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Lehrbausteine Stadt | Landschaft | Planung Öffentliche Räume – eine Einführung Begriff, Bedeutung und Wandel der öffentlich nutzbaren Räume in den Städten Wovon reden wir eigent- lich, wenn von »Öffentli- chen Räumen« die Rede ist? Diese Frage muss am Anfang stehen (1), denn: Auf den ersten Blick scheint Einigkeit bei der Verwen- dung des Begriffs zu beste- hen, auf den zweiten aber wird erheblicher Klärungs- bedarf sichtbar (vgl. auch die nebenstehenden Defini- tionen, die nur sehr bedingt übereinstimmen). Geklärt werden muss auch die Bedeutung der öffentlichen Räume (2). Es herrscht zwar Einigkeit, dass sie für Gestalt und Funktion der Städte sehr wichtig sind – aber dass öffentliche Räume z.B. auch ökonomische Funkti- onen haben können, ist erst vor einiger Zeit deut- lich geworden. Öffentliche Räume wer- den nicht einmal gebaut und »funktionieren« dann auf immer gleiche Weise. Vielmehr kann sich ihre Nutzung im Laufe von kur- zer Zeit gravierend verän- dern (3). Entsprechend un- terliegen auch die Aufga- ben, die sich kommunaler Planung und Politik in den öffentlichen Räumen stel- len (4), ständigem Wandel, so dass immer wieder aufs Neue gefragt werden muss: Was ist los mit den öffentli- chen Räumen? 1. Von was ist die Rede? Welche Räume sind ge- meint, wenn von »öffentli- chen« die Rede ist? Die einen bezeichnen damit Plätze, Parks und Promenaden in den Städ- ten, die sich im öffentlichen (z.B. kommunalen) Eigen- tum befinden und öffent- lich gepflegt, kontrolliert und verantwortet werden (so etwa die Definition der deutschen Wikipedia). Andere betrachten den Gegenstand eher von der Nutzungsseite und be- zeichnen mit öffentlichem Raum alles, was von der Öffentlichkeit genutzt wer- den kann – unabhängig davon, in wessen Eigentum sich die jeweilige Fläche befindet. Dabei wird insbe- sondere betont, dass diese Flächen für jedermann (und wo möglich zu jeder Zeit) frei zugänglich sein müss- ten. Aber damit der Miss- verständnisse nicht genug. Vielfach werden implizit besondere Räume in der Stadt gemeint: Für die ei- nen stehen vor allem die zentralen Bereiche, die Fußgängerzonen, Passagen und Plätze in der Stadt im Vordergrund. Andere legen das Gewicht vor allem auf die »grünen« Räume: die Parks, Stadtwälder, Fluss- auen, Seeufer. Und wieder Baustein Öffentliche Räume Einführung | Selle 1|12 »Mit öffentlichem Raum (auch öffentli- chem Bereich) wird der ebenerdige Teil einer Gemeindefläche, oder einer Körper- schaft des öffentlichen Rechts verstanden, der der Öffentlichkeit frei zugänglich ist und von der Gemeinde bewirtschaftet und unterhalten wird« (de.wikipedia 5/08) »A public space or a public place is a place where anyone has a right to be without being excluded because of economic or social conditions, although this may not always be the case in practice…« (en.wikipedia 5/08) »Public space is the stage upon which the drama of communal life unfolds. The streets, squares and parks of a city give form to the ebb and flow of human ex- change … In all communal life there is a dynamic balance between public and pri- vate activities« (Carr u.a. 1995, S. 3) Oben: Drei Beispiele aus der Vielzahl von Defini- tionen zu »Öffentlichem Raum«, die jeweils be- stimmte Aspekte hervorheben; Darunter (Abb.1): Auch ein öffentlicher Raum?

Öffentliche Räume – eine Einführung - pt.rwth-aachen.de · andere nehmen alles dies zusammen, halten das aber immer noch für zu eng gefasst, denn ihnen fehlen die Straßen –

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nung Öffentliche Räume – eine Einführung

Begriff, Bedeutung und Wandel der öffentlich nutzbaren Räume in den Städten

Wovon reden wir eigent-lich, wenn von »Öffentli-chen Räumen« die Rede ist? Diese Frage muss am Anfang stehen (1), denn: Auf den ersten Blick scheint Einigkeit bei der Verwen-dung des Begriffs zu beste-hen, auf den zweiten aber wird erheblicher Klärungs-bedarf sichtbar (vgl. auch die nebenstehenden Defini-tionen, die nur sehr bedingt übereinstimmen).

Geklärt werden muss auch die Bedeutung der öffentlichen Räume (2). Es herrscht zwar Einigkeit, dass sie für Gestalt und Funktion der Städte sehr wichtig sind – aber dass öffentliche Räume z.B. auch ökonomische Funkti-onen haben können, ist erst vor einiger Zeit deut-lich geworden.

Öffentliche Räume wer-den nicht einmal gebaut und »funktionieren« dann auf immer gleiche Weise. Vielmehr kann sich ihre Nutzung im Laufe von kur-zer Zeit gravierend verän-dern (3). Entsprechend un-terliegen auch die Aufga-ben, die sich kommunaler Planung und Politik in den öffentlichen Räumen stel-len (4), ständigem Wandel, so dass immer wieder aufs Neue gefragt werden muss: Was ist los mit den öffentli-chen Räumen?

1. Von was ist die Rede?

Welche Räume sind ge-meint, wenn von »öffentli-chen« die Rede ist?

Die einen bezeichnen damit Plätze, Parks und Promenaden in den Städ-ten, die sich im öffentlichen (z.B. kommunalen) Eigen-tum befinden und öffent-lich gepflegt, kontrolliert und verantwortet werden (so etwa die Definition der deutschen Wikipedia).

Andere betrachten den Gegenstand eher von der Nutzungsseite und be-zeichnen mit öffentlichem Raum alles, was von der Öffentlichkeit genutzt wer-den kann – unabhängig davon, in wessen Eigentum sich die jeweilige Fläche befindet. Dabei wird insbe-sondere betont, dass diese Flächen für jedermann (und wo möglich zu jeder Zeit) frei zugänglich sein müss-ten.

