, jedoch ohne

Anspruch der Bildung durch das Angebot. Außerdem besuchen sie gelegentlich ethnische

Zentren, Kulturvereine und Migrantenorganisationen. Allerdings wird dabei die

Rückschrittlichkeit und Beschränkung auf Angebote der Heimat kritisiert. Darüber hinaus

nutzen sie Volkshochschulen, Bibliotheken, aber auch interkulturelle Begegnungsstätten. Die

Zugehörigen des multikulturellen Performermilieus verstehen sich oftmals als Weltenbürger.

Sie nutzen sowohl in- als auch ausländische Medien- und Kulturangebote, wobei sie keinen

bildungsbürgerlichen oder intellektuellen Ansatz verfolgen. Vielmehr konsumieren die

Personen nach dem Lustprinzip alles von Klassik bis Pop. Viele haben Vorbehalte gegen

Institutionen der Hochkultur wie Opern und Museen, aber gleichzeitig auch gegenüber

Angeboten der ethnisch geprägten Heimat- und Kulturvereine. Im achten Milieu, dem

hedonistisch-subkulturellen Milieu, interessieren sich die Personen stark für Kunst und Kultur,

allerdings nur, wenn sich das Angebot außerhalb des etablierten Kulturbetriebes verorten

lässt. Pop- und Jugendkultur, wie etwa Formen der Street Art oder experimentelles Theater,

stoßen bei diesen Befragten auf Interesse. Viele sind in diesen Bereichen auch selbst aktiv. Die

Nutzung ist abhängig von Lust und Stimmung. Musik- und Bildmedien werden besonders

intensiv genutzt. Auch die Sehnsucht nach der Heimatkultur ist ausschlaggebend für die

Kulturnutzung, wie durch den Besuch bei heimatsprachlichen Literaturabenden oder

Theateraufführungen sichtbar wird.

Insgesamt betrachtet spielt das Thema kulturelle Bildung in fast allen Milieus eine tragende

Rolle. Hier insbesondere, wenn es für Kinder angelegt ist. Ein weiteres Ergebnis zur kulturellen

Nutzung ist, dass diese nicht von der Herkunftskultur, „sondern von Bildung, Einstellungen,

sozialer Lage und Herkunftsraum (Großstadt vs. ländliche Region)“ (LDS NRW/Cerci 2008b: 42)

abhängig ist. Außerdem stellt sich heraus, dass ethnische kulturelle Zentren von sechs Milieus

genutzt werden.

Page 21: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

16

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

2. Umgang mit kultureller Vielfalt im

kulturellen Sektor

Kulturelle Vielfalt ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen ein wichtiges Thema. Zumeist wird

allerdings der Diskurs über Einwanderung durch die Betrachtung von Personen mit

Migrationshintergrund aus einer Defizitperspektive geprägt. Bemühungen um Integration

etwa, gehen in Deutschland oftmals von der Denkrichtung aus, Personen mit

Migrationshintergrund an die deutsche Gesellschaft anzupassen, anstatt die

Rahmenbedingungen der Einwanderungsgesellschaft zu ändern (vgl. Terkessidis 2008: 47). Auf

der Agenda stehen so etwa Probleme wie Sprachdefizite, patriarchale Familienstrukturen und

der Diskurs um Parallelgesellschaften (vgl. Terkessidis 2008:2).

In diesem Zusammenhang ist auch das Verständnis von Kultur entscheidend. In Wissenschaft

und Forschung wird zunehmend darauf hingewiesen, dass Kulturgruppen und Kulturkreise

nicht homogen sind, sondern dass vielmehr Pluralisierung und Individualisierung das Leben in

Zeiten der Globalisierung und Migration prägen. Im Verständnis der Migrationsprozesse wird

auf falsche Annahmen aufmerksam gemacht: Zum einen gäbe es keine „lineare und

bedingungslose Adaption an eine monolithische Aufnahmegesellschaft“ und zum anderen

keine „spezifische, unveränderliche kulturelle und ethnische Charakteristika“

(Bade/Emmer/Lucassen/Oltmer 2008: 48).

Die Veränderungen durch wachsende kulturelle Heterogenität verlangen nach neuen

Umgangsformen. In anderen gesellschaftlichen Bereichen haben sich spezielle Forschungs- und

Arbeitsfelder entwickelt, wie etwa als Konzept der Unternehmensführung Diversity

Management2 oder in der Pädagogik die Diversity Education3. In diesem Kapitel soll aufgezeigt

werden, wie der kulturelle Sektor mit migrationsbedingten Veränderungen umgeht.

2 Betrachtet Diversität als Ressource und versucht unter heterogenen Belegschaften Chancengleichheit

herzustellen und Diskriminierungen zu verhindern 3 Fordert Beteiligung von Minderheiten ein und fokussiert dabei nicht primär die Merkmale

verschiedener Gruppen, sondern die Umstände, wie Benachteiligung entstehen kann

Page 22: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

17

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

2.1 Umgang mit kultureller Vielfalt in der Kulturpolitik

2.1.1 Handlungsempfehlungen zur kulturellen Vielfalt in Europa

Wenn nun die gesellschaftlichen Entwicklungen eine größere kulturelle Heterogenität mit sich

bringen, muss diese kulturelle Vielfalt auch Teil der Kulturpolitik sein. Das gilt nicht nur für

Deutschland, sondern auch für ganz Europa. Die Bedeutung dieses Themas wird durch die

UNESCO-Konvention zu kultureller Vielfalt ersichtlich. Vielfalt ist nach dem Verständnis der

UNESCO weit gefasst, denn sie bezieht sich nicht ausschließlich auf die ethnische

Zugehörigkeit, sondern „auf die mannigfaltige Weise, in der die Kulturen von Gruppen und

Gesellschaften zum Ausdruck kommen“ (UNESCO 2006: Artikel 4). Im Gegensatz zur

bestehenden Problematisierung von kultureller Vielfalt soll diese nach der UNESCO-

Konvention als Ressource und Chance gesehen werden. Neben dem Erhalt der vielfältigen

kulturellen Ausdrucksformen hebt die Konvention z.B. auch die Förderung von Interkulturalität

hervor (vgl. UNESCO 2005: 3).

Kulturpolitik wird als Mittel betrachtet, Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe

zu verbinden. In dem internationalen Nachwuchsförderungsprogramm „U-40/Kulturelle

Vielfalt 2030“ entwickelten junge Expertinnen und Experten aus Europa unter anderem

Handlungsempfehlungen zur UNESCO-Konvention. Bei der internationalen Fachkonferenz

„Kulturelle Vielfalt – Europas Reichtum. Das UNESCO-Übereinkommen mit Leben füllen“

wurden die Ergebnisse 2007 vorgestellt. Darunter befinden sich auch Maßnahmen für die

Kulturpolitik zu Artikel 6 der UNESCO Konvention. Einige der Handlungsempfehlungen aus der

Arbeitsgruppe „Urbaner Raum und kulturelle Vielfalt 2030“ werden im Folgenden vorgestellt,

da diese Empfehlungen auf dem Hintergrund des demographischen Wandels der Gesellschaft

und dem kulturellen Pluralismus in städtischen Regionen entwickelt wurden. Diese

Handlungsvorschläge können für Regionen wie das Ruhrgebiet besonders relevant sein (vgl.

UNESCO 2007: 1ff). Zum einen wird die Zugänglichkeit von Daten und Fakten im Aktionsplan

der jungen Experten hervorgehoben. Information über Soziodemographie, kulturelle

Gewohnheiten und Vorlieben sowie die Strukturen der bestehenden kulturellen Vielfalt

werden als essenzielle Kenntnisse für Personen in Entscheidungspositionen der Politik und der

Kulturinstitutionen befunden. Auch die Entwicklung nachhaltiger Konzepte, um aktuelle

gesellschaftliche Strukturen sowie Chancen und Möglichkeiten kultureller Vielfalt zu fördern,

wurde als Handlungsempfehlung zur Konvention vorgebracht. Ein weiterer Punkt der

Handlungsempfehlung ist die Partizipation möglichst unterschiedlicher Gruppen auf allen

Ebenen des Kulturbereiches. Außerdem sollen Förderprogramme für Kunstprojekte vermehrt

Page 23: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

18

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

entwickelt werden und für jeden zugänglich sein. Demnach sollen Projekte zu Kunst und Kultur

besonders gefördert werden, die Besuchergruppen unterschiedlicher Herkunft ansprechen.

Die Einbindung künstlerischer Akteure unterschiedlicher Herkunft und die Begünstigung der

Bildung von Netzwerken zwischen verschiedenen kulturellen Einrichtungen sollen weiterhin

besonders gefördert werden. Die Öffnung öffentlicher kultureller Institutionen wurde als

weitere Handlungsempfehlung eingebracht. Die Definition und gezielte Ansprache von

unterschiedlichen Zielgruppen ist ein Vorschlag, um andere und neue Gruppen zu erreichen.

Auch die Repräsentation von Menschen unterschiedlicher Herkunft in der Personalstruktur

von Institutionen wird als wichtig hervorgehoben. Zur Öffnung der Kultureinrichtungen wird

ebenfalls eine Programmplanung als essenziell beschrieben, welche die kulturellen Interessen,

Vorlieben und Gewohnheiten unterschiedlicher Gruppen berücksichtigt. Weiterhin sollen

Künstler unterschiedlicher kultureller Herkunft gefördert werden. Die Unterstützung von

Organisationen ethnischer Gruppen oder Minderheiten durch Vernetzung der verschiedenen

kulturellen Organisationen und durch deren Zusammenarbeit mit etablierten

Kultureinrichtungen ist eine weitere Empfehlung der jungen Experten zur UNESCO-Konvention.

Auch die Gewinnung von Sponsor-Partnern unter Hervorhebung des gesellschaftlichen

Mehrwerts wie auch die positiven Auswirkungen auf das Image des Partners wurde

vorgeschlagen.

2.1.2 Umgang mit kultureller Vielfalt in Deutschland

Nachdem die vorgeschlagenen Maßnahmen zur UNESCO-Konvention vorgestellt wurden, soll

nun ein Überblick über den Umgang mit kultureller Vielfalt in Deutschland gegeben werden.

Kunst und Kultur werden in der Bundesrepublik oftmals als Mittel erachtet, um auf kulturelle

Vielfalt zu reagieren. Nach Ansicht der Enquete-Kommission leisten Kunst und Kultur sogar

einen entscheidenden Beitrag zur Integrationspolitik. Der interkulturelle Dialog, welcher auch

durch die Künste angeregt werde, könne zu gesellschaftlicher Teilhabe befähigen (vgl.

Enquete-Kommission 2007: 212). Gleichzeitig gibt es dazu kritische Stimmen, die vor einer

Instrumentalisierung der Künste warnen. Man könne zwar die Künste zu einer Sensibilisierung

für bestimmte Themen auffordern, dürfe sie aber nicht mit einem gesellschaftlichen Auftrag

überfordern, da Kunst in erster Linie nur künstlerischer Ausdruck sei (vgl. Terkessidis 2008: 49).

Andererseits kann kulturelle Vielfalt auch Wirkung auf die Künste ausüben. Im besten Fall

könne der Dialog „Quelle einer neuen Ästhetik“ (Harting in: Jerman 2008: 26) werden, wenn

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19

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

künstlerische Produkte entstehen, die den Lebensalltag der kulturellen Vielfalt nicht nur

darstellen, sondern auch Kulturen verbinden und zur Reflektion anregen.

Neben der fehlenden Einbeziehung von Personen mit Migrationshintergrund als Publikum gibt

es weitere Befunde der Enquete-Kommission im Bericht zu „Kultur in Deutschland“ zum

bisherigen Umgang in Deutschland, welche Maßnahmen unter Berücksichtigung von

kultureller Vielfalt erfordern. Die ethnische Zusammensetzung der Akteure in Kunst und Kultur

habe sich bereits geändert, wie etwa in der klassischen, philharmonischen Musik, hingegen sei

etwa das Programmangebot wenig auf die Veränderungen durch Migration abgestimmt (vgl.

Enquete-Kommission 2007: 213). Auch die Kulturbetriebe hätten sich bisher wenig auf ein

kulturell vielfältiges Publikum eingestellt, was es zu ändern gelte. In Deutschland mangele es

an Strukturen und Geld, aber auch an Visionen für eine „kultursensible Kulturlandschaft“ (vgl.

Enquete-Kommission 2007: 213), um Personen mit Migrationshintergrund adäquat ins

kulturelle Angebot mit einzubinden. Besonders bei etablierten Kulturinstitutionen würden sich

hierbei erhebliche Schwierigkeiten zeigen. Zudem wird die Kenntnis über Akteure, Strukturen,

Förder- und Finanzierungsmodelle sowie Selbstorganisationen der Migranten von der Enquete-

Kommission als wichtige Grundlage für eine zielgenaue Förderung der Interkultur genannt, an

welcher es bisher mangele (vgl. Enquete-Kommission 2007: 213).

Verfassungsrechtlich ist Deutschland ein Kulturstaat4, was bedeutet, dass für alle Bürger der

Bundesrepublik Kunst und Kultur zugänglich sein sollten. Neben dem gesellschaftlichen Auftrag

zu kultureller Vielfalt gibt es auch eine Notwendigkeit für Kulturinstitutionen, auf

Veränderungen durch Migration zu reagieren. Durch den demographischen Wandel entsteht

eine „Veralterung“ des Publikums (vgl. z.B. Keuchel 2005: 2). Aber für Kulturinstitutionen sind

nicht nur jüngere Menschen Publikum der Zukunft, sondern auch die zunehmende

Pluralisierung und Individualisierung durch Globalisierung und Migration bedeuten eine

Veränderung des Publikums. Folglich muss etwa die kulturelle Vielfalt innerhalb der

Bevölkerung berücksichtigt werden, um mehr Menschen für kulturelle Angebote zu

interessieren. Personen mit Migrationshintergrund sind ein neues Zielpublikum für

Kulturinstitutionen. Die Fokussierung neuer Besuchergruppen dient letztlich Kulturanbietern

als Legitimations- und Existenzbegründung (vgl. Siebenhaar 2007a: 4). Der Einbezug einer

breiteren Öffentlichkeit würde dem Anspruch der gesellschaftlichen Partizipation aller Bürger

gerecht werden und zudem eine Chance für den Kulturbetrieb darstellen. Um neues Publikum

einzubinden benötigt man Wissen über kulturelle Präferenzen, Gewohnheiten und Barrieren

der Zielgruppe bezüglich Kultur, um auf dieser Grundlage Anreizstrategien zu entwickeln. Neue

4 Nach Artikel 35 Einigungsvertrag (vgl. http://www.bpb.de/wissen/BJPZYZ,0,0,Einigungsvertrag.html)

Page 25: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

20

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

Methoden wie beispielsweise die im Folgenden vorgestellte Form des Audience Developments

können die Ansprache neuen Publikums im deutschen Kulturbetrieb den geänderten

Umständen anpassen.

2.2 Audience Development als Umgangsform mit kulturell diversem

Publikum

Allumfassende Strategien um Publikum für Kunst und Kultur zu gewinnen sind in

Großbritannien unter dem Begriff Audience Development durch das Department for Culture,

Media and Sports in den kulturpolitischen Leitlinien verankert. Die Umsetzung dieser Leitlinien

erfolgt über den Arts Council England als öffentliche Agentur mit seinen neun Dependancen.

Um Förderung vom Arts Council England zu erhalten muss eine Kulturinstitution nachweisen,

dass sie offensive Bemühungen zur Einbeziehung neuer Besuchergruppen betreibt. Eine

vergleichbare Verankerung innerhalb der Kulturpolitik und Kulturförderung gibt es in

Deutschland nicht. Zu den Bemühungen der Kultureinrichtungen sollte neben der Stärkung der

Rolle von Kunst und Kultur im Kampf gegen soziale Ungleichheiten die Erweiterung des

Zugangs aller Bürger zu einem facettenreichen kulturellen Leben gehören. Unter den Faktoren,

die Aufschluss über den Erfolg geben, gehört neben der ansteigenden Wichtigkeit von Kunst

und Kultur im Leben der Bevölkerung auch die Einbindung von ethnischen und kulturellen

Minderheiten (vgl. Arts Council 2003: 14). Audience Development hat seinen Ursprung nicht

nur in Großbritannien, sondern ist in der angloamerikanischen Kultur- und Forschungspraxis

weit verbreitet. In den USA ist Audience Development wegen geringer öffentlicher

Subventionierung existenzsichernd für Kultureinrichtungen.

Ziel des Audience Developments ist es, neues Publikum für Kunst und Kultur zu gewinnen. Der

Nutzer wird in den Mittelpunkt gerückt, d.h. Audience Development versteht sich als

Dienstleistung für den Rezipienten. Das bedeutet für Kulturinstitutionen offensive

Anstrengungen zu unternehmen, um neues Publikum zu gewinnen. Dabei werden Zielgruppen

fokussiert, wobei für diese Arbeit insbesondere die Zielgruppe Personen mit

Migrationshintergrund interessant ist. Vor allem soll durch das Audience Development eine

nachhaltige Beziehung zwischen Besucher und Kulturanbieter erreicht werden: „I define

audience development as the cultivation and growth of long-term relationships, firmly rooted

in a philosophical foundation that recognizes and embraces the distinctions of race, age, sexual

orientation, physical disability, geography and class” (Walker-Kuhne 2005: 10).

Page 26: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

21

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

2.2.1 Publikumsforschung als Basis des Audience Developments

“Research is the most important component of audience development, and it never stops”

(Walker-Kuhne 2005: 25). Wenn der Nachfrage des Publikums nachgegangen werden soll, ist

es unerlässlich vorher Kenntnis über die potenziellen Besucher zu erwerben. Um gezielte

Anreizstrategien entwickeln zu können, benötigt man zunächst Wissen über das Interesse an

Kunst und Kultur wie auch Informationen über die Kulturnutzung. So müssen Motive,

Wünsche, Bedürfnisse, Vorlieben und Gewohnheiten der unterschiedlichen

Bevölkerungsgruppen kennen gelernt werden. Erst so kann man Interessensgemeinschaften

innerhalb der Bevölkerung ausmachen, um sie dann gezielt anzusprechen.

In Großbritannien gibt es eine nationale Statistik, den Taking Part Survey, welcher

beispielsweise Daten zu verschiedenen Kulturinstitutionen und Besuchergruppen aufnimmt.

Hier wird unter anderem gezeigt, ob und wo sich die Besucherzahlen von bestimmten

Zielgruppen wie den ethnischen Minderheiten in Großbritannien verändert haben.

Neben solchen Statistiken gibt es weitere Forschungen bezüglich des Audience Developments

in Großbritannien. Culture on Demand wird als Beispiel zu Publikumsforschungen in

Großbritannien angeführt, da sie als Vergleich zu den Ergebnissen meiner empirischen

Untersuchung dient. Direkte Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Befragten sind zwar nicht

möglich aufgrund der abweichenden gesellschaftlichen Situation von Personen mit

Migrationshintergrund in Großbritannien und aufgrund des anderen Ursprungs der

Einwanderer in dieser Nation. Dennoch kann die Studie aufschlussreich sein, da Ähnlichkeiten

zwischen Personen mit Migrationshintergrund Auswirkung auf die Teilnahme an Kunst und

Kultur haben können. Zum einen kann die Identifikation mit der Herkunftskultur von Personen

mit Migrationshintergrund Vergleichsmöglichkeiten bieten und auch der Lebensalltag kann

womöglich in ähnlicher Weise, gleich welcher Herkunft die Personen sind, sowohl von

Einflüssen der Herkunftskultur als auch der Kultur des Aufenthaltslandes geprägt sein.

Auswirkung auf die Teilnahme an Kultur und das kulturelle Interesse haben können. Außerdem

wurde die Studie gewählt, da sie nicht von der Negativ-Perspektive ausgeht und nicht nach

Gründen der Exklusion von Kunst und Kultur sucht, sondern fragt, welche Faktoren die

Menschen dazu motivieren Kultur zu nutzen.

Die Studie wurde im Auftrag des Department for Culture, Media and Sports5 angefertigt. Die

Untersuchung richtete sich besonders auf Erkenntnisse über tendenziell kunstfernes6

5 Im Folgenden als DCMS abgekürzt.

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22

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

Publikum. Als eine der drei Prioritätengruppen wurden Personen mit Migrationshintergrund in

Großbritannien befragt. Diese wurden Black and ethnic minorities7 genannt. Die Untersuchung

bestand aus einem Literaturüberblick, einer Darstellung von Best-Practice-Beispielen und

einem Interviewteil.

Die Studie setzt an der geringen Beteiligung an Kultur von bestimmten Bevölkerungsgruppen

an. „For many, culture remains the reserve of privileged, traditional, audiences” (DCMS 2007b:

5). Um diese eher kunstfernen Bevölkerungsgruppen für Kultur zu gewinnen forscht die Studie

besonders nach Gründen, warum Kultur genutzt wird. Diese Faktoren, werden als driver of

demand benannt. Hintergründe und Barrieren bezüglich Kultur sind dabei zwei Komponenten,

die bei der Bildung von Nachfrage mitwirken. Zu der Gruppe der Black and ethnic minorities

wurde in Studien in Großbritannien bereits herausgestellt, dass diese weniger als der

Durchschnitt der Erwachsenen an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen.8 Allerdings sind sie

aktiv beteiligt an Kultur innerhalb der Community oder an Aktivitäten, die selten als kulturell

eingestuft werden.

Zu den sechs Schlüsselfaktoren, welche die Nachfrage der Prioritätengruppen nach Kultur

bestimmen, zählen Kinder und Familiennetzwerke, Kontaktpflege und soziale Netzwerke,

Identität, Ort, Erfahrung und Vertrauen (vgl. DCMS 2007a: 56). Diese nachfragebegünstigenden

Faktoren sollen im Folgenden im Hinblick auf die Prioritätengruppe BME erläutert werden.

Besonders Kinder und Familiennetzwerke beeinflussen stark die Nachfrage nach Kultur

innerhalb dieser Gruppe, da diese im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung durch einen

größeren Anteil von Kindern und Jugendlichen geprägt ist (vgl. DCMS 2007a: 57ff). In diesem

Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass Personen mit Migrationshintergrund in

Deutschland ebenfalls jünger sind als der Durchschnitt, was unter anderem mit einer höheren

Geburtenrate zusammenhängt (vgl. Bundesamt für Statistik 2006: 15). Der

nachfragebegünstigende Faktor Kinder und Familiennetzwerke kann sich in verschiedenen

Aspekten zeigen. Zum einen sind Kinder ein Grund an Kultur teilzunehmen, weil man sie

kulturell weiterbilden möchte. Auch die Institution Schule ist ein Teil der Netzwerke von

Kindern und Familien. Schulausflüge können Anstoß sein, mit der Familie erneut

6 Dieses Adjektiv beschreibt, dass Angebote der Hochkultur vor allem in etablierten Kulturinstitutionen

selten oder gar nicht besucht werden; allerdings können diese Menschen Kultur nutzen, wenn man

unter Kultur auch populäre Kulturangebote, wie etwa Kino, einbezieht 7 Im Folgenden wie in Culture on Demand als BEM abgekürzt (Abkürzung übernommen aus Studie);

Hierbei wird darauf hingewiesen, dass eine Einteilung in diese Gruppe nur unter bestimmten

Gesichtspunkten sinnvoll ist. 8 Eine ähnliche Ausgangssituation zeigt sich auch bei der Dortmunder Studie, die feststellte, dass die

Befragten mit Migrationshintergrund trotz Interesses weniger kulturelle Veranstaltungen als der

Durchschnitt besuchen (vgl. Kapitel 1.3.1)

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23

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

Kultureinrichtungen aufzusuchen. Unterstützung der kulturellen Aktivitäten des Kindes kann

ebenfalls ein Anreiz sein. Ein zusätzlicher Faktor, der begünstigt, dass man zu kulturellen

Veranstaltungen geht oder gemeinsame kulturelle Aktivitäten unternimmt, ist, Zeit mit der

Familie zu verbringen.

Ein weiterer nachfragebegünstigender Faktor, der besonders für die Gruppe BEM in

Großbritannien entscheidend war, sind die sozialen Kontakte und Netzwerke (DCMS 2007a:

61ff). Darunter ist etwa Socialising zu verstehen, also der Umstand, dass man andere

Menschen trifft und mit ihnen Kontakte knüpft beziehungsweise pflegt. Dieser Aspekt ist in

Großbritannien ein besonders zentraler Faktor für die Gruppe BME für kulturelle Events, wie

etwa Festivals, Konzerte und religiöse Feiern.

Der Dritte der Faktoren, welcher Einfluss auf die Nutzung kultureller Angebote hat, ist der

Studie zufolge die Identität (vgl. DCMS 2007a: 65 ff). „The interaction of an arts experience

with the attendee’s identity, sense of self, personality, etc. is a vital element related to both

perception and experience” (Yoshitomi 2000: 3). Persönliche Relevanz, d.h., wenn eine

Verknüpfung zwischen dem kulturellen Angebot und dem persönlichen Hintergrund und

Interesse des Individuums gegeben ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kultur genutzt

wird. So werden insbesondere von der Gruppe der ethnischen Minderheiten kulturelle

Ausstellungen, Performances, Events, die persönliche Bedeutung tragen, eher genutzt. Auch

die Ansicht, dass ein kulturelles Erlebnis in Verbindung zur eigenen kulturellen Identität steht,

vergrößert das Interesse an kulturellem Angebot. Identität verbunden mit Themen der

Ethnizität, Identitätspolitik und ebenfalls der Bezug zur Hybridität von Identitäten kann die

Kulturnutzung von Personen der BME beeinflussen. Beim Inhalt des kulturellen Programms

wird ein Bezug zu Herkunftskulturen vorgezogen, allerdings muss dieser nicht spezifisch auf

eine Kultur gerichtet sein. Kulturspezifische Events haben insbesondere in der älteren

Generation der BEM größere Bedeutung. Für die jüngeren Menschen innerhalb der Gruppe

BME ist es hingegen entscheidend, dass die Angebote hybride Identitäten widerspiegeln.

Darüber hinaus ist die Möglichkeit, aktiv der eigenen Identität Ausdruck zu verleihen, ein

Faktor, der eine Teilnahme am Kulturbetrieb begünstigt. Die Identifikation mit anderen

Menschen bei Kulturangeboten kann ein Gefühl des Dazugehörens stärken und so die

Kulturnutzung begünstigen.

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Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

Der Ort ist ein zusätzlicher Faktor, der motivieren oder daran hindern kann, Kultur zu nutzen

(vgl. DCMS 2007a: 74ff). Da Menschen generell wenig Zeit9 und Energie haben, ist die

Situierung der Veranstaltung wichtig. In Großbritannien gehören viele Gruppenmitglieder der

BEM zur sozial schwächeren Schicht, deshalb ist die Situierung besonders von Bedeutung.

Weiterhin regen kulturelle Formen, die lokalen Bezug haben, verstärkt zu Partizipation und

dem Besuch kultureller Veranstaltungen an. Außerdem wird unter diesen

nachfragebegünstigenden Faktor das Alltagsleben untergeordnet: „There is evidence to

suggest that having cultural experiences which are integrated into other aspects of daily life

acts as a driver of demand for this group” (DCMS 2007: 76).

Ein weiterer nachfragebegünstigender Faktor ist die Erfahrung (vgl. DCMS 2007a: 77). Positive

Erfahrungen mit Kultur, insbesondere im Kindheitsalter, gewährleisten nach der Studie, dass

Kultur vermehrt genutzt wird. Die kulturellen Aktivitäten von Kindern sollten deshalb laut der

Studie von Institutionen gefördert werden, da dies nachhaltige Folgen für ihre Kulturnutzung

hat.

Der letzte Faktor, der die kulturelle Nachfrage beeinflusst, ist Vertrauen (vgl. DCMS 2007a:

81ff). Dazu gehört zum einen das Vertrauen in die Kulturanbieter. Ein Ergebnis der Studie ist,

dass Menschen der BEM eher Misstrauen gegenüber etablierten Institutionen hegen. Darüber

hinaus ist die Mundpropaganda ein wichtiges Mittel Vertrauen zu schaffen, besonders für

diese Zielgruppe.10 Persönliche Empfehlungen können die Teilnahme an Kultur erhöhen.

Außerdem seien lokale und kulturbezogene Medien als Kommunikations- und

Marketingmedien insbesondere für Menschen höheren Alters der ethnischen Gemeinschaften

zu empfehlen. Personen mit geringen englischen Sprachkenntnissen können etwa durch

anderssprachige Fernsehsender eher erreicht werden.

2.2.2 Vorgehensweise des Audience Developments

Beim Audience Development werden vielfältige Strategien zur Gewinnung der Zielgruppe als

Publikum für Kunst und Kultur entwickelt. Auf Grundlage der nachfragebegünstigenden

Faktoren der Studie Culture on Demand wurden Taktiken zur konkreten Umsetzung

vorgeschlagen (vgl. DCMS 2007a: 90/91). Zu den Strategien gehört zunächst die

9 Zeit wird auch als größte Barriere zur Kulturnutzung in der Dortmunder Studie angegeben (vgl. Kapitel

3.1.1) 10

Auch aus der Dortmunder Studie ergab sich, dass Gespräche mit Freunden und Bekannten die

wichtigste Informationsquelle ist für Personen mit Migrationshintergrund (vgl. 3.1.1)

Page 30: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

25

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

Publikumsforschung mit existierenden Zielgruppen. Um nur einige weitere Strategien zu

nennen, die bedeutsam für folgende Untersuchung sein können, soll hier beispielsweise die

Kontextmanipulation genannt werden. Darunter ist zu verstehen, Kultur außerhalb von

traditionellen Situationen stattfinden zu lassen, etwa an ungewöhnlichen Orten, wie Plätzen

des Alltags oder Orte innerhalb der Communities. Partizipation ist auch als Strategie zu

verstehen, durch die weitere soziale Netzwerke erreicht werden können. Dazu müssen

Möglichkeiten zur aktiven Teilnahme geboten werden. Eine weitere Strategie sind kulturelle

Botschafter, also Repräsentanten der Gemeinschaften, welche Aufmerksamkeit und Vertrauen

innerhalb der Gemeinschaft schaffen. Um ein breiteres Publikum zu erreichen, sollte man sich

der Strategie des thematischen Ansatzes bedienen und möglichst allumfassende Themen

wählen. Eine unter weiteren Strategien ist die Taktik, existierende Netzwerke zu nutzen. Das

bedeutet in Kooperation mit Gemeinschaften und sozialen Netzwerken zu initiieren oder die

Netzwerke zu nutzen, um die Nachfrage zu steigern.

Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass sich das Audience Development allumfassender

und ganzheitlicher Methoden bedient. Kulturmarketing und Kulturvermittlung werden

gleichermaßen eingebunden. Kulturmanagement werden hierbei gestalterische und

vermittelnde Funktionen zugeschrieben. Durch direkte und indirekte Vermittlung wird eine

Beziehung zum Rezipienten aufgebaut. Kulturvermittlung erfolgt direkt, z.B. durch

pädagogische Angebote, die ein Verständnis für die Kunst beim Rezipienten entwickeln wollen.

Kulturmarketing andererseits kann ebenfalls Vermittlungsaufgaben übernehmen, wenn auch

indirekt. Durch die Mittel des Kulturmarketings, welche das Produkt und den Rezipienten auf

bestimmte Weise in Beziehung setzen, werden die Erwartungshaltung sowie das Verständnis

beim Rezipienten geprägt (vgl. Mandel 2008: 47). Diese Form der dialogischen Vermittlung

kann Nachhaltigkeit sichern (vgl. ebd.). Durch direkte Zielgruppenansprache kann im Rahmen

des Audience Developments ein adäquater Zugang zu Kunst und Kultur für unterschiedliche

Zielgruppen geschaffen werden. Eine Interessengemeinschaft muss definiert und identifiziert

werden. Um so eine bestimmte Gruppe anzusprechen, findet im Audience Development

gezielte Gestaltung, Positionierung, Kommunikation, Vertrieb und Vermittlung (vgl. Mandel

2008: 47) statt. Konkret müssen etwa die Preisgestaltung sowie die Programmgestaltung auf

das Zielpublikum abgestimmt sein. Auch zusätzliche Dienstleistungen wie etwa ein Shuttle-

Service zur Veranstaltung können angeboten werden. Im Bereich der Vermittlung können

beispielsweise Programme mit Schulen durchgeführt werden. Für die Ansprache der ethnisch

Page 31: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

26

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

geprägten Communities sind so genannte Keyworker11 nach britischem Vorbild interessant, da

diese eine Verbindung zwischen den Gemeinschaften und Kulturinstitutionen sein können.

2.2.3 Einbezug kultureller Vielfalt am Beispiel des New Audiences Programms

Kulturelle Vielfalt ist für das Kulturprogramm in Großbritannien von großer Bedeutung. Von

2003-2006 legte der Arts Council innerhalb seines Manifestes Ambitions for the Arts als einen

von fünf zentralen Punkten fest: “Place cultural diversity at the heart of our work” (Arts Council

2003: 2). In diesem Zusammenhang ist auch das New Audiences Programm von Interesse,

welches zwischen 1998 und 2003 stattfand. Das Programm hatte zum Ziel, möglichst viele

neue Besuchergruppen zu gewinnen, darunter auch speziell die ethnischen Minderheiten in

Großbritannien. In diesem Sinne sollten Barrieren abgebaut werden und neue Möglichkeiten

für die Einbeziehung von Menschen geschaffen werden, wie etwa durch Veranstaltungen an

ungewöhnlichen Orten. Es wurden alle Kunstformen gefördert. Institutionen konnten sich mit

Best-Practice Modellen bewerben. Außerdem waren eine Vernetzung der Organisationen

untereinander und ein Erfahrungsaustausch über die Projekte Ziel des Programmes. Gefördert

wurden auch Evaluation und Forschung zu den Kulturprojekten (vgl. Arts Council

England/Johnson 2004: 1).

Innerhalb des Programmes wurde Vielfalt unter dem Punkt New Audiences and diversity

einbezogen (vgl. Arts Council England/Johnson 2004: 91ff). Hier wurden über vier Millionen

Pfund, über ein Fünftel des Gesamtbudgets, in Projekte zu kultureller Vielfalt investiert. Zur

Durchführung des Programms wurden Forschungen zu Motivationen, Barrieren und Chancen

zu Kultur von diesen kulturellen Minderheiten herangezogen, um daraus Strategien zur

Publikumsgewinnung ziehen zu können. Neben dem Ziel, ein kulturell diverses Publikum für

Kunst und Kultur zu etablieren, war es ebenso ein Anliegen, neues Publikum für interkulturelle

Arbeiten zu gewinnen und die Selbstdarstellung von künstlerischen Arbeiten zu kultureller

Vielfalt zu stärken (vgl. Arts Council England/Johnson 2004: 91). Um nur eins der Projekte zu

nennen, welches durch das New Audiences Programm initiiert wurde, soll hier das Projekt Self-

Portrait UK genannt werden. Dieses Programm gewann den Royal Television Society Award. Im

Vereinigten Königreich wurde dazu aufgerufen, ein Selbst-Portrait anzufertigen, woraufhin sich

8000 Personen meldeten. Ergebnis waren 12 Kurzfilme, die auf einem englischen

Fernsehsender ausgestrahlt wurden, in der Hauptrolle 12 Personen aus der Bevölkerung.

11

Keyworker agieren als Vermittler zwischen Institution und Publikum. Sie können beruflich oder

ehrenamtlich tätig sein, sind jedoch nicht an der Kultureinrichtung angestellt. Ihre Kenntnis über die

Kulturinstitution sowie über die Gemeinschaft zeichnet sie aus (vgl. Siebenhaar 2007b: 6).

Page 32: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

27

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

Außerdem gab es eine Tour der Ausstellung der Selbst-Portraits durch das Vereinigte

Königreich.

2.2.4 Publikum in Deutschland

Kulturelle Vielfalt wird innerhalb von Hochkulturangeboten wenig berücksichtigt. Oftmals

finden interkulturelle Projekte eher im soziokulturellen Bereich statt. Ebenso werden Personen

mit Migrationshintergrund als Zielpublikum in Deutschland bisher wenig beachtet. Um diese

einzubeziehen wird etwa „interkulturelle Öffnung“ auch für Kulturinstitutionen gefordert:

„Dabei handelt es sich um einen manchmal schmerzhaften, aber auch höchst kreativen Prozess,

in dem sich die Institutionen im Sinne eines Mainstreaming befragen müssen, inwiefern sie die

Vielfalt in der Gesellschaft, also die unterschiedlichen Hintergründe, Voraussetzungen,

Herangehensweisen etc. im normalen Betrieb berücksichtigen (vgl. Terkessidis 2007).“

Allerdings werden nicht nur Personen mit Migrationshintergrund als Zielpublikum wenig

berücksichtigt in Deutschland, sondern Audience Development wird in Deutschland bislang

generell wenig angewandt. Kulturmanagement versteht sich hier eher als Dienstleistung für

die Kunstproduktion und nicht für den Rezipienten (vgl. Mandel 2008: 47). Außerdem

befürchtet man einen Qualitätsverlust des künstlerischen Angebotes durch den Wechsel einer

Angebotspolitik zu einer Nachfragepolitik. Positive Erfahrungen mit Audience Development

aus Großbritannien sowie den USA widerlegen jedoch diese Befürchtung. So kann Audience

Development als gesellschaftlicher Mehrwert betrachtet werden.

Nach Siebenhaar muss es in Deutschland noch weitere Veränderungen geben. So müssen sich

etwa die etablierten Kulturinstitutionen mehr an den Rezipienten anpassen und ganzheitliche

Strategien verwenden, um die Nutzer einzubinden (vgl. Siebenhaar 2007b: 7). In Zukunft muss

auch die Kulturmarktforschung flächendeckender und kontinuierlicher stattfinden. Ebenso

muss eine zunehmende methodische Professionalisierung angestrebt werden. In Deutschland

steckt die Kulturmarktforschung noch in den Kinderschuhen (vgl. Siebenhaar 2007b: 8). Zudem

gibt es eine Notwendigkeit für eine größere Bereitschaft zu ungewöhnlichen Allianzen und

Partnerschaften, wie etwa Community Programme. In Deutschland findet Besucherforschung

schon in jeder zweiten öffentlichen Institution statt und wird stetig bedeutsamer (vgl.

Siebenhaar 2007a: 5).

Im Folgenden sollen einige Einblicke in die Publikumsforschung in Deutschland gegeben

werden. Im späteren Vergleich mit den Auswertungen meiner Untersuchung können die

Page 33: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

28

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

zentralen Ergebnisse der folgenden Studien herausstellen, welche Kategorien und

Besonderheiten spezifisch für Personen mit Migrationshintergrund sind. Dabei handelt es sich

um das KulturBarometer, ein bundesweites Forschungsprojekt, sowie um eine Studie, welche

von der Universität Hildesheim in Zusammenarbeit mit ACADEMIC DATA Essen und der

RUHR.2010 im Ruhrgebiet durchgeführt wurde. Es werden lediglich Ausschnitte der Studien

präsentiert, welche relevant für meine Untersuchung sein können.

Das KulturBarometer ist eine bundesweite Studie zu Kunst und Kultur, welche vom Zentrum

für Kulturforschung seit 1990 regelmäßig durchgeführt wird. Bisher wurden Personen mit

Migrationshintergrund in den Statistiken nicht gesondert dargestellt, mit Ausnahme des

Jugend-Kulturbarometers 200612. Zentrale Ergebnisse des siebten und achten

Kulturbarometers sollen vorgestellt werden.

Das siebte Kulturbarometer hatte als Schwerpunktthemen kulturelle Bildung und neue

Medien. Zu den zentralen Ergebnissen gehört, dass eine höhere Schulbildung mit

durchschnittlich höherer künstlerischer, besonders musikalischer Aktivität in Verbindung steht.

Unter „Bedeutung kultureller Aspekte für die Lösung staatlicher und gesellschaftlicher

Probleme“ (vgl. ZfKf 2002: 2) ist es unter Berücksichtigung der Thematik der kulturellen Vielfalt

besonders aufschlussreich, dass bei 80 Prozent der 25-49 Jährigen Völkerverständigung als

Aspekt angegeben wurde. Vorrangstellung nahm jedoch Bildung/Erziehung als Bedeutung

kultureller Aspekte mit 86 Prozent ein. Zudem wurde nach Gründen für fehlendes Interesse

befragt. Fast die Hälfte der Befragten gab an, das kulturelle Angebot sei langweilig und 40

Prozent meinten, es sei nicht ansprechend. Das kulturelle Interesse der Befragten war 2001 am

stärksten für Musik mit 38 Prozent, gefolgt von Film mit 34 Prozent zu Theater/Kabarett mit 20

Prozent. 2001 nutzten 69 Prozent der Befragten das Internet, vor allem für E-Mails, gefolgt von

Information, Unterhaltung und Einkauf. Außerdem wurde in der Studie ein positives Image zu

kultureller Bildung herausgestellt.

Beim achten KulturBarometer von 2004/2005 wurden 2035 Personen ab 14 Jahren befragt.

Der Fokus lag vor allem auf der Musik. Es wurde herausgefunden, dass unter der Definition für

Kunst und Kultur musikalische Darbietungen am häufigsten genannt wurden. Ebenfalls stach

eine Beliebtheit der musikalischen Angebote unter den kulturellen Erlebnissen heraus. Zum

Befragungszeitpunkt hatten sogar zwei Drittel der Befragten mindestens einmal im Jahr ein

Musikkonzert besucht. Durch die Studie wurde eine Tendenz zur Alterung des Publikums von

klassischer Musik deutlich. Für diese konnten sich weniger jüngere Befragte begeistern,

12

Auf das Jugend KulturBarometer wird in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen, da für meine

Untersuchung Ergebnisse zu Erwachsenen relevant sind.

Page 34: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

29

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

allerdings wurde festgestellt, dass zunehmend ältere Personen Rock- und Popkonzerte

besuchen. Dennoch wurde von vielen Nicht-Nutzern die Existenz der Kulturhäuser als

Bereicherung angesehen. Nach Susanne Keuchel sollten Musiktheater und Orchester „diese

Akzeptanz zum Anlass nehmen, die Bevölkerungsgruppen, die diese Angebote bisher nicht

genutzt haben, gezielt als potentielle Besucher anzusprechen“ (Keuchel 2005: 2). Außerdem

wurde der Bildungswert von kulturellem Angebot vor allem für Kinder von Eltern

hervorgehoben.

Unter dem Titel „Kulturelle Partizipation im Ruhrgebiet“ fertigte das Institut für Kulturpolitik

an der Universität Hildesheim in Zusammenarbeit mit der RUHR.2010 GmbH und mit

ACADEMIC DATA Essen eine empirische Studie an (Mandel/Timmerberg 2008: 1ff). Ziel der

Studie war es, Kenntnis über kulturelle Präferenzen und Gewohnheiten der Bürger des

Ruhrgebietes sowie über deren Wünsche und Erwartungen zum Kulturhauptstadtjahr 2010 zu

erlangen. Neben diversen qualitativen Herangehensweisen der Universität Hildesheim wurde

ACADEMIC DATA Essen mit einer quantitativen Befragung beauftragt. Probanden waren

Bürger im Ruhrgebiet.

Die Befragten gaben an, sich mit dem Ruhrgebiet zu identifizieren, wünschten sich aber

dennoch einen Imagewandel. So konnten sie sich etwa nicht vorstellen, dass das Ruhrgebiet

für Außenstehende, wie etwa Touristen, interessant sein könnte. Weiter war ein Ergebnis der

Studie, dass die Befragten Kultur zumeist als Hochkultur begriffen. Kultur wurde

gesellschaftliche wie auch persönliche Relevanz zugesprochen. Als Interessensschwerpunkte

konnten bei den Befragten Theater, Museen und Ausstellungen wie auch Stadtteil-, Vereins-

und Volksfeste ermittelt werden. Allerdings differierten die Angaben zur reellen

Kulturnutzung. Unter den am häufigsten genutzten Kulturangeboten wurde vor allem das Kino

genannt. Als Gründe für Kulturnutzung wurden soziale Motivationen angegeben. 30 Prozent

der Befragten gaben an, dass ein schönes Erlebnis mit Freunden, Familie und Partner wichtig

sei. Auch eine ungezwungene Atmosphäre kann Kulturnutzung begünstigen. Weitere 16

Prozent gaben an, das Erlebnis von etwas Besonderem sei Grund für die Nutzung kultureller

Angebote. Außerdem wurden Barrieren zur Teilnahme an kulturellem Angebot

herausgefunden. Neben Zeit (39 Prozent) und Geld (23 Prozent) gaben sieben Prozent der

Befragten als Grund für die Nicht-Nutzung von Kultur an, dass das Angebot nicht passend sei.

Als weiterer Hinderungsgrund wurde die Mobilität erwähnt. Nur etwa ein Viertel der Befragten

besuchte kulturelle Veranstaltungen außerhalb ihres Wohnortes. Unter den Wünschen für die

kommende Kulturhauptstadt RUHR.2010 wurde neben Veränderungen innerhalb der

Metropole Ruhr auch eine bessere Zugänglichkeit und eine Fokussierung bestimmter Gruppen

Page 35: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

30

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

wie ältere Menschen und Personen mit Migrationshintergrund für das kulturelle Angebot

gewünscht. Als meistgenannte Wünsche für die Kulturhauptstadt stellten sich der Wandel hin

zu einem positiveren Image der Region von 93 Prozent der Befragten sowie der Wunsch nach

mehr Angeboten für Kinder und Jugendliche mit 94 Prozent heraus. Festzuhalten ist

außerdem, dass sich innerhalb der Studie zeigte, dass die Bevölkerung bereit ist, sich selbst

kulturell für das Kulturhauptstadtjahr zu engagieren.

2.3 Umgang mit kultureller Vielfalt im Bundesland NRW

Im „Nationalen Aktionsplan Integration“ der Bundesregierung wird das Bundesland

Nordrhein-Westfalen aufgrund seiner kulturpolitischen Bemühungen hinsichtlich des

Umgangs mit kultureller Vielfalt hervorgehoben (vgl. Harting in: Jerman 2007: 24). Die

Kulturpolitik des Landes NRW sah sich ebenfalls in der Verantwortung, zur Umsetzung des

UNESCO-Übereinkommens zur kulturellen Vielfalt beizutragen. Interkultur steht bei der

Landesregierung NRW bereits seit 2002 auf der Agenda. „Wir suchen neue Zugänge, vor allem

solche, die die integrierende Wirkung der Künste und Kulturen aufspüren. Keine andere

Landeskulturpolitik nutzt bislang diese kreativen Potenziale“ (Harting in: Jerman 2007: 24).

Im Rahmen solcher besonderen Maßnahmen der Landesregierung wurde etwa das

„Datenforschungsprojekt Interkultur“ initiiert. Dabei wurde eine Bestandsaufnahme zum

Thema Interkultur durchgeführt und Interviews mit Experten für Interkultur geführt (vgl. Cerci

in: Jerman 2007: 51). Es wurde herausgestellt, dass noch weitere Forschungen betrieben

werden müssen. Das für die Bundesrepublik einmalige Strukturprojekt „Kommunales

Handlungskonzept Interkultur“ wurde in sechs Pilotstädten angelegt. Dazu wurden erste

Ergebnisse 2006 auf der Tagung „Inter:Kultur:Komm“ in Essen präsentiert. So konnte das

Bundesland Best-Practice Modelle vorstellen.

Geleitet wurde die Überlegung zur Entwicklung solcher Handlungskonzepte zum einen durch

den Gedanken der Partizipation aller Bürger an Kultur. Außerdem sollte eine Analyse des

Wechselverhältnisses Kultur und Demografie durchgeführt werden (vgl. Harting in: Jerman

2007: 23ff). Es sollte ein Beitrag dazu geleistet werden herauszufinden, in welchen

Lebenswelten13 Personen mit Migrationshintergrund leben, da diese größere

Gemeinsamkeiten unter den Menschen schaffen als gleicher ethnischer Hintergrund.

Ausgangspunkt war auch das Anerkennen der Vermischung der Kulturen. Weiterhin wollte

13

Auf Basis der Sinus-Milieus

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31

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

man motivierende Impulse und Unterstützung für öffentlichen Kulturbetrieb schaffen. Diese

sollten vor allem neues Publikum ansprechen und durch künstlerische Produktionen sichtbar

machen, was durch die Vermischung der Kulturen entsteht. „Eine so verstandene

Transkulturalität ist Ausdruck gesellschaftlicher Realität mit all ihren Chancen und Ängsten im

Umgang mit einer international gefärbten Bevölkerung und einer Pluralisierung von

Kulturverständnissen“ (Harting in: Jerman 2007: 26). Neben dem „Kommunalen

Handlungskonzept Interkultur“ wurde ebenfalls eine „Projektbegleitende Professionalisierung

des interkulturellen Kunst- und Kulturmanagements im Rahmen der Kulturhauptstadt Europa

RUHR.2010“ initiiert.

2.3.1 Essen als Pilotstadt des „Handlungskonzepts Interkultur“

Die Stadt Essen hat im Zuge dieses Handlungskonzeptes Handlungsempfehlungen aufgestellt,

welche im Folgenden erörtert werden sollen. Die erste Handlungsempfehlung betrifft die

„Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins und Vernetzung der interkulturellen Kulturarbeit

unter Einbindung aller kulturellen Institutionen der Stadt“ (vgl. Thetard in: Jerman 2007: 143).

Darunter ist als Kernpunkt das türkisch-deutsche Literaturfestival LiteraTürk vertreten. Da

dieses als Kooperationsprojekt zwischen diversen Akteuren im Bereich Literaturvermittlung

und mehreren kulturellen Institutionen in der Stadt Essen jährlich stattfindet, wurde es als

Ausgangspunkt für eine Erweiterung gewählt. Es sollen weitere Partner gewonnen werden und

als Projekt für die Kulturhauptstadt zu MetropoLit-Literatur der Kulturen werden. Durch die

verschiedenen Kooperationspartner soll, wie bereits jetzt schon im Kleinen existent, noch eine

stärkere Ressourcenbündelung stattfinden, indem man etwa gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit

betreibt. Das Festival soll zu einem nationalen, vielleicht sogar internationalen Festivalverbund

erhoben werden. Eine Zusammenarbeit mit der türkischen Kulturhauptstadt Istanbul 2010

wird angestrebt, auch um den Schwerpunkt der türkischen Literatur zu stützen. Darüber

hinaus wird aber auch die Öffnung zu Literatur anderer Nationen angestrebt.

Die zweite Handlungsempfehlung beschäftigt sich mit der „Durchführung einer Evaluation von

Stammdaten zur besseren Einschätzung der Lage als Grundlage für

Entwicklungsmöglichkeiten“ (vgl. Thetard in: Jerman 2007: 144). Auch hier wird deutlich, dass

die Informationen und Kenntnisse im interkulturellen Bereich ausgeweitet werden sollen.

Außerdem empfiehlt die Stadt Essen eine „Etablierung der interkulturellen Kulturarbeit durch

Nutzung der vorhandenen Ressourcen und Schaffung neuer Angebotsstrukturen“ (vgl. Thetard

in: Jerman 2007: 144). Hier sollen die bestehenden Strukturen genutzt und erweitert werden.

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32

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

Beispielsweise soll ein bestehender Kulturpreis zum interkulturellen Kulturpreis werden. Auch

bestehende Kulturveranstaltungen wie etwa das Stadtfestival Essen Original sollen in Zukunft

interkulturelle Veranstaltungspunkte integrieren. Die Stadt soll unterstützend für

Kooperationspartner sein, so etwa für Vertreter der freien Szene, indem sie ihnen städtische

Veranstaltungsräume kostenlos zur Verfügung stellt.

In den Fokus rücken Jugendliche und Kinder mit Migrationshintergrund bei der Kooperation

des Museum Folkwang und der Universität Duisburg-Essen Sprache durch Kunst. Dabei wird

der Museumsbesuch neu erlebt, denn es soll nicht nur Führungen geben, sondern die

Beteiligten sollen über Kunst sprechen und so durch die Beschäftigung mit komplexen und

ästhetischen Sujets ihre Ausdrucksmöglichkeiten steigern. Zunächst ist dieses Projekt für

Kinder und Jugendliche türkischer Herkunft geplant, danach sollen aber auch andere Kulturen

eingebunden werden.

Unter der letzten Handlungsempfehlung „Kulturelle Bildung und Partizipation am Prozess“ ist

beispielsweise ein Runder Tisch mit Experten aus der interkulturellen Kulturarbeit, aus der

Integrationspolitik, dem Kulturbeirat wie auch Kulturschaffenden und Kulturwissenschaftlern

initiiert worden. Hier geht es nicht nur um Beratungen über kulturelle Bildung in der Schule,

wie etwa durch Weiterbildungen von Lehrern, sondern auch Gesprächsrunden zur Förderung

des interkulturellen Dialoges und internationaler Begegnungen gehören zum Runden Tisch. So

wurden etwa bei einem Treffen 2007 zu dem Projekt TWINS2010 der Kulturhauptstadt

mögliche Projekte vorgestellt und von einer Jury ausgewählt (vgl. Thetard in: Jerman 2007:

145).

2.3.2 Beispiele künstlerischer Umsetzungen zu kultureller Vielfalt

Um einen Einblick in die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten zu bekommen, sollen nun

einige Beispiele von Projekten aufgezeigt werden, welche kulturelle Vielfalt künstlerisch

umsetzen.

2004 haben die Künstlerinnen Reinhart und Verkerk das Kunstprojekt Sehnsucht nach Ebene 2

in der Stadt Hagen initiiert. Motivation war die Veränderung der Altenhagener Brücke. Diese

galt als städtebauliches Ärgernis (vgl. www.sehnsuchtnachebene2.de) und trennt das Viertel

Altenhagen vom Zentrum der Stadt Hagen. Der Stadtteil Altenhagen ist geprägt von der

kulturellen Vielfalt der Einwohner. Die Künstlerinnen involvierten die Frauen, die dort leben,

indem sie Interviews mit ihnen führten über ihre Herkunft und über ihre Träume und

Page 38: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

33

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

Sehnsüchte. Auch ihre Erinnerungen sollten die Interviewpartnerinnen beschreiben und ihnen

Farben zuordnen. Diese „Farben der Erinnerung“ sind Teil des Brückenprojektes. In diesen

Farben wurde die Brücke bemalt und davor wurden Leuchtschriften aus Neonröhren mit dem

Wort Brücke in zwanzig Sprachen angebracht. Dadurch wird die Brücke Symbol für die

Verbindung der Kulturen und macht auf den Stadtteil aufmerksam, der hinter der Brücke liegt.

Unter dem Titel 1km² Stadt erstellte Uta Badura zudem eine Filmdokumentation zu den

Gesprächen der Künstlerinnen mit den Anwohnerinnen. Bei dem Projekt Local heroes14,

welches im Rahmen von RUHR.2010 auch in der Stadt Hagen stattfinden wird, wird die Brücke

im Mittelpunkt stehen. Die Deutsche UNESCO-Kommission hat mittlerweile die

Schirmherrschaft übernommen. Außerdem gab das Projekt Anstoß zu weiteren künstlerischen

Auseinandersetzungen mit dem multiethnischen Stadtteil.

Am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel wurden die Theaterstücke Almanya und

die Nachfolgeinszenierung Schwarze Jungfrauen Anlass zur Auseinandersetzung mit Themen

zur Migration und kulturellen Identitäten. Ähnlich dem Stück Almanya, welches auf Koppstoff

von Feridun Zaimoglu basiert, übernahm auch Schwarze Jungfrauen Texte aus Interviews des

Autors als Grundlage für ein Theaterstück. Während die Texte Zaimoglus zu Almanya auf

Interviews mit türkischstämmigen Frauen Ende der 90er über ihr Leben, ihre Probleme, ihre

Sehnsüchte und Erfahrungen im Alltag beruhen, waren Interviews mit muslimischen Frauen

von 2006 die Grundlage für Schwarze Jungfrauen. Bei beiden Projekten wurden Kooperationen

mit Schulen initiiert, um die Kommunikation zwischen Jugendlichen unterschiedlicher

ethnischer Herkunft anzuregen. Die Themen konnten von den Lehrern im Unterricht

weitergeführt werden. Auch andere Kultureinrichtungen wurden kontaktiert. Ziel war

„Auseinandersetzungen zu provozieren und Dialoge zu ermöglichen“ (Scholze in Jerman: 2007:

184). Schwarze Jungfrauen wurde vom Land NRW gefördert.

Das migration-audio-archiv wurde durch Sefa Inci Suvak und Justus Herrmann ins Leben

gerufen. Innerhalb dieses Hörarchivs werden kollektive Erinnerungen von Migranten in

Deutschland präsentiert. Es wurden etwa 100 durchgehende Erzählungen von Migranten und

Migrantinnen gesammelt, die aus Nordrhein-Westfalen, aber auch anderen Teilen der

Bundesrepublik stammen. Die Geschichten umfassen eine Auswahl an dramatischen und

tragischen Erzählungen bis hin zu eher positiven, leichten Darstellungen der

Migrationsgeschichte. Ihren besonderen Charme machen die Akzente der Befragten und auch

der Umgang mit deutscher Sprache als Nichtmuttersprachler, wie etwa durch sprachliche

14

Im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010 haben die Städte der Region jeweils eine Woche um sich zu

präsentieren.

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34

Umgang mit kultureller Vielfalt im kulturellen Sektor 2

Neuschöpfungen, aus. Die Biographien und Migrationsgeschichten sind für die Öffentlichkeit

auf der Website www.migration-audio-archive.de zugänglich, aber auch durch den

Medienpartner WDR werden die Geschichten gesendet. Eine weitere Möglichkeit Einblick in

die Hörgeschichten der Migranten zu bekommen, sind die so genannten audiolounges. Diese

Hörmöbel können für Ausstellungen, für den öffentlichen Raum, aber auch als temporäre oder

permanente Installationen in Foyers genutzt werden (vgl. Suvak in: Jerman 2007: 208). Nach

Angabe der Website wurden audiolounges erstmalig beim Festival MELEZ 2005 in der

Jahrhunderthalle Bochum eingesetzt (vgl. http://www.migration-audio-

archiv.de/termine/terminetxt.html).

Page 40: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

35

MELEZ – Festival der Kulturen 3

3. MELEZ – Festival der Kulturen

3.1 MELEZ

MELEZ ist ein Festival, welches jährlich stattfindet. Im Jahr der Bewerbung des Ruhrgebietes

zur Kulturhauptstadt 2005 hatte es sein Debüt. Das Festival bietet eine Vielzahl kultureller

Angebote aus unterschiedlichen Genres und Kulturen. Im Bereich der Musik sind diverse

Stilrichtungen von Popmusik zu Klassik, Hip-Hop, Beatboxing, Crossover und Weltmusik zu

finden. Darüber hinaus umfasst es die Kunstsparten Ausstellung, Tanz, Literatur und Theater.

Außerdem gab es Vorträge und Fachtagungen zum Migrationsdiskurs. Im Jahr 2008 fanden

über 20 Beiträge an diversen Orten des Ruhrgebietes statt. Unter anderem waren die

Jahrhunderthalle in Bochum, der Glaspavillon am Campus Essen sowie das Schauspiel Essen

Veranstaltungsorte. Auch die Städte Dortmund, Oberhausen und Duisburg wurden 2008 mit

eingebunden. Insgesamt erstreckte sich das Festival im letzten Jahr über einen Zeitraum von

15 Tagen, welcher aber von Jahr zu Jahr variiert.

MELEZ ist „aber mehr als ein Kunstfestival“ (RUHR.2010 GmbH 2005: 41) laut der Kurzfassung

der Bewerbungsschrift von RUHR.2010.15 Die Idee hinter dem Festival offenbart bereits sein

Name: MELEZ kommt aus dem Türkischen und bedeutet Mischling. Die Festivalmacher wollen

nicht nur „rein deutsches“ Kulturangebot zeigen und möchten stattdessen die Realität des

Zusammenlebens der 170 Nationen im Ruhrgebiet darstellen.16 Die Lebensrealität im

Ruhrgebiet sei durch Verflechtungen, Verschmelzung und Vermischungen der Kulturen geprägt

(vgl. RUHR.2010 GmbH 2005: 41). Kulturelle Vielfalt wird somit zum Thema des Festivals. Vom

Vorsitzenden der Geschäftsführung der RUHR.2010 GmbH Fritz Pleitgen wird MELEZ auch als

„interkulturelles Festival“ bezeichnet (vgl. RUHR.2010 GmbH 2007: 1). Zunächst war das

Konzept, jedes Jahr eine andere Nationalität zu fokussieren, wie etwa die türkische Kultur im

Jahr 2005. Diese Idee wurde mittlerweile jedoch von den Machern verworfen. Man möchte

vielmehr die Vielfalt der Kulturen in den Mittelpunkt rücken und so verschiedene Kulturen

einbeziehen. Das Festival soll eine Möglichkeit sein, der Kulturmelange, die durch die

Einwanderungsgeschichte der Region entstanden ist, in verschiedenen Kunstformen Platz zu

geben. Nach der Darstellung seiner Idee soll das Festival „die kulturelle und soziale Vielfalt

15

Allerdings weicht die Bezeichnung der Festivalorganisatoren davon ab: Sie bezeichnen es als

Kunstfestival. Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren im Anhang 16

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren im Anhang

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36

MELEZ – Festival der Kulturen 3

unserer Region erforschen, anerkennen und abbilden“ (RUHR.2010 GmbH 2008b: 3). Dies soll

vor allem in der Form der Präsentation neuer Kunst- und Kulturprojekte geschehen.

Umgesetzt wurde die Idee zum einen durch Künstler und Gastspiele aus anderen Nationen,

aber auch durch Darbietungen von Künstlern mit Migrationshintergrund aus Deutschland und

dem Ruhrgebiet. Im konkreten Bezug auf das Zusammenleben im Ruhrgebiet wurde das

MELEZ.LABOR initiiert, welches die Lebensrealität der kulturellen Vielfalt in der Region und die

Kreativzentren von zwei Stadtteilen im Ruhrgebiet präsentierte.

Insbesondere Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien sollen in das Programm aktiv

eingebunden werden. 2008 geschah dies beispielsweise durch das Familienkonzert mit dem

KinderOrchesterRuhr Vom Klang des Lebens. Die besondere Anerkennung der EU-Expertenjury

erzielten die Bemühungen „Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien durch Kultur zu

integrieren und sie zu ermutigen, aktiv an den Projekten in 2010 teil zu nehmen“ (RUHR.2010

GmbH 2008c: 9).

Neben der Verbindung diverser kultureller Hintergründe in das MELEZ-Programm ist auch die

Mischung der Genres und somit auch des genrespezifischen Publikums für die MELEZ-Macher

wichtig.17 Beispielhaft für eine künstlerische Darbietung mit Genreüberschneidung ist das

Renegade-Theatre. Dieses verbindet Kunstformen der Street Art wie etwa Graffiti mit

Breakdance und modernem Bühnentanz.

Eine Verbindung der Festivalpunkte soll durch jährlich wechselnde kulturenübergreifende

Themen geschaffen werden. 2008 wurde das Thema Liebe und Tod gewählt und in

verschiedenen Programmpunkten aufgenommen. Kulturelle Angebote, die konkret Bezug auf

die Themen nahmen, waren etwa ein Henna-Abend und der Kooperationspartner

Kindermuseum mondo mio. Außerdem gab es insbesondere beim MELEZ.LABOR

Themenführungen u.a. mit Bezug zur Hochzeit. Auch die Global Player Party fand unter dem

Motto „MELEZ in Love“ statt. Dort wurde von dem Dance-Brass-Orchester aus der albanischen

Musiktradition eine neue, urbane Tanz- und Hochzeitsmusik vorgetragen (vgl. RUHR.2010

GmbH 2008b: 13).

17

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren im Anhang

Page 42: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

37

MELEZ – Festival der Kulturen 3

3.1.1 Strukturen

Obwohl das Festival unabhängig von RUHR.2010 existiert, sind die Festivalorganisatoren

innerhalb der RUHR.2010 GmbH angestellt. Die Zusammenarbeit mit im Ruhrgebiet ansässigen

Kunst- und Kulturmachern macht das Festival als solches erst möglich. So gibt es beispielsweise

eine Kooperation mit dem türkisch-deutschen Literaturfestival LiteraTürk in Essen, welches

unter anderem vom Kulturzentrum Grend e.V. organisiert wird.

Das Programm zum Festival wird durch die Kooperationspartner mitbestimmt. Im MELEZ-

Arbeitskreis werden Aufrufe zu Vorschlägen und Ideen gemacht. Die Auswahl der

Programmpunkte verläuft zunächst unter dem Kriterium des thematischen Bezuges.

Außerdem sind die Qualität des Angebots und die Schnelligkeit der Anbieter

ausschlaggebend.18

3.1.2 Zielpublikum

Die MELEZ-Organisatoren möchten als Publikum eine möglichst breite Bevölkerungsgruppe

ansprechen.19 Personen mit Migrationshintergrund werden nicht gesondert als Zielpublikum

betrachtet. Zur gezielten Ansprache von Personen mit Migrationshintergrund müsse man nach

Angabe der Organisatoren allgemeine Treffpunkte der Kulturen finden.20 In der Durchführung

der Festivalorganisation ergibt sich aus den Kontakten der Kooperationspartner und

persönlichen Bezügen der Zuständigen innerhalb der RUHR.2010 GmbH, dass besonders

Menschen türkischer Herkunft als potenzielles Publikum beworben werden. Das geschieht

über Strategien wie Werbung zur Primetime auf türkischen Fernsehsendern, außerdem durch

Anschreiben, die in türkischer Sprache an die türkischen Vereine und Institutionen gesandt

werden oder auch Werbung und Ticketing über türkische Bäcker und Männercafés.

3.1.3 Umsetzung des Festivals 2008

Wie bereits angedeutet erfüllen sich die Ansprüche des Festivals durch einzelne

Programmpunkte, zumindest im Programm von 2008. Allerdings beinhalten nur wenige

Veranstaltungen mehrere Elemente, die für die Idee wichtig sind. Faktisch hatte auch im

letzten Jahr die türkische Kultur durch die Anzahl der Programmpunkte einen klaren

18

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren im Anhang 19

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren im Anhang 20

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren im Anhang

Page 43: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

38

MELEZ – Festival der Kulturen 3

Schwerpunkt. Einige Programmpunkte hatten 2008 nur Bezug zu einer Kultur, wie etwa das

Theaterstück Sivas 93. Dieses Stück aus der Türkei handelt von einem Brandanschlag mit

politischem Hintergrund, welcher sich 1993 in Sivas ereignete. Auch die Aufführung erfolgte in

türkischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Zu den Besucherzahlen wurde von den

Zuständigen bestätigt, dass über 90 Prozent des Publikums türkischer Herkunft war.21 Darüber

hinaus hatten auch andere Programmpunkte lediglich Bezug zu einer Kultur, wie etwa die

literarischen Vorträge von türkischen Autoren wie Murathan Mungan oder auch baskische

Literatur von Aingeru Apaltza und Anjel Lertuxundi, welche zwar in deutscher Sprache gelesen

wurden, jedoch inhaltlich Bezug zu anderen Nationen hatten. Der Bezug zu mehreren Kulturen

zeigte sich etwa beim Gastspiel vom polnischen Duo Kwadrofonik, einem Konzert, welches

Werke von Komponisten verschiedener kultureller Ursprünge in ungewöhnlicher

Instrumentierung vorstellte.

Abbildung 5: Programmbeispiel 2008 (vgl. RUHR.2010 GmbH 2008b: 16/17)

21

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren im Anhang

Page 44: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

39

MELEZ – Festival der Kulturen 3

Kunstformen, die aus der Vielfalt der Kulturen in Deutschland entstanden sind, wurden

darüber hinaus auch im Rahmen des Festivals MELEZ auch gezeigt. Ein Beispiel war eine

Ausstellung über türkischdeutsche Literatur, welche in Essen stattfand. Die Lebenssituation der

Menschen im Ruhrgebiet, die durch zwei Kulturen geprägt ist, wurde teilweise aufgenommen,

so etwa die Theaterstücke zu Italien an der Ruhr. In diesem Rahmen präsentierte Bello e Brutto

– Ein Dorf wandert die Situation von Migranten eines bestimmten Dorfes, die ins Ruhrgebiet

einwanderten. Mit italienischen Migranten im Ruhrgebiet beschäftigte sich auch das

Theaterstück Il tempo libero, welches durch den italienischen Kunstschaffenden Gian Maria

Cervo produziert wurde. Zur Entwicklung des Theaterstücks reiste der Italiener durchs

Ruhrgebiet um Typen und Biografien der italienischen Migranten aufzunehmen.

Genreübergreifende Kunstformen fanden sich im Programm von 2008 selten. Beispielsweise

gab es die Produktion dreipluszwei (AT) des Renegade-Theatre, wo verschiedene Tanz- und

Street Art Elemente aufeinander stießen.

Die Einbindung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund war 2008 geringfügig

im Programm zu finden. Beim MELEZ-Battle des Pottporus-Festival etwa wurden

Ausdrucksformen der Jugendlichen unterschiedlicher kultureller Herkunft aus dem Ruhrgebiet

gezeigt. Auch das bereits erwähnte Konzert Vom Klang des Lebens gehörte dazu.

Darüber hinaus ist der Bezug zu den Einwanderungsdebatten bei Rita Süssmuths Vortrag

Migration und Integration: Testfall für unsere Gesellschaft und bei der Aktionsplattform NRW

wohnt vertreten gewesen. Das MELEZ.LABOR versuchte die Lebenssituation der Menschen in

„sozialen Brennpunkten“ zu zeigen. Hier wurden Einblicke in Lebensformen und die

künstlerischen Arbeitsformen von Menschen mit unterschiedlicher kultureller Herkunft

gegeben.

3.2 RUHR.2010

In Bezug zum Kulturhauptstadtjahr wird MELEZ als eines der Leuchtturmprojekte von

RUHR.2010 präsentiert. In der Pressemappe findet sich dazu eine Stellungnahme im Votum der

EU-Expertenjury: „Das Komitee möchte den innovativen Charakter einiger der Hauptprojekte

wie das ‚Fliegende Rathaus‘, ‚Die Zweite Stadt‘ oder ‚MELEZ‘-Labor und Festival hervorheben“

(RUHR.2010 GmbH 2008c: 7). Die lange Geschichte des Zusammenlebens der Kulturen im

Ruhrgebiet wurde als „interkulturelle Kompetenz“ bereits innerhalb der Bewerbung von den

Entscheidungsträgern hervorgehoben (vgl. Thetard in: Jerman 2007: 142). Damit steht die

Page 45: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

40

MELEZ – Festival der Kulturen 3

Stadt Essen in der Verpflichtung, die Strukturen für interkulturelle Öffnung und einen

interkulturellen Dialog zu schaffen.

Da das Festival MELEZ auch im Kulturhauptstadtjahr stattfinden wird, sind Erläuterungen zum

Kulturhauptstadtjahr sinnvoll. Nach dem Beschluss des europäischen Parlaments und Rates

vom 24. Oktober 2006 (vgl. Europäische Union 2006: 1ff) werden Kriterien für das

Kulturhauptstadtprogramm gestellt. Diese gliedern sich in die Kategorien „Europäische

Dimension“ und „Stadt und Bürger“. Zur ersten Kategorie wird eine Förderung der

Kooperationen in beliebigen kulturellen Bereichen „zwischen Kulturakteuren, Künstlern und

Städten aus den entsprechenden Mitgliedstaaten und aus anderen Mitgliedstaaten“

(Europäische Union 2006: 2) angestrebt. Außerdem soll unter dieser Kategorie der Reichtum

der kulturellen Vielfalt in Europa besonders herausgestellt werden und die gemeinsamen

Aspekte europäischer Kulturen betont werden. Unter der zweiten Kategorie „Stadt und

Bürger“ soll zum einen die Partizipation der in Stadt und Umgebung lebenden Bürger gefördert

werden sowie das Interesse für ausländische Bürger geweckt werden. Zum anderen soll Ziel

sein, „nachhaltig und unmittelbarer Bestandteil einer längerfristigen Strategie für die kulturelle

und soziale Entwicklung der Region zu sein“ (Europäische Union 2006: 3).

RUHR.2010 möchte zum Kulturhauptstadtjahr alle Barrieren abbauen. Kultur wird als

unverzichtbarer Bestandteil der Gesellschaft und ihrer Entwicklung gesehen, „deshalb müssen

diese Güter auch für jeden zugänglich sein – gleich welcher ethnischen oder nationalen

Herkunft, gleich in welcher sozialen oder finanziellen Situation, unabhängig von

Behinderungen“ (RUHR.2010 GmbH 2008: 131). Neben diesem Statement zur „Social

Inclusion“ soll außerdem auf die Bürger des Ruhrgebiets und des Bundeslandes NRW Rücksicht

genommen werden, indem RUHR.2010 ihre kulturellen Interessen erkennt und sie zur

Beteiligung in verschiedenen Bereichen anregt (vgl. RUHR.2010 GmbH 2007b: 6).

3.3 Stadt der Kulturen

Bei RUHR.2010 ging es auch darum, die Zielgruppe Personen mit Migrationshintergrund

einzubeziehen und dazu neue Ansätze und Programmkonzepte zu entwickeln (vgl. Harting in:

Jerman 2007: 24). Innerhalb von RUHR.2010 ist MELEZ neben dem Projekt TWINS ein

Hauptprogrammpunkt der Stadt der Kulturen. Unter dieser inhaltlichen Leitlinie wird das

Thema Integration fokussiert. Laut dem Gesellschaftsprofil soll ein Schwerpunkt auf

interkulturelle Projekte gelegt werden (vgl. RUHR.2010 GmbH 2008c: 5). Dies soll Bezug

Page 46: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

41

MELEZ – Festival der Kulturen 3

sowohl zur Situation der kulturellen Vielfalt und Migrationsgeschichte der Region als auch auf

die Chancen und Herausforderungen legen, die durch den demographischen Wandel

entstehen. Die Kooperation mit europäischen Partnern als auch der Kontakt zum europäischen

Ausland werden hervorgehoben. In Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern sollen

Initiativen, die den Dialog zwischen den europäischen Kulturen und ebenso den Kulturen der

Welt fördern, durchgeführt werden. Besonders hervorgehoben werden auch hier Programme

für Kinder und Jugendliche (vgl. RUHR.2010 GmbH 2008c: 5). Kunst und Kultur anderer Länder

soll ihnen näher gebracht werden und sie sollen die Möglichkeit bekommen, sich selbst

künstlerisch auszudrücken. Der soziale Zusammenhalt soll gefördert werden. Im Programmheft

befindet sich MELEZ unter anderen Programmpunkten im Themenblock Brücken. „Brücken

bringen Leute verschiedenster Herkunft, Religion und Lebensweise einander näher“

(RUHR.2010 GmbH 2008a: 96). Hier wird angedeutet, dass in diesem Themenbereich die

kulturelle Vielfalt eine große Rolle spielt.

Darüber hinaus sieht sich die Stadt der Kulturen als Chance, um eine Nachhaltigkeit im Bereich

der Publikumsgewinnung zu erzielen.

„Der Erfolg und die Beständigkeit der Kulturmetropole Ruhr wird in entscheidendem Maße nicht

nur davon abhängen, was im Kulturhauptstadtjahr und den folgenden auf den Bühnen zu sehen

und zu erleben sein wird, sondern wie die Kultur hinter den Bühnen, in den Intendanzen, in den

Kulturämtern, in den Köpfen der Entscheider aussieht“ (RUHR.2010 GmbH 2008a: 94).

Die „Interkulturelle Öffnung“ wird dabei benannt und Personen mit Migrationshintergrund

werden als Zielgruppe hervorgehoben. Das wird auch vom Festival MELEZ aufgegriffen. So soll

MELEZ Rücksicht auf die Vielfalt des Publikums nehmen, um diese als Publikum für Kunst und

Kultur zu gewinnen (vgl. RUHR.2010 GmbH 2008b: 3). Auch die Kooperation mit regionalen

Partnern einschließlich Kulturinstitutionen und Migrantenvereinen wurde insbesondere für

MELEZ hervorgehoben. Eine dauerhafte Netzwerkstruktur für interkulturelle Kunst- und

Kulturprojekte könne entstehen (vgl. RUHR.2010 GmbH 2005: 41).

Page 47: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

42

Forschungsdesign 4

4. Forschungsdesign

4.1 Entwicklung des Forschungsdesign

4.1.1 Zielsetzung der Untersuchung

Zielsetzung meiner empirischen Untersuchung war, Kenntnisse über das Interesse an Kunst

und Kultur sowie die Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund als Basis für das

Audience Development zu gewinnen. Neben den Interessen sollten auch Vorlieben, Wünsche

und Barrieren zu Kultur herausgefunden werden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten als

Basis für die Entwicklung von Strategien zum Audience Development der Zielgruppe „Personen

mit Migrationshintergrund“ dienen.

Die empirische Untersuchung beruhte auf der Fragestellung: Wie kann man die Kulturnutzung

von Menschen mit Migrationshintergrund steigern? Diese Frage ging von einem Ergebnis der

Dortmunder Studie22 aus, dass Personen mit Migrationshintergrund zwar an Kultur interessiert

sind, jedoch im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund weniger Kultur nutzen. 23

Die Annahme meiner Untersuchung war, dass diese Menschen zwar individuelle Kulturnutzer

sind, ihre diversen kulturellen Hintergründe dennoch eine Auswirkung auf ihr kulturelles

Interesse und ihre Kulturnutzung haben.

Ein Ziel der Untersuchung sollte sein, Aussagen von Personen mit Migrationshintergrund zu

vergleichen und anhand dieses Vergleichs festzustellen, ob es Gemeinsamkeiten innerhalb

jener Gruppe gibt, die die gezielte Ansprache als Zielgruppe legitimieren. Im Zuge der

Untersuchung sollte geklärt werden, in welchem Verhältnis Personen mit

Migrationshintergrund zu ihrer Herkunftskultur stehen, um zu erfahren, welche Relevanz diese

für ihren Lebensalltag in Deutschland hat. Darüber hinaus sollte durch die Vorstellung des

Programms vom Festival MELEZ das Interesse an einem solchen Format und den konkreten

Veranstaltungspunkten erfragt werden und mögliche Barrieren und Modifizierungsvorschläge

aufgenommen werden. Einen wichtigen Aspekt bildete die Frage, inwiefern eine Identifikation

mit Angeboten, welche Bezug zur Herkunftskultur haben, stattfindet und ob diese

Identifikation entscheidend für die Kulturnutzung ist. Außerdem sollten Einblicke in ihre

persönlichen kulturellen Interessen und die Abläufe ihrer Kulturnutzung gewonnen werden,

22

Vgl. Kapitel 1.4.1 23

An dieser Stelle soll betont werden, dass u.a. durch die Kenntnis über die Sinus-Studie nicht von

Menschen mit Migrationshintergrund als homogener Gruppe ausgegangen wird.

Page 48: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

43

Forschungsdesign 4

um so Informationen über Präferenzen, Barrieren und Motive bezüglich Kultur zu erhalten.

Weiterhin sollte herausgefunden werden, wie sie ihre Herkunftskultur leben und welche

Aspekte ihren Lebensalltag besonders prägen.

4.1.2 Sampling der Interviewpartner

Als Interviewpartner wurden Personen mit Migrationshintergrund ausgewählt. Die

Untersuchung befasst sich mit dieser Bevölkerungsgruppe, da das Thema im kulturpolitischen

Diskurs aktuell diskutiert wird und auch Kulturinstitutionen sich auf diese Gruppe als

Zielpublikum einstellen müssen.24 Außerdem sind Kulturforschungen zu dieser

Bevölkerungsgruppe bislang nur in geringem Maße vorhanden. Ob Vergleiche innerhalb dieser

sehr heterogenen Bevölkerungsgruppe durchführbar sind, wird anhand der Untersuchung

überprüft.

Um die Vielfalt der unterschiedlichen Kulturen darzustellen, wurden vier verschiedene

Herkunftsgruppen angesprochen. Es wurden die türkische, die polnische, die italienische

Herkunftsgruppe sowie die Gruppe der Russlanddeutschen einbezogen. Diese

Herkunftsgruppen sind nach dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes von 2006 im

Bundesland Nordrhein-Westfalen zahlenmäßig am stärksten vertreten (vgl. Statistisches

Bundesamt 2008: 110ff). Diese Zahlen wurden verwendet, da bei anderen Quellen lediglich

Menschen ausländischer Staatsbürgerschaft angegeben wurden. Darüber hinaus leben jedoch

viele deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund in Nordrhein-Westfalen und somit

auch im Ruhrgebiet. Den Statistiken des Jahres 2006 wurden die Zahlen zu Personen mit

Migrationshintergrund im engeren Sinne, also mit derzeitiger bzw. früherer

Staatsangehörigkeit im Ausland entnommen. Die vier zahlenmäßig größten Gruppen wurden

als Interviewpartner herangezogen. Menschen mit türkischem Migrationshintergrund waren

2006 mit einer Population von 861.000 Personen am stärksten vertreten. Ihnen folgen Bürger

polnischer Herkunft mit 310.000 Personen. Diese Gruppe verzeichnet außerdem den größten

Einwanderungszuwachs in den letzten Jahren. Auch die Menschen mit Migrationshintergrund

der Russischen Föderation stellen mit 215.000 Personen in NRW einen großen Anteil dar,

welcher sonst durch Statistiken zur Staatsangehörigkeit nicht erfasst wird, da viele zu den

Aussiedlern zählen. Gefolgt werden diese Gruppen von 175.000 Menschen mit italienischen

Wurzeln innerhalb des Bundeslandes.

24

Vgl. Kapitel 2

Page 49: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

44

Forschungsdesign 4

Die Interviewpartner wurden über ethnisch geprägte Vereine angesprochen, unter anderem,

weil laut der Sinus-Studie ethnisch kulturelle Zentren von Personen aus sechs der acht

verschiedenen Migranten-Milieus genutzt werden.

4.1.3 Themenerschließung

Um herauszufinden, welche Fragen und Themengebiete für die Interviews interessant sein

könnten, wurden mit Personen mit Migrationshintergrund vorab Gespräche geführt. Hier

zeigte sich bereits, dass gerne über die eigenen Erfahrungen mit der Migration in Deutschland

gesprochen wurde. Die Probleme, aber auch die positiven Aspekte, die sich durch die

Einwanderung und das Zusammenleben ergeben, waren bei den Gesprächen zentral. Da

zunächst der Fokus der Untersuchung eher auf der Kulturnutzung und dem Interesse für Kultur

liegen sollte, wurden auch diese, die Lebenswelt der Befragten widerspiegelnden Aspekte

stärker in die Datenerhebung miteinbezogen.

4.2 Datenerhebung

4.2.1 Interviewform

Die Befragungen wurden als problemzentrierte Interviews gestaltet, worunter nach Philipp

Mayring „alle Formen der offenen, halbstrukturierten Befragung zusammengefasst werden“

(Mayring 2002: 67). Als problemzentriert wird die Interviewform daher bezeichnet, weil sie als

Ausgangspunkt eine konkrete gesellschaftliche Problemstellung nimmt. Voraussetzung ist, dass

der Forscher zunächst eine theoretische Analyse der Problemstellung durchgeführt hat. Das

problemzentrierte Interview ist gegenstandsorientiert, da die Gestaltung der Interviews

speziell auf den Inhalt des Interviews bezogen wird. Außerdem ist auch die

Prozessorientierung für diese Art von Interview prägend, da im Verlauf der Interviews eine

schrittweise Annäherung an das wissenschaftliche Feld erfolgt. Da im Interview nicht

Hypothesen belegt, sondern neue Annahmen zum theoretischen Feld erarbeitet werden

sollen, werden Daten innerhalb eines flexiblen Prozesses gewonnen und geprüft.

Ein Interviewleitfaden gibt eine Struktur vor, dennoch bleibt die Offenheit, welche Merkmal

qualitativer Forschung ist (vgl. Lamnek 2005: 21), gewahrt. Im problemzentrierten Interview

werden keine Antworten für den Probanden vorgegeben, was diesem ermöglicht nach

eigenem Ermessen und eigener Relevanz zu reagieren. Der Interviewer nimmt in seinem

Page 50: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

45

Forschungsdesign 4

Leitfaden drei Arten von Fragen auf (vgl. Mayring 2002: 70). Zum einen sind dies die

Sondierungsfragen, welche zunächst das Themenfeld erschließen und dessen Wichtigkeit für

den Probanden aufdecken sollen. Zum anderen geben vorformulierte Leitfragen die

wichtigsten Themenpunkte wieder, an denen sich der Interviewer orientieren kann. Darüber

hinaus gibt es die Möglichkeit sogenannte „Ad-hoc-Fragen“ zu stellen. Hierbei kann der

Interviewer auf die Antworten des Gesprächspartners reagieren und Nach- und

Zwischenfragen stellen. Dadurch entsteht für beide Beteiligte eine vertrauensvolle

Interviewatmosphäre. Dies kann dazu anregen persönliche Erfahrungen und Ansichten in das

Interview einzubringen, die in einem vollständig standardisierten Verfahren keinen Raum

gehabt hätten.

4.2.2 Interviewaufbau

Die mangelnde zielgerichtete Ansprache von Personen mit Migrationshintergrund als Publikum

war der theoretische Ausgangspunkt der Untersuchung. Vorab wurde das theoretische Feld zu

Studien über Daten und Fakten der Personen mit Migrationshintergrund, sowie Studien zur

Publikumsforschung erarbeitet. Es wurde überlegt, welche Auskünfte wichtig sind, um

daraufhin Konzepte zum Audience Development für das Festival der Kulturen MELEZ

entwickeln zu können.

Als erzählgenerierende Frage wurde gewählt: „Wann und warum kamen Sie, beziehungsweise

Ihre Vorfahren nach Deutschland?“ Die Gesprächspartner berichteten daraufhin über ihre

Migrationserfahrungen. Da allen Befragten Erfahrungen zum Thema Migration gemein waren,

konnten sie in den Gesprächen durch den gleichen Zugang zum Erzählen angeregt werden und

neue Themen- und Relevanzfelder konnten erschlossen werden. Zugleich wurden für den

Interviewer die biographischen Hintergründe verständlich, was die Grundlage für weitere

Fragen bildete. Im weiteren Verlauf des Interviews wurden halbstrukturierte und strukturierte

Fragen genutzt, da spezifischen Fragestellungen zum Forschungsgegenstand nachgegangen

werden sollte. Thematisch war das Interview in vier Teile gegliedert. Die ersten zwei Fragen

sollten den Gesprächspartner einladen, etwas über seinen persönlichen Erfahrungshintergrund

und sein Selbstverständnis als Person mit Migrationshintergrund in Deutschland

wiederzugeben. Hier wurde neben der schon beschriebenen Einleitungsfrage nach dem

kulturellen Zugehörigkeitsgefühl gefragt. Herausgefunden werden sollte, welche persönliche

Relevanz das Thema Identität für die Befragten innehat. Im nächsten Themenpart betrafen die

Fragen das Festival MELEZ und dessen Attraktivität. Zunächst wurde nach Kenntnis und Besuch

Page 51: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

46

Forschungsdesign 4

des Festivals gefragt. Weiter sollten Kenntnisse zum Interesse an einem Format wie dem

„Festival der Kulturen“ gewonnen werden. Zum Programm wurden die Menschen befragt,

welche der Angebote ihnen persönlich attraktiv erscheinen. Über das Festival hinaus konnten

Einblicke in persönliche kulturelle Präferenzen gewonnen und Wünsche und Barrieren zu

Kultur ausfindig gemacht werden. Hierzu wurden Fragen gestellt, was geboten werden müsste,

damit die Menschen das Festival besuchen, und was sie sich über das bestehende Angebot

hinaus noch wünschen würden. Diese Fragen boten implizit auch die Möglichkeit, Kritik am

Festival und Wünsche zu Kultur allgemein zu äußern. Im nachfolgenden Fragenblock wurden

das kulturelle Interesse und die kulturelle Nutzung der Befragten im Ruhrgebiet thematisiert.

