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Oekumenischer christusdienst Nr. 251 Quatemberbote Sept. 2011 Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Netz, das man ins Meer warf, um Fische aller Art zu fangen (Mt 13,47). Wenn Jesus das Himmelreich nennt, will er nicht sagen, dass es ein übermenschliches, ein überirdisches Reich sei, nach dem er trachtet, sondern er will nur sagen: Es kommt wie vom Himmel herunter für uns, oder es kommt von Gott - deswegen heißt es auch das Reich Gottes. Aber es soll ganz ein Reich sein unter uns, so wie es die Menschen auf Erden nötig haben. Ein Reich ist eine Herrschaft. Es ist nicht nur ein seliger Zustand, sondern es ist ein Zustand des Arbeitens und Schaffens, wie wir es auch gewöhnt sind, nur nicht in menschlicher Unvollkommenheit, durchsetzt mit Unwahr- heit und Ungerechtigkeit, mit Lüge und Täuschung, son- dern alles in Wahrheit und Gerechtigkeit, so dass es zum Glück aller derer ausschlägt, die im Himmelreich sind. Christoph Friedrich Blumhardt (1842-1919)

Oekumenischer christusdienst · Wenn Jesus das Himmelreich nennt, will er nicht sagen, dass es ein übermenschliches, ein überirdisches Reich sei, nach dem er trachtet, sondern er

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Oekumenischerchristusdienst

Nr. 251 Quatemberbote Sept. 2011

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Netz, das man insMeer warf, um Fische aller Art zu fangen (Mt 13,47).

Wenn Jesus das Himmelreich nennt, will er nicht sagen,dass es ein übermenschliches, ein überirdisches Reichsei, nach dem er trachtet, sondern er will nur sagen: Eskommt wie vom Himmel herunter für uns, oder es kommtvon Gott - deswegen heißt es auch das Reich Gottes.Aber es soll ganz ein Reich sein unter uns, so wie es die

Menschen auf Erden nötig haben.

Ein Reich ist eine Herrschaft. Es ist nicht nur ein seligerZustand, sondern es ist ein Zustand des Arbeitens undSchaffens, wie wir es auch gewöhnt sind, nur nicht in

menschlicher Unvollkommenheit, durchsetzt mit Unwahr-heit und Ungerechtigkeit, mit Lüge und Täuschung, son-dern alles in Wahrheit und Gerechtigkeit, so dass es zumGlück aller derer ausschlägt, die im Himmelreich sind.

Christoph Friedrich Blumhardt (1842-1919)

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Das Reich Gottes ist nahe

Im Glauben bleibt die Gewissheit, dass Gottes Reich be-steht und auf seine Vollendung wartet. Weil Gott seineSchöpfung und die Welt liebt, wird er sie nicht den dä-monischen Mächten preisgeben, und er wird trotz allerMängel und Verschuldung seine Menschheit nie fallenlassen. „Mit der Bitte, Dein Reich komme, anerkennenwir den Primat Gottes, den Primat der Liebe" (Papst Benedikt XVI. in seinem Buch: Jesus I).

Das Reich Gottes von Anfang an

Von Anfang der Schöpfung an bezeugt die Bibel dieHerrschaft Gottes über alle Welt. Bis heute kennen wirWeissagungen vom Sieg des Reiches Gottes (Ps 24,1)und von der Herrschaft Gottes sowohl über die Erwäh-lung des Volkes Israel (5Mos 7,6), als auch über die ge-samte Menschheits- und Gottesgeschichte (1Mos 14,19;Ps 24,3). Besonders die Propheten des Alten Bundeswaren Bahnbrecher und Vorbereiter des Reiches Gottesund des Kommens des Messias. Sie erkannten abernoch wenig über den langen Zeitraum zwischen der er-sten und zweiten Ankunft des Messias.