Aber damit der Miss-verständnisse nicht genug. Vielfach werden implizit besondere Räume in der Stadt gemeint: Für die ei-nen stehen vor allem die zentralen Bereiche, die Fußgängerzonen, Passagen und Plätze in der Stadt im Vordergrund. Andere legen das Gewicht vor allem auf die »grünen« Räume: die Parks, Stadtwälder, Fluss-auen, Seeufer. Und wieder

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»Mit öffentlichem Raum (auch öffentli-chem Bereich) wird der ebenerdige Teil einer Gemeindefläche, oder einer Körper-schaft des öffentlichen Rechts verstanden, der der Öffentlichkeit frei zugänglich ist und von der Gemeinde bewirtschaftet und unterhalten wird« (de.wikipedia 5/08)

»A public space or a public place is a place where anyone has a right to be without being excluded because of economic or social conditions, although this may not always be the case in practice…« (en.wikipedia 5/08)

»Public space is the stage upon which the drama of communal life unfolds. The streets, squares and parks of a city give form to the ebb and flow of human ex-change … In all communal life there is a dynamic balance between public and pri-vate activities« (Carr u.a. 1995, S. 3)

Oben: Drei Beispiele aus der Vielzahl von Defini-tionen zu »Öffentlichem Raum«, die jeweils be-stimmte Aspekte hervorheben;Darunter (Abb.1): Auch ein öffentlicher Raum?

andere nehmen alles dies zusammen, halten das aber immer noch für zu eng gefasst, denn ihnen fehlen die Straßen – von der Wohnstra-ße zur Stadtautobahn –, die Parkplätze, die Bahngelände, die Brachen und so fort…

Doch es gibt noch weitere Aspekte. Das (be-reits genannte) Kriterium der unbedingten Zugänglichkeit erweist sich als heimtückisch. Die Definition in der englischen Wikipedia macht das deutlich. Dort heißt es zum Schluss: »…although this may not always be the case in practice«. Tatsächlich ist in vielen Räumen die Zugänglichkeit für jedermann nicht gege-ben: Viele Straßen sind dem motorisierten Ver-kehr gewidmet und für Fußgänger nur einge-schränkt nutzbar, auf manchen Stadtplätzen ist (z.B.) das Skaten nur zu bestimmten Tageszei-ten gestattet, Schulgelände sind über große Teile des Tages nur Schülern, Lehrern und El-tern zugänglich, in manchen Parkanlagen wird Eintritt verlangt und vielerorts sind Ordnungen zu finden (Park-, Spielplatz-, Hausordnungen), die Verhalten regeln und unerwünschte Nut-zungen und Nutzer ausschließen – sind das alles dann keine »öffentlichen Räume« mehr?

Zudem wird oft unterstellt, »öffentliche« Räume befänden sich per se in »öffentlichem« Eigentum. Aber ist das so? Bei genauer Be-trachtung wird man feststellen, dass viele Flä-chen in der Stadt, die öffentlich genutzt wer-den durchaus nicht den Kommunen gehören. Vorplätze von Kaufhäusern, Hotels, Bahnhö-fen, Passagen, selbst Parks können sich im Pri-vateigentum befinden – ohne dass das für die alltägliche Nutzung durch die Stadtbewohner Beschränkungen bedeuten würde (auf diese und andere Differenzierungen gehen wir in einem gesonderten Lehrbaustein ein: »Wie ›öffentlich‹ sind öffentliche Räume?«).

Die Vielfalt der öffentlich nutzbaren Räume

Für eine erste, allgemeine Definition kann man vom Verhalten der Stadtnutzer ausgehen. Öf-fentliche Räume sind dann die für alle Men-schen in den Städten (die »Öffentlichkeit«) – ohne besondere Befugnisse oder wesentliche Beschränkungen – zugänglichen und nutzba-ren Plätze, Parks, Straßen, Wege und so fort. Um den Aspekt der Nutzung zu betonen (und z.B. von der eigentumsrechtlichen Zuordnung

»privat«/»öffentlich« zu unterscheiden) ist da-her auch von öffentlich nutzbaren Räumen die Rede.

Ein ganz ähnliches Verständnis von den öffent-lichen Räumen hatte Gianbattista Nolli, der 1748 Rom kartierte und in seiner Darstellung (Pianta di Roma) alle diejenigen Flächen weiß hielt, die prinzipiell zugänglich, also nicht durch Mauern abgesperrt waren. Dazu gehören auch die meisten Innenhöfe, Passagen und selbst das Pantheon. (vgl. Abb. 2-4)

Wendet man Nollis Unterscheidungen auf die heutige Stadt an, wird praktisch der ganze, nicht ausdrücklich für Dritte unzugängliche Stadtraum in die Betrachtung einbezogen. Selbst Flächenpotenziale, die eigentumsrecht-lich privat sind, wie etwa (nicht abgesperrte) Brachen, erscheinen z. B. in Untersuchungen zur »bespielbaren Stadt« als bereits von Kin-dern genutzte oder doch benutzbare Räume. Ebenso wird das zumindest temporär nutzbare Potenzial von Wohnstraßen für Stadtteilfeste, von Parkplätzen für Freizeitveranstaltungen und von B-Ebenen unter Kreuzungsbereichen für Kultur oder für Aktivitäten Jugendlicher – um nur Beispiele zu nennen – erfasst.

Für einzelne Planungsaufgaben ist ein sol-ches weites Verständnis von öffentlichen Räu-men möglicherweise zu wenig handhabbar. Man wird also in Einzelfällen zu Eingrenzungen kommen – ohne aber die Zusammenhänge aus dem Auge zu verlieren. Solche Eingrenzungen können sich z.B. auf • Stadtraumtypen (Platz, Straße etc…),• Nutzungsräume (z.B. von Kindern),• Handlungsfelder der Akteure (z.B. Grünflä-chenämter, Verkehrsplanung)beziehen.

Dabei ist davon auszugehen, dass erst in der Überlagerung der verschiedenen Zugänge ein vollständiges Bild vom öffentlichen Raum in den Städten entstehen kann.

Für Planung und Politik mag es auch sinn-voll sein, Raum-/Problemtypen zu bilden, in denen sich verschiedene Betrachtungsweisen überlagern: So geraten dann zentrale Einkaufs-bereiche mit ihren Funktions- und Gestaltpro-blemen oder öffentliche Räume in neuen Wohnquartieren etc. in den Blick.

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Abb. 2-4: Die »Nuova Topografia di Roma« Gianbattista Nollis von 1748 ist nicht nur eine der schönsten Stadt-Darstellun-gen, sie bringt auch ein Verständnis von »öffentlich nutzbaren Räumen« zum Ausdruck, auf das heute wieder Bezug ge-nommen werden kann: Nolli stellt neben Plätzen, Straßen und Feldern auch Höfe und die Innenräume von Kirchen, Thea-tern und andere öffentliche Gebäude weiß dar. So werden Vielfalt und Zusammenhänge öffentlich nutzbarer Räume sicht-bar. [Im Internet sind Nollis Karten an vielen Orten zu finden. Interessant zum Beispiel die »Nolli Map Engine« der Univer-sity of Oregon (http://nolli.uoregon.edu/)]

Generell ist es aber sicher richtig und not-wendig, auch im Dialog unter Fachleuten je-weils deutlich zu machen, welche Räume man jeweils meint, wenn von »öffentlichen Räu-men« die Rede ist.