Hier lag der Fokus darauf, wie die Gesprächspartner Kultur nutzen, welche Präferenzen sie

haben, welchen Gewohnheiten die Kulturnutzung folgt und welche Barrieren es

möglicherweise gibt. Neben der Frage, was sie ansonsten im Ruhrgebiet an kulturellem

Angebot nutzen, wurden bevorzugte Informations- und Vertriebswege abgefragt. Darüber

hinaus sollte herausgefunden werden, ob das Interesse an Kunst und Kultur der Kulturnutzung

entspricht, daher wurde gefragt, ob die Probanden gerne an mehr Veranstaltungen

teilnehmen würden und falls ja, was sie daran hindert. Der letzte Teil des Interviews

beschäftigte sich mit dem Bezug zur Herkunftskultur. Zum einen war Ziel des Frageabschnitts

aufzuklären, wie die diversen kulturellen Hintergründe die Kulturnutzung beeinflussen und

inwiefern die Herkunftskultur im Lebensalltag relevant ist. Provokativ wurde die mögliche

Motivation des Bezugs zur Herkunftskultur als Frage formuliert: „Würden Sie das kulturelle

Angebot eher oder mehr nutzen, wenn es einen Bezug zu Ihrer Herkunftskultur hätte?“ Wenn

diese Annahme unzutreffend war, konnte so ein Einblick in andere Motive zur Kulturnutzung

durch die Antworten der Befragten gewonnen werden. Herausgefunden werden sollte auch,

was den Gesprächspartnern besonders wichtig an ihrer Herkunftskultur erscheint, um zum

einen aufzudecken, welches Verständnis sie von ihrer Herkunftskultur haben, und zum

anderen, mit welchen Aspekten ihrer Herkunftskultur eine Identifikation besteht.25

4.2.3 Pretest-Modifikationen

Die ersten drei der zwölf Interviews sind als Pretests gekennzeichnet, da sich hier die Fragen

noch verändert haben. Wahl und Anordnung der Interviewinhalte und -fragen modifizierten

sich während des Forschungsprozesses. So veränderte sich etwa die Reihenfolge der

Frageblöcke, einige Fragen wurden als überflüssig erachtet und andere hinzugefügt. Während

25

Vgl. Leitfaden im Anhang

Page 52: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

47

Forschungsdesign 4

der weiteren Interviews gab es eine zusätzliche Modifikation: Das Programm wurde den

Gesprächspartnern nicht mündlich vorgetragen, sondern in schriftlicher Form vorgelegt. Bei

der mündlichen Vorstellung erwies es sich für einige Befragte als schwierig, sich die einzelnen

Veranstaltungen aufgrund deren Quantität und Komplexität zu vergegenwärtigen. Daher

wurde in den folgenden Interviews das Programm schriftlich überreicht.

4.3 Datenaufbereitung

4.3.1 Festlegung des Materials

Der Analyse liegen zwölf Interviews mit Personen mit Migrationshintergrund zugrunde. Unter

den Befragten sind vier Personen türkischer Herkunft, drei Personen polnischer Herkunft,

weitere drei Personen italienischer Herkunft und zwei Personen zählen zu den

Russlanddeutschen. Auswahlkriterien waren lediglich, dass sich die Befragten bereits seit

einem längeren Zeitraum in Deutschland aufhalten und zurzeit im Ruhrgebiet wohnen. Der

Einwanderungszeitpunkt fungierte nicht als Auswahlkriterium der Interviewpartner. Die

Befragten wurden hauptsächlich über Migranten-Selbstorganisationen, wie etwa

Kulturvereine, als Interviewpartner geworben. Mit den Gesprächspartnern wurde Kontakt

entweder durch Telefonate oder vor Ort, in den Vereinsräumlichkeiten, aufgenommen. Auch

andere Ansprechpartner halfen bei der Vermittlung von Interview-Interessierten. Die Auswahl

der Vereine erfolgte nach dem Kriterium des Herkunftslandes.26 Außerdem war das

Erwachsenenalter ein Kriterium. Bei den Befragten ergab sich eine Altersspanne von 25-70

Jahren. Es wurden fünf Frauen und sieben Männer interviewt. Die deutschen Sprachkenntnisse

der Befragten variierten.

Die Kriterien Migrationshintergrund, Wohnort Ruhrgebiet und Erwachsenenalter waren

demnach ausschlaggebend. Für die Darstellung in Portraits und die Analyse sind jeweils die

Textpassagen ausgewählt worden, die für meine Fragestellung relevant waren.

4.3.2 Analyse der Entstehungssituation

Die Interviews zeichneten sich durch freiwillige Teilnahme aus. Die Befragungen wurden in der

Form des Face-To-Face Interviews durchgeführt, da so eine größere Vertrauensbasis zu den

26

Vgl. 4.1.2

Page 53: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

48

Forschungsdesign 4

vorher unbekannten Personen aufgebaut werden konnte. Vorab wurde den Befragten der

thematische und formale27 Rahmen erklärt, jedoch nicht der genaue Inhalt des Interviews. Für

die Befragten ergab sich die Möglichkeit, über sich und ihre Interessen zu erzählen. Dadurch,

dass sich die Personen freiwillig bereit erklärten an einem Interview zu Kultur teilzunehmen,

kann man davon ausgehen, dass alle Befragten an Kultur28 interessiert waren. Für die

Interviewdurchführung wurden unterschiedliche Orte gewählt. Zum einen fanden sie in den

Migrantenvereinen statt, aber auch in Privatwohnungen und am Arbeits- oder Studienplatz.

4.3.3 Formale Charakteristika des Materials

Die Interviews wurden mit einem digitalen Aufnahmegerät festgehalten und danach

transkribiert. Dafür war folgende Transkriptionsanweisung vorausgesetzt: Es wurde vollständig

und wörtlich transkribiert. Da der Inhalt im Vordergrund stand, wurden die Füllwörter

weggelassen. Denkpausen wurden separat gekennzeichnet. Außerdem wurden auch

unverständliche Textteile markiert. Gemütsäußerungen wurden in Klammern gesetzt. Bei

nonverbalen Äußerungen wurde der Kontext in einer Klammer dahinter festgehalten. Die

Trankskriptionen wurden alle in Schriftgröße 11 in der Schriftart Calibri mit einfachem

Zeilenabstand festgehalten. Die Seitenränder betragen 2,5 cm links und 2,5 cm rechts. Für den

Interviewenden wurde das Kürzel „I“ gewählt, während den Befragten jeweils ein

personenspezifisches Kürzel zugeschrieben wurden. Dieses setzt sich aus zwei Buchstaben

zusammen. Der Erste steht für die Position des Interviews (A=erster Interviewpartner,

L=zwölfter Interviewpartner) und der zweite Buchstabe bezeichnet den kulturellen

Hintergrund (R=Russlanddeutsche(r); T=Türke(in), I=Italiener(in), P=Pole(in)).

27

Es wurde erklärt, dass die Untersuchung im Rahmen meiner Diplomarbeit zu Migration und Kultur

durchgeführt wird. 28

Hierbei ist der Begriff Kultur weit gefasst, demnach ist nicht Interesse an Hochkultur gemeint.

Page 54: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

49

Forschungsdesign 4

Folgende Tabelle zeigt verwendete Kürzel zu Besonderheiten innerhalb der Transkription:

Symbol Hintergrund

(Nonverbale Äußerung) Nonverbale Äußerung des Sprechers

(unverständlich1)(unverständlich2) Aus der Aufnahme konnte man den genauen

Wortlaut (unverständlich1) oder die Abfolge

mehrerer Wörter (unverständlich2)nicht mehr

rekonstruieren

(Text) Kennzeichnung undeutliche Textstellen

(zustimmend) (verneinend) Kennzeichnung nonverbaler Äußerung als

bejahend oder verneinend

(-) Längere Pause

[…] Mindestens ein Satz wurde aus inhaltlichen

Gründen weggelassen

Wort Betonung auf Wort oder Satz

(XY) Anonymisierung von Privatpersonen

- Ein neuer Gedanke folgt

… Der Satz wurde nicht zu Ende geführt

[Übersetzung] In dieser Sprechsequenz wurde bisher

Gesagtes übersetzt

(Wort/Satz) Zur besseren Verständlichkeit wurde ein Wort

oder Satzteil hinzugefügt

4.4 Auswertungsmethode

Durch eine systematische Interpretation wird die qualitative Arbeit überprüfbar gemacht, da

sie durch Analyseschritte und Analyseregeln systematisiert wurde. Die Auswertungsmethode

erfolgte nach der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring. Diese Methode erfolgt in

sieben Schritten (vgl. Mayring 1988: 41ff). Im ersten Schritt wurde die Analyseeinheit des

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50

Forschungsdesign 4

zusammenzufassenden Interviews bestimmt. Im zweiten Schritt wurde der Prozess der

Paraphrasierung vollzogen. Hierbei wurden alle nicht-inhaltstragenden Textstellen gestrichen.

Die Paraphrasen wurden in einer einheitlichen Sprachebene verfasst und auf eine

grammatikalische Kurzform gebracht. Im dritten Schritt fand eine Generalisierung der

Paraphrasen statt, d.h. sie wurden auf die angestrebte Abstraktionsebene gebracht.

Satzaussagen wurden auf die gleiche Art generalisiert. Daraufhin erfolgte im nächsten Schritt

die erste Reduktion, welche besagt, dass hier bedeutungsgleiche und nicht inhaltstragende

Paraphrasen gestrichen wurden. Hierbei wurden bereits Paraphrasen ausgewählt, die als

zentral inhaltstragend eingestuft wurden. Bei der zweiten Reduktion wurde Konstruktion und

Integration der Paraphrasen vorgenommen, das heißt neue Paraphrasen entstanden durch

Zusammenfassen von Paraphrasen mit gleichem Gegenstand und Aussage, aber auch von

Paraphrasen mit mehreren Aussagen zu einem Gegenstand oder mit gleichem Gegenstand und

verschiedener Aussage. Im sechsten Schritt wurden die neuen Aussagen zu einem

Kategoriensystem zusammengestellt. Als letztes wurde dieses Kategoriensystem am

Ausgangsmaterial rücküberprüft (vgl. Mayring 1988: 49).

4.5 Gültigkeit und Qualität der Untersuchung

4.5.1 Gütekriterien

Durch die vorangegangene Verfahrensdokumentation ist es möglich, den Forschungsprozess

nachzuprüfen. Nach Mayring erfüllt somit die Untersuchung das Gütekriterium der

Verfahrensdokumentation (vgl. Mayring 2002: 144). Die Portraits wurden nach der Methode

der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Durch Nachweise mit Zitaten innerhalb der

Portraits sind diese für andere nachvollziehbar dokumentiert und die Interpretation wird somit

argumentativ abgesichert. Der Vorgehensweise der Auswertungsmethode entsprechend29

wurden alle Interviews nach dem Stufenmodell ausgewertet und entsprechen somit dem

Gütekriterium Regelgeleitetheit. Die Nähe zum Gegenstand ist darüber hinaus ebenfalls

gegeben, weil die Fragenfindung durch die Interessenfelder der Befragten geprägt wurde und

durch die Halbstandardisierung die Möglichkeit gegeben wurde, das Gespräch mit zu lenken.

Die Gespräche hatten Lebensweltbezug und griffen Interessen und Relevanzsysteme der

Befragten auf.

29

Vgl. 4.4

Page 56: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

51

Forschungsdesign 4

4.5.2 Geltungskriterien

Die Untersuchung stellt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Ziel war nicht, durch

quantitative Zahlen zu überzeugen, sondern die Portraits als Ergebnis vorzustellen, um so

einen Einblick in mögliche unbekannte Interessensgebiete, Barrieren und Motive zur

Kulturnutzung zu erhalten. Im Interview wurden nicht nur bereits bekannte Fakten, wie etwa

aus der Dortmunder Studie oder Sinus-Studie überprüft, sondern darüber hinaus Daten

generiert, die Anstoß für weitere Forschungen sein können.

4.5.3 Erhalt der Perspektive

Der Perspektive der Beteiligten wird die Untersuchung durch den Zugang gerecht, da

Menschen befragt wurden, die gerne über Kultur sprechen wollten, und niemand unfreiwillig

teilnahm. Man kann demnach davon ausgehen, dass das Gespräch auf Vertrauen basierte und

die Befragten offen ihre Meinung vertraten. Rücksicht wurde innerhalb des Interviews darauf

genommen, die Möglichkeit für die Gesprächspartner zu bieten, über eigene Interessengebiete

zu sprechen und das Gespräch selbst zu lenken. Durch die Auswertungsmethode der

qualitativen Inhaltsanalyse im Reduktionsverfahren wurden Kategorien aus den zentralen

Aussagen der Gesprächspartner entwickelt. Es wurden keine vorher angefertigten Kategorien

angelegt, welche die Perspektive der Befragten hätten verändern können. Die Darstellung der

Ergebnisse ist darauf gerichtet, die Interviews dem Leser in einer verkürzten Fassung, dennoch

inklusive der Individualität und Komplexität des Gespräches darzustellen.

Page 57: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

52

Auswertung der Interviews 5

5. Auswertung der Interviews

5.1 Portraits der Befragten

5.1.1 Pretest: Befragter AR

Nutzt kulturelles Angebot, weil es Kunst ist und nicht weil es aus Russland kommt

Der Befragte gehört zu den Russlanddeutschen und ist somit deutscher Herkunft. Er

verbrachte den Großteil seines Lebens in Russland.

Als eines der Hauptthemen des Gespräches greift der Befragte die mangelnde Anerkennung

der besonderen Situation der Russlanddeutschen auf. In Russland wurde die deutsche Kultur,

also deutsche Sitten, deutsche Lieder und deutsche Feste, von den Russlanddeutschen

gepflegt. In Deutschland werde er jedoch als Russe wahrgenommen. In der deutschen

Gesellschaft werden nach Ansicht des Befragten Klischees der Russen auf sie projiziert und es

werde nicht erkannt, dass sie sich „viel schneller integrieren als die Ausländer“ (AR: Z.258). Der

Befragte ist der Meinung, dass man Russlanddeutsche nicht mit anderen Personen mit

Migrationshintergrund gleichsetzen dürfe. Andere Menschen mit Migrationsgeschichte hätten

einen viel stärkeren Bezug zu ihrem Herkunftsland und zudem die Möglichkeit dorthin

zurückzukehren. Dies wäre seiner Aussage nach nur für etwa fünf Prozent der

Russlanddeutschen denkbar. Wenn die Bevölkerung besser über die Geschichte und die

Lebensbedingungen der Russlanddeutschen aufgeklärt wäre, dann könne er sich vorstellen

„vielleicht würden die einheimischen Leute ein bisschen geduldener uns annehmen, wenn die

wüssten, was da mit uns passiert ist zu jener Zeit. Und wieso es passiert ist“ (AR: Z.281). Er

hofft so auf einen angemesseneren Umgang mit ihnen als Russlanddeutsche und wünscht sich

Verständnis für manche Verhaltensweisen seiner Landsleute hier in Deutschland.

Der Dialog mit den Mitbürgern ist ein Themenfeld, das während des Interviews aufgenommen

wird. Der Verein engagiere sich in diesem Zusammenhang, über die Geschichte der

Russlanddeutschen aufzuklären. Ihre Situation zwischen den Kulturen haben Jugendliche des

Vereines in einem Theaterstück zu vermitteln versucht: „Die Leute mit

Zuwanderungsgeschichte, die suchen ihren Planeten. Was Theater betrifft, machen wir überall

mit“ (AR: Z.458). Einen persönlichen Beitrag zur Vermittlung seiner eigenen

Migrationsgeschichte bringt der Befragte, indem er zwei Gegenstände aus seinem Privatbesitz

in einem Museum ausstellt.

Page 58: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

53

Auswertung der Interviews 5

In seinen Ausführungen stellt er den Sprachgebrauch im Migrationskontext in Frage. Er tritt

Pauschalisierungen als Migranten oder Personen mit Migrationshintergrund entgegen und

findet es wichtig, Ausdrücke im Migrationskontext bedachter zu wählen. So zitiert er den Satz

zur Integration einer Referentin bei einer europäischen Konferenz: „‘Integrieren ist gut, aber

die Leute einzubeziehen ist besser‘. Die Wörter sind ähnlich aber haben doch einen anderen

Sinn“ (AR: Z.542).

Zu seiner Zeit in Russland berichtet er von einem allgemeinen, großen kulturellen Interesse

und kultureller Aufgeschlossenheit. Er habe dort viel Kultur genutzt. Darunter zähle neben

Theater und Opern auch Kino, in welches man jede Woche ging. Museen musste man sowieso

besuchen. So seien sie damals geprägt gewesen. „Und das Interessante ist, obwohl wir arm

waren, obwohl wir wenig Geld hatten. Aber so viel Geld hatten wir doch, dass wir Kinos

besuchen konnten. Theater besuchen konnte“ (AR: Z.86). Auch von anderen Kulturen habe er

dort einiges mitbekommen, denn man lebte dort in einer „Multikulti, so Gesellschaft“ (AR:

Z.56).

Die häufigere Kulturnutzung in Russland im Vergleich zu Deutschland setzt er in Verbindung

mit verschiedenen Faktoren. Zum einen hätte man es „getan, um sich zu bilden“ (AR: Z:80). Der

Besuch von kulturellen Einrichtungen fungierte aber auch als Repräsentation und um soziale

Kontakte zu pflegen. Ihm fällt während seiner Ausführungen auf, „wir haben das gar nicht so

genannt: Kultur“ (AR: Z.81). Es war vielmehr Teil des Lebensalltags in Russland.

Die gegenseitige Beeinflussung der Kulturen wurde ebenfalls thematisiert. So wie sie damals in

Russland Sitten und Traditionen voneinander übernahmen, geschehe dies in Deutschland

auch. Dazu meint er: „Man kann sich nicht abschotten hinter einem Zaun. Und deswegen hat

man selbstverständlich diese Kultur auch mitbekommen. Und auch teilweise mitgebracht“ (AR:

Z.65). Dennoch konstatiert er, dass die Ethnie darüber bestimme, wie sehr man in einer Kultur

verwurzelt sei.

Gründe für seine seltene Kulturnutzung sieht er in der Lebenssituation in Deutschland. Der

Hauptfaktor seien mangelnde finanzielle Mittel. Die Angebote sind teurer als in Russland. Dazu

komme, dass die meisten Russlanddeutschen Sozialhilfeempfänger seien, bzw. dass sie nicht in

den Berufen arbeiten könnten, die sie erlernt haben und folglich über geringes Einkommen

verfügen würden. „Und somit haben wir langsam abgeschaffen Besuche von Theatern, von

Museen und so weiter. Man möchte das, wir wollen das auch. Aber es reicht nicht aus. Und

somit halten sich die Leute zurück“ (AR: Z.102). Kulturnutzung wird als wichtig erachtet, aber

die äußeren Rahmenbedingungen erschweren es. Der Befragte versucht trotz geringer

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54

Auswertung der Interviews 5

finanzieller Mittel Kultur zu nutzen. Zu besonderen Anlässen würden nach seiner Aussage mit

mehreren Leuten auch teurere Veranstaltungen, worunter er auch Theater fasst, besucht.

Neben den fehlenden finanziellen Mitteln können weitere Schwierigkeiten für

Russlanddeutsche Barriere für die Kulturnutzung sein. Zum einen sei das die Sprache und „ die

fühlen sich doch nicht zu Hause“ (AR: Z.427). Eine schlechte Einbeziehung in die Gesellschaft

zählt so ebenso zu den Gründen für die seltene Kulturnutzung.

Weiterhin zählt er Selektionskriterien auf, welche über seine Kulturnutzung entscheiden. Ein

Kriterium seien Empfehlungen anderer Menschen: „ Ist nur, dass jemand sagt: ‚ Oh, geh doch

mal dahin, das ist sehr gut‘. Dann macht man das natürlich auch“ (AR: Z.480). Das Kriterium

der Qualität zeigt sich hierbei ebenfalls.

Der Bezug zur russischen Kultur gehört nicht zu den Selektionskriterien für seine

Kulturnutzung. Er würde Kultur nutzen, „nicht wegen dem, dass es aus Russland kommt,

sondern wegen dem, dass es eine Kunst ist zu zeigen“ (AR: Z.483). Auch hier weist der Befragte

die von ihm angenommene Vermutung der Mehrheitsbevölkerung von sich, dass sein Leben

von der russischen Kultur dominiert sei. Entscheidend sei eher als Kriterium, dass er einen

persönlichen Bezug zum Angebot habe, wie etwa durch einen Bezug zur Vergangenheit: „Nur,

wenn man mitbekommt, da sind hochrangige Schauspieler, Sänger oder noch irgendwas, die

man dort von Kind an, vielleicht oder auch später kennengelernt hat, im Fernsehen oder im

Theater. Natürlich möchte man die wieder sehen.“ (AR: Z.136). Dass der Bezug zu seiner Person

wichtig für seine Kulturnutzung ist, zeigt sich auch beispielsweise an seiner Kritik am deutschen

Kino. Er weist darauf hin, dass dies eher auf Unterhaltung gerichtet sei, während die Filme in

Russland „einen großen Sinn“ (AR: Z.145) gehabt hätten. Das Gezeigte knüpfte an seine

eigenen Erfahrungen an, „weil das so dargestellt wurde, dass es dich bewegt. Dass du das

selber erlebt hast“ (AR: Z.149). Mittlerweile sind diese Filme aber für ihn auch nicht mehr so

attraktiv, da auch sein Lebensalltag sich verändert hat.

Da er angibt, sich wenig mit der russischen Kultur zu identifizieren, sei diese auch in seinem

Lebensalltag in Deutschland eher nebensächlich. Jedoch seien beispielsweise

Familienstrukturen in Deutschland bei vielen Aussiedlern anders als bei der deutschen

Mehrheitsbevölkerung. Als ein Element der russischen Kultur pflege er manchmal die Sprache:

„Es ist so, man springt ein, wenn man was sagen will dann schnell. Was man im Deutschen

dann nicht so ausdrücken kann. Oder wenn man fluchen will. Oder noch irgendwo, wo man das

vielleicht besser ausdrücken kann“ (AR: Z.227). Darüber hinaus werden wenige russische

Feiertage auch innerhalb des Vereines in Deutschland gefeiert.

Page 60: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

55

Auswertung der Interviews 5

5.1.2 Pretest: Befragter BT

Als Migrant hat man auch das Recht, etwas zu erreichen

Der Befragte ist Sohn eines Arbeitsmigranten. Er folgte seinem Vater zu einem späteren

Zeitpunkt aus politischen Gründen nach Deutschland. Außerdem war er Mitbegründer seines

türkischen Kulturvereins.

Seine persönlichen Interessensgebiete scheinen während des Interviews immer wieder durch.

Zum einen interessiert er sich für Politik und in diesem Zusammenhang besonders für

Migrationspolitik. So sagt er über die politische Situation des Bundesvorsitzenden der Partei

Bündnis 90/Die Grünen Cem Özdemir, dass „als Migrant hat auch Recht, etwas zu erreichen“

(BT: Z.197). Neben Politik spielen Familienthemen eine wichtige Rolle in dem Gespräch,

außerdem auch seine Arbeit.

Reflektionen über das Thema Kultur sind eine Kategorie im Gespräch. Er spricht gerne über

Kultur und er stellt sie als Teil seines Lebensalltags dar: „Die Kultur ist eine Sache, die man sich

lebt“ (BT: Z.56). Darunter subsumiert er Tradition und Sitten, aber auch Einstellungen und

Verhaltensweisen von Menschen. Unter Kultur versteht er etwa Spezifisches der einzelnen

Nationen, da Menschen innerhalb eines Landes ein Zugehörigkeits- und Solidaritätsgefühl

teilen würden. Er persönlich lebe seine Kultur unterschiedlich in privatem Umfeld und in der

Öffentlichkeit. In Deutschland sei eines klar: „Man muss sich anpassen in eine Gesellschaft.

Aber man sich auch darüber hinaus seine Kultur, seine Sitten, seine Tradition – darf man sich

auch nicht, also seine Identität muss man auch ein bisschen behalten, damit als Mensch

darstellt“ (BT: Z.38). Weiterhin möchte er seine Kultur auch seinen Kindern weitergeben.

Zu seiner Kulturnutzung zählt der Befragte auch den Besuch des Kinos. Allerdings entscheide

dabei ein Bezug zu seinen Interessensgebieten, denn „geh ich die Filme, die mir gefällt – also

nicht generell ausgewählt“ (BT: Z.87). Seltener gehe er zu Konzerten. Sein bevorzugter

Musikstil sei dabei arabics, welchen er auch als „Freistilmusik“ (BT: Z.111) beschreibt. Bei den

Konzerten sei das Selektionskriterium eher ein Bezug zur türkischen Kultur. Allerdings wird im

Interview klar, dass der Bezug zur Herkunftskultur des kulturellen Angebots zwar zu den

Selektionskriterien gehört, er aber nicht ausschließlich an türkischem Angebot interessiert ist.

Ausstellungen besuche er seltener und auch nur, wenn sein Interesse in besonderer Weise

geweckt werde. Ein Bezug zum Lebensalltag sei ihm beim Lesen wichtig. Er lese viel, besonders

zu Themen, die sich mit dem Menschen und seiner Seele beschäftigen: „Was Menschen

Page 61: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

56

Auswertung der Interviews 5

betrifft. Also manche Seele“ (BT: Z.100). Früher in der Türkei war er auch an Theater

interessiert, „damals also mit 20 Jahren, (…) also Theaterstücke“ (BT: Z.91).

Weiterhin beschreibt er während des Interviews Faktoren, welche entscheidend für seine

seltene Kulturnutzung sein können. Die größte Barriere sei die Zeit. Früher sei er öfters zu

kulturellen Veranstaltungen gegangen, aber nun habe er „andere Sorgen. Hab ich zu ernähren

und so weiter“ (BT: Z.204). Geld beschreibt er somit als eine weitere Barriere. Die Prioritäten

des Lebensalltags, wie etwa die Familie, gehen vor Kulturnutzung: „Man hat nur Samstag noch

nicht mal. Aber Sonntag Zeit. Aber Sonntag gehört auch ein bisschen zur Familie“ (BT: Z.252).

Sein besonderes Interesse hebt er jedoch zu Angeboten mit Bezug zur Herkunftskultur hervor,

denn „da könnte man auch etwas irgendwie – eine Lücke finden, wo was frei ist“ (BT: Z.257).

Im Lebensalltag ist seine Herkunftskultur ein wichtiges Element. Zum einen wären da

Traditionen, die er behalten wolle, jedoch nur solche, die „sich positiv auf die Leute“ (BT:

Z.120) auswirken. Als Teil dieser Traditionen sieht er Werte an, die besonders innerhalb der

Familie wichtig seien. „Respekt haben und respektiert werden. Tolerieren, toleriert werden. Das

sind die Sachen, wo meine Kinder auch in seine Familie drauf achten müssen“ (BT: Z.124).

Daneben sei auch wichtig: „Unsere wichtigste Tage. Zum Beispiel Feste“ (BT: Z.126). Hier

spricht er besonders muslimische Feste an, die für ihn zur Kultur gehören. Religion und

Sprache werden zudem als wichtige Elemente der Kultur des Befragten angegeben, die er

bewahren möchte.

Eine weitere Kategorie im Gespräch ist das Zusammenleben der Kulturen. Zum einen seien der

Dialog und die Akzeptanz zwischen den Kulturen wichtig. „Das interessiert mich sehr. Ich

übertreibe auch dabei. Also ich versuche auch – vorhin hab ich gesagt, ich akzeptiere die Kultur

von anderen. Ich möchte auch, dass die auch meine Kultur akzeptieren“ (BT: Z.161). Er hebt

sein eigenes Engagement in diesem Bereich hervor und stuft das Zusammenleben der Kulturen

als Bereicherung ein. „Zum Beispiel, man kann auch von deutscher Kultur auch was lernen. Die

Deutschen können auch von unserer türkischen Kultur auch was lernen. Also dann nenn ich‘s so

Kulturaustausch“ (BT: Z.164). So schätze er an der deutschen Kultur Disziplin und

Detailgenauigkeit als Eigenschaften der Menschen. Auf der anderen Seite könnten die

Deutschen von den Eigenschaften Offenheit und Wärme der türkischen Mitbürger profitieren.

Auch der Verein setze sich besonders für diesen Austausch zwischen den Kulturen ein.

Zum Festival MELEZ gibt er Andeutungen zu mangelnder Information und beschränktem

Interesse. Der Veranstaltungsort vom Festival MELEZ scheint ihm wichtig: „Wo hat das

stattgefunden?“ (BT: Z.225). MELEZ als Festival ist ihm unbekannt. Allerdings kennt er

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57

Auswertung der Interviews 5

LiteraTürk, was er jedoch nicht besuchte. Zur Frage nach seinem Interesse meint er: „Ich selber

ein bisschen, ja“ (BT: Z.202). Im späteren Gespräch stellt sich allerdings heraus, dass es

Programmflyer für LiteraTürk im Verein gab, aber wenige Autoren bekannt waren und daher

das Interesse daran gering war. Vom Programm des Festivals MELEZ findet er wenige Punkte

interessant, so etwa das MELEZ.LABOR.

Der Wunsch nach Anerkennung der Herkunftskultur und Einbindung in die Stadt wird ebenfalls

von dem Befragten thematisiert. Er wünsche sich einen Stand seines Kulturvereins für das

Kulturhauptstadtjahr. „Aber wie gesagt, das wäre eine große Erreichung, dass man in der Stadt

Essen so einen Stand kriegen könnte, der auch von kulturelle Sachen sich präsentiert. (…). Das

würde auch viel helfen für beide Kulturen“ (BT: Z.265). Über finanzielle Mittel oder Personal

müsse man sich jedoch Gedanken machen und Unterstützungen einholen. Außerdem wünscht

er sich generell in Deutschland, dass der Staat muslimische Feiertage als gesetzliche Feiertage

etabliere, wie es bereits in anderen europäischen Ländern der Fall ist.

5.1.3 Pretest: Befragter CT

Ich bin viel leserisch

Der zweite Befragte des türkischen Vereins kam in der zweiten Generation30 nach Deutschland.

Er hat die meiste Zeit in Deutschland verbracht und hat hier eine deutsche Schule besucht. Im

Rahmen seiner Tätigkeit im türkischen Verein hat er sich für migrationspolitische Themen und

besonders für türkische Themen engagiert.

Der Interviewte verwendet während des Gesprächs einen weiten Kulturbegriff, was sich darin

zeigt, dass er jedweden Lebensbereich als Kultur erachtet. Er sagt dazu: „Für mich bedeutet

Kultur, ein Mensch, was er ist. Kultur macht den Mensch selbst“ (CT: Z. 419). Kultur ist für ihn

eine „Gesamtheit“ (CT: Z.236). Außerdem ist Kultur für ihn anscheinend ein schützenswertes

Gut, deshalb lobt er, dass in Deutschland kulturelle Institutionen nach dem Krieg als Erstes

wieder aufgebaut wurden.

Wichtig an seiner Herkunftskultur sind für den Befragten Sprache und Religion, mit welchen er

erzogen wurde.

„Da wurde ich auch großgezogen in unsere Kultur-Ideale, unsere Denkweise. Man hat hier mit

geformt, sag ich mal. Heute versuchen wir auch, dass türkische Kultur, Religion das alles,

30

Das bedeutet seine Eltern sind die erste Generation. Sein Vater holte die Familie nach.

Page 63: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

58

Auswertung der Interviews 5

Umgebung versuchen wir an unsere Kinder weiterzugeben. Aber in sich mit der Gesellschaft hier

zusammenzuleben“ (CT: Z.120).

Im letzten Satz wird die Bedeutung des Zusammenlebens der unterschiedlichen Kulturen in der

deutschen Gesellschaft sichtbar. Der Befragte schätze das Ruhrgebiet als seinen Wohnort.

Besonders scheint die Verbundenheit zu den Mitmenschen eine Rolle zu spielen, was sich in

folgender Aussage offenbart: „Ich bin doch froh hierhin zu geblieben. Man hat hier seine eigene

Clique oder Gesellschaft gegründet. In den Moscheen kennt man sich, weil wir auch durch den

Verein. Wir haben auch deutsche Freunde. Auch arabische“ (CT: Z.191). Soziale Kontakte sind in

seinem Lebensalltag offensichtlich wichtig, besonders innerhalb der türkischen Community.

Aber auch hier wird sofort betont, dass man sich nicht abschotte, sondern eine Offenheit zu

anderen Kulturen hege. Dass er Pflege von Bekanntschaften und Freundschaften als wichtig

erachtet, zeigt sich auch im Wunsch nach mehr Besuchen, wie zu Zeiten seiner Eltern: „Die

haben Sehnsucht gehabt. Und jetzt ist das alles weg. Man ist auf sich alleine gestellt“ (CT:

Z.303). In Deutschland schätze er das soziale Netz, die Sicherheit in Deutschland: „Deswegen,

ich fühl mich hier besser aufgehoben als in der Türkei“ (CT: Z.214).

Das Zusammenleben der Kulturen erlebe er persönlich als Bereicherung. „Und das heißt gute

Sachen, menschliche Sachen, da sollte man auf jeden Fall auch voneinander... Also wir können

von den Deutschen was lernen, die können von uns was lernen“ (CT: Z.266). So wären die

Türken oder auch die Migranten allgemein „eine Bereicherung für diese Gesellschaft. Wir

können in Deutschland, die ganze Wirtschaft, das Kulturleben nur davon profitieren“ (CT:

Z.311). Allerdings wird auch unter dieser Kategorie deutlich, dass ein respektvoller Umgang für

das Zusammenleben essenziell sei. So wie er den Respekt der Mitbürger für seine Kultur

erwarte, möchte er auch den anderen Menschen ihre kulturelle Freiheit lassen, was in

folgender Bemerkung zu seiner Herkunftskultur sichtbar wird: „Zeigen ja. Aber bitte nicht

Eindruck erwecken, dass die Menschen anders werden sollen. Nein“ (CT: Z.308).

Im Gespräch gibt er seine kulturellen Interessen an. Zunächst nennt er das Kino, welches er

öfters besuche. Danach erwähnt er, dass er selten auch ins Theater, in den Zoo und ins

Museum gehe. Als kulturelle Institution finde er die Zeche Zollverein wichtig. Darüber hinaus

lese er gerne und viel. Er stuft sich selber als „künstlerisch nicht, aber wie gesagt, (…) leserisch“

(CT: Z.329) ein. Zu den Lesemedien würden hier Bücher sowie Zeitschriften und Zeitungen

gehören. Außerdem nutze er das Fernsehen. „Ich gucke Westdeutsche Rundfunk oder so. Gutes

deutsch. Unterhaltung. Theaterstück und so. Sowas seh‘ ich gerne“ (CT: Z.271). Im Fernsehen

sehe er sich kulturelle Sendungen an, die primär zur Unterhaltung dienen. Hierbei zeigt sich,

dass die Kulturnutzung gleichzeitig an individuelle Selektionskriterien geknüpft ist. Als weitere

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59

Auswertung der Interviews 5

kulturelle Aktivität weist er auf musikalische Veranstaltungen hin. Hierbei sei primäres

Selektionskriterium, dass es „doch türkische“ (CT: Z.277) Konzerte seien. Im Interview macht

der Befragte deutlich, dass er die Türkei weiterhin als seine Heimat betrachte und ein

Zugehörigkeitsgefühl habe, welches er nicht ablegen könne.

Obwohl er eine starke Verbindung zu seiner Herkunftskultur habe, habe er nicht ausschließlich

Interesse an dieser, sondern auch an anderen Kulturen. „Ja logisch. Eher sowieso. Eher

türkisch, aber wenn anderes gibt, warum nicht. Um Gottes Willen“ (CT: Z. 410). Kultur mit

türkischem Bezug nutze er aber auch, um die Kultur an seine Familie weiterzuvermitteln.

Anscheinend spielt das Erlebnis und die Vermittlung der Kultur an die Familie beim Besuch

kultureller Veranstaltungen auch eine Rolle: „Ja, jaja. Ziel und Zweck Kultur zu erleben.

Anatolische, wenn irgendwas gibt, dann versuchen wir mit ganzer Familie dahin zu gehen“ (CT:

Z.286).

Zu Themen, die Bezug zu seiner Herkunftskultur haben, lese er ebenfalls viel. Hierbei

interessiere ihn, wie seine Kultur in europäischer Literatur dargestellt werde. „Ich hab nämlich

Angst, wenn eine Deutsche oder nicht nur Deutsche auch Europäer, wenn über unsere Region,

unsere Vorzeigepersonen gesprochen wird – Prophet, können auch andere Personen sein - wie

er das liest“ (CT: Z.340). Das eröffnet eine neue Kategorie, nämlich die Anerkennung seiner

Kultur. Er bemängelt ein verzerrtes Bild über Türken. Generell gäbe es in der westlichen Welt

Vorurteile gegenüber diese, „weil immer Türken schlecht erzählt wird“ (CT: Z.37). Als Beispiel

führt er die türkische Geschichte an, die fehlerhaft und nicht wissenschaftlich fundiert

dargestellt werde.

Seine persönliche Vorliebe, das Lesen, ist ein Faktor, der die kulturelle Nutzung in anderer

Weise mit prägt. Er beziehe viele Informationen, auch zu kulturellen Veranstaltungen, aus

Zeitungen. Hierbei sei es entscheidend, welche Art von Informationen er suche, ob er in einer

türkischen oder einer deutschen Zeitung nachschaue. Kulturelle Veranstaltungen finde er

beispielsweise nicht überall. „Obwohl ich sehr gerne Bildzeitung lese, aber nicht um Meinung

zu bilden. Nur, was die sagt“ (CT: Z.291). Er lese darüber hinaus auch WAZ31 und FAZ. Andere

Informationsquellen seien Plakate und andere Medien. Er höre viel Radio, vor allem Radio

Essen. „Wenn ich Auto, mach ich immer Radio an. Mach ich gerne. Also ich bin

informationshungrig. Ich weiß es nicht warum. Aber deutsch“ (CT: Z.377). Weitere

Informationen erhalte er über deutsches und türkisches Fernsehen.

31

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Erscheint mit 28 Lokalausgaben im Ruhrgebiet.

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Auswertung der Interviews 5

Da er sich als Teil der Gesellschaft betrachtet, zeigt er Interesse besonders für RUHR.2010 im

Gespräch: „Wenn jetzt die Ruhr 10 nach Essen kommt oder nach Ruhr. Der Blickpunkt ist auf

jeden Fall in Essen. Und dann - sind wir wieder eine Bereicherung für die Stadt Essen. Sowas in

dieser Hinsicht. Das kann nur Gutes heißen. Deswegen, ich würd das akzeptieren und gerne

mitmachen“ (CT: Z.392). Vom Festival MELEZ kenne er einzelne Programmpunkte, wie

LiteraTürk, allerdings sei er nicht dort gewesen. „Da ist schade, das ist bei mir vorbeigegangen.

Ich hab das schon gehört, aber leider“ (CT: Z.442). Für die Kulturhauptstadt RUHR.2010 kann er

sich vorstellen „in jedem Fall“ (CT: Z.398) an Programmpunkten teilzunehmen. Dennoch hat er

einige Kritikpunkte an dem Kulturhauptstadtjahr. Zum einen würde sehr viel weniger Geld im

Vergleich zur Kulturhauptstadt Istanbul ausgegeben. Und auf die Frage nach Wünschen für das

Kulturhauptstadtjahr sieht er eine Diskrepanz zwischen den Vorstellungen der

Programmmacher und den Interessen der einfachen Bürger: „Wegen die Gedankengut sag ich,

die Menschen, die da oben stehen. Was die sich vorstellen, ob das gleicht, nicht mit mir, aber

mit den einfachen Leuten“ (CT: Z.426).

Der Befragte hegt einige Wünsche für kulturelle Veranstaltungen. Den Bezug zu seiner Heimat

hätte er am liebsten durch die Musik- und Tanzgruppe Feuer aus Anatolien vertreten. Er regt

eine Ausstellung über das Osmanische Reich an, da man so gleichzeitig etwas über Türken und

über Muslime erfahren könne. Außerdem habe der Verein schon lange einen Türkentag

geplant. Sie stellen sich darunter eine Art Parade vor, die deutschlandweit stattfinden könne.

Auf dieser Parade sollte ihre Kultur gezeigt werden. Bislang fehlten allerdings die Mittel diese

umzusetzen. „Diese Gedankengut – früher oder später werden wir das schaffen. Das haben wir

im Hinterkopf. Wenn wir Geld haben, heißt das“ (CT: Z.324). Für seinen Lebensalltag wünscht

sich der Befragte die Etablierung muslimischer Feiertage in Deutschland.

Den Einbezug weiterer Bevölkerungsgruppen findet er für RUHR.2010 bzw. MELEZ

wünschenswert. Er würde ein spezielles Programm für Kinder und Jugendliche begrüßen, um

diese anzuspornen auch teilzunehmen. Auch ein Theaterstück würde er sich wünschen, „aber

Theater - über tägliche Probleme des einfachen Menschen. Vor allem unsere Probleme hier in

Deutschland darstellen, wie auch Türkei. Sowas könnte man machen. Damit die Menschen da

Interesse haben“ (CT: Z.435). Er vermutet offenbar, dass der Anknüpfungspunkt an die

Lebenswelt der Menschen ihr Interesse für solche kulturelle Angebote wecken könnte.

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Auswertung der Interviews 5

5.1.4 Befragter DT

Die richtige Kultur von der Türkei ist ausgestorben

Der Befragte ist in der zweiten Generation nach Deutschland gekommen. Er ist Kind eines

Arbeitsmigranten, hat aber einen Teil seiner Kindheit in der Türkei verbracht.

Die Frage, ob er das Festival MELEZ kennt, verneint der Befragte. Allerdings kenne er

Programmpunkte, die einen Bezug zu seiner Herkunftskultur haben, nämlich LiteraTürk und

Sivas 93. Beides habe er jedoch noch nicht besucht. Bei LiteraTürk kennt er wenige Details,

sagt aber auch, dass er keinen Wert darauf lege, die teilnehmenden Autoren zu kennen. Zu

dem Theaterstück Sivas 93 zeigt er eine desinteressierte, wenn nicht gar ablehnende Haltung.

Das äußert sich in Passagen wie der folgenden: „Das ist in Politik hineingereicht worden.

Normalerweise das war so eine Problem unter Politikern. Und die haben sich gegenseitig

angemacht. Deswegen haben sie das vorgespielt. Deswegen interessiert mich das

normalerweise nicht“ (DT: Z.106). Hier deutet sich die Kategorie „Politisierung kultureller

Veranstaltungen“ an. Er meint, politische Debatten würden innerhalb der Vorstellung

weitergeführt. Da es zu Sivas 93 jedes Jahr Vorstellungen in der ganzen Welt gäbe, wirke sich

das negativ auf das Bild der Türkei in der Öffentlichkeit aus. Er vermutet auch hinter der

Veranstaltung „andere Zwecke. Die hetzen die Jugendlichen. Nach dem Show immer passiert

jede Ecke so Kleinigkeiten, dass man auch mitkriegt. Und sowas muss doch gar nicht sein“ (DT:

Z.158). An Veranstaltungen wie diesen, die sich mit Politik auseinander setzen, habe er kein

Interesse. Generell würde er zu MELEZ nur gehen, „wenn da jetzt was anders gäbe“ (DT:

Z.136). Das jetzige Programm wecke nicht sein Interesse. Popkonzerte sprächen ihn

beispielsweise gar nicht an.

Das Gespräch wird geprägt durch ein weiteres Themenfeld: Die Vermischung der Kulturen. Als

Alternative für das bestehende Programm würde er sich wünschen, „dass alle Leute

gleichzeitig was unternehmen. Damit mein ich jetzt von jede Kultur“ (DT: Z. 166). Er verweist

hier darauf, dass nicht die einzelnen Kulturen einzelne Programmpunkte ihrer Kultur zeigen

sollen, sondern dass die reale Lebenssituation in Deutschland wiedergespiegelt werden soll.

„Wir wachsen ja hier in Deutschland alle ineinander. Und das soll auch wie Bruder und

Schwester sein.“ Er spricht sich also für einen Dialog auf gleicher Augenhöhe zwischen den

Kulturen aus und für ein Kulturangebot, das die Vermischung innerhalb der Vielfalt der

Kulturen präsentiere. „Das würd mich auch interessieren. Da würd ich auch hingehen“ (DT:

Z.173).

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62

Auswertung der Interviews 5

Weiter wird deutlich, dass ihn offensichtlich das Zusammenleben als Austausch der Kulturen

besonders interessiert. Er zeigt auf, dass die türkische Kultur sich mittlerweile in Deutschland

etabliert habe, wie sich etwa im Essen zeige. Er sieht es als Bereicherung und als natürlichen

Prozess, dass die Kulturen voneinander Dinge übernehmen: „Jeder nimmt von den anderen

was ab“ (DT: Z.363). Dennoch solle die Vielfalt der Kulturen erhalten bleiben, was sich in dieser

Passage zeigt: „Insgesamt, jeder Mensch muss seine Kultur weitergeben. Muss auch rote, gelbe,

weiße alles mit drin sein“ (DT: Z.351).

Die mangelnde Anerkennung der türkischen Kultur wird außerdem thematisiert. Seiner Ansicht

nach ist es wichtig, sich gegenseitig Respekt zu erweisen. „Wichtigste ist, bevor man Kultur

Öffentlichkeit zeigt, man soll sich bisschen auch als Deutsche, hauptsächlich als Deutsche - man

soll gegenseitig auch mal Respekt haben“ (DT: Z. 379). Gegenseitige Anerkennung sei also eine

Grundlage für die angemessene Darstellung von Kulturen. Allerdings beanstandet er, dass es

an dieser Anerkennung der Türken, aber auch der Arbeitsmigranten allgemein, in Deutschland

mangele.

Generell sei ein Problem in Deutschland auch die falsche Darstellung der türkischen Kultur.

Diese würde hier „nicht richtig vorgespielt“ (DT: Z.181). Regionalspezifische Kulturen aus der

Türkei werden als die türkische Kultur wahrgenommen, dies ist aber „nicht die Kultur von

Türken“ (DT: Z.183). Vielmehr sei es eine Mischung und nicht mit der Kultur in der Türkei zu

vergleichen. „In Türkei an jeder Ecke ist ´ne andere Kultur. Das haben die hier nicht“ (DT: Z.

184). Da die türkische Kultur seiner Ansicht nach falsch dargestellt werde, besuche er hier auch

keine kulturellen Angebote mit Bezug zur türkischen Kultur. Besonders türkische Konzerte

besuche er nur in der Türkei, „weil in Türkei wird ganz anders hergestellt als hier“ (DT: Z.302).

Auch seine Frau finde keinen Gefallen an türkischen Konzerten in Deutschland. In der Türkei

hingegen würden die Kriterien erfüllt, die „man erwartet normalerweise von dem Konzert“ (DT:

Z. 294).

Ansonsten nutze er in Deutschland andere kulturelle Angebote wie Kino. Außerdem gehe er

gerne in jede Art von Museum. Als Kulturinstitutionen in Essen, die ihm bekannt sind, nennt er

das Museum in Rüttenscheid und die Grugahalle. Am ehesten nutze er Kultur im Urlaub. Hier

interessiere er sich für die Kultur verschiedener Städte und Länder. Am liebsten gehe er ins

Museum. Aber generell sei er an mehr kulturellen Angeboten interessiert. „Nicht nur auf eine

Sache, sondern auf alles“ (DT: Z.270).

Im weiteren Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass er im Alltag andere Prioritäten als

Kultur setzt. Im Alltag sei man „sowieso wie Roboter“ (DT: Z. 237). So verbringe er seine Zeit

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Auswertung der Interviews 5

hauptsächlich mit der Arbeit, würde aber auch Fernsehen, ein bisschen Sport machen und in

den (türkischen) Verein gehen. „Mehr Zeit hat man nicht“ (DT: Z.246). Wenn der Mangel an

Zeit jedoch wegfallen würde, wäre es für ihn selbstverständlich mehr kulturelle Angebote

wahrzunehmen. „Wenn man mehr Zeit hat, klare Sache“ (DT: Z.260). Ein weiterer Faktor, der

seine kulturelle Teilnahme beeinflusst, ist, dass er denkt, dass sich das Kulturangebot in einer

Stadt nach einer gewissen Zeit erschöpfe. „Was kann man in Essen besuchen? Einmal in

Museum in Rüttenscheid. Da haben wir schon besucht 1971. Und da geht man nicht zehnmal

hin. Wenn man zweimal reingeguckt, das war’s“ (DT: Z.265). Darüber hinaus komme in

Deutschland das Wetter hinzu, das ihn daran hindert, zu kulturellen Veranstaltungen zu gehen.

In der Türkei würde er weniger schlafen und habe so mehr Motivation danach zu suchen, was

er besuchen könnte.

Den Einfluss von sozialen Kontakten auf die Kulturnutzung zeigt sich im Gespräch über die

Informationswege. Informationen zu kulturellen Veranstaltungen beziehe er aus

Empfehlungen von Freunden und Bekannten. „Auch unter Kollegen, wenn man was hört, geht

man mal gerne hin“ (DT: Z.233). Darüber hinaus beziehe er weitere Informationen über

deutsche und türkische Fernsehsender. Um Karten für Veranstaltungen zu erwerben, nutze er

im Fall des Kinos manchmal das Internet oder Telefon. Ansonsten kaufe er die Tickets vor Ort.

Die Bedeutung des Erhalts seiner Kultur wird im Interview ebenfalls deutlich. Die türkische

Kultur sei ihm sehr wichtig. Er fasst seine Kultur in eine weite Definition, da er darunter unter

anderem auch Kulinarisches subsumiert. Der Befragte stellt zur Wichtigkeit seiner Kultur drei

Teilbereiche heraus, welche ihm persönlich viel bedeuten, nämlich Sprache, Religion und

Verhaltensweisen. Für seine Familie möchte er Teile der türkischen Kultur erhalten, so die

Sprache und die Religion. Auch Verhaltensweisen wie Respekt seien für ihn wichtig. Diese

würden die türkische Kultur allerdings nur teilweise auszeichnen. Auch in Deutschland sei dies

einst eine Eigenschaft der Menschen gewesen, aber die Mentalität sei heute anders.

Als weiteres Themenfeld spricht er die beschränkte Möglichkeit der Weitergabe seiner Kultur

an. Er glaubt, die „richtige Kultur von Türkei ist ausgestorben“ (DT: Z.309). Er behauptet so,

dass auf die nächste Generation Einflüsse von außen wie das Internet, das Fernsehen und

andere Mitmenschen größere Auswirkung haben. Er bedauere dies: „Nur mir tut weh und leid

insgesamt Türken, dass die Kinder das nicht weitergeben können“ (DT: Z.336).

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Auswertung der Interviews 5

5.1.5 Befragte ER

Es ist zu schade, wenn Teile der Kultur vergessen und verloren werden

Als Russlanddeutsche kommt die Befragte aus der besonderen Situation, dass sie zwar in

Kasachstan aufgewachsen ist, dort aber deutsche Kultur gelebt hat.

Sie betrachtet ihr Herkunftsland als ihre Heimat und berichtet über das Zusammenleben der

unterschiedlichen Kulturen in Kasachstan „wir haben gut miteinander auch gelebt“ (ER: Z.59).

Persönliche Präferenzen während des Gespräches sind immer wieder die Familie und ihre

besondere Geschichte als Russlanddeutsche.

Ihr Interesse und Engagement im Bereich der Interkulturalität hebt die Befragte während des

Interviews hervor. Das Festival MELEZ sei bei der Befragten „so ein bisschen“ (ER: Z.96)

bekannt. Sie kenne jedoch keine konkreten Programmpunkte. Allerdings findet sie

Ähnlichkeiten zu einem interkulturellen Fest, das von der Stadt 2008 veranstaltet wurde, bei

welchem ihr Verein mitwirkte. Bei diesem Fest hätten zehn Vereine unterschiedlicher Kulturen

teilgenommen und hätten sich durch eine Bandbreite von Angeboten, von Folkloregruppen

über Kindergesänge und –tänze bis hin zu Vorlesungen und Fotoausstellungen, präsentiert. Sie

habe die Veranstaltung „sehr interessant“ gefunden und berichtet weiter: „Und wir haben uns

schon nach diesem Fest auch wieder getroffen alle zusammen. Hat die Stadt (XY) auch gesagt,

vielleicht wäre nicht schlecht, wenn wir jedes Jahr so etwas machen“ (ER: Z.103). Die

Vernetzung der Vereine und somit der Kontakt unter den verschiedenen Kulturen innerhalb

der Stadt ist ihr offensichtlich wichtig. In Bezug zu MELEZ meint sie: „Also ich sehe da viele

ähnliche Sachen auch“ (ER: Z.147). Für das Festival MELEZ zeigt sie Interesse. Besonders

spannend finde sie das Renegade-Theatre: „Das wäre interessant für mich persönlich. Aber ja

gut, wie gesagt die ganze Programm ist eigentlich für mich interessant“ (ER: Z.152). Hier zeigt

sich ihre Offenheit für verschiedene Genres.

Sie nennt auch Faktoren, von denen sie meint, dass sie zum Gelingen einer für sie spannenden

Veranstaltung beitragen würden. Zum einen berichtet sie über das interkulturelle Fest, dass es

„nicht übertrieben“ war, „und trotzdem haben die Leute viel gesehen“ (ER: Z.180). Wichtig

scheint hier nicht, die Veranstaltung möglichst groß und aufwendig zu organisieren, sondern

den Besuchern eine Vielfalt an Veranstaltungen und Kulturen zu präsentieren. Darüber hinaus

sei es nötig, dass alle Programmpunkte für alle verständlich seien. Es sollte eine möglichst

breite Bevölkerungsgruppe einbezogen werden, „weil wir machen solche Sachen nicht nur für

bestimmte Gruppen. Wir möchten von anderen Gruppen was hören und sehen und die Leute

erwarten von uns auch genau so was“ (ER: Z.287). Dies habe ihr auch an dem interkulturellen

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Auswertung der Interviews 5

Fest besonders gefallen, „dass wir sehr bunt waren“ (ER: Z.163). Hier zeigt sich die Kategorie,

dass sie die Vielfalt der Kulturen als Bereicherung betrachtet. Da setzt auch ihr Wunsch für

MELEZ an: „Oh ja, wie gesagt, dass sie ein bisschen mehr - andere Kulturen zeigen. Und ja,

vielleicht auch irgendwie von Russlanddeutschen auch“ (ER: Z.169). In diesem Rahmen könne

sie sich einen musikalischen Beitrag von den Russlanddeutschen vorstellen. Auch ihren

persönlichen Bezug zu anderen Kulturen möchte sie verdeutlichen durch Nennung privater

Beziehungen zu italienischen Mitbürgern.

Ansonsten nutze sie diverse kulturelle Angebote im Ruhrgebiet. Sie besuche gerne Theater und

Ballett. Darüber hinaus höre sie sich gerne Konzerte an, die von Klassik bis hin zu Punkrock

variieren können. Der Grund für den Besuch an dieser Vielfalt an Angeboten seien

musikalische Aktivitäten von Familienmitgliedern, aber auch von Mitgliedern im Verein. Die

Familie habe darüber hinaus eine Zeit lang ein Abonnement bei der Philharmonie in Essen

gehabt. Die Wichtigkeit der Familie ist immer wieder ein Bezugspunkt während des

Gespräches. Eine besondere kulturelle Veranstaltung hebt sie hervor, nämlich den

„Nussknacker (lacht). Aber das ist aus Russland. Nationalballett“ (ER: Z.203). Diese

Veranstaltung möchte sie besonders ihren Kindern gerne zeigen. Sie nutze nicht sehr häufig

das Angebot. Ausschlaggebend sei, ob „ich Zeit habe oder wenn ich Programm interessant

finde, dann geh ich“ (ER: Z.192).

Über die Veranstaltungen erfahre sie zumeist eher zufällig. Andere Informanten seien ihre

Familienmitglieder und die Mitglieder im Russlandforum. Als sie über ein Abonnement der

Philharmonie verfügten, hätten sie außerdem Informationsmaterial zugeschickt bekommen.

Die Tickets würden sie in letzter Zeit meisten per Internet besorgen. „ Ganz selten Abendkasse.

Lieber ein bisschen früher“ (ER: Z.211).

Die Befragte betont, dass der Bezug zu ihrer Herkunftskultur zwar wichtig, aber nicht

entscheidend für ihre Kulturnutzung sei. Sie nutze russische oder kasachische Angebote nicht

eher als Angebote anderer Kulturen, denn „das ist gleich, absolut gleich“ (ER: Z.225). Sie kann

sich aber vorstellen, dass ihre Landsleute doch gezielt nach solchen Programmen suchen

würden. Und sie möchte manchmal ihren Kindern etwas von der Kultur zeigen, „was hab ich

selbst schon gesehen“ (ER: Z.229). Für ihre Kulturnutzung entscheidend seien eher persönliche

Gütekriterien und Empfehlungen: „Aber wenn ich was gesehen habe, hab ich gehört, ‚Mensch

das ist Klasse, das ist toll‘, dann gehe ich da hin. Guck ich selbst. Ob das russisch ist oder aus

Australien. Oder aus Deutschland. Wenn das schön ist, dann ist das schön“ (ER: Z.242).

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Auswertung der Interviews 5

Ihre Herkunftskultur betrachte sie immer noch als wichtig. Hierbei verweist sie besonders auf

die Traditionen und die Sprache. Das sei auch bei anderen so, denn „ich höre von unsere

Landsleute, dass die so machen, wie wir da gemacht haben. Und manchmal, wenn dann

gemischte Ehen sind und die sehen, wie wir das gemacht haben, dann finden sie das toll und

die machen das mit“ (ER: Z.251). Es zeigt sich, dass die Befragte ihre Kultur als Bereicherung für

Menschen anderer kultureller Herkunft betrachtet. Sie findet es bedeutsam, dass die Kultur

nicht vollständig verloren gehe, denn das sei in der ehemaligen Sowjetunion bereits

geschehen. Sie möchte ihre Sprache insbesondere an ihre Kinder weitergeben, da sie diese als

Bereicherung empfinde. „Deshalb sag ich: Nee Leute, das ist zu schade. Wenn man so eine

Sprache vergessen und verloren“ (ER: Z.283).

5.1.6 Befragte FP

Ich bin da schon sehr multikulti

Die Befragte lebt seit 27 Jahren in Deutschland, weil sie hier die Möglichkeit erhielt mit ihrem

Ehepartner aus Montenegro zusammenzuleben. Sie stammt aus Polen, hat aber deutsche

Vorfahren.

Als Bürgerin des Ruhrgebiets nutze sie dort das kulturelle Angebot. Sie pflege die polnische

Kultur durch „die Zugehörigkeit zum Verein“ (FP: Z.35). Dabei zeigt sich, dass sie zum einen die

Regelmäßigkeit der Veranstaltungen als wichtig empfindet und zum anderen, dass die sozialen

Kontakte innerhalb des Vereins ausschlaggebend für den Besuch kultureller Veranstaltungen

sind.

Das Zusammenleben mit der deutschen Kultur sei ihr wichtig. Sie schotte sich nicht von dieser

ab, sondern hebt hervor, dass sie diese ebenfalls schätze und sich als Teil davon betrachte. Um

ihr Interesse an deutscher Kultur hervorzuheben, bemerkt sie, dass sie private Kontakte mit

Deutschen pflege und zu Veranstaltungen gehe, wie z.B. „auf Konzerte Peter Maffay etc. Also

ich bin für alles offen“ (FP: Z.34). In dem zweiten Satz wird eine weitere Kategorie im

Zusammenhang zu ihrer Kulturnutzung deutlich, nämlich die Offenheit zu anderen Kulturen

neben dem Interesse für die Herkunftskultur und vermutlich auch für andere Kunstformen.

Durch verschiedene persönliche Bezüge hat sie ein multikulturelles Interesse.

„Dadurch, dass ja auch, also mein Mann kommt ja auch aus Montenegro. Da ist ja auch andere

Kultur. Ich bin da schon sehr multikulti. Muss ich ehrlich zugestehen. Ich bin ja auch für alle

offen. Ich hab ja auch Bekannte, die türkischer Herkunft sind. Und da kriegt man doch einiges

mit deswegen. Das finde ich sehr interessant überhaupt“ (ER: Z.74).

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Auswertung der Interviews 5

Eben dieser Bezug zu verschiedenen Kulturen interessiere sie auch besonders an MELEZ:„Auch

von mehreren Nationen, wenn das da vorgestellt wird“ (FP: Z.70). Darüber hinaus finde sie bei

MELEZ Musikgruppen und Theater interessant. Vorher war ihr MELEZ nicht bekannt, sie meint

allerdings Programmpunkte wiederzuerkennen. Nach der Programmvorstellung kann sie sich

vorstellen, nächstes Jahr 2009 dieses Festival zu besuchen. Sie würde sich für das Programm

am ehesten etwas in Richtung Musik wünschen, denn „das ist schon eher meine Richtung“ (FP:

Z.109).

Zu den äußeren Rahmenbedingungen ihrer Kulturnutzung gehört der Weg, wie sie ihre

Informationen bezieht. Sie erhalte Informationen über Veranstaltungen aus der WAZ, welche

sie jeden Tag nachverfolge. Darüber hinaus wird das Internet als eine wichtige

Informationsquelle hervorgehoben. Hier verweist sie auf die Seite des Essener Kulturbüros, auf

welcher sie Informationen zu interkulturellen Veranstaltungen erhalte. „Essen interkulturell.

Also in Essen gibt‘s ja auch Kulturbüro. Da kann man ja auch anklicken alles. Da gibt‘s ja genug

Infos. Wenn man Interesse hat“ (FP: Z.130). Tickets erwerbe sie über die Abendkasse oder über

den Vorverkauf.

Für ihre Kulturnutzung sei ebenfalls der polnische Verein wichtig. Dieser sei zum einen eine

wichtige Informationsquelle. Hier erhalte sie schnell Informationen über Veranstaltungen,

besonders in der Nachbarschaft wie in der Zeche Zollverein. Sie würden darüber hinaus

gemeinsam Veranstaltungen besuchen. „Ja also, wir machen das mit dem Verein oft“ (FP:

Z.113). Meist hätten diese gemeinsamen Besuche einen Bezug zur polnischen Kultur. „Es ging

ja hauptsächlich um Polen“ (FP: Z.116).

Als Bedingungen für Kulturnutzung benennt sie auch, dass die Veranstaltungen im Umkreis

stattfinden sollten. Außerdem scheinen der Wochentag und die Jahreszeit eine Rolle zu

spielen. „Im Sommer da passiert einiges. Das wird auch sehr gut besucht. Und ich denke, wenn

das so bleibt und wenn vielleicht was Neues dazu kommt, warum nicht? Man lebt ja in der

Stadt. Da geht man gerne raus. Gerade Sonntag, wenn da was läuft, da guckt man gerne zu“

(FP: Z.175).

Außerdem wird die Bedeutung von positiven Erlebnissen bei kulturellen Veranstaltungen im

Gespräch deutlich. Für das Kulturhauptstadtjahr wünsche sie sich, dass es immer neue

Veranstaltungen geben solle, da das Erleben von etwas Neuem anscheinend auch ein

Qualitätskriterium für sie ist. Generell wichtig erscheint ihr die nachhaltige Wirkung kultureller

Veranstaltungen auf den Besucher. So wünsche sie sich für MELEZ, „dass man dann sehr viele

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68

Auswertung der Interviews 5

gute Erinnerungen mit nach Hause bringt. Dass einen das auch einige Zeit beschäftigt. Das ist

sehr wichtig“ (FP: Z.99).

Im Gespräch lässt sich erkennen, dass sie andere Prioritäten im Alltag vor Kultur setzt. Sie setzt

ihre Präferenzen auf ihr Privatleben, so unter anderem auf das Engagement im Verein. „Von

der Zeit aus – also man hat ja auch ein Privatleben“ (FP: Z.140).

Der besondere Bezug zu ihrer Herkunftskultur enthüllt sich während des Interviews ebenfalls:

„Ja, da besteht immer so ´n Interesse im Hintergrund, dass man dann was sehen möchte“ (FP:

Z.146). Allerdings ist bei polnischen Angeboten auch ihre individuelle Selektion nach ihrem

Geschmack entscheidend.

Das fehlerhafte Bild über die polnische Bevölkerung in Deutschland ist auch eine Kategorie,

welche die Befragte aufwirft. Sie möchte mit Klischees über die polnische Kultur und die

polnischen Menschen aufräumen. „Ja, dass man die Polen nicht nur mit Autoklau verbindet.

(…) Also Polen haben sehr große Kultur, also breite Kultur und das ist ein Volk, das gerne feiert“

(FP: Z.160). Die Anerkennung und wahrheitsgemäße Darstellung ihrer Kultur sei ihr ein großes

Anliegen. Deshalb setze sie sich persönlich auch für die Vermittlung ihrer Kultur an die

Mitbürger ein. „Auch unter Deutschen. Dann erklär ich denen immer warum, weshalb. Das ist

halt auch für mich wichtig, dass die wissen, dass man ganz normal ist“ (FP: Z.163). Dem Dialog

zwischen den Kulturen scheint sie besondere Bedeutung zuzumessen. Da der Verein im

interkulturellen Bereich sehr engagiert ist, könnte sie sich ein Mitwirken des Vereins beim

Kulturhauptstadtjahr vorstellen.

5.1.7 GP Befragte

In Bezug zu Kultur bin ich schon ein Ausnahmefall

Dieses Interview wurde mit einer Frau polnischer Herkunft geführt, welche aus politischen

Gründen nach Deutschland kam. Sie war in Polen lange Zeit im Kulturbereich tätig und

beschreibt daher im Gespräch viel aus dieser Sichtweise. Auch im Ruhrgebiet hat sie bereits

Kunstausstellungen organisiert.

Die Befragte hebt ihre Offenheit für vielfältige Kunstformen hervor. Sie beschreibt im Gespräch

ihre Affinität zu Literatur. Hier zeigt sie ihren Stolz auf die Fähigkeit deutsche Literatur

verstehen und wertschätzen zu können, was sich durch den Prozess des Erlernens und

Entdeckens der deutschen Kultur vollzogen habe. Ansonsten gehe sie gerne in die

Philharmonie Essen und in jede Art von Theater. Außerdem schätze sie Rockkonzerte und hebt

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Auswertung der Interviews 5

hervor, dass sie sich auch für deutsche Künstler begeistere wie etwa Herbert Grönemeyer und

Reinhard Mey. Sie verfolge in den Medien kulturelle Projekte in ihrem Wohnort Duisburg.

Darüber hinaus erklärt sie nach der Vorstellung der Programmpunkte von MELEZ, dass sie für

alles offen sei und auch alles nutzen würde. Neben ihrer Offenheit für vielfältige kulturelle

Veranstaltungen hebt sie besonderes Interesse und Anknüpfungspunkte zu anderen Kulturen

hervor und belegt sie durch persönliche Kontakte zu Menschen türkischer Herkunft.

Sie ist die erste Befragte, die bereits das Vorhaben hatte, MELEZ zu besuchen. Mit dem Namen

des Festivals konnte die Befragte nichts verbinden, erinnert sich aber nach weiteren

Hinweisen, nämlich Plakat und Veranstaltungsorte, dass sie davon erfahren hatte. „Ach das

weiß ich. Da hab ich die Plakat - jaja - das lese ich jede Jahr in Duisburg. Und dann verspreche

ich mir, ich muss nach Bochum kommen und das habe ich seit paar Jahren nicht geschafft.

Obwohl ich hab ich gesehen ganz interessante Dinge laufen“ (GP: Z.89). Die konkreten

Programmpunkte des Festivals von 2008 kenne sie nicht. Für das nächste Jahr kann sie sich

vorstellen, das Festival zu besuchen: „Wenn ich Plakat sehe, dann bestimmt“ (GP: Z.168).

Im Verlauf des Interviews kommt sie immer wieder auf die Kategorie „mangelnde

Bekanntmachung des Festivals MELEZ“ zu sprechen. So wünsche sie sich für das Festival „ein

bisschen mehr Werbung im Radio zum Beispiel. Dass das, dass man hört das. Nicht so im

letzten Monat - im letzten Moment“ (GP: Z.179). Sie schlägt das Medium Radio vor, da man viel

Zeit im Auto verbringe und dort „hört man immer Radio. Das ist, ich meine, ein Mittel der

trifft’s zu jedem“ (GP: Z.200). So könne ihrer Meinung nach eine große Bandbreite von

Menschen erreicht werden. Darüber hinaus könne man Gelder der Stadt hinzunehmen zum

Beispiel, um die Werbung zu optimieren. Dies könne auch durch ungewöhnlichere Mittel

geschehen, Flyer beispielsweise wären nicht originell genug. Sie ist davon überzeugt, dass die

Mehrheit der Menschen im Ruhrgebiet das Festival nicht kennt: „Das ist wirklich schade, dass

ist zu wenig Werbung. Ne weil, wenn sie jetzt so auf die Straße so eine Interview machen,

bestimmt wer hat das davon gehört?“ (GP: Z.189). Die Individualität ihrer Person und ihres

kulturellen Interesses hebt die Befragte in diesem Zusammenhang als ungewöhnlich hervor.

„Und ich, sagen wir, ich bin schon Ausnahmefall, weil ich interessiere mich für so eine Sachen“

(GP: Z.194).

Die Teilnahme einer möglichst breiten Bevölkerung am kulturellen Angebot hält sie für

essenziell. Für das Kulturhauptstadtjahr wünsche sie sich, dass viele Menschen teilnehmen und

dass diese auch Freude an dem Angebot haben. Weiterhin wünsche sie sich, dass die Arbeit

der Kulturanbieter von der Bevölkerung geschätzt werde. Aus Perspektive der Macher hoffe

sie, dass diese nicht aufgeben, „denn vielleicht für eine ist das zu hoch, aber vielleicht man

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Auswertung der Interviews 5

steckt ihn an so. Ist nicht verlorene Arbeit“ (GP: Z.359). Hier zeigt sich, dass sie kulturellem

Angebot einen Wert für die Gesellschaft zuschreibt.

Im Weiteren legt sie Probleme für Kulturanbieter dar. Durch die wirtschaftliche Krise gäbe es

vor allem den Faktor Geld, der Leute von der Kulturnutzung zurückhalte. Außerdem sei der

Fernsehkonsum ein Grund, warum die kulturelle Nutzung zurückgehe. Hier verweist sie auf die

Position von Marcel Reich-Ranicki.32

Interkulturalität, bzw. dessen Problematik bei kulturellen Angeboten ist ein weiterer

Themenbereich, der im Gespräch auftaucht. Zunächst bringt sie das Festival MELEZ mit

Interkulturalität in Verbindung. Für interkulturelle Veranstaltungen sehe sie Sprache als

mögliche Barriere, welche aber durch bestimmte Kunstformen umgangen werden könne: „Also

ich meine die einzige, wissen Sie, - so Bindungsmaterial, das ist Musik, Tanz. Weil zum Beispiel

so Theater ist schon eine Barriere wegen die Sprache“ (GP: Z.424).

Faktoren, die sie selbst daran hindern an Kultur teilzunehmen, seien ihrer Aussage nach auf

den zeitlichen Faktor zu reduzieren. Durch die Arbeit finde sie nicht genug Zeit und habe

beschränkte Planungsmöglichkeiten, um an mehr kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen.

Die Zeit sei aber auch eine Barriere für andere Menschen. „Zeitlich, dass wir sind jetzt alle so

verrückt“ (GP: Z.256). Die finanziellen Mittel seien selten problematisch, zumindest bis zu

einem gewissen Betrag: „Diese 30, 40 Euro das findet man schon immer“ (GP: Z.255). Wenn es

aber besonders qualitativ hochwertige Angebote sind, sei sie auch bereit mehr zu zahlen. Auch

die Entfernungen im Ruhrgebiet würden sie nicht hindern, an mehr Veranstaltungen

teilzunehmen.

Das Internet wird von der Befragten als Informationsmedium thematisiert. Dies sei ihre liebste

Informationsquelle und auf diesem Wege kaufe sie am liebsten ihre Tickets für kulturelle

Veranstaltungen. Um sich über Künstler weiter zu informieren nutze sie das Internetportal

YouTube: „Aber wissen Sie, manchmal höre ich etwas – Gott sei Dank gibt‘s jetzt YouTube. Das

kann man alles schon finden. Von kulturelle Sachen können Sie ganz viele Sachen finden“ (GP:

Z.284). Im Internet fände man alle Informationen, die man benötige, zum Beispiel den

Veranstaltungsort und den Preis. So reserviere sie ihre Tickets gerne über das Internet, da

dieses die bequemste Form sei. „Kommt nach Hause. Ist per Karte bezahlt. Und man ist sicher.

(lacht)“ (GP: Z.245). Ansonsten informiere sie sich aber auch über Tipps von Bekannten und

32

Dieser hatte etwa den deutschen Fernsehpreis 2008 nicht angenommen und das aktuelle

Fernsehprogramm als „Blödsinn“ betitelt

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71

Auswertung der Interviews 5

über das Radio. Hier präferiere sie Funkhaus Europa, denn „die geben immer sehr schöne

Tipps“ (GP: Z.224).

Neben den Medien Radio und Internet wird das Medium Fernsehen zur Kulturnutzung

genannt. Sie wünsche sich einen regionalen oder nationalen Fernsehsender, der kulturelles

Programm zeige und über den sie sich auch über Veranstaltungen informieren könne. Sie

nutze bereits WDR, 3 sat und arte, bemängelt aber, dass man sich die gewünschten Angebote

zusammensuchen müsse. Sie wünsche sich einen Kanal, der sich auf kulturelles Angebot

spezialisiere. „In Polen zum Beispiel in unsere Zeiten, da war immer Fernsehtheater einmal pro

Woche. Volle, so volle Länge so ohne Abkürzungen. Mir fehlt wirklich hier - aber ich meine das

ist allgemeine Trend in ganze Welt - so eine kulturelle Programm“ (GP: Z.373).

Im Interview wird weiterhin deutlich, dass sie zu ihrem Heimatland eine besondere Beziehung

hat und darauf stolz ist. „Und dann muss ich sagen, dann ist doch Tradition, ist doch immer mit

Heimat verbunden und Heimat ist dort, wo man geboren ist. Das kann man nicht so. Die

Wurzeln kann man nicht abschneiden“ (GP: Z.302). An ihrer Herkunftskultur seien ihr

besonders die Traditionen wichtig. Als Beispiel für eine Tradition nennt sie den Feiertag

Allerheiligen, der in Deutschland anders gefeiert werde als in Polen. Allerdings weist sie auf die

Unterschiede innerhalb der polnischen Kultur hin, da sie ihren Patriotismus für ihre

Herkunftsregion Oberschlesien hervorhebt.

In diesem Gespräch zeigt sich, dass der Bezug zur Herkunftskultur anderen Selektionskriterien

entgegen steht. „Das kann ich nicht so - nee ich geh dort, weil ist da auch polnisch, ne?! Ehrlich

zu sagen muss es das gewisse Niveau schon haben“ (GP: Z.273). In diesem Sinne ziehe sie

polnische kulturelle Angebote nicht den deutschen vor, sondern entscheide nach Qualität oder

ihren persönlichen Präferenzen. Nur wenn die Angebote einen besonderen Bezug zu

Erinnerungen ihrer Vergangenheit, wie etwa Rockgruppen, die Lieblingsidole von vor 30

Jahren, hätten, gäbe sie solchen Angeboten Vorzug.

Unter dem Thema Herkunftskultur kommt sie auf die Vermischung zwischen den Kulturen als

Bereicherung zu sprechen. Sie gibt an, dass Deutsche auch Gefallen an ihren polnischen

Angeboten und Traditionen finden würden, welche vom polnischen Verein gezeigt werden.

Außerdem findet sie, dass man aus beiden Kulturen etwas ziehen sollte. „Deshalb für mich ist

wichtig die besten Sachen von polnischer Kultur und die besten Sachen von deutscher Kultur“

(GP: Z.317). Auch andere Aspekte seien eine Chance wie etwa „deutsche Eigenschaften. Ist, ich

meine, einer ist Idiot, wenn er verbindet das nicht zusammen“ (GP: Z.323). Das möchte sie auch

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Auswertung der Interviews 5

an die nächste Generation weitervermitteln und konstatiert „dann könnte man schöne

Mischung davon machen, ne?!“ (GP: Z.327).

Zum Umgang mit dieser kulturellen Vielfalt kommt sie zum Ende des Gesprächs auf die

besondere Position des Ruhrgebiets zu sprechen. Die gegenseitige Akzeptanz werde von ihr als

wichtig erachtet.

„Ruhrpott ist so schön, sehr offen und so gucken Sie die große Moschee. Wir sind doch sehr

tolerant. Aber ich meine wegen diesen hunderte Jahre Geschichte. Viele Türken, Polen, Italiener

sind gekommen. Das ist reine Gewohnheitssache. Ja und wenn jetzt so eine multikulturelle

Veranstaltung, – dann muss hier sein! Jeder wollte etwas davon haben“ (GP: Z.415).

5.1.8 Befragter HP

In Deutschland war ich noch nie im Kino

Der Befragte HP als erste Generation seiner Familie nach Deutschland und lebt seit 1990 im

Ruhrgebiet. Er hat einen Großteil seines Lebens in Polen verbracht und hat in Deutschland

gearbeitet.

Der Befragte nutze eher wenig kulturelle Veranstaltungen. Auf Nachfrage antwortet er:

„Ehrlich kann ich sagen (lacht), in Deutschland, ich war noch nie im Kino“ (HP: Z.172).

Persönliche Präferenzen im Lebensalltag seien für ihn der Besuch bei seinem polnischen Verein

und das Fernsehen. Bei Letzterem bevorzuge er polnische Sender. An kulturellen Angeboten

nutze er lediglich Straßenfeste, denn „ist so was, ich komme gern und beobachte“ (HP: Z.194).

Auch in seinem Herkunftsland seien andere Aspekte seines Alltags wichtiger gewesen. So habe

er aus Zeitgründen wegen der Familie und des Berufes wenig Kultur genutzt. Dennoch stellt

sich heraus, dass er sich für Kultur interessiert, es allerdings Faktoren gibt, die seine

Kulturnutzung negativ beeinflussen, wie sich in folgender Bemerkung zeigt: „In diese

Musiktheater - ich war da schon zwei- oder dreimal drin, hab ich geguckt und dann weg“ (HP:

Z.176).

Dass sich kulturelle Interessen und Kulturnutzung nicht entsprechen, kommt in seiner

Offenheit für kulturelle Veranstaltungen heraus. Er betont, dass er „neugierig auf diese Welt“

(HP: Z.158) sei und zeigt eine Offenheit für Neues. Er habe zudem Interesse an mehr

Veranstaltungen teilzunehmen.

Nichtsdestotrotz sei er nicht unzufrieden mit seiner kulturellen Nutzung. Er benötige, seiner

Aussage nach, nicht mehr Kultur, denn „normalerweise, was ich brauche, das ich habe.

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Auswertung der Interviews 5

Informationen und kulturell. (-) Deutsche Kultur und Information hab ich von Fernseher“ (HP:

Z.294). Für kulturelle Angebote wie dem Festival MELEZ habe er keine Wünsche. Hier bemerkt

er, „ja, das müsste ich erst kennenlernen. So wie und was und so weiter. Aber das interessiert

mich“ (HP: Z.150).

Er zeigt Interesse an dem Festival MELEZ, welches er bisher noch nicht kennt. Am wichtigsten

sei für ihn, mehr Informationen zu dem Festival zu erhalten. Dabei erscheint ihm zunächst der

Veranstaltungsort wichtig. So antwortet er auf die Frage, ob er das Festival interessant finde:

„Gern. Die Kultur möchte ich gerne kennen lernen. Gern. Aber von wo bekommt man die

Adresse? Wo ist das?“ (HP: Z.112). Normalerweise informiere er sich im Alltag über das

Fernsehen, über Zeitungen, Plakate und das Radio. Er könne sich vorstellen, nächstes Mal zu

MELEZ zu gehen, wenn er das Programm vorher kennen würde. Dabei habe er keine

Präferenzen, was er persönlich dort gerne sehen würde.

Gründe, warum er selten zu kulturellen Veranstaltungen geht, nennt er in verschiedenen

Teilen des Gespräches. Zunächst wird klar, dass Kultur für ihn einen eher niedrigen Stellenwert

in seinem Lebensalltag hat. Seine persönlichen Präferenzen lägen momentan eher im Bereich

der sprachlichen Weiterbildung, weil „was mich interessiert besonders: Ich muss - ich wollte

schon lange, aber das hab ich nicht gemacht - ich will ab neues Jahr noch deutsche Sprache

lernen“ (HP: Z.84). Auch das Erlernen des Umgangs mit Computern sei für ihn zurzeit wichtig in

seinem Leben. Alltagsbeschäftigungen gebe er Vorrang in seinem Leben, wie etwa seine

Verpflichtungen im Bereich der Haushaltsführung.

Wenn in der Vergangenheit, auch in seiner Zeit in Polen, Zeit der größte Hinderungsfaktor

gewesen sei, nicht zu kulturellen Veranstaltungen zu gehen, überwiegt hier nun das Geld.

„Jetzt, jetzt hab ich Ruhe, aber wenig Geld“ (HP: Z.261). Eine weitere Barriere kulturelle

Angebote nicht zu nutzen, sei mangelndes Verständnis, was vermutlich auf sprachliche

Probleme zurückzuführen ist. „Verstehen Sie selbst das, wenn ich nicht verstehe, verstehe, was

soll ich da suchen?“ (HP: Z.223).

Ein Faktor, der jedoch den Besuch kultureller Veranstaltungen begünstige, sei die Pflege

sozialer Kontakte. Bekannte und Freunde treffe er entweder zu Hause oder er gehe auch mit

ihnen weg. „Und auch die Beispiel (XY), da ist die große Wiese am Bergsee und da sind Feste

auch und ja, da geh ich auch gern. Mit Kontakten - gehe ich hin“ (HP: Z.194).

Er nutze polnische Angebote eher, obwohl sein Interesse für andere Angebote nicht geringer

sei. „Polnische und deutsche auch ja“ (HP: Z.219). Er suche nicht speziell nach polnischen

Angeboten:„Nee, nicht Besonderes. Ist ok. Weil hab ich hier den polnischen Club und außerdem

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Auswertung der Interviews 5

hab ich drei polnische Programme im Fernsehen“ (HP: Z.227). Die Sprache ist vermutlich ein

Grund, warum er die polnischen Angebote mehr nutzt. Interesse habe er vor allem an

Ereignissen in Polen, aber auch in anderen Teilen der Welt. Wenn er im Fernsehen etwas aus

der Heimat wiedererkenne, finde er das besonders spannend. „Ja und das war in Danzig. Wo

sie das gezeigt haben, ich kenne die Häuser“ (HP: Z.244). Daraus kann man schließen, dass ein

Bezug zu seiner Lebenswelt, wie beispielsweise bei den Erinnerungen an seine Heimat, seine

Kulturnutzung steigern könnte.

An der Vermittlung der polnischen Kultur an die Mitbürger sei er jedoch nicht interessiert, da

er finde, jeder Mensch solle sich seine Meinung selber bilden: „Dann sie können selbst suchen.

Sich selbst informieren“ (HP: Z.288). Seine persönliche Ablehnung, seine Herkunftskultur weiter

zu vermitteln, begründet er im Folgesatz mit: „Nein, ich hatte schlechte Erfahrungen. Nee, will

ich nicht.“

5.1.9 Befragter II

Mir fehlt die Seele

Dieses Interview wurde mit einem Italiener geführt, der in der ersten Generation nach

Deutschland kam. Er ist selbst kulturschaffend, denn er verfasst Bücher und betreibt

Forschungen, unter anderem zu den historischen Ursprüngen der Italiener im Ruhrgebiet.

Seine Arbeit scheint klar im Mittelpunkt seines Lebens zu stehen und nimmt Bezug auf seine

eigene Person und seine Migrationserfahrungen. Auch in seiner pädagogischen Tätigkeit ist die

Vermittlung seiner Kultur ein wichtiger Gesichtspunkt: „Kultur heißt das, nicht nur wie man

lebt, wie man gewisse Sachen genießt und so weiter, aber auch die gemeinsame Geschichte zu

bearbeiten und erforschen“ (II: Z.33).

Im Gespräch zeigt sich, dass er sich schon intensiv mit Migrationserfahrungen

auseinandergesetzt hat. Eine wichtige Kategorie im Gespräch ist das Leben zwischen den

Kulturen als etwas Positives. Er selbst habe Elemente aus der italienischen und der deutschen

Kultur in sich selbst aufgenommen. Dadurch entstehe ein Prozess, den er wie folgt beschreibt:

„Und seit 30 Jahren die verschiedenen italienischen Schichten, die probieren mit den deutschen

Schichten zu kombinieren. Wie bei einem Tiramisu zum Beispiel. Und würd ich sagen, ist schwer

manchmal“ (II:Z.384). Die Schichten, die er aus seiner Kultur mitbringe, seien nicht spezifisch

italienisch, sondern würden ebenfalls nach der Region innerhalb Italiens differieren und somit

nach unterschiedlichen Traditionen. Hierbei thematisiert er die Heterogenität der italienischen

Kultur. Mit dem Produkt, welches durch den Prozess des Zusammenlebens entstehe, sei er

Page 80: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

75

Auswertung der Interviews 5

zufrieden: „Aber - schmeckt“ (II:Z.386). So ist er der Meinung, dass jeder Mensch durch die

Kulturen aus seiner Umwelt passiv oder aktiv geprägt werde. Auch die Elemente anderer

Kulturen habe er aufgenommen: „Die türkische Kultur, die polnische Kultur, die russische

Kultur, die griechische Kultur, die asiatische Kultur - das sind alle Mosaiksteinchen, die meine

eigene Kultur bilden. Und ich wehre mich nicht dagegen“ (II: Z. 82). Um diese Einflüsse

aufzunehmen, müsse eine gewisse Bereitschaft bei einer Person bestehen, die einzelnen

Elemente auch zu „bearbeiten“ und „anzugleichen“ (II: Z.399). Ansonsten lebe man in seiner

eigenen kulturellen Zelle und es entstünden Integrationsprobleme. Da sich durch die

unterschiedlichen kulturellen Einflüsse eine neue Identität des Menschen entwickle, sei es

auch nicht einfach möglich, in die Heimat zurückzukehren. Für sich selbst empfinde er die

verschiedenen kulturellen Einflüsse als eine Bereicherung und freue sich „trotzdem zwischen

diese beiden Kulturen zu leben oder in diese beiden Kulturen und mit diese beiden Kulturen

etwas so (-) zu kreieren, verwirklichen“ (II: Z.74).

Auch die verschiedenen kulturellen Einflüsse innerhalb des Ruhrgebiets bringt er öfters zur

Sprache. „Ich finde trotzdem, dass unsere Ruhrgebiet ohne diese verschiedene Schichten sehr

arm wäre“ (II: Z.408). Außerdem hebt er den Einfluss der Italiener auf die Entstehung des

Ruhrgebiets hervor.

Als erster Befragter kennt er bereits das MELEZ-Festivalprogrammheft. Er stand bereits mit

dem Macher einer künstlerischen Produktion des Festivals in Kontakt. Ihn persönlich

interessiere das Festival aber aus verschiedenen Gründen nicht. Eine Kategorie für sein

Desinteresse ist die Form des Festivals: „Diese große oder Mammutveranstaltungen, die haben

mich nie, die haben nie große Interesse für mich gehabt, weil man sieht, ist es etwas künstlich

auch“ (II: Z.179). Mit dieser Künstlichkeit meint er vermutlich den fehlenden Bezug zwischen

den Programmpunkten durch die Konstruktion mehrerer Veranstaltungen zu einer großen. Er

bezeichnet das Festival als „Spektakel“ und kritisiert als weiteren Grund seines Desinteresses,

dass es an Nachhaltigkeit fehle. Nach einer Woche sei alles vorbei, „aber wir haben was

gemacht für euch“ (II: Z.125).