Im Neuen Testament nahm das Reich Gottes seinen An-fang mit der Erscheinung Jesu, der Ausgießung des Hei-ligen Geistes und der Stiftung seiner Gemeinde undKirche. Die Botschaft vom Reich Gottes war im Laufeder Kirchengeschichte sehr wechselfällig. Es gab immerwieder Aufbrüche und Neuanfänge, die nach dem Reichsuchten, z.B. die Katharer oder Waldenser. In den ver-gangenen Jahrzehnten hat das Wort vom Reich Gottesauch in verschiedenen Bewegungen vermehrte Auf-merksamkeit gefunden.

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Blick auf die Gegenwart

Die Reiche dieser Welt werden oft durch Kriege und Ge-walt ausgebreitet und durch Machtmissbrauch und Un-terdrückung aufrechterhalten. Nicht so das Reich Christi,es unterscheidet sich fundamental. Jesus sagt: … es seidenn, dass jemand geboren werde aus Wasser undGeist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen (Joh3, 5). „Gottes Reich ist nicht da, wo Menschen Gott in ihrWerk zu ziehen suchen, sondern wo Gott Menschen insein Werk zieht" (Jakob Kroeker, 1872–1948, ehemaliger Direktor desMissionsbundes „Licht im Osten").

Diese Tatsache steht im Gegensatz zu den Fortschritts-und Harmonieträumen vieler Menschen. In der Vergan-genheit versuchten viele, durch Erziehung, Bildung undgesellschaftliche Veränderungen, ein „Idealreich" zuschaffen. Ständig wurden Bemühungen unternommen,einen „Übermenschen" zu formen, der für die irdischenBelange geeignet erschien. Trotzdem sind Menschenheute verunsichert und verängstigt und fragen sich, wiees mit dieser Erde und der Weltfamilie weitergehen soll,weil viele Veränderungen nicht zum erhofften Friedenund zu mehr Gerechtigkeit geführt haben. Die wirt-schaftlichen und politischen Krisen, die rasanten Ent-wicklungen in Technik und Wissenschaft überforderneinen Großteil der Menschen und vermitteln wenig Zu-versicht. Auch die Natur- und Umweltkatastrophen injüngster Zeit verstärken die Weltängste. Die Wehen derEndzeit stehen also nicht erst bevor, sie sind bereits an-gebrochen und werden sich wohl noch steigern (Mt 24und 25).Angesichts solcher Entwicklungen werden dieVollendung des Gottesreiches und die Wiederkunft Chri-sti als Utopie empfunden, oder sie werden auf das Endeder Geschichte verlagert, wo sich ein solches Ereignisaus sich selbst zu ergeben vermag. Häufig wird dasThema nur noch in verschiedenen Liturgien bewahrt.

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Das Bleibende muss noch kommen

Im Vaterunser beten wir: Dein Reich komme! Kommt dasReich Gottes, so ist das die rettende Wende für alle, diesich bis dahin in einem anderen Einflussbereich befan-den. Darum beginnt Jesus sein Wirken mit dem Ruf: DieZeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen.Tut Buße und glaubt an das Evangelium (Mk 1,15). DieseBotschaft an die Menschen ist ein Geschenk und zu-gleich eine Aufforderung, umzukehren und zu glauben.Für das Kommen des Reiches Gottes spielt diese Erdeeine wichtige Rolle. Nietzsche lässt seinen Antichristrufen: „Bleibt mir der Erde treu, ihr Brüder." Seiner Mei-nung nach gilt die Gotteswelt nur für den Himmel, nichtfür die Erde. Mit seiner Aussage stimmt Nietzsches An-tichrist merkwürdig überein mit Jesus selbst. Auch Jesusverweist durch sein Leben und seine Lehre auf die Be-deutung dieser Erde. Aber für ihn stehen Himmel undErde in einem unlöslichen Heilszusammenhang. Jesuslehrt die Jünger, das Wirken Gottes in dieser Schöpfungzu achten und nicht durch Unglaube an die Mächte derFinsternis zu verraten. Jesus hofft, dass auf dieser Erdeder Wille Gottes umfassend geschehen kann.