2. Die Bedeutung der öffentlich nutzbaren Räume in den Städten

Wer das Stichwort »Öffentlicher Raum« in der Wikipedia aufruft (5/2008), erhält unter ande-rem folgende Auskunft: »Nach der Wiederent-deckung des öffentlichen Raums als zentrales Element der über Jahrhunderte gewachsenen Europäischen Idee eines identitätsstiftenden Gemeinwesens werden seine Elemente (von Stadtplanern, Selle) verstärkt als Steuerungsin-strumente genutzt«. Das ist nicht eben klar formuliert, enthält aber doch einen wichtigen Hinweis: Öffentlichen Räumen wird eine große Bedeutung für die Städte (und damit die Stadtplanung) beigemessen. Welcher Art diese Bedeutung ist, soll im Folgenden anhand von fünf Aspekte näher beschrieben werden:

Stadtkultur: Identitäten der Stadt

»Die Qualität der Stadt als Kultur befindet sich naturgemäß im öffentlichen Raum« (Bernard Huet). Sätze wie diese sind in den letzten Jah-ren häufiger zu hören. Öffentliche Räume prä-gen das »Gesicht der Städte«, sind essentiell für sie, verkörpern gar – wie Thomas Sieverts schrieb – die »Würde der Stadt« (die unantast-bar bleiben soll).

Dass Stadtkultur ganz wesentlich geprägt wird auch von der Erlebbarkeit, von ästheti-scher Qualität und Nutzbarkeit der öffentlichen Räume, scheint also unstrittig zu sein. Das fin-det auch darin seinen Ausdruck, dass bei staat-lichen Bemühungen um Baukultur (nicht nur in Deutschland) öffentliche Räume immer auch eine besondere Rolle spielen.

Auch auf die strukturierende und stadtbild-prägende Wirkung der freien Räume wird wie-der verwiesen: Mit der Diskussion um »Subur-banisierung« und »Zwischenstadt« (vgl. etwa Lehrbaustein Siedlungs- und Freiraumentwick-lung), in der den (nicht nur öffentlichen) Frei-räumen eine besondere ordnende Kraft zuge-schrieben wird, gewannen solche städtebauli-chen Überlegungen zusätzlich an Gewicht.

Führt man diese Überlegungen zusammen mit der Frage nach Reichweite und Inhalt planeri-schen Bemühens zur Beeinflussung der Stadt-entwicklung, so ergibt sich eine geradezu zent-rale Rolle der öffentlichen Räume für die Städ-te. Thomas Sieverts [in Selle 2003, S.184 ff.] fasst das so zusammen: »Die Stadt wird sich in ihrer Einzelentwicklung kaum noch prognosti-zieren, geschweige denn planen lassen, vieles wird einer örtlichen Selbststeuerung überlassen bleiben können. In diesem … unbestimmbaren Stadtgefüge wird der öffentliche Raum als das stabilisierende, langfristig verlässliche Gerüst, das der Stadt die historische Identität gibt, im-mer wichtiger«.

Stadtkultur hat jedoch auch noch speziellere Facetten: Öffentlicher Raum und Kunst in der Stadt werden immer wieder zusammenge-bracht. Dabei beschränkt sich dieser Zusam-menhang nicht mehr auf das Platzieren von Skulpturen, sondern bezieht die Gestaltung der Räume und ihrer prägenden Elemente (Beispiel Lyon u.a.) ebenso ein wie ihre Nutzung – etwa für Aktionen, als Orte für Aufführungen, In-szenierungen und (temporäre) Installationen.

Und eine weitere Dimensionen von Stadt-Kultur ist zu erwähnen: der Umgang mit Frem-den und Fremdem, das Aushalten von Anders-artigkeit, das Erleben kultureller Vielfalt. Womit bereits der nächste Aspekt angesprochen wäre:

Soziale Stadt: Nutzbarkeit und Offenheit

Dass öffentlicher Raum von eminenter sozialer Bedeutung ist, bedarf keiner besonderen Her-vorhebung: Hier finden Kommunikation und Sozialisation statt. Das gilt für alle Stadtbe-wohnerinnen und -bewohner. Aber einige Gruppen sind in besonderer Weise auf die öf-fentlichen Räume angewiesen: Kinder zum Bei-spiel.

Öffentliche Räume sollten also ausreichend Spielmöglichkeiten und gefahrlos nutzbare Streifräume für Kinder bieten. Handlungspro-gramme wie »bespielbares Quartier« oder »kinderfreundliche Stadt« hatten und haben daher nicht von ungefähr immer Schwerpunk-te im Bereich öffentlicher Raum.

Öffentlicher Raum ist aber immer auch der Raum in der Stadt, in dem Bedrohung, Unsi-cherheit oder Ausgrenzung erlebt werden [vgl. auch Berding/Selle 2006].

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In besonderer Weise zur Polarisierung führt die Präsenz von Gruppen, die am Rand der Gesellschaft stehen: Drogenabhängige, Ob-dachlose, Bettler… Sie werden von den einen als Störung und Bedrohung empfunden und gehören nach Auffassung anderer unabdingbar auch zum Bild des öffentlichen Raumes (wenn er denn weiter „öffentlich“ genannt werden soll.)

Stadt-Ökologie: Nachhaltige Entwicklung

Die ökologische Bedeutung der freien Räume war ebenso wie deren soziale Funktionen schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts Thema der Freiraumpolitik. Insofern musste sie nicht neu entdeckt werden. Aber mit der weltweiten Hinwendung zu ökologischen Fragen gewan-nen in den 80er Jahren auch die Freiräume in den Städten erheblich an Bedeutung [vgl. Selle 2000]. Durch die Orientierung am Ziel »nach-haltiger Entwicklung« wurde dies – soziale und ökonomische Aspekte einbeziehend – zusätz-lich unterstrichen. Praktische Auswirkungen fanden sich in zahlreichen Projekten der Stadt- und Freiraumentwicklung – vom Emscher Landschaftspark bis zum GrünGürtel in Frank-furt, vom Filderpark bis zum Grünen Ring in Leipzig. Bei alledem ging es neben der ökologi-schen (z.B. stadtklimatischen) Bedeutung die-ser Räume auch immer um deren Zugänglich-keit für die Öffentlichkeit (Rad- und Wander-wege, Freizeiteinrichtungen etc.).