Ein anderer Punkt für seine Ablehnung des Festivals sei die fehlende Thematisierung der

Auswirkungen des Zusammenlebens der verschiedenen Kulturen. „Die zeigen vielleicht, was

wir heute sind, mit Programmen, die aus den Heimatländer importiert sind oder in den

Heimatländern bearbeitet worden sind, aber nicht, dass man, was man hier geworden ist, in

die letzte 2, 200 Jahre. Und das ist, was mich ärgert“ (II: Z.169). Weiterhin drückt er sein

Unverständnis über die Auswahl der Veranstalter aus. Er verstehe nicht, warum Kulturmacher

aus anderen Ländern ins Ruhrgebiet kommen, obwohl die Region über genügend qualifizierte

Page 81: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

76

Auswertung der Interviews 5

Kulturschaffende verfüge. Menschen aus dem Ruhrgebiet mit eigener Migrationserfahrung

wären eher in der Lage „richtig die Seele von dieser Region zu zeigen“ (II: Z.167).

Er empfinde das Programm von MELEZ als von oben oktroyiert. Das gilt aber auch für ganz

RUHR.2010. „Ich sehe langsam, langsam es ist, es wird ein Jahr, wo die Anstöße von oben

kommen aus verschiedenen Gründen. (-) Es ist manchmal lächerlich, was man auf die Beine

stellt“ (II: Z.105). Mit diesem letzten Kommentar nimmt er Bezug auf Programmpunkte wie die

Sperrung der B1, die ihn persönlich nicht anspricht. Der Befragte hat den Eindruck, dass zu viel

improvisiert und so die Chance vertan wurde, nach seinem Empfinden gute Veranstaltungen zu

planen und somit die Möglichkeiten eines Kulturhauptstadtjahres zu nutzen.

Für den Befragten ist der historische Bezug eine wichtige Kategorie für das kulturelle Angebot.

Für ein besseres Gelingen des Kulturhauptstadtjahres und den angegliederten

Programmpunkten hätte er sich Personen in einem historischen Gremium gewünscht, welche

„das Ganze historisch bearbeiten“ (II: Z.114). Um sein historisches Interesse in einem

kulturellen Angebot einzubringen, schlage er vor, eine Ausstellung über Migranten in der

Zeche Zollverein zu machen. So könne man gemeinsame Geschichte darstellen, „wo der

Besucher sagt, richtig eine Haus der Ausländer - die das Ruhrgebiet zusammen geprägt haben,

mit den Deutschen zu gründen“ (II: Z.122). Mit einer solchen Ausstellung wäre auch die

Möglichkeit gegeben, Nachhaltigkeit zu schaffen. Weiterhin ist er der Meinung, dass

Räumlichkeiten des Ruhrgebiets, wie die Zeche Zollverein, sehr gute Veranstaltungsräume

geboten hätten, welche finanziell erschwinglich gewesen wären, die nun aber zu wenig genutzt

werden. Weiter hätte er sich ein offenes Theater, „wo alle Kulturen mitmachen“ (II: Z.138)

unter der Leitung eines qualifizierten Kulturschaffenden aus dem Ruhrgebiet gewünscht.

Theater betrachte er als künstlerische Form, die geeignet wäre, historische Themen

einzubringen. Aber auch in Konzerten könne er sich einen Bezug zur Geschichte vorstellen.

Im Ruhrgebiet nutze er Konzerte, manchmal Theater und Kino. Beim Letzeren besuche er

allerdings nur ausgewählte Filme. Kulturelle Angebote mit Bezug zur italienischen Kultur ziehe

er nicht vor. Zu seiner Auswahl am kulturellen Angebot meint er: „Ich bin einigermaßen ein

bisschen wählerisch geworden“ (II: Z.237). Merkmale, die ein ansprechendes Programm

kennzeichnen, seien, dass es „[…] interessant, original und auch Seele haben“ (II: Z.228) sollte.

Der Befragte möchte über seine bisherige Nutzung hinaus nicht an weiteren kulturellen

Veranstaltungen teilnehmen, da er andere Prioritäten habe: „Ich würde lieber mehr Zeit für

mich selbst haben. Für meine eigene Arbeit“ (II: Z.224). Bei dieser sei die italienische Kultur

immer wichtig.

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77

Auswertung der Interviews 5

Über kulturelle Angebote informiere er sich über Zeitungen und Programmhefte, die er zu

Hause, in der Schule oder in öffentlichen Büros, wie dem Kulturbüro oder dem Stadtteilbüro,

erhalte. Weitere Informationen erhalte er von Familienmitgliedern, „das heißt, die

Informationen bei uns zu Hause, die fehlen nie“ (II: Z.212). Tickets für kulturelle

Veranstaltungen beziehe er durch jüngere Familienmitglieder über das Internet.

Aspekte, die er von seiner Herkunftskultur bewahren möchte, seien die Vergangenheit der

italienischen Kultur, aber auch die gemeinsame Geschichte. Darüber hinaus finde er die

italienische Sprache sehr wichtig, da er die deutsche nicht gleichwertig einsetzen könne. Auch

die Vermittlung seiner Kultur an die Mitbürger sei ihm „sehr wichtig, weil - nur so kann ein

deutscher Bürger oder ein Jugendlicher in der Schule oder ein türkischer Jugendlicher, oder ein

Marokkaner, ein Grieche, ein Spanier merken – ‚aha guck mal, die sind so - die sind nicht anders

als wir‘“ (II: Z.365). In dieser Aussage betont er die große Bedeutung der Akzeptanz zwischen

den unterschiedlichen Kulturen. Er hoffe selbst, ein „gemeinsame Haus zu bauen. Und ein

bisschen mehr Geduld zu üben“ (II: Z.374).

Seiner Meinung nach seien seine Landsleute durchaus kulturinteressiert. Allerdings vermutet

er, dass das kulturelle Angebot nicht das bietet, was die Menschen wollen:

„Das heißt, ich bin sicher die italienische Bevölkerung oder die (-) italienische Wurzeln haben, die

suchen auch etwas anderes. Und manchmal bekommen die auf den Programmen nur

bestimmte Angebote und das find ich auch - da muss man langsam, langsam auch in eine

andere Richtung arbeiten. Andere Angebote suchen. Oder Angebote mit eine andere Seele“ (II:

Z.254).

In diesem Abschnitt benutzt er wieder das Wort „Seele“ um zu kennzeichnen, was ein gutes

kulturelles Angebot ausmacht. Gemeint ist vermutlich, etwas von dem wiederzugeben, was die

Menschen selbst sind, beziehungsweise, was die Region selbst ausmacht. Das hält er für

ausschlaggebend für den Besuch einer kulturellen Veranstaltung. Hier scheint die Kategorie

Lebensbezug des kulturellen Angebotes durch. „Es geht nur um Seele. Die Leute sind nicht

dumm. Die merken das“ (II: Z.273). So wie er bei RUHR.2010 kritisierte „ok, ist schon wieder

was von oben“ (II: Z.141), meint er auch beim anderweitigen kulturellen Angebot, dass die

einfachen Menschen wenig mit einbezogen würden. Ein Kriterium, um die einfachen Leute,

mehr zu beteiligen, wäre die Verwendung der Alltagssprache. Außerdem sei es nicht wichtig,

ob es an großen Orten stattfindet, sondern auch kleine Städte seien als Veranstaltungsort

geeignet. Darüber hinaus solle es dennoch Angebote der Hochkultur geben, „aber die muss

man langsam, langsam anbieten und sagen, pass mal auf, die gehören auch zu normale,

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78

Auswertung der Interviews 5

alltäglich Leben. Es ist kein elitäre und so weiter Angebot“ (II: Z.265). Weiterhin meint er über

italienische Mitbürger, dass sie durchaus Kontakt mit Landsleuten suchen würden, allerdings

nicht so häufig Migranten- und Kulturvereine sowie die italienischen katholischen Missionen

besuchen. Das Treffen in Vereinen finde seiner Ansicht nach wenig statt, weil Italiener durch

starken Individualismus geprägt seien.

5.1.10. Befragter JI

Ich bin ein bisschen knatschig, weil das eigene Engagement nicht anerkannt wurde

Der Befragte immigrierte aus ökonomischen Gründen nach Deutschland und zählt zur ersten

Generation. Seine Familie wurde aus Italien nachgeholt. Diese ist während des Gespräches

immer wieder ein wichtiger Bezugspunkt. Beim Interview waren seine Frau und seine Tochter

anwesend.

Im Laufe des Gespräches thematisiert der Interviewte häufig seine Vergangenheit. Besonders

seine eigene Aktivität im Kulturverein hebt er hervor. Der Verein sei damals Ort gewesen, wo

es Theatergruppen gegeben habe, wo Tänze aufgeführt wurden, Feste und Treffen

veranstaltet und eine Fußballmannschaft zusammengestellt wurde. „Wir haben uns jeden

Sonntag getroffen, gespiele, gefeiert, gequatscht“ (JI: Z.203). Sie hatten Kontakte mit dem

italienischen Konsulat und haben mit verschiedenen Kulturen zusammengearbeitet. So wurden

auch Treffen zu migrationspolitischen Themen organisiert. Er hatte sich ebenfalls persönlich

für solche Themen engagiert. Früher habe er Treffen innerhalb des Vereines mitgemacht,

darüber hinaus hat er vermutlich wenig Kultur genutzt. Seine Tochter bemerkt dazu: „Das war

schon Kultur genug“ (JI: Z.298). Er habe jedoch ab und zu das Hans-Sachs-Haus besucht.

Dennoch hätte der Befragte Interesse an mehr Kultur gehabt, was sich in folgender Aussage

widerspiegelt: „Ja, aber wenn ich frei gehabt hätte, ich wäre auch gekommen“ (JI: Z.496).

In der Gegenwart nutze er wenig Kultur. Dabei zeigt sich die große Bedeutung des Bezugs zur

italienischen Kultur. Während er sich früher beispielsweise auch italienische Opern angesehen

habe, beschränke er es mittlerweile auf die Vereinsaktivitäten und Kultur zu Hause. „Ja ins

Kino - pff. Meine Kino ist hier. Fernsehen“ (JI: Z.274). Dabei sehe er eher italienisches

Fernsehen. Seine Informationen zu kulturellen Veranstaltungen beziehe er über Prospekte:

„Wir kriegen Post“ (JI: Z.403).

Die Individualität seiner Kulturnutzung erschließt sich im Folgenden. Der Interviewte bestärkt

seine eigene Position als individuell und nicht verallgemeinerungsfähig und weist auf das

Gegenbeispiel seiner Frau hin. Diese sei kulturell vielseitig interessiert. Dennoch weist der

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79

Auswertung der Interviews 5

Befragte auch darauf hin, dass ihn nicht ausschließlich italienische Kultur interessiere oder

interessierte, sondern auch Interesse an deutscher Kultur bestand.

Sein derzeitiges geringes Interesse an deutscher Kultur sehe er durch die Aufenthaltszeit in

Deutschland und sein Alter begründet. Das Zugehörigkeitsgefühl zur italienischen Kultur sei

zum einen durch die jeweilige Generation geprägt. Da er bei seiner Ankunft in Deutschland

bereits über 30 Jahre alt war, fühle er sich persönlich „oder meine Frau selbstverständlich von

italienischen“ (JI: Z.57) Seite her zugehörig. Allerdings meint seine Frau, dass er auch die

deutsche Kultur mehr kennenlernen sollte: „Italienisch hast du schon viel“ (JI: Z.462). Dazu

erweitert er im folgenden Abschnitt, dass er sich darüber bewusst sei, dass er mehr Kultur in

Deutschland nutzen sollte: „Wir sind hier und ich muss locker sein von italienische Fernsehen,

warum wir sind hier. Und du musst die Probleme von hier sehen von deutsche Fernsehen. Aber

ich kann nicht“ (JI: Z.542). Die Nutzung der italienischen Kultur ist für den Befragten demnach

vorrangig. Als Grund für sein Desinteresse am kulturellen Angebot nennt er vor allem sein

jetziges Alter. Er war sehr aktiv und habe viel mehr gemacht. Weiterhin denke er „ein Mensch,

wenn ein bestimmte Alter hat, hat ein bisschen Nase voll“ (JI: Z.319).

Weiterhin zeigt sich im Gespräch eine Differenzierung zur italienischen Kultur, denn er spricht

deren Heterogenität an. Zum Theaterstück Bello e Brutto erklärt er, dass er sich damit nicht

identifiziere, da es bei ihnen anders sei, weil er nicht aus Sizilien, sondern einer anderen

Region Italiens käme. Weiter sagt er, „was wir haben gefunden hier, wir haben zu Hause auch

viel gehabt“ (JI: Z.230). Dieser Umstand ist dadurch bedingt, dass sie aus der Großstadt Rom

stammen.

Weiterhin beschäftigt er sich mit dem Bild der italienischen Kultur in Deutschland. Dazu gibt er

einen Hinweis, der in die Vergangenheit zurückreicht. In seinen Anfängen in Deutschland

wären die Italiener „wie heute die Türken, oder die Araber“ angesehen gewesen. Und weiter:

„Sind ein bisschen schief gegucken heute. Aber wir früher auch ne?!“ (JI: Z.34). Diese

Bemerkung impliziert gleichfalls, dass sich das Bild der Italiener mit den Jahren in Deutschland

gewandelt hat. Er habe mit anderen Kulturen in Deutschland zusammengearbeitet und auch zu

den Treffen des Vereins eingeladen. Dennoch sei er, wie seine Tochter, der Überzeugung, dass

die Kultur anderer Einwanderer der deutschen Kultur ferner sei als die italienische Kultur: „Das

ist anders“ (JI: Z.73).

Das Festival der Kulturen MELEZ sei ihm unbekannt, was ihn aber auch nicht überrascht, denn

„ich bekomme zu viele Werbung“ (JI: Z.113). Spontan wird er auf den Beitrag von Rita

Süssmuth zu Migration aufmerksam und die italienischen Angebote wecken ebenfalls seine

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80

Auswertung der Interviews 5

Neugier. Dennoch habe er kein Interesse das Festival zu besuchen: „Ja ich - ehrlich - nicht (-)

persönlich habe keine mehr Interesse“ (JI: Z 213).

Sein Interesse an migrationspolitischen Themen und deren Umsetzung in Veranstaltungen ist

dennoch Thema während des Interviews. Gründe, die ihn abhalten würden an kulturellen

Veranstaltungen wie MELEZ teilzunehmen, nennt er im Folgenden. Zunächst kommt im

Gespräch hervor, dass er in der Vergangenheit öfters an migrationspolitischen

Veranstaltungen teilgenommen habe und daraus erklärt sich die folgende Ausführung zu

seinem Desinteresse: „Kein Interesse, warum ist immer die gleiche Sache, die Integration

müsse mitnehme, mitmache badabingbadabing“ (JI: Z.157). Seiner Meinung nach würden

derartige Veranstaltungen immer ähnlich verlaufen, und dessen sei er nun überdrüssig.

Außerdem habe er zu viel in solche Themen und Aktionen ehrenamtlich investiert, was ihm

nicht gedankt worden sei „und dann ich bin bisschen knatschig“ (JI: Z.161).

Er bemerke generell auch bei anderen Italienern ein steigendes kulturelles Desinteresse.

Besonders kulturelle Veranstaltungen seien für die Leute uninteressant, insbesondere wenn

über solche Themen geredet wird. „Aber sonst direkt kulturell zu sprechen, treffen, komme

keiner. Heute kommen keiner“ (JI:Z.383). Das zeigt auch auf, dass es eine Entwicklung hin zu

diesem Desinteresse gegeben hat.

Allerdings gebe es andere Bezüge des Interesses für Italiener. Ein ansprechendes Programm

müsse einen Lebensbezug haben: „Programm vielleicht für die, die Leute, die interessieren ist

von (XY), von Leben. Von Probleme von den Renten. Probleme von Arbeit. (…) - aber auch zu, zu

Musik“ (JI: Z.173). Ein entscheidender Faktor sei darüber hinaus, dass man „eine Grunde zu

Spaß geben“ (JI: Z.387) muss. Was das genau sein könnte erörtert er nicht, aber er führt

beispielsweise von ihnen geplante Feste und Reisen nach Italien an, die sowohl für Italiener als

auch für Deutsche interessant waren.

Der Wandel innerhalb der Generationen wird immer wieder Thema während des Interviews.

Zum einen findet der Befragte offensichtlich, dass Kultur eher für die jüngere Generation

wichtig ist. Darüber hinaus stellt seine Tochter fest, dass bei der nachfolgenden Generation

Interesse an dem Zusammenhalt innerhalb der italienischen Gemeinschaft fehle. Außerdem

bemerkt sie Kulturverdrossenheit auch bei anderen Italienern im Alter ihres Vaters. „Die haben

alle keine Ambitionen mehr, die haben alle irgendwie, als wären die kaputt, als hätten die kein

Interesse mehr. Als hätten die einfach (-), weil die Kinder aber auch dementsprechend das nicht

mitmachen“ (JI: Z.323).

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81

Auswertung der Interviews 5

Das Zusammenleben mit der deutschen Kultur auf einer harmonischen Basis beschäftigt den

Befragten und ist ihm augenscheinlich sehr wichtig. Auf der einen Seite sei es ihm ein Anliegen,

dass auch Deutsche an ihrem italienischen Angebot teilnehmen um hervorzuheben, dass er

seine Kultur nicht abgeschottet leben möchte. Zu den jüngst von ihm mit organisierten Reisen

bemerkt er, „aber trotzdem die Leute sind zufrieden. Viele Deutsche auch gewesen“ (JI: Z.378).

Er fügt hinzu, dass auch deutsche Mitglieder im Verein seien und viel für sie gemacht werde.

Zur Frage, ob ihm persönlich der Dialog mit den Deutschen wichtig sei, sagt er „ja sicher“ (JI:

Z.556). Er betrachte sich selbst als Gast in Deutschland und halte den gegenseitigen Respekt

für wichtig. Deshalb ist ihm auch die Zusammenarbeit mit den Deutschen wichtig. „Zusammen

mit den Deutschen miteinander. Das ist wichtig die Leute, ich meine. Warum du kommst hier

als Gäste, du respektierst die Gäste, respektierst deine Land, wo bist du (-) Gast“ (JI: Z.510).

5.1.11 Befragte KI

Würde gerne eine Antwort zum Integrationsdiskurs geben, aber nicht um als

Meckertante dazustehen

Die Befragte ist italienischer Herkunft und kam als zweite Generation nach Deutschland. Der

Migrationszeitpunkt reicht bis in ihre Kindheit zurück.

Während des Interviews wurde die Vermischung der Kulturen thematisiert. Zum Leben mit

ihrer Herkunftskultur und der deutschen Kultur meint die Befragte, dass sie beide Kulturen

mitnehme und daraus Vorteile ziehe. Insgesamt betrachtet sie die italienische Kultur als der

deutschen Kultur ähnlich, weshalb sie konstatiert, man habe „die Kulturen ausgetauscht.

(…).Vermischt quasi“ (KI in: JI: Z.361). So hätten sich die Italiener damals auch nicht integrieren

müssen, sondern das Zusammenleben erfolgte eher wie ein Austausch zwischen den Kulturen.

Allerdings ist sie der Meinung, dass dieser Prozess mit Menschen aus anderen

Herkunftsländern wie etwa der Türkei schwieriger sei, da die Kulturen zu verschieden wären:

„Da sind ja Welten“ (KI in JI: Z.75). Da sie beruflich mit Schülern unterschiedlicher Nationen

und somit auch mit Multikulturalismus direkt in Berührung stehe, beschäftige Integration sie

auch in ihrem Lebensalltag.

Die Problematik des Themas Integration steht klar im Mittelpunkt des Gespräches und

beeinflusst auch ihre kulturelle Nutzung. Sie kennt das Festival MELEZ, aber nicht dessen

Programmpunkte. Sie interessiere sich insbesondere für die Programmpunkte von Rita

Süssmuth und Cem Özdemir, denn eigentlich „sind alle die Themen für mich interessant, die

was mit der Integration zu tun haben. Weil ich bin nämlich konträrer Meinung als die meisten

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82

Auswertung der Interviews 5

wahrscheinlich“ (KI: Z.64). Ihren Standpunkt legt sie im Folgenden dar. Zum einen sei sie der

Ansicht, dass zu viele Gelder in Integration investiert werden. Sie wisse zwar, dass Integration

nötig sei „und zwar ganz dringend. Aber dass man so viele Gelder dafür ausgibt, dat find ich

wirklich - dat ist ´ne Schweinerei“ (KI: Z.89). Außerdem dürfe man in der Konsequenz nicht

zulassen, dass sich Slums bilden, denn „die können sie nicht integrieren, wenn sie in Slums

leben. Die wollen auch nicht“ (KI: Z.101). Sie zeigt Unverständnis für muslimische Mitbürger,

die sich nicht gegen den Begriff der Integration wehren, da dieser ihrem Empfinden nach

offensichtlich eine defizitäre Konnotation hat. Für sie persönlich wäre als Programmpunkt bei

MELEZ eine Diskussionsrunde interessant gewesen, wo sie „auch gerne mal ´ne Antwort

gegeben“ (KI: Z.69) hätte und zwar nicht um „als Meckertante dazustehen, sondern einfach zu

zeigen ‚ey, ihr redet ganz schön viel Mist, weil ihr seid nicht an der Front. Ich bin an der Front,

ich krieg das eher mit‘“ (KI: Z.131). In dieser Bemerkung zeigt sich das eigene Engagement. Die

Möglichkeit sich selbst und ihre eigenen Erfahrungen einzubringen ist ihr offensichtlich sehr

wichtig und ein Programm, das dies ermöglicht, hätte einen hohen Stellenwert: „Hätten Sie

´nen Termin würd ich mir sofort freimachen können“ (KI: Z. 141).

Eine weitere Kategorie im Gespräch ist die mangelnde Anerkennung der Italiener in

Deutschland. Die Befragte hebt mehrmals hervor, dass sie es bedauere, dass bestimmte

Ausländergruppen, insbesondere die muslimischen, in Deutschland mehr beachtet werden als

ihre Herkunftsgruppe. Sie würde sich wünschen, „dass andere Ausländer hier im Ruhrgebiet

auch wahrgenommen werden“ (KI: Z.260), weil „die Deutschland mit aufgebaut haben und die

nach wie vor hier noch leben“ (KI: Z.266). Da besonders die Italiener als erste Arbeitsmigranten

nach Deutschland gekommen seien und während den Jahren treue Anhänger Deutschlands

gewesen wären, verärgert es sie, dass ihnen nun wenig Achtung geschenkt werde. „Gar nicht

erwähnt. Ist nicht erwähnenswert“ (KI: Z.290). Dieser Umstand sei auch ein Grund für sie,

Angebote wie das Festival MELEZ nicht zu nutzen. Bei diesem könnte das übermäßige Angebot

türkischer Veranstaltungen zu diesem Ausspruch geleitet haben:

„Also deswegen besuch ich auch so was erst mal nicht (deutet auf Programmheft). Es sei denn,

und das hab ich ihnen gerade gesagt, als Waffe quasi, dann würd ich so was auch - also ich

würd mir wünschen, dass endlich mal aufgehört wird, ständig über irgendwelche Moslems

geredet zu werden“ (KI: Z.268).

Allgemein ist sie ein sehr kulturinteressierter Mensch. Kultur nutze sie immer. Persönliche

Präferenzen sind hierbei Musicals, Operetten und Literatur. Kino nutze sie hingegen eigentlich

gar nicht. Neben ihrem hohen kulturellen Interesse betont sie ihre kulturelle

Aufgeschlossenheit: „Bin offen für alles“ (KI: Z. 179). Über kulturelle Angebote erfahre sie über

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Auswertung der Interviews 5

das Internet, welches außerdem Bezugsquelle für Tickets sei. Darüber hinaus finde sie es

klasse, dass sie kulturelle Informationen über Postsendungen der Partei Pro-Nordrhein-

Westfalen bekomme, „worauf ich nicht besonders stolz bin“ (KI: Z.158), da sie kein politischer

Fürsprecher der Partei sei.

Prioritäten ihres Alltags würden neben persönlichen Interessen ihre kulturelle Nutzung

beeinflussen. Insbesondere in den letzten Jahren „haben meine Veranstaltungen (…) entweder

in beruflicher Hinsicht, also beruflich irgendwo Akzent, oder eben halt familiär oder so“ (KI:

Z.184). Beruf und Familie sind also auch wichtige Bezugspunkte für ihre kulturelle Nutzung.

Außerdem weist sie auf die Problematik des kulturellen Angebots mit Bezug zur italienischen

Kultur in Deutschland hin. Angebote mit italienischem Bezug nutze sie persönlich selten. Es sei

„eher die deutsche Kultur statt die italienische, weil die - die italienische Kultur, die ist hier sehr,

sehr, sehr selten“ (KI: Z.215). Allerdings erkläre sich die seltene Teilnahme am italienischen

Angebot nicht ausschließlich durch die Rarität dieser Programme: „Irgendwelche

Veranstaltungen musikalischer Art und Weise sehr, sehr selten und wenn, dann interessiert

mich das nicht“ (KI: Z.216). Im Anschluss führt die Befragte nicht konkret aus, was diese

Veranstaltungen uninteressant erscheinen lässt, sondern gibt nur den Hinweis, dass sie

insbesondere der Bezug zur italienischen Politik überhaupt nicht interessiere. Sie begründet

jedoch, welche Veranstaltungen für sie interessant wären. Zum einen sähe sie gerne

italienische Superstars wie Eros Ramazotti oder Gianna Nannini auch in Deutschland. Neben

diesen Ausnahmen nutze sie lieber italienische Kultur in Italien. „Ich mag keine Kopien. Also ich

mag das Original“ (KI: Z.199). Daher sehe sie sich kulturelle Veranstaltungen gerne bei ihrem

jährlichen Ausflug nach Italien an. Auch das Erleben von etwas Neuem scheint dabei eine Rolle

zu spielen: „Guck mir jedes Mal etwas Neues an“ (KI: Z.194).

Kontakt zu Mitmenschen ist ein Faktor, der ihre Kulturnutzung mit prägt. Für den Erhalt der

italienischen Kultur in Deutschland sei ihr die Mitgliedschaft im Kulturverein wichtig, in

welchem sich ihr Vater engagiert. Bei kulturellen Aktivitäten des Vereins konnte sie schon als

Kind dabei sein und schätze es heute, dass sie alte Bekannte dort wiedertrifft, denn „das

macht schon Spaß“ (KI: Z.229).

Die Befragte sieht sich selbst als Repräsentantin ihrer Kultur. Sie ist „stolz Italienerin zu sein“

(KI: Z.243), denn sie verbindet ihr Land mit herausragender Kultur, wie Kunst und Geschichte,

für welche sie ein großes Interesse hat. Diesen Stolz präsentiere sie auch den Mitmenschen:

„Das vermittle ich ganz souverän. Ich bin ein Patriot“ (KI: Z.249).

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Auswertung der Interviews 5

5.1.12 Befragte LT

Kultur find ich schön auf höherem Niveau - nicht so Henna-Abend tralala

Die Befragte gehört zur dritten Generation der Personen mit Migrationshintergrund. Ihr

Großvater kam als Arbeitsmigrant nach Deutschland. Sie ist türkischer Herkunft und gehört

zudem der kurdischen Minderheit an.

Das Festival MELEZ ist ihr nicht bekannt. Allerdings kennt sie den Programmpunkt Sivas 93. Sie

hätte Interesse gehabt das Theaterstück zu besuchen, habe dies aber aus finanziellen Gründen

unterlassen. Hier deutet sich eine Barriere zur Kulturnutzung an: Das kulturelle Angebot koste

zu viel. „Ich wollte auch eigentlich hin, aber es war wirklich zu teuer“ (LT: Z.97). Sie betrachtet

Kultur in Deutschland als „sehr luxuriös“ (LT: Z.315) und bemerkt, dass auch für Freunde und

Bekannte der finanzielle Faktor entscheidend sei, ob sie das kulturelle Angebot nutzen.

Insgesamt finde sie das Programm von MELEZ spannend, da „der Plan halt sehr multikulturell

den Anschein hat. So zum Beispiel es ist viel dabei, was aus meiner Kultur ist“ (LT: Z.122). Ein

Bezug kultureller Veranstaltungen auf die türkische Kultur ist ihr somit wichtig. Angebote, die

sie bereits kenne, würde sie nutzen, um diese an Menschen mit anderer kultureller Herkunft

weiterzuvermitteln: „Aber ich würd ja dann mit deutscher Frau hingehen zum Beispiel“ (LT: Z.

124). Darüber hinaus hebt sie ihr persönliches Interesse an interkulturellen Veranstaltungen im

weiteren Verlauf des Gespräches hervor. „Ich seh‘ das, dass mich das dann halt interessiert,

wenn das so ´n bisschen interkulturell ist. Also nicht nur die türkische Kultur, sondern die

spanische oder italienische. Auch andere Kulturen“ (LT: Z.293). Deutlich wird hier, dass sie nicht

lediglich an einer Kultur interessiert ist, sondern ihr Interesse diverse Kulturen mit einschließt.

Bei dem Programm kommt sie auf die Problematik des Themas Integration und Migration zu

sprechen. Mit diesen Themen scheint sie sich besonders beschäftigt zu haben, was sich in

folgender Bemerkung äußert: „Migration - Integration, ich weiß nicht, hab ich zu oft gehört“

(LT: Z.78). Das Desinteresse an Programmpunkten mit Bezug zu diesem Themenfeld steht im

Zusammenhang zu ihrer Resignation zur Umsetzung integrationspolitischer Themen in der

Realität. Sie findet, es „wird zu wenig getan, aber zu viel geredet“ (LT: Z.80). Ihrer Erfahrung

nach würden sich wenige Menschen finden, die zu persönlichem Engagement bereit seien.

Im Gespräch zeigt sich, dass sie nicht viel Kulturangebote nutzt. Sie betrachtet sich darüber

hinaus als „nicht so kulturinformiert“ (LT: Z.103). Als Gründe für die seltene Kulturnutzung gibt

sie an, dass sie „ein bisschen ein fauler Mensch“ (LT: Z.261) sei. Neben ihrer Faulheit läge es

daran, dass sie nicht spontan etwas unternehmen würde. Außerdem glaubt sie „es hängt viel

mit der Erziehung auch zusammen“ (LT: Z.178).

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Auswertung der Interviews 5

Ein weiterer Faktor, der in Relation zu ihrer Kulturnutzung steht, sind die persönlichen

Prioritäten im Alltag. Sie habe nicht genügend Zeit, da sie diese lieber ihrem Studium an der

Universität, ihrer Familie und Freunden und ihrer Mitgliedschaft bzw. auch Arbeit im

Kulturverein widme.

Obwohl sie nicht viel Kultur nutze, habe sie durchaus Interesse daran. Ihre liebste Kulturform

sei Literatur, da diese ruhiger und persönlicher sei. Neben Büchern lese sie auch Zeitschriften

und im Internet. Auch Kinofilme und Theater können für sie interessant sein. Allerdings

selektiere sie stark bei dem kulturellen Angebot. „Manchmal ist das halt, da muss man richtig

gucken, ob da was ist an den Angeboten. Also es ist nicht oft viel dabei, finde ich“ (LT: Z.116).

Weitere Auswahlkriterien seien, dass sie Kultur präferiere „ein bisschen auf höherem Niveau -

nicht so Henna-Abend tralala“ (LT: Z.131). Die Qualität des Angebots ist demnach

entscheidend. Außerdem sei ein Bezug des kulturellen Angebotes zur Religion ein weiterer

Faktor, welcher ausschlaggebend für den Selektionsvorgang sei, „also mich interessiert es,

wenn es immer so ein bisschen Rücksicht auf die Religion nimmt“ (LT: Z.199) So höre sie Musik

eher auf religiösen Festen als auf Konzerten.

Weiterhin hat sie Vorschläge, wie das kulturelle Programm interessanter für sie sein könnte

bzw. ihre Nutzung gesteigert werden könnte. Ein Faktor, der wichtig wäre, sei die Atmosphäre.

„Von der Atmosphäre her sollte schon ein bisschen so (-) konservativer sein, finde ich. Würd

mich dann eher ansprechen“ (LT: Z.142). Sie würde sich eher wohl fühlen, wenn nicht „zu viel

Tanz und zu viel Alkohol“ (LT: Z.137) in die Veranstaltung eingebunden wären. Zum anderen

wäre es besser, wenn es eine größere Fülle an Angeboten gäbe, da sie glaubt, „wenn ich dann

die eine verpassen würde, würde ich dann zu der nächsten Veranstaltung gehen oder so“ (LT:

Z.265).

Neben diesen Faktoren nennt sie einen weiteren Aspekt, der die Attraktivität des Angebotes

beeinflusst, nämlich die Identifikation mit dem Angebot. „Natürlich würde mich das schon eher

interessieren, wenn es so bisschen - wenn ich mich darin sehen würde. Also zum Beispiel

entweder meine Religion oder meine Kultur oder halt auch Geschlecht vielleicht“ (LT: Z.273).

Hier klingt an, dass nicht etwa der Bezug zur Herkunftskultur ausschlaggebend ist für ihre

Kulturnutzung, sondern eher der Bezug des Angebotes zu ihrem Lebensalltag. Dazu gehört

ebenfalls der Einbezug zweier Kulturen in das Angebot. Sie fühle sich sowohl der deutschen als

auch der türkischen Kultur zugehörig und möchte diese nicht gewichten, denn „wenn man

zwischen zwei Kulturen lebt, dann ist eins halt wie Vater und die andere wie Mutter“ (LT: Z.30).

Wenn das Angebot nur Bezug auf eine der beiden Kulturen nähme, würde dies nicht ihre

Lebenssituation spiegeln: „Also, wenn das nur aus der Türkei kommt, dann ist das, die wissen ja

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Auswertung der Interviews 5

nicht, wie es hier uns geht“ (LT: Z.149). Daher lese sie besonders gerne Bücher, die Bezug auf

zwei Sprachen nehmen, denn „das macht dann Spaß, weil das ja so konkret ist“ (LT: Z.159).

Dazu würde sie sich mehr Angebot in der Bibliothek wünschen und könnte sich vorstellen eine

Lesung von einem zweisprachigen Autor zu besuchen. Gleiches gilt für das Medium Musik. Sie

höre gerne Musik, die Bezug zur türkischen Kultur hat, „aber modern gemischt auch“ (LT:

Z.184). Auch hier ist die Mischung der Kulturen ausschlaggebend für ihr Interesse.

Informationen über Veranstaltungen erhalte sie über Flyer an der Universität oder bekomme

Empfehlungen über Bekannte und Freunde. Innerhalb der Kulturvereine würden sich

besonders Angebote mit Bezug zur Herkunftskultur herumsprechen. Darüber hinaus nutze sie

das Internet um Informationen zu erhalten. Über Werbung im Fernsehen erhielt sie Kenntnis

über Sivas 93.

In Bezug zur türkischen Kultur freue sie sich, wenn sie auf Informationen darüber stoße:

„Obwohl ich nicht zu Konzert gehe von Tarkan oder von Sezen Aksu oder so, ich freu mich

trotzdem, wenn die mal herkommen“ (LT: Z.331). Auch in Zeitschriften suche sie gezielt nach

Veranstaltungen mit Bezug zur türkischen Kultur. Zu wissen, dass es solche Angebote gibt, die

auch aus der Türkei kommen können, gibt ihr „etwas Heimatliches“ (LT: Z.337).

Als wichtige Aspekte ihrer Kultur stellen sich vier Elemente heraus. Zum einen konstatiert sie,

sie „mag diese persönliche Seite“ (LT: Z.346). Diese beinhalte Eigenschaften von Menschen

türkischer Herkunft wie Freundlichkeit, Offenheit, Gastfreundlichkeit und Respekt

insbesondere vor älteren Menschen. Weiterhin sei ein Faktor die Religion. Diese spiele für sie

eine große Rolle. Sie lege viel Wert darauf, diese auch auszuüben, und möchte, dass darauf

Rücksicht genommen wird. Die Musik sehe sie auch als wichtig an, da sie Menschen türkischer

Herkunft verbindet, egal wie sehr die Personen ihrer Herkunftskultur verbunden seien: „Ich

kenn zum Beispiel ganz viele, die so ziemlich, also fern von der türkischen Kultur sind, aber

trotzdem sehr an die türkische Musik hängen“ (LT: Z.372). Das vierte wichtige Element sei die

türkische Sprache, „weil das wie Schlüssel halt ist für die Kultur“ (LT: Z.376). Nur so könne man

tiefere Einblicke in die türkische Literatur, Kunst und den Islam bekommen.

Mit der Sprache kommt sie auch auf einen weiteren Punkt, der während des Gespräches

immer wieder auftaucht: Offenheit für andere Kulturen. Sie findet, je mehr Sprachen man

erlerne, „desto offener wird man auch“ (LT: Z.378). Auch der Dialog mit der deutschen

Mehrheitsbevölkerung interessiert sie sehr. Sie beschreibt insbesondere dessen Wichtigkeit,

da gerade die türkischen Frauen in ihrer Gemeinschaft verharren würden und „das ist zu sehr

in sich gekapselt auch“ (LT: Z.245). Dies sei aber auch durch strukturelle Gegebenheiten, wie

Page 92: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

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Auswertung der Interviews 5

etwa die Wohngebiete, bedingt. Auch eine fehlende Bereitschaft der Mehrheitsbevölkerung

sei ein Problem, wie sie durch eigene Erfahrungen beschreibt: „Ich hab persönlich wenig

Kontakte mit deutschen Familien, weil das nicht so gewollt ist, find ich auch“ (LT: Z.87). Sie hat

eine große Bereitschaft zum Dialog, was sich in folgender Bemerkung ausdrückt: „Ich bin da

offen, aber ich find zum Dialog gehören zwei Seiten immer“ (LT: Z.89). Durch fehlende Kontakte

zwischen den Menschen, aber auch durch die Darstellung in den Medien entstehe ein

verzerrtes Bild der türkischen Migrantin. Dies zeigt eine weitere Kategorie im Gespräch,

nämlich die falsche Darstellung ihrer Kultur. Es herrsche ein Bild der armen, unterdrückten

türkischen Frau, die Kopftuch trägt, oder das andere Extrem, das Bild der Exotin. Diese falsche

Vorstellung sei, was sie am meisten störe. Änderungsmöglichkeiten für die falsche

Wahrnehmung sehe sie, „wenn vielleicht sich mehr Frauen engagieren würden“ (LT: Z.232).

Auch eine richtige Darstellung in den Medien erachte sie als möglichen Weg zu einer

Änderung, weil bisher „die Realität fehlt in den Reportagen, finde ich“ (LT: Z.508).

5.2 Gemeinsame Kategorien der Interviews

Innerhalb der unterschiedlichen Kulturen zeigte sich in den Interviews deutliche Heterogenität,

weshalb man nicht von der Herkunftskultur auf gleiche kulturelle Interessen und

Kulturnutzung schließen kann. Da die Ergebnisse der Interviews gleiche Kategorien zeigen,

deutet das darauf hin, dass man Personen mit Migrationshintergrund unter bestimmten

Aspekten als Interessengemeinschaft definieren kann. Auf dieser Grundlage der Erkenntnisse

ist es möglich, Strategien zum Audience Development zu entwickeln.

Weiter Kulturbegriff

Zum einen ist festzuhalten, dass alle Befragten einen weiten Kulturbegriff verwenden, denn

„die Kultur ist eine Sache, die man sich lebt“ (BT: Z.56) oder auch eine „Gesamtheit“ (CT:

Z.236). Das erklärt sich dadurch, dass sie auf ihre kulturelle Herkunft angesprochen werden.

Deshalb wird unter Kultur das eingeordnet, was man typischerweise dem Nationalkulturbegriff

zuschreibt, also Traditionen und Sitten, aber auch Kulinarisches, Sprache, Religion und Werte.

Tradition und Sprache sind zwei herausstechende Kriterien, die von einigen der Befragten als

besonders grundlegend für die Kultur eingestuft werden. Religion ist besonders für die

türkischstämmigen Befragten wichtig.

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Auswertung der Interviews 5

Zusammenleben der Kulturen als Vermischung

Eine Kategorie, die in fast allen Gesprächen thematisiert wird, obwohl nicht konkret danach

gefragt wurde, ist das Zusammenleben der Kulturen als Vermischung. Die Befragten sprechen

von einem „Kulturaustausch“ (BT: Z.164) und stellen fest, dass sich die Kulturen gegenseitig

beeinflussen, denn „man kann sich nicht abschotten“ (AR: Z.64). Weiter wird über die

Entstehung von etwas Neuem gesprochen. Die Kulturen würden „vermischt quasi“ (JI: Z.362)

und der Mensch übernehme „diese viele kulturellen Schichten“ (II: Z:388). Darüber

hinausgehend werden von mehreren Befragten verschiedene kulturelle Einflüsse als Teil des

Eigenen betrachtet, denn „jeder nimmt von den anderen was ab“ (DT: Z.363) und die

verschiedenen Kulturen im Ruhrgebiet seien „alle Mosaiksteinchen, die meine eigene Kultur

bilden“ (II: Z. 83). Die Möglichkeit Elemente anderer Kulturen aufzunehmen wird meist als

Chance für die eigene Persönlichkeitsbildung betrachtet, denn „dann könnte man schöne

Mischung davon machen“ (GP: Z.327). Auch für das kulturelle Angebot wird diese Kategorie als

wichtig erachtet. So werden von einigen Befragten mehr interkulturelle Angebote gewünscht,

welche über die Darstellung einer Kultur hinausgehen. Hier werden Lesungen von

zweisprachigen Autoren vorgeschlagen, denn „das macht dann Spaß, weil das ja so konkret ist“

(LT: Z.159). Auch Theaterproduktionen, „wo alle Kulturen mitmachen“ (II: Z.138) werden

gewünscht. Allgemeinere Wünsche beziehen sich darauf, „dass alle Leute gleichzeitig was

unternehmen. Damit mein ich jetzt von jede Kultur“ (DT: Z.166) oder auch konkret in Bezug

zum Festival MELEZ, „dass sie ein bisschen mehr - andere Kulturen zeigen“ (ER: Z.169).

Ruhrgebiet als Ort der kulturellen Vielfalt

Das Ruhrgebiet wird als Ort der kulturellen Vielfalt thematisiert. Viele identifizieren sich mit

der Region und schätzen diese auch wegen der verschiedenen kulturellen Einflüsse: „Ich finde

trotzdem, dass unsere Ruhrgebiet ohne diese verschiedene Schichten sehr arm wäre“ (II: Z.408).

Auch deshalb müssten kulturelle Veranstaltungen auf die Vielfalt der Bevölkerung Rücksicht

nehmen. „Ja und wenn jetzt so eine multikulturelle Veranstaltung – dann muss hier sein! Jeder

wollte etwas davon haben“ (GP: Z.418). Insgesamt wird die Vielfalt der Kulturen fast immer als

„eine Bereicherung für diese Gesellschaft“ (CT: Z.311) empfunden. Der Austausch zwischen den

Kulturen wird als ertragreich für alle Seiten hervorgehoben. So etwa Befragter BT zu seinem

Wunsch nach einem Informationsstand in der Stadt Essen für seinen türkischen Verein: „Das

würde auch viel helfen für beide Kulturen“ (BT: Z.267).

Für das kulturelle Angebot wird beispielsweise gefordert, dass die künstlerischen Produktionen

und Künstler aus dem Ruhrgebiet kommen. Ferner wurde durch das Hervorheben bekannter

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Auswertung der Interviews 5

kultureller Orte im Ruhrgebiet und die mehrfache Frage nach dem Veranstaltungsort eine

Relevanz des Ortes für die Kulturnutzung herausgestellt.

Wunsch nach Anerkennung und richtiger Darstellung der Herkunftskultur

Weiter werden Anerkennung und Akzeptanz der Herkunftskulturen der Befragten thematisiert.

So bemängeln viele die stereotypen Bilder, die über ihre Herkunftskulturen in Deutschland

herrschen. Das ist nicht nur auf eine ethnische Gruppe zu beschränken, sondern die Befragten

verschiedener ethnischer Herkunft deuten auf die Klischees und die verzerrte Wahrnehmung

ihrer Herkunftskultur hin. Das falsche Bild in der Gesellschaft ist, was einige Befragte „am

meisten stört“ (LT: Z.483). Daher wünschen sich viele Aufklärung zu den Herkunftskulturen wie

etwa, „dass man die Polen nicht nur mit Autoklau verbindet. (…) Also Polen haben sehr große

Kultur“ (FP: Z.160). Auch bei Menschen anderer Herkunft ist der Wunsch nach Richtigkeit der

Darstellung groß, „weil immer Türken schlecht erzählt wird“ (CT: Z.37).

Die Befürchtung der falschen Darstellung der eigenen Kultur ist bei einigen der Befragten auch

Grund, kulturelle Angebote mit Bezug zur Herkunftskultur zu nutzen. Hier wird vermutet, dass

das kulturelle Angebot das Bild über die Personen mit Migrationshintergrund mit prägt. So liest

ein Befragter zum Beispiel Bücher mit Bezug zur Herkunftskultur, um zu erfahren, wie die

Herkunftskultur dargestellt wird und somit von Lesern wahrgenommen werden kann: „Ich hab

nämlich Angst, wenn eine Deutsche oder nicht nur Deutsche, auch Europäer, wenn über unsere

Region, unsere Vorzeigepersonen gesprochen wird (…) wie er das liest“ (CT: Z.342). Eine andere

Befragte guckt gerne Filme mit Bezug zur Herkunftskultur, „um zu sehen, wie das so gezeigt

wird“ (LT: Z.217). Meist ist für die Befragten wichtig, dass sie nicht als fremd wahrgenommen

werden, sondern „dass die wissen, dass man ganz normal ist“ (FP: Z.164). Sie wünschen sich

mehr, als Teil der Gesellschaft gesehen zu werden, wie etwa aus der Aussage, ein „Migrant hat

auch Recht, was zu erreichen“ (BT: Z.197), hervorgeht.

Außerdem wird bemängelt, dass ein homogenes Bild über die Kultur einer Nation entstehe,

obwohl im Herkunftsland „an jeder Ecke ist ´ne andere Kultur. Das haben die hier nicht“ (DT: Z.

184). So interessieren auch Angebote in Deutschland mit Bezug zu einer speziellen Region des

Herkunftslandes, die nicht der eigenen Herkunftsregion entspricht, eher weniger, denn „bei

uns ist anders“ (JI: Z.230).

Weiterhin kritisieren die Probanden die Pauschalisierungen aller Kulturen der Migranten unter

eine vermeintlich homogene Gruppe. Demnach weist etwa Befragter AR die Zuordnung unter

Migranten von sich, da die Geschichte der Russlanddeutschen sehr viel spezieller sei. Die

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Auswertung der Interviews 5

fehlende Anerkennung der Italiener wird beispielsweise auch Thema, und es wird gewünscht,

„dass andere Ausländer hier im Ruhrgebiet auch wahrgenommen werden“ (KI: Z.260).

In Relation zur Anerkennung der Herkunftskultur steht auch die Thematisierung des

Integrationsdiskurses. Viele haben sich bereits intensiv mit migrationsspezifischen Fragen

auseinandergesetzt, da es Teil ihres Lebensalltags ist. Das Thema Integration finden viele

interessant, aber gleichzeitig problematisch, denn es „wird zu wenig getan, aber zu viel

geredet“ (LT: Z.81). Manche haben bereits kein Interesse mehr, „warum ist immer die gleiche

Sache, die Integration müsse mitnehme, mitmache“ (JI: Z.157). Auch die Beschreibung des

Migranten als defizitäres Wesen durch die Notwendigkeit der Integration wird in Frage

gestellt: „‘Integrieren ist gut, aber die Leute einzubeziehen ist besser‘. Die Wörter sind ähnlich,

aber haben doch einen anderen Sinn“ (AR: Z.542).

Positiver Bezug zur Herkunftskultur

Die Kategorie „positiver Bezug zur Herkunftskultur“ erscheint bei fast allen. Oft zeigen die

Befragten Stolz auf diese, wie in der Aussage: „Ich bin ein Patriot“ (KI: Z.249) deutlich wird.

Auch die Identifikation mit der Herkunftskultur wird immer wieder hervorgehoben: „Die

Wurzeln kann man nicht abschneiden“ (GP: Z.300) oder „ja, da besteht immer so `n Interesse

im Hintergrund, dass man dann was sehen möchte“ (FP: Z.146). Sie setzen sich für den Erhalt

ihrer Kultur ein, betonen aber immer, dass sie nicht nur von dieser geprägt sind, wie schon

unter der Kategorie „Zusammenleben der Kulturen als Vermischung“ zu erkennen ist. Die

meisten fühlen sich der deutschen Kultur zugehörig und betonen ebenfalls ihren Bezug zum

Ruhrgebiet. Auch die Einflüsse von anderen Kulturen, mit denen sie in Deutschland in Kontakt

stehen, erkennen sie an. Viele möchten von ihrer Herkunftskultur die Sprache erhalten, „weil

das wie Schlüssel halt ist für die Kultur“ (LT: Z.376). Weiter sind auch Traditionen, Religion und

auch Werte wichtig. Eher peripher wird auf Aspekte der Hochkultur eingegangen wie etwa die

Literatur oder Musik.

Bezug zur Herkunftskultur versus Bezug zur Lebenswelt als Selektionskriterium

Das vermutete Kriterium „Bezug zur Herkunftskultur“ wird eher als sekundär dargestellt. Die

Formulierung „Bezug zur Herkunftskultur“ lässt offen, ob das Angebot nur eine bestimmte

Kultur oder auch Region darstellt oder ob die Vermischung der Kulturen gezeigt wird. Von den

Befragten wird dazu eine Differenzierung vorgenommen. Gastspiele aus den Herkunftsländern

stoßen eher auf Ablehnung: „Also wenn das nur aus der Türkei kommt, dann ist das, die wissen

ja nicht, wie es hier uns geht“ (LT: Z.149) oder auch „die zeigen vielleicht, was wir heute sind,

mit Programmen, die aus den Heimatländer importiert sind oder in den Heimatländern

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Auswertung der Interviews 5

bearbeitet worden sind, aber nicht, dass man, was man hier geworden ist, in die letzte 2, 200

Jahre. Und das ist, was mich ärgert“ (II: Z.169). Angebote aus den Heimatländern können für

einige interessant sein, aber dennoch wird bei den Befragten eher eine Präferenz des Bezuges

zur Lebenswelt deutlich. So sind rein italienische Angebote in Deutschland auch für folgende

Befragte eher uninteressant: „Ich mag keine Kopien. Also ich mag das Original“ (KI: Z.199).

Daher sehen sich einige Befragte vorzugsweise Angebote mit Bezug auf ihre Herkunftskultur

vor Ort, d.h. in den Heimatländern, an.

Faktoren, die Kulturnutzung begünstigen

Deutlich wird, dass der Bezug zur Herkunftskultur nicht ausschlaggebend für die Selektion ist.

Ein wichtiges Kriterium sei vielmehr die Qualität des Gezeigten. Es müsse schon „ein bisschen

auf höherem Niveau - nicht so Henna-Abend tralala“ (LT: Z.131) sein oder „das gewisse Niveau

schon haben“ (GP: Z.274). Qualitätskriterien können unterschiedlich sein: Für den einen muss

es „interessant, original und auch Seele haben“ (II: Z.228), andere Befragte messen Qualität an

persönlichen Präferenzen, am Einbezug bekannter Künstler, an der Professionalität und

Originalität des Angebots und wieder andere am Bezug zur Lebenswelt.

Das persönliche Interesse ist ausschlaggebend und dieses wird oft geweckt durch einen Bezug

zur Lebenswelt. „Natürlich würde mich das schon eher interessieren, wenn es so bisschen -

wenn ich mich darin sehen würde“ (LT: Z.273). Bei fast allen Befragten haben Lebensbezüge

einen hohen Stellenwert. Bei einigen haben „Veranstaltungen (…) entweder in beruflicher

Hinsicht, also beruflich irgendwo Akzent, oder eben halt familiär oder so“ (KI: Z.184). Die

Identifikation mit dem Angebot scheint ebenfalls ausschlaggebend zu sein, „was Menschen

betrifft. Also manche Seele“ (BT: Z.100). Gute Angebote werden hervorgehoben, aus dem

Grund „weil das so dargestellt wurde, dass es dich bewegt. Dass du das selber erlebt hast“ (AR:

Z.150). Auch hier werden Wünsche zu mehr Lebensweltbezug vorgebracht, wie etwa „Theater

- über tägliche Probleme des einfachen Menschen. Vor allem unsere Probleme hier in

Deutschland darstellen, wie auch Türkei. Sowas könnte man machen. Damit die Menschen da

Interesse haben“ (CT: Z.435). So geben die Befragten einige Vorschläge, wie man das Interesse

der Menschen wecken könnte. Zum Beispiel sollte man „eine Grunde zu Spaß geben“ (JI:

Z.387). Auch Hochkulturangebote werden generell nicht als uninteressant betrachtet, aber es

wird darauf hingewiesen, man müsse es „langsam, langsam anbieten und sage: ‚ pass mal auf,

die gehören auch zu normale, alltäglich Leben. Es ist kein elitäre und so weiter Angebot‘“ (II:

Z.265).

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Auswertung der Interviews 5

Ein Faktor, welcher die Kulturnutzung begünstigt, sind soziale Kontakte. Zum einen sind

Empfehlungen von Freunden und Bekannten ausschlaggebend, ob man kulturelles Angebot

besucht. Das ist z.B. in dieser Bemerkung deutlich: „Unter Kollegen, wenn man was hört, geht

man mal gerne hin“ (DT: Z.233). Auch der gemeinsame Besuch von kulturellen

Veranstaltungen wird mehrmals erwähnt. „Mit Kontakten - gehe ich hin“ (HP: Z.195) oder auch

mit den anderen Vereinsmitgliedern besucht man kulturelle Veranstaltungen, „wir machen das

mit dem Verein oft“ (FP: Z.113).

Kinder und Familie werden im Zusammenhang zur Kulturnutzung auch öfters genannt. „Ja,

jaja. Ziel und Zweck Kultur zu erleben. Anatolische, wenn irgendwas gibt, dann versuchen wir

mit ganzer Familie dahin zu gehen“ (CT: Z.286). Neben der Möglichkeit mit der Familie dorthin

zu gehen, ist beispielsweise auch die künstlerische Aktivität von Familienmitgliedern ein

entscheidender Faktor, denn „wenn die spielt, dann geh ich gerne und gucke“ (ER: Z.188).

Außerdem wurde in vielen Interviews deutlich, dass Kinder und Familie einen hohen

Stellenwert im Alltag haben.

Interesse an Kultur versus Prioritäten im Alltag

Darüber hinaus gibt es eine Kategorie „Interesse an Kultur versus Prioritäten im Alltag“.

Obwohl das Interesse an Kultur bei den meisten betont wird, werden auch andere Bereiche

des Lebens aufgezeigt, welche für sie vorrangig sind. Im Gegensatz zu den Befragten, die

überdurchschnittlich Kunst und Kultur nutzen, heben die Interviewpartner, welche weniger

kulturelles Angebot nutzen, andere Verpflichtungen als primär hervor. Zu diesen anderen

Prioritäten, die vor die Kulturnutzung gestellt werden, gehört die Arbeit, welche den Rahmen

der Freizeit oft einengt. Neben der Arbeit bleibe nach Aussage einiger Probanden nicht viel Zeit

für Kultur. Zeit für die Familie ist vielen der Befragten wichtig, wie etwa beim Befragten BT

deutlich wird: „Man hat nur Samstag noch nicht mal. Aber Sonntag Zeit. Aber Sonntag gehört

auch ein bisschen zur Familie“ (BT: Z.252). Darüber hinaus gibt es andere

Freizeitbeschäftigungen, die vorgehen, wie in dieser Beschreibung eines Tagesablaufs vom

Befragten DT: „Was macht man? (…) Essen, bisschen Fernseh gucken, hinlegen. Morgens das

gleiche. Bisschen Sport dabei. Zwischendurch in den Verein. Mehr Zeit hat man nicht“ (DT:

Z.244). Auch Aktivitäten, wie die Ausübung der Religion, private Treffen oder politisches

Engagement werden genannt, um zu unterstreichen, dass man für Kultur wenig Zeit habe. Die

Interessen der Befragten sind ganz individuell. Es können lediglich Tendenzen bestimmt

werden.

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Auswertung der Interviews 5

Offenheit für Kulturen und Genres

Eine kulturübergreifende Gemeinsamkeit aller Interviewten zeigt sich in einer allgemeinen

Offenheit gegenüber verschiedenen Kulturen und Genres. So sind die Befragten, „offen für

alles“ (KI: Z.179) oder „neugierig auf diese Welt“ (HP: Z.158). Ihr Interesse beschränkt sich

„nicht nur auf eine Sache“ (DT: Z.270), sondern „alles“ (GP: Z.141) ist reizvoll, insbesondere

„auch von mehreren Nationen, wenn das da vorgestellt wird“ (FP: Z.70). Ein Großteil der

Befragten zeigt starkes Interesse am Angebot mit Bezug zur Herkunftskultur, aber „wenn

anderes gibt, warum nicht. Um Gottes Willen“ (CT: Z. 410). Die Vielfalt der Kunstformen finden

die Befragten meist interessant. Obwohl die Kulturnutzung meist auf bestimmte Genres

beschränkt ist, geben doch einige an, dass sie sich generell auch für andere, für sie neue

Sachen interessieren.

Elitäres Bild von kulturellem Angebot

Kulturelle Veranstaltungen werden auch als „luxuriös“ (LT: Z.316) bezeichnet und implizit als

Eliteangebote angesehen, welche nicht den Interessen der einfachen Bevölkerung

entsprechen. Die Diskrepanz zwischen Vorstellungen der Macher und den Interessen der

einfachen Leute wird thematisiert: „Wegen die Gedankengut sag ich, die Menschen, die da

oben stehen. Was die sich vorstellen, ob das gleicht, nicht mit mir, aber mit den einfachen

Leuten“ (CT: Z.426) oder auch zu RUHR.2010 allgemein: „Und da sag ich, ok, ist schon wieder

was von oben“ (II: Z.141). Einige der Befragten stufen sich bei hohem kulturellem Interesse

schon als „Ausnahmefall“ (GP: Z.193) ein und implizieren somit, dass das kulturelle Angebot

nicht alle Bevölkerungsschichten involviert.

Herkunftsbezug bei MELEZ

Der Bezug zur Herkunftskultur ist auch bei den Angeboten von MELEZ nicht entscheidend. Zum

Festival MELEZ speziell gibt es je nach persönlichem Interesse recht unterschiedliche

Stellungnahmen. Hier kann man etwa bemerken, dass bei den Befragten italienischer Herkunft

das Festival als solches eher uninteressant erschien.33 Bei den meisten türkischstämmigen

Befragten stoßen die türkischen Angebote auf Interesse, allerdings geben auch diese immer

wieder an, auch an anderen Veranstaltungen interessiert zu sein. Von der Angehörigen der

Russlanddeutschen wird Angebot mit Bezug zu ihrer kulturellen Gruppe gewünscht. Bei den

polnischen Befragten ist auffällig, dass sie sich nicht über ihre Herkunftskultur mit den

33

Allerdings ist dies aufgrund der Anzahl der Befragten auch als Zufall interpretierbar.

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Auswertung der Interviews 5

Programmpunkten identifizieren, bzw. polnische Angebote in der Programmübersicht für sie

nicht erkennbar waren.

Interesse an dem Festival MELEZ versus Besuch

Generell ist ein mehrheitliches Interesse für das Festival zu verzeichnen. Dennoch geben drei

Befragte aus unterschiedlichen Gründen an, sich überhaupt nicht für das Programm zu

interessieren. Für einige Befragte ist das Festival MELEZ attraktiv: „Da ist schade, das ist bei mir

vorbeigegangen. Ich hab das schon gehört, aber leider“ (CT: Z.442). Es wird weiter auf fehlende

Informationen aufmerksam gemacht: „Das ist wirklich schade, dass ist zu wenig Werbung. Ne

weil, wenn sie jetzt so auf die Straße so eine Interview machen, bestimmt, wer hat das davon

gehört?“ (GP: Z.189). Dazu wird weiter gewünscht, dass die Werbung frühzeitig gemacht

werden sollte. In der Tat haben fünf der zwölf Befragten vom Festival überhaupt gehört, aber

niemand hat das Festival besucht. Nach der Programmvorstellung wollen einige Befragte

zunächst mehr über das Festival erfahren: „Die Kultur möchte ich gerne kennen lernen. Gern.

Aber von wo bekommt man die Adresse? Wo ist das?“ (HP: Z.112).

Fehlender Gesamtzusammenhang des Festivals MELEZ

Das Festival wird mit der Darstellung mehrerer Kulturen assoziiert: „Das ist so interkulturell,

nee!?“ (GP: Z.91). Von den fünf Befragten, welche angeben vom Festival gehört zu haben,

kennt einer das Programm. Die anderen haben nicht von den einzelnen Veranstaltungen

gehört. Andererseits ist auffällig, dass Programmpunkte bekannt sind, insbesondere

Programme mit Bezug zur türkischen Kultur unter den türkischen Befragten, welche aber nicht

in Verbindung mit dem Festival gebracht werden wie etwa LiterTürk und Sivas 93.

Medien und Kultur

Zu den Informationswegen zeigt sich, dass der Gebrauch von audio-visuellen Medien wichtig

ist. Zum einen wird das Fernsehen oft genannt, auch als Medium für Kultur: „Deutsche Kultur

und Information hab ich von Fernseher“ (HP: Z.294). Der Wunsch nach einem regionalen

Kulturprogramm im Fernsehen kam auf. Zum anderen sind Internet und Radio wichtige

Medien, welche gerne genutzt werden und darüber hinaus geeignet sind, um leicht an

Informationen zu gelangen. Bei den meisten deutet sich an, dass sie nicht gezielt nach

Informationen zu kulturellem Angebot suchen, sondern eher zufällig davon erfahren.

Das Internet sei die bequemste Form, um Tickets zu erwerben: „Kommt nach Hause. Ist per

Karte bezahlt“ (GP: Z.245). Per Internet habe man mehr Sicherheit, denn man erwerbe die

Karten „lieber ein bisschen früher“ (ER: Z.211). Auch für weitere Informationen sei das Internet

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Auswertung der Interviews 5

gut: „Gott sei Dank gibt‘s jetzt YouTube. Das kann man alles schon finden. Von kulturelle

Sachen können Sie ganz viele Sachen finden“ (GP: Z.284). Obwohl vorwiegend ältere Menschen

befragt wurden, zeigt sich, dass die meisten die neuen Medien auch nutzen.

5.3 Ergebnisse unter Einbezug theoretischer Annahmen

Neben den Kategorien gibt es noch weitere Ergebnisse, welche im Zusammenhang zu anderen

Studien dargestellt werden sollen. Anhand des Vergleiches mit bisherigen theoretischen

Erkenntnissen ist es möglich herauszustellen, welche Ergebnisse spezifisch für Personen mit

Migrationshintergrund sein können.

5.3.1 Kulturelle Präferenzen und Kulturnutzung

Zunächst ist zu den Befragten festzustellen, dass, unter Verwendung eines erweiterten

Kulturbegriffes, alle Kulturnutzer sind. Wenn man unter Kulturnutzung im engeren Sinne den

Besuch von so genanntem Hochkulturangebot versteht, dann kann zu meiner Untersuchung

festgehalten werden, dass die meisten diese, zumindest gelegentlich, nutzen. Im Gegensatz zur

Studie der Universität Hildesheim, welche herausstellte, dass die meisten Probanden unter

Kultur eher Hochkultur verstehen (vgl. Mandel/Timmerberg 2008: 22), haben die Befragten in

meiner Studie einen eher weiten Kulturbegriff.

Wie in der Sinus-Studie stellte sich heraus, dass es keinen signifikanten Zusammenhang

zwischen der Herkunftskultur und den kulturellen Interessen und der Kulturnutzung der

Interviewten gibt. So erschließt sich auch hier, dass Menschen gleicher Herkunft keine

homogene Gruppe sind.

Musik scheint für die Befragten meiner Studie sehr interessant, allerdings in verschiedenen

Stilen von Klassik bis Rock. Elektronische Musik und Hip Hop, welche herausstechende

kulturelle Präferenzen der Dortmunder Studie waren, werden jedoch überhaupt nicht erwähnt,

sodass ein Zusammenhang zum vorangeschrittenen Alter der Befragten zu vermuten ist.

Musikkonzerte der unterschiedlichen Stile wurden öfters genannt, was das Ergebnis des

achten Kulturbarometers bestätigt, dass sich Musikkonzerte unter der Bevölkerung großer

Beliebtheit erfreuen (vgl. Keuchel 2005: 1). Wünsche zu Musikkonzerten, vor allem mit Bezug

zur Herkunftskultur, wie die Musik- und Tanzshow „Feuer aus Anatolien“ oder Konzerte der

Russlanddeutschen wurden geäußert. Der Bezug zur Herkunftskultur innerhalb der Musik zeigt

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Auswertung der Interviews 5

sich auch im Ergebnis der Dortmunder Studie: Diese ist nach der Studie für 57 Prozent der

Befragten interessant und wird von 11 Prozent genutzt (vgl. LDS NRW/Cerci 2008a: 52).

Ebenfalls wird das Resultat der Dortmunder Studie tendenziell bestätigt, dass zumindest bei

der Hälfte der Befragten ein Interesse sowie Nutzung von Kino und Film besteht. Allerdings

muss auch hier darauf verwiesen werden, dass das Kino auch bei den Befragten im Ruhrgebiet

als meistbesuchter Veranstaltungsort genannt wurde (vgl. Mandel/Timmerberg 2008: 18).

Darüber hinaus wurden Literatur, Theater und Ausstellungen als Interessenfelder öfter

genannt. Bei meiner Untersuchung gab es zu Ausstellungen konkrete Wünsche wie etwa eine

Ausstellung über Migrationsgeschichte in der Zeche Zollverein oder eine Ausstellung über das

Osmanische Reich.

5.3.2 Identifikation mit dem Angebot als nachfragebegünstigender Faktor

Ein zentrales Ergebnis meiner Studie ist, dass kulturelles Angebot vor allem dann Relevanz hat,

wenn es einen Bezug zum eigenen Lebensalltag hat. Zu diesem gehören unter anderem das

Leben im Ruhrgebiet, das Ausleben und Bewahren der Herkunftskultur und das Leben mit

mehreren kulturellen Einflüssen.

Die Studie der Hildesheimer Universität stellte fest, dass die Menschen im Ruhrgebiet, auch die

ohne Migrationshintergrund, sich stark mit dem Ruhrgebiet identifizieren. So identifizierten

sich 39 Prozent mit ihrer Stadt am stärksten und 22 Prozent mit dem Ruhrgebiet (vgl.

Mandel/Timmerberg 2008: 11). Bei meiner Untersuchung ist eine Identifikation mit dem

Ruhrgebiet ebenfalls zu bemerken. Darüber hinaus wird kulturelle Vielfalt in meiner

Untersuchung als prägender Aspekt des Ruhrgebietes erachtet. Der Einfluss der Migranten auf

die Region wird hervorgehoben.

Ergebnis meiner Untersuchung ist, dass der Bezug zur Herkunftskultur nur ein

nachfragebegünstigender Faktor ist. Ihre Herkunftskultur möchten die Probanden weiterhin

bewahren und erleben sie als Bereicherung für sich selbst und die Gesellschaft. Angebote mit

Bezug zur Herkunftskultur sind für die Befragten attraktiv und werden im Fall der Dortmunder

Studie auch von 15 Prozent gewünscht (vgl. LDS NRW/Cerci 2008a: 100). Ein Vergleich zum

Ergebnis der britischen Studie Culture on Demand ist aufschlussreich: Dort wurde

herausgestellt, dass die Befragten zwar verstärkt Interesse am Angebot mit Bezug zu anderen

Kulturen haben, jedoch wird betont, dass dieses Interesse nicht auf eine bestimmte Kultur, das

bedeutet, nicht nur auf ihre Herkunftskultur beschränkt ist (vgl. DCMS 2007a: 87).

Page 102: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

97

Auswertung der Interviews 5

Allerdings ist das Interesse an Angeboten mit Bezug zur Herkunftskultur daran geknüpft, in

welcher Weise diese dargestellt wird. Die Befragten erachten künstlerische Produktionen als

fähig, Klischees zu prägen oder über die Realität aufzuklären. Kulturelle Angebote können

somit zur Anerkennung der Herkunftskultur beitragen. Programme aus den Heimatländern

hingegen haben wenig Bezug zur ihrer Lebenswelt in Deutschland. Darüber hinaus ist

beispielsweise anzuführen, dass einige Befragte regionalspezifische Angebote als

problematisch ansehen, besonders wenn diese als kulturtypisch präsentiert werden.

Die Sinus-Studie hatte festgestellt, dass die meisten Befragten ein bi-kulturelles

Selbstbewusstsein haben. Meine Befragung gibt jedoch Hinweise, dass sich die Personen nicht

nur als bi-kulturell, sondern als transkulturell wahrnehmen. Das bedeutet, dass sich ihre

hybride Identität durch ein Patchwork nicht nur der deutschen Kultur und der Herkunftskultur,

sondern aus verschiedenen kulturellen Einflüssen auszeichnet. Das zeigt sich darin, dass die

Vermischung der Kulturen als Teil des Lebensalltags von fast allen Befragten hervorgehoben

wird. Dies hat Auswirkungen auf das kulturelle Angebot: Besonders Angebote, die die Prozesse

der Verknüpfungen und Verflechtungen mit aufnehmen, werden als attraktiv empfunden und

werden sich gewünscht. In der britischen Studie Culture on Demand wurde vor allem zu

jüngeren Menschen festgestellt, dass kulturelle Veranstaltungen, die die Vermischung

kultureller Identitäten einbinden, besonders attraktiv sind (DCMS 2007a: 75).

5.3.3 Weitere nachfragebegünstigende Faktoren

In der Dortmunder Studie, der Studie Culture on Demand sowie meiner Untersuchung, ergibt

sich eine Überschneidung zur Bedeutsamkeit sozialer Kontakte. Zum einen wird deutlich, dass

Empfehlungen über Freunde und Bekannte wichtige Informationsquelle für kulturelle

Veranstaltungen sind. Hier kann man vermuten, dass diese Quellen den Personen

vertrauenswürdiger erscheinen. Für die Kulturnutzung ist jedoch nicht nur die

Mundpropaganda entscheidend. Die Begleitung und das Treffen von Familie und Freunden auf

kulturellen Veranstaltungen wurden oftmals betont. Wenn man nun unter den kulturellen

Aktivitäten auch die Besuche der Migrantenvereine einbezieht, dann ist es von Bedeutung,

dass die Menschen dort Bekannte und Freunde treffen und ihre Kontakte pflegen. Durch die

Studie der Hildesheimer Universität in Kooperation mit RUHR.2010 und ACADEMIC DATA Essen

wird jedoch klar, dass Menschen aus dem Ruhrgebiet diesen Faktor hervorheben, somit ist

diese Feststellung nicht spezifisch für Personen mit Migrationshintergrund: „Rund 30% der

Page 103: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

98

Auswertung der Interviews 5

Befragten betonen, dass sie kulturelle Veranstaltungen besuchen, um etwas Schönes mit der

Familie, mit Partnerin oder Partner oder Freunden zu erleben“ (Timmerberg/Mandel 2008b: 4).

Besonders die Familie ist zentraler Bezugspunkt während der Gespräche meiner

Untersuchung, daher ist davon auszugehen, dass die Befragten sich mit Kindern und Familie

stark identifizieren und dies somit auch für die Nutzung von Kunst und Kultur von großer

Bedeutung ist. In der Dortmunder Studie äußerten sechs Prozent den Wunsch nach einer

Verbesserung der kulturellen Angebote für Familie bzw. Kinder (vgl. LDS NRW/Cerci 2008a:

98), und auch die Sinus-Studie macht deutlich, dass besonders kulturelle Bildung, unter

anderem Kunst- und Musikunterricht an Schulen, als wichtig erachtet wird (vgl LDS NRW/Cerci

2008b: 42). Die Probanden meiner Untersuchung gaben an, kulturelle Veranstaltungen mit

Familienmitgliedern zu besuchen. Außerdem wurde bei einigen Befragten angedeutet, dass die

Weitergabe der eigenen, auch kulturellen, Hintergründe an die Familie durch den Besuch

kultureller Veranstaltungen angestrebt wird. Allerdings muss auch hier betont werden, dass

Familie als nachfragebegünstigender Faktor nicht ausschließlich typisch für Personen mit

Migrationshintergrund ist, sondern, wie aus der Studie der Universität Hildesheim hervorgeht,

auch von vielen Befragten ohne Migrationshintergrund angegeben wurde. Für das

Kulturhauptstadtjahr RUHR.2010 beispielsweise wünschten sich 94 Prozent der Befragten

mehr Angebote für Kinder und Jugendliche (vgl. Mandel/Timmerberg 2008: 38).

Dass der Wunsch nach dem Erlebnis von etwas Besonderem nicht nur bei Personen mit

Migrationshintergrund wichtig ist, zeigt sich in der Studie der Universität Hildesheim. 16

Prozent der Befragten geben als Motivation für Kulturnutzung an, etwas Besonderes erleben

zu wollen (vgl. Mandel/Timmerberg 2008: 24). Die Offenheit für andere, neue Angebote kann

bei meiner Untersuchung besonders herausgestellt werden. Sowohl Angebote anderer

Kulturen, als auch Formen von kulturellem Angebot, welche noch unbekannt sind, wären somit

grundsätzlich interessant.

5.3.4 Migrantenvereine und kulturelle Partizipation

Ohne die Befragten nun in die Migranten-Milieus einzuordnen erschließt sich das Ergebnis der

Sinus-Studie, dass ethnische Zentren von sechs Milieus genutzt werden. Dies ist aus den

individuellen Präferenzen abzuleiten und auch aus den unterschiedlichen Berufen, welche

verschiedene Bildungsgrade vermuten lassen. Hervorzuheben bleibt, dass die ethnisch

geprägten Vereine gemeinsame Bezugspunkte sind. Die Pflege der Sprache, der Traditionen

Page 104: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

99

Auswertung der Interviews 5

und das Treffen von Menschen mit ähnlichem biographischem Hintergrund sind gemeinsame

Interessensgebiete.

Die bestehenden interkulturellen Aktivitäten der Vereine wurden während der Gespräche

hervorgehoben. Kulturelles Eigenengagement im Rahmen der Vereinsaktivitäten und auch

darüber hinaus ist für viele denkbar. Auch in der Studie Culture on Demand wurde deutlich,

dass die ethnischen Minderheiten innerhalb ihrer Gemeinschaften stark in kulturelle

Aktivitäten involviert sind (vgl. DCMS 2007a: 86).

5.3.5 Barrieren

Die Faktoren Zeit und Geld werden bei vielen Studien zur Kulturnutzung als Hauptbarrieren

herausgestellt. Dass diese nicht nur Barrieren für Personen mit Migrationshintergrund sind,

beweist beispielsweise die Studie der Universität Hildesheim: Hier gaben 39 Prozent der

Befragten Zeitmangel und 23 Prozent Eintrittspreise als Barriere an. Weiterhin ist darauf

hinzuweisen, dass die Relevanz von Zeit und Geld je nach Bildungsgrad variierte (vgl.

Mandel/Timmerberg 2008: 27/28). In meiner Befragung wird zudem deutlich, dass die

Gesprächspartner ihre Zeit in andere Prioritäten des Alltags investieren.

Wie in der Studie Culture on Demand ist zu beobachten, dass es eine Tendenz gibt, Kultur der

etablierten Institutionen als etwas Elitäres zu betrachten (vgl. DCMS 2007b: 5). In meiner

Untersuchung geschieht dies durch die Bezeichnung von Kultur als Luxus und durch die

geäußerten Zweifel an der Orientierung der Programmgestaltung an den Interessen der

Bevölkerung. Dies kann Barriere sein Kultur, zu nutzen.

5.3.7 Informations- und Vertriebswege

In meiner Untersuchung stellte sich heraus, dass viele Befragte, wie auch in der britischen

Studie herausgefunden (vgl. DCMS 2007a: 89), kulturspezifisches, aber auch regionales

Fernsehen sehen. Während sich in der Dortmunder Studie zeigt, dass das Fernsehen als

Informationsquelle im Vergleich mit Personen ohne Migrationshintergrund häufiger genutzt

wird (vgl. LDS NRW/Cerci 2008a: 77), wird bei meiner Untersuchung sichtbar, dass Fernsehen

mehr als nur Informationsquelle ist. Es dient als Bezug zum Herkunftsland, indem man Sender

der Herkunftsregionen nutzt. Außerdem vermittelt deutsches Fernsehen deutsche Kultur.

Unter der Vermittlung von Kultur wird die Ausstrahlung künstlerischer Produktionen

Page 105: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

100

Auswertung der Interviews 5

verstanden, aber auch andere Sendungen ohne Bezug zu den Künsten werden als Kultur

betrachtet.

Zu den regionalen Medien haben die Befragten außerdem einen Bezug. Regionales Fernsehen

wie der WDR, aber auch regionalspezifische Zeitungen und Internetseiten wurden einige Male

genannt. Der besondere Bezug zur Kultur in der Region wurde in dem Wunsch nach einem

regionalen kulturellen Fernsehprogramm erkennbar.

Page 106: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

101

Ansätze zum Audience Development 6

6. Ansätze zum Audience

Development für das Festival MELEZ

Ein Ziel des Audience Developments für das Festival MELEZ ist, mehr Besucher zu gewinnen.

Durch die Zahlen einer repräsentativen Umfrage der Universität Hildesheim in Kooperation mit

ACADEMIC DATA Essen wird belegt, dass das Festival mit nur 0,6 Prozent der Befragten wenig

Bekanntheit unter den Bewohnern des Ruhrgebietes aufweist. Hingegen waren die Probanden

meiner Untersuchung mit fast der Hälfte der Befragten überdurchschnittlich informiert,

allerdings hatte keiner von ihnen das Festival besucht. Darüber hinaus ist Aussagen der

Festivalorganisatoren zu entnehmen, dass Besucherzahlen, nicht aller, aber dennoch einiger

Programmpunkte des Festivals, nicht dem gewünschten Maß entsprechen.34

Da das Festival sich als Festival der Kulturen bezeichnet und die kulturelle Vielfalt im

Ruhrgebiet zeigen möchte, sind diejenigen, die diese ausmachen eine Besuchergruppe, die es

einzubinden gilt: Personen mit Migrationshintergrund. Wie meine Studie bestätigt, spielen die

Herkunftskulturen der Befragten in ihrem Lebensalltag eine wichtige Rolle. Da das Festival

Bezug zu einigen Herkunftskulturen herstellt, ist davon auszugehen, dass Personen mit

Migrationshintergrund eine Gruppe sind, die als Besucher für das Festival zu gewinnen sein

könnten. Der Bezug zur Herkunftskultur, aber auch zu anderen Kulturen ist ein

nachfragebegünstigender Faktor, daher ist die gezielte Ansprache dieser Gruppe sinnvoll. Im

Bundesland Nordrhein-Westfalen machen Personen mit Migrationshintergrund einen Anteil

von rund einem Viertel der Gesamtbevölkerung aus, weshalb durch deren gezielte Ansprache

ein großer Bevölkerungsteil einbezogen werden kann.

Im Folgenden sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie Ansätze zum Audience

Development für die Zielgruppe Personen mit Migrationshintergrund aussehen können:

6.1 PR und Vertrieb über audio-visuelle Medien

Wie in den Ergebnissen meiner empirischen Untersuchung und den anderen Studie aufgezeigt,

wird vor allem das Medium Fernsehen von Personen mit Migrationshintergrund in hohem

Maße genutzt. Um besonders viele Menschen dieser Zielgruppe zu erreichen empfiehlt es sich,

34

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren im Anhang

Page 107: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

102

Ansätze zum Audience Development 6

besonders Werbung in nationalitätenspezifischen Sendern zu schalten. Der Erfolg der Werbung

über türkisches Fernsehen zu Sivas 93 bestätigt diese Annahme.35 Es sollten auch auf Sendern

anderer Nationalitäten Werbungen geschaltet werden. Besonders die Menschen, die wegen

sprachlichen Barrieren weniger deutsche Medien nutzen, können so erreicht werden. Gesetzt

den Fall, dass nur ein Programmpunkt beworben werden soll, sollte in der Werbesendung der

Gesamtzusammenhang zum Festival MELEZ erwähnt werden.

Darüber hinaus werden besonders regionale Medien, wie etwa der WDR, aber auch Zeitungen

wie die WAZ genutzt. Daher sollte dort Werbung für MELEZ betrieben werden. Werbung in

regionalen Radiosendungen kann ebenfalls mehr Menschen erreichen, da Radio auch

beispielsweise während der Autofahrt gehört wird. Live-Übertragungen im WDR oder auf

regionalen Radiosendern wären zudem denkbar.

Ein weiteres Medium, bei welchem die Werbung verstärkt werden sollte, ist das Internet. Hier

wurde darauf hingewiesen, dass es häufig als Informationsquelle diene. Es gilt Verknüpfungen

auf anderen Internetseiten, die thematische Ähnlichkeiten zum Festival aufweisen, zu

erstellen, z.B. auf den Seiten der interkulturellen Büros der Städte. Weiterhin ist eine

Empfehlung, Veranstaltungen von MELEZ bei www.youtube.com für die Öffentlichkeit

zugänglich zu machen. Da in meiner Befragung nur die wenigsten Künstler auf Bekanntheit

stießen, wäre es zudem sinnvoll, auf der Website selbst Podcasts, also z.B. Hörbeispiele, zur

Verfügung zu stellen, um einen Vorgeschmack auf die Veranstaltung zu geben. Dies ist vor

allem für musikalische und tänzerische Darbietungen, aber auch für literarische Beiträge

sinnvoll. In meiner Untersuchung war es insbesondere ein Problem, dass die Befragten keine

konkreten Vorstellungen von den einzelnen Programmpunkten hatten und folglich nicht sagen

konnten, ob sie Interesse daran hätten. Tickets für Veranstaltungen werden folglich nicht

erworben, wenn der Inhalt und die Künstler unbekannt sind.

Auch unter der Kategorie Vertriebswege zeigte sich, dass das Internet eine leicht zugängliche

Art ist, Tickets zu erwerben. Dies sollte für alle Veranstaltungen durch einen zentralen

Ticketvertrieb möglich sein.

6.2 Barrierefreiheit durch Preis und Alltagsorte

Da Personen dieser Zielgruppe überdurchschnittlich oft sozial schwächeren Schichten

angehören, muss auch die Preisgestaltung dem angepasst werden. Einige Befragte gaben den

35

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren im Anhang und 5.1.12

Page 108: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

103

Ansätze zum Audience Development 6

Faktor „mangelnde finanzielle Mittel“ als Barriere zu Kultur an. Da die MELEZ Organisatoren

nach einigen Angaben bereits auf die adäquate Preisgestaltung achten36, sollten zudem

Angebote bereitgestellt werden, welche kostenfrei sind.

Sinnvoll wäre, solche kostenfreien Angebote an Orten des Alltags stattfinden zu lassen. Das

bedeutet, Angebote so niedrigschwellig wie möglich zu gestalten. Da eine große Barriere, um

an Kultur teilzunehmen, der Faktor „mangelnde Zeit“ ist, ist die Situierung der Angebote

besonders wichtig. Denkbar wären etwa musikalische Live Acts in den Innenstädten oder auch

eine Parade der Kulturen durch die Stadt. Besonders zum Auftakt des Festivals wäre so etwas

von Bedeutung, um das Festival zum richtigen Zeitpunkt im Bewusstsein der Menschen zu

verankern.

6.3 Zielgruppenansprache - Die Vielfalt im Ruhrgebiet: Das bist du!

Wichtig ist auch die Ansprache der Besucher. Wenn das „Festival der Kulturen“ einen Beitrag

zur Interkulturellen Öffnung (vgl. RUHR.2010 GmbH 2008a: 97) leisten will, dann sollte es

selbst auch Personen mit Migrationshintergrund als Zielgruppe definieren. Bisher wird vor

allem eher das türkische Publikum speziell angesprochen.37 Allerdings sollte die direkte

Ansprache zumindest auf die am meisten vertretenen Herkunftsnationen der Menschen im

Ruhrgebiet ausgedehnt werden.38 Auch hier sollten an Migranten-Selbstorganisationen und

andere Institutionen, die mit Personen mit Migrationshintergrund zusammenarbeiten,

Ansprachen in den jeweiligen Sprachen verfasst werden. Besonders Orte, die Bezug zu

Herkunftskulturen haben, sollten Ziel der Ansprache sein. Das können Kirchengemeinden, wie

etwa italienische Missionen oder Moscheen sein.

Außerdem sollte die Ansprache nicht nur auf bestimmte Programmpunkte beschränkt werden

oder den kooperierenden Veranstaltern überlassen werden, denn das ganze Festival soll

beworben werden. Es muss als Gesamtheit für den Besucher ansprechend gestaltet werden,

damit z.B. nicht nur Programmpunkte mit Bezug zur Herkunftskultur besucht werden.

Sinnvoll könnte auch die Überlegung sein, wie die haptischen Medien Flyer, Plakate und

Programmhefte gestaltet sein sollten. Der Wunsch nach etwas Buntem im Programm könnte

auch sinnbildlich in der Gestaltung der Werbeprodukte zu finden sein. Die Überlegung müsste

36

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ Organisatoren im Anhang 37

Vgl. Protokoll: Gespräch mit MELEZ Organisatoren im Anhang 38

Neben Personen türkischer Herkunft auch Personen polnischer, italienischer, jugoslawischer Herkunft

und der Gruppe der Russlanddeutschen.

Page 109: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

104

Ansätze zum Audience Development 6

hierbei sein, wie könnte man die Vielfalt des Programmes und der Kulturen auf den ersten

Blick für den Rezipienten ersichtlich machen?

6.4 Treffpunkt: MELEZ

Der soziale Faktor hat ebenfalls Auswirkung auf Kultur wie sich in unterschiedlichen Studien

zeigte. Darauf kann ein Festival wie MELEZ in unterschiedlicher Weise mit Sozialstrategien

reagieren. Zum einen kann es die kulturellen Veranstaltungen mit Aktivitäten und Angeboten

verknüpfen, denen die Bevölkerung in ihrer Freizeit sonst mit anderen Personen nachgeht. Die

Parks und Grünflächen im Ruhrgebiet, wie z.B. der Grugapark in Essen, könnten als

Veranstaltungsorte bespielt werden. Dort könnten Konzerte und Tanzdarbietungen stattfinden

oder auch Ausstellungen zum Thema kulturelle Vielfalt in angrenzenden Gebäuden angeboten

werden. In Verbindung zu den künstlerischen Darbietungen könnte eine besondere Aktion

initiiert werden. Da das Festival im Herbst stattfindet, könnte man auf den Grünflächen des

Ruhrgebietes Drachen steigen lassen. Die Drachen könnten im Vorhinein in Kooperation

zwischen Künstlern und Schulklassen angefertigt werden. Zu deren Gestaltung wäre denkbar,

ein Patchwork aus verschiedenen bunten Stoffelementen zu erstellen und somit die kulturelle

Vielfalt zu symbolisieren. Die Drachen würde man im Rahmen der Veranstaltung steigen

lassen. Um das Event abzurunden, würde man etwas Kulinarisches und Getränke aus

verschiedenen Herkunftsregionen anbieten. Spaziergänger könnten so zufällig involviert

werden, aber auch die Familien der beteiligten Kinder würden kommen. Zudem bietet eine

solche Veranstaltungsform die Möglichkeit Zeit mit Freunden und Bekannten auf angenehme

und erlebnisreiche Weise zu verbringen.