Diese Erfüllung des Gotteswillens wird in Offenbarung 5in ein erhellendes Licht gestellt: …du bist würdig zu neh-men das Buch und aufzutun seine Siegel, denn du bisterwürgt und hast uns Gott erkauft mit deinem Blut ausallerlei Geschlecht und Zungen und Volk und Heiden.Und hast uns unserem Gott zu Königen und Priesterngemacht, und wir werden Könige sein auf Erden (Offb5,9-10). Jesus Christus ist als Einziger würdig, das Buchzu empfangen und die Siegel zu brechen. Damit nimmtsich Jesus noch einmal der Sache der Menschheit anund bringt ihr das göttliche Erbe. Durch ihn allein ge-schieht der Vollzug und er verleiht den Menschen Würdeund Verantwortung als Könige und Priester.

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Am Ende aller Zeiten steht Christus bereit zu richten undzu vollenden. Himmel und Erde, Gottheit und Mensch-heit, Schöpfung und Schöpfer werden wieder vereint.Alles Geschaffene wird wiederhergestellt zur ursprüngli-chen göttlichen Schönheit und Ordnung, damit am EndeGott alles in allem sei und der Sohn die ganze in ihm ge-sammelte Welt dem Vater übergeben kann (vgl. 1Kor15,25). Dieses gewaltige Ereignis ist ein Geheimnis fürunseren Verstand, aber der Glaube hält sich an GottesWort und vertraut ihm.

Warten auf die kommenden Taten Gottes

Wie und wann Gottes Heilsplan zur Vollendung kommt,weiß niemand. Keiner durchschaut die innerweltlichenUmbrüche und die Entwicklung der Menschheitsge-schichte, aber als Christen wollen wir acht haben undwachsam sein über allem, was sich tut und entfaltet.Noch stehen Menschen im Kampf gegen Krankheit undTod. Noch ist die Christenheit zerrissen und getrennt.Noch ist das Reich Gottes geheimnisvoll verborgen. -Doch dann wird es offenbar werden und die Gerechtenwerden hervorleuchten wie die Sonne (vgl. Mt 13,43).Wer um das Kommen des Reiches Gottes bittet, gehörtzu den wartenden Jüngern Jesu. Sie handeln in Glaubenund Gebet, in Zuversicht und Freude, bis der Herr wie-derkommt. Sie rufen „Marana tha" - „Komm Herr!" Dennder Geist und die Braut sprechen, komm! (Offb 22,17)

Frieder Rebafka

Gottes Reich ist wie ein Netz

... wie Christen heute am Reich Gottes bauen

In einem Zeitungsbericht über eine Party in Berlin heißtes, dass es keine gewöhnliche Party sei. Vielmehr handlees sich dabei um ein Netzwerktreffen, und zwar ein

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christliches. Weiter wird dann geschrieben: „Das machtSinn, denn immerhin sind rund zwei Milliarden Men-schen auf der Erde Christen. Die christlichen Kirchen bil-den potentiell nicht nur eines der größten, sondern aucheines der ältesten Netzwerke der Welt."

Netzwerke gehören bei der technologischen Entwick-lung unseres Kommunikations bzw. Informationszeital-ters immer selbstverständlicher zum Alltagsleben.Angesichts der immer größer werdenden Fülle an Kennt-nissen und Wissen ist das im Blick auf die Ganzheit desLebens unbedingt notwendig.

Jesus wies ebenfalls auf ein Netz hin, als er mit Bildernund Gleichnissen von der geheimnisvollen Wirklichkeitdes Reiches Gottes sprach. Es ist mit dem Himmelreichwie mit einem Netz, das man ins Meer warf, um Fischealler Art zu fangen (Mt 13,47). So hat er als Jünger zuerstNetz-Experten in die Nachfolge gerufen. Die Fischer vomSee Genezareth verstanden sich auf dieses Metier. IhreBerufung haben sie im Zuspruch Jesu empfangen, abjetzt, in der Verbundenheit mit ihm und miteinander,Menschenfischer zu sein. Von diesem kleinen Anfang herhat sich im Lauf der Geschichte das Netz des ReichesGottes stetig ausgebreitet.Das Reich Gottes ist die dynamische Herrschaft Gottes,die in allen Lebensbereichen eines Ortes, einer Stadtoder Region wirkt und mehr als den Bereich „Kirche" ab-deckt (siehe K. Warrington, Das Reich Gottes, S. 253). Inder Geschichte gibt es viele Beispiele dafür, in denenetwas von dieser Dynamik sichtbar wurde. Ganze Ge-sellschaftsbereiche wurden tiefgreifend beeinflusst undverändert. Wirkungen, die von Klöstern ausgegangensind oder infolge von Erweckungen wie etwa durch dieGebrüder Wesley oder die Herrnhuter Brüdergemeinemit Graf von Zinzendorf sind in diesem Zusammenhangzu nennen. Gibt es heute bei uns in Deutschland aktuelleEntwicklungen, die Derartiges vermuten lassen, beidenen Vergleichbares zu beobachten ist?