Stadtpolitik: Kernkompetenz

Öffentlicher Raum wurde und wird auch im-mer mit Politik in Zusammenhang gebracht: Hier sieht man die Orte für politische Reden, Versammlungen und Demonstrationen. Die Freiheit zur politischen Meinungsäußerung gilt geradezu als Gradmesser für die »Öffentlich-keit« eines Ortes. Zugleich wird aber beklagt, dass diese politische Funktion heute scheinbar an Bedeutung verloren hat. Tatsächlich finden Versammlungen eher im Zusammenhang von Festen und Festivals statt als aus Anlass politi-scher Manifestitionen. Diese Entwicklung ist aber zweifellos nicht auf die öffentlichen Räu-me zurückzuführen, sondern auf Veränderun-gen in der Gesellschaft selbst (»Entpolitisie-rung«, »Erlebnisgesellschaft«). Im Umkehr-schluss folgt daraus: Dort, wo sich die Gesell-

schaft politisiert, wird auch der städtische Raum als politischer Raum wieder interessant.

Wenn heute unter (stadt-)politischen Ge-sichtspunkten vom Aufmerksamkeitsgewinn für öffentliche Räume die Rede ist, dann be-zieht sich das auf einen anderen Aspekt: Im Zuge der Globalisierung einerseits und der Auslagerung vieler bislang öffentlicher Aufga-ben andererseits scheint der spezielle Beitrag kommunaler Politik zunehmend »unsichtbar« zu werden.

In diesem Zusammenhang wird nun darauf verwiesen, dass die öffentlichen Räume in be-sondere Weise geeignet seien, Gestaltungsab-sichten und Wirksamkeit kommunalpolitischen Handelns deutlich zu machen. Pflege und Ent-wicklung der öffentlichen Räume werden da-mit zu so etwas wie einer »Kernkompetenz« der lokalen Politik: hier kann sie – unüberseh-bar – zeigen, was sie zu leisten im Stande ist.

Das war – am Rande bemerkt – schon im-mer so: Wer in den Werken der Literaturgat-tung »Städtelob« (laudes urbium; Dichtungen auf eine Stadt – seit dem späten Mittelalter z.B. bezogen auf Nürnberg, Wien, Basel etc. zu finden) blättert, wird immer auch Rückschlüsse von Gestalt und Zustand der Straßen und Plät-ze auf die »gute Regierung« (»buon gover-no«) der Städte vorfinden.

John Friedmann gab (1987) einem Buch den Titel »Planning in the Public Domain«. Das erlaubt in der deutschen Sprache das Wort-spiel: Wenn es eine Domäne öffentlicher Pla-nung gibt, dann ist sie eben hier zu finden – im öffentlichen Raum. Das gleich aus zwei Grün-den: Einerseits liegt in der Trennung von be-baubarem und frei zu haltendem Grund gene-rell der zentrale Aussagenbereich räumlicher Planung, und andererseits wird gerade in der Gestaltung des für öffentliche Zwecke nutzba-ren Raumes sichtbar, ob und wie die zahlrei-chen Interessen, Bedürfnisse und Möglichkei-ten einer Stadtgesellschaft aufgegriffen und umgesetzt werden.

Stadt-Ökonomie: Standortfaktor

Dass öffentlicher Raum auch eine ökonomische Bedeutung hat, musste man früher nicht beto-nen: Schließlich wurden hier – auf den Märk-ten, in den Straßen – von alters her die Waren umgeschlagen. Als sich diese merkantile Funk-

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tion »verhäuslichte«, in die großen Warenhäu-ser verlagerte, blieb der öffentliche Raum öko-nomisch vor allem als Transportraum von Be-deutung. Parks und Plätze erschienen eher als Zierrat und ästhetisches Beiwerk, dem man dann im späteren 19. Jahrhundert auch soziale Funktionen zuwies (mit gewissen ökonomi-schen Rückwirkungen: denn es ging – z.B. beim »sanitären« Grün – immer auch um Er-halt der Arbeits- und Wehrkraft der Jugend). Dass die Schönheit der Plätze, Parks und Pro-menaden auch unmittelbar ökonomischen Nutzen stiften kann, wurde erst sehr viel später sichtbar – als sich Planung und Politik den »weichen« Standortfaktoren zuwandten: Lan-ge Zeit galten lediglich »harte« Infrastrukturen (Straße, Schiene etc.) als Ansiedlungsvoraus-setzung für Unternehmen. Zunehmend – und mit dem industriellen Strukturwandel forciert – wurde jedoch deutlich, dass bei den Entschei-dern auch andere Faktoren zählen: Kultur, Na-tur, Erholungs- und Freizeitwert, Konsumange-bot, Schönheit etc. einer Region oder Stadt. Wer sich heute von Wirtschaftsförderern be-schreiben lässt, wie sie potenziellen Ansiedlern die Stadt präsentieren, welche Wege sie wäh-len, welche Ansichten sie zeigen, der wird un-schwer erkennen können, dass der öffentliche Raum – so er denn präsentabel ist – einen wichtigen Faktor in der Selbst-Darstellung ei-ner Stadt darstellt.

Die standortprägende Wirkung öffentlicher Räume wird auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Zusammenhängen wirksam:• Lagewerte: Schon der Blick auf die Immobili-enanzeigen der Tageszeitungen macht deut-lich, dass der Preis – zum Beispiel – einer Woh-nung auch vom Lagewert abhängt. Liegt sie an einer stark befahrenen Straße oder an einer Wohnstraße? Ist ein Park in der Nähe oder ein attraktiver Landschaftsraum etc.? Der Wert von Immobilien wird also nicht unwesentlich auch von Vorhandensein und Zustand öffentli-cher Räume geprägt. Vernachlässigte oder stark verkehrsbelastete Räume können zur Abwanderung und damit zur Minderung des Immobilienwertes beitragen. Umgekehrt ver-mag die Aufwertung öffentlicher Räume etc. zur Steigerung der Attraktivität für bestimmte Nutzungen und damit des Lagewertes von Grundstücken beizutragen.

