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me OEB-Journal Ausgabe 4 | 19. 10. 2015 Quo vadis EU? Die Bundesbürger und die briti- schen Reformideen Am Dienstag, den 13. Oktober 2015 fand in Berlin die Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse der von Open Europe Berlin und dem British Chamber of Commerce in Germany bei dem Meinungsforschungsinsti- tut Forsa in Auftrag gegebenen Um- frage zur EU-Reform und einem möglichen Brexit statt. Die Veran- staltung stand unter der Über- schrift „Quo vadis EU?“ Die Zahlen wurden von Professor Manfred Güllner, dem Geschäfts- führer des Forsa-Instituts, den an- wesenden Gästen und der Presse vorgestellt und interpretiert. In der folgenden Podiumsdiskussion wur- den die Bedeutung der Ergebnisse der Meinungsbefragung für die Aus- sichten auf die von Großbritannien geforderte EU-Reform und für den Ausgang des Referendums in Groß- britanniens diskutiert. “Gute Nachricht für David Cameron” Prof. Wohlgemuth sah in dem Um- frageergebnissen eine gute Nach- richt für den britischen Premiermi- nister David Cameron. Die Umfrage zeige, dass wichtige Teile der briti- schen Reformagenda, die Rückver- lagerung der Kompetenzen auf die Mitgliedstaaten, das Vetorecht für die nationalen Parlamente und die Möglichkeit, den Zugang zu Sozial- leistungen für EU-Ausländer zu be- grenzen, die Zustimmung der Deut- schen finden. Veranstaltungsbericht: Quo vadis EU? Vorschau: Brexit-Debatte 70 Jahre nach Churchill Kommentar: Flexible Union statt Bundestaat Bundestag und EU-Parlament - Eine Stichprobe Mehrheit der Deutschen für dezent- rales Europa und mehr direkte De- mokratie Über Open Europe Berlin In dieser Ausgabe:

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• Veranstaltungsbericht: Quo vadis EU? • Vorschau: Brexit-Debatte 70 Jahre nach ChurchillIn dieser Ausgabe: • Kommentar: Flexible Union statt Bundestaat• Bundestag - Eine Stichprobe• Mehrheit der Deutschen für dezent-rales Europa und mehr direkte Demokratie

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OEB-Journal Ausgabe 4 | 19. 10. 2015

Quo vadis EU? Die Bundesbürger und die briti-schen Reformideen

Am Dienstag, den 13. Oktober 2015 fand in Berlin die Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse der von Open Europe Berlin und dem British Chamber of Commerce in Germany bei dem Meinungsforschungsinsti-tut Forsa in Auftrag gegebenen Um-frage zur EU-Reform und einem möglichen Brexit statt. Die Veran-staltung stand unter der Über-schrift „Quo vadis EU?“

Die Zahlen wurden von Professor Manfred Güllner, dem Geschäfts-führer des Forsa-Instituts, den an-wesenden Gästen und der Presse vorgestellt und interpretiert. In der

folgenden Podiumsdiskussion wur-den die Bedeutung der Ergebnisse der Meinungsbefragung für die Aus-sichten auf die von Großbritannien geforderte EU-Reform und für den Ausgang des Referendums in Groß-britanniens diskutiert.

“Gute Nachricht für David Cameron” Prof. Wohlgemuth sah in dem Um-frageergebnissen eine gute Nach-richt für den britischen Premiermi-nister David Cameron. Die Umfrage zeige, dass wichtige Teile der briti-schen Reformagenda, die Rückver-lagerung der Kompetenzen auf die Mitgliedstaaten, das Vetorecht für die nationalen Parlamente und die Möglichkeit, den Zugang zu Sozial-leistungen für EU-Ausländer zu be-grenzen, die Zustimmung der Deut-schen finden.

Veranstaltungsbericht: Quo vadis EU?

Vorschau: Brexit-Debatte 70 Jahre nach Churchill

Kommentar: Flexible Union statt Bundestaat

Bundestag und EU-Parlament - Eine Stichprobe

Mehrheit der Deutschen für dezent-rales Europa und mehr direkte De-mokratie

Über Open Europe Berlin

In dieser Ausgabe:

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Diskussionsbedarf in Fragen der Eurozone Phillippa Saunders von der briti-schen Botschaft stimmte dem zu und sah diesen Rückhalt als hilf-reich an, hielt jedoch die Forderung nach dem Beitrittszwang der Nicht-Eurostaaten in die Eurozone für problematisch. Hier sah sie Aufklä-rungsbedarf und die Notwendigkeit, die Rechte der NichtEuro-Staaten zu wahren.

Ähnliches Meinungsbild bei Bürgern und Wirtschaft Vaughan Price von PWC machte auf die Verunsicherung der Investoren aufmerksam, die mit jeder unge-klärten politischen Frage verbun-den ist und Andreas Meyer-Schwi-ckerath von der British Chamber of Commerce in Germany wies auf das Ergebnis der eigenen Umfrage unter den Mitgliedern der BCCG hin, die ganz ähnliche Resultate erbracht hatte wie die Forsa-Befragung.