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Beispiel eines lokalen Netzes

Auf lokaler Ebene bin ich in der Stadt Augsburg in einchristliches Netz eingebunden. Was sich heutzutagedabei ansatzweise ereignet, davon möchte ich erzählen.Seit Anfang 2007 gibt es ein Treffen von Verantwortlichenunterschiedlicher christlicher Gruppierungen mit demAnliegen, sich im Sinne des Reiches Gottes zu vernet-zen. Augsburg hat eine reiche Geschichte, die wesent-lich von Christen beeinflusst ist. In unserer Zeit hatte esschon jahrelang immer wieder Initiativen der Zusam-menarbeit verschiedener christlicher Gemeinden undEinzelpersonen gegeben. Nicht nur die Evangelische Al-lianz als ein solches Netz, sondern auch die Beteiligungvon Katholiken hat eine projektbezogene Zusammenar-beit vor allem im evangelistischen Bereich ermöglicht.Im Hintergrund sehr hilfreich dazu war ein seit Jahren be-stehender Kreis zur Einheit sowie ein Leitergebet. Vieles,auch was die Kirchen und Gemeinden angeht, hatte al-lerdings eher nebeneinander existiert.

Die Wahrnehmung dieser Situation sowie personelleWechsel an verschiedenen Stellen haben etwas in Ganggebracht, das einem tieferen Miteinander dienen soll.Weg von der Betonung von Projekten hat sich ein neuerAkzent entwickelt. Es wurde die Bedeutung von Freund-schaft unter den verschiedenen Personen und das Be-wusstsein der gemeinsamen Verantwortung für dieganze Stadt unter dem Motto Suchet der Stadt Besteswichtiger. Um das ganze und größere Netz im Sinne desReiches Gottes sollte es gehen.

Daraus ergab sich ein Treffen von 17 Verantwortlichen.Diese Personen vertraten jeweils verschiedenartigeNetze: CVJM, Jugend mit einer Mission, die Fokolar-Be-wegung, Ökumenisches Lebenszentrum, einen ökumeni-schen Schwesternkreis, die GeistlicheGemeindeerneuerungin der Evangelischen Kirche, bruderschaftliche Kreise,Christen in der Wirtschaft und christliche Geschäftsleute,

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Leitergebet, Wächtergebet, Evangelische Allianz und dieCharismatische Erneuerung in der Katholischen Kirche.Man wollte sich künftig im Sinn einer besseren und um-fassenderen Vernetzung regelmäßig einmal jährlich tref-fen. Zusätzlich sollte ein jährlicher „Tag zur Einheit" fürMitglieder aus diesen Netzwerken stattfinden.

Worum es gehen soll

Ein paar Sätze aus dem dafür erarbeiteten Leitbildmögen illustrieren, worum es dabei geht. Als Ziele sinddort u.a. genannt: „Wir wollen mitwirken, dass sich dasVolk Gottes sammelt, um Gott zu loben und Ihm Ehre zugeben. ... Wir wollen das gemeinsame öffentliche Zeug-nis des Evangeliums fördern. Wir wollen dazu beitragen,dass die Christen vor Ort Salz und Licht in Stadt und Ge-sellschaft sein können."