• Investitionsimpulse: Diese Bedeutung des Lagewertes wird auch dadurch sichtbar, dass in vielen innerstädtischen Entwicklungsmaßnah-men (z.B. Wiedernutzung ehemaliger Kaser-nen- und Industrieareale) am Beginn der Ent-wicklung Investitionen in hochwertige öffentli-che (Frei-)Räume stehen. Sie sollen das Image des Standortes prägen und entsprechende pri-vate Investitionen auslösen. Beispiele dafür fin-det man in Paris wie in Mailand, in Leipzig wie in Gelsenkirchen.• Standortbindung: Schon in früheren Jahren, als es um die Umfeldverbesserung in städti-schen Wohnquartieren ging, war eines der Motive einkommensstärkere Haushalte in der Stadt zu halten, einer „Entmischung“ der Quartiere vorzubeugen. Das gilt auch noch heute. In den letzten Jahren hat z.B. die Stadt Basel mit eben dieser Zielsetzung (Erhalt der Steuerkraft) umfangreiche Bemühungen auch zur Verbesserung öffentlicher Räume in Gang gesetzt.• Identität: »Der öffentliche Raum bildet in seinen vielen Einzelelementen wie auch in der Gesamtheit seiner Vernetzung die Eigenart, die Identität der Stadt ab, macht sie unterscheid-bar von anderen Städten« schreibt Thomas Sieverts [alle Autorenangaben ohne weitere Nachweise beziehen sich auf die in Selle 2003 abgedruckte Texte] und folgert, dass aus die-sem Grunde »die Lesbarkeit der Stadt zu einer wichtigen Frage auch in der interkommunalen Konkurrenz« wird. Womit bereits das nächste Stichwort angesprochen ist:• »Brandscapes«: Der Aspekt der Identitätsbil-dung wird auch von großen Unternehmen er-kannt. Sie produzieren öffentlich nutzbare Räume und Architekturen als Markenzeichen. Stadträume als Markenlandschaften – Brand-scapes: »Eine bestimmte Art des Denkens för-dert eine bestimmte Art des Handelns, eine Architektur, auch die Idee des Brandscapes, viele neue öffentliche Räume.« [Brand eins] • Standortfaktor für Städte und Regionen: Was für die einzelne Immobilie oder den Wohn-standort gilt, ist auch auf ganze Städte über-tragbar. Deren Standortgunst wird auch durch die Attraktivität ihrer öffentlichen Räume ge-prägt, was sich dann – siehe oben – zum Bei-spiel in entsprechenden Präsentationsstrategien für Ansiedlungswillige oder aber im Ranking

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der Städte und Regionen – wie sie z.B. von Wirtschaftsmagazinen veröffentlicht werden – ausdrückt. Die in den letzten Jahren besonders bekannt gewordenen Strategien für öffentliche Räume – seien es die in Barcelona, Lyon oder Rotterdam – verfolgen u.a. auch diese stadt-entwicklungspolitischen Ziele: »Mit den neuen städtischen Freiräumen als Markenzeichen ist Rotterdam um einiges nach vorne gerückt im Monopoly der Metropolen« [Rousseau]. Und: »Lyon sollte nicht isoliert gesehen werden. Fast jede große französische Stadt hat nach der lange geforderten und endlich auch durchge-setzten Dezentralisierung ihr Grand Projet in die Wege geleitet. Unterstützt mit den Geldern aus Paris für die Verbesserung der Infrastruk-tur, schieben sie sich in harter Konkurrenz zu-einander ins Rampenlicht der europäischen Marketing-Bühne« [Redecke, Zitate aus Selle 2003].

Viele Städte haben diese Zusammenhänge inzwischen erkannt und beginnen Folgerungen zu ziehen. Öffentliche Räume werden zu ei-nem Faktor in der interkommunalen und -regi-onalen Standortkonkurrenz. Vielerorts wird »aufgerüstet«, wird an der Aufwertung der öffentlichen Räume gearbeitet.

3. Wandel von Funktionen, Nutzung und Gestalt

»Da wir in einer hoch mobilen Gesellschaft … nicht mehr von einer existenziellen Ange-wiesenheit auf den öffentlichen Raum spre-chen können, ist die Pflege eines vitalen urba-nen Geflechts alles andere als ein Selbstläufer. Urbanität und lebendige Räume gab und gibt es in der europäischen Stadt nicht zum Nullta-rif. Urbanität verlangt mehr denn je ein Be-kenntnis zur Stadt – von selbstbewussten Kommunen und einer engagierten Bürger-schaft, die sich einer zivilen Stadtgesellschaft verpflichtet fühlt« [Franz Pesch 2008, 36].

Mit diesem Zitat aus der jüngeren Literatur zum Thema wird darauf aufmerksam gemacht, dass Bedeutung und Funktionen der öffentlich nutzbaren Räume nicht immer gleich bleiben, sondern einem ständigen Wandel unterliegen.

Einige der Funktionen bleiben dabei über längere Perioden konstant – das gilt etwa für baulich-räumliche Wirkung der offenen Räume für Strukturierung und Lesbarkeit der Stadt-

räume. Womöglich hat sie noch an Bedeutung gewonnen, in dem Maße wie die Dispersion der Städte voranschreitet und sie kontur- und strukturloser zu werden scheinen.

Wesentlich verändert hat sich hingegen die Rolle der allgemein zugänglichen Räume für das Leben in den Städten (vgl. Abb. 5-8): Frü-her waren sie für den Alltag unverzichtbar. Die Menschen hielten sich viel im Freien auf, weil die Aufenthaltsmöglichkeiten in Gebäuden für viele sehr begrenzt war. Aber es wurde hier auch produziert, ver- und gekauft: Die Hand-werker stellten dort ihre Werkbänke auf, die Händler ihre Stände, Feste, Feiern, Prozessio-nen – alles das fand seinen Ort auf Straßen und Plätzen. Dies begann sich in dem Maße zu ändern, wie bestimmte Funktionen in Gebäude verlagert wurden (Produktion, Handel) und zugleich die Transportfunktion, die die öffentli-chen Räume stets hatten, auf neue Weise wahrgenommen wurde: Insbesondere mit dem rasanten Wachstum des motorisierten Verkehrs wurden immer mehr offene Räume »mono-funktional« – waren also vorrangig dem flie-ßenden und ruhenden Verkehr gewidmet. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts be-ginnt sich dies in Teilen der Städte wieder zu ändern. Es gelang, große Flächenanteile (zumal in den Innenstädten) für die Fußgänger zu-rückzugewinnen (Fußgängerzonen, Verkehrs-beruhigung). Zugleich aber verändern sich die Funktionen der inneren Städte: Ihre Geschäfts-lagen stehen in Konkurrenz zu Einkaufszentren »auf der grünen Wiese« und damit drohen auch die öffentlichen Räume funktionslos zu werden.

Aber auch hier zeichnet sich erneuter Wan-del ab: Kulturelle Funktionen und Freizeitfunk-tionen der öffentlichen Räume nehmen zu, werden bewusst gefördert und entwickelt – was wiederum vielerorts zu lebendigen Nut-zungen führt.

Aber alles dies ist, wie Franz Pesch feststell-te, »kein Selbstläufer«, sondern bedarf öffent-licher Aufmerksamkeit und auch des Beitrags der Stadtplanung.