Sorge vor dem Brexit In der darauffolgenden Debatte mit dem Auditorium wurden Fragen nach einer engeren Zusammenar-beit von London und Berlin aufge-worfen und auch die Position ande-rer EU-Partner diskutiert. Es wur-den Befürchtungen geäußert, dass im Falle eines „Brexit“ Deutschland finanziell und politisch von anderen EU-Staaten noch stärker belastet werden dürfte.

Fazit: Die Bundesregierung hat Spielräume Als Fazit lässt sich aus dem Umfra-geergebnis und dem Verlauf der Po-diumsdiskussion ziehen: In der Deutschen Bevölkerung gibt es durchaus Sympathien für EU-Refor-men, wie sie die britische Regierung anmahnt. Besonders in Fragen der Kompetenzverlagerung, Vetorech-ten für die Parlamente und der Be-

schränkung des Zugangs zu den So-zialleistungen der Mitgliedstaaten stimmen Deutsche und Briten weit-gehend überein. Die deutsche Re-gierung hat also durchaus Spiel-räume, Großbritannien entgegen zu kommen und auch ein Interesse da-ran. Auf größere Widerstände dürfte die britische Regierung mit ihren Reformvorstellungen jedoch

in anderen EU-Staaten stoßen. -----------------------------------------------

Brexit-Debatte 70 Jahre nach Churchills Europa-Rede Im Jahr 2016 jährt sich die be-rühmte Rede von Winston Churchill über die Vereinigten Staaten von Europa zum 70. Mal. Das wollen wir zum Anlass nehmen, eine Debatte über die Zukunft der EU anstoßen. Die Auftaktveranstaltung findet am Mittwoch, den 25. November 2015 in Dresden statt.

Foto @Heribert Pohl, flickr.com „70 Years after the Speech by Sir Winston Churchill on Europa: Brit-ish-German and European Relations reduced to Currency and BREXIT?” Als Vortragende sind unter anderem vorgesehen: Prof. Georg Milbradt, Prof. Michael Stürmer, Prof. Otmar Issing, ein Vertreter der Britischen Botschaft. Nachfragen bitte an: Prof. Michael Wohlgemuth, [email protected]

Tel: +49 (0)30 2758 1365 Email: [email protected] Open Europe Berlin gGmbH Oranienburger Straße 27 10117 Berlin

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Flexible Union statt Bun-desstaat Gérard Bökenkamp In Deutschland ist immer öfter von der Kluft zwischen Bürgern und Po-litik die Rede. Das heißt, in Par-teien und Politik dominieren an-dere Sichtweisen als in der Bevöl-kerung. Eine solche Kluft wird oft in der Europapolitik ausgemacht. Selbst Helmut Kohl musste einräu-men, dass er für sein Lieblingspro-jekt, den Euro, in einem Referen-dum keine Mehrheit bekommen hätte. Anders als in anderen euro-päischen Ländern gibt es in der Tat auf Bundesebene keine direktde-mokratischen Beteiligungsmöglich-keiten. 72 Prozent der Deutschen für EU-Referenden Die Briten werden jetzt zum zwei-ten Mal über ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union abstim-men. Dabei handelt es sich um eine Frage von welthistorischer Bedeu-tung, denn ein Austritt Großbritan-niens aus der EU würde Europa wirtschaftlich und geopolitisch fun-damental verändern. Dieses Ver-trauen in die eigenen Bürger finden die Deutschen offenbar gut. 72 Pro-zent der Deutschen finden, dass über die Mitgliedschaft in der EU die Bürger und nicht allein das na-tionale Parlament entscheiden soll-ten. Wachsende Kritik am Ziel des eu-ropäischen Bundesstaates Auch in anderen Fragen sind die Deutschen den Positionen der Re-gierung Cameron näher als ihrer ei-genen. Der europäische Bundes-staat und der Wunsch nach einer immer weiteren Vertiefung der eu-ropäischen Integration ist in der deutschen Politik noch immer der herrschende Konsens. Längst nicht

nur in Großbritannien auch in ande-ren Ländern wird diese Tendenz, im-mer mehr Kompetenzen auf die EU-Ebene zu übertragen, kritisch gese-

hen.

Mehrheit für EU-Reformen Da scheint es erstaunlich, dass der Anteil der Befragten, die den Aus-tritt Großbritanniens aus der EU be-dauern würden, mit 55 Prozent nicht besonders groß ausfällt. Daran zeigt sich, dass die britische Regierung in Deutschland kein inhaltliches Prob-lem hat, sehr wohl aber ein Image-problem. Offensichtlich glauben viele Deutsche, dass die Reforma-genda der Briten allein auf britische Sonderrechte abstellt. Dass die For-derungen aus Großbritannien auch den eigenen Vorstellungen entspre-chen, ist vielen deutschen Bürgern nicht bewusst. Die EU-Reform der Öffentlichkeit erklären An dieser Stelle kann die Britische Regierung ansetzen. Es besteht Er-klärungsbedarf. Bislang hat Premier-minister David Cameron alle Staats- und Regierungschefs der EU be-sucht, um für seine Reformagenda zu werben. Jetzt wird es Zeit, sich auch an die Bürger direkt zu wen-den. Denn gerade die Bürger der üb-rigen Mitgliedstaaten können für die Forderung nach Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationale Ebene und die Einführung eines Ve-torechts für nationale Parlamente

wertvolle Verbündete sein.