Darüber hinaus könnten weitere Strategien verfolgt werden, um den Faktor der sozialen

Netzwerke und Kontakte zu berücksichtigen. Es könnte beispielsweise ein Gruppenrabatt für

kulturelle Veranstaltungen, schon bei kleinen Gruppen, eingeführt werden. Außerdem gilt,

dass man Veranstaltungen an Orten stattfinden lassen sollte, an denen man andere Menschen

trifft, z.B. in Stadtteilzentren. Aber auch Werbung an Orten, welche man meist mit mehreren

Personen besucht, wie etwa das Kino, welches besonders häufig unter kultureller Nutzung

genannt wurde, sollte verstärkt werden.

Page 110: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

105

Ansätze zum Audience Development 6

6.5 Programmgestaltung

6.5.1 Ruhrgebiet statt Anatolien

Da es wenig Sinn macht, etwas Vergleichbares zwischen den unterschiedlichen

Herkunftskulturen der Zielgruppe zu suchen, sollte sich auf das, was sie verbindet, konzentriert

werden. Dies kann zum einen die Identifikation mit dem Ruhrgebiet sein. Wie auch

Gesprächspartner meiner Untersuchung bereits anregten, wäre es sinnvoll, einen

thematischen Bezug zur Migrationsgeschichte innerhalb des Ruhrgebiets herzustellen. Fakt ist,

das Ruhrgebiet ist geschichtlich wie auch gesellschaftlich geprägt durch Menschen

unterschiedlicher Nationen. Das gilt es auch im Programm sichtbar zu machen. Man könnte,

wie von einem Interviewten vorgeschlagen, eine Ausstellung zur Geschichte der Migration im

Ruhrgebiet initiieren. Auch die Einbindung von Orten, die das Ruhrgebiet prägen, wie etwa die

Zeche Zollverein, welche innerhalb der Interviews öfters genannt wurde, würde sicherlich die

Identifikation mit dem Angebot steigern.

Das Theaterstück Bello e Brutto etwa, welches 2008 im Rahmen des Festivals MELEZ stattfand,

zeigte die Migrationsgeschichte von Einwanderern aus einem bestimmten Dorf Siziliens. Um

möglichst viele unterschiedliche Menschen als Publikum zu erreichen, sollte man jedoch

Migrationsgeschichten von ganz unterschiedlichen Herkunftsgruppen mit einbeziehen. Das

kommt auch dem Ziel des Festivals näher, denn dieses soll „die kulturelle und soziale Vielfalt

unserer Region erforschen, anerkennen und abbilden“ (RUHR.2010 GmbH 2008b: 3). Bei den

Befragten wurde ein Interesse an anderen Kulturen hervorgehoben, daher sollte zwar Bezug

auf Kulturen genommen werden, aber nicht auf eine spezifische eingeschränkt werden.

Da trotzdem die Identifikation mit Veranstaltungen der Herkunftsländer gegeben ist, sollten

solche Angebote auch weiterhin einbezogen werden. Allerdings sind hierbei nur wirklich

bekannte Künstler für viele einladend.

6.5.2 MELEZ : Der Name des Festivals macht Programm

Um mit dem Programm Identifikationsmöglichkeiten für die Zielgruppe Personen mit

Migrationshintergrund zu schaffen, sollte im Programm Bezug auf die Vermischung der

Kulturen genommen werden. Da das Festival den Namen MELEZ, also Mischling trägt, sollten

die künstlerischen Produktionen Mischformen thematisieren. Darüber hinaus kann etwa das

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106

Ansätze zum Audience Development 6

Projekt des New Audiences for the Arts Programm Self-Portrait UK39 als Vorbild genommen

werden. Auch im Ruhrgebiet könnte man einen Wettbewerb nach diesem Vorbild initiieren,

indem dazu aufgerufen wird, die kulturelle Vielfalt im eigenen Leben auf künstlerische Weise

festzuhalten. Auf diese Art gäbe es eine direkte Ansprache der Zielgruppe und so könnte die

Identifikation mit der Vielfalt im Ruhrgebiet genutzt werden, um die Zielgruppe aktiv zu

beteiligen. Die Ergebnisse könnten im Rahmen einer Ausstellung, die durch verschiedene Orte

des Ruhrgebiets tourt, präsentiert werden.

6.5.3 Programm für die Familien und Kinder

Da nicht nur in meiner Untersuchung, sondern auch in den anderen angeführten Studien

deutlich die Wichtigkeit der Kinder und Familien im Leben der Befragten sowie bei deren

Kulturnutzung sichtbar wurde, sollte dieser Faktor auch eingebaut werden. Kindern und

Jugendlichen sollte bei der Beteiligung an Kultur besonders viel Bedeutung auch seitens der

MELEZ-Initiatoren zugemessen werden40. Die Integration von Kindern und in diesem

Zusammenhang auch der nachfragebegünstigende Faktor Familie könnte noch verstärkt im

Programm aufgenommen werden. Um die Problematik der verschiedenen Standorte des

Festivals zu umgehen, könnte ein MELEZ-Mobil durch die verschiedenen Stadtteile der Orte

fahren und Aktionen zu Themen rund um verschiedene Nationalitäten anbieten. Konkret

könnte es dabei etwa um Spiele aus anderen Nationen gehen. In vielen Städten gibt es

Spielmobile,41 mit denen Kooperationen aufgebaut werden könnten. Auf diese Weise könnten

die Kinder in der Nähe ihrer Wohnorte erreicht werden und so als Multiplikatoren innerhalb

der Familien agieren. Kooperationen mit Schulen sind natürlich auch ein Mittel, um mehr

Kinder und Familien einzubinden. Besonders die Partnerschaft mit Schulen kann zur

nachhaltigen Bindung von Publikum für das Festival beitragen.

Um Familien möglichst leichten Zugang zu Veranstaltungen zu gewährleisten, müssen diese

familienfreundlich sein. Das bedeutet, Kinderprogramme Veranstaltungen mit

Kinderprogramm zu ergänzen, deren Rahmen das zulässt, wie etwa beim MELEZ.LABOR

zusätzlich eine Aktion für Kinder anzubieten. Das würde Eltern Raum lassen, selbst am

kulturellen Angebot teilzunehmen. Solche Angebote sollten vor allem am Wochenende

stattfinden.

39

Vgl. Kapitel 2 40

Vgl. Kapitel 3 41

Bus mit Spielmaterialien, welcher oftmals im Auftrag der Stadt mit pädagogischen Mitarbeitern

bestimmte Plätze, meist soziale Brennpunkte, anfährt.

Page 112: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

107

Ansätze zum Audience Development 6

6.5.4 Klischeebrecher

Bei meiner Untersuchung kam als eine der ganz starken Kategorien die mangelnde

Anerkennung der Herkunftskultur heraus. Da künstlerische Ausdrucksmittel von den Befragten

als fähig angesehen werden, Bilder über Kulturen zu prägen, muss das Programm inhaltlich

dies auch aufnehmen. Klischees könnten provokativ in künstlerische Produktionen

aufgenommen und innerhalb dieser dekonstruiert werden. Zudem wäre es interessant,

verschiedene regionale Künstler und Produkte von einem bestimmten Herkunftsland

nebeneinander zu sehen, um so einen Einblick in die verschiedenen Facetten einer Kultur zu

erlangen. Da im Bereich Film Dokumentationen über Lebenswelten von Personen mit

Migrationshintergrund jenseits von Klischees bereits existieren, wäre deren Präsentation eine

Möglichkeit etwas zur Aufklärung beizutragen. Allerdings müsste dann gesichert sein, dass

nicht nur Menschen der Herkunftskultur, die der Film behandelt, als Publikum eingebunden

werden.

6.6 Partizipation: Einbindung der Kulturvereine

Einige der Befragten erklärten sich bereit sich selbst zu engagieren. Besonders die

Kulturvereine beschäftigen sich mit der Darstellung ihrer Kultur und organisieren

Veranstaltungen, meist folkloristischer Art. Für Kulturanbieter, die ein kulturell diverses

Publikum erreichen wollen, sollte bedacht werden: „When one suggests that the artistic value

of community arts programming is somehow less than fully professional, it reduces the

importance of this work” (Walker-Kuhne 2005: xii). Durch einen Anstoß zu Veranstaltungen

während der Festivalzeit innerhalb der Vereine könnte nicht nur deren Vielfalt im Ruhrgebiet

auch für andere Mitbürger präsenter werden, sondern auch der Mundpropaganda-Effekt

durch eine solche Veranstaltung wäre enorm. Nicht nur die Veranstalter des Festivals, sondern

auch die Kulturvereine würden von einer gemeinschaftlichen Aktion profitieren. Wenn die

Vereine in allen Städten, in denen das Festival stattfindet, eingebunden würden, würde so

ebenfalls eine Verbindung der unterschiedlichen Orte stattfinden. Das Ganze könnte etwa

innerhalb des MELEZ.LABORS als Auftaktveranstaltung durchgeführt werden. Man könnte

Touren durch verschiedene kulturelle Vereine oder auch interkulturelle Zentren anbieten. Das

sollte an möglichst allen Veranstaltungsorten des Festivals möglich sein. Die Vereinsmitglieder

bekämen die Aufgabe selbst zu entscheiden, was sie von ihrer Kultur präsentieren und auf

welche Weise sie es tun möchten. Dies könnten etwa musikalische Darbietungen sein oder

auch eine Ausstellung über ihre Migrationsgeschichten. Unter dem Motto „Menschen mit

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108

Ansätze zum Audience Development 6

Migrationshintergrund erzählen aus ihrem Leben“ könnten vor Ort Gespräche zwischen

Besuchern und Vereinsmitgliedern angeregt werden. Dies würde zum einen Einblick in die

spannenden Hintergründe der einzelnen Menschen geben und zum anderen einen

interkulturellen Dialog ermöglichen.

Besonders Themen der Migrationspolitik wie Integration sind innerhalb der Vereine sehr

präsent und sollten ebenfalls mit aufgenommen werden. Hier könnte man offene

Diskussionsrunden mit Vertretern der Stadt- oder Landespolitik veranstalten, wie etwa beim

MELEZ.Symposium 2007 bereits geschehen. Diese könnte man jedoch auch an Orte des Alltags

und Stadtteile, die als soziale Brennpunkte gelten, verlagern, um nicht nur über die Menschen

zu sprechen, sondern mit ihnen. Es sollte nicht nur die Möglichkeit geben Fragen zu stellen,

sondern es sollten auch an die Menschen in den Communitys Fragen gestellt werden.

In Bezug auf die Kulturvereine ist hervorzuheben, dass viele von ihnen bereits über ein großes

Netzwerk verfügen. Diese Netzwerke kann man vor allem nutzen, um das Festival bekannter zu

machen. Also könnte man bestehende E-Mail Verteiler nutzen, um das Festival anzukündigen.

Auch der Einbezug von neuen Kontaktpersonen, die Zugänge besonders zu den ethnischen

Communitys schaffen, kann eine Möglichkeit sein, mehr Publikum für das Festival zu

gewinnen.

6.7 Nachhaltigkeit: MELEZ.de als interkulturelle Internetplattform

Beim Audience Development ist ein Aspekt entscheidend für das Gelingen: Die Nachhaltigkeit.

Für die Bindung des Publikums muss zu diesem Kontakt gehalten werden. Newsletter sollten

etwa darüber berichten, welche Künstler für das nächste Jahr gewonnen werden konnten.

Denkbar wäre auch, dass die MELEZ Homepage ganzjährig über das aktuelle Geschehen

innerhalb des kulturellen und politischen Bereiches rund um kulturelle Vielfalt in der Region

informiert. Neuigkeiten im Bereich der Integrationspolitik und aktuelle interkulturelle

Veranstaltungen könnten für die interessierten Ruhrgebietsbürger auf einen Blick sichtbar

gemacht werden. So könnten auch die Kontakte mit Kulturinstitutionen und

Kulturveranstaltern gepflegt werden, die bereits als Kooperationspartner gewonnen wurden,

aber auch neue Kontakte entstehen.

Für das Festival bedeutet Nachhaltigkeit außerdem, dass es nicht nur Projekte geben kann, die

einmalig stattfinden. Es sollte auch Veranstaltungspunkte geben, die wiederkehren. Vor allem

die Kooperationspartner müssen beibehalten werden. Jedoch sollte MELEZ als

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109

Ansätze zum Audience Development 6

Hauptveranstalter zumindest einen Programmpunkt etablieren, der beständig wiederkehrt.

Das könnte etwa mit dem MELEZ.LABOR gelingen.

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110

Fazit 7

7. Fazit

Im Umgang mit kultureller Vielfalt muss sich in Deutschland noch einiges verändern. Zunächst

besteht die Notwendigkeit in einer Veränderung des grundlegenden Ansatzpunktes. Wenn

man von dem Kulturbegriff der Transkulturalität ausgeht, dann erkennt man an, dass nicht nur

Personen mit Migrationshintergrund die verschiedenen kulturellen Einflüsse in Deutschland

mit in ihre Lebenswelten und Identitäten aufnehmen, sondern dass auch die autochthone

Bevölkerung nicht nur durch „deutsche“ Kultur geprägt ist. Kulturelle Vielfalt ist faktisch in

unserem Alltag präsent, sei es in Form von Pizzerien und Dönerläden oder Moscheen, die

unser Stadtbild mitprägen. Nun gilt es diese Normalität anzuerkennen. Dabei sollten die

verschiedenen kulturellen Einflüsse, wie es von der UNESCO gefordert wird, als Reichtum

angesehen werden. Aufgrund der mangelhaften Einbindung der kulturellen Vielfalt, wie sie

etwa durch die Enquete-Kommission festgestellt wurde, sollten hinsichtlich dieses Missstandes

Maßnahmen getroffen werden. Allerdings sollten solche Handlungsanweisungen nicht darauf

ausgerichtet werden, was man speziell für Personen mit Migrationshintergrund anbieten und

initiieren kann. Vielmehr sollte die Frage gestellt werden: Wie kann man das Angebot

gestalten, damit diese Menschen möglichst barrierefrei teilnehmen können und wie kann man

der kulturell heterogenen Lebensrealität in Deutschland in Kunst und Kultur Raum bieten?

Bisher gibt es auf allen kulturpolitischen Ebenen ähnliche Handlungsansätze zu kultureller

Vielfalt. Festzuhalten ist, dass Personen mit Migrationshintergrund als Kulturpublikum

verstärkt einbezogen werden sollten. Dazu müssen sie als Zielgruppe definiert werden, wie

etwa aus den Handlungsempfehlungen zur UNESCO-Konvention deutlich wird. Darüber hinaus

geht aus allen Darstellungen hervor, dass besonders die Kenntnisse über die kulturellen

Präferenzen und Gewohnheiten dieser Zielgruppe, aber auch über die bereits existierenden

interkulturellen Strukturen wichtig sind.

Die starke Bedeutung von Kulturforschung wird in diesem Zusammenhang immer wieder

hervorgehoben. Eins der zentralen Ergebnisse meiner Untersuchung war, dass der

Lebensweltbezug ein sehr wichtiger Faktor ist, der die Kulturnutzung begünstigt. Demnach

sollte in Kulturstudien auch nach diesem gefragt werden. Die in dieser Arbeit vorgestellte

Dortmunder Studie und die Sinus-Studie nahmen auf die Lebenswelt Bezug. Allerdings erfolgte

dies in der Dortmunder Studie eher am Rande. Sie bildet aber eine umfassende Grundlage zu

kulturellen Präferenzen und der Kulturnutzung der Pilotstadt, welche Kulturinstitutionen

Page 116: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

111

Fazit 7

nutzen sollten. Allerdings kann eine solche Studie nur ein Anfang sein. Weiterführende Studien

sollten sich noch eingehender mit den Lebenswelten der Migranten befassen. Beispielsweise

ist die oftmals angegebene Barriere Zeit weniger von Nutzen als die Erkenntnis, dass die

Freizeit lieber für andere Aktivitäten genutzt wird. Im Gegensatz zur Dortmunder Studie

verfolgt die Sinus-Studie eingehender den Ansatz, die Lebenswelten zu analysieren, allerdings

ist Kultur nur ein Teilbereich der Studie und nicht der Fokus. Das Ergebnis der Forschung ist für

die Entwicklung von Strategien zum Audience Development nur bedingt geeignet. Für eine

Zielgruppenansprache müsste man zunächst Personen der einzelnen Milieus ausfindig

machen. Die Milieus geben den entscheidenden Hinweis, dass nicht die ethnische Herkunft

Auskunft über ihre Lebensweise und kulturellen Gewohnheiten und Präferenzen gibt, sondern

dass vielmehr andere Faktoren entscheidend sind, wie z.B. der Bildungsgrad. Allerdings

schreibt sie den Personen bestimmte Merkmale zu, welche als konstant dargestellt werden.

Dies ist jedoch nur eine wissenschaftliche Einteilung und es kann nicht davon ausgegangen

werden, dass alle Personen mit Migrationshintergrund genau den Zuschreibungen „ihres“

Milieus entsprechen. Weiterhin ist problematisch, dass einige Milieus Klischees wiederum

bestärken wie z.B. das traditionelle Gastarbeitermilieu. Außerdem wird eine Art Entwicklung

beispielsweise vom religiös-verwurzelten Milieu zum intellektuell-kosmopolitischen Milieu

unter anderem durch die graphische Darstellung42 suggeriert (vgl. Mecheril 2007: 1).

Die Bundesrepublik steht noch am Anfang bezüglich Kulturforschungen insbesondere zu

Personen mit Migrationshintergrund. Das Beispiel der Studie Culture on Demand macht

deutlich, wie stark so eine Forschung auf seine Verwendungsmöglichkeiten für den

Kulturbetrieb abgestimmt sein kann, allerdings wurde diese auf bereits vorhandene

Forschungsergebnisse gestützt. Beispielhaft ist die Einbindung von ethnischen Minderheiten in

Großbritannien durch Audience Development. Großbritannien kann in drei Dimensionen

Beispiel für Deutschland sein: Zum einen durch die Breite an Forschungen und Statistiken zu

Kultur, zweitens durch die besondere Form der Strategien, die auf dieser Basis entwickelt

werden im Rahmen des Audience Developments und drittens durch die immensen

Fördersummen, die unter Beachtung der kulturpolitischen Leitlinien für Programme mit Bezug

zu kultureller Vielfalt bereitgestellt wurden.

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen stellt nachweislich intensive Bemühungen an um

kulturelle Vielfalt einzubeziehen. Besonders im Ruhrgebiet, wie etwa an den

Handlungsempfehlungen zu Interkultur der Stadt Essen beobachtet, werden zukünftig

verstärkt interkulturelle Projekte gefördert und durchgeführt. Durch den innovativen Umgang

42

Vgl. Kapitel 1

Page 117: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

112

Fazit 7

mit kultureller Vielfalt kann sich das Ruhrgebiet im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres

RUHR.2010 und auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen profilieren. Dazu leistet auch das

Festival MELEZ einen Beitrag.

Ein Festival der Kulturen -wie MELEZ- ist, auch nach Ansicht der Gesprächspartner meiner

Untersuchung, ein Muss für eine Region wie das Ruhrgebiet. Der Reichtum der kulturellen

Einflüsse in der Region ist für RUHR.2010 Aushängeschild und sollte in angemessener Weise

präsentiert werden. Bisher wird allerdings nicht transparent, welchen Weg das Festival MELEZ

verfolgt. Es besteht eine Diskrepanz zwischen Programmatik und Umsetzung des Festivals.

Wenn das Festival die kulturelle Vielfalt der Region abbilden und erforschen möchte, dann

muss auch das Ineinandergreifen der Kulturen innerhalb der einzelnen Programmpunkte

aufgenommen werden. So bleibt ebenfalls unklar, ob das Festival ein Kunstfestival sein möchte

oder ob es einem interkulturellen Auftrag nachgeht. Um die Lebensrealitäten der Bewohner

des Ruhrgebietes abzubilden, sollten diese eingebunden werden. Das Festival sollte alle

Personen mit Migrationshintergrund gezielt als Publikum ansprechen. Die Konzentration auf

das türkische Publikum führt dazu, dass auch dieses mehr im Publikum vertreten ist. Das

spiegelt nicht die kulturelle Vielfalt der Bewohner des Ruhrgebietes wider. Zugleich sichert die

Zielgruppenansprache mehr Besucher: Wer sollte sich mehr durch die kulturelle Vielfalt

angesprochen fühlen als die Menschen, die diese ausmachen? Außerdem wurde der regionale

Bezug innerhalb der Veranstaltungen von 2008 wenig aufgegriffen, was der Programmatik

entgegensteht.

Die Antwort auf die Frage, ob Personen mit Migrationshintergrund als Kulturpublikum

gewonnen werden sollten, ist mit ja und nein zu beantworten. Man kann nicht

pauschalisierend behaupten, dass alle Personen mit Migrationshintergrund kulturelles

Angebot nicht nutzen. Meine Untersuchung beweist, dass viele dies bereits intensiv tun.

Außerdem wurde deutlich, dass Personen mit Migrationshintergrund eine sehr heterogene

Gruppe sind. Allerdings wurden einige Gemeinsamkeiten durch meine Untersuchung

herausgearbeitet, die eine Zielgruppenansprache sinnvoll machen. Hervorzuheben ist jedoch,

dass dies vor allem für Angebote mit Bezug zu verschiedenen Kulturen gilt.

Die Ergebnisse meiner Untersuchung liefern Ansätze, wie man Veranstaltungen, die Bezug auf

kulturelle Vielfalt nehmen, gestalten könnte. Wichtig ist, den Blick nicht auf eine

Herkunftskultur zu richten. Darüber hinaus sollte man die Offenheit von Personen mit

Migrationshintergrund gegenüber Neuem und anderen Kulturen als Ansatzpunkt nutzen. Ein

ganz zentrales Ergebnis ist, dass Personen mit Migrationshintergrund Interesse an der

Vermischung der Kulturen haben, was bedeutet, dass auch ein kulturelles Programm dies

Page 118: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

113

Fazit 7

aufnehmen sollte. Der Lebensweltbezug ist in jeglicher Hinsicht entscheidend. Es sollte gefragt

werden: Womit identifizieren sich die Menschen, welchen Beschäftigungen und

Freizeitaktivitäten gehen sie im Alltag nach, was erwarten sie eigentlich vom kulturellen

Angebot? Die Identifikation mit dem Angebot scheint mir einer der wichtigsten Faktoren zu

sein, die den Besuch einer kulturellen Veranstaltung begünstigen. Eine Veranstaltung wird

eher besucht, wenn man denkt: Das hat etwas mit mir zu tun. Außerdem ist nicht nur

entscheidend, was angeboten wird, sondern auch wie es angeboten wird. Durch Partizipation

können mehr Personen mit Migrationshintergrund erreicht werden und eine größere

Nachhaltigkeit gesichert werden.

Für das Kulturangebot in Deutschland wäre es entscheidend, die Vorgänge der Pluralisierung

und Hybridisierung transparent zu machen. Kunst und Kultur können einen Beitrag zum

interkulturellen Dialog leisten. Die Perspektiven von Personen mit Migrationshintergrund

sollten innerhalb künstlerischer Produktionen aufgenommen werden. Dabei ist besonders

wichtig auch autochthones Publikum zu gewinnen, da sonst die Separation zu Personen

anderer kultureller Herkunft bestehen bleibt. Kunst und Kultur können ebenfalls die Sichtweise

gegenüber Nationalkulturen ändern. Je mehr Individuen über Perspektiven und Hintergründe

anderer Kulturen erfahren, desto stärker werden Toleranz und Offenheit gefördert. In diesem

Sinne kann durch Kunst und Kultur interkulturelle Kompetenz gefördert werden, die im Zuge

der Globalisierung an Bedeutung gewinnen wird.

Page 119: Neues Publikum für Kunst und Kultur gewinnen? · Personen mit Migrationshintergrund, die in Bezug auf Kultur durch die Dortmunder Studie und die Sinus-Studie gewonnen werden

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123

Eidesstattliche Erklärung

Eidesstattliche Erklärung

Name: Sina Haberkorn

Adresse: Bismarckplatz 19

31135 Hildesheim

Erklärung

Ich versichere an Eides statt, dass ich die beiliegende Diplomarbeit selbstständig

verfasst, keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt sowie alle

wörtlich oder sinngemäß übernommenen Stellen in der Arbeit gekennzeichnet habe.

Bei der Verwendung von Quellen aus dem Internet habe ich diese gekennzeichnet, auf

Aktualität überprüft und mit der Internet-Adresse (URL) ins Literaturverzeichnis

aufgenommen.

Hildesheim, den Unterschrift

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I

Anhang

Protokoll: Gespräch mit MELEZ-Organisatoren vom 20.11.2008

Die Macher des Festivals sehen dieses als Kunstfestival. Das Festival sei genreübergreifend, setze sich

also aus ganz unterschiedlichen Veranstaltungen zusammen. Das Festival habe keine genaue

Standortverankerung. Bochum sei zwar der Hauptstandort, allerdings gebe es weitere

Veranstaltungsorte im Ruhrgebiet. Außerdem sei das Festival inhaltlich nicht fest verankert. Für 2010

sollen die Ansprache und die Mischung der Veranstaltungen gleich bleiben, allerdings würde die

Grundidee verändert werden, was aber noch nicht öffentlich gemacht werden solle.

Auf die Frage, ob Personen mit Migrationshintergrund als Zielpublikum angesprochen werden,

antworteten die Organisatoren des Festivals, dass ihr Ziel sei, ein möglichst breites Publikum

anzusprechen. Es würde keine gezielte Ansprache von Personen spezifischer ethnischer Hintergründe

stattfinden. Durch die Festivalstrukturen sei eine Zielgruppenansprache kaum möglich. Dass alle

Menschen des Ruhrgebiets einbezogen werden könnten, halten sie für unrealistisch. Das einzige,

worauf man hinarbeiten könne, sei, dass man allgemeine Punkte findet, welche Treffpunkte der

Kultur sein können.

Obwohl keine gezielte Ansprache intendiert sei, stellte sich im Gesprächsverlauf heraus, dass einige

Gruppen dennoch mehr Aufmerksamkeit in der Ansprache erlangen als andere. So werde etwa

versucht türkische Medien als Sponsoren zu gewinnen. Werbung und auch Ticketing werde

mittlerweile auch über türkische Bäcker und Männercafés vollzogen. Ansonsten würden eher

klassische PR-Strategien genutzt, um Publikum zu erreichen, wie etwa Flyer und Plakate, welche aber

auch in Vereinen und Institutionen verteilt würden. Es wurden außerdem an die türkische

Community Programmhefte und Anschreiben in türkischer Sprache verteilt. Da sie über Insiderwissen

durch türkische Mitarbeiter verfügen, läge es auf der Hand dieses auch zu nutzen.

Weiterhin wurde von den MELEZ-Organisatoren darauf hingewiesen, dass sie als Programmgestalter

gezielt auf Vermischungen und Überschneidungen innerhalb des Programms achten würden. Durch

die Zusammenbringung unterschiedlicher Genres, würden sich etablierte Besuchergruppen

vermischen. So gab es beispielsweise 2008 die Aufführung des Renegade-Theatre, bei dem Tanz,

BMX und Theater gemischt wurden. Auch in der Veranstaltung in der Alten Feuerwache in Duisburg,

in der türkische Opernsänger auftraten, sei die Vermischung des Publikums geglückt. Dort wären

Türken, Operngänger und Stammbesucher der Feuerwache zusammengekommen. 2007 gab es den

Ansatz, dass türkisches Publikum in die Philharmonie geführt wurde und somit eine etablierte

Institution mit neuem Publikum in Kontakt kam.

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II

Anhang

Bei der Gewinnung des Publikums werde nach Angabe der MELEZ-Organisatoren besonders darauf

geachtet, Kinder und Jugendliche zu erreichen, da diese als Publikum der Zukunft betrachtet würden.

So gab es besondere Programmpunkte für sie, wie Petruschka im Jahr 2007 und das Konzert mit dem

Kinderorchester Ruhr. Da sie auf die interkulturelle Öffnung verwiesen, sind hier wohl besonders

Jugendliche mit Migrationshintergrund gemeint.

Aber auch sozialschwaches Publikum werde berücksichtigt, so die Festivalmacher. Um „Social

Inclusion“ zu ermöglichen würden die Preise nicht wie marktüblich, sondern preisgünstiger gestaltet,

um diese Gruppen mit einzubeziehen. Es werde auch eine andere Sprache genutzt. So wurden etwa

2008 die Gebiete, in denen das MELEZ.LABOR stattfand, nicht als Brennpunkte benannt, um eine

Ausgrenzung der Bewohner zu vermeiden.

Die Entstehung des Programmes erfolge zunächst durch Setzung eines Themas. Darauf hin werden

Vorschläge unter anderem aus dem MELEZ-Arbeitskreis gesammelt, welcher sich aus Künstlern und

anderweitigen Kontakten zusammensetze. Der Schwerpunkt der Auswahl bestehe immer im

Zusammenhang zum Thema, aber auch die Qualität und die Praktikabilität, also etwa wie schnell man

etwas durchführen könne, sei entscheidend. Für das MELEZ-Programm sei weiterhin entscheidend,

dass die Lebensrealität in Deutschland gezeigt werde. Deshalb möchten die Initiatoren kein rein

deutsches Programm darstellen, sondern zeigen, was in Deutschland und bei den Nachbarn noch

passiert. 2005 gab es den Ansatz, auf eine Kultur inhaltlichen Schwerpunkt zu legen, welcher aber

mittlerweile aufgelöst wurde.

Auf die Frage nach der Partizipation von Personen mit Migrationshintergrund wurde darauf

hingewiesen, dass dies aufgrund des Formates des Festivals wenig geschehe. Aber im MELEZ.LABOR

hätten sich Menschen in den Stadtteilen auch mit Ideen einbringen können, was sie als

außergewöhnlich für ein solches Festival erachten.

Die MELEZ-Organisatoren hoben während des Gesprächs immer wieder die Wichtigkeit der

Kooperationen hervor. Festgestellt wurde, dass die Veranstaltungen da am besten funktionierten, wo

man mit mehreren Partnern kooperierte, wie etwa bei der Kooperation von Pottporus mit einer Pina

Bausch Solotänzerin und einer Tanzschule, wodurch mehrere Kanäle geöffnet wurden. Die

Kooperationen mit Partnern aus der Region empfinden die Macher als sehr wichtig, da die

unterschiedlichen Veranstaltungen und die Tatsache, dass es kein festes Haus gebe, die Ansprache

der Besucher erschwere. Die Kooperationen würden auch bestimmen, wie das Programm gestaltet

würde. Die Türkisch- und Polnisch-Lastigkeit des Programms 2008 sei etwa dadurch entstanden, dass

es eine Kooperation mit dem polnischen Institut gab und die Türkei beispielsweise zu Gast bei der

Frankfurter Buchmesse war.

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III

Anhang

In das Festival MELEZ werde außerdem seit 2007 der Ansatz der „Interkulturellen Öffnung“

einbezogen. 2008 habe es im Rahmen des Festivals diesbezügliche Veranstaltungen gegeben wie

etwa die LAGA Tagung. Innerhalb der Kulturhauptstadt sähen sie sich zudem in einer Position, in der

sie neue Wege wagen könnten im Gegensatz zu anderen Kulturinstitutionen.

Mit den Besucherzahlen waren die Initiatoren für 2008 zufrieden. Allerdings wurde bemerkt, dass

das Publikum bei einigen Veranstaltungen hätte zahlreicher vertreten sein können. Auffällig sei

gewesen, dass besonders die Angebote, die in eigener Community stattfanden, am besten

funktionierten. Ihrerseits musste dort wenig Pressearbeit gemacht werden, da die Mundpropaganda

ausreichte. Dies sei beim Renegade-Theatre der Fall gewesen wie auch bei Sivas 93, allerdings hatten

die Veranstalter selbst Werbung in der Primetime auf türkischen Sendern ausgestrahlt.

Es wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass in Deutschland Themenfelder wie Hemmschwellen des

Publikums wenig erforscht werden. Generell seien Studien wie die Dortmunder Studie oder die Sinus-

Studie für die Planung und Orientierung des Festivals wichtig. Insbesondere sei diese

Berücksichtigung bedeutend, um Nachhaltigkeit der Projekte zu sichern. Zu MELEZ als Festival gebe

es keine Evaluationen, aber Erfahrungswerte im Bereich des Marketings würden neue Wege anregen.

Man würde darüber hinaus allerdings Statistiken vermissen, etwa über Mediennutzung wie der

regionalen Zeitung WAZ.

Generell zeigte sich im Gespräch, dass die Macher von Personen mit Migrationshintergrund als

heterogener Gruppe ausgehen und auch die Differenzen zwischen den Generationen gesehen

werden. Hierzu wurde etwa bemerkt, dass die dritte Generation sich wenig für die „Heimatkultur“

interessiere. Auch der weite Kulturbegriff vieler Personen mit Migrationshintergrund wurde erwähnt.

Es wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass es schon einmal einen Karneval der Kulturen im

Ruhrgebiet gegeben habe, der allerdings scheiterte.

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IV

Anhang

Pretest Interview AR 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 01.11.2008 6

Ort: Verein Russlanddeutsche 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 70 10

Geschlecht: männlich 11

Beruf: ohne Angabe 12

Herkunft: deutschstämmig, lebte in Russland 13

14 15

AR: (nach 58:55 min.) Von allen Seiten wird immer gesagt, ich bin doch Russe. 16

I: Ja, fühlen Sie sich denn so? 17

AR: Auch die Türken sagen, du bist doch wohl Russe, kommst aus Russland. Nein, ich bin keiner. Und 18

der Türke, der hier die Staatsangehörigkeit hat, der sagt, ich bin Deutscher. Und das fällt auf. Ich hab‘ 19

nichts dagegen. Um Gottes Willen. Aber in unserer Volksgruppe, bei mir persönlich auch. Wenn ich 20 vom Ethnos her deutsch bin, dann bin ich ein Deutscher. Die Staatsangehörigkeit, die kann der 21

Deutsche haben, vielleicht auch (…) oder englisch oder russisch oder was auch immer. Das ist was 22

anderes. Aber meinen Ethnos kann niemand nehmen. Und niemand abschaffen. Das ist so. Ein Türke 23

wird Türke immer bleiben vom Ethnos her. Die Staatsangehörigkeit, die kann man erwerben, aber 24

den Ethnos nicht. Nein, ist nicht alles so. Das ist meine Meinung. Vielleicht hab ich falsch. Hab ich 25

nicht Recht. Weiß ich nicht. Aber - ich kann jetzt nicht sagen: Ich bin Russe. Ich bin nie einer gewesen. 26

Nie, mein ganzes Leben lang nicht. 27

I: Aber ist das denn so, als sie dort gelebt haben, dass sie auch die Kultur auch, wirklich die russische 28

Kultur oder beziehungsweise die ukrainische Kultur auch gelebt haben? Oder war das immer auch die 29

deutsche Kultur? 30

AR: Was zutrifft zu Kultur: Solange ich – ich hab ja nur von 38 bis 43. Das sind 5 Jahre. Solange ich 31

dort gewohnt habe, ich habe von dieser Kultur nix mitbekommen - in der Ukraine. Mit 5 Jahren kann 32

man da noch nix mitbekommen. Ist ja hier auch so. Dass die Kinder die nehmen an, das, was so die 33

Familie ist. So aber zu dieser Zeit mein Bruder, der ist geboren 85 äh 25. Der hat noch die deutsche 34

Schule und die deutsche Kirche in der Ukraine besucht. Da waren noch deutsche Schulen. (-) 33 da 35

war er fünf und drei - acht Jahre. 33,34 oder war es 35? Weiß ich nicht genau, muss ich nachgucken, 36 – wurden die Schulen – die deutschen – geschlossen. Viele Prediger in den Kirchen wurden verhaftet, 37

erschossen und hingerichtet. Somit war das mit dem Deutschtum sozusagen Schluss. Von hier an 38

waren das nur ukrainische und rumänische Schulen. In Russland russische Schulen. Natürlich – aber 39

wir wohnten damals noch in diesem Dorf, wo die Deutschen gewesen waren. Diese deutsche Kultur, 40

die deutschen Lieder, die Gesänge, die Sitten. Damals immer noch waren die alten Sitten, die die 41

mitgebracht haben. Die waren immer noch da. Weihnachten war Weihnachten. Weihnachten ist am 42

24. Dezember und das war bei denen immer so. Die Russen haben keine Weihnachten am 24. 43

Dezember. Die haben am 1. Januar Neujahr und Weihnachten heißt (unverständlich1), bei denen gibt 44

es am 7. Januar. Die Deutschen hatten immer noch am 24. ihre Christbäume (unverständlich1) und 45

immer aufgebaut und die Kinder haben dann irgendwas gemacht und denen wurden Geschenke 46 gegeben. Das war bei denen so gewesen. Das haben die auch behalten. Und sogar – ich bin 47

ausgereist aus Russland 91, wir haben immer am 24. unseren Tannenbaum geholt. Hat nichts mit 48

dem Russischen zu tun. Das waren die Sitten, die sind auch so geblieben. Nur was auf die Kultur 49

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V

Anhang

selber zutrifft noch zum Beispiel - die Schauspieler, was die so machen. Theater, was die so machen. 50

Kinos, wurden ja auch Kinos gezeigt, ausländische – Amerika, deutsche. Das hab ich gesehen. Das 51

haben wir alles mitbekommen. Das hat uns dann auch geprägt – selbstverständlich. Wenn man das 52

sieht, wenn man da mitmacht. Man kann ja nicht sich abschotten und sagen: Russen wir wollen mit 53 euch nichts zu tun haben. (unverständlich1) Man lebt ja da. In einem Haus mit denen und allen 54

Tartaren und Kasachen und Georgiern und allem, was da eben so war. Das war auch eine Multikulti 55

so Gesellschaft ungefähr. Da bekommt man von jedem was mit. Selbstverständlich haben unsere 56

Mütter und Väter eben und wir auch selber, Gerichte derer gekocht, was sie da gemacht haben, 57

gebacken – haben wir auch gemacht. Haben wir auch mitgemacht. Genauso wie hier in Deutschland, 58

wenn hier einer kommt und sieht „oh die Deutschen machen das soundso“, machen wir ja mit. Und 59

deswegen kann ich jetzt nicht sagen, dass wir nur als Deutsche da geblieben sind. Im Sinne der Kultur 60

und Sitten. Wir haben das und auch das gehabt. Wir haben bei uns gefeiert am 24. Dann kamen die 61

Russen zu uns. Und im Januar sind wir dann zu denen gegangen. Und Neujahr am 31. am 1. Januar, 62

am 31. sind alle auf den Hof gegangen. Im Winter Schnee bei Minus 10, 20, 30 Grad, da hat man 63 diese (unverständlich1) gemacht. Die waren ja alle auf dem Hof. Das war ja denen gewesen. Man 64

kann sich nicht abschotten hinter einem Zaun. Und deswegen hat man selbstverständlich diese 65

Kultur auch mitbekommen. Und auch teilweise mitgebracht. Und wenn es dann noch ist, in den 66

gemischten Familien. Dann kann ja den Russen vom Ethnos her – denn das alles, was du vorher in 67

deiner Familie erlebt hast, sollst du jetzt lassen. Du muss jetzt hier in deutsch denken. Das wird nicht 68

passieren. Genau wie bei dem hartnäckigen Deutschen, der ins Ausland geht. Der dort Filme guckt? 69

Egal in Amerika oder Australien oder noch irgendwo da. Die bleiben ja mit ihren Sitten und die 70

bleiben ja mit ihrer Sprache. Das war genauso gewesen mit die Leute, die hergekommen, wird es 71

auch so bleiben. Das Problem ist nur, die müssen sich irgendwie doch anpassen und die werden viele 72

kulturelle Sachen auch übernehmen. 73

I: Ja, das ist ja auch mein Ansatzpunkt so ´n bisschen. Also, ich stell jetzt nochmal ein paar Fragen zur 74

Kultur. Nutzen Sie denn hier auch das kulturelle Angebot, also mit kulturellem Angebot mein ich jetzt 75

durchaus Vielfältiges wie Museum, Theater oder gehen Sie mal in Konzerte? Oder Kino zum Beispiel 76

gehört ja eigentlich auch dazu - zu einem weiten Kulturbegriff. Nutzen Sie das? 77

AR: Ja. Ich kann nur sagen Folgendes: Wir haben ja unsere Familie hier. Unsere Familie ist ja – wir 78

beide sind ja Akademiker. Selbstverständlich haben wir auch dort Museen besucht. Wir haben auch 79 Theater besucht und auch Opern angehört. Und so weiter und so fort. Das haben wir alles da getan. 80

Wir haben das getan, um sich zu bilden. Um auch die Kultur –wir haben das gar nicht so genannt: 81

Kultur – das war einfach so gewesen. Man ist eben dahin gegangen. Man konnte sich selber zeigen. 82

Man konnte Leute dort sehen. Man hat auch was von der Bühne mitbekommen. Das war in unsere 83

Familie so gewesen. Und bei den meisten Menschen war das auch so gewesen. Die Kinos waren ja - 84

früher war das ja nicht so wie heute, geht man ja einmal im Monat vielleicht ins Kino, ansonsten 85

überhaupt nicht. Da ist man dann jede Woche gegangen. Und das Interessante ist, obwohl wir arm 86

waren obwohl wir wenig Geld hatten. Aber so viel Geld hatten wir doch, dass wir Kinos besuchen 87

konnten. Theater besuchen konnten. Und manchmal hat man dann auch ein bisschen - einfach so 88

Eintrittskarten bekommen. Das haben wir auch genutzt. Museen schon sowieso. Egal wo man war, 89 musste man auch in Museen. Das war bei uns so drin. Jetzt kommen wir her. Im Vergleich zu dem, 90

was man da zahlen musste - 1, 2, 3 Rubel damals und hier 10, 15, 20 Euro für ein Museum. Oder 50, 91

60, 70 Euro für ein Theater. Oder noch irgendwas. Dann denkst du, wenn du morgen kein Brotkaufen 92

kannst, dann gehst du besser da nicht hin. Und als wir herkamen, wir haben nur Eingliederungsgeld 93

bekommen. Ist nicht viel. Und somit - ja und die Leute, die heute kommen, die werden gleich in die 94

Grundsicherung gesetzt. Wissen Sie, was die Grundsicherung ist? 95

I: Ja. 96

AR: Sozialhilfe. Im Bereich Soziales. So. Die können sich nicht mal leisten in die Stadt gehen und 97

irgendwo an einem Kiosk eine Tasse Kaffee kaufen. Das werden Sie nicht sehen. Das irgendwo 98

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VI

Anhang

Ausländer auf der Straße ´ne Tasse Kaffee kaufen. Sie werden besuchen Aldi. Brötchen kaufen. Brot. 99

Wir haben am Anfang nur diese schwarze Brot gekauft. Für einen Euro war das damals. Nee, eine DM 100

war das damals. Das haben wir auch gegessen. Wir haben ja sonst immer Weißbrot gekauft, weil wir 101

das Geld dafür nicht hatten. Und somit haben wir langsam abgeschaffen Besuche von Theatern, von 102 Museen und so weiter. Man möchte das, wir wollen das auch. Aber es reicht nicht aus. Und somit 103

halten sich die Leute zurück. Es sind Leute, die das tun. Die das machen auch noch. Aber selten. 104

Wenn man dann bucht eine Reise. Tagesreise oder zwei Tage. Wird ja sowieso dort gemacht. Sieht 105

man sich das dann auch an. Nur, so häufig wie man das dort gemacht hat, kann man das hier nicht 106

machen. Ich wurde einmal – einmal wurde mir eine Karte gegeben in Gelsenkirchen, Schalke, Fußball 107

zu gucken. Diese einhundert Euro hätte ich nie abgegeben um solch ein Spiel zu gucken. Das war für 108

mich – natürlich, was ich da gesehen habe, das war außerordentlich. Ich hab sowas noch nicht 109

gesehen. Aber hundert Euro zu riskieren um sowas zu gucken, konnt ich nicht. Ich hab zwei Kinder. 110

Der eine war auf Gymnasium. Den haben wir einfach so reingeschmissen. Jetzt musst du hier 111

zurechtkommen. Der andere hat damals bei Otto-Benecke-Stiftung, neun Monate war das damals 112 noch für die Jugendlichen, einen Sprachkurs bekommen. Und nach dem Sprachkurs Abstand von 113

Russland viereinhalb Jahre Hochschule gehabt. Da gibt’s fünf Jahre Hochschule. (unverständlich1) 114

geholfen, auf die Hochschule zu kommen. Hat ein Jahr – war er dabei. Nach einem Jahr wurde er zum 115

Wehrdienst eingezogen. Hat ein Jahr beim Wehrdienst mitgemacht. Und als er dann vom Wehrdienst 116

entlassen wurde, hat er weitergemacht mit der Hochschule und hat die auch zu Ende geschafft. Ist 117

auch Akademiker an der Hochschule. Und der andere, den haben wir ja auf Gymnasium irgendwie so 118

reingeschmissen. Da ist er auch zurechtgekommen. Dann hat er ´ne Lehre gemacht im Bereich BWL. 119

Und dann hat er auch abends - bei der Hochschule war er gewesen. Und hat dort auch im 120

kaufmännischen Bereich die Hochschule geschafft. Aber trotzdem – gönnen wir – nein, wir gönnen 121 uns das. Aber wir halten uns zurück von teuren Preisen irgendwo bei solchen Sachen wie Theater, wo 122

auch immer teilzunehmen. 123

I: Ok. 124

X: Nicht weil wir das nicht wollen. Und nicht, dass es bei uns nicht bekannt ist oder 125

I: Ich versteh das schon. 126

AR: (- ) oder dass es uns nicht eingeprägt ist, das nicht zu besuchen. Umgekehrt. Wir möchten das 127

auch gerne. Wir tun das auch gerne. Wenn es möglich ist. Wir waren ein paarmal bei GOP gewesen, 128

wenn Sie wissen in Essen gibt es. Es ist immer so – hat jemand Geburtstag versuchen wir doch auch 129

mal für 20 Euro Eintrittskarte oder 40, 50 kostet ja auch. Aber das ist selten – mal bei runden 130

Geburtstagen. Machen wir das. 131

I: Das ist einfach teuer in Deutschland, das muss man so sagen. Und wenn’s jetzt irgendwelche 132

Angebote gibt. Irgend ´ne Veranstaltung, die ´nen Bezug auf die russische Kultur hat? Interessiert Sie 133

das auch, oder mehr vielleicht sogar? 134

AR: (-) nein. Ich würde Folgendes sagen: Man geht manchmal so aus Interesse. Ansonsten habe ich 135

die Bedürfnis sowas anzusehen - weniger. Nur, wenn man mitbekommt, da sind hochrangige 136

Schauspieler, Sänger oder noch irgendwas, die man dort von Kind an vielleicht oder auch später 137

kennengelernt hat, im Fernsehen oder im Theater. Natürlich möchte man die wieder sehen. Hat aber 138

nix zu tun mit der Politik. Absolut nix. Und das hat auch nix mit dem zu tun, dass man an dem 139

Russischen hängt. Fragen Sie die jüngere Generation, da kann es anders sein. Weil die da mehr 140

reingewachsen sind. Bei uns, bei den älteren Personen, die diese Kriegszeiten erlebt haben, diese 141 Deportationen erlebt haben, glaube ich, so ist‘s bei mir, man sieht sich vieles an. Aber das heißt 142

nicht, dass ich nur das haben will. Mir ist genauso gut auch das, was hier gezeigt ist. Das Problem ist 143

manches Mal: Das, was hier gezeigt ist – wird – und was dort gezeigt wird, hat ´nen ziemlichen 144

Unterschied. Wir haben da erlebt – die Kinos –, die haben einen großen Sinn gehabt. Einen hohen 145

Sinn gehabt. Die Kinos in Deutschland sind meistens so spielerisch. Spielerisch, ja. 146

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VII

Anhang

I: Ist ´ne Freizeitaktivität, ja. 147

AR: Da waren es diese Zeiten. Schwere Zeiten. Und daraufhin wurden auch Filme geschaffen. Und 148

wenn man da rauskommt, muss man weinen. Weil das so dargestellt wurde, dass es dich bewegt. 149

Dass du das selber erlebt hast. Und, und, und. Solche Filme. Hier gibt es solche Filme weniger. Gibt es 150

auch, aber weniger. Deshalb ist es spielerisch. 151

I: Aber würden Sie sowas nochmal gerne sehen oder nicht? 152

AR: Bitte? 153

I: Würden Sie sowas nochmal gerne sehen? Solche Filme, wie Sie dort gesehen haben? 154

AR: Erst mal kriegt man hier auch nicht mehr soviel mit. Und ich glaube in der Zeit – ich bin jetzt hier 155

schon 17 Jahre – bin ich ein bisschen weg von dem. Ich seh‘ die Filme jetzt auch schon anders. Und 156 die Filme, die dort heute gedreht sind, die sind auch anders als die alten. Und deswegen, sind die 157

Filme, die heute gedreht werden, für mich nicht so attraktiv wie die damals so waren. 158

I: Um trotzdem nochmal auf die russische Kultur zurückzukommen: Gibt es denn da etwas, was Ihnen 159

besonders/ trotzdem noch wichtig ist, dass Sie das hier bewahren und dass Sie das den Kindern auch 160

mitgeben, den Enkeln vielleicht irgendwann? 161

AR: (-) Ich würde jetzt sagen: nicht das Russische. Es wird immer gemeint, weil wir dort 162

aufgewachsen sind und, und sollte es immer das Russische sein. 163

I: Nee, nee. Aber Sie haben ja… 164

AR: Das ist nicht. Das Wichtige war für uns immer, ist auch bis heute so geblieben, dass die Familie 165

immer zusammengehalten hat. Wir hatten dort wenig Platz auseinander zu leben. Man hat 166

bekommen auch bis zuletzt, da waren es schon neun m², erst mal waren das sechs m² für eine 167

Person. Wohnfläche. Und wenn man dann fünf Personen hat, mit den Kinder, dann hatte man fünf 168

mal sechs – 36 m² - dürfte man Wohnfläche haben. Die wurde dann gegeben. Und so hat man dann 169 auf dieser Fläche gewohnt zusammen. Und so hat man auch geprägt einer den anderen. Und so hat 170

man auch zusammengehalten. Einerseits, weil man keine unterschiedliche Wohnung hatte, man 171

musste zusammen wohnen. Zweitens war das auch so leichter mit dem Leben zurecht zu kommen. 172

Weil man auch nicht viel Geld hatte. Und man musste doch immer was kochen. Man musste immer 173

was kochen. Und somit hat man immer zusammengehalten. Und das ist geblieben auch hier. Aber – 174

das Leben ist hier anders. Und, mein Sohn, der hat lange gezweifelt. Eines Tages kam er mal nach 175

Hause und sagte: Ich werde von den deutschen Jugendlichen mit dir zusammen gebracht. Immer 176

wird gesagt: „Du wohnst immer noch bei den Eltern – was soll das?“ Und so wird das auch so, dass es 177

abgeschafft wird. Aber das möchten wir immer noch behalten. Vater und Mutter haben immer noch 178

was zu sagen. Auch hier immer noch. Obwohl das für viele Familien Krach gibt, weil die Kinder was 179 machen wollen und nicht mehr zuhören. Vor zwei Tagen bin ich gebeten worden hinzukommen. Ein 180

Mädchen knapp 16 Jahren, mit der sie nicht mehr zurecht kommen. Und dann machst du dir 181

Gedanken wieso und warum. Es ist eben so, die Kinder werden in Deutschland ganz schnell von den 182

Eltern getrennt. Man sieht das nicht, aber es ist so. Die haben auch die Möglichkeiten. Die können 183

sich eine Wohnung nehmen – eine kleine 36 m² glaub ich, für eine Person. Und dann gehen sie zum 184

Sozialamt und bekommen ihr Geld zum Wohnen und Benzin und, und. Die haben das alles. Die 185

brauchen die Eltern nicht. Dort war das nicht so. Und deswegen sind viele ältere Leute – nicht nur 186

ältere – die haben das mitgebracht und wollen behalten. Und dieses Zusammenleben miteinander. 187

Das ist bei denen bis jetzt auch geblieben. Was wir mitgebracht haben. Sie wollten wissen, was wir 188

mitgebracht haben. Aber – das hat nix mit den Russen zu tun. 189

I: Nee, weil sie ja eben meinten, dass sie natürlich trotzdem davon geprägt sind, von dem Essen, was 190

es auch dann da gab etc. 191

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VIII

Anhang

AR: Das sind ja wieder so Sachen, die man in die Familie reinbringt. Wenn man spricht über Familie 192

selber – über diese Zelle. Aber was darein kommt von außen von den Russen. Natürlich wenn man da 193

Borschtsch gekocht hat. Borschtsch heißt so Krautsuppe mit Fleisch und Kartoffeln und Möhren und 194

Bete drin. Und wir das von klein auf gegessen haben und diese Bortschtsch ist zustande gekommen, 195 weil man nur das vom Land hatte. Man hatte nicht das, was jetzt hier in den Geschäften ist. Da hat 196

man das eben gekocht. Und natürlich wird das dann hier auch gekocht. Und wir essen das auch. Und 197

wenn man das von klein gewohnt ist, dann will man das auch, dann schmeckt das dann auch. Und als 198

wir dann angeboten haben hier das zu essen. „Die rote Bete das ess ich nicht.“ Kam der Topf schnell 199

weg. Kochen wir für den das nicht. Wir kochten für die Leute überhaupt nix. Diese Teigtaschen mit 200

Fleisch schmecken auch nicht schlecht. Schmecken auch gut. Diejenigen, vor denen sich nicht 201

scheuen. Einheimischen wir haben genug. Am Anfang hab ich gedacht mein Gott, als wir die da 202

hingestellt haben. „Was ist das denn? Das essen wir doch nicht!“ Nach vier, fünf, sechs Jahren haben 203

wir andere Leute kennengelernt. Die irgendwo in anderen Städten oder anderen Ländern schon 204

gewesen waren und sich auskennen. „Oh Brigitte, das ist doch so köstlich. Das schmeckt doch.“ Dann 205 haben wir erst verstanden, dass es unterschiedliche Leute hier auch gibt. Und haben wir gedacht – 206

nun ja – dann machen wir das für uns. Und wissen wir auch, wer das auch will und kommen auch. 207

„Brigitte koch uns mal diese – diese Teigtaschen.“ „Ja, kein Problem.“ Die anderen sagen nein. Da 208

halten wir uns weg. Das natürlich, solche Sachen haben wir mitgebracht. 209

I: Und mit der Sprache? Haben Sie da irgendwie? 210

AR: Mit der russischen Sprache? 211

I: Ja, genau. 212

AR: Bei uns in der Familie wird jetzt nur noch deutsch gesprochen. Und natürlich wir sprechen mit 213

der Frau ab und zu mal, wenn irgend sowas kommt. Aber meine Söhne sprechen dann nur deutsch. 214

Und der jüngere, der spricht, wenn er was sagen will, russisch mit deutschem Akzent. 215

I: Klar. 216

AR: So, ansonsten wird immer noch russisch gesprochen bei den älteren Personen, weil die deutsche 217

Sprache viel schwerer geht zu reden. Und in den gemischten – man kann nun in den gemischten 218

Familien nicht sagen: „Du Russe musst jetzt Deutsch sprechen.“ Genauso wenn jemand heiratet in 219

Amerika oder wo, wo englisch gesprochen wird. Kann man ja auch nicht sagen: „Du Deutscher musst 220

jetzt so reden.“ So wie die Sprache von klein auf. Aber wie gesagt, die mittleren, die jüngeren Leute, 221

die Kinder, die Jugendlichen, die werden bald nur Deutsch sprechen. Kein Problem. Ich habe hier eine 222

Bekannte von der Seite - von Sohnseite, von dem Ältesten, die wohnen hier jetzt vier, glaub ich, 223

Jahre. Oder fünf Jahre. Vor zwei Jahren kennengelernt. Da waren die hier drei Jahre. Da war der 224 Junge, der ist jetzt zwölf Jahre glaub ich oder elf, wollte er nur Russisch sprechen. Und heute will er 225

nicht mehr Russisch sprechen, sondern Deutsch sprechen. Aber so, dass wir halten an der russischen 226

Sprache – nein. Es ist so, man springt ein, wenn man was sagen will dann schnell. Was man im 227

Deutschen dann nicht so ausdrücken kann. Oder wenn man fluchen will. Oder noch irgendwo, wo 228

man das vielleicht besser ausdrücken kann. Nach dem Sinne, was vorher gewesen war, so zum 229

Beispiel. Dann greift man zurück. Aber ansonsten - hat man kein Bedürfnis das zu tun. 230

I: Aber gibt’s denn irgendwelche Traditionen, irgendwelche Feiertage, die Sie hier auch noch? 231

AR: Russische Feiertage? 232

I: Ja. 233

AR: Nein. Gibt es nicht. Nur, wiederum in den gemischten Familien, da wird der siebente, der siebte 234

Januar gefeiert Weihnachten. Ist doch gut Weihnachten feiern. Das wird dann gemacht. In den 235

echten russischen Familien, die hier auch, in gemischten Familien, die haben auch ihre Osterfeier. 236

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IX

Anhang

Das machen die dann. Unsere Familien nicht. Wir haben keine russischen Feiertage mitgebracht. 237

Außer nur, wo wir ab und zu – was wir vergessen auch manchmal – aber ab und zu erinnern 238

manchmal - der 8. März. Internationaler Frauentag. Der wird in Deutschland nicht gefeiert. 239

Vergessen oder irgendwas. Aber dort war das ein Tag, an dem man frei hatte. Man hat an dem Tag 240 nicht gearbeitet. Und somit erinnern sich die Frauen heute noch. Haben wir damals nicht gemusst 241

arbeiten. Frauentag machen wir. Ansonsten nicht. Und - am 24. Dezember Weihnachten. Das wird 242

aber nach diesen Zeiten hier gefeiert. Nur - diese Feier - in unserem Verein mit diesen Menschen. Die 243

werden ein bisschen anders gestaltet als in Deutschland. Es war dort so üblich, das wurde meistens in 244

den Schulen gemacht, wo die Schüler zusammenkamen. Tannenbaum. Dann hat jeder bekommen 245

ein Geschenk. Das konnte ein Päckchen mit Süßigkeiten sein oder sonst irgendwas. Das machen wir 246

auch so weiter. Für diejenigen, die hergekommen sind und für die Kinder, die das gewohnt sind. Man 247

könnte das natürlich abschaffen. Es kommen auch Einheimische zu dieser Feier. Meine Bekannten, 248

die da kommen, fragen: Ja gibt es denn dann dort auch was zu essen? Hier wird diese Feier – das 249

auch aus Russland mitgebracht – sehr pompös gefeiert. Das sind die Kinder gewöhnt. Aber das 250 Problem ist wieder- 40, 50 Prozent können kein Deutsch. Die zuletzt gekommen sind. Die anderen 251

können kein Russisch. Da muss es irgendwie funktionieren. 252

I: Ist es Ihnen wichtig, Ihre Kultur – also das, was sich jetzt so gemischt hat und Ihre Identität auch – 253 und die Geschichte der Russlanddeutschen auch anderen zu vermitteln, also auch der deutschen 254

Bevölkerung? 255

AR: Ich glaube, das ist gerade das Problem. Das ist ein großes Problem. Ich glaube, weil wir doch hier 256 immer noch nicht angekommen sind. Und weil wir doch noch immer über Integration reden, wobei 257

sich unsere Leute sich viel schneller integrieren als die Ausländer. Die Ausländer können auch 258

zurückfahren – die fahren, die pendeln auch hin und her. Unsere Leute – 90-95% -, die haben nichts 259

mehr dort gelassen. Das ist ganz was anderes. Wieso wir das erzählen wollen, weil - die 260

Einheimischen – und das ist bei mir auch so - man wurde dort gefoltert, man wurde dort als Feind 261

immer betrachtet und, und, und. Und jetzt kommt man her nach Deutschland und jetzt weiß von 262

dem niemand was. Als ich zum ersten Mal zusammen kam mit einheimischen Menschen, wurde 263

gehört: „Ja, ihr da in eurer Heimat und, und, und.“ „Sag ich, weißt du eigentlich, ob ich dort eine 264

Heimat gehabt oder nicht?“ - „Ja, du hast doch – du bist doch aufgewachsen dort.“ –„ Ja, das ist 265

richtig. Aber war das meine Heimat?“ Was ist Heimat überhaupt? Heimat ist dort, wo man sich 266 wohlfühlt. Aber wenn man das ganze Leben immer gewohnt hat und hinter dir immer jemand stand 267

und geguckt hat, was du tust, dass du immer ein Feind bist, dann kann man die Heimat so nicht 268

wahrnehmen. Man ist zwar gewohnt, man kann alles, man weiß alles, aber so richtig, so richtig 269

konnte man sich nie entfalten, entfalten, weil man auch auf der Arbeit immer betrachtet wurde, und 270

wenn man irgendwo eingestellt wurde sowieso : „Aha darf er diesen Posten nehmen, darf er diesen 271

Posten nicht nehmen – er ist ja Deutscher und so fort.“ Und so durfte man in Russland viele, viele 272

Posten nicht bekleiden, weil es nicht erwünscht war und nicht gestattet wurde von der Regierung, 273

von der Politik. Und so hat man sich entsprechend immer so gefühlt: „Ja, du bist zwar – bist dort 274

aufgewachsen –bist zwar hier, aber du bist da nicht zu Hause.“ Und, weil meine Brüder hier waren, 275

hat man auf mich gedeutet: „Oh, der hat in einem faschistischen Land Verwandte.“ Es war eine Zeit, 276 in der man keine Briefe schreiben durfte. Durfte man nicht. Und wenn man geschrieben hat, wurde 277

durchgeguckt, was du da schreibst. Wie sollte man sich dann da zu Hause fühlen? Wie sollte das die 278

Heimat sein? Und somit hab ich dann hier auch immer gefragt: „Woher weißt du, dass das meine 279

Heimat gewesen war.“ Und somit möchte man auch, und ich glaube auch, man würde sich hier 280

besser fühlen. Oder ich sage mal anders, vielleicht würde die einheimischen Leute ein bisschen 281

geduldener uns annehmen, wenn die wüssten, was da mit uns passiert ist zu jener Zeit. Und wieso es 282

passiert ist. Es ist ja nur passiert, weil zwischen Deutschland und Russland diese Verhältnisse 283

gewesen waren. Dass Deutschland Schuld ist warum man uns da behalten hat. Aber wir sind jetzt 284

hergekommen und jemand hat mich gefragt: „Wenn Sie doch in Deutschland sind, müssen Sie doch 285 einen Teil dieser Schuld Deutschlands übernehmen.“ Haben ja auch Recht. Man ist ja hergekommen, 286

man hat sich bekannt zu den Deutschen, zum Deutschtum, zu den deutschen Leuten. Man wollte als 287

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X

Anhang

Deutscher unter den Deutschen wohnen und leben. Ist selbstverständlich, dass wir das jetzt auch 288

übernehmen. Wir haben ja dort – ich bis 91 – diese Schuld der Deutschen getragen. Weiß aber 289

niemand in Deutschland. Wir haben die ja getragen. Wir wurden ja beschimpft und, und, und. Jetzt 290

komm ich her, jetzt kann ich ja nicht sagen: „Oh, Momentchen Russen, ich habe mit dem nix zu tun.“ 291 Jetzt schon mehr zu tun. Deshalb sag ich, wir nehmen diese Schuld auf uns, weil wir hier sind. Ob ich 292

das jetzt will oder nicht. Das ist so. Deswegen möchte man auch, dass von den einheimischen 293

Menschen, dass die das wüssten. Dass die – nicht alles – aber vieles auch annehmen würden, warum 294

wir so sind. Wir haben da gekämpft und kommen her und meinen wir müssen hier auch kämpfen – 295

sofort. Jemanden sofort – Entschuldigung – in die Fresse geben, wie es dort gewesen war – muss 296

nicht sein, muss nicht. Aber so ist es manchmal im Kopf, wenn man mich beschuldigt, da hab ich das 297

so getan, ansonsten kommt man nicht durch. Konnte man nicht leben, dann hat man mich in Ruhe 298

gelassen. Und wenn man hier die Kinder in der Schule beschimpft: „Du Russe, du Russe, du Russe“ – 299

dann fangen die auch so an. Mein Sohn kam ein paarmal nach Hause und sagt: „Ich geh nicht zur 300

Schule.“ Hat blau gemacht. Wieso, warum? Weil man ihm an jeder Ecke gesagt hat: „Du Russe.“ Als 301 wir raufgefahren sind, dort hab ich gesagt: „Jungs, wir kommen nach Deutschland. Da werdet ihr nur 302

noch deutsch sein. Ihr seid ja deutsch von der Nationalität her. Da werdet ihr nur Deutsche sein.“ In 303

der dritten, vierten Woche kamen die nach Hause: „Du hast überhaupt nicht Recht!“ – „In was 304

denn?“ – „Na, du hast gesagt, wenn wir in Deutschland sind, werden wir Deutsche – wir werden hier 305

nie Deutsche werden!“ So, und somit haben die dieses Gefühl auch, nicht angekommen zu sein. 306

I: Und der Verein? Ich hab gesehen, Sie haben ja schon ein bisschen was ausgestellt und so. Und 307

kommen denn hier auch Leute hin und gucken sich das an? 308

AR: Also, wir haben 140 Mitglieder ca. - das pendelt so ´n bisschen. Wieso sind wir denn überhaupt 309

zustande gekommen? Das war (XY) gewesen. Es sind sehr viele Akademiker hergekommen. 310

Mittlerweile sind das 200.000 Akademiker, die aus Russland, die hierher gekommen sind nach 311

Deutschland. Unter denen auch zigtausend Lehrer. Deren Diplome nicht anerkannt werden. Die hier 312

nicht arbeiten dürfen, nicht können. Weil die Diplome nicht anerkannt sind. Die ganzen Lehrer 313

arbeiten als Putzfrauen. Und das muss man dann auch in Betracht nehmen. Und als wir dann 314

gesehen haben, dass man mit uns so umgeht. Dass es auch schwierig ist, die Leute zu integrieren. 315

Dass die sich auch sehr lange hier nicht wohl fühlen werden, zu Hause fühlen, eine Heimat zu 316

bekommen, haben wir doch gemeint, man sollte den Leuten, besonders diejenigen, die gerade 317 herkommen, nicht lange hier sind, die sich nicht zurecht kommen, dass man denen helfen könnte. 318

Und somit haben wir das auch getan. Das waren am Anfang so 40, 50 Leute gewesen. Die haben den 319

Verein gegründet, wir haben den Verein ein - wir sind ein eingetragener Verein. Und dann kamen die 320

Leute auch her und dann haben wir versucht zu überlegen, was brauchen unsere Leute, wenn die 321

herkommen. Und das Erste, was wir gemacht haben, das haben die Pädagogen, die haben 322

ehrenamtlich versucht den Kindern, die herkommen, Nachhilfeunterricht zu geben. Das waren die 323

Pädagogen, die schon – oder Lehrer wird hier gesagt – die schon beide Sprachen beherrschten. Und 324

haben hier in (XY) in Gymna – in der (XY) – haben wir bekommen Räumlichkeiten. Und abends um 325

drei, vier, fünf - um diese Zeiten kamen unsere Pädagogen dort hin. In Russland wird gesagt 326

Pädagogen. In Deutschland sind das Lehrer, ja?! Kamen dorthin und haben für diese Kinder eben 327 Nachhilfeunterricht gemacht und haben Deutsch, Englisch, Russisch, Mathe und Französisch in 328

diesen Fächern. Und das war in jenen Zeiten vor drei, vier Jahren waren 140, 130 Schüler gewesen 329

angefangen. Von der ersten Klasse vom sechsten Lebensjahr bis neunzehn. Da war jemand von der - 330

na – wenn man die Schule schon macht – wo kommt man hin, wo lernen die einen Beruf? 331

I: Na ja entweder in ´ner Lehre oder auf der Universität? 332

AR: Einen einfachen Beruf – College. Hier gibt es ja auch Colleges. Na ja, und wir kamen dann dahin 333 und die haben alle nach den Prüfungen, wenn die dann da was schreiben müssen, dann waren die 334

immer da. Haben dafür auch ein bisschen Geld von der Stadt bekommen. Um den Lehrern zumindest 335

die Fahrkosten zu erstatten und Papier und so. So, das war das erste um den Kindern zu helfen, 336

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XI

Anhang

schneller reinzukommen in die Schule. Hat sich gelohnt. Ist auch gut gewesen für die Lehrer. Und mit 337

einem Mal haben gesagt, das hilft doch. Das andere, was wir gesehen haben, was unsere Leute 338

bräuchten und auch immer noch jetzt. Die bräuchten Arbeit. Und da ist es jetzt hier so, hab ich selbst 339

durchgemacht, das Arbeitsamt hat mit mir eigentlich überhaupt nichts getan. Da ich dann gesagt 340 hab: „Ich bin Elektriker, ich würde gern was tun.“ Da haben sie gesagt: „Ja, wir wissen ja, wie viel 341

Elektriker arbeitslos sind. Und was wollen Sie damit tun?“ War ich alleine geblieben, gelassen wurde. 342

Und das Problem war auch, was wir gesehen haben, was ich gesehen habe, bei den technischen 343

Berufen, dass man die gar nicht einstufen kann. Was können die, wo können die überhaupt tätig 344

sein? Die Diplome, bei den Akademikern besonders, und bei denen, die das Technikum, das ist 345

zwischen Hochschule und eigentlichem Beruf, gemacht haben, dass man nicht weiß, was sie können. 346

Die Diplome sind zwar übersetzt, aber die Berufe klingen ganz anders. Und die Arbeitsbücher, die die 347

mitbringen, darin steht angestellt als sowieso, entlassen dann und dann, fertig, Schluss. Was haben 348

die? Was können die mit den Händen machen? Da hab ich gesagt, man muss den Menschen helfen 349

ihren Beruf zu beschreiben. Und dann haben wir damals angefangen, den Menschen die Unterlagen 350 vorzubereiten mit denen zusammen selbstverständlich. Lebensläufe zu schreiben, 351

Qualifikationsprofile zu erstellen. Nun haben wir das immer so gemacht. Geh mal nach Hause, 352

schreib mal, was du kannst. Und dann bringen die vier Seiten ganz klein geschrieben. Wer liest denn 353

die schon? Erstens – und zweitens, das musste man erst mal ordnen. Zu Hause hab ich erst mal 354

versucht das zu ordnen und auf eine Seite drauf zu bringen. Aber dass da auch alles drin ist. Auch der 355

Sinn drin ist. Auch die Begriffe, die deutschen Begriffe. Auch die deutsche Benennung der Berufe. Das 356

ist auch, dass man das verstehen kann. Und wenn man das gegeben mit den Menschen hat und er 357

dann zum Arbeitgeber kommt, dann brauch er nur das zu lesen. Das Diplom und das andere kommt 358

weg, weil man das nicht versteht, was da ist. Aber das hier, wir saßen da immer zu zweit. Also ich 359 musste das immer ordnen und übersetzen und dann kamen einheimische Berater dazu, der das lange 360

Jahre gemacht hat. Und haben das versucht nochmal zu ordnen, nochmal zu Rechtschreibung und 361

Begriffe und, und, und, und. Alles hinzukriegen. Zusammen mit dem Betroffenen. Er hat dann auch 362

gelernt die Wörter und Begriffe und dann konnte er sich auch vorstellen. Und dann haben wir es 363

geschafft viele Leute unterzubringen. Ansonsten kommen die dahin. Schlechte deutsche Sprache. Ich 364

kann sowieso nichts anfangen. Und was kann er denn überhaupt? Er kann noch nicht mal was von 365

seiner Arbeit erzählen, was er kann. Nun haben wir sogar einige Ingenieure untergebracht. Die ganz 366

schlecht deutsch sprechen konnten. Aber als sie das gelesen haben, haben sie gesagt, nun ja zeig 367

mal, was du kannst. Ist einfach in die Werkstatt – zeig mal, was du kannst, guck mal, wie schön das 368

hier geschieht. Ja und er hat gezeigt wurde eingestellt. Einfach so eingestellt. Und nach einem Jahr 369 als jemand im Büro gebraucht wurde, wurde gesagt: „Komm mal ins Büro.“ Bis dahin hat er auch die 370

Sprache erlernt. Weil auf der Arbeit nur deutsch geredet wurde. Somit haben wir eine 371

Vermittlungsagentur aufgebaut, die bei uns während der Jahre funktioniert hat. Heute ist schon 372

abgebaut, weil heute weniger Leute hierher kommen. Das spitzt sich alles zu. Im letzten Jahr kamen 373

nach (XY) ca. 60, 67 Leute. Es waren mal 800 Leute jährlich. Es waren Zeiten 92, 93, wo 200, 230.000 374

Leute nach Deutschland kamen aus der ehemaligen Sowjetunion. Im letzten Jahr waren das 5500. 375

Das spitzt sich alles zu. Der Zuzug von Aussiedlern wird bald abgeschlossen sein. So. Haben wir das 376

gemacht. Und dann haben wir gesagt, was brauchen die Leute noch? Die Leute, die hier die Straßen 377

noch nicht kennen, denen muss man irgendwie helfen zusammen zu kommen, dass die sich nicht 378

verlieren. In Ghettos zu wohnen, in einer Familie zu wohnen, das ist eins, aber man muss mit denen 379 irgendwie arbeiten. Und auf der Straße leben, so wie Jugendliche auf der Straße leben und nichts 380

tun, das ist doch schlecht. Und deswegen haben wir versucht die hier zusammen zu holen. Für die 381

Jugendlichen haben wir hier Kurse angeboten. Singen, tanzen, malen, Sprachkurse. Theater, Theater 382

und so weiter und so fort. Und das machen unsere Kinder auch und die Jugendlichen auch, 383

angefangen von sechs, sieben Jahren. Mittlerweile haben wir hier im letzten Jahr bis 140 Kinder hier 384

gehabt. In unseren – diesen Kursen und die von unseren Angeboten auch - mitmachen wollen. In 385

Anspruch nehmen. So. Das ist mit den Kindern. Und wenn man – wenn die Eltern die Kinder 386

herbringen, dann kommen auch die Eltern hier rein. Und dann können die hier in ihrer Sprache, dass 387

sie sich nicht verloren fühlen, sprechen. Aber auch, wir machen hier auch einige so Sachen Arbeit mit 388

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XII

Anhang

Eltern und, und. Wo auch die deutsche Sprache beigebracht wird. Und erzählen wie man hier 389

eigentlich zurecht kommen kann. Die nehmen das auch in Anspruch, kommen auch her. Machen wir 390

auch Veranstaltungen. Weihnachtsfeier, 8.März, wie ich gesagt habe. Herbstball am 28. August. 391

Früher oder später machen wir immer den Gedenktag - für die Menschen, die dort umgekommen 392 sind. Opfer der stalinistischen Repressalien heißt das so. Da kommen die Leute auch hin und erinnern 393

sich. Ist immer zu erinnern an solche Sachen, weil in jeder Familie jemand verstorben oder 394

umgekommen ist, aber wir machen das eben nicht nur für unsere Leute, auch für Einheimische, die 395

kommen und dann sehen, was mit diesen Menschen getroffen – gemacht wurde. Und dann die 396

Betroffenen können über sich selbst reden, die das alles erlebt haben. So, und deswegen kommen 397

die Leute her und machen hier mit. Und dann, wenn sie Fragen haben, wenn sie Probleme haben, 398

dann kommen die auch. Denn wir haben hier Sozialarbeiter und Leute, die hier schon 10, 15 oder 20 399

Jahre wohnen. Die kennen sich so ´n bisschen aus, weil die doch alles selber hier in Deutschland 400

durchgemacht haben. So kann man den Menschen ein bisschen mehr helfen oder auch sagen, pass 401

mal auf, so ist es. Und da wirst du nix tun können. Du musst dich hier so anpassen. ( - ) 402

I: Ist ganz spannend eigentlich. Ich würd gern nochmal zum Programm von RUHR.2010 kommen. Wir 403

sind auch gleich am Ende. Und zwar würd mich interessieren, jetzt nicht nur aus ihrer Sichtweise, 404

sondern auch generell von den Menschen, die in Ihrem Verein sind, was sie interessant fänden. Also 405 es gibt spezielle Angebote auch, die darauf gerichtet sind, dass Menschen mit Migrationshintergrund 406

ihre Kultur auch vorstellen können bzw. auch ihre vielfältigen Identitäten womöglich. Ich weiß nicht, 407

ob Sie MELEZ kennen? Das ist ein interkulturelles Festival, das findet auch jetzt schon statt. Morgen 408

ist es vorbei. Da ist es halt so, da gibt es verschiedene Sachen, da gibt es Theater, da gibt es 409

literarische Vorträge, also, ganz viel ist es halt so, dass da türkische Vorträge sind etc. . Da gibt es 410

Konzerte, da gibt es aber auch zum Beispiel Führungen durch Wohngebiete. Meinen Sie, dass das 411

interessant wäre für die Menschen hier in dem Verein? 412

AR: Ja. Wenn wir sprechen wollen über Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund, dann 413

sehen wir das so, dass wir oft – oft - nicht reinpassen mit den Migranten Ausländern. Ich glaube, dass 414

unsere Volksgruppe ein bisschen anders geprägt ist. Es kommen mehrere Akademiker mit. Es 415

kommen Leute, geschulte, mit. Und jeder hat auch einen Beruf. Egal, ob schlecht oder gut oder so 416

oder anders. Er hatte ihn, er hatte ihn dort auch ausgeübt. Und die haben was. Ich war nicht längst 417

mit zwei Jugendlichen im Arbeitsamt – Quatsch, Jobcenter heißt das ja heute – ich sollte nur als 418 Dolmetscher mit sein. (Telefon klingelt) Und dann – als wir dann alles erledigt hatten, hab ich dann 419

gefragt: „Sagen Sie mir doch bitte, wie integrieren sich die Leute aus ihrer Sicht. Sie haben hier jeden 420

Tag mit den zu tun.“ Hat sie mir gesagt: „Die integrieren sich viel schneller und besser als die 421

Ausländer, weil die irgendwas immer mitbringen – einen Beruf. Weil die willig sind zu lernen. Weil 422

die willig sind zu arbeiten.“ Das hat mich richtig gefreut. Das war jemand hier, ein einheimischer 423

Mensch, der mir das gesagt hat, nicht unsere Leute. Das hat mich gefreut und somit kann ich auch 424

sagen, ja unsere Leute sind willig alles zu tun. Mehr oder weniger. Schwarze Schafe gibt es überall. 425

Aber jetzt komm ich zurück zu den Kultursachen. Es ist ein bisschen schwierig unsere Menschen, weil 426

die doch ein bisschen anders geprägt sind - irgendwie anders im Kopf. Überall mitzumachen. Erstens 427

wegen der Sprache, zweitens, die fühlen sich doch nicht zu Hause. Die fühlen sich in der 428 einheimischen Gesellschaft nicht so wohl wie es eigentlich sein könnte. Wiederum wieder wegen der 429

Sprache. Sogar diejenigen, die Deutsch sprechen, die haben ihre eigene Mundart, ihren eigenen 430

Akzent. Schwäbisch, ostfriesisch - oder was auch immer. Was sie von alten Zeiten mitgenommen 431

haben. Und wenn man denen zuhört, da denkste, Momentchen, wie sprechen die denn eigentlich? 432

Obwohl das ein Platt- oder Plautdeutsch ist, eine andere Sprache. Viele Leute, die hier bei uns in (XY) 433

wohnen, die würde ich nach Schwabenland, unser Schwabenland, nach Bayern schicken, lebt doch 434

dort! Eure Sprache gehört dahin. Aber sind eben mal hier. So wie die Schwaben, so wie die Bayern, 435

wie die Ostfriesen sprechen, ja, ein bisschen anders. In Nordrhein-Westfalen im Ruhrgebiet hier 436

sprechen die Leute auch anders. Und deswegen auch das – sie wissen, dass sie anders sprechen. Nur 437 die machen selten den Mund auf. Nur wegen dieser Sache auch. So deswegen so mitmachen überall 438

so ist ein bisschen schwierig, obwohl wir das auch tun. Jetzt kommen wir zu diesen ganzen 439

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XIII

Anhang

kulturellen Sachen. Wir haben ja hier bei uns im Verein einen kleinen Chor. Sechs Leute. So. Die 440

singen deutsche Lieder. Altdeutsche Lieder, die damals von unseren Vorfahren aus Deutschland 441

mitgebracht wurden. Zum Beispiel „Schön ist die Jugend“. Ist schon hunderte, hunderte Jahre alt 442

gewesen. Oder noch viele andere. So und egal, wo wir hinkommen, die werden gut angenommen. 443 Ich längst war bei der Volkshochschule (unverständlich1) hat die Stadt eingerichtet so eine Feier mit 444

Menschen mit Migrationshintergrund und als unsere dort aufgetreten haben/waren wurde mir 445

gesagt – ich war nicht dabei – ich war bei einer anderen Veranstaltung –, die Leute sind sogar 446

aufgestanden. Ist anders angekommen als die Türken und Libanesen das machen mit ihrer Kultur, die 447

ein bisschen den Deutschen fremd noch ist. Hier war das so, das wurde angenommen und das freut 448

mich auch. Was zutrifft Theater. Ich habe Ihnen was hingelegt. Das ist ein gemeinsames Projekt von 449

(XY), eine einheimische Gesellschaft, ja? Und von Jugendlichen aus unserem Verein. Jugendlichen der 450

Russlanddeutschen. Und das wird, wenn sie dorthin gucken, am (XY) bei uns im Bürgerhaus (XY) 451

stattfinden. Ganz hinten. Sogar Eintrittskarten werden verkauft für acht Euro und für Studenten fünf 452

Euro, glaub ich. Wenn Sie möchten, kommen Sie gerne mal dorthin und gucken sich mal da an, was 453 die Einheimischen und die Russen, wie hier gesagt wird, zustande gebracht haben auf der Bühne. Ich 454

hab das noch nicht gesehen. Unsere einige Leute haben das gesehen, nur Ausschnitte davon. Die 455

waren begeistert. Mal gucken, ich will mir das auch ansehen. 456

I: Das hört sich auch spannend an. 457

AR: Was die dort zustande gebracht haben. Die Leute mit Zuwanderungsgeschichte, die suchen ihren 458

Planeten. Was Theater betrifft, machen wir überall mit. Und einige Jugendliche sind auch in der Stadt 459

in einem Theater tätig bei den Einheimischen. 460

I: Und sowas für das Kulturhauptstadtjahr. Das wär ja auch ganz spannend, wenn das miteinbezogen 461

werden würde. 462

AR: Wird auch. Ich glaube unsere Leute werden mitmachen. Ich kann Ihnen noch eins sagen. Im (XY), 463

da soll ja ein Museum in Stand gebracht werden. Zwei Sachen, die dort ausgestellt werden, sind aus 464

meiner Familie. Können Sie auch sehen vielleicht dort. Das ist eine Nähmaschine von 1868, was weiß 465

ich, - und eine kleine Tasse, die ich aus Deutschland als Kind im Kindergarten noch aus dieser Tasse 466 getrunken habe, die ich nach Russland mitgenommen habe –meine Mutter hat die mitgebracht. Die 467

ich aber wieder zurückgebracht habe. Von 43 bis 2008 – was sind das jetzt 50, 58 über 60 Jahre 468

schon. Die Tasse hab ich immer noch gehabt. Die hab ich abgegeben um zu zeigen, dass von hier 469

zurückgebracht hab. (unverständlich2). 470

I: Ja, das ist schön. Und haben Sie denn noch irgendwas Spezielles. Sie hatten eben schon mal gesagt 471

zum Beispiel, was Sie interessieren würde, wären irgendwelche bekannten russischen Schauspieler, 472

die Sie von damals noch kennen. Wäre das was, ich sag mal, was Sie sich für RUHR.2010 wünschen 473

würden? Also, wenn die die Möglichkeit hätten da irgendwas zu arrangieren? 474

AR: Nein. Wünsche haben wir in unserer Familie nicht. So – oh das möchte ich. Solche Wünsche gibt 475

es nicht. Ich glaube es ist viel Zeit vergangen, in der wir von dem allen weg sind. Das ist glaub ich das, 476

man sagt ja immer, die Zeit heilt Wunden. So ist es auch hier. Die Zeit tut einen, ein bisschen von 477

dem zurückhalten. Oder man vergisst es doch ganz. Und die jüngere Generation von den 478

Schauspielern oder wer das da auch immer sei von den Musikern, die kennen wir nicht. Und 479

deswegen kann ich jetzt nicht sagen - ist nur, dass jemand sagt: „Oh, geh doch mal dahin, das ist sehr 480

gut.“ Dann macht man das natürlich auch. Wär ja auch kein Problem, je nachdem, wie viel das kosten 481

würde. Natürlich man guckt immer gleich auf das Geld. Aber gute Sachen würde man sich angucken. 482 Nicht wegen dem, dass es aus Russland kommt, sondern wegen dem, dass es eine Kunst ist zu zeigen. 483

Denn es ist immer – in Deutschland werden wir immer mit Russland verbunden. Und jeder meint, 484

wenn die von dort kommen, dann müssen das doch Russen sein. Da müsste doch was drinstecken, 485

was mit Russland bei denen verbunden ist. Auch ja, auch nein. Es ist vieles, was bekannt ist. Es ist 486

aber auch vieles, besonders bei den älteren Menschen, woran man auch gar nicht hängt. Wir hatten 487

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XIV

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vorige Woche in (XY) eine Woche, wo die Studenten, Journalisten und die, die da 488

Öffentlichkeitsarbeit studieren, was weiß ich denn, schreiben Zeitungen und so weiter und 489

Korrespondenten und wie sie auch immer heißen, eine Woche gehabt. Die sollten mal zeigen, was sie 490

machen würden um diese Menschen mit zu integrieren. Ein guter Sinn. Viele haben auch sehr gut 491 gemeint. Haben auch vieles schön dargestellt, was sie machen würden. Ist auch gut. Aber es sind 492

immer so Sachen rausgebracht worden, die uns stören. Zum Beispiel: Kriminalität. Zum Beispiel: 493

Saufen. Zum Beispiel: Da war – die müssen ja auch sagen, was sie da möchten und, und, und. Die 494

müssen in jeder Gruppe – das war‘n 16, 18 Gruppen – müssen auch ein Plakat entwerfen. Und was 495

mir aufgefallen ist: Drei Gruppen haben Folgendes gemacht. Die haben die Russlanddeutschen 496

verbunden mit einer Matroschka. Matroschka ist so eine Puppe, wo mehrere Puppen reinkommen. 497

Und die erste Gruppe, die diese Matroschka zustande gebracht hat, die haben ein Plakat entworfen, 498

wo die gesagt haben. Diese Matroschka haben die gemalt plus Gartenmännchen – wie heißen die? – 499

Gartenzwerg – plus, gleich wir alle. Das heißt wir wurden alle zusammen integriert, das heißt, das 500

sind alles wir. Momentchen bitte – Matroschka? Das ist kein Symbol der Deutschen in Russland. Das 501 ist ein rein russisches Symbol. Und wenn solch ein Plakat auf der Straße hängen würde und jeder dort 502

vorbei gehen würde, ob das ein Deutscher aus Russland wäre oder ein Einheimischer – „Oh was ist da 503

Russisches – guck mal, da ist doch eine Matroschka, das ist doch was Russisches.“ Bei mir im Kopf 504

aufgetaucht – Momentchen bitte – das hat nichts mit uns zu tun. Das hat mit einer Integration der 505

Russen in Deutschland zu tun. Aber nicht mit den Deutschen. Und so ist es aufgetaucht in mehreren 506

anderen Berichten. Drei glaub ich waren es. Haben diese Matroschka immer wieder gezeigt. Das 507

heißt, bei den einheimischen Menschen, auch bei den Jugendlichen, bei den Studenten, ist immer im 508