4. Aufgaben im Wandel

Öffentliche Räume sind kein neues Thema für Stadtplanung und Stadtpolitik. Sie waren schon immer Gegenstand von Erneuerungs- und

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Abb. 5 (oben): Funktionswandel der öffentlich nutzbaren Räume seit dem 19. Jahrhundert (Jan Gehl); Abb. 6-8: Illustrationen zum Funktionswan-del – Markt im 16. Jahrhundert (Niederlande), Boulevard im 19. Jahrhundert (Paris) und Frei-raumnutzung im 21. Jhdt (Aachen, Milchstraße); Abb. 9: Funktionen der öffentlich nutzbaren Räu-me und die daraus abzuleitenden Gestaltungsan-forderungen (Jan Gehl)

Entwicklungsbemühungen. Allerdings sind spe-zifische Verschiebungen des Aufgaben-verständnisses zu beobachten:

Wer 40 Jahre oder weiter zurück schaut, wird – in Stadtpolitik und Stadtplanung – immer wie-der auf das Thema öffentlicher Raum stoßen. Allerdings wechselten die Räume und Aufga-ben, die jeweils im Mittelpunkt standen:• In den 60er und 70er Jahren wurden vor al-lem die Innenstädte um- und ausgebaut. Dabei entstanden Fußgängerzonen, Platzumgestal-tungen etc.• In den 80er Jahren wandte man sich ver-stärkt dem Wohnungsumfeld insbesondere in innenstadtnahen Wohnquartieren zu. Aufwer-tungsmaßnahmen in Straßen, Plätzen und grünen Freiräumen sollten auch zur Stabilisie-rung der Quartiere insgesamt beitragen.• Mit der flächenhaften Verkehrsberuhigung wurden diese Aktivitäten weiter entwickelt und auf zusätzliche Stadtteile ausgeweitet. • In den 90er Jahren widmeten sich viele Städ-te den Freiraum- und Grünsystemen (grüne Gürtel, -Ringe, -Bänder). • In den letzten Jahren werden die Innenstädte wieder verstärkt angegangen. Landesinitiativen wie »Ab in die Mitte« in NRW oder »Zukunft der Innenstädte« in Baden-Württemberg zei-gen die bestehende Befürchtung auf, die Stadtzentren könnten in der Konkurrenz mit Einkaufszentren neuen Typs Schaden nehmen.• Zugleich wird wieder erkannt: Man muss auch über die Cities hinaus denken und han-deln. So werden – z.B. in Hannover – die Stadtteilplätze, ihre Instandsetzung und Neu-gestaltung, in mehrjährigen Programmen zum Gegenstand der Stadtpolitik und -planung.

Mit einem solchen Rückblick ist auch die Frage angesprochen, was heute anders ist als in Pra-xis und Theorie früherer Jahre. Was ist spezi-fisch für die Diskussion im Jahr 2008?• Kennzeichnend für die aktuellen Tendenzen dürfte sein, dass man die früher punktuellen Zugänge zum Thema überwindet und verstärkt darum bemüht ist, öffentliche Räume im Zu-sammenhang zu sehen – als Mosaiksteine ei-nes Bildes der Stadt, das insgesamt der Be-trachtung bedarf. • Verstärkt beachtet wird auch die Konkurrenz zwischen attraktiven Angeboten neuer Art (die

etwa im Zusammenhang mit Malls, Urban En-tertainment etc. entstanden sind) und den zum Teil in die Jahre gekommenen Fußgängerzonen und zentralen Plätzen. Manche beklagen die-ses Phänomen, andere empfinden es als An-reiz: »Konkurrenz belebt das Geschäft«, die traditionellen Standorte müssen sich den neu-en Herausforderungen stellen.• Das verweist auch darauf, dass in den letzten Jahren bislang hierzulande unbekannte Formen öffentlich nutzbarer Räume in den Blick gerie-ten: die »privately owned public spaces« – wie sie in den USA genannt werden [vgl. Pegels 2004]. Sie haben die Anmutung von Straßen, Promenaden und Plätzen und sind doch Teile privater (oder allgemeiner gesprochen: nicht-kommunaler) Liegenschaften.• Das macht zugleich deutlich, dass die Gren-zen zwischen »öffentlich“ und »privat« bei Erstellung, Nutzung und Unterhalt »öffentli-cher« Räume offener werden. Das führt zum einen zur Notwendigkeit, die Begriffe zu schär-fen (vgl. Kap. 1), eröffnet zum anderen aber auch alle Probleme und Chancen der – auch aus anderen Bereichen der Stadtentwicklung bekannten – »public-private-partnerships«.• Aber nicht nur Produktion und Nutzungsre-gelungen ändern sich. Auch Inanspruchnahme und Nutzung öffentlicher Räume sind einem deutlichen Wandel unterworfen: Viele spre-chen davon, dass die »Kommerzialisierung« zugenommen habe. Das mag schwer messbar sein. Unstrittig ist aber sicher, dass »Events«, kulturelle und kommerzielle Veranstaltungen und Feste im öffentlichen Raum wieder zahl-reicher geworden sind – wobei die Bewertung dieser Entwicklung durchaus ambivalent ist: Die einen sehen darin eine Gefährdung für die »freie« (also unentgeltliche) Nutzung der öf-fentlichen Räume, die anderen begrüßen den belebenden Effekt für öffentliche Räume, der von Außengastronomie, kulturellen und sport-lichen Ereignissen und zahlreichen weiteren Angeboten ausgeht [vgl. Berding u.a. 2003].

Probleme und Aufgaben

Wer alle die vielen guten Gründe für die Hin-wendung zum öffentlichen Raum hört, mag sich wundern, dass zugleich vielfältige Klagen laut wurden und werden:

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Über viele Jahre wurde insbesondere die Inbesitznahme der Straßen und Plätze durch den motorisierten Individualverkehr beklagt: Er nimmt nicht nur Flächen unmittelbar in An-spruch, sondern schränkt ihre Benutzbarkeit zudem durch Lärm und Abgase ein.

Hinter diesem sicht- und hörbaren Problem liegt, folgt man den Kritikern, ein weiteres: Die Nutzungsentmischung der Stadt, die urbane Zusammenhänge auflöse und zusätzliche Transportaufwand erzeuge.

Zugleich entstehen in sich geschlossene Welten (vom Sony Center am Potsdamer Platz in Berlin bis zum CentrO in Oberhausen, von den Bahnhofsumbauten bis zu den Urban En-tertainment Centers), mit denen, so die Kritik, »quasi-öffentliche« Räume geschaffen wür-den, denen es aber an wesentlichen Merkma-len öffentlicher Räume (insbesondere die Zu-gänglichkeit für jedermann zu jeder Zeit) er-mangele und in denen anstelle öffentlicher In-stitutionen private Unternehmen Hausrecht hätten.