Wie sollte das geschehen? „Die Verantwortlichen derverschiedenen organisch gewachsenen Netzwerke inStadt und Region verbinden sich. Darunter verstehen wirPersonen, die Netze über ihr ‘eigenes Zuhause’ hinausbetreiben. Die einzelnen Netzwerke stellen sich gegen-seitig vor. Gemeinsam beobachten wir die Entwicklun-gen in Stadt und Land." Etwas später wird noch gesagt:„Wir sind offen für gemeinsame Aktionen, lassen unsaber immer frei, was die Beteiligung angeht."

Was sich entwickelt hat

In den vier Jahren, seitdem diese Treffen stattfinden, istdas Bewusstsein des im dreieinigen Gott begründetengrößeren Miteinanders gewachsen. Von den Treffen die-ser Verantwortlichen, besonders aber dem „Tag zur Ein-heit" mit jeweils 60 bis 80 Teilnehmern ist Ermutigungausgegangen. Bewusst wurden Themen behandelt, diemit dem Reich Gottes zu tun haben und zur konkretenSituation vor Ort in Verbindung gebracht wurden. Bei-spiele sind „Dein Reich komme - das Evangelium vom

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Reich den Städten", „Dein Reich komme, dein Wille ge-schehe", „Der ganze Jesus und das ganze Reich". DieseThemen wurden aufgefächert mit dem Blick in den per-sönlichen Bereich, in die Kirche und Gemeinden und indie Gesellschaft. Außerdem gab es Informationen mit-tels einer Präsentation zu bestehenden Gruppen und In-itiativen in Stadt und Region. Bereits Bestehendes wiez.B. ein Fest zur Ehre Gottes mit einem gemeinsamenGottesdienst auf der Freilichtbühne wurde von einem Teildes Gesamtnetzwerkes verantwortet. Dessen Kollektezugunsten einer Initiative, die das soziale Miteinander inder Stadt fördert, haben öffentlich die Verantwortung vonChristen für die Stadt dokumentiert. Zugleich konnteNeues, das von einem Teilnetzwerk angestoßen und ver-antwortet wurde, im Bewusstsein des großen Miteinan-ders wesentlich breiter als üblich unterstützt werden. Sowurde eine große Pro-Christ- Regional-Veranstaltungvon der Evangelischen Allianz her in diesem Netzwerkeingebunden und somit auch von römisch- katholischenKreisen unterstützt.

Die Erfahrung zeigt aber auch, dass es für Verantwortli-che nicht leicht ist, über den gegebenen ursprünglichenBereich hinaus das Größere und Ganze im Sinn derReich- Gottes-Dimension im Auge zu behalten. Darüberhinaus sind noch sehr viele Gesellschaftsbereiche zuwenig in diesem Kreis präsent, um die ganze Breite desLebens wenigstens annähernd abzubilden. Dennoch istes ein Hoffnungszeichen.

Weitere Beispiele

So ähnlich ereignet sich momentan in verschiedenenStädten und Orten etwas mit diesem größeren Horizont.Die Initiative „Gemeinsam - für ..." ist ein Beispiel. In Ber-lin und weiteren Städten und Orten Deutschlands sindsolche Vernetzungen entstanden oder im Entstehen. Ihrspezielles Anliegen ist „die Förderung der Einheit derChristen einer Stadt mit dem Ziel, alle Menschen und

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Bereiche der Stadt mit dem Evangelium erreichen zu hel-fen." Der wesentliche Wurzelgrund, die unerlässlicheKraftquelle dafür ist das absichtslose gemeinsameLeben in der Gemeinschaft des dreieinigen Gottes.

Walter Goll

[Das erwähnte Buch: Keith Warrington, „Das Reich Got-tes, Die Vision wiedergewinnen", Lüdenscheid 2011]

Das Reich Gottes ist mitten unter euch

„Die Welt ist voll der Wunden Gottes und Seiner gering-sten Brüder. Jeder, der sich entzieht, tut der Liebe weh.In allem Elend aber erwartet uns Jesus. Und wo Er ist, istdie Hoffnung der Welt."