Kopf: Das sind Russen. Die muss man hier integrieren. Und die Symbole. Und das, was in Russland, 509

was man hier so wahrnimmt. Diese Klischees, die russischen. Die werden hier einbezogen. Aber oft 510 wissen die Leute oder die Jugendlichen oder Studenten nicht, dass es mit mir eigentlich nichts zu tun 511

hat. Und (unverständlich1) und Kriminalität hat mit mir nichts zu tun. Das sind schwarze Schafe. 512

Warum muss man dann reden über drei Millionen Leute, die damit nichts zu tun haben? Es sind 513

vielleicht 1% oder drei, was weiß ich. Aber nicht 3 Millionen! Und wenn man spricht über Saufen, ja, 514

das war so üblich, in Russland wurde viel gesauft. Es kommen her Leute, die trinken auch. Nur ich 515

sage immer so – ich glaube in Deutschland trinkt man nicht weniger. Das Problem ist ja nur, dass die 516

deutschen Menschen, wenn die sich ansaufen, nicht sich zeigen auf der Straße. Und da gibt es auch 517

Grund. Wenn die Kinder hier, wenn die Jugendlichen hier schon mit 16 eine eigene Wohnung haben. 518

Und wenn die da drin alles machen können, was sie wollen mit den Jugendlichen, dann bleiben die 519

oft auch da drin, wenn die sich auch ansaufen. Selten jemand geht dann auf die Straße um da zu 520 randalieren. Diese Jugendlichen, die von dort kommen, die haben diese Möglichkeiten nicht gehabt. 521

Zusammen mit den Eltern, die wohnten in kleinen Räumlichkeiten. Und wenn die sich angesaufen 522

haben, dann sind die nicht zusammen mit den Eltern, sondern gehen auf die Straße. Oder die gehen 523

einfach in die Büsche, nehmen ihren Wodka und trinken dort. Und dann sind die eben von allen 524

angesehen, dann sieht man die dort. Und das ist bei denen von klein auf drin in der Seele. Ich muss 525

doch rausgehen. Ich kann doch nicht zu Hause bleiben, und hier haben die ja auch noch nicht alle 526

eine eigene Wohnung. Die wohnen immer noch – mein Sohn war, bis er 32 wurde – Quatsch – 22/23 527

Jahre alt. Der hatte immer noch keine eigene Wohnung. Und wenn er sich da ansauft, was soll er mit 528

den Eltern zu Hause, wenn die Eltern das nicht leiden können. Dann geht er auf die Straße. Aber wer 529

will das schon verstehen? Und, das sollte man verstehen, möchte man, dass das verstanden wird. 530 Und zweitens, man muss das wissen, warum das ist. Und oft werde ich gefragt: „Wieso sitzen alle da 531

unten, da ist ein Tisch und saufen und spielen und splechen drauf?“ Ja, das haben die dort so 532

gemacht. Das ist hier drin in der Seele. Die konnten das nicht so machen. Drum haben die das 533

draußen gemacht. Das ist so drin. Das wird abgeschaffen werden, nachdem die hier mehrere Jahre 534

wohnen werden, nachdem die zu Deutsch gesagt, integriert sein werden. Dann wird das auch 535

abfallen, weil man hier eben anders lebt als dort. Nur die Zeit muss das heilen auch. Und dann, was 536

auch auf mich selber zutrifft, ich war vor zwei Wochen in (XY) gewesen. Da war eine europäische 537

Konferenz. Wurde gesprochen über ältere Leute. Allgemein, alte Leute mit Migrationshintergrund, 538

dass die Probleme haben mit dieser Gesellschaft, weil sie allein gelassen werden und so weiter und 539

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XV

Anhang

so fort. Und - da waren Sachen gewesen Holland, England, Amerika, USA, Afrika, Armenien, Bulgarien 540

und so weiter und so fort. Ganz Europa und auch nicht nur. Da hat eine Referentin aus der USA so 541

gesagt, als sie ihren Vortrag gemacht hat, gesagt: „Integrieren ist gut, aber die Leute einzubeziehen 542

ist besser.“ Die Wörter sind ähnlich, aber haben doch einen anderen Sinn. 543

I: Genauso ist das auch mit dem „anpassen“… 544

AR: Mmmh.(zustimmend) 545

I: Genau, also meine Annahme ist einfach nur die, dass– gerade weil Sie so eine spezielle Geschichte 546

haben - dass das eigentlich auch mehr miteinbezogen werden sollte, auch einfach in die Kultur hier. 547

Dass man womöglich vielleicht auch Gesprächs/Diskussionsreihen etc. über Identität, über Heimat 548

machen sollte und das vielleicht auch im Rahmen von RUHR.2010. 549

AR: Durchaus. Nur wie gesagt, haben Sie auch Recht. Ist auch richtig. Ich würd das auch begrüßen, 550

wenn sowas gemacht wird. Nur, das Problem ist ja oft – wir sitzen oft im Rathaus – da wird auch 551

solche Veranstaltungen gemacht. Wie schön oder wie gut – „Wie fühlen Sie sich mit Ihrem Leben in 552

Essen?“ Menschen mit Migrationshintergrund, gut. Jetzt kommen dahin Libanesen, Türken, Iraker 553

sogar. Italiener, Spanier und so weiter und so fort. Das sind Leute, die hierher gekommen sind um 554

Arbeit hier zu suchen. (Telefon klingelt) 555

AR: Was wollt ich jetzt sagen? 556

I: Irgendwas mit dem Rathaus… 557

AR: Ah ja. Was zutrifft, was zutrifft, Einbeziehung Geschichte und so weiter und so fort. Es gibt einen 558

Unterschied zwischen den Deutschen aus Russland in der Integrationsarbeit, im Leben überhaupt, in 559

Deutschland, und den Ausländern, die hergekommen sind auch schon vor 40 Jahren, die Türken, 560

soviel ich mitbekommen habe. Und später. Die wurden hierher gelockt um Arbeit zu leisten. Einige 561

sind auch selber hergekommen um Arbeit zu suchen. Haben sich hier angesiedelt, sind hier 562

geblieben. Die man jetzt nicht hier rauskriegen kann so einfach. Fahren auch nicht zurück, wollen 563

nicht. Aber, aber das ist wieder das mit denen, mit diesen Ausländern. Dass die immer hinter die 564

Rücken den Gedanken haben, die kommen ethnisch aus einem anderen Land. Die haben ethnisch 565

dort ihre ethnischen Leute. Wo sie zugehören vom Ethnos her. Und deswegen glaube ich, die werden 566 immer daran hängen. So wie es mit uns in Russland gewesen war, in diesen 250 Jahren. Wir waren ja 567

immer noch die Deutschen. Und im letzten Jahrhundert nicht nur die Deutschen, nur der Feind der 568

Deutsche. Und die Faschisten die Deutschen. Das hat uns dort so geprägt in unseren Köpfen. Diese 569

Menschen, die erleben das nicht, obwohl die auch erleben, dass die einheimische Bevölkerung die 570

nicht so akzeptiert wie jeden Einheimischen. Ist doch so. Und deswegen fühlen die das glaub ich auch 571

hier, obwohl die manchmal sagen, das ist mein Heim, das ist meine Heimat hier. Ich bin sogar hier 572

geboren, ich bin hier zu Hause. Aber als ich dann mit jemanden saß zusammen. Und dem erzählt 573

habe unsere Geschichte. Nun hab ich gesagt: „Was würdest du heute tun, wenn man mit dir genauso 574

umgehen würde in Deutschland wie mit uns?“ – „Nun, dann würden wir unsere Koffer packen und 575 würden nach Türkei fahren.“ Das war das eine – die eine Antwort. Und die andere Antwort, was ich 576

mitbekommen habe. Viele Türken, die hier auch geboren sind, die hier aufgewachsen sind. Die vor 40 577

Jahren hierher gekommen sind. Ich hab einige solche Bekannte. Wenn deren Verwandte hier 578

sterben, dann fahren die nach Türkei zurück und beerdigen die dort. Obwohl viele auch hier 579

beerdigen auf dem Friedhof. Es gibt ja einen – bei uns in (XY) – einen am Hanger einen Friedhof, wo 580

man die Türken auch beerdigt. Ok, viele, gerade diejenigen, die hier geboren sind, hier aufgewachsen 581

sind, Schulen gemacht haben und, und, und. Nicht alle, aber doch viele, die fühlen sich doch ein 582

bisschen - gebunden mit ihrem Herkunftsland. Ist auch logisch, glaub ich. Ich würde das auch so tun. 583

Das haben wir uns ja auch so getan. Muss nicht alle so tun – muss nicht jeder so tun. Aber ich würde 584

das eben so tun. Weil ich in meinem Leben immer überlegt habe, wo gehör ich denn eigentlich hin? 585 Und deswegen kann ich die sehr gut verstehen, wenn die immer noch diese Verbindung im Kopf 586

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XVI

Anhang

haben zu ihrem Herkunftsland. Ist doch in Ordnung. Und deswegen wollt ich sagen. Wir sind 587

hergekommen, ich sag mal so fünf Prozent können zurück fahren aus den gemischten Familien, die 588

anderen wollen aber hier bleiben. Und werden auch hier bleiben. Die Deutschen, die echten, deren 589

Familien sich noch nicht gemischt haben, die werden, glaub ich, doch noch hier bleiben. Wobei – und 590 die denken doch noch ein bisschen anders. Aber die anderen Leute mit Migrationshintergrund, die 591

im Kopf immer noch haben die Hintergründe ihres Herkunftslandes. Da passen wir eigentlich nicht 592

rein. Viele von denen haben noch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Obwohl die hier schon 40 593

Jahre wohnen. Unsere bekommen hier gleich die deutsche Staatsangehörigkeit, weil die ethnisch 594

sind. Weil die Kultur und Sitten gepflegt haben. Obwohl die auch kein Deutsch nicht mehr sprechen. 595

Ist auch klar, aber sind eben so. Die das zeigen können, dass sie da noch was gepflegt haben, die 596

werden gleich eingebürgert und die sind von allen Seiten wie gesagt Mutter deutsch, Pass deutsch, 597

die kriegen die deutsche Staatsangehörigkeit. Wir haben unsere eigenen Probleme in der Integration. 598

Andere Probleme als diejenigen dort. Obwohl doch vieles gleich ist. Wenn die hier vierzig Jahre sind, 599

dann haben die hier schon ihre Renten verdient. Die bekommen noch mehr. Die haben schon Plätze, 600 die haben ihre eigenen Unternehmen und so weiter und so fort. Unsere, die jetzt kommen, die 601

werden auf diese Grundsicherung gesetzt – Sozialhilfe. Da muss man – obwohl die 20, 30, 40 bis 45 602

Jahre Wartezeit haben. Arbeitszeiten, die hier nicht angerechnet werden. Aber die haben für die 603

Welt was getan. Die haben ihr Leben lang gearbeitet. Und das andere. Unsere Leute, die sind viel 604

jünger als die Einheimischen. Und Rentner haben wir viel weniger. Vielleicht die Hälfte oder noch 605

mehr weniger - als bei den Einheimischen. Aber Kinder oder Leute mittleren Alters, obwohl viele 606

keine Arbeit haben, aber trotzdem viele, die tragen auch Geld ein, in die Rentenkassen und anderen 607

Krankenkassen. Und diese Generationenvertrag – Sie wissen, was das ist, ja? Dass die Kinder für die 608

Eltern einzahlen in die Kassen, dass die Eltern ihre Renten bekommen für diese Volksgruppe außer 609 Kraft gesetzt ist. Hier bekommst du nur deine Sozialhilfe, egal, was du gearbeitet hast. Für den Beruf. 610

Du bekommst nicht mehr, obwohl du drei, vier, fünf, sechs, sieben Kinder hast und die einzahlen, 611

aber die Eltern bekommen nur das. Nicht mehr. Und dann denkste, irgendwo ist das auch nicht ganz 612

logisch wahrscheinlich. Und dann noch die Aussiedler tragen allgemein wurde berechnet in die 613

Rentenkassen und in die anderen Kassen mehr rein als du rauskriegst? Ok? Bedienen sich andere 614

Leute und Einheimische, ist ja auch in Ordnung. Wir haben ja eben gesprochen gehabt, wir bekennen 615

uns und nehmen alle Pflichten und Rechte an uns an. Auch die Vergangenheit, ist so. Aber dann sollte 616

man uns auch ein bisschen anders sehen, aber es sollte nicht erstarren. Und deswegen glaube ich, 617

dass wir mit einigen Problemen, mit einigen Punkten nicht reinpassen in die anderen Nationalitäten. 618

Der anderen Leute, Menschen mit Migrationshintergrund. ( - ) 619

I: Ja. Ich bin mit meinen Fragen auch soweit durch. 620

AR: Haben Sie Bedenken. Haben Sie vielleicht – ist was aufgefallen? Was an meiner Seite vielleicht 621

falsch wäre? Vielleicht nicht ganz richtig gesagt wurde oder nicht richtig gemeint wurde? 622

I: Mmm (überlegt). Nee, ich hab keine Bedenken. Also, mir wird das nur ziemlich klar, dass Sie da 623

tatsächlich gelebt haben, und ich glaub halt in Generationen danach wird es wahrscheinlich schon 624

anders sein. Und ich glaub auch, dass man dann nochmal ein bisschen Interesse hat seine Identität, 625

das ist ja einfach auch ein Teil der Identität, auch wiederzufinden. Aber klar aus Ihrer Perspektive 626

kann ich das total gut nachvollziehen. 627

AR: Ich kann nur noch dazu sagen. Viele - unserer Leute kommen her, mit dem Gedanken: Stolz auf 628

seine Nationalität. Ich hab das auch mal so gesagt. Als ich in (XY) damals landete mit meiner Familie, 629

hab ich gesagt: „Stolz bin ich gelandet in (XY) als Deutscher.“ Und dann ist mir so kurz eingefallen, in 630

Deutschland darf man gar nicht stolz sein auf seine Nationalität. 631

I: Das ist auch richtig, ja. 632

AR: Das wird gleich ausländerfeindlich anerkannt. Und gleich rechtsextremistisch. Und dann sagen 633

auch viele Jugendliche. Haben mir das auch schon gesagt viele, und das kommt auch so rüber – dass 634

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XVII

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die einheimische Bevölkerung und die Jugendlichen Angst haben, sich zu äußern über die deutsche 635

Nationalität oder einfach das nicht tun. Wegen der Vergangenheit. Einfach verschweigen. Diese 636

kommen aber her und meinen, dass man das darf. Ich bin doch einer! Die haben das noch nicht 637

erkannt, dass man das auch nicht machen sollte. […]638

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XVIII

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Pretest Interview BT 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 01.11.2008 6

Ort: türkischer Verein 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 47 10

Geschlecht: männlich 11

Beruf: Selbständig 12

Herkunft: Türkei; 2. Generation in Dtschl. 13

14 15

I: Also, vielleicht nochmal generell zur Diplomarbeit. Es geht einfach darum, um die Frage, ob das 16

kulturelle Angebot hier im Ruhrgebiet auch auf die Wünsche und Bedürfnisse von Menschen mit 17

Migrationshintergrund eingeht. 18

BT: Also, eigentlich Kultur ist ein genereller Begriff, nach meiner Meinung nach. Es gibt den 19

Austausch auch – kultureller Austausch – von jeder Nation zu der anderen Nation. Die Begriff Kultur 20

eigentlich in hat sich vieles. Was ist Kultur? 21

I: Das wäre jetzt meine Frage auch an Sie. Was verstehen Sie unter Kultur? 22

BT: Ja eben, das ist also, das eine ist so Lebensart. (Unverständlich1) Tradition, Sitten, das sind alles 23 Sachen, woran man hängt. Gehören auch zu Kultur auch Gesellschaft. Eine Gesellschaft das ist, aber 24

ich überleg, welche Kultur zum Beispiel - wenn man eine türkische Kultur oder eine deutsche Kultur 25

sagt, dann versteht man darunter die türkische Kultur, also die Leute überwiegend, also großer Teil 26

der Leute, die gleiche Einstellungen haben fast, gleiche Lebensart haben, dass sie auch in einer 27

Gesellschaft leben, dass sie auch das fühlen, was sie alles so machen. Zum Beispiel, wenn irgendwas 28

Anstoß an türkischer Nation oder türkischer Staat, dann fühl ich, der eine so, der andere muss auch 29

so fühlen. Das bildet eine gleiche Kultur. Bei deutscher ist auch gleiche. Bei deutsche zum Beispiel. 30

Bei deutscher – es gibt zum Beispiel auch 80 Millionen Deutsche- darunter vielleicht, ich weiß nicht, 31

30, 40 50 Millionen – wenn (es) einen Punkt gibt, da sich sind einig. Und dann gibt’s auch 20 32

Millionen, die sagen, hätte so sein können, auch so sein können. Das ist eine Kultur, da sieht man 33 eine Zusammengehörigkeit. Das nennt man eine, dass es Kultur für eine Nation ist. Auch Lebensart. 34

Zum Beispiel in familiärem Leben. Wenn man so kleine Begriffe nimmt. Eine Familie. In Familie lebt 35

man das anders, intensiver. Und in Gesellschaft ist das anders. Anpassung. Man muss sich anpassen. 36

Zum Beispiel, ich komme aus der Türkei. Und ich lebe in Deutschland und in deutscher Gesellschaft. 37

Schon über 20, schon fast - seit (XY) Jahren. Eines ist klar, man muss sich anpassen in eine 38

Gesellschaft. Aber man sich auch darüberhinaus seine Kultur, seine Sitten, seine Tradition darf man 39

sich auch nicht, also seine Identität, muss man auch ein bisschen behalten, damit als Mensch 40

darstellt. Verstehen Sie, was ich meine? 41

I: Also, was bedeutet, dass Sie, dass Ihre Identität immer noch türkisch ist, natürlich. In ´ner Weise 42

auch deutsch?! 43

BT: Ja, das kann man so ausdrücken. Aber es ist so: also ich, meine Kinder sind in Deutschland zur 44

Welt gekommen. Die, für dene ist das anders. Die sind in Deutschland in deutsche Schule gegangen, 45

Kindergarten. Auch in der deutschen Gesellschaft leben sie auch. Die fühlen das anders. Was ich 46

fühle, die fühlen ganz anders. Obwohl mittlerweile meine Sohn, der gerade rausgegangen ist, der 47

kann auch seine Sprache, sagen wir so – Muttersprache, nicht mehr türkisch, sondern deutsch ist. 48

Das ist logisch. Also gut, wenn man in Urlaub fährt, nach zwei Wochen die Kinder sagen: „So Vater, 49

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XIX

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lass uns mal nach Heimat fahren. Nach Hause.“ Nach Hause ist hier. Heimat (-) für mich ist immer 50

noch die Türkei, obwohl ich knapp dreißig Jahre hier leb. Ja aber, das kann man sich nicht ändern. 51

Das irgendwie, das ist in Menschen in seine Charaktersache drin. Obwohl man versucht. Manche 52

leugnen das immer. Manche versuchen was anderes sein als wie es ist. Ne? Es gibt Leute, die geben 53 sich so an. Aber man muss ehrlich sein. Ich bin ein offener Mensch. Ich sprech alles ganz offen. Alles, 54

was ich fühle, sag ich auch. Was in meinem Herzen ist, ist auch auf meiner Zunge. Das ist eine – so 55

sein. Also ich weiß nicht, das alles muss ich doch sagen, die Kultur ist eine Sache, die man sich lebt. 56

Seine Arten hat. Nach seiner Art. 57

I: Wann sind Sie denn überhaupt nach Deutschland gekommen? 58

BT: Also wie gesagt. (XY) Jahre her. 59

I: Und als was? 60

BT: Ja, ich war in der Türkei (XY). Also hab ich Lehrgymnasium abgeschlossen. Und bin ich wegen 61

politischer Sachen auch nach Deutschland gekommen. Mein Vater war hier arbeiten, arbeiten, 62

arbeiten. Hat mich rübergeholt. Weil damals, ich weiß nicht, ob Sie das wissen, in der Türkei, damals 63

ging her Schießerei und so. Damals also vor zwanzig Jahren um die Zeit. ( - ) war gut. Und dann für 64

eigentlich kurze Zeit bin ich hergekommen für 2 Jahre sollte es sein, aber dann hab ich eine 65

Arbeitsstelle gefunden. Nach eine Jahr oder nach 8 Monaten. 66

I: Aber auch als (XY)? 67

BT: Nein, nein. Als (XY). Konnt‘ ich meine, also obwohl ich meine Unterlagen da waren, aber haben 68

sie nix akzeptiert, nichts anerkennen. Ginge nix. Obwohl nachher hab ich Stunden gemacht in (XY) 69

habe ich (unverständlich1) Lehre gemacht als Fernstudium auch abgeschlossen, aber hat mir nicht 70

viel geholfen. Ja leider. Dann bin ich da geblieben an meine Arbeitsplatz, war ich auch zufrieden. Hab 71

ich gut Geld verdient. Aber auch bis 2000. Dann andere Firma gegangen. Letzte ein Jahre bin ich auch 72 selbstständig jetzt. Auch Firma gegründet. (XY) heißt es. Also meine Branche. Es lief so nicht rosig 73

aber - geht hin und her, he. Ich hab Verantwortung. Hab fünf Kinder. Kleinste ist 1(X), größter 2(X). 74

Ältester, sagen wir mal so. Und die Kinder - also meine große Tochter, die ist jetzt in (XY) auch 75

verheiratet. Die hat auch ´nen Beruf […]. Die zweite als (XY) Ausbildung gemacht und ist auch fertig. 76

Dritte der macht momentan zwei, drei Ausbildungen, abgebrochen, Lehre abgebrochen. Kleinste 77

geht in Gymnasium. Aber man versucht als Elternteil, die Kinder etwas besser zu sein können. Ja jede 78

Eltern möchten seinem Kind eine bessere Zukunft auf jeden Fall. Ist logisch. Ja…das erst mal über die 79

Kultur, dass ich soviel sagen kann. Ich weiß nicht, ob Sie was anderes haben wollten. Können gerne 80

fragen. 81

I: Ja äh, also mir geht’s auch um Kultur – also, wenn man Deutsche nach Kultur fragt, dann verstehen 82

die darunter meistens, was wir halt Hochkultur nennen Theater, Konzerte, Museen. 83

BT: Also, da hab ich ja vorhin. Begriff…Weil was man sich… 84

I: Genau, das ist jetzt aber der andere Teil, den ich auch noch gerne wissen würde. Nehmen Sie das 85

irgendwie an? Gehen Sie in Museen, in Theater? 86

BT: Ins Kino gerne geh ich. Cinemaxx in (XY). Geh ich die Filme, die mir gefällt - also nicht generell 87

ausgewählt. Also check immer so, dass ich immer nur die Filme, die mir - also momentan so Spaß, 88

also besser gesagt, dass ich (-) was davon lernen kann. Letztes Mal war ein Film der 89

(unverständlich1), der lief auch vor ein paar Monate und der war gar nicht schlecht. Kino geh ich. 90

Theater in meiner Jungzeit bin ich gegangen. Also, ich bin jetzt 47 und damals also mit 20 Jahren, 91

wenn man von Schule gekommen ist, Schüler und Kollegen da sind wir hingefahren, also 92

Theaterstücke. Konzert geh ich auch gerne hin. Ich persönlich also. 93

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XX

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I: Würden Sie gerne an mehr Veranstaltungen teilnehmen? Wenn ja,… 94

BT: Welche Veranstaltungen meinen Sie? 95

I: Veranstaltungen, ja kulturelle Veranstaltungen. Wie eben, was weiß ich, Festivals oder andere 96

Konzerte oder Ausstellungen? 97

BT: Ja, Ausstellungen geh ich gern, die mich freuen. Also, die mich interessieren. 98

I: Was müsste da angeboten werden, damit Sie da besonderes Interesse dran hätten? 99

BT: Eigentlich also, ich lese gerne Buch. Also ich lese gerne. Was mit trifft, was Menschen betrifft. 100

Also manche Seele, physisch auch. Das ist Sache in die Hände hab ich das auch. Bevorzugt. 101

I: Und suchen Sie gezielt nach Angeboten, die ´nen Bezug auf Ihre Herkunftskultur haben? 102

BT: Also nicht viel. 103

I: Also, man angenommen es gäbe jetzt – Was hören Sie zum Beispiel an Konzerten? Was gucken Sie 104

sich da an? 105

BT: Ja also. Die Konzerte momentan, wenn ich in Konzerte geh - dann sind das musikalische Konzerte 106

meistens. 107

I: Aber was für Musik? 108

BT: Ah so (lacht). Was für Musik. ( - )Ja, gute Frage. Das ist also Folk. Wenn die Folkmusik – da sagt 109

man auch es gibt auch momentan eine Musikart - ich weiß nicht wie Leute das nennen - zwischen 110

Folkmusik und den Arabics. Oder Freistil. Das kann man so ausdrücken. Freistilmusik. 111

I: Aber was schon irgendwie schon ein bisschen was Arabisches hat? 112

BT: Ja. Das heißt ja hier arabisch. Daher kommt auch Arabics. 113

Y: Das heißt in türkischem Arabics. Also türkische Musik mit arabischen Stil. So gemischte türkische 114

Mix. 115

I: Ok, ok. 116

BT: Das ist eine Freistilmusik. Das ist meistens so. 117

I: Was finden Sie besonders wichtig an Ihrer Herkunftskultur? Möchten Sie alle Traditionen von der 118

Kultur weitergeben an Ihre Familie oder gibt’s irgendwas..? 119

BT: Ah ach so. Das kommt drauf an, welche Tradition sich positiv auf die Leute sich einwirkt. 120

I: Also, was ist denn zum Beispiel positiv? 121

BT: Ja zum Beispiel in der Familie die Verhalten der Kinder. Verhalten, das ist ganz wichtig in unserer 122

Kultur. Zum Beispiel wir haben, wir sind also so erzogen worden von unseren Eltern aus. Man muss 123 die Leute Respekt haben. Respekt haben und respektiert werden. Tolerieren, toleriert werden. Das 124

sind die Sachen, wo meine Kinder auch in seine Familie drauf achten müssen. Also Respekt wichtige 125

Sache ist. Also das unsere Tradition auch ein Stück von unserer Kultur ist. Und das zweite ist auch, 126

unsere wichtigste Tage. Zum Beispiel Feste. Ramadan, Fastenzeit nach der Fastenzeit gibt auch eine 127

Ramadanfest. Und Opferfest zum Beispiel. Die Feste, die auch innerlich Zusammenhang auch 128

familiären Zusammenhalt feiern müssen. Das bildet sie als Wert seine Lebensart, seine Leben 129

bedeuten kann. Es gibt keine Leute, ich weiß nicht, es zwar gibt aber - ohne Glaube man ist bisschen 130

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leer. Ich seh‘ das so. Also ich hab nichts dagegen, gegen Atheisten und so weiter, aber ich seh‘ so, 131

wenn sie das meinen. Man muss auch die Kinder beibringen, seine Lebensart etwas gestalten zu 132

können in Zukunft auch. Das sind meine positive für die Kinder - dass Kinder das zusammen das leben 133

müssen. Also das auch in Zukunft für seine Kinder, für seine Familie mitnehmen soll. Da kann ein 134

andere – mein Kollege kann andere Einstellung haben. Sie können ihn auch fragen. 135

I: Also, im Moment geht’s um Sie. Das ist wichtig erst mal. Die Sprache zum Beispiel auch? 136

BT: Sprache auch. Sprache ist auch wichtig, klar. […] Die Leute, die in Kulturvereine sind. Also, ich bin 137

auch fest davon überzeugt, wenn man seine Muttersprache gut sprechen kann und gut kennt kann 138

auch die andere Fremdsprache. Das ist der Punkt. 139

I: Das ist auf jeden Fall ein Vorteil. 140

BT: Auch, auch. 141

I: (-) Also, ich mein Sie nehmen ja jetzt alle hier an dem Kulturverein teil, aber gibt’s trotzdem 142

irgendwelche kulturellen Ereignisse, Traditionen, die Ihnen hier in Deutschland fehlen? Oder wo Sie 143

sich wünschen würden, dass es die hier auch gäbe? Irgendwelche Feste, oder? 144

BT: Also klar. Also Gesetzgeber soll eigentlich normalerweise, meiner Meinung nach – in Deutschland 145

leben zum Beispiel 3 Millionen Muslime, angenommen. Normalerweise in Holland, in Österreich, in 146

Belgien glaub ich, in paar Ländern werden Festtage zum Beispiel Opferfest Feiertag, wie die 147

Deutschen nennen Zuckerfeier oder Ramadan Fest – normalerweise gesetzliche Feiertag sein soll. 148

Normalerweise. Deshalb glaub ich auch, dass ein(e) Recht(e) sein müsste. Die Holland, Belgien, 149

Österreich, Italien, Frankreich glaub ich schon genehmigt. Und in Deutschland normalerweise sollte 150

eine auch langsam dran denken. Nach meiner Meinung. Ich meine so. Wird zwar dran gearbeitet 151

aber bisher haben sie keine Einigung gekriegt. Wie das sein soll. Es gibt einen Teil von Muslimen, die 152

machen einfach eher, nach arabischer Seite klar daran sich halten. Die machen einen Tag eher. Also 153 wir Türken und die anderen Muslime machen punktgenau nach eine – nicht von Arabien aus – 154

sondern von hier. […] Also aus Arabien ist denn so. Aber hier Türken und viele auch heutzutage gibt 155

auch eine Zeitzone kann man auch ganz genau ausrechnen dann. Danach halten wir uns. 156

I: Möchten Sie die Traditionen Ihrer Kultur Ihres Herkunftslandes auch den anderen Mitbürgern hier 157

vermitteln, also das heißt der deutschen Mehrheitsbevölkerung? 158

BT: Also ich… 159

I: Interessiert Sie das, ob die auch was davon mitkriegen? 160

BT: Das interessiert mich sehr. Ich übertreibe auch dabei. Also ich versuche auch – vorhin hab ich 161

gesagt ich akzeptiere die Kultur von anderen. Ich möchte auch, dass die auch meine Kultur 162

akzeptieren. Also in der Gesellschaft man lebt zusammen. Man muss sich gegenseitig respektieren, 163

tolerieren lassen. Das ist die Punkte, wo man drauf achten muss. Beim Kulturaustausch auch. Zum 164

Beispiel, man kann auch von deutscher Kultur auch was lernen. Die Deutschen können auch von 165

unserer türkischen Kultur auch was lernen. Also, dann nenn ich‘s so Kulturaustausch. Nach 166 (unverständlich1) Art. Zum Beispiel von Deutschen gefällt mir sehr die Disziplin, weil sie sehr 167

diszipliniert sind. Bei uns sagt man sogar, also eine Sprichwort gibt, man muss mit einem Türken 168

anfangen, man muss mit einem Deutschen weitermachen und man muss mit einem Engländer 169

abschließen. Also, das ist in Türkei, Türkemasse fängt man sofort an, aber die Deutschen machen 170

gründlich etwas und machen sie weiter so. Die Engländer sind schlau gewesen. Den Abschluss 171

machen immer sie, immer Engländer. Das ist ein Sprichwort. Deswegen sag ich ja, diese 172

Diszipliniertheit bei den Deutschen ist so immer die Details wissen. Das gefällt mir sehr. Das ist schon 173

ein Teil davon. Aber ich würde von den Deutschen von meiner türkischen Kultur aus Deutschen 174

übergeben, die etwas mächtige Sache, mächtige Seite. Das man etwas offener sei, etwas wärmer. 175

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Das wollt ich. Das man auch die Deutschen – mittlerweile ist schon weit gekommen, aber könnte 176

noch besser sein. Nach 40, nach 50 Jahren schon fast, ne? 177

I: Wie ist das denn? Engagiert sich denn der Verein speziell für den Dialog mit den Mitmenschen? 178

X: Ja. Das ist, also unser Zweck unseres Vereins ist auch deutsch-türkische Kultur - mit den anderen 179

Kulturen auch soll man erreichen. Zum Beispiel wir sind auch eine Dachverein-Mitglied. Darunter 180

befinden sich 63 Kulturvereine. 63. Gibt es was, wo es Veranstaltungen gibt, nehmen wir auch teil. 181

Die laden uns ein. Wir laden sie ein. Und dann machen sie, wie gesagt, unsere Meinungen 182

austauschen über die Zukunft der Gesellschaft. Über die Zukunft der Kinder. Über alle die üblichen 183

Dinge. 184

I: Und jetzt zu RUHR.2010. Also, es wird ja spezielle Programme geben. 185

BT: Kulturhauptstadt. 186

I: Genau, Kulturhauptstadt 2010. Eins gibt’s ja sowieso schon. Ich weiß nicht, ob Sie das alle kennen: 187

MELEZ? 188

BT: MELEZ? 189

I: Das interkulturelle Festival. Das ist zurzeit auch. Morgen vorbei leider schon. Ach so. Genau. Und da 190

gibt’s ´ne ganze Menge Sachen, also auch dieses Jahr waren zum Beispiel Vorträge zur Migration. Der 191

Cem Özdemir, der war zum Beispiel auch da. Haben Sie das mitgekriegt? 192

BT: Ja, hab ich mitgekriegt. Leider ist er ausgemustert worden von seiner Partei. Wie finden Sie das 193

denn? 194

I: Ja, schade. 195

BT: Schade. Wär eigentlich gut gewesen. Von politischer Seite haben wir nicht gleiche Meinung, aber 196

trotzdem also einmal als Migrant hat auch Recht etwas zu erreichen. 197

I: Ja, auf jeden Fall. Ja, dann gibt s natürlich auch noch die literarischen Vorträge. Also LiteraTürk, 198

´ne? 199

BT: Mmhm (zustimmend). 200

I: Interessiert Sie sowas? 201

BT: Bisschen ja. Ja, ich selber bisschen ja. (-)Das ist auch Zeit. Man hat nicht soviel Zeit auch. 202

I: Man hat nicht soviel Zeit zu lesen? 203

BT: Leider, leider. Früher ja, aber mittlerweile man hat andere Sorgen. Hab ich zu ernähren und so 204

weiter. Auch in letzter Zeit war ich auch selbstständig. Das ist mehr stressig. Früher hab ich so 205

gedacht, die Leute, die älter sind, haben‘s viel einfacher. Aber ist nicht so. Ist viel stressiger. Viel 206

Stress dabei, echt. Heute war eine Kurs, an dem ich teilgenommen habe. So Arbeitgeber und da 207

waren auch 12 Leute. Fünf oder sechs waren krank. Müssen sogar irgendwie Therapie nehmen. 208

I: Echt? 209

BT: Ja, echt. Aber lassen wir… Ich hab das all gehört und hab gedacht „Gott sei Dank – Allah“ – hat 210

das wer verstanden. Einen Begriff haben sie gesagt „profault“ – ist so englische Wort, das heißt, man 211

seine Stärken und Schwächen eine Profit herstellen. Also „profault“ haben sie gemacht. Das 212

englische oder „profline“ oder… die Stärken und die Schwächen der Menschen. Und man soll erst 213

mal seine Stärken Vorfahrt geben. Aber wenn die Stärke irgendwann nicht mehr reicht. Das geht bis 214

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an bestimmte Grenze automatisch, man verliert seinen Mut. Dann wie eine Auto gegen eine Wand 215

fährt. Und dann überschlägt sich das. Und mit den Schwächen schafft das nicht jeder Mensch wieder 216

auf die Beine zu kommen. Vielleicht kommt das irgendwann mal. Verstehen Sie, was ich meine? Das 217

ist solche Kurse. Die arbeiten, was soll man dagegen machen kann, wenn man in eine stressige 218

Situation kommt, welche Maßnahme soll man nehmen. 219

I: Würden Sie denn– ich weiß ja nicht. Mal angenommen, das wäre jetzt ein bisschen billiger und so, 220

würden MELEZ-Angebote Sie zum Beispiel ansprechen? Dass Sie dann 221

BT: Also, ich hab, ich weiß nicht viel darüber. Ich weiß nicht viel. Also Details weiß ich nicht. 222

I: Genau also – diese LiteraTürk-Sachen gehören dazu. Es gehören dazu Konzerte, da waren zum 223

Beispiel auch türkische… 224

BT: Wo hat das stattgefunden. Wo war das? 225

I: Oh überall. 226

I: Nee, im Ruhrgebiet. Unterschiedliche Veranstaltungsorte und unterschiedliche Kulturen. 227

BT: Da war ich nicht bei. 228

I: Ja (lacht). Es gab zum Beispiel auch Führungen durch Wohngebiete. Zum Beispiel durch Duisburg 229

Marxloh. Und durch Dortmund Nordstadt. Das war eigentlich auch ganz spannend. Da konnte man 230

sich wirklich auch mit den Menschen unterhalten. Da gab‘s so richtigen Dialog auch. 231

BT: Ist schön. 232

I: Wären Sie an sowas auch interessiert. Vielleicht selber auch so ne Führung zu machen durch so ein 233

Wohngebiet? 234

BT: Ja, wenn sich so eine Möglichkeit ergeben. 235

I: Ok. Und wenn Sie sich selber was an kulturellen Angeboten wünschen könnten für RUHR.2010? 236

Also, dass Sie ´ne bestimmte Gruppe an Musik hätten oder… 237

BT: Ich könnte mir also vorstellen. Ich könnte mir also wünschen, dass unser Verein unser kultureller 238

Austausch einen Stand zu haben - sich präsentieren. 239

I: Ja, jetzt muss man ja sagen. Das dauert ein ganzes Jahr. 240

BT: Ja. Wenn die Möglichkeit besteht, überhaupt sowas zu kriegen, da kann man sich die Leute auch 241

engagieren. Sich dahinstellen und würde auch ein Jahr dauern von uns aus. Das kann man irgendwie 242

koordinieren. 243

I: Das könnte man auch auf verschiedenen Veranstaltungen 244

BT: Vielleicht kann man vom Vater Staat vielleicht was verlangen auch. Die Leute, die da steht. Da 245

gibt es bestimmte Sachen, wo man beantragen kann, dass sie sowas kriegen können. 246

I: Und wenn Sie nochmal so denken, was Sie persönlich an kulturellen Veranstaltungen gerne sehen 247

würden? Irgendwie Tanzensemble oder fällt Ihnen da was ein? 248

BT: Ja, das zieht. Das zieht an, das stimmt. Solche Sachen würd ich auch mitmachen. Aber wie gesagt, 249

aber wie gesagt die Zeit. Es ist nicht soviel Zeit. Also meistens wir sind ganz oft auf Arbeit. Da kannste 250 nix anderes machen. Morgens stehste auf, arbeiten. Abends kommste nach Hause, auch Arbeit, weil 251

als Selbstständiger muss ich meine Kram auch fertig machen muss. Man hat nur Samstag, noch nicht 252

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XXIV

Anhang

mal. Aber Sonntag Zeit. Aber Sonntag gehört auch ein bisschen zur Familie. Deswegen früher hab ich. 253

Also, ich lese ja auch gerne. Ich lese viel. Aber Möglichkeiten müssen erst mal da sein. 254

I: Aber generell ist es schon so, dass Sie es eher nutzen würden, wenn es schon Bezug zur türkischen 255

Kultur hätte? 256

BT: Ja, ja. Da könnte man auch etwas irgendwie – eine Lücke finden, wo was frei ist. 257

I: Ja, ok, brauch ich noch etwas? Demografische Daten - Sie wohnen hier? 258

BT: Ja, in (XY). 259

I: Und sind selbstständig […]. Ja, dann wäre das alles. Also, ich verwende das halt für meine 260

Diplomarbeit. Ich werd die auch durchaus RUHR.2010 geben, damit die gucken können, was sie 261

vielleicht noch anders machen können. Aber es ist jetzt nix Offizielles. 262

BT: Ja, also wie gesagt. Das ist Kultur. Der Schwerpunkt ist ja Kultur, ne? 263

I: Ja. 264

BT: Das trifft auch 2010, wenn Essen Kulturstadt wird. Ist ja auch logisch. Aber wie gesagt, das wäre 265

eine große Erreichung, dass man in der Stadt Essen so einen Stand kriegen könnte, der auch von 266

kulturelle Sachen sich präsentiert. Das wäre ja auch gar nicht schlecht. Das würde auch viel helfen für 267

beide Kulturen. Aber wie gesagt, kulturell - der Nachwuchs – also die Kinder – die leben in einer 268

deutschen Gesellschaft – die haben ganz andere Einstellungen, ganz andere Mentalitäten als wir auf 269

jeden Fall. Ob wir das annehmen wollen oder nicht, aber das ist ´ne Tatsache. Das ist Realität, dass 270

wir damit umgehen müssen, dass unsere Kinder in Zukunft ganz andere Lebensart haben würden wie 271

wir. Hab ich vorhin erwähnt, dass es zum Beispiel bei uns so, wenn ein alter Herr die Wohnung 272 reinkommt, die Kinder stehen auf. Vor Respekt. Heutzutage ist nicht mehr der Fall. Heute ist so wenn 273

Kinder – ich weiß nicht – zu Vater sagt, warum stehste da, was soll ich machen? Man hat noch immer 274

im Hinterkopf meine Vater, meine Eltern sind reingekommen, da muss ich aufstehen vor Respekt. 275

Das war für uns gültig. Das war für unsere Kinder, wir können beibringen. Das war, was hab ich 276

gedacht. Vorher hab ich gesagt unsere Tradition, unsere Sitten, unsere Bräuche, dass man auch 277

weiterleben soll für meine Kinder. Aber ob sie das durchführen oder weitermachen, mittragen 278

können, das ist die zweite Frage. Das sind die Sachen, die unsere Kinder in unsere deutsche 279

Gesellschaft oder sagen deutsche Kultur – also Umwelt ist ganz wichtig für Kinder gerade. Zu Hause 280

mit einem Leben geführt - und draußen auch andere Leben geführt. Die zwei Wege sollen sich nicht 281

überkreuzen. Zusammen harmoniert nicht. Das war das ich gesagt habe. 282

Postskript: 283

In der Unterhaltung mit anderen Vereinsmitgliedern nach dem Interview wird mir ein Flyer von 284

LiteraTürk präsentiert. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die Autoren teilweise unbekannt sind 285

und dass das Programm auf wenig Interesse stößt. 286

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XXV

Anhang

Pretest Interview CT 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 08.11.2008 6

Ort: türkischer Verein 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 44 10

Geschlecht: männlich 11

Beruf: Technischer Beruf 12

Herkunft: Türkei; 2. Generation in Dtschl. 13

14 15

CT: Und was machen Sie hier in (XY)? Studieren oder was? 16

I: Also, das ist so. Ich hab an der Uni ein Seminar gemacht […]. Und zwar zu RUHR.2010. 17

CT: Ah ja. 18

I: Also zur Kulturhauptstadt. 19

CT: Da können Sie auch nach Istanbul kommen. 20

I: Ja, das möchte ich 2010 auch gerne. Und da bin ich auf die Idee gekommen meine Diplomarbeit 21

auch dazu zu schreiben. Ja, und deswegen hab ich mir dann gedacht, ich möchte gerne Menschen 22

mit Migrationshintergrund auch wissen, wie sie die deutsche Kultur annehmen. Was sie dazu 23

wünschen etc. und dazu möchte ich gerne Interviews machen. 24

CT: Kann man machen. Aber der Ansatz ist schon mal falsch. 25

I: Der Ansatz ist falsch. Können Sie gerne sagen, warum. 26

CT: Ihre Alter ist falsch. Der Ansatz, der Gedanke, was Sie machen, ist vielleicht richtig. Die Ansatz, 27

also ich Person und unsere Gesellschaft überwiegend sind eben der Meinung, wir sollen unsere 28

Kultur leben und mit der deutschen Kultur auch zusammenleben. 29

I: Ja. 30

CT: Und die soll nicht in hundert Jahren, in tausend Jahren zugrunde gehen. Und zum Beispiel die 31

deutsche Leitkultur oder so, das verabscheue ich. Das ist Wahnsinn ist das. Und Sie können in Türkei 32

kommen und seit 1000 Jahren - zum Beispiel, hier gibt’s die Kirche, die Gegendemonstration in Köln 33

usw. In Istanbul Sie können Kirche gehen über 1000 Jahre schon. Da sind keine Probleme. Und wir 34

sagen Menschenrechte oder was, beste Menschenrechte gibt’s in Türkei. Bei dem türkischen Volk. 35

Behaupte ich. Warum der Fatisch hat denn Istanbul erobert 1453. Die haben gedacht jetzt werden 36 alle geschlachtet. Weil immer Türken schlecht erzählt wird. Also, der hat gesagt Kinder, der Krieg ist 37

vorbei, alles ist vorbei. Kirchen - was wollt ihr damit machen? Der hat nur eine Kirche zur Moschee 38

umgewandelt und zu den Priestern gesagt: „Ihr könnt eure Religion, ihre Gemeinschaft und alles - 39

wie heißt das – leben, ausleben“. Kein Problem. Keine Eingrenzung. Also, die haben besondere 40

Status, überhaupt die Christen und Armenier. Und nicht Moslems. Die haben einen besonderen 41

Status. Wenn Sie sagen würden, ich bin kein Moslem, schon immer gewesen, ich will meine Religion 42

meine Kultur leben, ok kein Problem, kannste leben. 43

I: Ja, das war nicht immer so, oder? 44

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XXVI

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CT: Es war schon immer so. Krieg ist was anderes. Erzählen Sie mal. Wir haben doch 14 oder 16 oder 45

18 Kreuzzüge gehabt. Wer hat sich denn da gewehrt? Die Türken. Das kann ja nicht so sein. Wenn 46

eine Million Truppen irgendwo hingehen, da muss man sich doch wehren. […] Das ist sehr wichtig. 47

Also die türkischen Männer, die zwischen 20 und 50 sind, also 40-50, die fahren in fort. Die älteren 48 Männer und Frauen, die ganzen Frauen und Kinder, die waren alle zu Hause. Und die wurden von 49

den Armeniern verfolgt und das haben das Osmanische gesehen und haben gesagt, hör mal geht 50

nicht, dann haben die nicht vetrieben. Die wurden in die anderen Punkte hingeschickt. Nach Syrien, 51

nach Libyen, nach Bartum oder ich weiß nicht – Georgien. Und das war, und da sind auch viele 52

umgekommen. Aber nicht erschossen. Um Gottes Willen. Ist nicht viel. Hör mal, ich hab das gehört, 53

ist nicht viel passiert. […] Hier kommen wir zur Sache. Also würde ich mal sagen. Die Sachen, die wir 54

jetzt besprochen haben, sind sehr wichtig, weil der Franzose geht hin und sagt, die Türken haben – 55

wie heißt das, was die Deutschen mit den Juden gemacht haben? – Völkermord. War doch 6 56

Millionen. Oder wie viel das waren. Die sagen, hör mal, habt ihr auch das gleiche mit den Armeniern 57

gehabt. Das stimmt gar nicht, was die erzählen. Die haben Wissenschaftler oder was, und die haben 58 0,0 Ahnung. Die haben irgendwo was geschrieben. Und jetzt sagt der türkische Staat, hör mal, ihr 59

könnt was sagen, aber ihr könnt erst mal Leute holen, unsere Archive gucken und dann könnt ihr was 60

schreiben. Aber mit unseren Wissenschaftlern zusammen. […] Und die machen, ohne was untersucht 61

zu haben, die sagen, habt ihr gemacht. Meine Meinung, die westliche Welt wollen die Türken immer 62

schlecht reden. 63

I: Na ja, die westliche Welt will die ganzen arabischen Länder schlecht reden. 64

CT: Nicht arabische. Man ist gegen die Perser, man ist gegen die Araber ganz andere tolerant. Gegen 65

uns ist das noch strenger. Weil wir immer an der Front waren. […] 66

I: Nein, das glaub ich nicht. 67

CT: […] Wie werden versuchen, nach bestem Wissen und Gewissen Antwort zu geben. Versuchen Sie 68

mal. 69

I: Also, mir wär‘s wichtig, wenn vor allem Sie das jetzt erst mal machen. Also, das ist wichtig, dass erst 70

mal eine Person, so wie Sie das gemacht haben. Dass Sie jetzt erst mal von sich ein bisschen erzählen. 71

Wie verlief denn Ihre persönliche… 72

CT: Das ist so… 73

I: Ja, Momentchen. Migrationsgeschichte. Warum sind Sie nach Deutschland gekommen und wann 74

sind Sie nach Deutschland gekommen? 75

CT: Da kann ich viel erzählen. Meine Eltern, mein Vater sind 19(XY) nach Deutschland gekommen. Zur 76

Arbeit. Und 19(XY) Mama. Und meine dritte Bruder. Und, ich war in dieser Zeit noch in der Türkei. Ich 77

bin 1964 geboren. Ich war in dieser Zeit auf der Schule. Und dann Vater hat mich gewartet, bis ich die 78

türkische Grundschule beendet habe. Das war dann 1976 August/Juli. Hab ich Schule beendet. Die 79

fünfte Schuljahr. Hab ich Abschlusszeugnis bekommen. Türkei damals war ja fünf Jahre Schulpflicht. 80

So, und dann bin ich nach Deutschland gekommen am 19. Oktober. Oktober 76. Dann kam ich in die 81

Schule. Erst mal türkische Schule damals. Also Mittelschule. Erste Schuljahr, also erste Jahr, ne? Also, 82

beziehungsweise 6. hier in Deutschland. Aber alles in Deutschland. In (XY). Mit Auto Deutschland 83

gekommen. Nicht mit dem Flugzeug. Ja, und dann hab ich ein Jahr lang hab ich türkisch nur Schule 84 gemacht. Und dann zweite Jahr ich hatte kein Bock mehr gehabt irgendwie. Dann bin ich auf meine 85

eigene Verantwortung auf deutsche Schule gewechselt. 7. Schuljahr. Und Vater war – nicht erstaunt, 86

aber der hat gesagt, ja mach mal wie du es für richtig hältst. Da war ich 12 Jahre. Hab ich auch 87

gemacht. Und ich war in meiner Klasse, der – als einziger Türke, Migrant, damals. Ich konnte nicht so 88

viel deutsch. Manchmal haben sie gelacht oder so. Aber sie haben mich aufgenommen. Also meine 89

Kollegen. Wir sehen uns ab und zu mal immer noch. Nach 25 Jahren. Deutsche Kollegen, 90

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XXVII

Anhang

Schulkollegen. Die haben – ich kann, ich kann jetzt was sagen dazu. Bei meiner Abschlussprüfung, da 91

haben mir meine Kollegen geholfen. Die haben Lehrer erpresst, unsere Klassenlehrer (lacht). Ja, ich 92

sag euch. Und dann hab ich siebte, achte Schuljahr alleine – ich konnte nicht so viel deutsch, 93

überhaupt nicht war so schlimm. Aber der Lehrer war, der Klassenlehrer hat einfach mich gezogen. 94 Und damals war das ja neunte Schuljahr und dann ist ja Schluss, ne? Haben die immer mitgeholfen. 95

So. Ich hab wirklich geschafft. Aber im neunten Schuljahr kamen nochmal drei Türken hinzu in unsere 96

Klasse. Da war unsere Klasse zweispaltig. Erst mal 99,9 Prozent waren erst mal für mich, weil ich da ja 97

schon eingelebt hatte in Klasse. Und die waren erst mal neu. Erst mal abstoßen. Ja mit der Zeit haben 98

die auch aufgenommen. Ich mein, ich kannte die ja. Ich kenn die auch immer noch heute. […] Und 99

dann hab ich angefangen mit der Ausbildung. Und Bewerbung konnt‘ ich ja nicht. Unsere Lehrerin hat 100

uns geholfen. Ich habe zwei Bewerbungen geschrieben. Alle haben haben 200 oder 100 oder 50 101

geschrieben. Ich habe nur zwei. Einmal, wo mein Vater arbeitet. Und einmal andere Firma. (XY) Ich 102

bin schon 15 Jahre alt, ne? Und beide haben sie mich übernommen. Wo mein Vater ist als (XY). Da 103

hätt‘ ich hier im Bergbau in (XY) arbeiten müssen. Und die andere Firma heißt (XY). Haste schon mal 104 was gehört? Es gibt hier Bagger. Es gibt hier draußen Bagger. Diese Firma hat Bagger hergestellt. Und 105

da, die haben mich übernommen. Aber mit Einstellungstest. Und das war 3 Uhr. Viertel nach drei bis 106

viertel nach sieben. Vier Stunden Einstellungstest hab ich gemacht. Für Ausbildung. Mathe und alles, 107

alles. Geschichte, Allgemeinwissen. Ja, und dann haben die gesagt, haben die mich gerufen mit Vater 108

zusammen: „Ja, wir würden ihren Sohn gerne übernehmen.“ Mein Vater war, ich war top glücklich, 109

ne? Und dann war ich, ist wegen der Gesundheit, musst ich ´nen Gesundheitscheck machen. Der Arzt 110

hat untersucht und hat gesagt deine Beine ist nicht so schön. Für – weil du musst hier bis zu deinem 111

65. oder 60. Lebensjahr stehen bleiben. Das ist nicht gut für deinen Körper. Soll ich was anderes 112

machen. […] So, da Abschlussprüfung gemacht. Wunderbar, aber was hab ich denn in der Zeit noch 113 gemacht. Ich hab Abendschule gemacht, ich hab Englisch gemacht, ich hab 10B gemacht mit meinen 114

Kollegen. Und das hab ich auch geschafft. Also 19(XY) Abschlussprüfung gemacht. Ich hab mit drei 115

und zwei bestanden. War toll. Als (XY). Und heute bin ich immer noch […]. Und natürlich ich bin 116

glücklich darüber, was ich alles gelernt habe. Und auch meine Ausbildung, meine Ausbilder waren 117

toll. Wenn ich so in meine jungen Jahre zurückblicke, da hat man in seiner Zeit ganz anders beurteilt. 118

Und wenn ich heute beurteile, das war schon alles korrekt. […] Damals war auch dieser Verein. Aber 119

in (XY). Da wurde ich auch großgezogen in unsere Kultur-Ideale, unsere Denkweise. Man hat hier mit 120

geformt, sag ich mal. Heute versuchen wir auch, dass türkische Kultur, Religion das alles Umgebung 121

versuchen wir an unsere Kinder weiterzugeben. Aber in sich mit der Gesellschaft hier 122

zusammenzuleben. Da war damals dieser auch schon Kulturverein. So, und die waren auch da, zum 123 Beispiel bei der Abschlussprüfung. Ich wollt ja ein Geschenk machen an meinen Ausbilder. Da hab ich 124

die gefragt: „Was soll ich denn machen?“ Ja, das Beste ist, Wissentliches an deinen Lehrer 125

weiterzugeben. Als Geschenk. Hab ich auch gemacht. Drei, vier Bücher hab ich gekauft. Damals 126

kostete es bestimmt 120 DM. Sechs, sieben oder acht Bücher. Ich hab sofort 120 Mark raus, ne? Und 127

man hat, der Verkäufer hat gesagt: „Wir nehmen 60.“- „Und die 60? 60, ja warum denn?“ Der hat 128

auch bei (X) gearbeitet. „Ja“, sagt er, „wenn du einer von den Moslems hier, dann kriegst du natürlich 129

alle sevaps. Ich will davon die Hälfte haben.“ Es ist ja so. Es gibt da eine Sünde in unserem Glauben, 130

auch im Christentum und auch was Gutes. Dass man in den Himmel kommt. Paradies, ja in Ihrem 131

Sinne Himmel. Und es war ja so der Gedanke, dass durch diese Geschenke, wenn einer von diesen 132

Menschen sich an den Islam gebunden oder übertreten würde oder könnten. Und wenn ich dann 133 dazu leiten könnte oder diese Bücher beitragen zu können. Dann hätten wir diese (-) sevap, also 134

diese Guttuung hätten wir das zweigeteilt. Eine Hälfte er, eine Hälfte ich. Weil er gesagt hat, die 60 135

DM nehm ich nicht mehr. Das ist von mir. Na gut. Haben wir auch hingekriegt. Alles geschafft. Die 136

haben sich auch gefreut. Ich hab mich auch gefreut. Und dann war ich in der Türkei (XY) nochmal. 137

Und dann bin ich verheiratet. In der Zeit hab ich- so (XY) – Mai so ungefähr – mich verlobt. Mit (XY) 138

geheiratet. Ach so, warum? Es ist ja so, ich lebte hier. Acht Jahre schon. Aber warum eine Frau aus 139

der Türkei? Ganz einfach. Meine Frau ist unsere Verwandte. Nicht eng Verwandte. Weit weg. Wir 140

waren zusammen in der Schule fünf Jahre lang. Sind wir zusammen gesessen und alles. Also unsere 141

Kindheit war ja viel zusammen. Wir kannten uns schon vorher. Und deswegen war das absolut kein 142

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XXVIII

Anhang

Problem. Und deswegen, ich bin verheiratet nach Deutschland gekommen. Das schlimme Gesetz in 143

Deutschland - ich durfte meine Frau nicht mit hierein holen. Familienzusammenführung. Das 144

Schlimmste ist, wenn man neu verheiratet ist, dass die Menschen sofort auseinander bleiben 145

müssen. Die Gedanke ist nicht korrekt. Ach so. Für mich war das ein Jahr, weißte warum? Weil ich 146 lebte schon (XY) Jahre hier. […] Ich hab vier Kinder, die haben alle Schule, Ausbildung. Der Kleinste ist 147

[…]. Und so weiter. Also, was hab ich in der Zeit gemacht? Ich war in (XY). Dann haben wir viel 148

Kaffeehaus gegangen. Das ist nicht Gutes. Türkische Teestube. Dann haben wir uns gesessen, weil 149

diese Verein gab‘s ja nicht damals. Was machen wir denn? Wir machen uns eine 150

Beschäftigungstherapie. Was denn? Ja, wir gehen zu Meisterschule. Wir sind vier Kollegen aus (XY) 151

und einer aus (XY) oder zwei. Sind wir zur Abendschule gegangen neben der Arbeit. Und das hat 152

geklappt. Also zwei Jahre. 19(XY). Und dann hat auch richtig Asche gekostet. Bis (XY) hab ich dann 153

noch weiter gemacht. Nochmal Abend. Fünf Jahre. Ich hab dann den Meister und Techniker gemacht. 154

Und so weiter. Und (XY) haben wir dann diesen Verein gegründet. Haben wir viel zusammen erlebt 155

und geschafft. […] 156

157

Ja, und wir sind in der Gesellschaft bekannt – türkische Gesellschaft. […] Hat geklappt alles. Ich bin – 158

ah so – zu meinen heutigen Tätigkeiten. Durch diesen Meisterbrief und die Technikerausbildung - hab 159

ich immer (XY) gemacht und dann zwischendurch hab ich zu Chef gesagt: „Will ich mal mit Ihnen 160

reden über meine Zukunft.“ – „Was soll das Herr X? Natürlich möchte ich darüber reden.“ - „Ja ich 161

brauch aber dafür gesonderte Zeit. Nicht 5 Minuten. So halbe Stunde brauch ich ja.“- „Ja, kommen 162 Sie mal um diese Zeit.“ Hab ich meine ganze Mappe mitgenommen. War ich dann da oben. Und dann 163

hab gefragt: „Herr X, was haben Sie denn gemacht? Waren Sie nicht bei uns beschäftigt?“ Er sagte 164

ehrlich: „Waren Sie nicht bei uns beschäftigt?“ Ich sagte: „Ja.“- „Aber wie haben Sie das denn 165

gemacht?“ – „Ja, Abendschule“. – „Hat da ihre Frau mitgespielt? Ich dachte Sie haben doch vier 166

Kinder. Wir haben so hingekriegt alles?“ – „Ja, ich sach fünf Jahre lang.“ Immerhin. Und schön 167

bezahlt. „Herr X Hochachtung vor Ihre Frau und vor Sie. Aber vor allem vor Ihrer Frau.“ Hat er gesagt 168

– muss ich ehrlich sagen – hat er gesagt: „Also mit vier Kinder, dass sie das mitgemacht hat fünf Jahre 169

lang ist nicht jedermanns Sache.“ Sagt er: „Ich werd mir das merken.“ Hör mal, nach drei, vier 170

Monaten ich arbeite da an der Maschine. Das war ungefähr 19(XY), 19(XY) hat er gesagt: „Kommen 171

Sie mal.“ Dann gingen wir zur Abnahmestelle und sagte zu Kollegen: „Herr X lernen Sie an jetzt.“ Dass 172 ich lerne. Ist leichterer Job. Verantwortung. Sehr große Verantwortung. Aber nicht in der Produktion 173

halt, Kontrolle ne? […] Und jetzt nach Jahren. Die (XY)abteilung haben sie mich jetzt übernommen. 174

Offiziell. Offiziell unterschrieben. Ich bin jetzt der offizielle (XY). Und äh, ich bin jetzt bei meiner 175

Arbeit also sehr glücklich. Ich mag meine Arbeit. Ich kenn meine Arbeit. Ich versuch sie mit meinem 176

besten Wissen und Gewissen zu machen. […] Und ich muss sagen, hier fühlt man sich noch wohler. 177

Weil hier türkische Gesellschaft ist. Da sind sehr viele Türken da. Es ist doch schwierig. Man gehört 178

hierhin. Auch hier die Straßen und so, man kennt das. Und wenn man an neue Stelle ist, der Mensch 179

ist etwas abstoßend. Man ist zuhause. Das kann auch mit dem Alter zusammenhängen. Also, (-) 180

meine Kollegen aus (XY) besuch ich immer noch. 1997 oder 93 oder was. Ich wollte wieder nach (XY) 181

zurück. Wann war das. Irgendwie (XY) oder was. Ich bin - obwohl hier sehr viel gesagt wird über 182 Türken. Wir sind sehr große Demokraten. Glauben Sie mir. In meine Familie. Es ist aber wirklich so. 183

Ich wollte nach (XY). Aber bevor ich das tue, ich hole meine Frau und meine Kinder. Dann haben wir 184

uns zusammengesetzt. Und hab gesagt. Ich will nach (XY). Was sagt ihr denn dazu? Meine Frau sagte: 185

„Ich weiß nicht, fragen wir mal Kinder.“ Und gucken, was die sagen und dementsprechend handeln 186

wir. Ok Kinder gesagt, die haben gesagt: „Ok, wir bleiben in (XY).“ Ich sag: „Mama, was sagst du 187

denn?“ Sie sagt, „hör mal Papa, ich bin doch da, wo die Kinder sind. Was anderes interessiert mich 188

nicht.“ Hör mal, haben sie mich überstimmt. Ich wollte wirklich nach (XY). Weil da war ja diese Haus. 189

Nicht Gemeinschaft […] Ich bin doch froh hierhin zu geblieben. Man hat hier seine eigene Clique oder 190

Gesellschaft gegründet. In den Moscheen kennt man sich, weil wir auch durch den Verein. Wir haben 191 auch deutsche Freunde. Auch arabische. Ich hab in halbwegs arabische Nachbarn gehabt. Sehr 192

hilfreich. […] Es wurde in Deutschland türkische Gemeinde gegründet. Haben Sie mitgekriegt 193

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XXIX

Anhang

bestimmt. Türkische Gemeinde. Hier in (XY) haben wir mitgewirkt. Auch um das zu gründen. Auch als 194

Verein, nicht als Person. Und dieser Doktor (unverständlich1) geh ich ja immer hin. Nummer eins und 195

Nummer zwei. Wir haben hier Immigranten – Verbund. Wir haben diesen Immigranten, 196

Ausländerbeirat. Der Kollege ist dafür zuständig. In unserem Verein. Ich bin nicht offiziell. Ich bin in 197 eine Kommission da drin. Und wir gehen immer dahin. […] Die haben zum Beispiel, die 198

Landesregierung, das Kultusministerium, die haben irgendwie über den Islam so‘n hundertseitiges 199

Buch gemacht. Den hab ich an unsere Volksschule gegeben als Information. Den hab ich ausgedruckt. 200

Hab ich dem Vorsitzenden auch gegeben. Damit er sich auch ein bisschen damit beschäftigt. Also auf 201

jeden Fall. Da sind wir auch da drin. Dann gibt’s natürlich - wie heißt das? – den Migranten-202

Dachverein. Da sind wir auch drin. In (XY), ne? Wir haben in einige Parteien uns verteilt um die 203

Gestalt über die Migranten mitzuwirken. Es gibt bei den Politikern immer noch Vorurteile. Die haben 204

immer noch Angst. Also, das ist meine Meinung. Vielleicht könnte das jetzt in Zukunft - in naher 205

Zukunft besser werden. Sollte es besser. 206

[…] 207

I: So, ich mach mal weiter mit meinen Fragen. Da Sie hier so lange jetzt schon leben. Fühlen Sie sich 208

denn trotzdem irgendwie als Deutscher oder nicht? 209

CT: Nicht als Deutscher. Aber ich fühl mich hier wohl auf jeden Fall. Auch in Türkei. Ich würde gerne 210

in Türkei zurückkehren, aber der soziale Status, nicht (-) die soziale Sicherheit. Es gibt im Sozialen viel. 211

Zum Beispiel. Zum Beispiel. Wenn man krank ist. Krankenkasse und so was. Das spielt alles eine Rolle. 212

Aufgrund dessen sagt man, man fühlt sich hier wohler. Besser aufgehoben. Weil ich bin ja ein Glied 213 von dieser Gesellschaft. Ich mach ja das alles mit. Deswegen ich fühl mich hier besser aufgehoben als 214

in der Türkei. 215

I: Aber Ihre Heimat ist trotzdem die Türkei? 216

CT: Ja logisch, weil ich bin ja dort aufgewachsen. Und wenn ich hier in mein Dorf geh, dann ist 217

genauso alles. Ich mein hier in (XY) genauso. Aber unsere Wurzeln stammen ja daraus. Ja, das ist - 218

man kann nicht wegschmeißen. Wenn ich das sagen würde, dann würde ich Sie anlügen. Und das ist 219

nicht Menschenverstand. Ich kann nicht von mir was rausschmeißen. Geht nicht. […] Das beste 220

Beispiel. Ich bin ja schon immer mit Auto nach Türkei und wieder zurückgefahren. 221

I: Immer noch? 222

CT: Immer noch ja. Sobald man in Österreich ist, dann fühlt man sich wohler. Wenn etwas ist, dann 223

ist man als Deutscher – sprechen Deutsch, ne. Ja ehrlich. Ja, und wenn man in Deutschland ist. Oh 224

kann mir nichts mehr passieren. Ja, so fühlt man sich. Und wenn man, wie er das sagte in (XY), ohh, 225

ist man happy man ist zu Hause. Dann ist es in der Tat so. Das ist auch eine Seite. Also Türkei in dieser 226 Hinsicht. Zwei Sachen. Und wenn Sie das gleiche Frage an meine Kinder sagen. Also das (-) ist anders. 227

Sie müssten an für sich hier noch aufschreiben. Ich hab den interviewt türkische Migranten. Zweite 228

Generation. Das ist sehr wichtig. Wenn Sie das gleiche Frage an meine Vater fragen, da kriegen Sie 229

bestimmt andere Antwort. Und wenn Sie meine Kinder fragen, kriegen Sie andere Antwort. Ne, also 230

es ist wichtig, ja? Ok, bitte schön. 231

I: Das ist jetzt vielleicht ´ne Frage, die ein bisschen schwieriger ist. Was denken Sie denn, wie sich die 232

Kultur Ihres Herkunftslandes von der deutschen Kultur unterscheidet? 233

CT: Oh (überlegt). Schwierige Frage. 234

I: Oder was ist so das Prägnanteste? 235

CT: Unsere Kultur ist eine Gesamtheit. Und diese Gesamtheit ist auch ein Teil Religion, der viel 236

ausgeprägter ist. So wie ich aufgewachsen bin. Die werten das anders. Die machen das alles 237

beruhter. (unverständlich2) Und (-) die Verhaltensweisen des Menschen sind anders. Auf jeden Fall. 238

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XXX

Anhang

Vielleicht mag das sein, dass das vor hundert Jahren hier in Deutschland genauso war. Da waren aber 239

unsere Verhältnisse ganz anders. Im Fernsehen wird immer gesagt, die Brücke zwischen Orient und 240

Okzident ist die Türkei. Es ist tatsächlich Türkei und Griechenland. […] Weil Türken ist zwischen 241

Westen und Osten. Sind ja 2000km. Deswegen ist es sehr schwierig. Religion. Ok, das war schwierig, 242

ich konnte nicht, ich weiß nicht. 243

I: Ist schon ok. Dann geht’s weiter? Was ist Ihnen an Ihrer Herkunftskultur besonders wichtig? Was 244

möchten Sie an Ihre Familie auch weitergeben? 245

CT: Oh, was für mich sehr wichtig ist, Kultur von der Herkunft - unsere Sprache pflegen. Weil ich seh‘ 246

das an meine Kinder. Da wird Türkisch übersprochen und Deutsch übergangen. Und das hasse ich. 247

Das hasse ich. Ich als Person. Ich hab hier in diesem Gremium in diesem Verein hab ich mitgekriegt, 248 man kann überleben, wenn man seine Sprache behält. Wie kann man seine Sprache behalten? Indem 249

man sie spricht. Wenn man eine Sprache nicht spricht, dann wird das wie Lateinisch. Wir sind ja keine 250

Europäer, dann ist das alles weg – pfutsch. Und deswegen als Türke leben zu können, und auch mit 251

den Deutschen zusammen, und wenn man mit türkische Sprache hierherkommt. (unverständlich2). 252

Und in diesem Fall, da bin ich streng. Versuch aber. Ich kann mich nicht, ich versuch aber das Beste. 253

[…] 254

I: Und was schätzen Sie an der deutschen Kultur? Wenn man so an das kulturelle Angebot denkt? 255

Was irgendwie Theater, Konzerte, Musik, Kino bis zu Straßenfesten. 256

CT: Ich bewundere die Deutschen nach dem Krieg, dem zweiten Weltkrieg. Was als erstes aufgebaut 257

wurde, sind die Theater und Kinos. Also dieses Kulturleben und das fand ich korrekt. Und die 258

Gesellschaft heute betrachtet, diese Disziplin, das find ich toll. Das hab ich hier in meine Leib und 259

Seele erlebt. Wo ich Ausbildung gemacht habe. Da war ja meine (unverständlich1) dabei. Zwei, drei 260

Stück. Und dann meine Maschine, wo meine Werkzeuge alles war, da kam der, hat der so geguckt, 261

schaff in deine Leben erst mal Ordnung, dann komm ich um dir zu helfen. Ja, wie denn? Ja, mach das 262

erst mal alles in Ordnung. Und das hab ich also bei Leib und Seele erlebt. Und wenn ich jetzt 263

betrachte, ist das toll. Ist wirklich. In seinem Leben Ordnung zu haben, das ist sehr wichtig. Das 264

versuch ich auch an meine Kinder weiterzugeben. Das beste Beispiel das hab ich ja von einem 265 Deutschen übernommen. Und das heißt gute Sachen, menschliche Sachen, da sollte man auf jeden 266

Fall auch voneinander. Also wir können von den Deutschen was lernen, die können von uns was 267

lernen. 268

I: Und wie ist das so - nutzen Sie denn die Kultur hier? Gehen Sie selber auch in… 269

CT: Kinos ja. Aber Theater. Also zu Hause gern. Fernsehen. Aber nicht wo, wo (unverständlich1) also 270

nicht diese Stefan Raab oder so. Ich gucke Westdeutsche Rundfunk oder so. Gutes deutsch. 271 Unterhaltung. Theaterstück und so. Sowas seh‘ ich gerne. (unverständlich1) Also Theater bin ich 272

schon mal gewesen aber 273

I: Museen oder sowas? 274

CT: Ja, von unseren Kulturen war ich. Aber nicht. Zoo war ich auch schon mal. 275

I: Konzerte auch? 276

CT: Doch türkische. Es kann sein. Es ist ein besonderer Fall. Weil ich hier […] Es mag sein, es kann ein 277

besonderer Fall sein, weil ich hier lebe und weil ich - so wie der Deutsche sagte - Leitkultur, da bin ich 278

auch eine Leitmensch hier. Ich muss meine ganze Familienleben als Person, ich muss dafür Beispiel 279

sein. Und deswegen ich muss sehr aufpassen in meine Verhaltensweisen. Auch wenn ich nicht mehr 280

[…]. Überhaupt nicht mehr. Aber man sagt hier, X ist schon 15/20 Jahre hier. Und erst die Leute. 281

Wenn hier 50 Leute sind und wenn eine Person hervorsteht, die müssen aufpassen. Wegen die 282

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XXXI

Anhang

nachkommende Leute. Wenn der so lange hier ist, dann ist das auch kein Problem. Also in dieser 283

Hinsicht. Versuchen wir weiter. 284

I: Zum Beispiel mit so türkischen Konzerten. Suchen Sie da gezielt auch nach Angeboten? 285

CT: Ja, jaja. Ziel und Zweck Kultur zu erleben. Anatolische, wenn irgendwas gibt, dann versuchen wir 286

mit ganzer Familie dahin zu gehen. 287

I: Und wie erfahren Sie davon? 288

CT: Ach, Medien und man macht Plakat. Türkische Zeitung. Deutsche Zeitung eher nicht. Aber ist ja 289 unwichtig. Wenn 10 Millionen steht oder ich weiß nicht, wie viel die Bildzeitung druckt, aber sowas 290

nehmen die ja nicht auf. (lacht) Obwohl ich sehr gerne Bildzeitung lese, aber nicht um Meinung zu 291

bilden. Nur was die sagt. Um Gottes Willen. Um Meinung zu bilden muss man WAZ oder Frankfurter 292

Allgemeine oder so. Also ich bin sehr gerne – Zeitschriftenleser. Sehr gerne. Weiter. Da kommen wir 293

noch hinzu. Also, da könnten sie fragen. 294

I: Gibt es in Ihrem Herkunftsland oder aus Ihrem Herkunftsland kulturelle Ereignisse oder 295

irgendwelche Traditionen, irgendwelche Sitten, die Sie hier in Deutschland vermissen? 296

CT: Ja, muss ich ein bisschen noch überlegen, was gibt’s denn? ( - ) Zuckerfest, Schlachtfest, Opferfest 297

heißt das. Am 29. Oktober ist die Gründung der Türkei. Das beste Beispiel in der Welt ist die Türkei. 298

Es gibt zweihundert Staaten in der Welt. In diesen zweihundert Staaten gibt’s nur in der Türkei eine 299

Feier für Kinder. Das nennt sich das - 23. April. Da ist dann zu, alles. Aber alles zu. In Türkei feiert man 300

das. Hier versuchen das manche Vereine, Kulturvereine oder Elternvereine versuchen sowas zu 301

erleben. Und zu richten. Aber ist sehr schlecht. Sowas fehlt uns. Und sehr wichtig, was meine 302

Kollegen gesagt haben. Dass die Menschen früher vor zwanzig Jahren unsere Eltern haben viel 303

zueinander gefahren. Die haben Sehnsucht gehabt. Und jetzt ist das alles weg. Man ist auf sich 304

alleine gestellt. Man macht hier Besuch sehr wenig. So, weiter bitte. 305

I: Weiter. Möchten Sie Ihre Kultur, Teile Ihrer Kultur auch anderen Mitbürgern vermitteln? Das, was 306

die türkische Kultur ist, möchten Sie das den Deutschen irgendwie zeigen? 307

CT: Zeigen ja. Aber bitte nicht Eindruck erwecken, dass die Menschen anders werden sollen. Nein. 308

I: Nee, aber es könnte ja sein, dass Deutsche auch Spaß dran hätten. 309

CT: Ich glaube, weil ich hier lebe. Wir sind ein Teil von dieser Gesellschaft. Und auch unsere Kultur ist 310

eine Bereicherung für diese Gesellschaft. Wir können in Deutschland, die ganze Wirtschaft das 311

Kulturleben davon nur profitieren. Diese Ansicht sehen nicht viele so. Also es gibt auch einige, die das 312

nicht so sehen. Aber ich finde, wir sind eine Bereicherung für deutsche Gesellschaft und Wirtschaft 313

und alles zusammen und natürlich, wenn die sehen wollen, dann versuchen die. Wir machen, zum 314

Beispiel, wir haben zum Beispiel mal gefragt gehabt Türkentag in Essen. Da wollten wir unsere Kultur, 315

wie wir leben – so auf Straßenfest – mal zeigen. Straßenfest. Aber wir wollen ganz groß machen. 316

Ganz deutschland weit. 317

I: Aber das hat nicht geklappt? 318

CT: Ja, das ist eine große Organisation. Wir sind gerade mal zwei, drei Leute. Finanziell ist sehr 319

schwierig. Und sowas können wir ja nicht auf die Beine stellen. 320

I: Aber wenn jetzt, wenn die Kulturhauptstadt ist, da ist ja womöglich auch Geld da… 321

CT: Ja. So wie ein Straßenfest, ne? Wie heißt das in Berlin diese komische – Berliner Parade? 322

I:Karneval der Kulturen? Die Love Parade? 323

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XXXII

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CT: Ja. Kulturparade. Also, es gibt sehr vieles, was die deutsche Gesellschaft. (-) Diese Gedankengut – 324

früher oder später werden wir das schaffen. Das haben wir im Hinterkopf. Wenn wir Geld haben 325

heißt das. Bitte. 326

I: Sind Sie selbst irgendwie beteiligt an kulturellen Aktivitäten? Also sind Sie in irgend ‘ner Weise 327

künstlerisch aktiv oder so? 328

CT: (-) - künstlerisch nicht, aber wie gesagt, ich bin viel leserisch. Sie können meinen Kollegen fragen. 329

Erst mal kann der das bestätigen. Der hat schon mal mein Schlafzimmer gesehen. Das war kein 330

Schlafzimmer. Sag mal, was du gesagt hast! 331

Y: […] Erst mal geht der in seine Schlafzimmer um zu gucken, was da los ist. Erst mal sagt er zu seiner 332

Frau, wo schläft ihr denn überhaupt? Weil überall Bücher, weil gerade so Leute reinpassen. 333

X: Ja, heute immer noch. 334

I: Aber Sie lesen eher deutsche oder eher türkische Bücher? 335

CT: Beides. Also Information ist deutsch. Das heißt Zeitung. Also Zeitschriften, also Computer, die 336

WAZ, Bild und sowas. Und dann noch Zeitschriften so wie Test oder was anderes. Also immer viel 337 Deutsch in dieser Hinsicht. Auch schon mal deutsche Bücher. Wie zum Beispiel Biographie über 338

unseren Prophet. Ich will nämlich sehen, wie die Deutschen unseren Prophet beschreiben. Das ist mir 339

sehr wichtig. Ich hab nämlich Angst, wenn eine Deutsche oder nicht nur Deutsche, auch Europäer, 340

wenn über unsere Region, unsere Vorzeigepersonen gesprochen wird – Prophet, können auch 341

andere Personen sein, wie er das liest. Darum geht‘s mir. Bitte schön. Beides, beides. 342

I: Haben Sie von MELEZ gehört? 343

CT: MELEZ? 344

I: MELEZ, das interkulturelle Festival, das war gerade. 345

CT: Hab ich schon mal gehört. 346

I: Haben Sie schon mal gehört. Aber da waren Sie nicht da? 347

CT: Nein. 348

I: Also, ich stell das nochmal ganz kurz vor. Da gab es verschiedene Sachen. Und zwar gab es 349

Literatürk. Davon haben Sie schon mal gehört? 350

CT: Ja. 351

I: Aber da waren Sie nicht? 352

CT: Nein. 353

I: Also, da war z.B. – ich sprech das jetzt wahrscheinlich falsch aus – der Murathan Mungan. Asli 354

Erdogan? 355

CT: Hab ich auch gehört ja. 356

I: Also, das sind wichtige literarische Leute. Also, die haben da z.B. was gemacht. Dann gab es 357

integrationspolitische Vorträge. Die Rita Süssmuth war da - die hat über Migration und Integration 358

gesprochen. Der Cem Özdemir, der war ja auch da. 359

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XXXIII

Anhang

CT: Obwohl ich von dem als Person nicht viel halte. Seine Weltanschauung ist falsch. Nein, es geht 360

darum, er kann ja politisch richtig sein, aber meine Betrachtung ist als Mensch, er muss als Mensch 361

für mich was tun in Deutschland. Und er sagt, der (XY) ist mir egal. Er macht irgendwie allgemein für 362

sich. Und das, ich sag mal türkische Gedankengut, Kultur zertretet er. Und das -empfinde ich von ihm. 363 Deswegen mag ich den nicht. Als Person. Seine Weltanschauung nicht. Als Person, weil ich hab den 364

nie kennengelernt, ne. 365

I: Der hat zum Beispiel auch sein neues Buch vorgestellt. 366

BT: […] Worum ging es da? 367

I: Es ging um Geschichten von Leuten, die er so kennt. Also Geschichten, die sie in der Türkei erlebt 368

haben, die sie hier erleben. 369

BT: Negativ wahrscheinlich. 370

I: Nö, eigentlich auch schon durchaus auch positiv und zum Teil auch schon ziemlich lustig. Aber das 371

ist eigentlich eher ein Jugendbuch. Darüberhinaus gab‘s zum Beispiel noch MELEZ in Love das war so 372

´n großes… 373

BT: Ja. 374

I: Davon haben Sie gehört? Da war so ´n Popkonzert. 375

CT: Also ich. Halt stopp. Ich höre viel Radio, wenn ich unterwegs war. Früher hab ich viel Musik 376

gehört. Heute, seit ein paar Jahren. Wenn ich Auto, mach ich immer Radio an. Mach ich gerne. Also 377

ich bin informationshungrig. Ich weiß es nicht warum. Aber deutsch. Türkisch auch aber gibt’s ja 378

wenig. Ist ja logisch, was hier abläuft. Vor allem das Essener Radio. Hör ich gerne. […] 379

I: Dann gab‘s noch zum Beispiel das MELEZ.Labor. Das war noch so, dass man da mitmachen konnte 380

und durch Wohnviertel geführt wurde. Die haben da verschiedene Führungen angeboten, zum Teil 381

die Leute, die da wohnen. Also, es war einmal Duisburg Marxloh und das andere Mal war das 382 Dortmund Nordstadt. Da haben die Leute ein bisschen rumgeführt. Ich war zum Beispiel mit in 383

Marxloh in der Moschee. 384

CT: Ja. 385

I: Superschön. 386

CT: Ne Bereicherung ne? 387

I: Ja. Auf jeden Fall. Und da wurden wirklich Leute, die sich dafür interessiert haben, wurden da 388

rumgeführt. Mich würd jetzt interessieren, ob Sie, was ich Ihnen gerade so vorgestellt habe, ob Sie 389

das interessant finden? Ob Sie sich vorstellen können sowas in Zukunft vielleicht unter RUHR.2010 390

das dann auch anzunehmen? 391

CT: Natürlich, weil - wie gesagt. Wenn jetzt die Ruhr 10 nach Essen kommt oder nach Ruhr. Der 392

Blickpunkt ist auf jeden Fall in Essen. Und dann - sind wir wieder eine Bereicherung für die Stadt 393

Essen. Sowas in dieser Hinsicht. Das kann nur Gutes heißen. Deswegen ich würd das akzeptieren und 394

gerne mitmachen. 395

I: Aber würden Sie denn persönlich auch die Kulturprogramme, würden die Sie so interessieren, dass 396

Sie da auch hingehen? 397

CT: Ja, auf jeden Fall. Zum Beispiel letztens. Zeche Karl -äh – Zeche Zollverein. Ist sehr wichtig. Und 398

die machen ja jedes Jahr so ´ne Veranstaltung. Die machen auch kulturmäßig. Hier Ausstellung von 399

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XXXIV

Anhang

Bildern oder Spielen, die machen so richtig (unverständlich1). Die machen extra Veranstaltungen in 400

Zeche Zollverein. Und auch mit Kulturleben. Und das ist sehr gut. Ich war letztens dort - und das war 401

sehr schön. Also die Zeche Zollverein. Ist ja auch Weltkulturerbe. Und ich finde nicht schlecht. 402

Schade, dass die (y) nur Zeche Zollverein hat, sonst hat sie gar nichts. Ja, letzte paar Jahre. (-) In 403 Istanbul macht man – lass mich nicht lügen – 630 Millionen Euro. Nee, 2010. Stadt Essen hat 404

irgendwie 50 Millionen. Oder 100? Oder 40 glaub ich Mittel. […] Weiter bitte! 405

I: Würden Sie die kulturellen Angebote eher nutzen, wenn sie tatsächlich einen Bezug auf die 406

türkische Kultur hätten? 407

CT: Nee, anderweitig auch. Wenn ich nur Zeit hätte. 408

I: Aber eher? 409

CT: Ja, logisch. Eher sowieso. Eher türkisch, aber wenn anderes gibt, warum nicht. Um Gottes Willen. 410

I: Also wenn zum Beispiel was gekoppelt wäre, was Deutsches und was Türkisches? 411

CT: Nicht nur. Ich guck mir auch afrikanische an. Was soll das. Was Sie, worauf Sie hinaus wollen - das 412

beste Beispiel ist, wenn man fernguckt. Da kann man das sehen. Also zu Hause, ich guck genauso 413 Türkisch genauso wie Deutsch. Also manchmal guck ich gerner deutsche Nachrichten als türkische. 414

Wenn ich – wenn ich hier zum Beispiel diese Euro D. Wenn Sie auf diese Sender Nachrichten gucken, 415

dann müssen Sie sich eine Stunde hier hinsetzen. Und eine Stunde Nachrichten. Das ist doch 416

Blödsinn. Davon ist Viertelstunde Nachrichten und 45 Minuten sind Reklame. Da guck ich doch 417

Tagesschau oder türkische TAT. Die sind Viertelstunde, 20 Minuten da hab ich die ganze Information. 418

Also, die sind Privatsender. […] Für mich bedeutet Kultur, ein Mensch, was er ist. Kultur macht den 419

Mensch selbst. Ein Mensch ohne Kultur gibt es nicht. 420

I: Ich hab noch ´ne letzte Frage. Was würden Sie sich persönlich von RUHR.2010 wünschen? Also, ich 421

hole nochmal ein bisschen aus. Den Türkentag, den haben wir jetzt schon festgehalten. Dann - wenn 422

Sie sich zum Beispiel Ihren Lieblingsmusiker oder irgendeinen spannenden Autor wünschen könnten, 423

würden Sie sich da irgendwen her wünschen? Also, es könnte ja auch zum Beispiel sein, dass es eine 424

Kooperation mit Istanbul gibt, dass es da irgendeinen Austausch gäbe… 425

CT: Ja, das könnte sein. Das kann man machen. Aber – aber, ob man da wirklich – ob man – Wegen 426

die Gedankengut sag ich, die Menschen, die da oben stehen. Was die sich vorstellen, ob das gleicht, 427

nicht mit mir, aber mit den einfachen Leuten. 428

I: Deswegen bin ich ja hier und frage. 429

CT: Deswegen. Ich hab da keine Glauben. Die schicken keine Leute, die ich da gerne sehen würde. 430

I: Na ja, Sie können das jetzt sagen. Meine Ergebnisse - ich werd denen schon auch sagen, was da 431

rauskommt. 432

CT: Ich würd‘ mal so interessant von unserer Kultur so irgendwie – Sie müssen sich mal aufschreiben. 433

Feuer aus Anatolien. Und die geben - ganze Spieler ist Anatoliens. Und dann noch so anderweitig 434

Theater würd‘ ich mir wünschen. Aber Theater - über tägliche Probleme des einfachen Menschen. 435

Vor allem unsere Probleme hier in Deutschland darstellen, wie auch Türkei. Sowas könnte man 436

machen. Damit die Menschen da Interesse haben. Was würden wir noch. Natürlich für die Kinder, 437

Jugendlichen muss das ein bisschen Ansporn da sein natürlich. Um die zur Seite zu ziehen für diese 438

Geschichten muss man die auch einbinden. 439

I: Bei diesem MELEZ gibt es zum Beispiel auch diese MELEZ Street Art. Da gibt’s so Breakdance und 440

Hip Hop Sachen. Ich glaub, da gibt’s schon auch Sachen, die Jugendliche ansprechen. 441

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XXXV

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CT: Da ist schade, das ist bei mir vorbeigegangen. Ich hab das schon gehört aber leider. 442

I: Aber 2009 ist, glaub ich, auch nochmal. Das ist jedes Jahr, glaub ich jetzt. 443