In diesem Zusammenhang ist dann auch oft das Stichwort »Privatisierung« zu hören, das die Vermutung zum Ausdruck bringt, die der Allgemeinheit unbegrenzt zur Verfügung ste-henden öffentlichen Räume würden geringer – oder gerieten doch zumindest in Konkurrenz zu den neuen Erlebniswelten unter privater Verfügung.

Darüber hinaus verlagerten sich, so eine weitere Befürchtung, wichtige Funktionen des Öffentlichen, etwa die ungerichtete Kommuni-kation in offenen sozialen Gefügen, zuneh-mend in virtuelle Räume, was die Bedeutung des physischen Raumes für die Entwicklung öffentlichen Lebens in der Stadt weiter schmä-lere.

Inzwischen sind Stimmen zu hören, die sol-che Kritik relativieren. Danach könne die Kon-kurrenz, die der traditionelle öffentliche Raum erhalte, auch zur Belebung führen. Selbst die digitale Technik müsse nicht als Feind des öf-fentlichen Raumes begriffen werden, sondern könne auch Partner sein. Und nicht zuletzt nähmen die öffentlich nutzbaren Räume – zu-mindest quantitativ – eher zu als ab, da mit der Neu-Nutzung von Brachen auch große Areale in der Stadt zugänglich würden, die bislang hinter Mauern (von Betrieben, Hafenbetreibern

etc.) verborgen waren.Solche Relativierungen [vgl. ausführlicher

Selle 2003, Kap. 3, Berding/Selle 2006] bedeu-ten jedoch nicht, dass die öffentlichen Räume heute keiner besonderen Zuwendung bedürf-ten, denn es gibt selbstverständlich Probleme und es müssen Ideen entwickelt werden, wie mit ihnen umzugehen ist.

Als solche sind – neben dem immer wieder-kehrenden Konflikt mit ruhendem und fließen-dem Verkehr – zunehmend Fragen der Sauber-keit, der Pflege und der Sicherheit zu nennen. Sie werden verschärft durch die kommunale Kassenlage, die mancherorts zu drastischen Einsparungen gerade im Bereich Pflege und Unterhalt führt.

Zudem gibt es unstrittig einen Konkurrenz-druck zwischen traditionellen öffentlichen Räumen und jenen Angeboten, die schon frü-her in den Einkaufscentern am Rande der Stadt entstanden und die nun, in zeitgemäßer Aus-stattung, Größe und Funktion, auch in die in-neren Städte drängen.

Wenn diese Konkurrenz beleben soll, wenn die traditionellen Räume ihre Funktion bewah-ren bzw. weiter entwickeln wollen, sind zum einen vermutlich Modernisierungsimpulse (et-wa in den Innenstädten) notwendig, zum an-deren dürfen aber auch die öffentlichen Räume in Quartieren, Parks etc. nicht vernachlässigt werden.

Handlungsansätze

Damit sind bereits die Bemühungen angespro-chen, auf die zweifellos vorhandenen Problem zu reagieren.

Ein »klassischer« Aufgabenbereich ist der Umgang mit dem Verkehr – sei es in der inne-ren Stadt oder in den Quartieren. Hier gibt es seit fast 30 Jahren mehrere Entwicklungsschü-be – Fußgängerzonen, Wohnstraßen etc. – mit jeweils verschiedenen Aus- und Umbaugrund-sätzen, in ästhetisch sehr heterogener »Anmu-tung«, flankiert von unterschiedlichen Ver-kehrslenkungskonzepten und bislang nur be-dingt von Erfolg gekrönt.

Beim Neu- und Umbau einzelner Quartiere (etwa im Zuge der Wiedernutzung von Bra-chen - vgl. etwa werkstatt-stadt.de) ist deutlich geworden, dass durchaus neue Qualitäten von

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Wohnstraßen, Quartiers-plätzen und Grünräumen (die im Zusammenhang ge-plant werden) zu realisieren sind – und damit zugleich der Standort aufgewertet (und sein Marktwert gestei-gert) werden kann.

Bemerkenswert für die Diskussion der letzten Jahre ist auch, dass die Fachwelt »neue«, öffentlich nutzbare Räume entdeckt: Zunehmend werden neben den städtischen Parks, Spielplätzen, Friedhö-fen, Gärten, Plätzen, Passagen usw. auch die Straßenräume, Kreuzungen, Parkplätze, ja so-gar Parkdecks als Erlebnis- und Aktionsräume städtischer Öffentlichkeit wahrgenommen und in Konzeptionen eingebunden. Zumindest temporär eröffnen sich hier neue Handlungs- und natürlich auch Problemfelder.

Wesentlicher aber noch ist die Wiederent-deckung der Plätze: Städte entwickeln Pro-gramme zur gezielten Aufwertung öffentlicher Räume mit der Intention, die Attraktivität der Innenstädte, aber auch innenstadtnaher oder peripherer Stadtteile zu erhöhen. Beispiele in Deutschland sind, ausgehend von internatio-nalen Vorbildern (Barcelona, Lyon, Rotterdam u. a.), Städte wie Frankfurt, Hannover, Mann-heim und Stuttgart, in denen längerfristige Programme zur Sanierung und Aufwertung von Plätzen und anderen öffentlichen Räumen aufgelegt wurden.

Dabei wurde vielerorts, aber durchaus nicht überall, der Tatsache Rechnung getragen, dass die Umgestaltung öffentlicher Räume für die Stadtbewohner von besonderem Interesse ist und dass man sie daher auch nach Möglichkeit in diese Prozesse einbinden sollte [erfolgreich in dieser Hinsicht z.B.: Hannover; vgl. Bürger-büro 2005]. Denn das, was Jane Jacobs für die Städte als Ganze sagte, gilt für die öffentlichen Räume in besonderer Weise (Zitat oben): Nur wenn viele an der Entwicklung der öffentlichen Räume beteiligt sind, bieten sie auch Raum für viele (unterschiedliche Menschen und Interes-sen).

Kennzeichnend für die neuere Entwicklung ist auch, dass – wie in anderen Handlungsfeldern

des Städtebaus – neue Koo-perationen entstehen: Sponsoren stiften zum Bau von Freiräumen an, private Unternehmen finanzieren die Umgestaltung eines Straßenabschnittes mit, Bahn und Städte gestalten gemeinsam die Bahnhofs-umfelder um, Bürgervereine übernehmen ehemals öf-fentlich betriebene Freizeit-

einrichtungen in eigener Regie, Mietergruppen gewährleisten die Pflege eines Quartiersplatzes und so weiter und so fort…

Das alles steht noch sehr am Anfang. Viele Fragen, die sich bei Kooperationen dieser Art stellen, sind noch offen.