So schrieben 1970 Brüder der Kommunität Christusträ-ger, die in den 60er Jahren in Bensheim/Hessen auseinem Jugendkreis innerhalb der evangelischen Kirchegewachsen waren. Bereits 1963 reisten die erstenSchwestern nach Pakistan aus, um dort unter Lepra-kranken zu arbeiten. In der Folgezeit entstanden weitereAuslandsstationen. Heute leben und arbeiten Schwe-stern und Brüder an mehreren Standorten in Deutsch-land, in der Schweiz, in Pakistan, Afghanistan,Indonesien, Brasilien, Argentinien und im Kongo.

In diesem Jahr feiert die Kommunität ihr 50jähriges Be-stehen. Wir drucken im Folgenden Auszüge aus einemBericht der Brüder aus Kabul/Afghanistan vom April die-ses Jahres ab.

„Vor dreißig Jahren begannen wir technische Geräte undKrankenhaustechnik in der afghanischen HauptstadtKabul zu reparieren.

Zur Zeit der russischen Besatzung waren wir aus demWesten nicht gerade willkommen; es erforderte Wach-

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samkeit und Umsicht, sich so zu verhalten, dass unsereVisa wieder verlängert wurden. Nach dem Abzug der So-wjetarmee 1989 lockerte sich die Atmosphäre, es wurdemöglich, Lehrlinge auszubilden.

Nachdem im Jahr 1992 die Mudschaheddin Kabul be-setzten, wurden in den nächsten vier Jahren zwei Drittelder Stadt in Schutt und Asche gelegt; auch um unsereWerkstatt herum gingen ca. 300 Raketen und Granatennieder.

Viele Handwerker waren ohne Beschäftigung auf derStraße; ich holte sie in die Werkstatt, sie waren froh umihren neuen Arbeitsplatz. Nach einiger Zeit war die ge-samte Stromversorgung in Kabul für drei Jahre zusam-mengebrochen. Wir machten es zu unserer Aufgabe, dieNotstromaggregate der Hospitäler funktionstüchtig zuerhalten. Die Präsenz von uns Brüdern und von den Klei-nen Schwestern von Jesus waren in dieser Zeit für vieleMenschen in Kabul ein Lichtblick. Die Gegenwart Gottesund die unzähligen Bewahrungen in Gefahr waren un-sere innere Stärkung.

Nach 2002 strömten viele Hilfsorganisationen ins Land.Misereor aus Aachen war bereit, unsere Arbeit zu unter-stützen und speziell unsere Lehrlingsausbildung zu för-dern. So nahmen wir vermehrt die Ausbildung vonLehrlingen im Metallberuf ins Programm auf. Gute Lehr-linge bekommen nach der Ausbildung einen gebrauch-ten Werkstattcontainer mit Drehbank, Schweißgerät undGenerator ausgerüstet und werden in den Basar entlas-sen. Die Maschinen und Werkzeuge sind Geschenke vondeutschen Freunden aus dem Metallhandwerk, die aufdiese Weise ganz besonders viel Frucht tragen.

Vor kurzem war wieder so eine schöne Übergabe. Da ge-rade wieder ein leerer Container auf dem Hof stand, riefich den Betriebsrat, das sind die langjährigen Mitarbei-ter, zusammen, sie sollten den Kandidaten aussuchen,

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der die nächste Containerwerkstatt bekommen sollte.Die Wahl fiel einstimmig auf Issa Mohammed. Er kam alsHilfsarbeiter vor ca. 7 Jahren zu uns. Mein Stellvertreterentdeckte in ihm die Begabung fürs Klempnerhandwerk.Sein oftmals trauriges Gesicht spiegelte den Schattenseiner schweren Vergangenheit wider. Wir riefen ihn zuuns und berichteten ihm, dass seine afghanischen Kol-legen einstimmig beschlossen hatten, dass er die näch-ste Werkstatt mit Klempnerausstattung bekommensollte. Sein Gesicht begann zu leuchten. Nach Feier-abend ging er nicht nur über den Hof, nein, er schwebtebeinahe vor Glück und ging erhobenen Hauptes nachHause, um seiner 13-köpfigen Familie die Neuigkeit mit-zuteilen. Den Container richtete er selber unter unsererAnleitung ein. Er hat Söhne, die er in sein neues Ge-schäft einarbeiten kann und wohnt in einem Neubauge-biet, wo seine Dienste gefragt sind. Wenn ich erlebendarf, dass es wieder einer geschafft hat, ist das für michdie größte Belohnung aller Mühen. Nach so vielen Jah-ren darf ich beobachten, dass die Containerwerkstatt-chefs ihrerseits Gutes tun, z.B. für ihre Mitarbeiter dasBrennmaterial für den Winter finanzieren. Einer hatte ge-rade gutes Geld von einem Auftrag eingenommen und fi-nanzierte einer armen Familie für einen Monat dieLebensmittel. Ein anderer brachte geistig behindertenFrauen, die von einer Ordensschwester betreut werden,spontan etliche Flaschen Coca Cola mit, was große Be-geisterung bei den Patientinnen auslöste."