CT: Aber Istanbul würde mich interessieren. Ich weiß nicht. Vor zwanzig Jahren die Krupp‘sche Villa 444

Hügel – haben Sie gehört? Die haben mal osmanische Reich Ausstellung gemacht. War so schön, was 445

sie da alles gemacht haben. Und sowas würd‘ ich mir mal so für, muss ja nicht in Villa Hügel, kann ja 446

irgendwo sein, in Essen so ‘ne Ausstellung über unsere Kultur, osmanisches Reich. Wenn sie 447

osmanisches Reich zeigen, dann haben sie auch den Türken gezeigt, dann haben sie auch den 448

Moslem gezeigt. Dann haben sie alles in einem. Ja, in osmanischer Zeit, da haben sie gleichzeitig den 449

Türken, gleichzeitig den Moslem gezeigt. Und gleichzeitig Orient, Okzident. Was ist denn jetzt Orient, 450

was ist denn jetzt Okzident? Da oder da. Orient ist da unten bei uns, Okzident ist hier in Deutschland. 451

Damals war hier ein Verein, der hieß ja Orient und Okzident. Ja. 452

I: Ja, also wie gesagt, ich hab jetzt die Aufnahmen und werd die einfach nur für meine Diplomarbeit 453

verwenden. 454

CT: Diplomarbeit, ja schön. 455

456

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Interview DT 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 21.11.2008 6

Ort: Arbeitsplatz des Befragten 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 47 10

Geschlecht: männlich 11

Beruf: Selbständig 12

Herkunft: Türkei; 2. Generation nach Dtschl. 13

14 15

I: Genau, ich frage vor allem auch zum Thema Kultur. Und vor allem zu ´nem bestimmten Festival. 16

Also, ich fang einfach mal an mit meinen Fragen. 17

18

DT: Hmhm. 19

20

I: Zuerst würd mich interessieren zu Ihrer persönlichen Geschichte: Wann und warum kamen Sie, 21

beziehungsweise ihre Vorfahren nach Deutschland? 22

23 DT: Von meinen Eltern her. Ich war (X) Jahre alt. Haben die mich einfach rübergefahren und da 24

wurde ich geholt ohne zu fragen. Man kann ja ein (X) Jahre altes Kind nicht mal fragen, was läuft. 25

26

I: Aber der Vater war schon vorher hier? 27

28

DT: Ein Jahr vorher hier. 29

30

I: Ok. 31

32

DT: Und dann hat er die halbe Familie, die erste zwei Kinder und danach die restliche zwei Kinder 33 nachgeholt. 34

35

I: Und äh war das aus Gründen der Arbeit? Oder warum kam die Familie her? 36

37

DT: Wahrscheinlich. Ist ja, wer kommt nach Deutschland - damals schon aus Lust und Laune. Da sind 38

die Leute zum Arbeiten gekommen. Bis 84 danach ist der abgebrochen. 39

40

I: Und da Sie ja auch schon länger hier sind, fühlen Sie sich Ihrer Herkunftskultur und der deutschen 41

Kultur gleichermaßen zugehörig? 42

43 DT: Hauptsächlich. 44

45

I: Hauptsächlich der Herkunftskultur? Und der deutschen Kultur nicht so? 46

47

DT: Auch. Jaja. Man ist ja praktisch hier aufgewachsen. (X) Jahre Kultur von Türkei. Das lässt sich ja 48

hier. Wenn man ja hier, hauptsächlich ja auch. Auch türkisches Kultur. Beides. 49

50

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I: Ok. Und Sie haben von RUHR.2010 also schon gehört? Hab ich jetzt eben daraus geschlossen. Also 51

ist tatsächlich Kulturhauptstadt geworden. Und da gibt es zum Beispiel auch ein interkulturelles 52

Festival, nämlich MELEZ. Haben Sie von MELEZ schon mal gehört? 53

54 DT: Hmhm (verneinend). 55

56

I: Noch gar nicht. Ok. Dann stell ich das vielleicht noch mal ganz kurz vor, damit Sie einfach ´ne 57

Vorstellung bekommen, was da so gemacht wird. Also MELEZ, das ist glaub ich seit 2005 so, dass die 58

das jedes Jahr machen. Ist wie gesagt ein interkulturelles Festival. Und das soll für 2010 auch noch 59

mal groß mit aufgenommen werden in das Programm. Sie können sich gerne merken, was Ihnen von 60

den Sachen, die ich jetzt Ihnen vorlesen werde, was Ihnen da besonders interessant erscheint, bzw. 61

wenn Sie was nicht verstehen, können Sie auch gerne noch mal nachfragen. Also. Es gab einfach 62

verschiedene Angebote, es ist ein Festival, das beinhaltet ´ne große Bandbreite. Na, so unter 63

anderem gab‘s zum Beispiel migrationspolitische Vorträge. Zum Beispiel war die Rita Süssmuth da. 64 Dann war zum Beispiel der Cem Özdemir da. Also hier in Essen tatsächlich. An der Uni, und hat sein 65

neues Buch vorgestellt. Und dann gab es weitere literarische Vorträge. Ich weiß nicht, ob Sie 66

LiteraTürk kennen? 67

68

DT: Ja, hab ich gehört. 69

70

I: Ah schon mal gehört. In diesem Zuge gab‘s eben auch verschiedene Vorträge. Von dem Murathan 71

Mungan. Von Asli Erdogan zum Beispiel. Aber auch von baskischen. Oder polnischen Mariusz 72

Szczygiel. Also aus verschiedenen Kulturen, auch eigentlich Menschen, die da ihre Literatur 73 vorgetragen haben. Sind die bekannt? Kennen Sie die auch? 74

75

DT: Nö. Leg ich aber auch keinen Wert drauf. 76

77

I: Dann gab‘s noch Popkonzerte, also zum Beispiel die Global Player Party. Da gab‘s verschiedene 78

Gruppen, die da aufgetreten sind. Die haben zum Teil auch Musik gemacht, die so ´n bisschen auch 79

aus unterschiedlichen Kulturen kam, dass sich das so vermischt hat. Dann gab‘s Beatboxer, Hip Hop 80

Konzert auch. Es gab auch klassischere Konzerte. Zum Beispiel ein Konzert, das war vom 81

Kinderorchester Ruhr und die haben mit dem Halas Duo, ist auch ein bekanntes polnisches Duo, sind 82

die mit denen aufgetreten. Und dann gab‘s Il Turco in Germania. Und zwar haben zwei 83 Ensemblemitglieder der deutschen Oper türkische Lieder gesungen. 84

85

DT: Hab ich überhaupt nicht mitgekriegt. 86

87

I: Sehen Sie. Deswegen erzähl ich Ihnen das alles. Dann gab‘s Tanztheater, also das Renegade-Theatre 88

zum Beispiel ist relativ bekannt geworden schon in den letzten Jahren. Und da ist halt ganz 89

interessant, dass da Breakdancer aufgetreten sind mit ´ner klassischen Tänzerin. Aber auch zum 90

Beispiel BMX Fahrer. Die haben daraus zusammen ein Tanztheaterstück eigentlich gemacht. Dann 91

(Telefon klingelt) 92

93 DT: Ja. 94

95

I: Ok, dann geht‘s weiter. Dann gab‘s ´nen Hennaabend mit dem Tanzensemble AFIR. Da ging‘s ums 96

Thema Hochzeit. Da gab‘s einfach traditionelle Lieder und Tänze. Also ein richtiges Event rund um 97

Henna und Hochzeit. Dann gab‘s Theaterstücke wie zum Beispiel auch Sivas 93. Das war ein 98

Dokumentartheaterstück gewesen. 99

100

DT: Von der Sache hab ich gehört, ja. 101

102

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I: Aha. Sehen Sie, das gehörte mit zu MELEZ. 103

104

DT: Ja, das ist nicht wegen der Kulturstadt gewesen, sondern war in Nachrichten. Das (-) damals in 105

Sivas das ist ja hin und hergezogen worden. Jeder an seiner Seite wie ihm das immer gepasst hat. Das 106 ist in Politik hineingereicht worden. Normalerweise das war so eine Problem unter Politikern. Und die 107

haben sich gegenseitig angemacht. Deswegen haben sie das vorgespielt. Deswegen interessiert mich 108

das normalerweise nicht. Aber man kriegt das immer mit. Weil das in Politik. Das ist wie evangelisch 109

und katholisch. Dass sie sich ja auch in Deutschland die Köpfe eingeschlagen haben. Und das war das 110

gleiche Problem da ja auch. 111

112

I: Ja, und wie hat man darüber erfahren? 113

114

DT: Über Nachrichten. 115

116 I: Über Nachrichten. Aber über türkische, deutsche? 117

118

DT: Ach insgesamt. Hab ich ein paar deutsche Nachrichten gehört. Hab ich türkische Nachrichten 119

gehört. Weil das war ja nicht nur einmal. Das haben die jetzt hier als Show hingestellt. Nur davor, 120

haben die auch - die hängen jedes Jahr an dieser Sache. Bei (XY)? Zum Beispiel wir sind (XY) sind auch 121

so viele Sachen passiert. Die können ja nicht jedes Jahr jetzt hierhinkommen und sagen wie sollen 122

denn die Leute im (unverständlich1) die fünfköpfige Familie. Das ging noch. Ist ja nicht - doch Politik 123

gewesen, aber nicht so wie da war. 124

125 I: Ja. So, und dann gab‘s noch ´nen Teil und zwar das MELEZ.LABOR. Da gab‘s Führungen durch, ja 126

sogenannte Brennpunkte. Wo man wirklich den Lebensalltag der Menschen im Ruhrgebiet sehen 127

konnte. Also Duisburg Marxloh zum Beispiel und Dortmund Nordstadt. Da gab’s einfach so 128

Führungen. Erscheint Ihnen davon irgendwas attraktiv? Interessant? 129

130

DT: Nicht so, dass ich da hinter hänge und immer drauf was gebe. 131

132

I: Ok. Also Sie wären auch nicht dran interessiert da hinzugehen, wenn‘s jetzt das nächstes Jahr 133

wieder gäbe. 134

135 DT: Wenn da jetzt was anders gäbe kann sein. Zum Beispiel von Pop hör ich ganz, ganz selten. Wenn 136

ich mal Radio anmache. Hab ich sonst nix mit am Hut. Hier äh. Hauptsächlich die Politik, was hier 137

gespielt wird. Hab ich nicht viel Interesse. 138

139

I: Ja, kann man auch so sagen. 140

141

DT: Weil das wird viel als Show hingestellt. Und das kann ich nicht haben. Genau wie die jetzt Sivas - 142

das ist Show. Die haben auch danach haben die das nicht gemacht. Danach haben die hier Moschees 143

angesteckt, weil die Türken hier drin beten. 144

145 I: Echt? 146

147

DT: In Katernberg komplette Moschees verbrannt. […]. Da haben die aus Glasbausteinen die Fenster 148

zugemacht. Warum? Das ist Politik und sowas kann ich nicht ab. Wegen Politik, dass man sich die 149

Köpfe einschlagen muss und Leute anstecken muss. Und das ist für mich nichts. Man kann Politik so 150

wie wir jetzt sitzen auch mit sprechen. 151

152

I: Ja klar. Aber vielleicht ist es deswegen eben wichtig, da auch ein Theaterstück zu, zu haben, was 153

auch noch mal so zum Denken anregt. 154

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155

DT: Ja, aber ich denke jetzt da was anders. Wenn die jedes Jahr das spielen, vorspielen nicht nur hier. 156

In ganze Welt. In Türkei hauptsächlich auch Amerika ist das gleiche auch hergestellt. Ich seh‘ da 157

andere Zwecke. Die hetzen die Jugendlichen. Nach dem Show immer passiert jede Ecke so 158 Kleinigkeiten, dass man auch mitkriegt. Und sowas muss doch gar nicht sein. Warum soll ich die 159

Leute sagen hören, hör mal, die haben deine Fataj angesteckt oder deine Gläubigen angesteckt. Da 160

hetz ich die Leute. Und sowas kann ich nicht haben. 161

162

I: Und wenn Sie jetzt ´nen Wunsch hätten, was bei diesem interkulturellen Festival MELEZ passieren 163

könnte nächstes Jahr, was Sie sich gern mal angucken würden. Was würden Sie sich dann wünschen? 164

165

DT: Ich würde mir wünschen, dass alle Leute gleichzeitig was unternehmen. Damit mein ich jetzt von 166

jede Kultur. Nicht dass jeder für sich irgendwie was Show hinstellt, sondern dass Leute mal sich 167

ineinander reinpassen. Nicht ne polnische, der auch nur polnisch was herstellt. Wir wachsen ja hier in 168 Deutschland alle ineinander. Und das soll auch wie Bruder und Schwester sein. Auch wenn die 169

irgendwas anregen, auch dass die mal was anders denken. Dass soll ja ganz rausbleiben. Wenn wir 170

hier in Deutschland von jede Land ineinander wachsen, dann sollen wir auch dazu insgesamt passen. 171

Auch die Deutschen. Nicht nur Ausländer und Deutsche anpassen, sondern alle mal ineinander, dass 172

jeder von sich selber was hat. Das würd mich auch interessieren. Da würd ich auch hingehen. 173

174

I:Ok, das ist mal ´ne Aussage. 175

176

DT: Nur solche Sachen, wo die sich jetzt der gegen den Hass zeichnet. Und das ist gar nichts für mich. 177 178

I: Ähm, nutzen Sie denn sonst das kulturelle Angebote im Ruhrgebiet? 179

180

DT: Ich sag mal so. Auch türkische Kultur wird hier nicht richtig vorgespielt. Auch wenn die irgendwie 181

´ne Show haben. Das wird irgendwas immer irgendwas mitgemischt. Die Sachen, die ich hier in 182

Deutschland sehe, auch von Türken hergestellte Kultur vorstellen. Ist nicht die Kultur von Türken. Das 183

ist ´ne Mischung. Auch wenn so viele Türken in Deutschland sind. In Türkei an jeder Ecke ist ´ne 184

andere Kultur. Das haben die hier nicht. Das haben die Beispiel für eine Stadt, wenn mehrere 185

Familien, die sich da unten kennt, sich hier sich mal zusammengepackt hat, dann haben die ja - die 186

haben ja deswegen Vereine. Beispiel Ankara. Ist ´ne große Stadt. Mehrere Leute von Ankara sind 187 hier. Die Leute, wenn die sich einpassen, die wissen die Kultur von Ankara. Ok. Aber nicht insgesamt 188

von Deutschland. Äh Türkei. In Deutschland, wenn die Sache kommt, die kennen sich da aus. Aber 189

wenn von Türkei die Kultur vorgespielt wird, dann sieht man von Außenseite nur die Sache, die man 190

zeigt und das ist dann türkische Kultur. Das ist aber nicht türkisches Kultur. Das ist nur von der eine 191

Ecke. 192

193

I: Ja, verstehe. 194

195

DT: Auch die Tänze, Kulturtanz, das ist auch nur von der Ecke. Ist nicht so insgesamt von Türkei. 196

197 I: Das ist so, wie wenn man im Ausland bayrische Tänze als deutsche hinstellt. 198

199

DT: Ja, wenn die das vorspielen, dann heißt das, das ist deutsche Kultur. 200

201

I: Ähm. Aber jetzt mal abgesehen von den türkischen Sachen. Gibt‘s sonst irgendwas, was Sie gerne 202

machen? Also das bedeutet, gehen Sie ins Theater, zu Konzerten, ins Museum oder ins Kino, lesen Sie 203

was? 204

205

DT: Kino. 206

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XL

Anhang

207

I: Ins Kino gehen Sie? 208

209

DT: Ja. Museum. 210 211

I: Museum, was für ‘n Museum? 212

213

DT: Insgesamt. Wenn ich im Ausland bin, was kann ich am besten besuchen - Museum. Auch wenn 214

ich hier. 215

216

I: Aber hier auch? 217

218

DT: Ja, hier in Deutschland auch. Wenn Zeit irgendwas besichtigen können, geh ich gerne rein. 219

220 I: Aber eher Kunst oder eher Geschichte? 221

222

DT: Das ist mir Wurscht. Wenn ich Zeit habe, dann geh ich insgesamt da noch durch. 223

224

I: Wie informieren Sie sich am liebsten über solche Veranstaltungen? Also zum Beispiel über 225

Ausstellungen. Wie bekommen Sie davon mit? 226

227

DT: Wenn ich was mitgekriegt hat, fahr ich hin und wenn ich in Urlaub bin. Bin ich sowieso zu Besuch 228

da. 229 230

I: Aber wenn Sie jetzt hier sind, dann übers Radio... 231

232

DT: Auch unter Kollegen, wenn man was hört, geht man mal gerne hin. 233

234

I: Ok. Und wenn Sie… 235

236

DT: Wenn man sowieso in (XY) ist, hauptsächlich ist man sowieso wie Roboter. Morgens aufstehen, 7 237

abends ab nach Bett. Das ist das dann da in Deutschland. Weil viel von Leben in Deutschland hat man 238

ja nicht. Durch die Wetter ja auch. Nicht nur jetzt. Das stört mich gar nicht. Nur insgesamt. Beispiel, 239 wenn ich in Türkei bin. Da schlaf ich viel weniger. Durch den Wetter schon. Auch wenn man hier in 240

Ausland ist. So hat man dann auch Spaß durch Wetter. Wenn man das hat, dann hat man mehr Spaß 241

und sucht immer was los. Hier in Deutschland hauptsächlich als Geschäftsmann, man stürzt sich in 242

Arbeit. Was kriegt man bei Arbeit alles mit. Und wenn man selbstständig ist, ist sowieso keine 243

Uhrzeit, dass man um die Zeit feiern kann. Dass man was unternehmen kann. Was macht man? Acht 244

Uhr, neun Uhr ab nach Hause. Essen, bisschen Fernseh gucken, hinlegen. Morgens das gleiche. 245

Bisschen Sport dabei. Zwischendurch in den Verein. Mehr Zeit hat man nicht. Nur in der Urlaubszeit, 246

da kann man solche Sachen besuchen. 247

248

I: Ja, das ist klar. Das geht glaub ich jedem so. (-) Ja, das ist jetzt ´ne Frage, die (-) ich sag jetzt mal, 249 wenn Sie ins Kino gehen oder auch Museum, erwerben Sie die Tickets da vor Ort? Oder machen Sie 250

das... 251

252

DT: Vor Ort. Kino manchmal nicht. Kino kann man schon vorher mal ´n bisschen reservieren. Da hat 253

man ein bisschen Zeit. Über Internet oder Telefon. Aber so die anderen Sachen. Nur wenn ich vor Ort 254

bin. 255

256

I: Alles klar. Ähm. Mal angenommen Sie hätten jetzt mehr Zeit oder Ähnliches hätten Sie dann 257

generell Interesse an weiteren Angeboten, Veranstaltungen teilzunehmen? 258

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XLI

Anhang

259

DT: Wenn man mehr Zeit hat, klare Sache. 260

261

I: Ok. Und äh was würden Sie gerne sonst noch? Können Sie sich vorstellen, was Sie sich gerne sonst 262 noch ansehen würden? Oder anhören oder was auch immer? 263

264

DT: Die gleiche Sache. Was kann man in eine Stadt? Ist ja ein Unterschied. Was kann man in Essen 265

besuchen? Einmal in Museum in Rüttenscheid. Da haben wir schon besucht 197(X). Und da geht man 266

nicht 10mal hin. Wenn man zweimal reingeguckt, das war‘s. Wenn du noch ´nen Besuch hast. Was 267

kann man noch von Essen zeigen? Dann geht man hin. Von Essen noch Grugahalle. Kennen wir. Und 268

ich sach ja, ich bin seit 3(X) Jahren in Deutschland. Nur wenn ich, wenn ich äh ausreichend mehr Zeit 269

habe, dann ich besuch gerne. Nicht nur auf eine Sache, sondern auf alles. Stadtliche, auch die Kultur 270

von der Stadt oder von dem Land. Gerne. 271

272 I: Und so ins Theater gehen Sie gar nicht? Oder ins GOP oder so? 273

274

DT: Nee, nee. 275

276

I: Ok. Gut. Ich glaub die Frage, die ich - ich stell die trotzdem noch mal. Aber ich glaube, Sie werden 277

mir das Gleiche antworten. Würden Sie das kulturelle Angebot eher nutzen, wenn es einen Bezug zu 278

Ihrer Herkunftskultur hätte? 279

280

DT: Nee, nee. 281 282

I: Und das bedeutet, dass Sie auch nicht gezielt nach Angeboten mit Bezug auf Ihre Herkunftskultur 283

suchen? 284

285

DT: Nee. 286

287

I: Sie gehen auch gar nicht zu türkischen Konzerten oder so was? 288

289

DT: In Deutschland nicht. 290

291 I: Also in Türkei. 292

293

DT: In Türkei ja. Nicht auch wegen mehr Zeit. Was man erwartet normalerweise von dem Konzert. 294

Hat man da. Hier ich weiß jetzt nicht, ob das von Capitol mäßig so hergestellt wird, die Leute 295

aufeinander zu packen. Gibt‘s ja bei uns nicht. Und deswegen geh ich in Deutschland nicht, ungerne. 296

Paar mal. Als meine Frau aus Türkei neu hier ankam. Ist ja auch Gewöhnungssache. Sind ja auch 297

immer hingegangen. Und als sie das hier gesehen hat, sie will auch nicht hin. 298

299

I: Ja, das ist spannend. 300

301 DT: Weil in Türkei wird ganz anders hergestellt als hier. 302

303

I: Und was finden Sie besonders wichtig an Ihrer Herkunftskultur? Also jetzt in dem Sinne, was Sie 304

irgendwie mitbekommen haben als Kind noch, was Sie jetzt auch für Ihre Familie bewahren möchten 305

vielleicht. Was Sie hier noch leben? Tatsächlich von der Kultur. Was ist Ihnen da wichtig? 306

307

DT: Von, von türkisches Kultur. Hier in Deutschland, im Moment. Auch unter Familie gibt‘s Null. Gar 308

nichts. Richtige Kultur von Türkei ist ausgestorben. Du kannst viel weniger geben als dein Internet. 309

Als dein Fernsehen. Als seine Kollegen, die von außen sind. Deine Muttersprache kannste geben. 310

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XLII

Anhang

Deine Kultur versuchen zu geben. Das ist alles. Ich sag nochmal. Wie ich will, leben meine Kinder oder 311

insgesamt die Kinder nicht. Wenn die das mitmachen würden, ich würd wenigstens meine Kinder, 312

auch Enkelkinder wie ein Türke erziehen. Dass der auch was von Respekt hat. Heutzutage insgesamt 313

ich sag mal auch nicht Türke oder dies oder jenes, insgesamt die haben ganz andere Mentalität jetzt 314 in Deutschland. An was die einpassen, versteht man gar nicht. Auch, auch deutsche Kultur ist das 315

nicht. Wir haben zum Beispiel gestern oder vorgestern im Fernsehen gesehen, die haben also 316

Beispiele gezeigt mit, mit, wenn ältere Herr oder auch Frau in Straßenbahn reinkommt, kein Sitzplatz. 317

Keine Jugendlichen nur Frauen mittel Alter. Wenn Sie in Türkei das Fall haben, erste - wenn schon 318

ältere Leute reinkommen - erste Jugendliche fliegt schon hoch und gibt ´nen Platz. Mehrere. Und das 319

ist ausgestorben. Das hat auch mit türkische Kultur nichts zu tun. Das muss insgesamt das Gleiche 320

sein. Nur wenn ich heute das sehe - ausgestorben. Respekt haben die heutzutage die Jugendliche 321

99,9 Prozent nicht mehr. Kriegen wir das denn überhaupt? Gibt‘s denn überhaupt irgendwen, der 322

sein Kind erzieht so wie ihm das passt oder wie seine Kultur? 323

324 I: Nee klar. Das natürlich nicht. Aber man kann ja trotzdem Dinge weitergeben wie zum Beispiel die 325

Sprache. 326

327

DT: Sprache hab ich wenigstens auch an meine Enkelkinder, Kinder auch. Gibt‘s ja natürlich auch 328

Kinder von Ausland, nicht von Türkei, dass die auch die Muttersprache nicht können. Und das ist 329

noch äh. 330

331

I: Und wenn Sie noch ein bisschen weiter überlegen. Da gibt‘s bestimmt was. Ich kann mir nicht 332

vorstellen, dass Ihnen da jetzt nichts einfällt, was Ihnen an Ihrer Herkunftskultur wichtig finden, also 333 Religion gehört ja zum Beispiel auch dazu. 334

335

DT: Für mich ist türkische Kultur sehr wichtig. Nur mir tut das weh und leid insgesamt Türken, dass 336

die Kinder das nicht weitergeben können. Wie gesagt, eben Internet, Fernsehen und die Kultur von 337

außerhalb. Das haben die gerne. Und das kriegt man nicht mehr hin. Auch als Show, wenn die Kinder 338

Vater oder Mutter sehr gerne haben - jaaa - so eingepasst ok. Sobald das Kind so ist, ist ein anderer 339

Mensch. Sonst was will ich mitgeben. Ich will wenigstens meine Kinder von meine Glaube aus 340

erziehen. Wie meine Kultur erziehen. Dass die Respekt haben vor ältere Leute, ist egal wie fremd die 341

ältere Leute ist. 342

343 I: Ist Ihnen das denn auch wichtig, dass Ihre Kultur, so wie Sie denken, dass die halt dargestellt 344

werden sollte, auch den anderen Mitbürgern hier vermittelt wird? 345

346

DT: Nö, das nicht. Jeder Bürger hier ist ja genug Ausländer hier. Und jeder soll seine Kultur einhalten. 347

Nur ich glaub nicht Beispiel von Respekt her, dass die in eigene Land das machen, was hier in 348

Deutschland gemacht wird. Das hat mit den Leuten gar nichts zu tun. Wenn ich heute Beispiel 349

Libanese sehe, ich kenn die Kultur von Libanesen, sind ähnlich wie Deutsche - äh wie Türken, was 350

gibt‘s da, wenn die sich hier aufhalten? Da denkt man, wo sind die hergekommen? Insgesamt, jeder 351

Mensch muss seine Kultur weitergeben. Muss auch rote, gelbe, weiße alles mit drin sein. 352

353 I: Aber jetzt mal so im Sinne von – also hier wird ja immer viel von Parallelgesellschaften erzählt und 354

so. Und diesem Sinne, ob das wichtig ist, dass die Deutschen zum Beispiel auch mehr mitbekommen 355

also neben der Herkunftskultur, dass die auch mitbekommen, was andere Kulturen sind eigentlich, 356

wodurch die sich auszeichnen? Finden Sie sowas wichtig? 357

358

DT: Normal gesehen ja. Wie gesagt, jeder muss seine Kultur selber beweisen und daran bisschen sich 359

benehmen. Auch mit Kultursachen. Seine Fahne. Ist jetzt zum Beispiel in Deutschland dieses Jahr. 360

Haben die in Deutschland an seine Fahne bisschen mehr dran gehangen als vorher. Erste Mal in 38 361

Jahre, erste Jahr mehr deutsche Fahnen auf Straße gesehen als sonst. Vorher noch nie. Wächst ja 362

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XLIII

Anhang

ineinander. Deswegen hab ich ja gesagt. Jeder nimmt von den anderen was ab. Wenn du heutzutage 363

überlegst. 1971 gab‘s in Deutschland keine Oliven. Wenn du Oliven gesagt hast, die wussten 364

nicht,was Oliven sind. Auberginen. Solche Sachen. Wenn wir Schafskäse rausgeholt haben, haben die 365

gesagt: Was ist das denn? 366 367

I: Ja, ist ja genauso wie mit den ganzen Dönerläden. 368

369

DT: Bis 80er Jahre gab‘s doch keine Dönerladen oder türkisches richtiges Essen. Gehört auch zur 370

Kultur, ne? 371

372

I: Ja, ich bin eigentlich soweit durch. Ich erzähl Ihnen noch mal, wofür das ist. Ich schreib meine 373

Diplomarbeit darüber. Deswegen mach ich die Interviews. Das kommt dann da in den Anhang das 374

Interview. Und dann werd ich halt mal gucken, was so rauskommt, was die Menschen eigentlich 375

erwarten. Wie man halt ein interkulturelles Festival auch gestalten sollte. Und da fand ich‘s ganz 376 interessant, wie Sie ´s so gesagt, dass es eigentlich auch ineinander greifen soll. 377

378

DT: Wichtigste ist, bevor man Kultur Öffentlichkeit zeigt, man soll sich bisschen auch als Deutsche 379

hauptsächlich als Deutsche - man soll gegenseitig auch mal Respekt haben. Die Deutschen haben 380

mehr Respekt an Tieren als an Menschen. Deutschen andere Menschen gibt‘s in der Welt nicht. 381

Leider gibt‘s soviel Länder, wie in der Welt ist, nicht nur Deutschland. Wenn man heutzutage, früher 382

gab‘s das nicht so. Das wird jeden Tag schlimmer. Die Jugendlichen von heute nur eine Deutsche. 383

Wenn ich in Ausland bin Beispiel, ich erzähl mal von Türkei. Die haben Städte überfüllt von deutschen 384

Einwohnern, nicht von Urlaubern. Und es freut uns noch, wenn wir hören Beispiel, wir haben voriges 385 Mal gesehen in Fernsehen in Alanya ist ein Laden offen, türkisches Restaurant. Der Koch ist deutsch. 386

Wir haben Friedhof, wir haben Kirchen, wir haben alles. Nur hier in - zum Beispiel Moschee in 387

Duisburg. Alle Deutschen haben aufgestanden, warum? Warum nicht? Aber heutzutage […] ist nicht 388

wie früher. Fällt jeden Tag mehr auf. Ob das jetzt mit Arbeitslosen zu tun hat. Normalerweise darf 389

das nicht. Warum? Die Türken als die nach Deutschland gekommen sind. Warum sind die nach 390

Deutschland gekommen? Weil die Deutschen so fein waren und diese Arbeit nicht geleistet haben. 391

Müll - nie im Leben, ich bin doch Deutscher, ich mach doch keinen Müll. Heutzutage alles maschinell 392

wir machen Müll. Warum? Der Kerl hat in eurem Kanal das Dreck sauber gemacht. Heutzutage 393

Ausländer soll abhauen. Die Ersten, die hier malocht haben, richtig zu Deutsch gesagt, malocht 394

haben, die leben doch gar nicht mehr. Aber das will kein Mensch wissen. 395

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XLIV

Anhang

Interview ER 1

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 2

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 3 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin der Kulturwissenschaften 4

Datum: 21.11.2008 5

Ort: Verein Russlanddeutsche 6

7

Angaben zum Befragten: 8

Alter: 42 9

Geschlecht: weiblich 10

Beruf: Geschäftsführerin 11

Herkunft: deutschstämmig, in Kasachstan aufgewachsen 12

13 14

I: Also, das ist ja auch, damit ich das nachher gut auswerten kann. Und wie gesagt, das ist für meine 15

Diplomarbeit. Und ich beschäftige mich einfach mit RUHR.2010 und da noch mal speziell mit ´nem 16

interkulturellen Festival. Und da möcht ich halt gucken, inwiefern Menschen mit 17

Migrationshintergrund im Allgemeinen angesprochen werden. 18

ER: Hm (zustimmend). 19

I: Mich würd‘ erst mal interessieren. Sie sind selber Russlanddeutsche? 20

ER: Ja. Zuspätaussiedlerin, sagt mein Mann. (lacht) 21

I: Wann haben Sie da gelebt und wie lange? Wann sind Sie hierher gekommen? 22

ER: Ja, ich bin in Kasachstan geboren. In Karaganda. Das ist auch ein so eine große Stadt wie Essen 23

ungefähr. Und wir haben da auch. Das ist ungefähr wie Ruhrgebiet. Haben wir viele Zechen auch. 24

Mein Vater hat ganze Leben in Zeche gearbeitet. Mein Schwiegervater. Mein Mann auch. Also das ist 25

- och - ja wir hatten auch damals 700 000 Bewohner ungefähr. Jetzt die Hälfte ist ausgewandert. 26

Nach Deutschland, nach Russland, überall. 27

I: OK 28

ER: Ja, und nach Deutschland sind wir in 96 gekommen mit meiner großen Tochter, die war (XY). Und 29

seitdem wohnen wir hier. Und jetzt haben wir zwei Töchter. Die kleine Tochter ist schon hier 30

geboren. So klein ist sie nicht, die ist jetzt schon (XY) geworden. Und 12 Jahre wohnen wir hier in 31

Deutschland. […] 32

I: Und wie kommt das, dass Sie hier ins Ruhrgebiet gekommen sind? 33

ER: Ja äh, wir hatten hier schon Verwandte und also Geschwister von meiner Mutter und die Mutter 34

von meiner Mutter. […] Und ähm, ich weiß viele Leute, welche mit uns gekommen sind in ersten 35

Übergangslager in Brahms damals. Die sind nach ehemalige DDR-Länder nachher gegangen. Und 36

meine Oma um die Zeit lag im Krankenhaus. Und meine Mutter wie gesagt die älteste Tochter, die 37

hat gefragt, ob wir doch hier in Nordrhein-Westfalen bleiben können, weil die Oma krank ist, und 38

wer weiß, wie lange lebt sie noch. Wir hatten sie schon mehrere Jahre nicht gesehen und wir denken 39

deshalb durften wir hier bleiben in Nordrhein-Westfalen. Dass wir hier Verwandte haben und wegen 40

Oma auch. Ja und dann haben wir gefragt, ob wir nach Dortmund können, und dann haben sie 41

gesagt: „Nee, im Moment gibt‘s keinen Platz für euch da." Ja, aber nach (XY). Na gut, dann gehen wir 42

nach (XY). Ja, und seitdem wohnen wir in (XY). Jaa. 43

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XLV

Anhang

I: Und wie ist das? Fühlen Sie sich der deutschen Kultur genauso zugehörig wie der kasachischen 44

Kultur, wo sie ja…? 45

ER: Kasachische nicht, aber wir lebten in Kasachstan, aber trotzdem mit so deutscher Kultur da. Wir 46

haben zum Beispiel Weihnachten gefeiert genauso im Dezember Heilige Abend und äh Ostern auch 47

und wir hatten später auch evangelische Kirche, katholische Kirche bei uns in unserer Stadt. Und als 48

ich klein war, da hatten wir keine Kirche gehabt, aber trotzdem haben wir so Gemeindeschulen 49

gehabt. Und, ich wurde zum Beispiel in eine Pfarre, einem evangelische Pfarre zu Hause getauft. Weil 50 wir hatten damals keine richtige evangelische Kirche oder Gemeinehaus gehabt. Und mein Bruder 51

zum Beispiel, der ist schon (XY) geboren, dann hatten unsere Landsleute mein Opa zum Beispiel auch 52

mit alle anderen sich zusammengesammelt und ein Haus gekauft und dann umgebaut wie, wie äh 53

das war keine richtige Kirche, aber wie Gemeindehaus. Das war bei uns schon evangelische 54

Gemeindehaus. Und mein Bruder wurde schon in einem so einem Haus getauft. Ja, und wie gesagt, 55

wir haben so ein bisschen deutsche Kultur hatten wir schon da gehabt. Kasachische Kultur das ist was 56

anderes, weil das ist schon mehr wie also das ist schon mehr wie muslimische Kultur und die sind 57

Muslime, aber wir haben gut miteinander auch gelebt. Und hat keinen gestört wie hier zum Beispiel 58

türkische Kultur, deutsche Kultur weiß ich nicht arabische Kultur. 59

I: Ja, ist ja jetzt ist es ja trotzdem so, dass sie zum Teil sagen, Sie fühlen sich hier auch ein bisschen zu 60

Hause, obwohl sie aus der Türkei kommen. Aber man hat halt so diese zwei Identitäten irgendwie. 61

ER: Ja, da auch also. Auf meine Kindheit bezogen konnt‘ ich nicht sagen, ich fühl mich da nicht zu 62

Hause. Aber meine Oma hat immer gesagt ähm Kasachstan ist nicht. Also, sie hat immer zu Hause 63

gesagt und sie meinte, das ist da in Kaukasus. Sie wurde ausgesiedelt nach Kasachstan in Zweite 64

Weltkrieg. Als Zweite Weltkrieg angefangen ist, hat, da wurde meine Oma auch, die war sechzehn 65

und die musste mit ihrer Mutter mit anderen Geschwistern nach Kasachstan mit Viehwaggons. Und 66

dann hat sie mit sechzehn dann schon unter Tage gearbeitet. 67

I: Oh je. 68

ER: Ja, das waren so Zeiten. Und die meinte, zu Hause ist da in Kaukasus. Obwohl die hat auch fast 69

ganze Leben da in Kasachstan gelebt. Und für mich, doch ich sag auch immer bei uns zu Hause, das 70

heißt bei uns zu Hause das ist (-) ja in Kasachstan. 71

I: Ja, klar. 72

ER: Für meine Kinder zu Hause ist schon hier in Deutschland. Für meine Älteste (XY) ist ihr Zuhause. 73

Die Kleine ist jetzt (XY) geworden. Ja und irgendwie sie ist hier groß geworden und zu Hause ist hier. 74

Für die Kleine auch. 75

I: Ja, ist klar, wo man aufwächst. 76

ER: Obwohl sie haben da Oma und Opa, denn mein Mann, der ist Russe. Und meine Schwiegereltern, 77

die wohnen da. 78

I: Ah ok. Das heißt, Sie fahren da auch noch öfters hin? 79

ER: So oft können wir nicht, es ist zu weit und zu teuer. Die Eltern waren ein paar Mal hier. Das ist 80

irgendwie praktisch. Dass die Eltern zu uns kommen. Die sind Rentner und die können bei uns ein 81

bisschen länger bleiben, zum Beispiel für 4 oder 6 Wochen und wir haben immer nur Urlaub drei 82

Wochen. Das ist immer hin und her. Aber einmal waren wir. In diesen zwölf Jahren waren wir einmal 83

da. 84

I: Das ist ja nicht so viel. 85

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XLVI

Anhang

ER: Nee, so oft nicht. Aber wir haben auch Verwandte in Ukraine und da können wir mit dem Auto 86

fahren und haben wir uns schon ein paar Mal mit meinen Schwiegereltern getroffen. Sie kommen mit 87

dem Zug nach Ukraine und sie brauchen keine Visum und wir fahren mit dem Auto und wir brauchen 88

im Moment auch keine Visum mehr und das ist näher, billiger, praktischer. 89

I: Ja, schön. Ähm, wie ich eben Ihnen entnommen habe, kennen Sie natürlich RUHR.2010, haben Sie 90

von gehört- 91

ER: Hmhm (zustimmend). 92

I: Ähm und in diesem Rahmen findet halt auch dieses interkulturelle Festival statt, was ich vorher 93

angesprochen habe, nämlich MELEZ. Haben Sie davon auch schon gehört? 94

ER: Ja, so ein bisschen. Ja, wir hatten dieses Jahr, vielleicht haben Sie auch gehört. Wir haben dieses 95

Jahr ein interkulturelle Kulturfest in (XY) gehabt. Das hat auch Stadt (XY), also Kulturbüro von der 96

Stadt (XY) und zehn Migrantenvereine zusammen gemacht. 97

I: Wann war das? 98

ER: Im (XY). Und da haben wir in Stadtmitte auf dem (XY)-platz haben wir große Bühne gehabt und 99 zwei Tage haben diese zehn Vereine aufgetreten und verschiedene Sachen gezeigt. Und da haben wir 100

auch jeden Verein hat einen Stammtisch äh Stand gehabt und äh sich präsentiert. War auch sehr, ja 101

sehr interessant. Und wir haben uns schon nach diesem Fest auch wieder getroffen alle zusammen. 102

Hat die Stadt (XY) auch gesagt, vielleicht wäre nicht schlecht, wenn wir jedes Jahr so etwas machen. 103

I: Aber das wäre ja tatsächlich zu überlegen, ob man das nicht vielleicht mit MELEZ irgendwie 104

zumindest 2010 verbinden könnte. Das wär ja vielleicht auch ganz interessant. 105

ER: Hmhm (zustimmend). 106

I: Ich stelle Ihnen mal das Programm vor. Und Sie können sich mal merken, ob sie irgendwas davon 107

besonders interessant fänden oder beziehungsweise, vielleicht interessiert Sie auch gar nichts. Aber 108 ich stelle Ihnen auf jeden Fall vor, was es da so gab. Also, es gab zum Beispiel migrationspolitische 109

Vorträge. Das heißt, da war zum Beispiel Rita Süssmuth da, die über Migration und Integration 110

gesprochen hat. Es war zum Beispiel der Cem Özdemir da. Dann gab es verschiedene literarische 111

Vorträge. Also auch zum Teil in verschiedenen Sprachen. Allerdings hat sich das dieses Jahr auf 112

Türkisch, Baskisch und Polnisch beschränkt. Also tatsächlich auch Leute aus den Ländern, also aus der 113

Türkei zum Beispiel Murathan Mungan. Ziemlich bekannt. Also wirklich auch so Szeneleute. Dann 114

gab‘s Popkonzerte. Also die Global Player Party. Da gab‘s eben auch ähm Musikgruppen, die so `n 115

bisschen gemischte Musikstile vorgetragen haben. Dann gab‘s auch besonders für die Jugendlichen 116

also zum Beispiel Beatboxer und Hiphopkonzerte. Es gab aber auch eher klassische bzw. ein bisschen 117

folkloristischere Konzerte. Zum Beispiel Kwadrofonik. Das sind zwei Klaviere mit zwei Schlagwerken 118 gemischt. Und die machen wohl Musik, die auch ne ziemlich weite Bandbreite umfasst. Also wirklich 119

durch verschiedene Kulturen auch durchgeht. Dann gab‘s Tanztheater. Vielleicht haben sie davon 120

schon gehört, von dem Renegade-Theatre. 121

ER: Nö. 122

I: Das ist nämlich ganz spannend, weil das ´ne ganz neue Produktion ist mit Breakdancern, mit aber 123

´ner klassischen Tänzerin, ich glaub, die ist wohl aus dem Pina Bausch - also eine von den wichtigen 124

Pina Bausch Tänzerinnen, und noch ein BMX- Fahrer. Also daraus haben die Tanztheater gemacht. 125 Genau und dann gab‘s natürlich noch das Pottporus-Festival was auch wieder mit Breakdance zu tun 126

hat. Dann gab‘s zum Beispiel einen Themenabend. Also, dieses Jahr hat es eher mit den Themen 127

Heirat, aber auch Tod zu tun hat. Also, die Macher von MELEZ haben halt gesagt, dass das Themen 128

sind, die eigentlich kulturübergreifend sind. Und deswegen war das so dieses Jahr das Thema. Und 129

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XLVII

Anhang

dann gab‘s zum Beispiel einen Hennaabend oder es gab auch ´ne Hochzeitsausstellung. Aber das hat 130

sich auch mit der türkischen Kultur tatsächlich konkret befasst. Dann gab‘s Theaterstücke. Das ist 131

auch ganz spannend, weil‘s ein bisschen auch ähnlich ist wie das Theaterstück, das ihre Jugendliche 132

da… 133

ER: Hmhm (zustimmend). 134

I: Also, zum Beispiel Italien an der Ruhr, das ist auch mehr ein Dokumentartheaterstück tatsächlich 135

auch gewesen, wo die Leute auch erzählt haben, wie sie hier so leben. Und dann gab‘s noch ´ne 136

Neuerung, nämlich das MELEZ-Labor. Und da gab‘s Führungen durch hier die sozialen Brennpunkte 137

Dortmund Nordstadt und Duisburg Marxloh. Also, da haben die Leute tatsächlich selber rumgeführt 138

und das sollte so ´n Einblick in den Lebensalltag der Migranten geben. Ist davon irgendwas für Sie 139 interessant, wo Sie sich vorstellen könnten, das würd‘ ich mir gerne mal ansehen? Wenn es nächstes 140

Jahr so was wiedergäbe? 141

ER: Ja, das ganze Programm ist interessant eigentlich (lacht). Und wie gesagt, wir hatten auch dieses 142

Jahr bei uns bei diesem interkulturellen Fest in (XY). Zum Beispiel wir hatten auch koreanische 143 Hochzeit gesehen. Die haben das auch uns vorgestellt. Und da haben wir kurz unsere (Theaterstück) 144

auch gezeigt. Also, ich sehe da viele ähnliche Sachen auch. Und oder zum Beispiel mir wäre auch 145

interessant diese (-) Poptänze mit äh klassischer Musik auch zusammen. Oder was war das? 146

I: (-) Es gibt dieses - ich glaube, Sie meinen diese klassische Tänzerin mit diesen Breakdancern 147

zusammen. 148

ER: Genau. Das wäre interessant für mich persönlich. Aber ja gut, wie gesagt, die ganze Programm ist 149

eigentlich für mich interessant. 150

I: Also, wenn sie das dieses Jahr jetzt vorher gewusst hätten, also das Programm in den Händen 151

gehabt hätten, dann hätten Sie sich schon überlegt irgendwohin zu gehen? 152

ER: Ja. 153

I: Und was sagen Sie dazu? Also, ich find‘s halt ein bisschen auffallend, dass es eben türkisch und 154

polnischlastig sehr stark ist. Zum Beispiel was Russisches wurde dieses Jahr gar nicht angeboten zum 155

Beispiel. 156

ER: Ja, das ist auch ja da haben Sie recht. Da ist nur türkisch und polnisch. 157

I: Ja, was Baskisches war noch dazwischen zum Beispiel, was Italienisches war noch dazwischen aber 158

relativ... 159

ER: Bei uns in (XY) zum Beispiel, das find ich gut, dass wir sehr bunt waren. Wir hatten bulgarischen 160

Verein, italienischen Verein, griechischen, spanische unsere russische, slowenische, türkische, also 161

ganz bunt war das. Also da konnte bisschen was Buntes, also ein bisschen was Buntes mehr. 162

I: Und wenn Sie sich persönlich jetzt was wünschen könnten, was Sie sich für MELEZ nächstes Jahr 163

oder 2010 wünschen könnten. Gäb‘s da irgendwas, was Sie da gerne entweder machen würden oder 164

was Sie da gerne sehen würden? 165

ER: Oh ja, wie gesagt, dass sie ein bisschen mehr - andere Kulturen zeigen. Und ja vielleicht auch 166

irgendwie von Russlanddeutschen auch. Und... 167

I: Aber wär das dann eher was Kulturelles im Sinne von Theater oder irgendetwas in dieser Richtung 168

oder wär das eher ... 169

ER: Was Musikalisches vielleicht. 170

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XLVIII

Anhang

I: I: Also, ich weiß ja nicht so genau, was jetzt auf diesem interkulturellen Festival da noch gab. Sie 171

haben gesagt, diese Stände gab‘s da. Und dann hat jeder was vorge... 172

ER: Wir hatten auch ganz buntes Programm. Wir hatten auch Jugendliche mit äh ok Rap oder 173

Breakdance diesmal nicht. Aber verschiedene – gut, das waren mehr Folkloregruppen so zum 174

Beispiel. Da haben wir Folkloregruppen, da haben wir Kinder, die haben gesungen, getanzt. Und dann 175

haben wir klassische Musik. Dann haben wir auch Vorlesungen, wir haben Fotoausstellung über 176

Bulgarien zum Beispiel. Verschiedene Sachen. Und das hat mir auch gefallen. Das war nicht 177

übertrieben und trotzdem haben die Leute viel gesehen. 178

I: Ja, ok. (-) Was nutzen Sie sonst so an kulturellem Angebot im Ruhrgebiet? Also so, generell im 179

Alltag einfach, mal Interkultur zur Seite. 180

ER: Ja, ich. Weiß ich nicht. Ich mag gerne Theater. Konzerte, Musik mag ich auch gerne. Verschiedene 181

Musik, weil meine Tochter, die - ich hab eigentlich musikalische Familie sozusagen. Alle drei, also 182

mein Mann und meine beiden Töchter, die spielen verschiedene Instrumente. Und die Große spielt 183

Bassgitarre in verschiedenen Bands. Das heißt, ich kann auch irgendwelchen Punkrock hören, wenn 184 die spielt, dann geh ich gerne und gucke. Und klassische Musik mag ich gerne. Also eigentlich bin ich 185

so ein Mensch. 186

I: Aber Sie gehen tatsächlich dann auch öfters auch dahin? Oder gibt‘s da irgendwelche Gründe 187

warum man dann nicht dahin geht oder 188

ER: So oft kann ich nicht sagen. Aber wenn ich Zeit habe oder wenn ich Programm interessant finde, 189

dann geh ich. 190

I: Und wie informieren Sie sich über solche Veranstaltungen? 191

ER: Ja, meistens oder per, oder meine Tochter sagt mir da und da gibt‘s ein Konzert. Oder haben wir 192

bei uns im Verein zum Beispiel auch viele Leute also professionelle Musiker und die machen ab und 193

zu irgendwelche Konzerte. Und ja und dann hab ich lange Zeit waren wir auch wegen Kinder haben 194

wir Aboticket beim Aalto - nee bei Philharmonie bei uns. Und dann haben wir auch regelmäßig 195

Programm gekriegt und dann haben wir auch geguckt, was wir gucken. Jo. Jetzt am Weihnachten am 196

2 Weihnachtstag geh ich mit meine Mädels und auch mit meine Mama kommt auch mit nach 200 197

Mühlheim und dann gucken wir Nassknucker. Äh 198

I: Nussknacker. 199

ER: Nussknacker (lacht). Aber das ist aus Russland. Nationalballet. Im Aaltotheater haben wir auch 200

schon paar Mal gesehen. Und jetzt gucken wir wie das russische Nationalballett das zeigt. 201

I: Schön. 202

ER: Ballett mag ich auch eigentlich. 203

I: Also vielseitig kulturell interessiert. 204

ER: Hmhm (zustimmend). 205

I: (-) Wenn Sie Tickets für solche Veranstaltungen holen, wie machen Sie das? Gehen Sie an die 206

Abendkasse oder bestellen Sie es im Internet vor? 207

ER: Ja, letzte Zeit meistens machen wir per Internet. Ganz selten Abendkasse. Lieber ein bisschen 208

früher. 209

ER: Ja, planen, nicht spontan. 210

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XLIX

Anhang

I: Würden Sie gerne an weiteren, mehr Veranstaltungen teilnehmen. Falls ja, was hindert Sie daran? 211

ER: Solche interkulturelle Veranstaltungen? 212

I: Nee einfach generell kulturelle Veranstaltungen. 213

ER: Als Verein oder als ich? 214

I: Sie als eigene Person. 215

ER: Ja. 216

I:Also, wenn Sie mehr Zeit und mehr Geld hätten... 217

ER: Ja also, wenn ich mehr Zeit und mehr Geld hätte, dann undbedingt und gerne. 218

I: Und würden Sie das kulturelle Angebot mehr nutzen oder - beziehungsweise - nutzen Sie das 219

eher, wenn es einen Bezug zu Ihrer Herkunfts- also was heißt Herkunftskultur - also der russischen 220

oder kasachischen Kultur hat - nutzen Sie das dann eher oder ist das gleich? 221

ER: Das ist gleich, absolut gleich. 222

I: Aber bedeutet das, dass Sie auch nicht gezielt nach so was suchen. Oder tun Sie das schon. Also mit 223

diesem russischen Ballett zum Beispiel. 224

ER: Nee, das hab ich nicht gesucht. Das hab ich nicht gesucht. Da hab ich einfach auch Werbung 225

gesehen und da hab ich gedacht, ja, wieso nicht, dann zeige ich Kindern, was hab ich selbst schon 226

gesehen. Dann zeige ich meine Kinder auch. Aber pfff. So extra gesucht hab ich auch nicht. 227

I: Aber ist das so, dass sich das hier zum Beispiel rumspricht? Wenn‘s jetzt irgend‘ne Besonderheit 228

gibt aus der Region, wenn die hierher kommen? 229

ER: Ja, ich denke mal, dass viele, viele unserer Landsleute gucken, ob es irgendwas gibt, ob irgendwas 230

Neues kommt oder... Aber ich persönlich nicht extra. 231

I: Ja. 232

ER: Zum Beispiel wir hatten letztens, wir waren letztens alle zusammen, hat mein Mann auch eine 233 Werbung gesehen. Gibt‘s ich wusste das nicht, aber gibt‘s einen berühmten Gitarrenspieler Tony 234

Emanuel - hab ich auch nicht gekannt. Und da hat er gesagt: Kommt, das müssen wir sehen. Boah, 235

das war soo schön. Aus Australien kommt der. Aber das war so Klasse. Sogar die Kleine hat drei 236

Stunden lang gesessen und gehört. 237

I: Ja, das ist doch schön. 238

ER: Das heißt nicht, dass ich was gezielt gesucht habe. Aber wenn ich was gesehen habe, hab ich 239

gehört „Mensch das ist Klasse das ist toll“, dann gehe ich da hin. Guck ich selbst. ob das russisch ist 240

oder aus Australien. Oder aus Deutschland. Wenn das schön ist, dann ist das schön. 241

I: N‘ Jaa. Gibt‘s irgendwas Besonderes an Ihrer Herkunftskultur, sozusagen- also Herkunftskultur ist ja 242

nicht ganz das richtige Wort, ist mir schon klar, aber irgendwie weiß ich auch grad kein besseres – 243 gibt‘s denn hier irgendwas was sie bewahren - was Sie auch hier in Ihren Lebensalltag mitgenommen 244

haben bzw. auch Ihren Kindern vermitteln möchten? Gibt‘s irgendwelche Traditionen? 245

ER: Ja, das machen wir. Das erste, was mir gerade einfällt. Zum Beispiel Hochzeit. Da machen wir, 246 wenigstens meine Generation, wenn irgendein Kind in dieser Familie heiratet. Dann machen wir da, 247

wie wir zu Hause gemacht haben. Verschiedene Sachen versuchen wir wenigstens. Und ich höre von 248

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L

Anhang

unsere Landsleute, dass die so machen, wie wir da gemacht haben. Und manchmal, wenn dann 249

gemischte Ehen sind und die sehen, wie wir das gemacht haben, dann finden sie das toll und die 250

machen das mit. Da gibt‘s verschiedene, wissen Sie, da gibt‘s verschiedene Spiele. Da muss der 251

Bräutigam zu Braut erst mal nach Hause kommen. Dann mussten Freundinnen von Braut, die muss 252 man verkaufen. Dann musste er verschiedene Sachen machen. So weiß ich nicht. Irgendwelche 253

Rätsel ähm machen oder irgendwelche -weiß ich nicht- Aufgaben machen. Oder sofort sagen, welche 254

Schuhgröße hat Frau zum Beispiel, viele so Kleinigkeiten. Aber trotzdem muss er so machen, auf der 255

Hochzeit nachher. Der Schuh von Braut verkaufen. Gibt‘s viele Sachen also. Oder vor der Hochzeit 256

müssen die Eltern von Bräutigam zu Eltern von Braut nach Hause kommen und sozusagen alles 257

besprechen, wie und was. Solche Sachen. Oder manche Feste machen wir auch. Zum Beispiel hier in 258

dem Verein machen wir Tannenbaumfest. Das ist nach Weihnachten schon für Kinder. Wir hatten 259

damals da in ehemalige Sowjetunion kein Karnevalfest. Und deshalb hatten wir das an Silvester für 260

Kinder immer gemacht. So ein Fest mit Kostümen, mit verschiedenen Kostümen. Und jetzt machen 261

wir so ungefähr hier für unsere Kinder. Doch etwas haben wir mitgebracht und hier behalten. Ob 262 unsere Kinder weiter das machen, das weiß ich auch nicht. Bei uns zum Beispiel haben wir viel von 263

deutsche Kultur auch verloren in Kasachstan in ehemaliger UdSSR. Viele haben da gewohnt, gelebt 264

haben auch ihre Kultur verloren. Da waren nicht nur Deutsche. Da waren auch aus Polen, Russen sind 265

auch überall verteilt und die Sprache erst mal verloren. Unsere deutsche Sprache oder polnische 266

Sprache, das wurde alles verloren. Und deshalb hier geht‘s hier langsam auch so. Weiß ich nicht. Zum 267

Beispiel unsere Kinder, die sprechen auch schon meistens Deutsch. 268

I:Die können auch Russisch? 269

ER: Meine auch, meine ja. Aaaber, miteinander sprechen sie doch deutsch. Das ist schon leichter, 270

praktischer irgendwie. 271

I: Ja, das geht halt meistens nicht, dass man zwei Sprachen gleich gut spricht. 272

ER: Jaa. Ich sprech mit den beiden auch Russisch. Die Kleine geht jetzt zu Russischunterricht. Die 273

Große hat das in Gymnasium auch als Fremdsprache gelernt. Mit mir sprechen sie auch Russisch, 274

aber meistens antworten sie auch Deutsch. Ja aber, ich möchte, dass sie diese Sprache nicht 275 verlieren. Wie gesagt, die haben russische Oma und Opa, die müssen auch mit den beiden auch 276

sprechen. Und zweitens haben wir diesen Fehler schon bei uns gehabt. Also, meine Eltern haben mit 277

uns zu Hause mit mir und mit meinem Bruder kein Deutsch gesprochen. Und dann musste ich mit 278

dreißig wieder anfangen die Sprache zu lernen. Das war auch schwierig. Das ist auch nicht einfach. 279

Deshalb sag ich: Nee Leute, das ist zu schade. Wenn man so eine Sprache vergessen und verloren. 280

I: Aber wär das, was, was auch wichtig für so ´n interkulturelles Festival sein könnte, dass zum 281

Beispiel auch literarische Vorträge auch auf Russisch gemacht werden sollten? Würden Sie sich so 282

was auch wünschen? 283

ER: Nee, russische denke ich nicht. Das müsste unbedingt auf Deutsch alles gemacht werden. Weil 284

wir machen solche Sachen nicht nur für bestimmte Gruppen. Wir möchten von anderen Gruppen 285

was hören und sehen und die Leute erwarten von uns auch genau so was. Nee das müsste anders 286

gemacht werden. 287

I: Und zum Beispiel bei dem Theaterstück, da war es ja auch so ´n bisschen. Dass es zumindest ein 288

bisschen so eingebracht wurde. Finden Sie so was gut? Wenn das so ´n bisschen anklingt? 289

ER: Wieso nicht. Doch ein bisschen. Aber das wurde übersetzt. Alle haben trotzdem alles verstanden. 290

Das Lied haben die gesungen. Gut, da können wir das hören oder nicht. 291

I: Genau bei dem Italienischen war das auch so. Dass sie zum Teil das auf Italienisch gesagt haben, 292

aber dann auch immer die Übersetzung direkt mitgebracht haben. 293

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LI

Anhang

ER: Ja, italienische Sprache ist auch ´ne schöne Sprache. Und (-), wenn da auf Italienisch gesungen 294

wird, das ist einfach schön. Warum nicht. 295

I: Also, Sie interessieren sich generell auch einfach für andere Kulturen weltweit? 296

ER: Ja. Ich hab zum Beispiel ein italienisches Patenkind. 297

I: Echt? 298

ER: Mein (XY) ist Italiener. Ist aber in Deutschland geboren. Der spricht selbst Italienisch spricht er. 299

Aber der hat einheimische Frau geheiratet und die Kinder sprechen schon kein Italienisch. Die Große 300 geht also, die nimmt Italienisch Unterricht teil, aber sprechen kann sie auch nicht. Da sag ich, das ist 301

auch schade, weil der fährt jedes Jahr mit Kindern nach Italien und die Kinder können nicht sprechen. 302

Das ist auch schade. Deshalb sag ich. Eine Sprache vergessen, verloren. Zu schade. 303

I: Ja. Ich bin eigentlich so weit schon durch mit meinen Fragen. Ähm, genau das wird in meine 304

Diplomarbeit einbezogen. Ich werd die Ergebnisse tatsächlich auch bei RUHR.2010 vorstellen. Dann 305

danke ich Ihnen recht herzlich. 306

ER: Nichts zu danken. Hab ich ja nicht viel gemacht. Nur ein bisschen erzählt.307

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LII

Anhang

Interview FP 1

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 2

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 3 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 4

Datum: 06.12.2008 5

Ort: polnischer Verein 6

7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 46 10

Geschlecht: weiblich 11

Beruf: ohne Angabe 12

Herkunft: Polen; deutsche Vorfahren 13 14

15

I: Also, als allererstes würd mich mal interessieren, wann und warum kamen Sie bzw. Ihre Vorfahren 16

nach Deutschland? 17

18

FP: Also, ich fang erst mal bei mir an. Bin 198(X) nach Deutschland gekommen. Aus dem Grund, dass 19

ich mit 19 Jahren geheiratet (Pause Sirene) geheiratet habe einen Landsmann aus Jugoslawien. Und 20

für uns war das die einzige Möglichkeit zusammenzuleben. Da meine Vorfahren sprich Oma, Opa alle 21

Deutsche waren. Ich komm aus Oberschlesien. Hat sich so ergeben, dass ich dann halt Deutschland 22

gewählt habe. Um mit meinem Mann halt zusammenzuleben. Weil in Polen war nicht die Möglich - 23 bestand die Möglichkeit nicht. Und in Jugoslawien auch nicht. 24

25

I: Und wie lang ist das schon her? 26

27

FP: 2(X) Jahre. Jetzt im Dezember. 28

29

I: Ist das eher so, dass Sie sich der polnischen Kultur zugehörig fühlen oder eher der deutschen? 30

(Pause Sirene) 31

32

FP: Also, man hat ja. Also ich pflege die polnische Kultur, aber gleichzeitig habe ich sehr viel mit 33 Deutschen auch zu tun. Und geh auf Konzerte Peter Maffay etc. Also, ich bin für alles offen. Und die 34

polnische Kultur pflege ich auch durch die Zugehörigkeit zum Verein (XY). Weil das ja jetzt sehr über 35

das ganze Jahr regelmäßig stattfindet. Und man hat ja auch Kontakt zu den Landsleuten. Man kennt 36

sich ja auch ganz gut. 37

38

I: Schön. Und RUHR.2010 kennen Sie das? Hab ich auch schon raus gehört. 39

40

FP: Ja. 41

42 I: Und haben Sie auch von MELEZ gehört? 43

44

FP: Nein. 45

46

I: Das ist ein interkulturelles Festival. Und damit beschäftige ich mich noch mal konkret. Deswegen 47

eben auch die Verbindung zu Menschen mit Migrationshintergrund. Ich möcht Ihnen das mal gerne 48

ganz kurz vorstellen. Damit Sie so ´n Überblick kriegen, was überhaupt angeboten wurde. Zum einen 49

haben die migrationspolitische Vorträge dort vorgeführt, und das läuft schon seit 2005 jedes Jahr 50

einmal. Und im ganzen Ruhrgebiet eigentlich. Migrationspolitische Vorträge wie zum Beispiel von 51

Rita Süssmuth über Migration und Integration. Oder der Cem Özdemir, der war auch da. Der hat zum 52

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LIII

Anhang

Beispiel sein neues Buch vorgestellt. Dann gab es verschiedene Theaterstücke. Also zum Beispiel 53

sowas wie „Italien an der Ruhr“. Das war ´ne Art Dokumentartheaterstück. Dann gab‘s ´ne Mischung 54

zum Beispiel Tanztheaterstücke z.B. das Renegade-Theatre. Vielleicht haben Sie davon schon mal was 55

gehört? 56 57

FP: Ja. 58

59

I: Genau. Da gab‘s eben diese Mischung zwischen BMX, Beatboxer? Dann gab‘s natürlich auch noch 60

Popkonzerte, das Global Player Konzert gehörte auch mit dazu. Da sind wirklich auch Musikgruppen 61

aufgetreten, die so Mischstile eigentlich vorgetragen haben. Was gab‘s noch? Dann gab‘s natürlich 62

noch das MELEZ.LABOR. Das MELEZ.LABOR das war dieses Jahr ´ne Neuerung. Und zwar gab‘s da 63

Führungen durch sogenannte soziale Brennpunkte eigentlich. Also Dortmund Nordstadt und 64

Duisburg Marxloh. Und da haben sich die Leute, die da wohnen sich selber ein bisschen engagiert 65

und haben andere Menschen dort rumgeleitet. Erscheint Ihnen bei diesem Programm etwas 66 besonders interessant, besonders attraktiv, wo Sie sagen, da würd ich gerne mal hingehen? 67

68

FP: Ja, eigentlich so Konzerte und Gruppen, die auftreten auch. Wie Sie gesagt haben, Theater sowas, 69

das ist schon sehr interessant. Auch von mehreren Nationen, wenn das da vorgestellt wird. 70

71

I:OK. Sie interessieren sich also nicht nur für die polnischen Sachen, sondern… 72

73

FP: Nein, nein. Dadurch, dass ja auch, also mein Mann kommt ja auch aus Montenegro. Da ist ja auch 74

andere Kultur. Ich bin da schon sehr multikulti. Muss ich ehrlich zugestehen. Ich bin ja auch für alle 75 offen. Ich hab ja auch Bekannte, die türkischer Herkunft sind. Und da kriegt man doch einiges mit 76

deswegen. Das finde ich sehr interessant überhaupt. 77

78

I: Kennen Sie vielleicht Kwadrofonik? Das ist nämlich auch so polnisches Duo, die da aufgetreten sind. 79

80

FP: Könnte sein. Aber das sind dann so kleine Gruppen. Man kennt die halt nicht. 81

82

I: Also, wenn das jetzt nächstes Jahr noch mal angeboten werden würde und Sie das Programm 83

vorher in den Händen hätten, würden Sie dann dorthin gehen. 84

85 FP: Ja, ich könnte mir vorstellen, dass ich da was für mich finden würde. 86

87

I: Ok. Aber wenn das nur in (XY) wäre oder auch im 88

89

FP: Im Umkreis. Aber nicht weit weg. Das ist schon wichtig. 90

91

I: Also das findet alles im Ruhrgebiet statt. 92

93

FP: Jaja. 94

95 I: Was würden Sie sich persönlich für MELEZ wünschen? Haben Sie irgend ‘ne Idee, was Sie gerne 96

hätten nächstes Jahr? 97

98

FP: Ja gut, spontan, dass, wenn man vor Ort ist und das alles sieht, dass man dann sehr viele gute 99

Erinnerungen mit nach Hause bringt. Dass einen das auch einige Zeit beschäftigt. Das ist sehr wichtig. 100

101

I: Ok. 102

103

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LIV

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FP: So konkret kann ich jetzt nicht sagen was. Aber es ist bestimmt interessant. Also die Sache das zu 104

sehen und dabei zu sein. 105

106

I: Aber so ´n bestimmten Programmpunkt? 107 108

FP: Ja, also was mit Musik zu tun hat. Das ist schon eher meine Richtung. 109

110

I: Und sonst? Nutzen Sie sonst das kulturelle Angebot im Ruhrgebiet? 111

112

FP: Ja also, wir machen das mit dem Verein oft. Kriegt man ganz schnell Informationen, was läuft. 113

Also Zeche Zollverein, wenn da was ist, da sind wir auch. Dann sind wir auch privat oder werden wir 114

auch eingeladen. Und wir waren ja auch in Bochum. Zeche Hannover weiß, da war eine Ausstellung 115

(unverständlich1). Da haben wir uns auch was angeguckt. Es ging ja hauptsächlich um Polen. 116

117 I: Und sowas ist dann tatsächlich vom Verein aus? 118

119

FP: Meistens. Man kriegt da vom Verein. Man wird da informiert. Und dadurch kriegt man das ganz 120

schnell mit. 121

122

I: Wie informieren Sie sich am liebsten über Veranstaltungen? 123

124

FP: Also, ich gucke immer in der WAZ, da steht einiges. Also, die verfolg ich jeden Tag. Und sonst 125

Internet. Is ja auch immer gut. 126 127

I: Ja. 128

129

FP: Essen interkulturell. Also in Essen gibt‘s ja auch Kulturbüro. Da kann man ja auch anklicken alles. 130

Da gibt‘s ja genug Infos. Wenn man Interesse hat. 131

132

I: Das ist schön. Und die Tickets? Wie erwerben Sie die am liebsten? Auch per Internet? 133

134

FP: Nee. An der Abendkasse. Meistens oder auch Vorverkauf, wenn man weiß, ja die können 135

ausverkauft, dann kümmert sich mein Ehemann drum (lacht). So ´ne Sache. 136 137

I: Würden Sie gerne an mehr Veranstaltungen teilnehmen als Sie bisher tun? 138

139

FP: Nö, eigentlich nicht. Das ist ausreichend, ja. Von der Zeit aus – also, man hat ja auch ein 140

Privatleben. Wenn man im Verein tätig ist, da hat man genug zu tun. 141

142

I: Und würden Sie das kulturelle Angebot eher nutzen bzw. mehr nutzen, wenn es einen Bezug zu 143

ihrer Herkunftskultur hätte? 144

145

FP: Ja, da besteht immer so ´n Interesse im Hintergrund, dass man dann was sehen möchte. Und 146 erfrischt halt, was zeigen die denn oder was führen die vor? Doch das spielt bestimmt eine große 147

Rolle. 148

149

I: Suchen Sie denn auch gezielt nach solchen Angeboten oder wird das dann wahrscheinlich eher vom 150

Verein verbreitet? 151

152

FP: Ja, das wird verbreitet, man kriegt dann Bekanntmachungen, auch wenn Gruppen aus Polen 153

kommen so. Dann weiß man schon Bescheid oder man guckt. Entweder mag ich die oder mag ich die 154

nicht. Dann geht man hin. 155

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LV

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156

I: Ähm. Und wenn sie nochmal so überlegen. Was finden Sie besonders wichtig an Ihrer 157

Herkunftskultur, was Sie hier auch bewahren möchten? 158

159 FP: Ja, dass man die Polen nicht nur mit Autoklau verbindet. Also, ist mir auch immer ein großes 160

Anliegen. Also Polen haben sehr große Kultur, also breite Kultur und das ist ein Volk, das gerne feiert. 161

Und wenn Hochzeit gefeiert wird, dann dauert das zwei Tage. Dann wird getanzt. Und dann 162

propagieren - mach ich gerne, wie das in Polen alles abläuft. Auch unter Deutschen. Dann erklär ich 163

denen immer warum, weshalb. Das ist halt auch für mich wichtig, dass die wissen, dass man ganz 164

normal ist (lacht). 165

166

I: Also, das bedeutet, dass Sie - das ist nämlich eigentlich schon meine nächste Frage - dass Sie auch 167

Ihre kulturellen Hintergründe anderen Mitbürgern gerne zeigen möchten? 168

169 FP: Auf jeden Fall. Auf jeden Fall. 170

171

I: Und das auch als wichtig erachten. Gäb‘s denn noch irgendwas. Jetzt mal vom interkulturellen 172

Bereich vielleicht abgesehen, was Sie sich für das Kulturhauptstadtjahr insgesamt wünschen würden? 173

174

FP: Ja (-), das immer wieder neue Sachen zu sehen sind. Neue Veranstaltungen. Auf jeden Fall. Im 175

Sommer da passiert einiges. Das wird auch sehr gut besucht. Und ich denke, wenn das so bleibt und 176

wenn vielleicht was Neues dazu kommt, warum nicht? Man lebt ja in der Stadt. Da geht man gerne 177

raus. Gerade Sonntag, wenn da was läuft, da guckt man gerne zu. Da nimmt man gerne teil an 178 solchen Veranstaltungen. 179

180

I: Der Verein, der ist ja auch engagiert kulturell. Ich hab gesehen, Sie haben auch beim 181

interkulturellen Fest mitgemacht. 182

183

FP: Ja. Ja, also wir haben eine Tanzgruppe, die heißen Karaoka. Das sind Jugendliche, die Folklore 184

tanzen. Immer, wenn solche Veranstaltungen stattfinden, da sind die dabei. Die treten dann auf. Wir 185

haben eine Band – Rock-Blues-Band aus (XY). Das sind auch Musiker, die jetzt auch am Freitag 186

aufgetreten sind in Essen letztens. Und auch interkulturell. Und geben einstündige Konzerte. Laute 187

Musik, aber auch Leute, die kommen, die kennen wir ja. Wir sind da sehr immer engagiert. Was den 188 Bereich anbelangt. 189

190

I: Aber Sie wissen nicht, ob‘s mit RUHR.2010 schon ´ne Kooperation gibt? 191

192

FP: Nein, noch nicht. Aber sehr wahrscheinlich wird das dann – aber in Details wüsst ich das nicht. Ich 193

würd das vermuten. […] Ich hoffe, das hat Ihnen geholfen. 194

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LVI

Anhang

Interview GP 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 06.12.2008 6

Ort: polnischer Verein 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 51 10

Geschlecht: weiblich 11

Beruf: Selbständig 12

Herkunft: Polen; 1.Generation 13

14 15

I: So, dann würd mich erst mal zu Ihrer persönlichen Migrationsgeschichte interessieren. Wann und 16

warum kamen Sie bzw. Ihre Vorfahren nach Deutschland? 17

18

GP: Vorfahren gab's eigentlich keine. Ich bin hier - also wissen Sie - so als Aussiedler gekommen, kann 19

man so sagen. Und das war ´8(X), als wir kamen hier. Aber auch auf jeden Fall - ich meine, wissen Sie 20

- da waren zwei Gründe. Weil das, der erste Grund das war, bestimmt das war so ungewisse Zeit in 21

Polen. Wir hatten doch Ausnahmezustand in Polen überlebt und das Solidaritäts -, Rebellierezeiten. 22

Da war noch nicht klar, ob Polen wird wirklich so frei wie jetzt ist zur Zeit. Und ich eigentlich wollte 23 eigentlich nicht, nie nach Deutschland auswandern. Aber hab ich immer geträumt Freiheit. Ein 24

bisschen Freiheit zu haben, und das war so: Mein Mann äh, Familie meines Mannes. Das - sie hat 25

deutsche Abstammung im Stammbuch und so. Und mein Mann ist - hat endlich Pass gekriegt. Nach 26

dem Studium war in Polen sehr schwer einen Pass zu bekommen. Er hat so, ich meine drei Tage, in so 27

eine Schlange gestanden. Drei Tage in so eine Schlange und endlich hat er‘s gekriegt. Und sein bester 28

Kollege hat ihm Einladung nach Deutschland geschickt. Und der ist zu ihm zu Besuch nach dem Motto 29

ich schaue mich um. Und er hat mich angerufen: „Es tut mir leid, aber ich bleibe." Das war so, und ich 30

war als Offizierstochter eigentlich wie in Gefängnis in Polen. Ich konnte 20 Jahre keinen Pass kriegen. 31

Ich hab nie Pass gehabt und da muss ich sagen, endlich mit so eine Turbulenzen, dann ich hab 32

meinen Pass gekriegt, dann konnte nicht mein zweijähriges Kind Pass kriegen, aber auf jeden Fall, das 33 war so: Endlich hatten wir beide Pass und dann hab ich gesagt, jetzt Nase voll, ich möchte meine 34

Freiheit haben, ich möchte das genießen. Wenn so eine Möglichkeit schon entsteht, dann möchte ich 35

das ausnutzen. Und dann könnte man sagen, ökonomische, wirtschaftliche Gründe, das spielten auch 36

eine Rolle. Aber ich meine in unserem Fall das war so wie - wir wollten so ganz einfach frei sein. Ohne 37

Begrenzungen, denn du darfst hier und du darfst hier nicht. 38

39

I: Und deswegen Deutschland. Und dann sind Sie ja schon auch längere Zeit hier. Fühlen Sie sich denn 40

der polnischen Kultur eher zugehörig oder der deutschen gleichermaßen? 41

42

GP: Beiden. Beiden gleichermaßen. Weil die deutsche Kultur musste ich von Anfang an - lernen, 43 entdecken. Weil zum Beispiel ich bin jetzt sehr froh, dass könnte ich Goethe im Original lesen. In 44

Schule hab einige Gedichte - von Goethe, haben wir gemacht, aber jetzt, das ist meine ganzen Stolz, 45

weil wenn jemand fragt mich nach den Dingen, die ich hier gemacht habe dann ich sage immer, ich 46

bin so stolz, dass ich könnte so in Originalsprache alles lesen. Obwohl am Anfang als ich kam, das war 47

nur „Guten Tag“ auf Deutsch. Ich kannte ziemlich - relativ gut Englisch. Nur leider war hier mir nicht 48

behilflich, weil die Verkäuferinnen am Anfang bei Aldi, die sprachen kein Englisch (lacht). Aber, aber 49

ja. Das ist schon sehr interessante Sache. Ich bin so stolz, dass ich so weit Deutsch gelernt habe, dass 50

ich könnte jede Buch lesen. Ich verstehe das. Obwohl meine polnische - aber schauen Sie Marcel 51

Reich-Ranicki -, der hat das gleiche Problem vielleicht wie ich. (lacht) Nach so viele Jahre, ne?! Ich 52

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LVII

Anhang

meine, das ist der Grund, dass unsere Kinder sprechen akzentfrei, weil das eben Kinder waren. Und 53

ich bin, ich war vielleicht mit 3(X) nach Deutschland gekommen. Dann natürlich ist schon so 54

Unterschied die Sprache zu lernen. 55

56 I: Aber dafür sprechen Sie doch gut - auf jeden Fall. 57

58

GP: Aber das bleibt so. Dass man versteht viel mehr, wenn ich Bücher lese, dann ich verstehe alles. 59

Aber das… 60

61

I: Das Sprechen ist immer schwieriger. 62

63

GP: Umsetzen - diese komplizierte und schöne deutsche Sprache. Weil jeder fragt, ob mir deutsche 64

Sprache gefällt. Um ehrlich zu sagen, als ich kam, hab ich fast ein Zehntel nur verstanden, da hab ich 65

gesagt Scheiße Sprache. So hart und so. Weil im Vergleich zum Russisch oder Tschechisch oder so 66 was. Aber wenn man wirklich versteht, dann ehrlich zu sagen schöne Sprache und kann man das 67

gleiche auf Deutsch ausdrücken wie auf Polnisch. Ja. 68

69

I: Sie leben ja jetzt hier im Ruhrgebiet. Hier in (XY)? 70

71

GP: (XY) wohnte ich 13 Jahre und jetzt wohne ich seit 4 - 4, 5 Jahren in (XY). 72

73

I: Aber dann haben Sie trotzdem schon von der Kulturhauptstadt gehört? 74

75 GP: Ja, jaja. 76

77

I: Und in dem Rahmen wird es auch wieder ein interkulturelles Festival geben, was auch jetzt schon 78

existiert, nämlich MELEZ. Haben Sie davon schon mal gehört? 79

80

GP: Seit wann? 81

82

I: Seit 2005 gibt’s das. 83

84

GP: Ja, da bin ich ausgezogen nach (XY), vielleicht deshalb. Hmm. 85 86

I: Ja, es findet eigentlich sogar eher in Bochum statt und hat verschiedene Standorte. 87

88

GP: Ach, das weiß ich. Da hab ich die Plakat - jaja - das lese ich jede Jahr in (XY). Und dann verspreche 89

ich mir, ich muss nach Bochum kommen und das habe ich seit paar Jahren nicht geschafft. Obwohl i 90

hab ich gesehen ganz interessante Dinge laufen. Ne, das ist so interkulturell, nee? 91

92

I: Ich kann Ihnen noch mal kurz erzählen, was es dieses Jahr gab. Da gab es literarische Vorträge zum 93

Beispiel. Ich glaube ein polnischer war jetzt leider nicht darunter, aber von LiteraTürk war ganz viel 94

und baskische, also verschiedene Kulturen einfach dort. Dann migrationspolitische Vorträge. Die Rita 95 Süssmuth zum Beispiel hat gesprochen. 96

97

GP: Aha (erstaunt). 98

99

I: Dann gab‘s Theaterstücke, also zum Beispiel Italien an der Ruhr oder Sivas 93. Ansonsten gab‘s 100

Theaterstücke - Tanztheaterstücke wie das Renegade-Theatre - haben Sie davon gehört? 101

102

GP: Nee -, aber ich meine hab ich gelesen. 103

104

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I: Das ist so ´ne Mischform aus – also, da ist zum Beispiel ´ne klassische Tänzerin von Pina Bausch 105

dabei und dann ist da noch ein BMX Fahrer mit auf der Bühne. 106

107

GP: Ah so. 108 109

I: Dann gab‘s Musik - Popmusik. Ne Global Player Party mit verschiedenen Musikstilen und zum 110

Beispiel gab‘s ein Kinderkonzert mit dem Halas Duo - sagt Ihnen das was? 111

112

GP: Nein. Meine Kinder – mein Kind ist schon erwachsen. 113

114

I: Und dann gab‘s noch Kwadrofonik. 115

116

GP: Kwadrofonik. Ja klingt so nach (-) Ungarn, Rumänien. 117

118 I: Ich muss noch mal nachgucken. Ich meine, dass die polnisch wären. (suchend) Doch es ist aber mit 119

dem polnischen Institut zusammen gewesen. 120

121

GP: Ah so. Düsseldorfer meinen Sie. 122

123

I: Genau. Und die machen halt so - das geht über ganz viele Musikrichtungen und mit zwei Klavieren 124

und zwei Perkussionsinstrumenten. 125

126

GP: Aha. 127 128

I: Und dann gab‘s noch das MELEZ.LABOR. Vielleicht haben Sie das irgendwie auch durch die Presse 129

erlebt. Denn da ging‘s zum Beispiel auch durch Duisburg Marxloh. Wir haben uns da zum Beispiel die 130

Moschee angeguckt und dann gab‘s da ´ne Führung durch die Straßen mit den Hochzeitsläden. 131

132

GP: Jaja. Jajajaja. Jetzt ist so ein Projekt. Jugendliche haben sieben. Marxloh oder so was. Ich hab 133

Reportage im Fernsehen gesehen. Ganz mutig muss ich sagen. Gefällt mir auch. Und dann hab ich mit 134

vielen Türken gesprochen und die sind so einverstanden mit diese riesige Moschee, da ist nicht so 135

aufgeteilt. Das ist jetzt vereinigt alles. Und die Türken sind eigentlich von der ganzen Geschichte 136

begeistert. 137 138

I: Ähm - wenn Sie jetzt überlegen: Was erscheint Ihnen persönlich von diesem Programm attraktiv? 139

Wo wären Sie gerne hingegangen? 140

141

GP: Alles. Also eigentlich ich bin so offener Typ. Ich organisiere ab und zu Kunstausstellungen hier bei 142

(XY). 143

144

I: Ah ok. 145

146

GP: Hier wissen Sie, wo ist (XY)? […] Und jetzt ist das so eine so wie (-) weiß ich nicht 100 oder 80 147 Firmen sind zusammen. So und dann - das ist auch so wie Abteilung von Zeche Zollverein. Und dann 148

hab ich schon zwei oder dreimal große Kunstausstellungen organisiert. Zum Beispiel ich habe immer 149

noch Kontakte mit gute polnische Theater. Und ich würde zum Beispiel sehr gern so 150

zusammenarbeiten. Ich hab das in Polen immer gemacht. Ich hab, ich hab - weiß ich nicht, wie viel 151

Jahre - 10 Jahre in Kulturbereich in Polen gearbeitet. Und deswegen sag ich immer, man hat hier 152

immer weniger Zeit, weil ich noch berufstätig bin. 153

154

I: Was machen Sie? 155

156

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GP: Ich hab mich selbstständig gemacht. Und mache ich (XY)-büro, weil ich in Deutschland gelernt 157

hab (XY). Und hab ich - nach dem Umzug konnte ich nicht Arbeit finden. Hab ich mich gedacht 158

entweder oder so arbeiten. Und jetzt hab ich so einen Kopf, weil ich mit diese EU-Gesetz […]. 159

160 Dass sie jetzt selber schon die amtliche Übersetzungen und so, das kostet mich so viel Nerven und 161

Zeit und dann musste ich vor Gericht. Und es ist schon ein bisschen, ne?! Ja, aber bin ich zufrieden, 162

weil das bis jetzt so- vielleicht nicht Haus und Geld -, aber möchte ich das auch nicht. Hauptsache 163

man fühlt sich benötigt. 164

165

I: Und – also, Sie würden da nächstes Jahr auch mal hingehen, wenn Sie denn 166

167

GP: Wenn ich Plakat sehe, dann bestimmt. Weil das ist zwei Jahre schon nacheinander hab ich nur 168

gehört. Dann werde ich bestimmt gern gehen. Mein Traum ist zurzeit ein Theaterausstellung 169

vielleicht in Oberhausen organisieren. Kennen Sie das Holubek – Holubek von - wie heißt das auf 170 deutsch? - ach egal. Auf jeden Fall dieses Stück ist auf Polnisch und auf Deutsch. Ne, deshalb ist für 171

beide Publikum ich meine interessant. Ich hab das in Kattowitz gesehen, hat mir sehr gefallen und 172

wenn das klappt, natürlich dann ist Werbung/Reklame ist viel zu tun. Aber da muss man ein bisschen 173

so freie Kapazitäten haben. 174

175

I: Ja. Und was würden Sie sich persönlich für MELEZ wünschen? Für nächstes Jahr? Wenn Sie da sich 176

was wünschen könnten? 177

178

GP: Jaa, ein bisschen mehr Werbung im Radio zum Beispiel. Dass das, dass man hört das. Nicht so im 179 letzten Monat - im letzten Moment. Wenn ich fahre, dann sehe ich so und dann, ach, heute ist letzte 180

Tag oder so was. Wissen Sie, dann wir haben so vieles lokales Radio oder Internetradio oder so was. 181

Und ich meine, kostet nicht so viel die Werbung. Ich weiß, mit welchem Aufwand ist das organisiert. 182

Und das ist zu schade, dass manchmal zu wenig Leute. Die Leute sind zurzeit jetzt kulturimmun, das 183

wissen Sie, ne?! Dass die bei so einer Krise, wirtschaftlichen Krise wie jetzt die letzte Ausgabe ist für 184

Kultur, Ausstellungen und Theater. Das war immer so, bei so einen Sachen. Deshalb ich meine das 185

sollte trotzdem vielleicht so – doch, doch - das muss mit Zuschüsse organisiert werden von Stadt 186

oder so was. Weil für Kultur muss man immer Geld ein bisschen finden. Weil von eigene Mittel ist das 187

sehr schwer zu schaffen. Weil so eine Ausmaßung, wie sie das organisieren, Theater und für Kinder 188

und das und das. Das ist wirklich schade, dass ist zu wenig Werbung. Ne weil, wenn sie jede so auf die 189 Straße so eine Interview machen, bestimmt, wer hat das davon gehört? 190

191

I: Es gibt tatsächlich ´ne Studie dazu. Das waren 0,6 Prozent von den Befragten. 192

193

GP: Sehen Sie. Sehen Sie. Und ich, sagen wir, ich bin schon Ausnahmefall, weil ich interessiere mich 194

für so eine Sachen. Und dann muss das so leider so -mit Flyern nicht, weil das jedem Ding so - Texte, 195

Werbung oder so was. 196

197

I: Also, was Besonderes? 198

199 GP: Aber man verbringt ganz viel Zeit im Auto. Und im Auto hört man immer Radio. Das ist ich meine 200

ein Mittel, der trifft‘s zu jedem. 201

202

I: Hmhm. Nutzen Sie denn sonst das kulturelle Angebot im Ruhrgebiet? Was nutzen Sie da so? 203

204

GP: Ja, wissen Sie - Philharmonie in Essen. Neujahreskonzert unbedingt. Und - je nachdem, was im 205

Theater läuft, dann gehe ich gerne ins Theater. Egal - groß, klein, Comedy-Theater- ist mir egal. Und 206

(-) wissen Sie, noch eine Sache ist mir eingefallen, aber so – ja, alte Hippie - Rockkonzerte. 207

Rockkonzerte. Wenn es was Gutes gibt, dann - natürlich ist jetzt zurzeit alles zu teuer geworden. Aber 208

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LX

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könnte man schon. Paar Sachen hab ich gute gesehen und ich meine Rolling Stones sollte man 209

immer. Oder wissen Sie, die deutschen Sänger. Da würde ich gern zum Herbert Grönemeyer gehen 210

oder Reinhard Mey, da war ich noch nicht. Aber die Sachen vermisse ich. Das ist schon so. 211