Das bezieht sich auch auf aktuelle Tenden-zen, den Erlebniswert städtischer Freiräume zu erhöhen und gleichzeitig neue Einnahmequel-len für öffentliche Haushalte zu erschließen, wie sie etwa im Freiraumkulturmanagement zum Ausdruck kommen.

Es sind dies viele, durchaus ambivalent ein-zuschätzende Entwicklungen, die jedoch insge-samt deutlich machen, dass Handlungsbedarf gesehen wird und Erfahrungen mit neueren Handlungsansätzen gesammelt werden.

Fingerübungen & Vertiefun-genWer öffentliche Räume verste-hen (und später gestalten) will, sollte mit Beobachtungen be-ginnen:

• Reizvoll sind z.B. Platzbeobachtungen »rund um die Uhr«, weil man hier erfahren kann, wie unter-schiedlich der Raum im Zeitablauf genutzt wird;• Streifräume von Kindern und Jugendlichen [vgl. Wüstenrot 2003] (mit ihnen) zu erkunden kann sehr aufschlussreich sein: So wird deutlich, wie Quartiere im Zusammenhang erlebt werden;• Auch die Raumnutzung anderer Gruppen (alter Menschen, Migrantinnen etc.) sagt viel über Raumqualitäten und Verhalten aus, zumal dann, wenn man – nach einer Beobachtungsphase – Ge-spräche führt (oder eine systematische Befragung durchführt);

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Öffentliche Räume gestalten…»Cities have the capability of providing so-mething for everybody, only because, and only when, they are created by everybody«. (Jane Jacobs zit. n.: http://www.pps.org/info/placemakingtools/placemakers/jjacobs

»We shape our public spaces, thereafter our public spaces shape us«. (Winston Churchill zit. n.: http://www.pps.org/

• Interessant und aufschlussreich sind auch Inter-ventionen in öffentlichen Räumen (vgl. dazu als Anregung http://www.pt.rwth-aachen.de/images/stories/pt/bilder/stairway.jpg)

Fragen zur Vorlesung• Welche Bedeutung haben die Öffentlichen Räu-me für die Städte? Nennen Sie (mindestens) zwei Aspekte und erläutern Sie sie kurz. • Welche Nutzungen der öffentlichen Räume sind (in den letzten 150 Jahren) geringer geworden, welche haben sich gewandelt und welche gewan-nen an Bedeutung? Nennen Sie je ein Beispiel.

LesehinweisEinen Überblick über den Stand der Diskussion gibt der Reader »Was ist los mit den öffentlichen Räu-men?« (Selle 2003). Das Buch ist inzwischen ver-griffen, kann aber noch in der Koop-Bibliothek (und anderen Bibliotheken) ausgeliehen werden.

Literatur_Berding, Ulrich; Kuklinski, Oliver; Selle, Klaus (2003): Städte als Standortfaktor: Öffentlicher Raum. Herausgegeben von: Bundesamt für Bauwe-sen und Raumordnung. Werkstatt: Praxis Nr. 2/2003. Bonn _Berding, Ulrich; Perenthaler, Bettina; Selle, Klaus (2006): Hybride Räume. Akteure und Regulierung in öffentlich nutzbaren Räumen. In: Urban Design 1. Standpunkte und Projekte. München [Callwey] S. 19-25 _Berding, Ulrich; Selle, Klaus (2006): Tot oder le-bendig – Gibt es noch soziales Leben in den öffent-lichen Räumen? In: Hatzfeld, Ulrich; Pesch, Franz (Hg.) : Stadt und Bürger. Darmstadt [Verlag Das Beispiel] S.187-191_Bürgerbüro Stadtentwicklung Hannover (2005): Neues Leben für hannoversche Plätze. Fünf Jahre Stadtplatzprogramm Hannover. Erfahrungen, Erfol-ge, Erkenntnisse. Hannover _Carr, Stephen; Stone, Andrew M.; Rivlin, Leanne G. (1995): Public Space. Cambridge Series on Envi-ronment & Behavior. Cambridge (2.Auflage)_Gehl, Jan; Gemzoe, Lars (1996): Public Space – Public Life. Kopenhagen_Huning, Sandra (2006) Politisches Handeln in öf-fentlichen Räumen: Die Bedeutung öffentlicher Räume für das Politische. Berlin_Nagler, Heinz; Rambow, Riklef; Sturm, Ulrike (Hg.) (2004): Der öffentliche Raum in Zeiten der Schrumpfung. Berlin [Leue Verlag]

_Pegels, Juliane (2004): Privately Owned Public Space. New York Citys Erfahrungen mit öffentlich nutzbaren Räumen, die sich in privatem Besitz be-finden. Dissertationen an der Fakultät für Architek-tur der RWTH Aachen: I. Architektur und Planung, Nr. 1. Aachen _Pesch, Franz (2008): Stadtraum heute. Betrach-tungen zur Situation des öffentlichen Raumes. In: RaumPlanung H. 136 (Februar 2008) S. 32 ff._Seggern, Hille von; Havemann, Antje (2004): Die Atmosphäre des Ernst-August-Platzes. Beobach-tungen und Experimente im öffentlichen Raum. Beiträge zur räumlichen Planung – Heft 74. Hanno-ver_Selle, Klaus (Hg.) (2003): Was ist los mit den öf-fentlichen Räumen? Analysen, Positionen, Konzep-te. AGB Berichte Bd. 49. 2. erweiterte Auflage. Dortmund_Siebel, Walter (Hg.) (2004): Die europäische Stadt, Frankfurt/Main [suhrkamp]_Tessin, Wulf (2004): Freiraum und Verhalten. So-ziologische Aspekte der Nutzung und Planung städ-tischer Freiräume. Eine Einführung. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften]_Walljasper, Jan (2007): The Great Neighborhood Book. A Do-it-Yourself Guide to Placemaking. New York_Wüstenrot-Stiftung (Hg.)(2003): Jugendliche in öffentlichen Räumen der Stadt. Chancen und Rest-riktionen der Raumaneignung.Leverkusen [Leske + Budrich]

LinksÖffentliche Räume (Beispiele und Programmatik)http://www.pps.org/http://urban.cccb.org/http://www.die-urbanauten.de/cms/http://www.bbs-hannover.de/oeffentlicher_raum/oeffentlicher_raum.htmlhttp://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C12791182_L20.pdf

Beispiele (städtebauliche Projekte)http://www.werkstatt-stadt.de

Bearbeitung_Stand08/08

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