Unzählige solcher und ähnlicher Reich-Gottes-Erfahrun-gen sind in den Berichten der Schwestern und Brüderseit Beginn ihrer Tätigkeit zu lesen. Eine Schwester ausPakistan fasst es so zusammen: „Ich danke Gott, dasswir als Schwestern- und Bruderschaft Teil Seines Rei-ches sind, welches Er schon hier mitten unter uns undmit uns baut, und dass das Eigentliche noch kommt."

zusammengestellt von Sr. Dorothea Vosgerau

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Reich Gottes: Leben aus dem Geist - geistvoll leben

Das Bild von der Königsherrschaft Gottes war eine derklassischen Weisen Israels, über das Verhältnis zwischenjener geistigen und dieser Welt zu sprechen. Wenn manvon Gott als einem König sprach, dann sprach man zu-gleich von der Macht der anderen Welt, die in der irdi-schen wirksam sei: so etwa bei der Schöpfung, inentscheidenden Augenblicken der Geschichte (zum Bei-spiel beim Auszug aus Ägypten und bei der Rückkehraus dem Exil) und am Ende der Zeit.

Das Königtum Gottes kennt ein Königreich, das in dieGegenwart hineinreicht und am Ende der Geschichte zurVollendung kommt. In der Gegenwart wird das Reich ausjenen gebildet, die sich der göttlichen Herrschaft unter-stellt und das königliche Joch auf sich genommenhaben. Am Ende wird das ewige Reich des Friedens, derGerechtigkeit und des Freudenmahls anbrechen.

Die Geschichte vom Reich Gottes setzt also die Weltender Urüberlieferung am Beginn (Gott und Schöpfung),der Geschichte und des Endes (Weltuntergang) mitein-ander in Beziehung.Jesus übernahm das Bild vom Kö-nigtum Gottes und seinem Reich, um deutlich zumachen, was sein öffentliches Auftreten bedeutet. AlsDämonenaustreiber sprach er vom Reich Gottes als derGeisteskraft, die ihn durchdrang: Wenn ich durch denGeist Gottes Dämonen austreibe, dann ist das ReichGottes zu euch gekommen. Er bezeichnet seine Zeit alsdie, in der die königliche Macht am Werke ist: Das ReichGottes ist gekommen, es ist nahe. Er sprach vom Got-tesreich als einer gegenwärtigen Gemeinschaft, in dieman jetzt eingehen und um die man beten soll: DeinReich komme. Und, wie die Tradition vor ihm, sprach ervon ihr als dem kommenden Reich, zu dem viele vonOsten und Westen hinströmen werden, um mit Abraham,Isaak und Jakob Mahl zu halten.Für Jesus war die Bildwelt vom Gottesreich die Mög-

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lichkeit, über die Kraft des Geistes und das neue Leben,das er schaffte, zu reden. Das Kommen des Gottesrei-ches ist das Kommen des Geistes, und zwar in dasLeben jedes Einzelnen und in die Geschichte insgesamt.In das Reich Gottes eingehen heißt: am Leben des Gei-stes teilhaben, auf den Weg geleitet werden, den Jesuslehrte und der er selber war.

nach Marcus J.Borg[Jesus, der neue Mensch, Freiburg 1993, S.224f]