212 I: Und wie informieren Sie sich am liebsten über solche Veranstaltungen? 213

214

GP: Wenn ich Lust habe, etwas zu sehen oder so was, dann gehe ich in Internet. Da muss ich sagen 215

die - da hab ich komplette Information. Wo, wie viel kostet und so – sofort alles. Da brauch ich 216

nirgendwo anrufen. Ich meine Internet ist jetzt ok für alle Veranstaltungen, weil könnte man einen 217

Namen tippen und, oder man fährt, hört man etwas im Radio und hat man nicht zu Ende gehört. 218

Wenn mich interessiert so ein Sänger oder so was. Ich höre ganz oft die Europa - diese Multikulti-219

Radio. 220

221

I: Funkhaus Europa. 222 223

GP: Ja, ja. Das - die geben immer sehr schöne Tipps. 224

225

I: Wobei ich mir da eigentlich auch vorstellen kann, dass MELEZ da Werbung gemacht hat. Also das 226

würde mich sehr wundern, wenn nicht. Aber kann natürlich sein. 227

228

GP: In welche Zeit das war? Im Juni? 229

230

I: Also, das Festival, das hat jetzt stattgefunden. Also, was heißt jetzt - das war im Oktober genau – 231 über ein paar Wochen. Mitte Oktober bis Anfang November. Und wenn Sie zu Veranstaltungen 232

gehen, wie erwerben Sie am liebsten die Tickets dafür? 233

234

GP: Internet. 235

236

I: Internet also auch. Abendkasse nicht? 237

238

GP: Abendkasse in letzte Sekunde, wenn ich schon nicht schaffe. 239

240

I: Ok, wenn‘s spontan ist. 241 242

GP: Wenn‘s spontan ist oder sowas. Und jemand ruft mich an: „Komm, ist eine gute Sache“. Und sind 243

noch welche Ticket da. Dann natürlich Abendkasse. Aber sonst ich meine, die bequemste Form ist 244

Internet. Kommt nach Hause. Ist per Karte bezahlt. Und man ist sicher. (lacht). Wer braucht - wissen 245

Sie mit guten Sachen ist so - bleiben noch Tickets oder nicht? Kriege ich noch welche Ticket oder 246

nicht? Ja, aber auf jeden Fall das Internet, ich finde das so, ja jetzt ist - polnische Weihnachtslied. 247

(Veranstaltung nebenan) 248

249

I: Würden Sie gerne an weiteren - mehr Veranstaltungen teilnehmen und wenn ja, was hindert Sie an 250

mehr Sachen teilzunehmen? 251 252

GP: Hmm (überlegt). Eigentlich nur zeitliche Begrenzung. Nur zeitliche, ne. Weil die gewisse Mittel. 253

Finanzielle Mittel, die finde ich. Das sind nicht so. Wenn das keine Tina Turner-Konzert ist mit 500 254

oder so was. Diese 30, 40 Euro das findet man schon immer. Und diese Umwege sind auch im 255

Ruhrgebiet nicht so grandios. 30 oder 40 Kilometer ist kein Problem zu fahren. Nur zeitlich. Zeitlich, 256

dass wir sind jetzt alle so verrückt. Wissen Sie - wir können das nicht so. Ich merke das. Das wir 257

können das nicht so planen, weil so viele Dinge dazwischen sind immer passiert. Besonders bei mir, 258

weil ich selbstständig bin. Und dann könnte ich nicht planen, weil wenn ich Anruf kriege, hier musst 259

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du oder so, man ist so, aber diese zeitliche Begrenzung. Ja, ja. Und dann muss man schon vollen 260

Abend planen für so eine Sache. Das ist - eigentlich hab ich meine Freiheiten jetzt. (lacht) 261

262

I: Nutzen Sie das kulturelle Angebot eher bzw. mehr, wenn es Bezug auf Ihre Herkunftskultur hat? 263 264

GP: Nee. 265

266

I: Das ist absolut gleich? 267

268

GP: Absolut gleich. Ja natürlich, wissen Sie, wenn das so etwas besonders Polnisches, so sagen wie in 269

Oberhausen ist polnisches Theater und so drei Gruppen, so ganz berühmte Rockgruppen und so. Das 270

sind so meine Lieblingsidole von vor dreißig Jahren. Dann natürlich bevorzuge ich. Aber kann ich 271

nicht sagen, wissen Sie, wenn ich in diese Tag Einladung kriege zu guter deutscher Veranstaltung – 272

dann das ist mir gleich. Das kann ich nicht so – nee, ich geh dort, weil ist da auch polnisch, ne?! 273 Ehrlich zu sagen, muss es das gewisse Niveau schon haben. Nicht jede was, nicht alles, was polnisch, 274

ist gut und nicht alles, was deutsch ist. Zum Beispiel zu Ballermann Party würd ich auch nicht gehen 275

oder zu Après-Ski. Und so (lacht). 276

277

I: Ja, verstehe. Also suchen Sie denn aber gezielt nach solchen Angeboten, die nen Bezug zu Ihrer 278

Herkunftskultur haben? Oder 279

280

GP: Nein gezielt nicht. Hier zum Beispiel im Rheinberg hab ich gehört, da ist so gute Rockgitarrist. Den 281

ich kenne ich nicht. Und das organisiert so eine kleine Club Underground oder so was. Und spontan 282 ich hab ich gelesen, dann im Youtube, ach so, klingt gut. Ich meine das ist eine Deutsche. Weiß ich 283

nicht so genau, das ist ein Deutsche. Aber wissen Sie, manchmal höre ich etwas – Gott sei Dank gibt‘s 284

jetzt Youtube. Das kann man alles schon finden. Von kulturelle Sachen können Sie ganz viele Sachen 285

finden. Egal, ob das alte Film ist deutsche Film oder so was. Aber, wenn sie ein bisschen nur so ein 286

Stichwort wissen, dann ist schon nicht schwer zu finden. Und natürlich geht man immer weiter und 287

findet man, man ist so auswendig. 288

289

I: Was finden Sie an Ihrer Herkunftskultur besonders wichtig? Was möchten Sie bewahren auch hier? 290

291

GP: Doch Traditionen. Polnische Traditionen. Tradition (englisch), ne?! So wie das war schon wie die 292 Geige auf dem Dach. Auf diesem Musical. Anatavka, ne, wie heißt das? 293

294

I: Anatevka. 295

296

GP: Anatevka heißt auf Deutsch das. Auf Polnisch heißt es, Geiger auf dem Dach. 297

298

I: Ehrlich? 299

300

GP: Ja, ehrlich. Aber auf jeden Fall und da ist so sehr wichtige Tradition, das ist so Leitmotiv von 301

diesem Musical. Und dann muss ich sagen, dann ist doch Tradition ist doch immer mit Heimat 302 verbunden und Heimat ist dort wo man geboren ist. Das kann man nicht so. Die Wurzeln kann man 303

nicht abschneiden. Und deshalb ich meine, zum Beispiel - ich werde nie zu Weihnachten Gans braten. 304

Weil in Polen, das ist ohne Fleisch eigentlich Heilige Abend. Und dann würde ich, da möchte ich 305

schon was behalten. Ist natürlich nicht so mit strengen Regeln. Möchtest du bitte schön. Tradition ist 306

Tradition, finde ich. Und dann ganz viele so, wissen Sie, das fehlt mir zum Beispiel in Deutschland 307

Allerheiligen 1. November. Das ist in Polen sehr nachdenklich. Sehr traurige und sehr nachdenkliche 308

Tag. Hier ist nicht so. Und das fehlt mir. Ist vielleicht einzige Feiertag, der fehlt mir wirklich so mit 309

Tradition, mit alles so. Kommt schon erste November und ich weiß schon, das wird nie so wie in 310

Polen. Ne? So eine Sachen. 311

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LXII

Anhang

312

I: Und ist Ihnen das wichtig, dass Sie auch Ihre kulturellen Hintergründe auch den anderen 313

Mitbürgern zeigen? 314

315 GP: Ja natürlich. Ja natürlich. Wissen Sie - das ist zu schade, wenn man schon könnte von zwei 316

Kulturen so ein bisschen rausziehen. Da find ich zu schade, dass nicht ausnutzen. Deshalb für mich ist 317

das wichtig, die besten Sachen von polnischer Kultur und die besten Sachen von deutsche Kultur. 318

Weil hier in Deutschland gibt‘s auch viele Sachen, die haben mich so nett überrascht, so sage ich. Hab 319

ich das vielleicht nicht gewusst am Anfang, dann wurde mir das nicht bewusst, aber ich meine, das ist 320

sehr schön, wenn ich nach Polen fahre - zum Beispiel in meine Familie, da musste nicht unbedingt ein 321

Weihnachtskranz sein. Aber das ist schön zu Weihnachten. Und die andere so - wissen Sie - vielleicht 322

nicht nur kulturelle Sachen, aber auch von - wie nennt man - diese Eigenschaften, deutsche 323

Eigenschaften. Ist, ich meine, einer ist Idiot, wenn er verbindet das nicht zusammen. Das ist hier gut, 324

das ist hier gut. Dann solltest du schon klug sein und davon etwas haben. Und du und vielleicht die 325 nächste Generation, denn ich möchte, dass meine Tochter zum Beispiel - guck mal, bei den 326

Deutschen ist das gut und bei den Polen ist das gut, und dann könnte man schöne Mischung davon 327

machen, ne?! 328

329

I: Von allem das Positive. 330

331

GP: Positives ja natürlich. (lacht) Positives. Obwohl heutige Tage nur positive Dinge gibt‘s nicht. 332

333

I: Gibt‘s denn generell noch ´nen Wunsch, den Sie für das Kulturhauptstadtjahr hätten? 334 335

GP: (Überlegt) 336

337

I:Irgendwas, wenn Sie irgendwas persönlich machen könnten, oder irgendwas, was Sie gerne sehen 338

würden? 339

340

GP: Das ist so wie so wirklich wünscht, dass die Leute - mehr Leute teilnehmen an so eine Sache. Weil 341

ich von diese Kulturbereich eben komme, deshalb ich möchte, dass diese Aufwand, was die Leute 342

reingesteckt haben, das sollte auch geschätzt werden. Und mit so eine Ehrfurcht oder so was. Nicht 343

so, dass so Massen auf Weihnachtsmarkt oder so was, weil da kommen die Massen. Wenn etwas 344 schon in Stadt passiert ist, dann die Leute, die alle Leute sollen - Freude haben davon. Das ist 345

eigentlich - so mehr Leute mit Teil -, mit überzeugter Teilnahme. 346

347

I: Also, das ist so was, was ich mir zum Beispiel auch wünschen würde, nur ich glaube dafür muss 348

man die Leute erst mal fragen, was sie überhaupt wollen. Und oftmals ist das so, dass das Angebot 349

nicht mit dem übereinstimmt, was die Menschen gerne möchten. 350

351

GP: Hmhm (zustimmend). Ja aber, wissen Sie - manchmal sind so Sachen. Sagen wir, man arbeitet, 352

sagen wir, halbes Jahr für Kunstausstellung. Kommen wirklich nicht Tausende Leute. Aber vielleicht 353

kommen sie Hunderte. Und die Leute haben wirklich Interesse. Und vielleicht doch lohnt sich das 354 nicht. Man sollte nie aufgeben. 355

356

I: Das stimmt natürlich. 357

358

GP: Denn man sollte in so eine Sache nicht aufgeben, denn vielleicht für eine ist das zu hoch, aber 359

vielleicht man steckt ihn an so. Ist nicht verlorene Arbeit. Weil immer so, wissen Sie, dann wissen Sie, 360

müsste man schon sehr immun sein, damit von so eine kulturelle Veranstaltung bleibt kein Wort oder 361

so was. Ich bin so eine Meinung bleibt etwas immer, wissen Sie. Und deshalb lohnt sich das so. Und 362

wenn das schon eine Kulturstadt oder so was, die Leute sollen so wirklich - ja aber - da muss ein 363

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LXIII

Anhang

Schubs geben. Weil die Leute sind hier so - jaja (faul) - ich hab kein Geld. Finanzkrise, Wirtschaftkrise. 364

Ja (lacht) 365

366

I: Ja, sie bemühen sich schon das möglichst billig zu machen. Es gibt ja auch Gelder. EU Gelder und so 367 368

GP: Ich teile so diese Meinung von Marcel Reich-Ranicki, dass wirklich so Fernsehen macht so viel 369

kaputt. Das ist, wissen Sie, ich wünsche mir zum Beispiel in kulturelle, so regionale Kanal, wo kann ich 370

die alle interessanten Sachen nicht so bei kurze Nachrichten oder so bei WDR oder - wie heißt das? – 371

„Hier und heute“ oder wie heißt diese regionale Programm? Bei uns in Region - weiß ich nicht, aber 372

das sollte so. Da gibt’s so viele interessante Theater. In Polen zum Beispiel in unsere Zeiten, da war 373

immer Fernsehtheater einmal pro Woche. Volle, so volle Länge so ohne Abkürzungen. Mir fehlt 374

wirklich hier - aber ich meine, das ist allgemeine Trend in ganze Welt - so eine kulturelle Programm. 375

So oder wenigstens halbe Tag. Da muss man arte, ein bisschen 3 sat. Man muss ständig zappen. Aber 376

nur eine zum Beispiel Programm nur von Region oder von Deutschland, was gibt‘s Interessantes oder 377 so was. Das fehlt. Und das ist so später sowieso mit Müll von Werbung. Ich meine, ich hab Schule hier 378

mit Deutsche gemacht und da haben sie gelitten, gelitten, dass nämlich zum Beispiel diese 379

Rockpalast in Essen. Das war so berühmt in ganze Deutschland früher, und dann die ganzen Banden 380

sind nach Grugahalle gegangen und das war so schöne Stimmung. Warum könnte das jetzt - nicht 381

jetzt sein, ne?! 382

383

I: Ja, das ist schwierig. Ich glaub, das sind tatsächlich die Medien, die so ´n bisschen überhand 384

genommen haben. Auch das Internet, das macht natürlich auch ´nen großen Unterschied, wenn man 385

so viel im Internet machen kann. 386 387

GP: Machen kann, ach wissen Sie. Internet ist so um schnelle Informationen zu bekommen. Nicht so 388

zum Kulturellen (lacht). 389

390

I: Nee, natürlich nicht, es gibt ja schon viele, die dann lieber ihre Computerspiele spielen oder solche 391

Sachen wie Second Life, in einem Leben, was es gar nicht gibt 392

393

GP: Jajaja. Sie sind sowieso mutig, Kultur jetzt zur Zeit zu studieren (lacht). 394

395

I: Ja (-), das weiß ich. [...] 396 397

GP: Sogar ich bin dankbar für Karneval. Aber wissen Sie, dass die ganze Welt schaut nach Köln. Und 398

dann ich war zwei Mal. Und dann ich musste sagen, dass diese - wie heißt das? Unterkultur - andere 399

Kultur mit diese kölschen Lieder, das hat mir so gefallen, weil ich dachte, das ist aber Tradition. Das 400

hunderte Jahre und dann tausende Leute singen und sie können das auswendig. Das ist schon Kunst, 401

so etwas in heutige Zeit doch so. Egal, was man denkt von Karneval. Ich bin auch keine große 402

Karnevalistin. Aber ich war bei so einer Ver - und ich muss sagen, die Leute aus Köln hab ich 403

bewundert. Dass die könnten da so auf Kölsch. Und richtige Tradition. 404

405

I: Das gibt einem auch so ein bisschen Halt. 406 407

GP: Ja genau. Wir sind so, so. Ich sag Ihnen, ich hab keine Wort von diesen Lieder verstanden (lacht). 408

Kölle, Kölle, das war einzige. Aber ehrlich gesagt, hab ich gedacht, Hut ab. Gefällt mir. Das ist – wissen 409

Sie, Oberschlesien ist ähnlich. Oberschlesien, das ist auch so - gehörte einmal zu Polen, einmal zu 410

Deutschland. Und so. Und das ist gemischte Kultur. Und deshalb das ist so, die Oberschlesianer 411

halten auch so. Und das auch eine so Umgangssprache - Dialekt - ich meine immer so Dialekt. Aber 412

die Leute halten sie hoch, wir sind aus Oberschlesien. Das ist auch so. Hat ein bisschen mehr 413

Patriotismus alles. Hier in Deutschland ist eigentlich so - München vielleicht hält zusammen, die 414

Bayern, Nordrhein-Westfalen bestimmt. Ruhrpott ist so schön, sehr offen und so gucken sie die 415

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LXIV

Anhang

große Moschee. Wir sind doch sehr tolerant. Aber ich meine wegen diesen hunderte Jahre 416

Geschichte. Viele Türken, Polen, Italiener sind gekommen. Das ist reine Gewohnheitssache. Ja, und 417

wenn jetzt so eine multikulturelle Veranstaltung – dann muss hier sein! Jeder wollte etwas davon 418

haben. Soweit ich weiß, wenn die Deutschen, wenn sie kommen zu uns, die sind auch so zufrieden. 419 Das gefällt ihnen. Wenn wir polnisches Silvester organisieren, dann hab ich meine deutschen 420

Nachbar genommen die sagten ganz toll. So ein bisschen andere Ablauf wie bei Deutschen. Aber sie 421

sagten: Ja, ganz tolle Sache. 422

423

[...] Also, ich meine die einzige wissen Sie - so Bindungsmaterial -, das ist Musik, Tanz. Weil zum 424

Beispiel so Theater ist schon eine Barriere wegen die Sprache. Aber schon so eine allgemeine Sachen 425

- wissen Sie -, wenn gute Afrikaner nur trommeln oder so was. Dann verbinden sie schon die Leute. 426

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LXV

Anhang

Interview HP 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 06.12.2008 6

Ort: polnischer Verein 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 64 10

Geschlecht: männlich 11

Beruf: arbeitslos 12

Herkunft: Polen; 1. Generation 13

14 15

I: Also, generell geht's einfach um Kultur - und um das Kulturhauptstadtjahr 2010. 16

17

HP: Hmhm (zustimmend). 18

19

I: Und erst mal möchte ich aber gern was zu Ihnen persönlich wissen. Zu ihrer persönlichen 20

Migrationsgeschichte - also wann und wieso Sie bzw. Ihre Vorfahren nach Deutschland gekommen 21

sind. 22

23 HP: Na ja. Ich bin (-) tausendneunhundert nach Deutschland gekommen. […] Ja. Die Gründe war, ich 24

suche bessere Leben. Und dann bin ich gekommen. Erst etwas Deutsch gelernt. Dann nachher zu 25

Arbeit. Ging schnell nach 2, 3 Monate zu Arbeit gegangen. Und dann - nach vier Jahren hab ich meine 26

Firma angemeldet. War selbständig. […]. Hab ich bisschen Zeit was gelernt. Und - acht Jahre ich hatte 27

Firma. Dann ich hatte Arbeitsunfall. […]. Und ab diese Zeit bin ich arbeitslos. Erste - 18 Monate 28

krankgeschrieben. […] 29

Dann ab nächstes Jahr 1. Oktober ich bekomme Rente. Das ist alles. Möchten Sie was noch? 30

31

I: Seit wann sind Sie hier? […] 32

33 HP: Ja. 12. (XY). 34

35

I:Und fühlen Sie sich denn eher der polnischen Kultur zugehörig oder der deutschen auch? 36

37

HP: In Polen? 38

39

I: Nee, womit Sie sich mehr identifizieren – wo - was für Sie wichtiger ist, die deutsche oder die 40

polnische Kultur? 41

42

HP: Beide wichtig - wichtig ist beide. 43 44

I: Also, für Sie persönlich sind beide wichtig? 45

46

HP: Beide ja. Ich hatte 4(X) Jahre das - für die Kinder, das ist Unterschied. Aber wenn die Menschen 47

sind schon erwachsen, das ist schon was anderes. Ist klar. 48

49

I: Also Sie haben schon von dem Kulturhauptstadtjahr RUHR.2010 gehört? 50

51

HP: Ja. 52

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LXVI

Anhang

53

I: Und innerhalb von diesem Jahr gibt es noch ein interkulturelles Festival, was aber auch jetzt schon 54

stattfindet jedes Jahr, also seit 2005, und das heißt MELEZ. Haben Sie davon schon mal gehört? 55

56 HP: Nee, nee. 57

58

I: Oder ein Plakat gesehen? So was hier (Programm wird gezeigt)? 59

60

HP: Nee, kenn ich nicht. 61

62

I: Ok. Also ich stell Ihnen mal ganz kurz vor, was da angeboten wurde, und Sie können sich mal 63

merken, was Ihnen besonders interessant erscheint. 64

65

HP: Hmhm (zustimmend). 66 67

I: Also, es gab literarische Vorträge in verschiedenen Sprachen, also von verschiedenen Autoren. Es 68

gab Vorträge zum Thema Migration. Also von der Rita Süssmuth zum Beispiel. Aber auch der Cem 69

Özdemir der Grünen Politiker war da. Es gab Theaterstücke auch zu verschiedenen Kulturen. Also 70

zum Beispiel zu – also, das eine hieß „Italien an der Ruhr“. Da ging‘s um das Leben hier im Ruhrgebiet 71

hier der Italiener. Dann gab‘s ein Tanztheater, wo verschiedene Stile gemischt wurden. Dann gab‘s 72

Musik also Popmusik zum einen, aber auch ein Kinderkonzert, die sind zusammen mit dem Halas 73

Ensemble aufgetreten. Dann gab‘s Kwadrofonik, die - das wurde auch vom polnischen Zentrum 74

tatsächlich organisiert. Und die - ja ich erzähl Ihnen das einfach nur - ja und die haben verschiedene 75 Musikstile tatsächlich gemischt. Und dann gab es noch das MELEZ.LABOR und das MELEZ.LABOR war 76

nämlich was Neues dieses Jahr gewesen. Und zwar gab‘s da Führungen in sozialen Brennpunkten, 77

also in Dortmund Nordstadt und Duisburg Marxloh. Und da konnten die Menschen, die dort leben, 78

die Besucher rumführen und ´n bisschen Einblick in die Lebenswelten bieten. Von den Sachen, die ich 79

Ihnen gerade erzählt hab, was finden Sie davon besonders interessant? Was würde Sie persönlich 80

interessieren? 81

82

HP: Normalerweise, was mich interessiert besonders: Ich muss - ich wollte schon lange, aber das hab 83

ich nicht gemacht - ich will ab neues Jahr noch deutsche Sprache lernen - Grammatik - der, die, das. 84

Das ist ´ne schwere Sachen. Mit dem Schreiben hab ich Probleme. Und etwas Englisch gern auch, weil 85 jetzt ist internationale Sprache Englisch. Fehlt dir Englisch, alles Englisch. Geräte und so weiter ist 86

alles Englisch. Und ich kann das nicht, also Englisch hab ich gar nicht gelernt. Das ist schwer. Deutsch 87

und Englisch etwas lernen. Computer hab ich auch nie gelernt. Meine Zeiten, ich hab jetzt 64 Jahre. 88

Kann man sagen in 6 Monaten fast. War sehr selten Computer in Büro. Sehr selten. War beschäftigt 89

in große Autofabrik in Warschau. […] 90

91

I: Ehrlich? Meine Oma kommt auch aus der Nähe. […] 92

93

HP: […] Ja, und aber ich war auch in Warschau. Ich war in Fabrik (XY). Und ich war beschäftigt als 94

Leiter. Große Magazin Export. Aber ich hatte keine Computer. Nur der Chef. Ja, und Schreiben von 95 Computer brauchst du. Und deshalb ich hatte keine Kontakt mit Computer und ich möchte gern. Ich 96

bin wie Invalide. Es ist sehr, sehr - für mich es stört mich. Überall Computer, Computer und ich hab 97

meine Stolz noch. (lacht) 98

Aber das ist Zukunft. 99

100

I: Und noch mal zu dem interkulturellen Festival. Spricht Sie davon irgendwas an, dass Sie sagen Sie 101

würden da auch gerne hingehen und sich das mal angucken? (-) Also diese Theatersachen, oder 102

Musiksachen? 103

104

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LXVII

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HP: Ja. Aber wo? 105

106

I: Bei den Sachen, die ich Ihnen vorgestellt habe, bei diesem interkulturellen Festival. Also das findet 107

halt im ganzen Ruhrgebiet statt. Also, Sie können auch noch mal drin blättern. Also, einfach 108 verschiedenen Vorträge, Theater, Musik, dann dieses Labor. Nur, ob Sie generell an so was Interesse 109

haben? 110

111

HP: ( - ) Gern. Die Kultur möchte ich gerne kennen lernen. Gern. Aber von wo bekommt man die 112

Adresse? Wo ist das? 113

114

I: Das steht da drin. 115

116

HP: Ah, das ist für mich? 117

118 I: Nee, das ist nicht für Sie. Das ist nur mein Ansichtsexemplar. 119

120

HP: (lacht) 121

122

I: Also, das ist jedes Jahr. Da gibt‘s einfach verschiedene Veranstaltungen an ganz unterschiedlichen 123

Orten überall im Ruhrgebiet verteilt. Und mich würd einfach nur interessieren, ob Sie so was generell 124

interessieren würde oder ob Sie das Programm jetzt einfach langweilig finden. 125

126

HP: Langweilig nein. Das interessiert mich. 127 128

I: Ok. Und wenn Sie zum Beispiel so ´n Programmheft nächstes Jahr in den Händen hätten, würden 129

Sie sich dann überlegen dahin zu gehen? 130

131

HP: Hab ich das nicht verstanden. (lacht) 132

133

I: Mal angenommen, nächstes Jahr hätten Sie, bevor dieses Festival stattfindet, dieses 134

Programmheft, wo alle Sachen drin aufgelistet sind. Würden Sie dann da hin gehen? 135

136

HP: Ja. 137 138

I: Können Sie sich also vorstellen. 139

140

HP: Hmhm (zustimmend). 141

142

I: Und wenn Sie sich persönlich was wünschen könnten. Was würden Sie sich für dieses 143

interkulturelle Festival im Ruhrgebiet wünschen? 144

145

HP: Hmhm. 146

147 I: Gäb‘s da einen bestimmten Wunsch, was Sie selber gerne Kulturelles sehen würden? 148

149

HP: Ja, das müsste ich erst kennenlernen. So wie und was und so weiter. Aber das interessiert mich. 150

151

I: Ja, aber was Kulturelles, was Sie persönlich mehr interessiert. Theater oder so? 152

153

HP: (-) Tja. 154

155

I: Also alles? 156

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LXVIII

Anhang

157

HP: Ja. Ich bin neugierig auf diese Welt. (lacht) 158

159

I: Und nutzen Sie sonst das kulturelle Angebot hier im Ruhrgebiet? Also das heißt, gehen Sie zu 160 kulturellen Veranstaltungen? Das kann auch ins Kino sein, das kann auch zu Straßenfesten sein oder 161

zu Festen hier im Verein? (-) Machen Sie so was? 162

163

HP: Ich mach hier gar nichts. 164

165

I: Also, aber Sie kommen hierhin. 166

167

HP: Jaja. Ich bin Mitglied. 168

169

I: Und darüber hinaus gehen Sie sonst ins Kino zum Beispiel? 170 171

HP: Ehrlich kann ich sagen (lacht) in Deutschland ich war noch nie im Kino. 172

173

I: Ehrlich? Und im Theater? 174

175

HP: Auch nicht. Ich wohne in (XY). In diese Musiktheater - ich war da schon zwei oder dreimal drin, 176

hab ich geguckt und dann weg. (lacht) 177

178

I: (lacht) Und zu Konzerten gehen Sie auch nicht? 179 180

HP: Nee (lacht). Ja, das ist etwas kompliziert. Ich wohn, ich bin allein - ich wohne allein. Ich bin 181

getrennt mit meiner Frau - schon sieben Jahre. Und dann die Zeit ist weniger. Ich muss kaufen, ich 182

muss kochen, ich muss putzen – das, was Frauen machen zu Hause. Das muss ich machen selbst. 183

Waschen und so weiter. Das ist nicht so einfach. Ja, und dann ich brauche auch Kontakt mit 184

Menschen. Ist ganz normal. Mit der Zeit ist schwer bei mir. 185

186

I: Und wenn Sie sagen Sie brauchen auch Kontakt mit den Menschen - das heißt, Sie kommen dann 187

hierhin oder wo treffen Sie die? 188

189 HP: Ja privat. ( - ) Hab ich große Garten. 600 m². 190

191

I: Aber zu Straßenfesten? Wenn jetzt hier zum Beispiel was los ist, Fest auf der Straße? 192

193

HP: Ist so was, ich komme gern und beobachte. Und auch die Beispiel (XY), da ist die große Wiese am 194

Bergsee und da sind Feste auch und ja, da geh ich auch gern. Mit Kontakten - gehe ich hin. 195

196

I: Und wie bekommen Sie davon mit? Also erzählt Ihnen das dann irgendwer oder sehen irgendwo 197

dafür Werbung? 198

199 HP: Also in Zeitung und Plakate, ne?! 200

201

I: Oder übers Radio oder so? 202

203

HP: Auch, auch. Ich hab gesehen Programm Gelsenkirchen, Gladbeck, Bottrop. […] 204

205

206

I: Und Sie haben gesagt, es liegt hauptsächlich an der Zeit. Mal angenommen Sie hätten mehr Zeit 207

würden Sie dann gerne zu mehr kulturellen Veranstaltungen gehen? 208

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LXIX

Anhang

209

HP: Ja. 210

211

I: Und - spielt es da ´ne Rolle, ob das kulturelle Angebot einen Bezug zu Ihrer Herkunftskultur hat, 212 also ob‘s irgendwie ein polnisches Konzert ist oder irgendwie ´ne polnische Veranstaltung? 213

214

HP: Ja, ja. 215

216

I: Also würden Sie das eher nutzen als ´ne andere? 217

218

HP: Polnische und deutsche auch ja. 219

220

I: Also gleich, gleich viel? 221

222 HP: Verstehen Sie selbst das, wenn ich nicht verstehe, verstehe, was soll ich da suchen? 223

224

I: Suchen Sie gezielt nach Angeboten mit Bezug zur polnischen Kultur? 225

226

HP: Nee, nicht Besonderes. Ist ok. Weil hab ich hier den polnischen Club und außerdem hab ich drei 227

polnische Programme im Fernsehen. (lacht) 228

229

I: Also das heißt, Sie gucken auch viel polnisches Fernsehen? 230

231 HP: Hab ich Informationen aus Polen. Aber das ist nicht wegen nur aus Polen. Weil ich besser, ist 232

besser auf Polnisch. Sie sagen wie auf Deutsch die Informationen. Wie Nachrichten zum Beispiel, was 233

ist in Welt und so weiter. Und Polen interessiert mich auch. Gerade heute war diese - haben Sie 234

gehört vielleicht - diese polnische Lech Walesa. Solidarität. Hat vor 25 Jahren den Nobel gekriegt. Wie 235

heißt? (-) Weiß ich nicht. Er war diese Führer, der Kommunismus kaputt gemacht. Und heute war 236

gerade diese 25 Jahre. Und da war von neuem Staate den Nobel - von Nobel gekriegt. Und da war 237

ganze große Fest. War Frach heißt der, und Odeon auch diese Chef und da hab ich (unverständlich1) 238

und beobachtet. Große Sache. Große Fest auch. War internationale Sache. (-) Das interessiert mich, 239

was hier los ist in dieser Welt. 240

241 I: Ja klar. Und wahrscheinlich auch besonders, was in Polen los ist. 242

243

HP: Ja, und das war in (XY). Wo sie das gezeigt haben, ich kenne die Häuser. 244

245

I: Und was finden Sie besonders wichtig an der polnischen Kultur? Was möchten Sie hier auch für Ihr 246

Leben bewahren? 247

248

HP: Ach nein, glaub ich nicht. Was ich brauche, das hab ich. 249

250

I: Aber von der polnischen Kultur haben Sie bestimmt auch irgendwas mitgenommen, was Sie hier 251 auch leben? Traditionen oder? 252

253

HP: Nein, nein. Tradition - Ja. Ich hatte - kann ich ehrlich sagen - ich hatte in Polen auch nicht so viel 254

Zeit. Ich war immer beschäftigt. Da hab ich Schule, Arbeitsschule gemacht. Wissen Sie, das waren 255

andere Zeiten wie jetzt. 256

257

I: Ja klar. 258

259

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LXX

Anhang

HP: Schwierige Zeiten. Ich hatte Familie, Kinder. Und Schule, Arbeitsschule, Arbeit. Das ist nicht so 260

schön. Das war schwer. Jetzt, jetzt hab ich Ruhe, aber wenig Geld (lacht). Na ja, weil Sie interessieren. 261

Normalerweise ich muss Arbeitsunfallrente haben. Aber meine, kann ich nicht schön sagen, aber 262

meine (unverständlich1) hat mich verarschen. Und Berater ich soll die Sache zurückziehen, diese 263 Unfallrente. Und das war Fehler. Aber das wusste ich nicht. Aber ich bin auch in Deutschland bin ich 264

auch Mitglied noch (XY)verband in Deutschland. Und haben wir auch in unsere Stadt in (XY) 265

Rechtsanwalt. Und die sind ehrlich und helfen gern. Und hab ich Fehler gemacht. Ja aber er macht 266

auch viele Fehler. Weil er mich beraten, ich soll die Sache zurückziehen. Und ich hab das gemacht. 267

Aber er soll mir noch Dolmetscher besorgen. Und er das nicht gemacht. Hab ich gesagt, was soll ich 268

machen, die Justizsprache das ist hochdeutsch Sprache. Ist schwer. Die Deutsche verstehen das nicht 269

richtig. Es ist so. Und dann ich hab Anspruch. Und im Moment ich vorbereite Dokumente und alles im 270

Januar gehe ich vor Gericht. Weil ich hatte kein Singleeinkommen. […] 271

Dann normalerweise ich muss haben ca. (XY) Euro, weil das ist Unfallrente - auf die Hand. Und dann 272

meine Altersrente. Dann ich kann leben. Auto hab ich. Fährt überall umsonst - frei. Hab ich solche Fall 273 gehabt. Ich rede weswegen. Jetzt schon, jetzt schon, aber das Geld, das ist Taschengeld. In diese Zeit. 274

Na ja, was möchtest du noch wissen? 275

276

I: Eigentlich gar nicht mehr so viele Fragen. Eigentlich nur noch - möchten Sie gerne Ihren kulturellen 277

Hintergrund, also ihre polnischen Wurzeln auch den anderen Mitbürgern zeigen, also was es jetzt für 278

Kultur in Polen gibt? Möchten Sie das gerne auch den anderen zeigen? 279

280

HP: Nein. (lacht) Ich muss selbst reden. Jeder kann selbst reden. Auch zu suchen und zu informieren. 281

Ich hab viel geholfen. Und dann ich hab auf die Nase gekriegt. 282 283

I: Ja, nee, aber es könnte ja sein, dass Sie jetzt sagen es ist Ihnen wichtig, dass die Menschen auch 284

wissen, was die polnische Kultur eigentlich ist, weil es gibt ja zum Beispiel auch viele Vorurteile 285

gegenüber Polen, und das kann man halt nur… 286

287

HP: Dann sie können selbst suchen. Sich selbst informieren. Nein, ich hatte schlechte Erfahrungen. 288

Nee, will ich nicht. 289

290

I: Und haben Sie noch irgendwelche Wünsche, was Sie sich persönlich für das Kulturhauptstadtjahr - 291

also für 2010 wünschen würden? Was sich hier verändert, vielleicht in der Region? 292 293

HP: Nein, normalerweise, was ich brauche, das ich habe. Informationen und kulturell. (-) Deutsche 294

Kultur und Information hab ich von Fernseher. Sehr gut von diese drei diese Programme von diese 295

drei Städte in Ruhrgebiet. (-) Weiß ich nicht. Information total. Was brauchen, was kommt und so 296

weiter. Polnisch hab ich viel Information. Das reicht mir. 297

298

I: Gut, dann bin ich durch mit meinen Frage. 299

300

HP: Schön. Wenn ich habe was geholfen, dann freut mich. 301

302 I: Nee, haben Sie mir geholfen auf jeden Fall. 303

304

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LXXI

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Interview II 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 30.12.2008 6

Ort: Wohnort des Befragten 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 58 10

Geschlecht: männlich 11

Beruf: Pädagoge, Autor 12

Herkunft: Italien; 1. Generation in Dtschl. 13

14 15

I: Also, mich würd erst mal noch zu ihrer persönlichen Migrationsgeschichte interessieren, wann 16

kamen Sie hierher und warum kamen Sie hierher? 17

18

II: Ich kame hierher vor genau 3(X) Jahren. […] 19

Hatte ich meine Studium beendet. Hatte ich schon eine Familie. Das heißt, war ich schon verheiratet 20

mit meiner Frau, eine deutsche Frau. Und, es gab keine Arbeitsstelle, keine Möglichkeit, sagen wir zu 21

arbeiten. Die Familie weiter, sagen wir, zu konsolidieren und so und dann emigrieren wir nach 22

Deutschland. Und zum Glück haben wir sofort einige Arbeitsmöglichkeiten gefunden. Und die - von 23 diese Arbeitsmöglichkeiten profitieren wir noch heute. Das war nur, von sagen wir von die Anfänge. 24

Oder soll ich auch weiter erzählen? 25

26

I: (lacht) Wie Sie möchten. 27

28

II: Ach so. Ja ok. Seit (XY) Jahren bin ich jetzt im Dienst. […] 29

[…], wo Italienisch als zweite Fremdsprache unterrichtet wird. Das war für mich am Anfang sehr (-), 30

sagen wir, eine sehr hoffnungsvolle Stelle. Weil da hatte man auch die Möglichkeit, nicht nur 31

Italienisch als Fremdsprache zu unterrichten, aber auch eine Kultur zu vermitteln. Kultur heißt das, 32

nicht nur, wie man lebt, wie man gewisse Sachen genießt und so weiter, aber auch die gemeinsame 33 Geschichte zu bearbeiten und erforschen. Oft haben wir Arbeitsgruppen oder AG gebildet und die 34

haben richtig aktive Arbeit geleistet […]. Und wir haben angefangen zu forschen, wann sind die 35

ersten Italiener im Ruhrgebiet gekommen. Und haben wir gewisse Überraschungen erlebt. Das heißt, 36

diese Ruhrgebiet ist nicht von heute auf morgen entstanden, aber auch danke an die Hilfe der 37

Ausländer der damaligen Zeit. Einige der ersten Ausländer waren die Italiener hier. Zum Beispiel 38

haben wir Spuren gefunden von italienischen Zinngießer oder timotesischen Zinngießer. Die hier im 39

Ruhrgebiet tätig waren - Recklinghausen, Dortmund, Unna, Bochum. Schon am Anfang der 18. 40

Jahrhundert. Wir haben weitergeforscht und wir haben auch Spuren der Familie Grillo gefunden in 41

Unna ganz am Anfang. Und bis man auch die Familie Grillo sich entwickelt hat als eine der Gründer 42

des Ruhrgebiets zusammen mit Krupp - Thyssen, Funke. Und die Familie Grillo, die heute in Duisburg 43 ihren Sitz hat, stammt aus Franklin in der Normandei und ist geflüchtet zuerst in der Schweiz, dann in 44

Deutschland - in der Gegenreformationszeit 1620, 1630. Das heißt für unsere Schüler und für mich 45

waren sehr interessante Informationen. Die wir später geöffnet haben auch die ganze 46

deutschsprachige Kulturraum. Mit einige Initiativen wie zum Beispiel die Wirklichkeit, italienische 47

Militär internierte zwischen der 8. September 43 und Mai 45. Das heißt, das Schicksal von 600 000 48

italienische Militären, Soldaten, die zwei Jahre lang als Sklaven, Hitlersklaven, sagen wir, hier in 49

Deutschland gelebt haben. Und da sind auch Arbeiten herausgekommen, Ausstellungen und dazu 50

sind wir einigermaßen stolz. Diese gemeinsame Geschichte erarbeitet zu haben. So jetzt mach ich ´ne 51

Pause. 52

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LXXII

Anhang

53

54

I: Und das hat ´nen persönlichen Hintergrund für Sie dadurch, dass Ihre Frau Deutsche ist oder 55

warum hat Sie das so besonders interessiert? 56 57

II: Na, ganz am Anfang (-) war ich überrascht […], Eisdielen gefunden zu haben. Und hab ich erfahren, 58

dass die Eisdielen hier, wo ich wohne, seit 80, 100 Jahren existieren. Ich habe andere Italiener 59

getroffen, die haben zu mir gesagt: „Nö, die leben hier seit zwanzig Jahren schon. Es gibt einige, die 60

leben seit dreißig Jahren.“ Und da „aha, mal gucken.“ Und da hab ich probiert ein bisschen mehr zu 61

forschen. Zum Beispiel ich erinner mich - eine meiner ersten Besuche an eine deutsche Friedhof zu 62

finden, dass man 1850, sagen wir so ein Jahr, schon Italiener hier begraben worden sind. 63

64

65

I: Und dann sind Sie ja schon länger hier. Fühlen Sie sich denn Ihrer Herkunftskultur, also der 66 italienischen Kultur und der deutschen Kultur gleichermaßen zugehörig? Oder noch mehr der 67

italienischen? 68

69

II: Ich weiß nicht mehr (lacht). Kann ich, es ist schwer so zu sagen, 40 Prozent Italiener, 60 deutsch, ist 70

schwer zu beurteilen. (-) Ich sag mal bisschen anders - wenn ich in Italien bin jetzt nach 30 Jahre 71

Deutschland, ich fühle mich als Ausländer da. Und wenn ich in Deutschland bin, dann fühl ich mich 72

oft, auch nach 30 Jahren, Ausländern. Das heißt, da werden meine Kinder vielleicht eine ganz andere 73

Lage erleben. Ne andere Gefühle. Aber ich freu mich trotzdem zwischen diese beiden Kulturen zu 74

leben oder in diese beiden Kulturen und mit diese beiden Kulturen etwas so (-) zu kreieren, 75 verwirklichen. Fangen wir an mit unsere Küche in unsere Familie. Ist eine Mischung von italienisch - 76

deutsch. Manchmal kommen auch andere Spezialitäten rein. (-) Ganz am Anfang war schwer. Ganz 77

am Anfang hab ich mich 100 Prozent als Italiener in Deutschland gefunden. Langsam, langsam mit 78

der Zeit ist ein anderer Typ herausgekommen. Ich bin ein Mensch, der hier lebt. Mit alle 79

verschiedenen Schichten von, sagen wir so eine Kultur. Eine Kultur der Vergangenheit und eine 80

Kultur der Gegenwart oder die mehrere Kulturen der Gegenwart. Weil ich sehe schon auch die 81

verschiedenen Impulse, die von anderen Kulturen kommen - die türkische Kultur, die polnische 82

Kultur, die russische Kultur, die griechische Kultur, die asiatische Kultur - das sind alle 83

Mosaiksteinchen, die meine eigene Kultur bilden. Und ich wehre mich nicht dagegen. Im Gegenteil. 84

Bin ich auch froh darüber. Dass man, sagen wir, meine Persönlichkeit mindestens sich bereichern 85 kann Tag für Tag, Jahr für Jahr. Alle mit diesen Steinchen, Mosaiksteinchen. 86

87

I: Das ist schön. Wir haben eben schon gesagt, dass Sie RUHR.2010 natürlich schon davon gehört 88

haben. Und ich beschäftige mich eben noch mal mit diesem Festival, dem Festival der Kulturen, und 89

jetzt bin ich mal gespannt, ob Sie‘s schon kennen - ich hab hier das Programmheft von diesem Jahr 90

mitgebracht - MELEZ heißt es, und das können Sie sich mal angucken. Also, das hier ist das Programm 91

in der Mitte und dann kann man noch mal ein bisschen rumblättern um zu gucken - einfach mal 92

gucken, ob Ihnen das interessant erscheint. Oder eher nicht. 93

94

II: (-) Ich kenne diese Ziel von MELEZ seit ein Jahr, zwei Jahre. 95 […] 96

Ich habe schon diese Programm gesehen. 97

98

I: Ok. Aber waren Sie denn irgendwo da? Bei einer Veranstaltung? 99

100

II: Nein, ich war nicht da. Und persönlich interessiert mich nicht. Nein. Moment. […] 101

102

Ich sehe, es wird zu viel geredet über 2010. Ich sehe, es wird zu viel improvisiert. Es ist eine sehr 103

interessante Gremium von Namen, auch der ehemalige - wie heißt mal - Intendant der WDR - Fritz 104

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LXXIII

Anhang

Pleitgen und so weiter. Ich sehe langsam, langsam es ist, es wird ein Jahr, wo die Anstöße von oben 105

kommen aus verschiedenen Gründen. ( - ) Es ist manchmal lächerlich, was man auf die Beine stellt. 106

Wir sperren die B1. Machen wir einen großen Tisch – 20 km lang - da gehen die Leute essen und 107

trinken. Vielleicht Bier umsonst. Ich sehe zu wenig Geschichte hier drin. Zu wenig Geschichte. Da 108 komme nicht raus zum Beispiel die Firma Grillo oder andere Firmen, die Anfang 20. Jahrhundert oder 109

Ende der 19. Jahrhundert - scharenweise Bevölkerung aus Osten, Europa aus Nordwesten wie 110

Holland, Belgien aus Südeuropa, Italien hierher berufen haben. Und in tausend hier Werken oder 111

Bergwerken eingesetzt haben. Da hätt ich mal gerne in unsere Zollverein eine große Haus der 112

Migranten, die hier seit 200 Jahren beschäftigt sind. Ich hätte mal gerne bei 2010 eine historische 113

Gremium gehabt. Die das ganze historisch bearbeiten. Klar, ich habe nichts gegen Musik oder 114

Spezialitäten von andere Kulturen. Sollen auch Raum und Platz haben. Aber das kann man nicht nur 115

auf einem Festival. Ne, ich habe ein Festival - für die andere Kulturen ein Festival (ironisch). Da 116

kommt Cervo mit Tempo Libero, Cem Özdemir und so weiter, und so weiter. (seufzt) Mir fehlen (-) 117

die historische Seite. Und man hätte vor zwei, drei Jahren Zeit genug gehabt, um etwas Besonderes 118 zu realisieren. Und bestimmt auch die Gelder irgendwo auch zu finden. Weil die Räume, die haben 119

wir. Auch jetzt in Ruhrgebiet. Denken wir an Zollverein zum Beispiel. Oder in Bochum oder Duisburg. 120

Um unsere Vergangenheit richtig ein Platz zu geben. Ein großer Platz mit historischen Ausstellungen, 121

mit Spezialitäten. Wo der Besucher sagt, richtig eine Haus der Ausländer, - die das Ruhrgebiet 122

zusammen geprägt haben, mit den Deutschen zu gründen. Darüber redet man zu wenig. Und das ist, 123

was mir fehlt. Und wenn das fehlt - die Seele von das Ganze -, da sind nur Spektakel. Wenn die 124

Woche vorbei ist - ist vorbei. Aber wir haben was gemacht für euch. 125

126

I: Also, was ich halt finde ist, dass auch zum Teil einfach sehr wenig Bezug zum Ruhrgebiet generell 127 hat - also diese Veranstaltungen - ich weiß nicht, wie Ihnen das geht? 128

129

II: Hmhm (zustimmend). 130

131

I: Also es gab natürlich auch Sachen, die sich konkret damit beschäftigt haben, ich war zum Beispiel in 132

diesem Theaterstück Bello e Brutto. Das war eigentlich auch ganz interessant, aber da hatte ich eben 133

auch das Gefühl, dass da wirklich nur Italiener waren und sich das kein anderer anguckt. Das kann ja 134

eigentlich auch nicht Sinn der Sache sein. Das ist halt ein bisschen schade. 135

136

II: Ja, zum Beispiel eine Spektakel - Mischspektakel - ist vielleicht jetzt zu spät, sind jetzt schon 2009, 137 wo alle Kulturen mitmachen irgendwie in eine offene Theater spielen. Wir haben (XY) hier - bitte gib 138

(XY) aus Mülheim, geben wir ihr irgendeine Verantwortung. Ich seh‘ Leute in Gremium von 2010, die 139

sich selber repräsentieren, angefangen von Pleitgen - was hat der hier zu suchen zum Beispiel? Zum 140

Beispiel es gibt genug Leute, die ein Ruhrgebietherzen haben und so weiter. Und da sag ich ok, ist 141

schon wieder was von oben. Das Volk wird bestimmt was haben, aber mir fehlt ein bisschen die 142

Seele. Ich habe - Cervo hat da gesehen - Gian Maria, der kommt aus Neapel, wenn ich mich gut 143

erinner. Und er war auf der Suche von Motiven. Jemand, der in Italien lebt, kommt hierher um ein 144

Spektakel - hast du genug Leute hier in Theater! Die das jeden Tag erleben sind hier geboren, 145

Recklinghausen, Witten bis Duisburg. Auch wenn die deutsche Namen haben, gib denen Auftrag 146

italienische Seele in Ruhrgebiet rauszukriegen. Und die hätten das gemacht. Die hätten das gemacht. 147 Warum muss jemand aus Neapel kommen? Ne? 148

149

I: Das fragt man sich. 150

151

II: Der nie eine Erfahrung von Migration - keine Migrationshintergrund hat. Die Türken kenn ich ein 152

paar Namen und so. Aber ist wenig, ist zu wenig. 153

154

I: Und wenn ich jetzt derjenige wäre, der das da machen würde, was müsste ich Ihnen bieten, damit 155

Sie da hinkommen? 156

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LXXIV

Anhang

157

II: (- ) 158

159

I: Also jetzt nicht an Geld, sondern an Programm. 160 161

II: Bestimmt werd ich nicht auf die B1 gehen diese Tage, wenn das gesperrt wird mit dem großen 162

Tisch - sagen wir lange Tisch - 20 km lang - ist nicht für mich und so weiter. Konzerte (-) da ist nicht 163

einfach. Sagen wir, mein Interesse ist mehr auf die historische Seite. Und da kann man Theater auch 164

sagen wir anbieten, dass eine historische Seele hat oder etwas. Da kann man auch die Konzerte so 165

gestalten, auch in diese Richtung. Aber dazu braucht man jemand bei RUHR.2010, der von Anfang an 166

nicht nur eine Kulturhauptstadttitel oder Medaille haben wollte. Aber, sagen wir, richtig die Seele 167

von dieser Region zu zeigen. Und im Moment seh‘ ich schon die - alle Ausländerparteien, die da sind 168

oder beteiligt, die haben was vergessen. Ihre Vergangenheit. Die zeigen vielleicht, was wir heute 169

sind, mit Programmen, die aus den Heimatländer importiert sind oder in den Heimatländern 170 bearbeitet worden sind, aber nicht, dass man, was man hier geworden ist, in die letzte 2, 200 Jahre. 171

Und das ist, was mich ärgert. Die Vergangenheit fehlt. Und deshalb komm ich zu diese Idee von 172

Anfang an - die Ausstellung, eine große Ausstellung über die Vergangenheit Ruhrgebiet. Wie das 173

Ganze entstanden ist, ne?! 174

175

I: Ok. Also, das wär sowas, was Sie sich persönlich auch für dieses Festival wünschen könnten? Oder 176

generell eher für RUHR.2010? 177

178

II: Diese große oder Mammutveranstaltungen, die haben mich nie, die haben nie große Interesse für 179 mich gehabt, weil man sieht ist es etwas künstlich auch. Und die historische Seite fehlt mir sehr. Die 180

historische Seite - und auch diese historische Seite kann man eine Menge bauen darauf. Kann man 181

eine Menge bauen. Aber die fehlt mir. RUHR.2010 ist schön. Aber wann ist diese Ruhrgebiet 182

entstanden? Als Region, wirtschaftliche Phänomen und so weiter. Wir wissen mehr von Bayern, 183

Niedersachsen oder Hamburg. Aber hier. Ok vor 200 Jahren, was ist damals passiert? 184

185

I: Ja grade, weil es so ´ne junge Geschichte eigentlich ist, könnte man das viel besser verarbeiten, das 186

stimmt. 187

188

II: Jo, viel einfacher, viel besser. Und sagen wir so, das wäre bestimmt eine Ausstellung, die für immer 189 im Zollverein stehen lässt - oder kann man erneuern hier und da. Aber mit dieser Räumlichkeit, die 190

im Moment und im Ruhrgebiet gibt, da kann man eine Menge tun. Und das wird bestimmt viel mehr 191

nicht gekostet haben, als was das ganze Mammutprojekt kostet. 192

193

I: Ja. (-) Was nutzen Sie sonst so an kulturellem Angebot im Ruhrgebiet? 194

195

II: Manchmal Konzerte. Konzerte. Kino, ausgewählte Kino. Und manchmal ein bisschen Theater. Aber 196

im Moment bin ich auch sehr beschäftigt mit mir selber. Das heißt, nächstes Jahr soll ein Buch 197

rauskommen über das Phänomen Farina. Und 1709 – 2009, das sind 300 Jahre - und das ist auch ein 198

Phänomen, das älter ist als 300 Jahre. Das heißt, kann man von 1000 Jahre reden. Die Migration der 199 Lombarden, der Piemonteser, der Italiener in Kölner Raum ist wunderbar. Und was mich ärgert auch 200

da, es fehlt was. Es fehlt immer die historischen Aspekte, die man an die Bevölkerung weitergeben 201

kann und muss. Zum Beispiel in der Schule. Solche Geschichten erzählen, wie zum Beispiel vom 202

kölnischen Wasser. In meinem italienischen Unterricht, die passt auch sehr gut manchmal rein. Da 203

sagen die deutschen Schüler oder die türkischen Schüler: „Herr (XY), warum machen die Deutschen 204

nicht so einen Geschichtsunterricht?“ Soll sagen, das fehlt. Die Schule ist zu trocken, gewisse 205

Veranstaltungen sind - auch zu trocken. Man weiß schon, was man findet. Und das ist traurig 206

manchmal, aber es ist so. 207

208

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Anhang

I: Wie informieren Sie sich am liebsten über kulturelle Veranstaltungen? 209

210

II: Zeitung und auch die Programme, die die man zu Hause, in der Schule bekommt, oder bei 211

bestimmte Büro. Also zum Beispiel Kulturbüro oder hier in unsere Stadtteil. Das heißt, die 212 Informationen bei uns zu Hause, die fehlen nie. Oder unsere Tochter, unser Sohn, die bringen immer 213

was Neues. Und wer, sagen wir, großes Interesse hat, geht er auch dahin. 214

215

I: Klar. Und Tickets für solche Veranstaltungen, wie erwerben Sie die am liebsten? 216

217

II: Das gibt meine Tochter per Internet ein. Weil ich kann das noch nicht. (lacht) Lass das meine 218

Tochter machen. 219

220

I: Würden Sie gerne an mehr, an weiteren Veranstaltungen teilnehmen und falls ja, warum - was 221

hindert Sie dran das jetzt nicht zu tun? 222 223

II: Mehr kann ich nicht. Ich würde lieber mehr Zeit für mich selbst haben. Für meine eigene Arbeit. 224

225

I: Und suchen Sie gezielt nach Angeboten mit Bezug zu Ihrer Herkunftskultur oder? 226

227

II: Das muss, das muss nicht sein. Die muss interessant, original und auch Seele haben. Wenn man 228

etwas künstlich ist, 2010 zum Teil ist zu künstlich - da geh ich von Natur aus, lass ich die Finger davon, 229

da bleib ich ein bisschen weit weg. 230

231 I: Aber so generell, ein generelles verstärktes Interesse irgendwie an italienischen Angeboten? 232

233

II: Wenn keine italienische Nacht ist in der Westfalenhalle, wo sagen wir, die Masse dahin läuft, weil 234

irgendwie italienische Sängerin oder Sänger, aber nicht der Liedermacher, den ich gerne hören 235

würde, dann lass ich - dann bleib ich lieber zu Hause oder suche mir etwas anderes. Aber sonst nicht. 236

Ich bin einigermaßen ein bisschen wählerisch geworden. (lacht) 237

238

I: Also, es kommt da auf andere Sachen drauf an irgendwie - Qualität oder 239

240

II: Ja, muss ein bisschen Qualität haben. Sei es wegen tutto cotunio kommt und so weiter oder wegen 241 - fahr ich nicht da hin. Lass ich mir von die italienische Schüler erzählen, was da los war. 242

243

I: Ok. Also, das bedeutet Sie suchen auch nicht gezielt nach Angeboten mit Bezug zur italienischen 244

Kultur? 245

246

II: Ich probier mal ein bisschen italienische Kultur jetzt zu machen seit Jahren und langsam, langsam 247

kommt was raus. Und da seh‘ ich schon, dass die Italiener Lust haben auf Veranstaltungen mit 248

italienischer Seele. Zwei Beispiele: Letztes Jahr hat ein italienischer Dichter, der hier in (XY) lebt, seine 249

Gedichtbuch vorgestellt. Waren 300 Italiener und Deutsche in dieser Sache. Es war eine sehr 250

interessante Erfahrung. (-) Paar Monate vorher haben wir CD Rom präsentiert vom italienische 251 Konsulat in Dortmund produziert und da waren wieder 100, 120 Leute, die Interesse gezeigt haben 252

von diese Veranstaltung. Und oft haben wir gehört: „Nee, warum denn nicht mehr von solche 253

Sachen?“ Das heißt, ich bin sicher die italienische Bevölkerung oder die (-) italienische Wurzeln 254

haben, die suchen auch etwas anderes. Und manchmal bekommen die auf den Programmen nur 255

bestimmte Angebote und das find ich auch - da muss man langsam, langsam auch in eine andere 256

Richtung arbeiten. Andere Angebote suchen. Oder Angebote mit eine andere Seele. Und die Leute 257

bin ich sicher, die werden auch das akzeptieren oder mindestens auf der - mit diese Themen 258

diskutieren, da bin ich sicher. 259

260

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LXXVI

Anhang

I: (-) So generell, ist es so, dass Sie meinen, die Leute die mögen einfach nicht die Eliteangebote, die 261

brauchen mehr so ‘n Bezug zur Lebenswelt? Könnte man das so formulieren? 262

263

II: Das würd ich so formulieren. Aber - die brauchen die Eliteprodukte oder Angebote, die brauchen 264 die auch. Aber die muss man langsam, langsam anbieten und sagen, pass mal auf, die gehören auch 265

zu normale, alltäglich Leben. Es ist kein elitäre und so weiter Angebot. Was die brauchen ist ein 266

bisschen mehr Seele. Ich habe gemerkt bei diese Gedichtband - Vorstellung, die Leute haben 267

aufgepasst fast zwei Stunden lang, haben die Redner, weil die haben mit Seelen gesprochen. Die 268

haben dieselbe Sprache benutzt wie die Italiener oder wie die Deutschen, die da anwesend waren. 269

Und das war nicht eine Stadt wie Dortmund, Bochum, Duisburg, Essen, Köln. Das war ein Städtchen 270

wie (XY). Die vielleicht - weiß ich nicht - 5, (-) 7000 Einwohner hat. Waren alle da und die waren alle 271

zufrieden und die haben verlangt auch mehr von solchen Veranstaltungen. Es geht nur um Seele. Die 272

Leute sind nicht dumm. Die merken das. Die merken das. [...] 273

274 I: Was ist Ihnen besonders wichtig an Ihrer Herkunftskultur? Was möchten Sie hier auch bewahren 275

auch von der italienischen Kultur? Also, ich vermute mal Geschichte. 276

277

II: Ja, ist klar. Geschichte. Dass man unsere Vergangenheit nicht vergisst. Die guten Zeiten und die 278

schlechten Zeiten, das heißt auch die (unverständlich1) und die nazifaschistische Zeit zum Beispiel. 279

Aber auch Suche der Spuren der Italianitäten hier in Deutschland noch zu finden sind. Und auch bitte 280

nicht vergessen, die Kräfte, dass die italienische Community hier in Deutschland, sagen wir, die 281

Kräfte, die freigegeben worden sind in der Vergangenheit um eine gemeinsame Europa zu bauen. Ich 282

denke da an verschiedene Namen wie Brentano, Brugaro, Farina - alle nicht in wirtschaftliche Bereich 283 - Brentano auch in kulturelle Bereich - was diese Migranten wie Franz von Thurn und Taxis zum 284

Beispiel, was die damaligen Migranten und Bischofleute, sagen wir, in Bewegung gesetzt haben um 285

eine gemeinsame Zukunft zu haben. Das heißt, das ist diese historische Sicht, haben die langsam, 286

langsam verloren. Wir Italiener, wir Deutschen und wir Europäer auch. Wir vergessen zu schnell und 287

zu gerne auch, was man früher gewesen ist. 288

289

I: Also, ich mein in Deutschland ist halt auch immer noch ein anderes Problem, dass man hier einfach 290

nicht gern über Geschichte spricht. 291

292

II: Warum denn? 293 294

I: Ich glaub, das hat eben auch mit der Nazivergangenheit zu tun, dass man da immer durch 295

gebrandmarkt wird, und da denkt man sich irgendwann macht man nicht mehr. Also darauf war zum 296

Beispiel bei uns in der Schule der Geschichtsunterricht auch sehr beschränkt. 297

298

II: Nee, beschränkt nicht. Ich würde Geschichte anders unterrichten und machen. Sagen wir so, da 299

bin ich sicher, dass die Schüler zufrieden wären und auch die Kollegen. Und das würde auch die 300

deutschen Richtlinien passen. Mit verschiedenen Motivationen und so weiter. Ich seh‘ schon, dass 301

die Schüler mitkommen und die Familien auch. Aber - die Anfangsfrage war - was würde ich – 302

303 I: Was Sie besonders wichtig finden an Ihrer Herkunftskultur. 304

305

II: Das sind diese (unverständlich1). Wichtig im Leben ist nur die Gesundheit. ( - ) Ja gut, Kultur. Ja, die 306

gibt es. Die haben wir alle, sagen wir, passiv mindestens akzeptiert. Bis wann wir nicht aktiv in diese 307

Kultur reingekommen sind. Wichtig - ist die Sprache. Ist die Sprache, die mir von Anfang geholfen hat 308

mit anderen Menschen klar zu werden. Und später auch diese Sprache hat mir Basis auch gegeben 309

um die deutsche Sprache einigermaßen zu lernen. Weil ich habe nie Deutschunterricht bekommen. 310

Ich habe nie studiert, schade, dass ich nicht in Deutsch schreiben kann oder nicht so gut in Italienisch 311

und ich brauch in Deutsch noch Hilfe. Aber von meine italienische Kultur. Was ist in einer Kultur 312

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wichtig? Es ist alles ersetzbar. Sogar die italienische Küche. Könnte ersetzt werden von andere 313

Spezialitäten, die mir am besten schmecken. Ist klar, ich würde nie auf Nudeln verzichten. Aber, ich 314

finde die Nudeln nicht so wichtig. Auch wenn der, wenn die Nudeln für Migranten oder bestimmten 315

Geschmack von Migranten, sagen wir, wenn die fehlen würden, ist sehr, sehr traurig und 316 schmerzhaft. Mehr als Heimweh. Heimweh, kann man überwinden und so weiter. Aber ein Espresso 317

oder eine schöne, sagen wir, Soße oder eine Eis, das ist schmerzhaft, wenn das fehlt und die 318

(unverständlich1). Ist schwer. Kann man auf viel verzichten. Schwer ist zu verzichten auf die eigene 319

Vergangenheit. Das sind viele Sachen - die Sprache, die Geschmack, mehr Geschmack als Nudeln zum 320

Beispiel. (-) Auf die Möglichkeiten zum Beispiel würd ich nicht verzichten, auf die Möglichkeiten auch 321

in Zukunft ein-, zweimal im Jahr in bestimmte Gebiete in Italien zu reisen. Weil Italien bietet immer 322

etwas Neues. Und seit Jahren verzichte ich gerne auf Reisen in ferne Länder - Asien und Südamerika 323

und so weiter -, weil für mich Asien und Südamerika, Afrika liegen südlich der Alpen. Da find ich 324

immer was Neues. Da fühl ich mich wohl, für die 15, 20 Tage bis, wann ich ein Tag plötzlich merk, ach 325

guck mal, bin ich Ausländer hier auch jetzt. Muss ich wieder nach Deutschland. ( - ) 326 327

I: Aber woran macht sich das fest, dass Sie denken, dass Sie Ausländer sind da? 328

329

II: Man lebt nicht mehr auch dasselbe Leben wie die Italiener. Ein Italiener heute steht auf, macht 330

Radio an, liest eine Zeitung oder geht raus. Und lebt in derselben Welt von gestern - vorgestern. Mit 331

denselben Problemen in der Politik, Umwelt, Wirtschaft und so weiter. Du kommst von außen. Du 332

bringst mit dir selber eine andere Erfahrung. Und in die erste Tage - oder erste Woche - erste 10 Tage 333

merkt man das nicht. Du lebst gut da und so weiter. Doch dann plötzlich merkst du diese - Diskrepanz 334

zwischen dem Land, wo du herkommst und Italien. Und irgendwas stimmt nicht mehr. Da geht es 335 auch nicht mehr weit, auch mit den Verwandten. Da kommt was, da kommen einige Probleme. Und 336

da sagst du: „Nee, nach 15 Tagen, ein Monat - ich würde mal lieber nach Deutschland zurück.“ Da 337

kann ich weiter meine tägliche Leben, da kann ich weiter schreiben, kann ich weiter Unterricht 338

machen und so. Oder muss man viel längere Zeit - sechs Monate, ein Jahr oder drei Jahre-, bis wann 339

diese Diskrepanzen sich nivellieren sich. Und dann weiter in Italien leben. 340

341

I: Und nochmal auf das Thema mit den Vereinen zurück. Mich interessiert das irgendwie schon, 342

warum das so ist, dass gerade Italiener sich nicht so in Vereinen organisieren. Also treffen die sich 343

eher privat oder suchen die nicht den Kontakt zu ihren Landsleuten? 344

345 II: Nein, die Italiener suchen Kontakt mit den Landsleuten. Sagen wir, in bestimmten Kneipen oder 346

sagen wir auch kulturelle Vereine oder sportliche Vereine. Aber ich gehe davon aus, langsam, 347

langsam ab 30 Jahre Deutschland - bin ich der Auffassung gekommen, dass man die Italiener, für die 348

Italiener schwer ist in einem Verein zu leben. In eine kleine Community. Der Italiener - sagt man und 349

vielleicht stimmt auch so - ist eine Individualist. Der immer bereit ist zu meckern, zu nörgeln. Denn 350

der sagt: „Ach guck mal, da läuft nicht. Da läuft nicht.“ Aber schwerer ist, diese Italiener zu bewegen 351

und sich zusammen mit andere Leute zu setzen und zu engagieren und gewisse Sachen zu ändern. 352

Wie in schulische Bereich zum Beispiel, wie in der Politik, wie in der Gewerkschaft. (-) Die Italiener, 353

die haben gelernt zum Beispiel hier in Deutschland in der Gewerkschaft tätig zu sein. In diesen 354

Dingen. Die bewegen sich was. Aber in Privatleben ist sehr, sehr schwer. Da sieht man jetzt zum 355 Beispiel mit den italienisch-katholischen Missionen. Die Priester, die italienischen Priester, sind zu alt, 356

die sterben aus. Die kommen nicht mehr. Und die italienisch-katholischen Missionen müssen 357

schließen. Da fangen an die Italiener zu meckern. Aber jetzt seit 10-15 Jahren hat man selten 358

gesehen in diese Zentrum, aber vor 30, 40 die waren voll. Die waren voll. Waren in soziale Leben viel, 359

viel natürlicher. (Telefon klingelt) […] 360

361

I: Ich hab noch ´ne letzte Frage - wir sind schon bei der letzten Frage - ist Ihnen das wichtig, dass Sie 362

ihre kulturellen Hintergründe den anderen Mitbürgern hier zeigen? 363

364

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II: Ja, das finde ich sehr wichtig. Finde ich sehr wichtig, weil - nur so kann ein deutscher Bürger oder 365

ein Jugendlicher in der Schule oder ein türkischer Jugendlicher oder ein Marokkaner, ein Grieche, ein 366

Spanier merken: „Aha, guck mal die sind so - die sind nicht anders als wir.“ Das heißt, wir haben 367

dieselbe Migrationsgrund. Wir leben, wir atmen wie jeder andere. Und wir essen wie jeder andere. 368 Und wir geben manchmal viel mehr, sagen wir, in Kräfte, Engagement als andere. Ich denke an die 369

deutschen Mitbürger und deutsche Kollegen. Und das finde ich sehr wichtig auch so. Und (-) da merk 370

ich schon in unsere Schule die Schüler, die haben - glaub ich - haben mich gerne und ich habe auch 371

die gerne, trotz aller Probleme, die wir im Moment haben. Und das sollen auch die deutschen 372

Kollegen merken, wie ein italienischer Kollege, sagen wir, umgeht mit dem deutschen Formalismus. 373

Mit viele andere, kleine oder große Sachen. Vielleicht hilft das. So eine gemeinsame Haus zu bauen. 374

Und ein bisschen mehr Geduld zu üben. 375

376

I: Jo (-). Gibt's noch irgendwas zum - generell - zum Thema Kultur? 377

378 II: Kultur. Kultur ist ein schwierige Thema. Ist auch nicht einfach. Da sind diese verschiedenen 379

Schichten bei mir. Das heißt, hast du die historischen Schichten. Hast du die, sagen wir, 380

Informationen aus den Traditionen zum Beispiel, die bei mir anders sind, weil ich komme aus 381

Norditalien und (XY) aus Süditalien. Die sind anders. Die Küchenunterschiede sind anders. Und alle 382

diese italienischen Schichten, die haben sich vor dreißig Jahren haben begegnet die deutschen 383

Schichten. Bei meiner Frau oder bei Verwandten, bei Freunden, bei Kollegen und so weiter. Und seit 384

30 Jahren die verschiedenen italienischen Schichten, die probieren mit den deutschen Schichten zu 385

kombinieren. Wie bei einem Tiramisu zum Beispiel. Und würd ich sagen, ist schwer manchmal. Aber - 386

schmeckt. Kann ich nicht sagen, kann man nicht essen, kann man nicht damit leben und so weiter. 387 Ich würde sagen, mit diese viele kulturellen Schichten, fühl ich mich wohler als ein Deutscher. 388

Manchmal tut mir ein Deutscher leid. Dass er nicht diese Reichtum an Schichten ernst nimmt zum 389

Beispiel. Auch sagen wir die Freundschaft zu unseren Nachbarn - ist eine schwierige Sache. In Italien 390

ist es ein bisschen anders. Kann man lachen, kann sagen wir - kann man scherzen, kann man sich 391

treffen und so weiter. Hier in Deutschland, Moment mal, was siehst du da – „Guten Morgen, Guten 392

Abend“ - das ist alles. Leute, die sich seit dreißig Jahren kennen, kennt- sagen wir - und man glaubt 393

die zu kennen, aber die kennst du nicht. Und da ist ein bisschen traurig. Aber ich persönlich mit diese 394

Vielfalt von Schichten fühl ich mich wohl. 395

396

I: Also, ich glaub auch, dass das ´ne Bereicherung nur sein kann. 397 398

II: Ja, aber muss man auch bereit sein, diese Schichten zu akzeptieren. Zu bearbeiten auch, zu 399

angleichen auch. Aber - einige tuen sich schwer. Auch einige Italiener, die leben, die leben für sich in 400

ihre sagen wir so, - kleine italienische Zelle. Die in Deutschland, sagen wir -, transportiert worden ist. 401

Mit alle, sagen wir -, Probleme. Auch für die Kinder in der Schule zum Beispiel. Nicht nur die Sprache 402

hier und da. Aber Integrationsprobleme. (-) Ist nicht einfach. 403

404

I: Ja, wobei ist da halt auch die Frage, ob‘s an denen selber liegt oder ob's womöglich auch an dem 405

Umfeld liegt. 406

407 II: Ja, weiß ich nicht. Ich finde trotzdem, dass unsere Ruhrgebiet ohne diese verschiedene Schichten 408

sehr arm wäre. Ne?! Ich finde auch schön, dass in die deutsche Geschichte immer diese, sagen wir, 409

Kommen und Gehen gegeben hat von andere Kulturen. Angefangen von der Alemannen und Römer 410

und so weiter, damals mit Konfrontationen und so weiter. Das ist sehr, sehr, find ich, positiv. Was in 411

andere Länder, sagen wir so - schwieriger gewesen ist. Sagen wir, Italien wir haben Einfluss auch von 412

andere Kultur. Aber wir haben auch eine herrschende Kultur. Die, sagen wir, jahrhundertelang das 413

Ganze, sagen wir, erniedrigt hat. Sagen wir so, unsere katholische Glaube unsere Kirche, da ist diese 414

herrschende Kultur, die sagen wir, andere Kulturen und Glauben, sagen wir, die Möglichkeit gegeben 415

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hat sich zu entfalten auch. Um zu eine Konfrontation und zu eine Zusammenarbeit zu kommen, da 416

sind die Probleme ein bisschen anders. 417

418

I: Ja, ich bin soweit durch mit meinen Fragen. 419 420

II: Gut. 421

422

I: Dann möcht ich mich recht herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich die Zeit genommen haben. 423

424

II: Kein Problem. Über solche Sachen sprech ich gerne. Ich hoffe, dass lang genug ist oder gewesen 425

ist. Wenn Probleme auftauchen sollten, bitte melden Sie sich. 426

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Interview JI 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 03.01.2009 6

Ort: Wohnort des Befragten 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 69 10

Geschlecht: männlich 11

Beruf: Rentner 12

Herkunft: Italien; 1. Generation in Dtschl. 13

14 15

I: Also, als erstes würd mich nochmal interessieren zu Ihrer persönlichen Migrationsgeschichte - 16

Wann sind Sie hierher gekommen und aus welchen Gründen? 17

18

JI: So. So. Zuerst ich bin alleine hier gewesen. 197(X) - oder besser – […]. 19

Nur zu Neugier, zu gucken, ne?! Habe ich meine Beruf, warum, ich bin (XY). Und dann nachher habe 20

ich mich informiert um gucke zu machen Beruf. Habe ich Interesse gehabt. Besonders diese Mädchen 21

mit weiße Kitteln, warum haben wir in Italien. Jetzt ja auch, aber in Italien da ist keine Mädchenberuf 22

gewesen. Und dann - die schlechte Zeiten gewesen alt mals. Und dann ich bin entscheiden zu - zu 23 Deutschland kommen. Ich bin alleine zuerst gekommen. Hab ich eine mit den Kollegen zusammen - 24

eine (XY) gefunden, wo ich dahingegangen für […]. 25

Aber leider keine Deutsch sprechen. Aber da ist schwer. Anfang ist schwer gewesen. Warum hat 26

mein Chef in Tafel, hat er gemalt ich was muss machen. Und dann ich meine Beruf, ich 27

selbstverständlich sofort verstehe dann, ne?! Und dann nachher hab ich gemacht. Bis Rente ich bin in 28

der Firma geblieben. Ja. (-) Aber wie gesagt, früher das ist schwer, warum kein Deutsch zu sprechen, 29

nicht viel Sätze oder „Guten Morgen“ oder „bitte sehr“. Bis Ende achte Stunde bin ich sofort 30

zurückgekommen zu unserem Landesmann zu quatschen, ne, zu sprechen. Ja damit es Arbeit 31

(unverständlich1) ja. Ja, wir sind nach (XY) am Anfang gegangen, gekommen. Aber leider wenn 32

Ausländer, 6 Kinder suchen die Wohnung, das ist sehr schwer. Sehr, sehr, sehr schwer. Jetzt geht, wir 33 sind früher wie heute die Türken oder die Araber. Sind ein bisschen schief gegucken heute. Aber wir 34

früher auch, ne?! Aber hab ich in (XY) gefunden eine Wohnung. Sagen wir, die Wohnung ist eine Stall 35

gewesen. Mit (-) Boden, Holzboden, Toilette in Treppe. Nur Toilette und waschen die Kinder und wir 36

müssen eine große Behälter Wasser halten. Oh, Theater. Hab ich die Schnauze voll. Hab ich die 37

Sachen gepackt, ich sage wieder zurück nach Rom. Nach vier Monat Sohn von meinem Chef ist in 38

Urlaub mit seiner Freundin - in Rom gekommen […]. Und dann: „Pass auf, mein Vater hat gesagt, dass 39

du musst kommen wieder." „Nee", gesagt, „Ich komme wieder gerne, aber ich möchte gerne eine 40

vernünftige Wohnung haben. Sonst ich komme nicht mehr." Für einen Mann ist nicht so schlimm, 41

Mann komme raus morgens und komme wieder abends. Aber für eine Frau, für eine Frau, für Kinder, 42

ah nee, wenn die Busse vorbei die Schranke dididididi bewegt sie alle - Mama Mia. Und soviel Geld 43 bezahlt zur Miete. Erinnerst du dich (an Tochter)? Und dann wieder zurück, haben wir gewohnt in 44

(XY) […]. 45

Wir haben da eine vernünftige Wohnung gefunden. Ich erinner mich, hat er angerufen, da ist ein 46

Italiener mit fünf Kindern. Ist zu Personen mit mir gegangen um da zu sprechen kein Problem. Ja, 47

dann sind wir geblieben 14 Jahre. [...] Ja und dann wir sind näher an Zentrum, warum ich hatte hier 48

gearbeitet. In Zentrum lange. Die Geschäfte ist jemand immer herkomme, musse zwei Busse 49

nehmen. Ein Bus, ein Straßenbahn, warum hat kein Auto gehabt. Ja. Und dann bis heute wir wohnen 50

hier. Von Hause von meine Tochter. 51

52

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LXXXI

Anhang

I: Ja schön. Und dann sind Sie ja schon ziemlich lange hier eigentlich. Ist das denn so, dass Sie sich 53

immer noch mehr der italienischen Kultur verbunden fühlen oder fühlen Sie sich der deutschen 54

Kultur auch irgendwie zugehörig? 55

56 JI: Ja, für Deutsche machen wir oft Feste oder [Übersetzung]. Ja, ich persönlich oder meine Frau 57

selbstverständlich von italienischen. Aber die Kinder nicht. Die Kinder sind hier großgezogen oder 58

hier geboren. Heimat, ist selbstverständlich. Ja aber wir immer – ja, ich bin hier in Deutschland 59

gekommen mit 3(X) Jahren alt gewesen. Meine Kinder hatte in (unverständlich1) gebracht. Das ist 60

normal. Ist normal. Für viele Leute ist so immer noch. Immer noch. Warum wir haben diese Zentrum 61

dreimal gewesen. 2(X) Jahre her. Wir haben kein Geld gehabt. 100 Mark jeder geschmissen für eine 62

Fest zu machen und dann haben wir gekauft die Sachen. Ist gut gegangen. Und wir haben diese 63

Zentrum gehabt. So, wir haben gebaut diese Zentrum. [Übersetzung] Ja, ja selbstverständlich, beide 64

Kulturen. 65

66 KI: Ich kann mal die Frage beantworten. Eigentlich, die leben eigentlich beide Kulturen. Beide, weil 67

die Kinder hier aufgewachsen sind, weil man hier wohnt. Weil unsere Neffen und Nichten, die sind ja 68

aus Mischehen, deswegen müssen die ja beide Kulturen leben. Aber das ist ja auch nicht so weit 69

entfernt. Also, die beiden Kulturen sind nicht weit entfernt. Also, wir reden jetzt nicht über Araber 70

und Deutschland. Das ist das. 71

72

JI: Das ist anders. 73

74

KI: Das sind ja Welten. Aber unsere Kulturen, die sind nicht so sehr verschieden. 75 76

JI: Ja, ich hatte Erfahrung, warum davon von diese – wir haben so viele angeleitet diese Leute, aber 77

die kommen nicht. Oder da komme nur der Mann. Die Frau komme nicht. Die Frau andere 78

Mentalität. Wir sind nicht - wir wie Spanien. Von der Araber oder von die Türken. 79

80

I: Also, von der Kulturhauptstadt haben Sie aber schon gehört, ne? 81

82

JI: Ja. 83

84

KI: Wer ist denn jetzt die Kulturhauptstadt? 85 86

I: Ja, das Ruhrgebiet. 87

88

JI: Ja wer denn? Welche, welche – ja, ich weiß es ja nicht. Weil ich bin hier selber Dozentin, 89

interessiert mich das. Aber es steht ja noch nicht fest, wer?! 90

91

I: Doch. 92

93

KI: Ja? Welche? 94

95 I: Also 96

97

KI: Das gesamte Ruhrgebiet? 98

99

I: Aber Essen ist das Zentrum auf jeden Fall, 100

101

KI: Ja, das wollt ich wissen. Essen Zentrum. 102

103

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LXXXII

Anhang

I: Aber eigentlich ist es so, dass sie auch deswegen nur den Titel gekriegt haben, weil eben man sich 104

als Metropole Ruhr sozusagen präsentiert. 105

106

KI: Ah ok. 107 108

I: Also, das ist der Hintergrund dazu. Genau, und ich befass mich nochmal speziell mit ´nem Festival, 109

und zwar findet das auch 2010 nochmal statt, aber das hat auch jetzt schon stattgefunden. Und das 110

ist dieses hier, nämlich MELEZ. Ich weiß nicht, ob Sie davon schon gehört haben? 111

112

JI: Nee. Ich, ich bekomme zu viele Werbung. Bei uns komme - nicht bei uns zu Hause - ne, bei uns in 113

Zentrum manche Mal ich keine Lust zu lesen. (lacht). Um ehrlich zu sagen. Aber wenn komme, du 114

frage weiter, keiner will hören. Oder Blutspende oder die anderen Vereine, die leiten die an. Oder die 115

Stadt leitet die an. Ich habe Anfang an, meine Frau, ich, aber nicht mehr. Hm, nee. Ich weiß nicht. 116

117 I: Ich zeig Ihnen mal das Programm, was dieses Jahr war. Und Sie können da mal drüber gucken, und 118

gucken, ob Ihnen davon irgendwas interessant erscheint. (Zur Tochter) haben Sie davon gehört? 119

120

KI: Ja. 121

122

I: Aber Sie waren da nicht? 123

124

KI: Nein. Ich arbeite viel zu viel. Um da überhaupt. Einige Sachen mach ich schon mit. Einige Sachen, 125

die guck ich mir schon an. Aber nicht unbedingt alles. 126 127

I: Ja. 128

129

JI: Also. [...] Ach gewesen. 130

131

I: Genau, das ist schon gewesen. Aber mich interessiert einfach, was Sie davon interessant gefunden 132

hätten oder ob Sie vielleicht auch gar nix interessant finden. 133

134

JI: Ah. Die Rita Süssmuth wegen Migration. Wie war nochmal die Frage? 135

136 KI: Ehrenamtlich. Ja, das hier hab ich von gelesen. Cem Özdemir. Sie wissen ja, warum der bekannt 137

geworden ist? Haben Sie das verfolgt? 138

139

JI: Il tempo libero. 140

141

I: Ich weiß grad nicht, worauf Sie anspielen. 142

143

KI: Das ist doch einer der Grünen Mitglieder durch seine ganzen Spendenaffären, mit dem Flieger 144

und so. Ist noch nicht mal politisch durch irgendwelche guten Taten berühmt geworden, sondern erst 145

einmal über die negativen Schlagzeilen, das wollt ich damit sagen. 146 147

JI: Nee, ganz ehrlich zu sagen, wir haben nicht zusammen da gewesen gearbeitet. 148

149

I: Hm. Aber wenn Sie - mal angenommen Sie hätten - also das ist jetzt jedes Jahr - also mal 150

angenommen Sie hätten das dieses Jahr schon vorher gehabt dieses Programm, hätten Sie dann 151

irgendwas interessant gefunden? Dass Sie gesagt hätten, Sie gehen da vielleicht hin? 152

153

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LXXXIII

Anhang

JI: So, ganz ehrlich zu sagen. In, wenn früher, hab ich so viele Vereinstreffen gemacht. Von Konsulat. 154

Von Vereine, türkische Vereine. Portugiesen. So viele. Aber heute, ja bekomme vielleicht ein 155

Programm, ich weiter zu jungen Leuten gebe. Oder zu jüngere Leute zu sagen, das ist interessant und 156

so. Aber persönlich muss ich ehrlich sagen, kein Interesse. Kein Interesse, warum ist immer die 157 gleiche Sache, die Integration müsse mitnehme, mitmache badabingbadabing. Oder Beispiel für die 158

Kirche - ja machen wir. Aber heute habe ich ´n bisschen - nicht sagen wir Nase voll, aber müsse 159

immer Arbeit immer mache umsonst. Und, was mir treffen, nicht von Geld, aber treffen mir auch 160

Dankeschön. Dankeschön, was Sie gemacht. Oder, oder in vier Auge auch. Nicht gewesen. Und dann 161

ich bin bisschen knatschig. 162

163

I: (lacht) 164

165

KI: Also, der hat viel gemacht, wollt er sagen und hat noch nicht einmal ein Dankeschön bekommen. 166

167 I: Ja, das hab ich verstanden. Das ist schade dann sowas. Das ist natürlich richtig. Aber mal 168

angenommen, wenn ich jetzt derjenige wäre, der dieses Programm machen würde, was könnte ich 169

da anbieten, was könnt ich Ihnen für ‘n Programmpunkt anbieten, wo Sie sagen würden, dann gehen 170

Sie mal hin? 171

172

JI: Ja, weiß ich nicht. Programm vielleicht für die, die Leute, die interessieren ist von (XY), von Leben. 173

Von Probleme von den Renten. Probleme von Arbeit. Problem ist von - gibt aber die anderen - aber 174

auch zu, zu Musik oder nicht nur Musik. Das ist interessiere. Warum die Leute hat ein bisschen 175

Interesse davon. Wie früher. Früher haben wir viel gemacht. Von unsere Konsulat hatte immer eine 176 Mann für, der spreche von Renten, zu sprechen. Wie 177

178

KI: Der informiert genau. 179

180

JI: Die Information zu machen. Und ich habe gemerkt, die Leute ist gerne gekommen. Aber jetzt, 181

wenn sprechen, hör mal da sprechen, treffe die Kultur von Deutschen, italienische und türkisch. Ja - 182

Interesse ist nicht viel ehrlich zu sagen. 183

184

I: Aber warum denn? 185

186 JI: Warum? Ist immer die Gleiche. Immer treffen zu quatschen, zu machen oder ab und zu zu eine 187

Feier machen. Oder - aber ist nicht – 188

189

KI: Ist kein wirkliches Interesse mehr hinter. Aber beidseitig. 190

191

JI: Ja, wie gesagt. Früher habe ich zu viel gemacht, aber persönlich. Aber jetzt (-) Feierabend. Abends 192

Treffen machen, bis abends müde und dann nachher 12 Uhr nach Hause - Abend. Hab ich zu viel 193

gemacht. Hab ich jetzt – 194

195

KI: Aber auch weil die - Papa, du hast das damals gemacht mit den Portugiesen, Spaniern und so 196 weiter. Das hat ja auch super geklappt. Weil die 197

198

JI: Wir haben auch Fußball gemacht. Wir haben auch eine Mannschaft gebaut, Fußball. 199

200

KI: Ja, aber die Türken, die haben ganz andere Interessen, das ist das Problem. 201

202

JI: Die Mannschaft gemacht. Wir haben uns jeden Sonntag getroffen, gespiele, gefeiert, gequatscht. 203

204

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LXXXIV

Anhang

KI: Die haben getanzt mit den Spaniern zusammen. Ich weiß das noch. Die haben - ja ist wirklich 205

wahr. Wir hatten ein ganz großes Kulturzentrum 206

207

JI: Aber vielleicht nicht Sie besser alle- vielleicht eine junge Leute zu unterhalten. Für ihre. 208 209

KI: Nee, die jungen Leute können ihre Fragen gar nicht beantworten Papa. Die jungen Leute haben 210

diese Kontakte gar nicht. 211

212

JI: Ja ich - ehrlich - nicht (-) persönlich habe keine mehr Interesse. 213

214

I: Hmhm (zustimmend). Ja, das ist durchaus legitim. 215

216

JI: Tut mir sehr leid, aber ist so. Wenn ich jetzt ich, nur ich, oder andere Personen - im Ganzen die 217

italienischen Leute – für zwei Personen - lohnt sich überhaupt nicht dahin oder zu wofür? Die Leute 218 hat kein Interesse. 219