Der Abgeordnete – das un-bekannte Wesen Über die Schwierigkeit ein Mei-nungsbild zu erstellen Uns ging es darum ein, möglichst breites Bild der Ansichten in der deutschen Gesellschaft über die britischen Reformvorschläge zu er-stellen. Deshalb haben wir neben der Forsa-Umfrage und der Befra-gung von Unternehmen durch unse-ren Partner BCCG auch die Abge-ordneten des Bundestages ange-schrieben und gebeten, dieselben Fragen zu beantworten, die Forsa auch in unserem Auftrag den Bür-gern gestellt hat. Das geschah als Fragebogen per Brief und per Email. Es antworteten 37 Abgeord-nete von 631 Abgeordneten. Das entspricht einem Anteil von 5,8 Prozent. Das ist natürlich weit da-von entfernt repräsentativ zu sein, aber die Stichprobe kann bei aller Vorsicht als Indikator gesehen wer-den. Eine Stichprobe Die geringe Zahl der Antworten er-laubt die Schlussfolgerung, dass die Themen Brexit und EU-Reform nicht die Aufmerksamkeit unter Po-litikern besitzen, die diese verdie-nen. Dass von den 37 Bundestagsab-geordneten, die geantwortet ha-ben, 20 der CDU/CSU angehören, erlaubt die Annahme, dass dort die Möglichkeit eines Brexit im Ver-gleich die größte Aufmerksamkeit genießt. Weiterhin ist bemerkens-wert, dass 24 der Abgeordneten, die geantwortet haben, ein Refe-rendum über die EU-Mitgliedschaft befürworten. 29 Abgeordnete spre-chen sich für die Möglichkeit ver-schiedener Geschwindigkeiten der europäischen Integration aus.32 Abgeordnete unserer Stichprobe würden es bedauern, wenn Groß-britannien aus der EU austreten würde, drei würden es nicht bedau-ern.

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Befragt wurden 1018 Wahlberechtigte in der Bundes-republik vom 5-7 Oktober.

Eine große Mehrheit der Deutschen will die Bür-ger selbst über die Mitgliedschaft entscheiden lassen.

Die Zahl derjenigen, die es bedauern würden, wenn Großbritannien die EU verlassen würde, hat im Ver-gleich zum letzten Jahr leicht zugenommen. Sie stieg von 51 Prozent im Sommer 2014 auf 55 Prozent im Ok-tover 2015. Besonders die Jungen und die Befragten mit höheren Bildungsabschlüssen würden einen Austritt Großbri-tanniens bedauern. 62 Prozent der 18-29-Jährigen würden einen Brexit bedauern. Bei den Befragten mit Abitur und Studium liegt der Anteil, die einen Austritt Großbritanniens bedauern würden, bei 63 Prozent.

Deutsche Bevölkerung für mehr direkte De-mokratie und ein dezentrales Europa In der von Open Europe und der British Chamber of Commerce in Germany in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage, die repräsentativ für die Bundesrepublik ist, stimmen die Bundesbürger in vier von fünf Punkten mit der Britischen Reformagende überein. Die Mehrheit will Kompetenzen von der EU auf die Mit-gliedstaaten verlagern, ein Veto-Recht für nationale Parlamente, die Möglichkeit, dass einige Mitgliedstaa-ten enger zusammen arbeiten als andere und dass die Mitgliedstaaten Zugang von EU-Ausländern zu Sozial-leistungen davon abhängig machen dürfen, ob diese vorher einige Jahre eingezahlt haben. Die Befragten waren aber nur 43 Prozent der Meinung, dass EU-Staa-ten langfristig ihre eigene Währung behalten sollten. Fast dreiviertel der Befragten findet, dass über die Mitgliedschaft in der EU das Volk entscheiden sollte. Referenden wie das in Großbritannien sind in Deutsch-land also populär. Zwar zeigt die Erfahrung hier zu Lande und auch in der Schweiz, dass die Wahlbeteili-gung oft hinter den Erwartungen zurückbleibt. Den Bürgern geht es aber vor allem darum, selbst zu ent-scheiden, welches Thema für sie wichtig ist. Gerade in zentralen Zukunftsfragen wie der Euroeinführung wären die Deutschen wie die Bürger in anderen Län-dern gerne gefragt worden.

Besonders die Jungen würden einen Austritt Großbritanniens aus der EU bedauern.