220

I: Hmhm. Also, es gab zum Beispiel - ich war zum Beispiel bei dem Bello e Brutto. Das war eigentlich 221

nochmal ganz spannend. 222

223

JI: Ich weiß nicht. Ich kenne nicht. Was gewesen? 224

225

I: Das war ein Theaterstück. Und da haben Italiener aus Hattingen erzählt, wie sie hierher gekommen 226

sind. Das waren eigentlich alles Sizilianer. Und wie halt das Dorf da hierher gewandert ist. 227 228

JI: Ja, verstehen Sie was? Diese Leute - von diese Leute kommen aus Sizilien zu die kleine Dorf. Ist 229

gekommen Deutschland ist wie die früher Amerika. Ne?! Aber bei uns ist anders. Bei uns - was wir 230

haben gefunden hier, wir haben zu Hause auch viel gehabt. 231

232

I: Klar. Es waren auch durchaus nicht nur positive Geschichten von denen, sondern auch mit 233

Heimweh und so verbunden. Aber für Sie ist‘s nicht so. 234

235

JI: Also, da ist nur Theater gewesen? Oder unterhalte wie? 236

237 I: Also, man konnte sich nachher auch mit denen unterhalten, aber es war schon ein Theaterstück. 238

Und ‚il tempo libero‘ 239

240

JI: Tempo libero si. Freizeit. 241

242

I: Das hat der Herr Cervo gemacht. Und der ist erstmal rumgereist hier im Ruhrgebiet und hat Leute 243

gefragt, wie sie sich denn hier fühlen. Der hat da auch nochmal was draus gemacht. Das waren halt 244

so verschiedene Sachen, die speziell auch mit dem italienischen Hintergrund gemacht wurden. (-) Das 245

muss Sie ja nicht interessieren... 246

247 JI: Gian Maria Cervo. 248

249

I: Kennen Sie den? 250

251

JI: Nee. Schauspielhaus Essen. 252

253

I: Und - nutzen Sie denn sonst irgendwas an kulturellem Angebot hier im Ruhrgebiet? 254

255

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LXXXV

Anhang

JI: Weiß ich nicht, was ich weiß (-) nur wie gesagt, diese Fest, diese Treffen, aber von kulturell. 256

Beispiel – 257

258

KI: Warte mal, wo ist denn die Frage gelagert. Persönlich oder eher allgemein? 259 260

JI: Allgemein. 261

262

I: Nee, die ist persönlich gelagert. 263

264

JI: Aaaah. (-) 265

266

KI: Er nicht, aber meine Mutter ja. Meine Mutter ist eher… 267

268

JI: Ja, meine Frau ist anders. Meine Frau hatte nicht so viel früher wie ich gemacht. Verstehen Sie? 269 Ich (-) meine Frau hat mehr Interesse. 270

271

I: Und Sie gehen auch nicht mehr ins Kino oder sowas? 272

273

JI: Ja, ins Kino - pff. Meine Kino ist hier. Fernsehen. Nein, das ist - ich weiß nicht. 274

275

I: Und zu Konzerten...? 276

277

KI: Das macht ja meine Mutter eher. Zu Operetten, Musicals. Deswegen sagte ich ja, da ist die Kultur 278 (lacht). 279

280

I: Aber einfach, weil Sie da nicht so viel Interesse einfach auch dran haben, oder…? 281

282

JI: Nee, vielleicht ein bisschen in meine Alter hat ein bisschen verloren diese Interesse. Weiß ich 283

nicht. 284

285

I: Aber früher war‘s mehr? 286

287

JI: Ja, früher hab ich viel gemacht. 288 289

I: Und was haben Sie früher gern gemacht? 290

291

JI: Ja, wie gesagt, wir haben gearbeitet, gearbeitet, und nachher diese Treffen. Mit Konsulat zu sagen, 292

ah muss dort hingehen, muss treffen hier, muss treffen da. (-) Da ist - oder zu 293

294

KI: Die haben sich öfter auch während der Woche lange unter den Italienern hier getroffen und 295

irgendwelche organisatorischen Sachen gemacht. Für irgendwelche Feiern. Irgendwelche Sachen, wo 296

sie dann auftreten wollten, wir hatten auch ´ne Theatergruppe und so weiter und so fort. Also all das. 297

Die Tänze. Also das hat er schon gemacht. Das war schon Kultur genug. Und das hat der auch viel 298 gemacht davon. Aber jetzt im Alter überhaupt nix. 299

300

JI: Ja und diese - wie heißt sie? - diese (-) [...] politische Treffen. 301

302

I: Ausländerbeirat oder so was? 303

304

JI: Ja, Ausländerbeirat genau das. Hab ich so viel auch gemacht. Aber ich seh‘ immer die gleiche - die 305

gleiche Probleme, immer die gleiche Sprechen, und da ist nur politisch. Warum da ist vielleicht eine 306

Treffen. Da muss alles aufstehen, wenn sprechen der. Diese muss alles aufstehen, verlassen die Saal. 307

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LXXXVI

Anhang

KI: Auf jeden Fall hat der früher viel, viel mehr gemacht. Das heißt in diesem Kulturkreis, da fand er 308

auch seine persönliche Kultur statt, also mit verbunden mit den anderen. Und ich persönlich kann 309

mich erinnern, dass wir eine Theatergruppe hatten und Tänzer hatten wir, die haben da immer 310

geprobt. So ´n Kultur (-) nein, so folkloristischen Tänze waren das. Dann hatten wir sogar ´ne Band 311 gehabt, die haben gesungen, die haben so viele Sachen gemacht. Aufgetreten, mit der Kirche sind wir 312

- haben wir Exkursionen gemacht in religiösen Städten, beziehungsweise auch Pilgerstätten und so 313

weiter und so fort. Wir haben sehr, sehr viele Sachen gemacht und das war ja - und das ist ja das, was 314

er meinte, das bedarf ja natürlich eine gewissen viele Vororganisation. Und das haben die dann 315

immer abends nach der Arbeit gemacht. Das war das. 316

317

JI: Ja, vielleicht ist meine Alter. Ein Mensch, wenn ein bestimmte Alter hat, hat ein bisschen Nase voll. 318

Weiß nicht, vielleicht. Aber früher war ich viel mehr aktiv gewesen. Viel, viel mehr. 319

320

KI: Aber nicht nur du. Wenn ich jetzt die ganzen Italiener sehe von früher, wo ich jetzt noch sehr, 321 sehr, sehr jung war und mein Vater sehr aktiv oder meine Eltern sehr aktiv waren. Die haben alle 322

keine Ambitionen mehr, die haben alle irgendwie, als wären die kaputt, als hätten die kein Interesse 323

mehr. Als hätten die einfach (-), weil die Kinder aber auch dementsprechend das nicht mitmachen. 324

325

JI: Ja, aber muss zufrieden sein. Warum wir haben Leute von Düsseldorf oder Duisburg. Wir haben 326

Leute von (XY). 327

Aktive wie wir. Verstehst du. 328

329

KI: Nein, viele - es ist ja deswegen vielleicht auch mitbegründet, dass die auch älter werden, diese 330 ältere Generation, die das aufgeputscht hat hier. Dass die Energien selber auch weg sind, viele sind 331

auch zurückgegangen die Italiener. Viele sind auch gestorben. Das haben wir ja alles miterlebt. Ja, dat 332

kommt auch noch dazu. 333

334

I: Das hat vielleicht tatsächlich was damit zu tun, dass dieser Migrationszeitpunkt meistens schon 335

ziemlich weit zurückliegt. 336

337

KI: Ja, richtig. 338

339

JI: Hmhm (zustimmend). 340 341

KI: Vor allen Dingen die Leute, die jetzt hier sind. Die Italiener, die jetzt hier sind, das sind entweder 342

ganz ältere Leute - so meine Eltern -, die damals aktiv waren. Und deren Kinder, also wir, - die sind 343

meistens - die haben ganz andere Interessen, die sind meistens aus Mischehen, die haben meistens 344

ne Deutsche oder ´nen Deutschen zum Mann oder Frau, wie auch immer. Die haben Kinder, die 345

haben ganz andere Interessen. Die haben diese Interessen, die früher, die früher da diese Leute 346

hatten nicht mehr. Haben die nicht mehr. Weil dieser Zusammenhalt nicht mehr wirkt oder nicht 347

mehr - was heißt nicht mehr notwendig - oder nicht mehr - ja keine Ahnung - ja nicht mehr so als 348

wichtig empfunden wird. 349

350 Z: Ja, aber wenn wir Älteren sind immer besser alle zusammen gewesen. Aber die Kinder sind hier 351

gewachsen, sind hier zur Schule. Und dann haben die andere Mentalität und andere – 352

353

KI: Andere Wege kennengelernt. Das ist das. 354

355

JI: Ja. 356

357

I: Ja klar. 358

359

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LXXXVII

Anhang

KI: Sofern man überhaupt von Integration reden muss bei den Italienern. Das glaub ich weit weniger. 360

Da musste man sich ja nicht integrieren. Ganz im Gegenteil. Man hat einfach nur die Kulturen 361

ausgetauscht. Ja, is so. Vermischt quasi. 362

363 JI: Ja aber, ich erinner mich früher. Die haben Feste gemacht, aber wir haben immer eingeladen den 364

Präsidenten, den ersten Vorsitzenden von dem Ausländerbeirat. Wie heißt der (XY). Der ist Präsident 365

in NRW von dem Ausländerbeirat. Wir haben immer eingeladen und vorstellen die Leute, wer hatte 366

Problem und so, aber heute, wenn du alleine, ladest du ein eine Person, „ja man muss gucken.“ Auch 367

unsere Mann von Konsulat. Die - warum wir haben, ich habe nicht, keine Schuld habe ich. 368

[…] 369

Und da bin ich zurückgetreten, warum habe ich ein bisschen Ruhe, ein bisschen- 370

371

I: Ja klar. 372

373 JI: Danach jetzt sind zwei Jahre, hab ich wieder gekommen, warum hab ich gesehen, da ist ein 374

bisschen - aber die Leute wollte ich, habe angerufen die Leute von dem Konsulat zu kommen, zu 375

vorstellen die Leute. „Si ai, ich komme“, „no, ich rufe an.“ Aber, jetzt Beispiel, letztes Jahr wir haben 376

eine vier Tage Reise gemacht nach (XY). Wir gedacht vielleicht sieben, acht Leute ne?! 33 Leute. Wir 377

haben organisiert den Flug, Hotel, Bus, Restaurant, aber sind viel Arbeit gewesen. Aber trotzdem die 378

Leute sind zufrieden. Viele Deutsche auch gewesen. Vier oder fünf Stück oder mehr. Ja, sind alle 379

zufrieden. Diese hatte so viele gehore - ah Sie sind in (XY) gewesen, […] – ja, das ist eine Neue für die. 380

Aber wir haben gerne machen. Warum - jetzt wollten wir andere Reise machen, weiß ich nicht wo, 381

aber mal gucken. Wir müsse so machen. Oder so eine Fest. Aber wenn du machst so ein Treffen für 382 kulturelle Treffen, da komme keiner. 383

384

I: Ja, aber ist ja schade drum eigentlich. 385

386

JI: Oder du musst eine Grunde zu Spaß geben. Sonst direkt: „Da ist eine Sprechen für kulturale 387

Treffen - gehen wir, komm“. Ehrlich. Ich habe Erfahrung davon. Aber wenn du tue eine Feste geben 388

oder vielleicht dann vorher oder danach ein bisschen zu sprechen, dann geht ja. Aber sonst direkt 389

kulturell zu sprechen, treffen, komme keiner. Heute kommen keiner. 390

391

I: Das ist schade. 392 393

JI: Ja. 394

395

I: Wenn Sie früher oder wenn Sie das vielleicht heute auch noch manchmal machen - Kultur genutzt 396

haben -, wie haben Sie sich denn über solche Veranstaltungen, kulturelle Veranstaltungen 397

informiert? 398

399

JI: Wenn wir haben - wir ab und zu kriegen die Prospekte. Von Stadt, von denen da. Wir von unseren 400

Vorsitzer und die anderen lesen wir, was ist das. Aber wenn nicht ist interessant für alle - ne ich sage 401

ist kein Interesse -, aber für Erfahrung wie gesagt vorher, wenn du lassest die Leute zu Veranstaltung 402 - komme keiner. [Übersetzung] Wir kriegen Post. 403

404

KI: Wie im Internet, du hast doch auch Internet, Papa. 405

406

JI: Ja nee, ich bin ganz alt zu viel. Ganz einfach, aber nee. Zu schreibe - ich brauch eine halbe Stunde 407

was zu schreibe. Dann muss da. 408

409

I: Und wie haben Sie früher Tickets erworben für solche Veranstaltungen? 410

411

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LXXXVIII

Anhang

JI: Wir haben Reise gemacht [Übersetzung]. Ah du musst vorher anmelden in Sachs-Haus. Ja 412

persönlich. 413

414

KI: Sie sind da noch zu jung für. Da gab es nämlich ein – da hat er Recht – 415 416

JI: Du musst anmelden. Die kommen persönlich deine Namen, aber da steht, du musst anmelden, 417

telefonisch oder was, aber du musst anmelden. Du musst sagen, wie du heißt ja. 418

419

Z: Wie viel Personen. 420

421

Y: Das kann die nicht mehr wissen, die ist doch viel zu jung. […] 422

423

I: Nee, ich komm gar nicht von hier. 424

425 KI: Früher gab's das Hans-Sachs-Haus […]. Ist ein sehr kulturbetontes Gebäude, sag ich mal so. Und 426

sehr viel geldschluckendes Gebäude. Und dort gab es damals so ‘n extra so ‘n Zimmerchen, wo man 427

das dann anmelden musste. 428

429

I: Ok. Ja, die Frage haben Sie eigentlich schon beantwortet. Wie ist das denn - mal angenommen Sie 430

hätten noch ein bisschen Interesse an kulturellen Veranstaltungen, ist es denn eher so, dass Sie eher 431

kulturelle Veranstaltungen mit ´nem Bezug zur italienischen Kultur genutzt hätten oder auch nutzen 432

würden als `normales deutsches` Angebot? 433

434 KI: Das übersetz ich. [Übersetzung] 435

436

JI: Ja, ich habe vorhin beantwortet diese Frage. 437

438

KI: Ja? 439

440

JI: Meine Eltern, meine Alter, die haben immer Interesse von unserem Land. Aber die jungen Leute 441

nicht. Die jungen Leute haben deutsche Interessen. Warum sind hier geboren oder sind hier 442

gewachsen. 443

444 KI: Papa, lass doch mal die jungen Leute weg, das interessiert doch gar nicht. [Übersetzung] 445

446

Z: In meine Alter, früher hatte mehr Interesse für alles. Ich wollte diese Jahre vorschlagen für unsere 447

Verein. Eine schöne Tag in (XY), warum wir leben hier, ich kenne auch niemals (XY) genau. Das ist 448

auch eine kulturelle – 449

450

JI: Ja selbstverständlich. 451

452

Z: Aber muss die andere - 453

454 JI: Ja, persönlich ich bin mehr Seite italienisch. 455

456

KI: Italienisch orientiert. Meine Mutter wiederum anders. 457

458

I: Ok. 459

460

Z: (zu Mann) Warum wir leben hier jetzt. Du hast entschlossen hier zu bleiben. Musst du auch hier 461

kennenlernen die Kultur von hier. Nicht nur italienisch. Italienisch hast du schon viel. 462

463

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LXXXIX

Anhang

JI: Ja (seufzt). 464

465

Z: Das ist die Problem bei die ältere Leute. Die eine so, die andere so. 466

467 KI: Meine Mutter, muss ich dazu sagen, ist die einzige Ausländerin weltweit wahrscheinlich, die 468

solche Ambitionen hat, wo das auch, weil die interessiert sich für alles. So nicht nur für Kultur, eigene 469

Kultur. 470

471

JI: Ja, vielleicht ist es eine Frau Neugier (lacht). 472

473

KI: Selbst von Afrika. Das ist wirklich schnuppe. Das ist was Persönliches. Aber die meisten, da hat 474

mein Vater schon recht, so wie er auch ist, sind schon – 475

476

JI: Ja, ich meine spiele Rolle auch die, wie alt ein Mensch ist. 477 478

Z: Ich glaube, nein. 479

480

KI: Deswegen nicht. Es ist einfach charakterlich bedingt Papa. Interessenshalber bedingt. 481

482

JI: Aber früher nicht so gewesen. 483

484

Z: Aber ich bin zweimal mit der Schule von deine Kinder – 485

486 JI: Unser Kind. 487

488

Z: Ja, in Reise mitgegangen mit der Schule. Warum die Schule hat Ausflug gemacht ins Xantes. Ich 489

hatte Interesse gehabt und bin (unverständlich1)- mit die ganze Italiener sind gekommen, nach – 490

491

JI: Ja, aber ich muss arbeiten. Muss ich arbeiten. 492

493

KI: Mama will ja nur sagen, dass es charakterlich bedingt ist. 494

495

JI: Ja, aber wenn ich frei gehabt hätte, ich wäre auch gekommen. 496 497

Z: Ja, ich glaube nicht. 498

499

JI: Ich früher - die Konsulat hatte bezahlt ein Bus für die kleine Kinder zur Grundschule. Mit diese Bus 500

musse ganze (XY) rum und dann nachher zu die Schule in eine Ort gewesen - früher. Ja ok, in (XY). Ich 501

bin mit den Busfahrer, musste aufpassen, dass die Kinder ein bisschen ruhig sein. Ruhig nicht, aber 502

bisschen Ruhe. Sonst nachher die Fahrer kämen nicht klar. Aber hier, da ist eine Kleinigkeit. Aber ich 503

habe immer mitgemacht. Aber heute - ganz wenig (lacht). 504

505

I: Und was finden Sie heute aber noch besonders wichtig an Ihrer Herkunftskultur? Also an der 506 italienischen Kultur? 507

508

JI: Wichtig? Wichtig ist (-) [Übersetzung] Arbeite zusammen mit die Leute, die sind hier. Die arbeiten 509

hier, leben hier. Zusammen mit den Deutschen miteinander. Das ist wichtig die Leute, ich meine. 510

Warum du kommst hier als Gäste, du respektierst die Gäste, respektierst deine Land, wo bist du (-) 511

Gast. 512

513

I: Aber - es könnt ja sein, dass Sie jetzt sagen - Ihnen ist wichtig, dass Sie irgendwie italienische Musik 514

haben, dass Sie einen italienischen Fernsehsender haben oder irgendwie sowas? 515

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XC

Anhang

516

JI: Ja. 517

518

I: Solche Sachen sind auch wichtig für Sie? 519 520

KI: Sehr sogar. 521

522

JI: Sehr. Ja, meine Schüsselantenne. Nicht nur ich will italienisch. Eine für italienische Sendung, eine 523

für deutsche Sendung. Aber ich nehme, ganz ehrlich, muss mehr italienische Fernsehen sehen. 524

525

I: Und was gibt‘s noch, was Ihnen an der italienischen Kultur wichtig ist? Also was? 526

527

JI: Ja, wir haben früher - Beispiel Oper. 528

529 KI: Du persönlich. 530

531

JI: Ja, warum nicht? Wir sind zu Opera zu italienische Sänger gewesen. […] Ein Tenor. Von Oper 532

gewesen. Wir sind auch in Köln gewesen. Wir sind auch in (XY) in deutscher Oper auch gesehen. 533

534

KI: Italienische Politik interessiert ihn auch sehr. Der verfolgt die Tag und Nacht. 535

536

JI: Lassen wir bitte. 537

538 KI: Die hat dich doch gefragt, was du in Deutschland beibehalten möchtest und das ist das! 539

540

JI: Die haben immer mit die Treffen, was meine Frau meinte. Wir sind hier und ich muss locker sein 541

von italienische Fernsehen, warum wir sind hier. Und du musst die Probleme von hier sehen, von 542

deutsche Fernsehen. Aber ich kann nicht. 543

544

KI: Es interessiert ihn nicht. Es interessiert ihn nur dann was, wenn irgendwas ganz Schreckliches in 545

Deutschland passiert ist, dann interessiert ihn das. Aber ansonsten überwiegend italienische 546

Nachrichten. Alles das. Alles italienisch. […] 547

548 JI: Ganz selten. 549

550

I: Aber Ihnen ist das auch wichtig, ich mein, wenn man so einen Verein gründet, ist einem das 551

wahrscheinlich immer wichtig - das auch an die Deutschen mitzuteilen, was denn die italienische 552

Kultur eigentlich ausmacht? 553

554

JI: [Übersetzung] Ja sicher. 555

556

KI: Ja doch, weil der lädt auch immer die Deutschen ein. 557

558 JI: Ja sicher. 559

560

KI: Komplett, das ist ihm sogar sehr wichtig. 561

JI: Wie gesagt, unser Verein da sind ja auch Deutsche dabei. […]Weiß ich nicht, ob behilflich sein, 562

aber sicher früher, die Immigration gekommen mit Papptaschen, mit Farbe gekommen, aber heute 563

ist nicht mehr. 564

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XCI

Anhang

Interview KI 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 03.01.2009 6

Ort: Wohnort 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 45 10

Geschlecht: weiblich 11

Beruf: Dozentin 12

Herkunft: Italien; 2. Generation in Dtschl. 13

14 15

I: Die Frage zur Migrationsgeschichte lassen wir weg. Das haben wir jetzt schon von Ihrem Vater 16

gehört. Also Sie sind dann, wann war's? – 7(X) gekommen? 17

18

KI: […] und da war ich 1(X) Jahre alt. 19

20

I: Oh, dann haben Sie ja tatsächlich einiges in Italien noch erlebt. Können Sie sich daran noch 21

erinnern? 22

23 KI: Klar, natürlich. Ja. 24

25

I: Aber für Sie ist es jetzt so, dass Sie sich schon mehr mit der deutschen Kultur identifizieren können? 26

Oder? 27

28

KI: Nee, ich nehm beides immer mit. Beides. Es ist ja auch so - das ist ja das, was - zum Beispiel, ich 29

seh‘ das ja anhand meiner Schüler. Ich hab ja vorhin schon erwähnt, ich bin ja Dozentin. Und die, die 30

sind ja multikulturell, meine Schüler. Und genau das gleiche mach ich ja auch. Im Grunde genommen 31

nur nicht so in der Form wie die meisten das tun. Und zwar ich nehm beide Kulturen mit und nehm 32

daraus meine Vorteile. Sowohl als auch. 33 34

I: Und wo sind Sie Dozentin? 35

36

KI: Ich bin Dozentin (XY). 37

38

I: Ok. Ist auch interessant. 39

40

KI: Und da arbeite ich mit sehr, sehr verschiedene Arten von (-) Nationalitäten. Ob das jetzt Deutsche 41

sind, Polen, Türken, Tunesier, Marokkaner – es ist alles dabei. 42

43 I: Ja, das ist echt interessant. Ist bestimmt ein interessanter Beruf dann so. 44

45

KI: Auch nervig manchmal. Dass man immer zwischen zwei Stühlen steht grundsätzlich. Das ist nicht 46

einfach. 47

48

I: Das kann ich mir vorstellen. Also, Sie kennen MELEZ schon - ist das richtig? 49

50

KI: Ist richtig. 51

52

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XCII

Anhang

I: Sie waren aber nicht da, kennen aber das Programm ein bisschen? 53

54

KI: Ich kenn die Hintergründe. Ich kenn aber auch - ich arbeite im (XY), das ist hier vorne. […] Und da 55

wird sowas ja immer dargelegt. 56 […] 57

58

59

I: Und gibt‘s denn da ´nen bestimmten Programmpunkt, der Sie dieses Jahr interessiert hätte? Oder 60

haben Sie schon mal darüber nachgedacht dahin zu gehen? Oder? 61

62

KI: Also, ich schaff das zeitlich nicht, weil ich ja auch immer die Prüfungsvorbereitungen mache für 63

die (XY). Ich arbeite auch im anderen Bereich, also heißt das, dass ich das nicht schaffe. Aber 64

ansonsten sind alle die Themen für mich interessant, die was mit der Integration zu tun haben. Weil 65

ich bin nämlich konträrer Meinung als die meisten wahrscheinlich. 66 67

I: Ok. Also das heißt, die Rita Süssmuth hätten Sie sich zum Beispiel gerne angeguckt? 68

69

KI: Ja. Hätte auch gerne mal ne Antwort gegeben. 70

71

I: Ja, das interessiert mich ja jetzt. Was denken Sie denn da konträr zum Thema Integration? 72

73

KI: Also, es werden heute viel zu viel Gelder verschwendet und das mein ich auch so, verschwendet - 74

für Integration. Und ich sach jetzt mal, nicht christlichen Menschen, die hier in Deutschland leben. 75 Und wenn ich zurück denke, wie wir hierhin gekommen sind. Diese Integration gab‘s damals nicht. 76

Absolut nicht. Diese Hilfen gab's nicht. Und ob es Spanier waren, Portugiesen waren, Italiener waren, 77

Griechen waren, die gar keine Christen sind, sondern Orthodoxe sind, die haben sich alle wunderbar 78

integriert. Es gab keine Probleme. Und warum müssen solche Menschen integriert werden, warum 79

müssen - warum die integriert werden müssen, das weiß, die Antwort kenn ich ja - das weiß ich ja. Im 80

Grunde genommen, als Beispiel jetzt, wenn ich jetzt ein Albanier wäre oder Türke wäre, würd ich das 81

sogar als Beleidigung empfinden. Die finden das sogar gut. Weil die sowat gar nicht denken, so rein 82

politisch gesehen. Ich würd‘s als Beleidigung empfinden so nach dem Motto, warum muss ich denn 83

integriert werden? Da würd ich mir Gedanken über mein Leben machen, über mein Denken, über 84

meine Erziehung, über meine Mentalität. Ist verschleiert - ist schleierhaft alles, so politisch halt eben. 85 86

I: Also, es ist sehr schwammig das Thema einfach. 87

88

KI: Genau, vor allen Dingen ich seh‘ das ja ganz besonders, weil ich hab ja solche Leute in meinem 89

Unterricht sitzen. Ich weiß, warum die integriert werden müssen - und zwar ganz dringend. Aber 90

dass man so viele Gelder dafür ausgibt, dat find ich wirklich - dat ist ´ne Schweinerei. Weil ich denke 91

mir, man müsste eigentlich - die wollen nur eines hier - die sehen das Deutschland als 92

Integrationsland oder bzw. als Arbeitsland. So, da kann ich mal ´ne müde Mark verdienen und kann 93

meine Familie ernähren. So sollte es ursprünglich auch sein. Ist ja auch richtig, so sollte es ja auch 94

sein. Sind wir alle dankbar, gar keine Frage. Ich zahl ja auch meine Steuern hier und gerne. Nicht 95 falsch verstehen. Aber dann würd ich mich doch mal fragen, warum so viele Gelder in Integration 96

verschwendet werden, die wobei gar nicht integriert werden wollen. Und andererseits in den 97

Städten, sprich hier in (XY) Slums gleichzeitig erbaut werden. Dass die Stadt sowas zulässt. Aber es 98

integriert irgendwo. Also es sind zwei konträre Sachen, die nicht miteinander passen, die überhaupt 99

nicht passen. Dann darf ich sowas nicht zulassen, dass da Slums gebildet werden. Und andererseits 100

verschwende ich Zigtausende von Marken, von Euro mittlerweile, damit die integriert werden 101

können. Die können sie nicht integrieren, wenn sie in Slums leben. Die wollen auch nicht. Also 102

definitiv - ich krieg das auch immer wieder von meinen Schülern mit - die wollen auch nicht. Die 103

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XCIII

Anhang

wollen absolut nicht. Die wollen in ihren eigenen vier Wänden bleiben und die wollen nicht integriert 104

werden, das ist so. Definitiv. Da will Deutschland was empor werfen, was die gar nicht wollen. 105

106

I: Ja, aber ich glaub das hat auch was mit der Einstellung der Menschen einfach insgesamt zu tun. 107 Also, wenn man das immer wieder mitkriegt, dass man selber der Problemfall ist, glaub ich, denkt 108

man sich irgendwann ja (gleichgültig) 109

110

KI: Aber deswegen muss ich ja nicht Gelder verschwenden. 111

112

I: Klar, das müsste wahrscheinlich an anderen Stellen einfach eingesetzt werden. 113

114

KI: Genau. Aber nicht so dermaßen viel. Nur für die Leute, die wirklich Interesse haben. Es gibt viele 115

Leute, die Interesse haben sich zu integrieren und diese Hilfen auch annehmen. Aber die meisten 116

wollen gar nicht und sind gezwungen so ‘n Integrationscenter mitzumachen. Ich kenn das. Ich seh das 117 hier. 118

119

I: (lacht) Ja aber nochmal zurück zu MELEZ. Also generelles Interesse hätten Sie schon an dem 120

Programm oder? 121

122

KI: Ja. 123

124

I: Ja, aber irgendwas Spezielles, was Sie da interessiert? 125

126 KI: Ja, es ist ja hier die – das, was zum Beispiel Frau Süssmuth hier angeboten hatte, wär natürlich 127

nicht schlecht gewesen. Ich hätte auch gerne Paroli gebeten an den Herrn Özdemir. Der ist auch so 128

schleierhaft wie er selber ist, ja?! Das sind so Sachen, die mich schon interessieren, aber einfach nur 129

um denen mal zuzuhören, was die sagen, und dann, was die sagen, aufzunehmen und dann mit 130

tagtäglichen Beispielen konträr zu sein. Nicht als (-) nicht als Meckertante dazustehen, sondern 131

einfach zu zeigen: „Ey, ihr redet ganz schön viel Mist, weil ihr seid nicht an der Front. Ich bin an der 132

Front, ich krieg das eher mit.“ Darum geht‘s mir eigentlich. 133

134

I: Also, so ´ne Diskussionsrunde wär für Sie auch interessant gewesen, eigentlich? 135

136 KI: Ja. Super. 137

138

I: Also das wär was, womit ich Sie jetzt hätte locken können? 139

140

KI: Sofort. Sofort. Hätten Sie ´nen Termin, würd ich mir sofort freimachen können. 141

142

I: Und irgendwas anderes noch jetzt so im kulturellen Bereich, sowas wie Theater oder Konzerte? 143

144

KI: Das mach ich immer. Ich war gestern noch auf ´nem Musical, gestern Abend. Glenn Miller Story in 145

Essen. Mach ich immer. Grundsätzlich. Musical, Operetten. Ich bin im Mai in Leipzig. In, von (-) wie 146 heißt das - die Operette von, wie hieß die - ah das ‚Land des Lächelns‘. So. Also sowas guck ich gern. 147

Ich war mit meiner Mutter zusammen in einigen Musicals. Ne, Phantom der Oper haben wir 148

zusammen geguckt. [...] Auf jeden Fall waren wir schon - also ich auf alle Fälle, grundsätzlich Musicals 149

und Operetten. Gar kein Kino. Also, ich bin kein Fan von Filmen, Action und so wat überhaupt nicht. 150

Interessiert mich nicht. Bin aber ein Fan von (-) sowas, eben halt Musicals, Operetten und ich bin 151

auch ein Fan von Luciano Pavarotti - ich find den klasse. Was mach ich denn eigentlich noch? Ja, ich 152

lese sehr, sehr, sehr gerne, und zwar ich lese sehr gerne die Entstehung der Erde zurzeit. Mit den 153

ganzen Molekülen und so. Das find ich toll. 154

155

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XCIV

Anhang

I: Und wie bekommen Sie Ihre Informationen über Veranstaltungen? 156

157

KI: Internet, E-Mail. Und auch hier - ich werd auch angeschrieben - und zwar von einer Partei, worauf 158

ich nicht besonders stolz bin - Pro Nordrhein-Westfalen. 159 160

I: Und die verteilen sowas? Cool. Immerhin was Gutes. 161

162

KI: Genau. Das ist die einzige Partei im Übrigen in (XY), die ihre Bürger informiert. Ich bin jetzt nicht 163

angehörig dieser Partei. Ich bin gar keiner Partei angehörig. Aber die informiert mich. Find ich klasse. 164

Weder SPD, noch CDU - gar keiner -, aber diese Partei informiert mich seltsamerweise. Keine Ahnung 165

warum. 166

167

I: Und Ihre Tickets kaufen Sie dann auch per Internet? 168

169 KI: Ja. 170

171

I: Das geht schneller. 172

173

KI: Ja. 174

175

I: Würden Sie denn gerne an weiteren Veranstaltungen teilnehmen. Also mal angenommen Sie 176

hätten jetzt mehr Zeit, oder gibt's andere Gründe, die Sie hindern? 177

178 KI: Nee, gar nichts. Bin offen für alles. 179

180

I: Ja. Aber generell ist Ihr Interesse größer? 181

182

KI: Ja, das Interesse ist groß, ist schon groß an Veranstaltungen teilzunehmen. Das tu ich ja auch. 183

Aber irgendwie da haben meine Veranstaltungen zurzeit in den letzten zwei, drei Jahren entweder in 184

beruflicher Hinsicht, also beruflich irgendwo Akzent oder eben halt familiär oder so. 185

186

I: Das hat eher Priorität? 187

188 KI: Zurzeit ja. Weil ich hab für vielmehr einfach keine Zeit momentan. 189

190

I: Und suchen Sie denn da auch gezielt nach Angeboten mit Bezug auf Ihre Herkunftskultur, also die 191

italienische Kultur? 192

193

KI: Ja natürlich, klar. Ich fahr einmal im Jahr immer nach Italien. Guck mir jedes Mal etwas Neues an. 194

195

I: Ok. Da find ich aber jetzt auch spannend, ob Sie lieber Sachen in Italien direkt angucken oder gerne 196

auch italienische Sachen auch hier sehen? 197

198 KI: Nee, in Italien. Ich mag keine Kopien. Also ich mag das Original. 199

200

I: Ok. Aber wenn jetzt irgendwelche italienischen Künstler nach hier kommen, dann gehen Sie da 201

auch hin? 202

203

KI: Ja. Also ich würde auch ganz gerne - das hab ich nie geschafft, also bei einem - beim Eros-Konzert 204

bin ich mal gewesen, weil ich die Karte geschenkt bekommen habe. Ansonsten hätt ich auch keine 205

Zeit gehabt. Ich hab zum Beispiel die Gianna Nannini verpasst. Als sie hier war. Das hat mich wirklich 206

gewurmt. Ja, aber ansonsten, natürlich, klar nutz ich das auch hier. 207

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XCV

Anhang

208

I: Aber nutzen Sie das eher oder als die deutsche Kultur? 209

210

KI: Nee. 211 212

I: Also, das hat nicht Priorität? 213

214

KI: Nein, nein, nein. Eher die deutsche Kultur statt die italienische, weil die - die italienische Kultur, 215

die ist hier sehr, sehr, sehr selten. Wann ist die denn mal hier? Irgendwelche Veranstaltungen 216

musikalischer Art und Weise sehr, sehr selten und wenn, dann interessiert mich das nicht. Dann sind 217

das so irgendwelche - ich nenn die jetzt mal Laberköppe, die mich nicht interessieren -, aber die 218

interessieren mich sowieso nicht. Italienische politische, die Politik in Italien interessiert mich 219

grundsätzlich nicht. Absolut nicht. Hier notgedrungen durch meinen Beruf. Ansonsten ich bin nicht 220

politisch angehaucht. Absolut nicht. Nein. 221 222

I: Und was finden Sie an der italienischen Kultur besonders wichtig, was man hier bewahren möchte? 223

224

KI: Das fand ich gut, was mein Vater macht wieder. Dass er sich wieder so einhängt, dass jetzt so viele 225

Leute - ich hab mich auch einschreiben lassen mit meiner Lebensgefährtin, wir sind jetzt auch dort 226

Mitglied. Wir machen das auch jetzt wieder mit. Find ich auch gut ja. Das find ich klasse. Weil da hab 227

ich viele Leute wiedergesehen, die ich vor zwanzig Jahren zum letzten Mal - oder vor dreißig fast - 228

wiedergesehen habe. Wie alt die geworden sind und das macht schon Spaß. Jo. Ist interessant. 229

230 I: Und Sie haben auch ein Interesse dran Ihre italienischen Hintergründe quasi den Mitbürgern zu 231

zeigen? 232

233

KI: Wie meinen? 234

235

I: Ist Ihnen das wichtig, dass Sie irgendwas von der italienischen Kultur auch den Menschen um Sie 236

rum vermitteln? 237

238

KI: Ja natürlich, klar. Ich muss mich nicht schämen über italienische. Ganz im Gegenteil. Ich sach das 239

so ganz ehrlich und offen, weil man hört das ja auch (-) aufgrund meines Namens - man hört es nicht 240 aufgrund meines Akzentes, aber aufgrund meines Namens, dass ich keine Deutsche bin. Dann sag ich 241

auch so direkt, dass ich gebürtige Römerin bin, dass ich stolz darauf bin. Allein schon - ich bin ein 242

Geschichtsfan wissen Sie - und eben halt auch ein Fan von Kunst. Und da bin ich stolz Italienerin zu 243

sein. Also wenn man sich die Kunst in Italien anschaut, das ist schon einzigartig. 244

245

I: Vor allem in Rom, da hat man ja ´ne Menge. 246

247

KI: Ja, Florenz, Pisa jede Menge. Überall, wo Sie hinkommen. Deswegen. Na klar. Das vermittle ich 248

ganz souverän. Ich bin ein Patriot. [...] Meine Mutter sagt, ich übersetz das mal, Italien ist ein 249

Museum mit offenen Himmeln, quasi von oben kannste gucken und kannste dann – 250 251

I: Ja. 252

253

KI: Deswegen, dat vermittle ich schon. 254

255

I: Und für die Kulturhauptstadt hätten Sie da noch einen besonderen persönlichen Wunsch, was Sie 256

da gerne sehen würden? Oder was Sie gerne hätten, was sich durch die Kulturhauptstadt verändert 257

hier im Ruhrgebiet? 258

259

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KI: Ich würd mir wünschen, dass andere Ausländer hier im Ruhrgebiet auch wahrgenommen werden. 260

Zu gleichen Teilen, zur gleichen Gewichtung wie die anderen, die zurzeit durch die Politik ja sehr, sehr 261

in den Vordergrund geschoben werden. Denn die anderen werden vergessen. Das find ich schade. 262

263 I: Also, Sie denken da eher so an Türken, die jetzt im Mittelpunkt stehen? 264

265

KI: Ja, genau. Und das find ich nicht korrekt. Es gibt noch andere Ausländer, die Deutschland mit 266

aufgebaut haben und die nach wie vor hier noch leben. Und die geraten allmählich hier in 267

Vergessenheit und das find ich nicht in Ordnung. Also deswegen besuch ich auch sowas erst mal 268

nicht (deutet auf Programmheft). Es sei denn, und das hab ich ihnen gerade gesagt, als Waffe quasi, 269

dann würd ich sowas auch - also ich würd mir wünschen, dass endlich mal aufgehört wird, ständig 270

über irgendwelche Moslems geredet zu werden. Die so sehr Gewichtung dran hängen. Es gibt ja 271

andere Ausländer, die wichtig sind. Ne, die mindestens genauso wichtig sind wie die. 272

273 I: Ich glaub, was da einfach gemacht wird, ist, dass so ‘n Konflikt, der eigentlich weltweit gerade 274

stattfindet, auch nach Deutschland transportiert wird. 275

276

KI: Aber hier wird das extrem dargelegt. Extrem, und das find ich nicht in Ordnung, sorry. Weil die 277

anderen werden dann vergessen und das find ich ungerecht und unfair. Weil die anderen haben hier 278

jahrelang eingezahlt und hart gearbeitet für Deutschland. 279

280

I: [...] 281

282 283

KI: Das waren die ersten Gastarbeiter hier in Deutschland. 284

285

I: Ja klar. Und die haben einfach das Ruhrgebiet auch wirklich mit aufgebaut. 286

287

KI: Und das ist das, was ich gesagt habe. Dass, es um alles hier so hochgeschoben - die haben ja gar 288

nix gemacht - ganz im Gegenteil - Deutschland zahlt für die unermessliche Größen an Euro. Uns hat 289

Deutschland nix gezahlt. Und wir werden gar nicht betont. Gar nicht erwähnt. Ist nicht 290

erwähnenswert. 291

292 I: Ja, das ist schade. Vielleicht ist‘s einfach schon zu normal geworden oder ich weiß auch nicht, was 293

das Problem ist. 294

295

KI: Keine Ahnung. Fakt ist, dass ich das sehr, sehr, sehr schade finde und Deutschland mal wieder 296

wach werden sollte. Denn sonst verliert‘s nämlich ganz treue Anhänger. Denn die anderen sind nicht 297

Anhänger, das sind ja keine Anhänger. Das muss man ja so sehen. Die wollen sich ja nicht integrieren 298

auch. Das sachte ich ja vorhin auch. Die meisten wollen auch nicht. 299

300

I: Gut, was ich von Ihnen beiden noch bräuchte, ist Ihr Alter. 301

302 KI: Mein Vater wird nächstes Jahr 70. Ist 69. Und ich bin 45. Muss ich jetzt überlegen - 45 ja. 303

304

I: Nee der Rest […]? 305

306

KI: Ach so, jaja klar. Meine Eltern wohnen hier. 307

308

I: Das ist alles anonymisiert. Ich schreib da keinen Namen rein und so. Das ist einfach nur für meine 309

Diplomarbeit. 310

311

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KI: Und wenn, das ist auch nicht schlimm. Wir haben auch nichts Schlimmes gesagt. Im Gegenteil. 312

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Interview LT 1

2

Thema: Kulturelle Interessen und Kulturnutzung von Personen mit Migrationshintergrund im 3

Ruhrgebiet in Bezug zum Festival MELEZ 4 Interviewerin: Sina Haberkorn, Studentin Kulturwissenschaften 5

Datum: 16.01.2008 6

Ort: Studienort der Befragten 7

8

Angaben zum Befragten: 9

Alter: 25 10

Geschlecht: weiblich 11

Beruf: Studentin 12

Herkunft: kurdisch-türkischer Herkunft; 3. Generation in Dtschl. 13

14 15

I: Als erstes würd mich interessieren, wie du nach hier gekommen bist bzw. deine Eltern? 16

17

LT: Also, ich bin in der Türkei geboren in (XY) nennt man das, das ist in Osten Türkei. Und wir sind 18

dann hergezogen, als ich (X) war. Und seitdem leb ich auch hier, also ungefähr seit 2(X) Jahren. (-) 19

Vorher war mein Großvater hier, er hat hier gearbeitet. Er gehört zu dieser ersten Generation, die 20

geholt wurden. Als Arbeiter kam er. Und er hat dann meinen Vater später dann auch hierher geholt. 21

Und (-) er hat dann auch ziemlich lange hier, also haben beide alleine gelebt. Und später haben die 22

uns auch als Familie dann geholt hierher, weil die gemerkt haben, es gibt kein Zurück. Und seitdem 23 leb ich auch hier. Eigentlich fühl ich mich hier zu Hause. Also ich kann nicht sagen, also ich, wenn ich 24

mal in der Türkei bin oder so, dann vermiss ich auch das Land sehr. Ich fühl mich hier wohl und ja - 25

eigentlich – ja, kann man nicht so sagen. Dort ist es auch schön. Es gibt so halt Fälle - also beides hat 26

Vor- und Nachteile natürlich. Und man kann nicht sagen, eins ist schöner als das andere. Das ist wie 27

zum Beispiel die Frage, ob du deinen Vater magst oder deine Mutter. Da kann man ja nicht sagen, ich 28

mag meinen Vater mehr oder so. Als Kind wird man ja oft gefragt von Erwachsenen. Und das ist 29

genauso mit den Ländern. Wenn man zwischen zwei Kulturen lebt, dann ist eins halt wie Vater und 30

die andere wie Mutter, wenn man das so vergleichen könnte. Ja und - wie lange, wie konkret? 31

32

I: Ja, das reicht schon. 33 34

LT: Also, von der Herkunft her bin ich auch von zu Hause aus zweisprachig - kurdisch und türkisch, 35

weil ich bin nicht Türkin, sondern Kurdin in erster Hinsicht. Aber weil ich ja aus der Türkei bin - so 36

kurdisch-türkisch, sag ich dann halt. Deswegen ist dann manchmal schwieriger, weil man dann 37

Minderheit in Minderheit ist. Also dann ist das nochmal schwieriger. Also ich hab auch in der 38

Grundschule nie erwähnt, dass ich Kurdin bin, weil ich als Kind davon ausgegangen bin die Deutschen 39

wissen gar nicht, dass es Kurden gibt (lacht). 40

41

I: Na, ich glaub Kinder wissen das auch nicht. 42

43 LT: Ich dachte nämlich, weil Kurde sein war so privat, dass ich dachte niemand weiß, was Kurde 44

überhaupt ist. Also Türke wissen die wahrscheinlich schon, weil oft auch von der türkischen Sprache 45

gesprochen wurde. Aber Kurde war dann zu spezifisch und ich dachte, dass niemand so richtig das 46

kennt. Ich hab auch viele Freundinnen gehabt später in der Schule, die das wirklich auch zum ersten 47

Mal gehört haben und gefragt haben ist das nicht gleich wie Türken, - also kurdisch - türkisch ist das 48

nicht gleich? Ja, ist schon interessant, dass man so halt. Ja, mittlerweile kennt man das auch. Aber 49

früher war das bisschen anders. 50

51

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Anhang

I: Und dein Großvater ist also als erstes hergekommen? Und der ist gekommen, weil - aus 52

ökonomischen Gründen? Oder aus politischen? 53

54

LT: Die Gastarbeiterschicht kennst du ja, hast du ja bestimmt gelesen, wo die halt aus der Türkei 55 geholt wurden um hier zu arbeiten. Und er war mit dabei halt. Ist auch wegen Arbeit hierher 56

gekommen. Nur wegen ökonomischen Gründen. 57

58

I: Ja, es gibt ja auch viele Kurden, die aus politischen Gründen hergekommen sind. 59

60

LT: Das ist eher später die Generation, find ich. Also die ersten, die waren nicht so politisch. 61

62

I: Stimmt. (-) Kennst du denn RUHR.2010? 63

64

LT: Hab ich schon mal von gehört. 65 66

I: Genau, und ich befass mich einfach ein bisschen damit, und dazu nochmal speziell mit ´nem 67

Festival der Kulturen, nämlich MELEZ. Hast du davon schon mal gehört? 68

69

LT: Nee, leider nicht. 70

71

I: Also, das findet 2010 auch nochmal statt, aber das findet halt auch jetzt auch schon statt. Und der 72

Festivalort ist eigentlich Bochum zum einen und dann aber auch noch andere Städte drum herum 73

also Essen, Duisburg. Und mich interessiert einfach, was die Leute davon halten und ob das 74 überhaupt interessant ist. Und ich hab jetzt mal das Programm mitgebracht. Dann hätt ich gern, dass 75

du dir das mal anguckst und mal sagst, ob dich irgendwas spontan ansprechen würde. 76

77

LT: (-) Also, erst mal - das würd mich gar nicht interessieren Rock 'n Roll und sowas. Migration - 78

Integration, ich weiß nicht, hab ich zu oft gehört. Niemand macht was, niemand möchte die eigene 79

Ruhe irgendwie stören. Jeder redet von Migration - Integration, also ich find da wird zu wenig getan, 80

aber zu viel geredet. 81

82

I: Also, das hab ich oft jetzt schon gehört. 83

84 LT: Thema ist immer Migration. Und dann werden schön die Wünsche aufgelistet und wie schön 85

wäre es, wenn man sich öffnet und so. Aber wenn's persönlicher wird, da hat man schon sogar schon 86

Schwierigkeiten mit irgendjemanden ein Gespräch zu führen. Das muss dann halt. Ich hab persönlich 87

wenig Kontakte mit deutschen Familien, weil das nicht so gewollt ist, find ich auch. Also aus meiner 88

Sicht. Ich bin da offen, aber ich find zum Dialog gehören zwei Seiten immer. Und es gibt einfach 89

wenig Interesse an die andere Kultur oder an die andere Lebensweise, Lebensart, Religion, Kultur 90

halt. Ja, ist schön so drüber geredet und so, aber kommt drauf an. Was mich daran so interessieren 91

würde oder wie ist das jetzt? 92

93

I: Ja, genau. 94 95

LT: (-) Sivas 93 würde mich interessieren als Theaterstück. Ich hab davon auch schon gehört. Es ist 96

auch ein politisches Spiel. Ich wollte auch eigentlich hin, aber es war wirklich zu teuer. Und ja, das 97

würd mich interessieren. Sonst - Literatur find ich auch interessant. 98

99

I: Aber LiteraTürk hast du das schon mal gehört? 100

101

LT: Nee, LiteraTürk hab ich nicht. Ich hab mal im Internet Literaturka spontan halt gesehen. Aber 102

LiteraTürk hab ich nicht von gehört. (-) Ich bin ja auch wirklich nicht so kulturinformiert und oder ich 103

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C

Anhang

mach da eigentlich wenig. Ich hab ja auch kaum Zeit. Ich mach - ich bin ja auch sehr oft - also ziemlich 104

lange in der Uni. Nachmittags verbring ich halt die Zeit zu Hause oder mit der Familie, mit Freunden. 105

Und an den Wochenenden bin ich meistens in einem Verein - Kulturverein. Also samstags in einem 106

und sonntags in einem anderen. Da machen wir so - führen wir so Jugendgruppen. Aber eher so - wie 107 kann man das denn nennen? Ist kein Religionsunterricht, aber so ‘n Treff, weil das ja in der Moschee 108

ist, dann halt geht man eher auf die Interessen der Kinder ein und versucht die eher aus der 109

religiösen Sicht zu informieren, aufklären und so. Deshalb find ich kaum Zeit für irgendetwas anderes. 110

Und ich freu mich dann auch immer, wenn dann ein Film kommt ins Kino – halt, was mich so 111

interessieren würde. Es ist aber oft nicht vieles dabei, wo ich halt sagen könnte, ja, lass mal hingehen. 112

Also, ich hab auch mal Jugendgruppen mitgenommen so. Wir hatten Bayram und da wollt ich die halt 113

einladen alle - zusammen ins Kino. Und da haben wir einfach uns einen Film ausgesucht. Das hat 114

niemanden so richtig interessiert. Das war langweilig. Weil‘s so ein bisschen unterm Niveau war. 115

Manchmal ist das halt, da muss man richtig gucken, ob da was ist an den Angeboten. Also es ist nicht 116

oft viel dabei, finde ich. 117 118

I: Also, dann ist es ja mal spannend zu wissen, was würdest du dir denn wünschen - also was müsste 119

ich machen, wenn ich dieses Festival machen würde, damit du dahin gehst? 120

121

LT: Ach so. Ja ist schon recht gut, finde ich. Ich würd schon hingehen, weil da auch schon sehr, weil 122

der Plan halt sehr multikulturell den Anschein hat. So zum Beispiel es ist viel dabei, was aus meiner 123

Kultur ist. Zum Beispiel ein Henna-Abend, aber das kenn ich ja schon. Aber ich würd ja dann mit 124

deutscher Frau hingehen zum Beispiel. Das ist dann halt auch ok. Also so gesehen ist der Plan schon 125

eigentlich - würde dieser Plan mich ansprechen, weil es viel dabei ist, wo ich auch einfach mal 126 reingehen und hingucken würde und so. 127

128

I: Also so ´n persönlichen Wunsch? 129

130

LT: Ja, Theater find ich schön und halt Kultur, ein bisschen auf höherem Niveau - nicht so Henna-131

Abend tralala. 132

133

I: Also, eher nicht so folkloristische Sachen oder sowas? 134

135

LT: Nee, eher nicht. Genau. Ich bin da auch sehr ein bisschen vielleicht von der Persönlichkeit her 136 etwas konservativ. Und zum Beispiel so zu viel Tanz und zu viel Alkohol oder so in der Richtung würd 137

mich auch stören. Auch von der Atmosphäre her. Und deswegen passiert es auch oft, dass ich sage, 138

ja vielleicht ist die Atmosphäre zu (-) offen. Und würd mich dann halt stören. Oder ich würd - würd zu 139

sehr auffallen. Zum Beispiel wenn alle knapp angezogen sind zum Beispiel auf Partys und so. Wird 140

erstens mir das nicht Spaß machen dabei zu sein, also so dabei zu sein, weil das ja nicht so passen 141

würde. Und ich würd die Leute auch - so die Blicke auf mich ziehen und deswegen. Von der 142

Atmosphäre her sollte schon ein bisschen so (-) konservativer sein, finde ich. Würd mich dann eher 143

ansprechen. 144

145

I: Aber interessieren dich denn tatsächlich mehr Sachen, die aus der Türkei kommen oder die 146 womöglich auch hier produziert sind? Macht das einen Unterschied? 147

148

LT: Wenn das aus der Türkei kommt, ist das dann auch - dann hat das keinen - Moment -, also, wenn 149

das nur aus der Türkei kommt, dann ist das, die wissen ja nicht, wie es hier uns geht. Also wir hat - 150

wir sind ja - wir kennen ja beide Kulturen. Es ist dann schöner, wenn so zum Beispiel auf beide 151

Kulturen Rücksicht genommen wird. Zum Beispiel find ich Bücher von zweisprachigen Schriftstellern 152

nicht besser, sondern die sind da ein bisschen ansprechender, weil sie ja beides kennen und nicht so 153

einseitig sind. Zum Beispiel von Sevgi Özdamar „Mutterzunge“ zum Beispiel. Keine Ahnung. Ist zwar 154

nicht so - hat mir nicht so richtig gut gefallen, aber trotzdem. Oder (-) es gab da einen anderen, der 155

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CI

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hat zum Beispiel, der spielt mit der Sprache. Halt (-) das Buch ist türkisch-deutsch und ist gemischt 156

halt. Halt diese Jugendsprache zwischen der Jugend in Deutschland, die hier aufgewachsen sind. Das 157

könnte niemand sehen, lesen, der nur aus der Türkei wär oder kein einsprachiger also Deutscher. Das 158

kann man nur als Zweisprachiger lesen, und das macht dann Spaß, weil das ja so konkret ist. 159 160

I:Ja, das kann ich mir vorstellen. Also, das wär auch noch so ´n Punkt? 161

162

LT: Ja, wenn beides so in einem wär. Aber ist auch interessant, wenn aus der Türkei mal was kommt. 163

Doch schon. Find ich schön. 164

165

I: Also das Sivas kommt glaub ich. 166

167

LT: Ja. Ist aus der Türkei genau. 168

169 I: Was nutzt du sonst an kulturellem Angebot hier? Du hast schon gesagt relativ wenig hier, aber was 170

so? 171

172

LT: Also, was ich so - also in erster Hinsicht Literatur. Ich mag das eher so ruhiger und persönlicher. 173

Und ja, sonst, Theater mag ich. Aber ich hab da nicht so - ich hab da zwar Interesse, aber so praktisch 174

gesehen. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich, als ich klein war, ziemlich wenig 175

irgendwie Theater besucht hab oder ins Kino gegangen wurde mit der Familie. Und das hat dann so 176

´n Einfluss. Ich hab nicht ein Bedürfnis danach oder halt vielleicht schon, aber das ist nicht so früher 177

so gewesen und deshalb macht man das halt so weiter, wie man das so gesehen hat. Ich denke es 178 hängt viel mit der Erziehung auch zusammen. Ja. Von kulturellen Angeboten her. Ich find, da könnte 179

man die Bibliothek besser ausstatten, also manchmal geh ich in die Bibliothek und es ist wenig da für 180

- also von den Büchern her, zweisprachige oder anderssprachige Bücher zum Beispiel. Zeitschriften, 181

also Zeitschriften, die mich so eher interessieren. Eher so halt im Internet oder so. Also die Musik 182

auch - aber ich mag so orientalische Musik also so schon, aber diese Arabesque (lacht), die halt ganz 183

konkret türkisch ist. Die nicht, aber modern gemischt auch. 184

185

I: So popmäßig? 186

187

LT: Ja auch. 188 189

I: Gibt's ja viel. 190

191

LT: Ja genau. 192

193

I: Aber das hörste eher zuhause oder gehste auch mal zu Konzerten oder sowas? 194

195

LT: Ja, zu Konzerten nicht so oft, aber zu den Festen halt. Zum Beispiel, wenn das Bayram Fest ist 196

oder Opferfest. Zum Beispiel sind wir oft in Dingens gewesen - in Düsseldorf -, da kam Sami Yusuf, 197

der ist Tunesier. Wenn mal halt jemand kommt, der so aus auch schon religiös - also diese Feier war 198 auch gut ausgerichtet im Hinblick auf – also, mich interessiert es, wenn es immer so ein bisschen 199

Rücksicht auf die Religion nimmt. Wenn es ´ne islamische Feier ist. Und da ist halt islamische Musik 200

und die Atmosphäre hat mir gut gefallen da. In Düsseldorf war das, das war in diesem einen 201

Düsseldorfer (-), wie heißt das? Keine Ahnung. Auf jeden Fall ist auch ziemlich groß. Eigentlich so 202

gesehen hab ich schon seit langem nichts unternommen so. 203

204

I: Ja, das macht man im Alltag ja einfach auch nicht so häufig. Und wie informierst du dich über 205

solche Veranstaltungen? 206

207

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LT: Ja, meistens seh‘ ich so Flyer an der Uni zum Beispiel. Oder von Freunden, Bekannten hör ich, 208

dass das irgendwie bald was ist. Oder im Internet oder durch Werbung halt. Sivas hab ich im 209

Fernsehen gesehen, dass dafür geworben wurde. Ja so. 210

211 I: Ok. Und spricht sich das in den Kulturvereinen denn auch rum? 212

213

LT: Ja, wenn das konkret halt diese Zielgruppe trifft, also zum Beispiel, wenn da so ´n Film kommt, 214

dann wird da gesagt – „Ja, habt ihr schon von diesem Film gehört, da wird halt so ´ne Frau“ - zum 215

Beispiel letztens hab ich von Fight Girl Ayse gehört. Und da hab ich auch - hat mich schon interessiert. 216

Vielleicht werd ich da auch hingehen. Weil um zu sehen, wie das so gezeigt wird, weil ganz oft wird in 217

der Öffentlichkeit die türkische Frau sehr unterdrückt dargestellt. Die arme türkische Frau. Und halt 218

mit Kopftuch denn auch noch. Also so schlecht, find ich das auch schon. Schlecht dargestellt. Und 219

diesmal dieses von der Werbung Fight Girl Ayse, man versucht da, glaub ich, dieses Bild bisschen zu 220

ändern und bisschen zu revidieren. Da ist halt, hab ich ganz wenig von gesehen. Da ist halt ein 221 Mädchen und sie ist halt mutig und sie kämpft und so. Ja, dieses Gegenbild zu armes kleines 222

Mädchen. Und ich find, da könnte man noch mehr machen. Eigentlich kann man da nicht viel 223

machen, weil das wirklich dem Bild entspricht, was viele auch im Kopf haben immer noch. Ich hab 224

mal gelesen über das Kopftuch hat mal so ein Pastor mal ein Buch geschrieben. Auf jeden Fall meinte 225

er, er hätte mal recherchiert und über 90% der Deutschen würden sofort an Unterdrückung denken, 226

sobald sie eine bedeckte Frau sehen. Also zum Beispiel. Also diese Vorurteile, die herrschen immer 227

noch sehr - in allen Schichten eigentlich. Auch in gebildeten Kreisen. Sogar dann auch umso mehr, 228

weil da hat man viel von Leitkultur und so. Es herrscht einfach dieses Bild, und an dem wird auch 229

festgehalten. Auch vielleicht aus politischen Gründen. Also ich find so strukturell gesehen, möchte 230 man auch, dass es so gesehen wird und so halt dieses Bild herrscht. Aber vielleicht wird sich das noch 231

ändern, wenn vielleicht sich mehr Frauen engagieren würden. Auch bei der Produktion als 232

mitentscheiden will. 233

234

I: [...] Ich glaub, dass es mittlerweile auch ein bisschen mehr kommt, dass es auch gesehen wird, dass 235

da wirklich so totale Defizite in der Aufklärung gibt, wie das überhaupt eigentlich ist. Da kann man 236

nur hoffen, dass es sich in den nächsten Jahren ein bisschen ändert. 237

238

LT: Das hängt auch viel von der Gruppe selbst ab - also weil -, wenn man halt sich selbst nicht 239

engagiert und zu Wort melden wird und die eigene Meinung sagt und so, wird dann oft - es wird oft - 240 nicht mit den Frauen gesprochen, sondern über die Frauen. Und deswegen passiert das halt. Die 241

Frauen - ich weiß nicht - find ich zu wenig Kontakte. Zum Beispiel wär's für dich einfacher, wenn du 242

zum Beispiel schon aus dem Freundschaftkreis viele Freunde hättest oder kennen würdest. Es ist halt 243

zu sehr auseinander. Man lebt wirklich nebeneinander. Also, türkische Frauen leben untereinander in 244

einem Kreis und das ist zu sehr in sich gekapselt auch. Nicht nur - es ist nicht nur wegen – also, es ist 245

halt strukturell bedingt. Weil zum Beispiel die Frauen, die Wohnungsorte so angelegt sind zum 246

Beispiel, oder weil das nicht gemischt wird zum Beispiel. 247

248

I: Nochmal zurück zu den Veranstaltungen - wie erwirbst du da Tickets? Übers Internet oder 249

telefonisch? 250 251

LT: Also manchmal, wenn ich jemanden persönlich kenne, der die Tickets hat - halt zum Beispiel 252

Freunde, die das schon vorher haben - also durch diese Kette halt. Oder ich geh da direkt hin und hol 253

mir die Tickets direkt vor Ort. 254

255

I: Und du hast das vorhin schon so 'n bisschen angedeutet. Würdest du gerne an mehr 256

Veranstaltungen teilnehmen – also, du hast eben gesagt, du hast schon großes Interesse, aber 257

bedeutet das eigentlich auch, dass du gerne auch zu mehr Sachen gehen würdest? 258

259

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CIII

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LT: Ja, vielleicht. Also ich kann ja nicht sagen. Also ich bin ja schon interessiert, aber ich weiß nicht, ob 260

ich - ich bin ein bisschen ein fauler Mensch. Ganz persönlich, also es hat nichts mit der Kultur 261

irgendwie zu tun. Aber von der Person her, bis ich irgendwas unternommen hab. (lacht) Oder 262

irgendwie mich entschlossen hab, jemanden einzuladen oder zu irgendjemanden gehen. Das ist 263 schon ein bisschen. Also ich bin nicht so spontan und deswegen ist das immer schwierig. Aber ich 264

denke, wenn da mehr Angebote wären, würd ich mich dann auch eher - wenn ich dann die eine 265

verpassen würde, würde ich dann zu der nächsten Veranstaltung gehen oder so. Doch schon. Ich 266

würd schon daran teilnehmen. Wenn das halt auch meinen Geschmack treffen würde, also einfach, 267

wenn ich mich da wohlfühlen würde. Dann wieso nicht? 268

269

I: Und dein Geschmack heißt das, dass es eher einen Bezug zur türkischen Kultur haben sollte oder ist 270

das völlig gleich, ob das Bezug zur deutschen oder zur türkischen Kultur hat? 271

272

LT: Nee, es ist eigentlich egal. Natürlich würde mich das schon eher interessieren, wenn es so 273 bisschen - wenn ich mich darin sehen würde. Also zum Beispiel entweder meine Religion oder meine 274

Kultur oder halt auch Geschlecht vielleicht. Wenn da zum Beispiel eine Problematik thematisiert 275

wird, was die Frauen betrifft. Ich bin ja auch eine Frau z.B. so gesehen und es ist nicht nur so 276

spezifisch Kultur, sondern halt die Persönlichkeit von mir. Oder z.B. wenn das eine Frage treffen 277

würde über die Jugendlichen oder so zum Beispiel. Dann würd mich das auch schon interessieren. 278

Oder wenn auch ein schönes Buch irgendwie thematisiert wird - also (-), es würd mich schon direkt 279

eher ansprechen, wenn das türkisch wär, aber wenn ich mich dann - also wenn die deutsche Kultur 280

mich eher interessieren würde, würde ich jetzt schon daran teilnehmen. Aber vielleicht - ist ja schon 281

viel, aber nichts, was mich so direkt anspricht. 282 283

I: Aber dann könnte man sagen, also du hast das eben schon gesagt, dass dich das eher interessiert, 284

wenn jetzt Autoren da sind, die diese beiden Welten mit reinnehmen - also würde das heißen, es 285

würde dich eher interessieren, wenn es deinen Lebensalltag widerspiegelt? 286

287

LT: Genau, genau. Zum Beispiel war Rafik Schami, der ist ja auch, ich glaub Syrer. Auf jeden Fall 288

schreibt der auch sehr schöne deutsche Bücher, aber kennt die andere Kultur dann auch. Aber er 289

schreibt dann nur - wirklich in sehr schöne Sprache - Prosa und so. Und wenn er mal kommen würde 290

in eine Bibliothek und einen Vortrag halten würde oder so. Dann würde mich das auch schon 291

interessieren. Aber auch die spanische Kultur zum Beispiel. Wenn z.B. es gab mal so ´nen Autor den 292 ich sehr gemocht hab, Paulo Coelho. So was würd mich auch schon sehr interessieren. Ich seh‘ das, 293

dass mich das dann halt interessiert, wenn das so ´n bisschen interkulturell ist. Also nicht nur die 294

türkische Kultur, sondern die spanische oder italienische. Auch andere Kulturen. Und das ist auch 295

interessant. Zum Beispiel oder indische Kultur auch. 296

297

I: Aber wenn das jetzt z.B. bei diesem Festival nochmal ein separater Punkt wäre, würdest du dann 298

auch zu ´nem Angebot von ´ner anderen Kultur gehen? Oder würde das dann eher wegfallen? Also, 299

jetzt mal so rein imaginär. 300

301

LT: Kommt drauf an, was da noch wär. 302 303

I: Also käm es auch drauf an, dass es auch am gleichen Ort wäre oder so, dass du auch von 304

unterschiedlichen Kulturen das nutzen würdest oder weiß nicht, dass es nicht noch mal mehr kostet 305

oder so was? 306

307

LT: Genau auch Kosten spielt für mich auch noch ´ne Rolle, weil ich da nicht so viel rein investieren 308

kann. 309

310

I: Als Student. 311

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312

LT: Und deswegen hängt da viel - ich finde, spielt das auch eine ziemlich große Rolle. Auch bei den 313

anderen Freunden oder im Bekanntenkreis. Wenn das was kostet, dann ist das halt zu viel. Man kann 314

da nicht irgendwie viel aufbringen und das ist halt Luxus. Und Kultur ist leider in Deutschland sehr 315 luxuriös. Also z.B. in der Türkei, wo ich da in den Ferien war, da kann man irgendwie sehr viel 316

unternehmen, ohne viel bezahlen zu müssen. Und hier muss man alleine zum Eis essen sehr viel, also 317

sehr viel bezahlen und das hat man nicht. Als Student schon gar nicht. Und als Arbeiterfamilie auch 318

nicht. Und wenn man dann viele Kinder hat und die Familie groß ist und jeder will irgendwas machen. 319

Dann ist das halt. Also, Kostenfrage ist schon wichtiger Faktor. Dann, wenn das halt auch drin wär, 320

dann wär das auch (-). 321

322

I: Dann würd‘ dich das auch interessieren. 323

324

LT: Ja, genau. 325 326

I: Und suchst du denn sonst eigentlich gezielt wirklich nach Angeboten mit Bezug zur türkischen 327

Kultur? 328

329

LT: Doch schon, wenn ich Zeitschrift in der Hand hab, dann schau ich mal, ob da irgendwie was ist, 330

was Neues. Obwohl ich nicht zu Konzert gehe von Tarkan oder von Sezen Aksu oder so, ich freu mich 331

trotzdem, wenn die mal herkommen. Ich weiß nicht, irgendwie ist das trotzdem so ein schönes 332

Gefühl, wenn man so ein Plakat von ihnen so zu sehen ist. Ist zwar komisch, aber ist so. 333

334 I: Kann ich mir total gut vorstellen. 335

336

LT: Obwohl ich da nicht hingehe - hat etwas Heimatliches. 337

338

I: Und was findest du jetzt an der türkischen Kultur hier besonders wichtig, was du auch bewahren 339

möchtest? 340

341

LT: Für mich persönlich? 342

343

I: Ja. 344 345

LT: Also ich finde, man kann da nicht so richtig spezifisch sagen. Ja, diese - ich mag diese persönliche 346

Seite. Die türkische Kultur oder viele, die ich kenne sind auch so wie sie wirklich sind. Die haben nicht 347

zwei Gesichter oder sind halt offener - vielleicht. Halt diese Freundlichkeit - und die sind halt sehr 348

persönlich, wenn man sie näher kennt. Und das mag ich an der türkischen Kultur. Also z.B. 349

Gastfreundlichkeit hat man vielleicht oft gehört - vielleicht ist auch ein Urteil. Oder auch z.B. 350

Rücksicht auf die älteren Menschen. Dass man halt sehr - Ältere respektvoller behandelt. Dass würd 351

ich auch mitnehmen wollen und meinen Kindern auch später geben wollen. Also, dass der Mensch an 352

sich sehr viel Wert haben sollte (-) oder hat. Und dass man da sehr rücksichtsvoll und sehr respektvoll 353

sein sollte. Auch die Religion spielt für mich eine sehr große Rolle. Aber das ist halt ganz persönlich. 354 Es spielt für mich persönlich eine Rolle und ich würd das auch selber lange ausleben wollen - so mein 355

Kopftuch tragen und auch die Gebetszeiten einhalten, und ich würd mich auch freuen, wenn da mehr 356

Rücksicht drauf genommen werde. Z.B. auch in der Uni gibt‘s da auch so 'n Raum, wo man beten 357

kann. Ist zwar schön, aber ist ein Kellerraum und so ein geteilter Raum und nicht so schön. Aber 358

trotzdem an anderen Unis gibt‘s das nicht. Und das ist schon von Vorteil, wenn da auch auf die Kultur 359

oder auf die Religion auch geachtet wird. Z.B. fühlt man sich hier in Fachschaft sehr wohl, weil man 360

sich zusammensetzen kann. Und es gibt so ´n Frauenraum hier an der Uni. Da kann man auch halt 361

sich - schon z.B. kann man da beten oder so - hat man, kann man schon. Also, es ist zwar wenig, aber 362

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es ist schon da. In Minimum sozusagen. Weil, wenn man vergleicht, ist da nicht viel an den anderen 363

Unis. Gibt‘s das nicht. 364

365

I: Nee, also bei uns gibt‘s das z.B. gar nicht. 366 367

LT: Also, in (XY) kenn ich, da gibt‘s das auch nicht. Da müssen die halt unter so ´ne Treppe - 368

Treppenhaus. Ja, irgendwie so ganz arm. Es gibt viele, die beten. Es hört sich zwar so fern an, so 369

beten in der Uni so komisch an, aber im Alltag ist schon - im Alltag eines religiösen Muslims ist das 370

schon Thema und es muss schon darauf Rücksicht genommen werden. Doch die Religion würd ich 371

schon gerne mitnehmen. Und auch weitergeben wollen. Ja, vielleicht die Musik auch, weil ich kenn 372

zum Beispiel ganz viele, die so ziemlich, also fern von der türkischen Kultur sind, aber trotzdem sehr 373

an die türkische Musik hängen. Weil, auch wenn zum Beispiel vom Kleiderstil sehr europäisch oder 374

sehr modern, aber halt was die für Musik hören, ist halt auch sehr viel. Aber ich würd auch die 375

Sprache unbedingt weitergeben wollen, weil das wie Schlüssel halt ist für die Kultur. Weil, wenn man 376 die Sprache nicht mehr kennt oder nicht mehr spricht, dann hat man schon so viel verloren, finde ich. 377

Und je mehr Sprachen man kennt, desto offener wird man auch. Weil z.B. hab ich ja - kenn ich das 378

auch von mir. Dass ich - sobald ich z.B. Spanisch-Unterricht hatte in der Schule, hat sich auch so 'n 379

Interesse in mir geweckt für die spanische Kultur und halt Spanien. Ich hab da richtig gefühlt, dass 380

mein Horizont da richtig erweitert wurde dadurch. Und deswegen find ich auch die Sprache sehr 381

wichtig, und dass die Kinder halt eine schöne Sprache auch sprechen. Leider ist das wirklich nicht so, 382

dass sie sich gut ausdrücken können in beiden Sprachen dann auch. Und das - das verlieren 383

Jugendliche sehr viel. Man hält die auch für weniger intelligent, obwohl sie intelligent sind, aber nicht 384

so ankommen, wegen der Sprache halt - Ausdrucksmangel. Und (-) ich merke auch, dass viele auch 385 sehr schwierig - sich auch sehr schwer tun irgendwie ein türkisches Buch zu lesen oder so. In der 386

Moschee merk ich das dann auch, dass die Kinder halt genauso wie deutsche Schüler türkische Texte 387

lesen, obwohl sie türkischer Herkunft sind. Und das ist dann so witzig denen zuzuhören, weil dieser 388

Ausdruck, der fehlt dann halt. Einerseits ist das süß und witzig, so komisch halt, andererseits find ich 389

das schade, wenn ich so denke, dass ich mich sehr viel von den Büchern ernährt habe, die halt diese 390

Möglichkeit nicht mehr haben. Und es gibt wenig Literatur auf Deutsch halt, die den Islam betreffen 391

oder die eigene Literatur, Kunst und ja. 392

393

I: Vor allem ist es den arabischen Sprachen ja auch so nah. Das ist auf jeden Fall ein großer Vorteil. 394

395 LT: Ja, genau. Deswegen einerseits find ich schon, dass die Moscheen z.B. einerseits Rücksicht auf die 396

deutsche Sprache genommen werden könnte. Ich mach auch selber meinen Unterrichtsgang - wir 397

haben auch manchmal so - Seminare kann man das nicht nennen, weil das halt privat ist -, aber halt 398

so 'n Gespräch, und da versuch ich auch manches auf Deutsch zu erklären. Und wir machen das halt 399

zweisprachig. Ich find das ok, wenn das also, ich find das besser, wenn auf zwei Sprachen Rücksicht 400

genommen wird, weil nur auf Deutsch wär dann auch schade, weil man wirklich auch - weil ich selber 401

persönlich halt meine Türkischkenntnisse durch die Moschee und durch diese - dadurch halt 402

erweitert habe. Und das würd dann fehlen. Deswegen sollte man schon beides benutzen. 403

404

I: Und dann - ist dir quasi, also, wenn du sagst, dass es dir wichtig ist, das auch auf beiden Sprachen 405 zu machen - ist es dir auch wichtig, die türkische Kultur auch den Deutschen hier zu vermitteln? 406

407

LT: (-) Also, sobald ich irgendwie ein Gespräch mit deutschen Freunden habe, komm ich sowieso 408

darauf. Ich werd oft darauf angesprochen. Irgendwie ergibt sich das so, dass unsere Gespräche 409

irgendwie sehr oft um Aufklärung oder um - also ich werd ganz oft gefragt, wie das halt ist und ob 410

das ein Vorurteil wär. Schon seit meiner Schulzeit - in der Schule war das genauso, dass sich die 411

Gespräche schon dahin geführt haben - von sich aus. Also nicht, dass ich immer irgendwie was 412

erklären wollte oder ihnen näher bringen wollte, oder das hat, das bringt einfach aufgrund meiner 413

Persönlichkeit glaub ich. Z.B. sobald wir halt einander näher kennenlernen, wird sofort gefragt, ja - 414

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früher noch mehr, aber jetzt mittlerweile, wenn man älter wird, wird man das auch direkt gefragt, ob 415

ich z.B. von mir aus das Kopftuch tragen würde. Und dann kommen die Gespräche schon auf diese 416

Schiene halt. Also doch schon. Ich freu mich immer, wenn ich offen angesprochen werde, anstatt 417

halt, dass hinter mir irgendwie her irgendwas gedacht wird oder Unsicherheit herrscht. Dass man da 418 halt irgendwie konkret fragt, und nicht irgendwie unsicher werden (-) Ich mag das nicht, wenn die 419

Leute irgendwie unsicher werden und so Angst haben, dass sie mich einkränken - dass sie mir zu 420

nahe treten oder so, weil so sensibel bin ich eigentlich nicht. Und ich mag das eigentlich - nur wenn 421

das mit guter Absicht gefragt wird auch. Es gab mal auch Fälle, wo wirklich nur gefragt wurde um mir 422

irgendwas anzudeuten oder um mir was klarzumachen. Von wegen ja - z.B. die Frage „ist dir nicht 423

warm im Sommer?“ Das ist ja - auch wenn‘s warm ist, es ist mir noch wichtiger, dass ich meine 424

Religion auslebe. Und es ist - wenn man ein Ziel hat, dann muss man dafür auch schwitzen und das ist 425

halt dafür schwitzen auch. Da fühl ich schon, dass das so bisschen, dass dabei was angedeutet wird. 426

Also: „Ist das nicht irgendwie blöd im Sommer dich zu verkleiden?“ Oder so z.B. . Also eine Nachricht 427

hat ja viele Seiten. Und da wird oft auch manchmal auf sachlicher Ebene was gefragt, aber eigentlich 428 ist damit auch die Beziehung oder halt eine andere Seite wird da indirekt mit gefragt. Also ich find 429

das wichtig, dass man sich gegenseitig auch offener, dass man offener gegeneinander ist - sagt man 430

das? - dass man offen zueinander ist und auch dass halt das nicht nur aus einer Seite, sondern auch 431

zwei Seiten. Z.B. freu ich mich auch, wenn eine Freundin irgendwie über die eigene Kultur, über 432

Konfirmation oder halt, wie das so halt ist, so erzählt. Aber vieles kenn ich eigentlich schon, obwohl 433

ich so ganz privat nicht viele Kontakte hab, aber ich bin ja hier aufgewachsen, kenn das schon von der 434

Schule. Also so groß braucht man mir das nicht zu erklären und zu erzählen. Ich lebe ja schon in der 435

Gesellschaft. Aber ja. Ich finde, bei den einzelnen Personen ist da auch viel Interesse. Und ich merk 436

da auch je mehr Freunde, türkische Freunde, ein Deutscher, eine Deutsche oder einer (-) ein 437 Deutscher hat, desto mehr Interesse merk ich auch, dass er mehr fragt. Dass die Person halt auch 438

interessierter ist. Und auch an die Sprache oder mal in die Türkei möchte. Also, je mehr Kontakte 439

man hat, desto mehr Interesse wird erweckt dadurch. 440

441

I: Ja, das ist halt das Problem. Und ich glaub es fehlen einfach ganz oft diese Anknüpfungspunkte und 442

das ist halt so schwierig. Und deswegen entstehen so zwei Welten. 443

444

LT: Genau. Einerseits ist das zwar schade, aber andererseits ist das wegen dem Alltag auch so. Man 445

hat nicht so viel Zeit. Wenn ich mehr Zeit hätte, würd ich auch mal irgendwie zu meinen Nachbarn 446

oder so zum Beispiel (lacht). Wir haben ja welche. Aber das ist auch wirklich wegen, aufgrund der 447 deutschen Kultur nicht so gegeben. Z.B. ergibt sich da in der Türkei mehr diese Besuche, 448

nachbarschaftliche Besuche. Das ist nicht so halt - das ist halt Alltag da. Da geht man mal für fünf 449

Minuten und setzt sich mal so für ´n Teechen, also zehn Minuten. Aber hier muss man ja z.B. eine 450

Woche schon vorher fragen und irgendwie aussprechen, wann man sich trifft, um wie viel Uhr, und 451

weil ja auch viele arbeiten und so. Also auch wegen der Arbeitswelt ist das ja so. Weil - ich weiß nicht 452

- bei meinen Eltern z.B. - meine Mutter arbeitet nicht und sie hat eigentlich immer Zeit, falls jemand 453

kommt. Aber in einer deutschen Familie ist das meistens nicht der Fall finde ich, bei mir in der 454

Umgebung halt. Weil man halt schon nicht immer zu Hause ist. Oder wenn dann halt irgendwie müde 455

ist und keine Zeit hat. Es ist halt auch so wegen den äußeren Faktoren, würd ich sagen. Weil wenig 456

Interesse da ist. 457 458

I: Ja, ich bin fertig mit meinen Fragen. 459

460

LT: Ja, ok. Aber was noch wichtig wäre für mich, dass man z.B. in der Stadt z.B. - man hat ja wenig 461

Kontakte, aber wenn man in der Stadt ist, hat man ja sowieso Kontakte. Und da fühl ich mich 462

irgendwie schon so 'n bisschen unwohl manchmal, aufgrund der unfreundlichen Blicke oder 463

Ausdrücke oder Verhaltensweise. Ich fühl mich da manchmal trotzdem – trotz, dass ich hier 464

irgendwie aufgewachsen bin und mich hier zu Hause fühle, werd ich als fremd wahrgenommen. Und 465

das ist so komisch. Z.B. hat - haben wir - war ich mal mit meiner Mutter in der Stadt. Und da war 466

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CVII

Anhang

jemand, der hat irgendwie so Lappen verkauft. Aber das war so Microfaserlappen für die Küche. Und 467

meine Mutter mag ja so was sehr. Und die ist dann - wollte sich das so näher angucken. Und dann 468

meinte der Verkäufer - er nahm diesen Lappen und meinte – „Lappen, damit wischt man in der 469

Küche (langsam gesprochen).“ Und so halt, so sehr langsam und als ob man blöd wär und nicht mal 470 wissen würde, dass das Lappen sei und für die Küche dann auch noch. Also so diese - viele denken, 471

dass man erstens kein Deutsch kann, also ich wurde sogar mal gefragt, ob ich schreiben könnte. Also, 472

wir hatten so Informationsstand in der Stadt wegen Ramadan, wollten wir die Menschen halt 473

aufklären und halt offen sein, dass die Leute kommen würden und sich halt informieren können. Also 474

so einfach da, haben wir so 'n Stand aufgemacht und darauf gewartet, dass die Leute uns 475

ansprechen. Und dann haben sich auch sehr viel – also, es gab da viel Interesse und eine ältere 476

Dame wollte mir ihre Nummer geben. Obwohl meistens entsteht da nicht - das bleibt meistens bei 477

diesem Gespräch, also man tauscht die Nummer aus und so. Auf jeden Fall meinte sie dann, ob ich 478

schreiben könnte. Und das hat mich dann sehr gekränkt, weil ich studiere und ich werde irgendwie 479

immer so, trotzdem irgendwie so wahrgenommen, als würd ich nicht mal schreiben können. 480 Vielleicht, weil man oft so in Berichten gesehen hat, afghanische Frauen halt deren Tracht. Und 481

sobald man halt so eine Teil von denen sieht, denkt man sofort an die ganze Geschichte, was man in 482

einer Reportage oder so gesehen hat. Also am besten - am meisten stört mich das halt. Dieses Bild in 483

den Köpfen der Menschen. Und das ist nicht nur ein Bild, das fühlt man dann auch. Durch Blicke und 484

Verhaltensweisen oder man geht - sobald man in einen Laden geht, passiert mir auch oft - nicht so 485

oft aber schon, ist mir schon mal passiert, dass mir die hinterhergekommen sind – also, dass die 486

Verkäufer hinterhergekommen sind. Um zu gucken halt, ob ich da was nehme oder nicht. Das ist 487

total - also man wird untergeschätzt. Ziemlich. Das ist halt - sobald man so ´n Schwarzkopf. Also 488

mittlerweile denke ich, dass die Ausländer hier in Deutschland so wie schwarze Menschen in USA 489 behandelt wurden. Dass die hier genauso behandelt werden manchmal. Dass wir halt trotz der 490

Hautfarbe - also ist ja nicht schwarz - irgendwie so schwarz in Anführungsstrichen wahrgenommen 491

wird. Also diese Kriminellen oder diese Fremdheit. Weil vor dem Fremden hat man immer Angst. 492

Deswegen wahrscheinlich. Man kann sich vieles erklären - es gibt viele Erklärungen, aber irgendwie 493

sollte man nicht so (-) so akzeptieren wie's jetzt so ist. 494

495

I: Bloß die Frage ist, was kann man machen um das zu ändern? Also, ich glaub, es reichen halt auch 496

nicht Einzelpersonen, die aufklären. 497

498

LT: Ja genau, finde ich auch, dass Einzelpersonen nicht viel bringen. Dann ist das auch nur auf die 499 Beziehungen einzelner Personen zu beziehen. Also ich finde, da könnte man z.B. anstatt dieser 500

Reportagen im Fernsehen, wo die halt sehr negativ drüber berichten, bessere Berichte mal irgendwie 501

- ich meine, was also so - entweder sind die zu freundlich, alles ist schön und ah die Kultur ist ja so 502

orientalisch und 1001 Nacht und so. 503

504

I: Aber das ist ja meistens, wenn‘s in der Türkei spielt. 505

506

LT: Genau. Also entweder ist das richtig die unterdrückte Frau und die hat gar keine Rechte oder es 507

ist halt so schön und dieser Dialog und Engagement und so. Die Realität fehlt in den Reportagen, 508

finde ich. Und das hängt sehr viel in den Medien zusammen. Ich saß mal im Bus. Und gegenüber mir 509 saß dann halt so 'n Mann. Und der hatte grad ´ne Zeitung gelesen. Und dann hat der mich so schief 510

angeguckt. Dann hab ich auf seine Zeitung geguckt und da war nämlich so ´ne Reportage, also ist 511

schon verständlich, wenn er dann so schief guckt. Weil er hat gerade was sehr Schlechtes über den 512

Islam oder über irgendwas gelesen und hat mich dann sofort damit (-) vereinbart. Und deswegen ist 513

das so. Ich find, ist das schon so - könnte man viel machen. Aber, ob man das möchte, ist die Frage, 514

ob man das ändern möchte. Oder ob man auch als einzelne Person die Kraft dazu hat. Also, was solch 515

ich denn machen? Ich mach da nichts. Aber wenn die - wenn man mehr Möglichkeiten hätte. Ich 516

finde schon, dass auch viele sich dann schon auch engagieren würden, denke ich. Ja, das war so. Ok. 517

Ich bedanke mich auch herzlich. 518

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Anhang

Interviewleitfaden

1) Zunächst eine Frage zu Ihrer persönlichen Migrationsgeschichte: Wann und warum kamen

Sie/Ihre Vorfahren/Familie nach Deutschland?

2) Fühlen Sie sich Ihrer Herkunftskultur/der Kultur Ihres Aufenthaltslandes und der deutschen

Kultur gleichermaßen zugehörig?

3) Kennen Sie MELEZ?

4) Wenn ja, haben Sie es bereits besucht?

MELEZ-Programm wird präsentiert!

5) Welche dieser Angebote erscheinen Ihnen persönlich attraktiv?

6) Was müsste ich machen, damit Sie dort hingehen?

7) Was würden Sie sich persönlich von MELEZ (bzw. RUHR.2010) wünschen?

8) Nutzen Sie sonst das kulturelle Angebot im Ruhrgebiet?

9) Wie informieren Sie sich am liebsten über diese Veranstaltungen?

10) Wie erwerben Sie am liebsten Tickets für kulturelle Veranstaltungen?

11) Würden Sie gerne an weiteren/mehr Veranstaltungen/Angeboten teilnehmen? Wenn ja,

was hindert Sie bisher an mehr Veranstaltungen teilzunehmen? Was würden Sie gerne

nutzen?

12) Würden Sie das kulturelle Angebot eher oder mehr nutzen, wenn es einen Bezug zu Ihrer

Herkunftskultur hätte?

13) Suchen Sie gezielt nach Angeboten mit Bezug zu ihrer Herkunftskultur?

14) Was finden Sie besonders wichtig an Ihrer Herkunftskultur? Was möchten Sie bewahren?

15) Möchten Sie Ihre kulturellen Hintergründe auch anderen Mitbürgern zeigen?

16) Optional: Von ihren persönlichen Interessen ausgehend – würde Ihnen nun noch etwas

einfallen, was Sie sich wünschen würden?