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Gefässchirurgie 2013 · 18:728–730 DOI 10.1007/s00772-013-1255-0 Online publiziert: 14. November 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 M. Werthern Rechtsanwalt, München „Off label use“ von  Gefäßprothesen Dokumentation, Aufklärung, Haftung Gefäßprothesen müssen als Medizinpro- dukte zugelassen sein. Sie gehören nach der EU-Richtlinie 93/42 zur höchsten Si- cherheitsstufe Klasse III. Die Zulassung erfolgt für den in der Gebrauchsanwei- sung festgelegten Verwendungszweck. Unter „off label use“ versteht man den Einsatz eines zugelassenen Medizinpro- duktes bei Indikationen, für die es nicht zugelassen ist. Der zulassungsüberschrei- tende Einsatz kann sich auf Indikation, Anwendungsverfahren, Patientengut, Morphologie oder auf Kontraindikatio- nen beziehen. Wird hingegen ein nicht zugelassenes Medizinprodukt eingesetzt, spricht man vom „unlicened use“. Anwendungsgrundsätze „off label use“ Der „off label use“ ist nur zulässig, wenn F die Zulassungsüberschreitung medi- zinisch erforderlich ist, weil bei an- derweitiger, zulassungskonformer Anwendung des Medizinprodukts der Heilerfolg nicht oder nur mit größe- ren Risiken für den Patienten erreich- bar ist, F eine allgemein anerkannte, dem me- dizinischen Standard entsprechende, zulassungskonforme Therapie in der speziellen Fallkonstellation nicht zur Verfügung steht, F eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht, F bei nicht schwerwiegenden, lebensbe- drohlichen Erkrankungen die Wirk- samkeit im nicht zugelassenen An- wendungsbereich wissenschaftlich nachgewiesen ist. Vor der Behandlung muss eine auf den Patienten bezogene Analyse erfolgen. Die Schwere der Erkrankung und ihr poten- zieller Heilungsverlauf sind zu berück- sichtigen sowie Chancen und Risiken gegenüber dem voraussichtlichen Nutzen abzuwägen. Fehlt bei dem zulassungs- überschreitenden Einsatz von Medizin- produkten im Einzelfall die wissenschaft- liche Fundierung und Anerkennung in der Praxis, bewegen wir uns außerhalb des Facharztstandards und damit haf- tungsrechtlich auf unsicherem Boden; es handelt sich um einen individuellen Heil- versuch als Unterfall des „off label use“. „Off label use“ bei Kombination von Produkten unterschiedlicher Hersteller? Liegt in der Kombination der Endopro- these der Firma X mit der Endoprothese der Firma Y ein „off label use“ vor, wenn in der Gebrauchsanweisung des Haupt- körpers nur die Kombination mit einer Verlängerung des gleichen Herstellers vorgesehen ist? Die Antwort hängt davon ab, ob es sich bei Hauptkörper- und Extenderprothesen um F eigenständige aber kombinierba- re Produkte mit CE-Kennzeichnung oder F um Medizinprodukte als Teil eines Systems bzw. einer Behandlungsein- heit handelt. Eigenständige aber kombinierbare Medi- zinprodukte (Beispiel Spritze und Kanü- le) können verbunden werden, wenn bei- de Produkte über eine CE-Kennzeich- nung und eine EU-Konformitätserklä- rung verfügen. Das gleiche gilt für Medizinprodukte, die Teil eines Systems bzw. einer Behand- lungseinheit sind, wenn ihre Verbindung nach der Zweckbestimmung der einzel- nen Komponenten zulässig ist. In der Praxis überwiegen die Fälle, in denen der marktbeherrschende Herstel- ler A zur Sicherung des Absatzes seiner Produktpalette eine Kombinationsmög- lichkeit mit Fremdkomponenten aus- schließt und der Hersteller B als Wettbe- werber eine Konformitätserklärung für die Zusammensetzung und Systemfähig- keit seiner Komponenten vorlegt. Hier lautet die Empfehlung, sich bei unterschiedlichen oder sich widerspre- chenden Aussagen in den Gebrauchsan- weisungen der einzelnen Komponenten von den jeweiligen Herstellern eine Er- klärung über die sicherheitstechnisch un- bedenkliche Kombinierbarkeit der Kom- ponenten zu einem System vorlegen zu lassen. Dadurch geht die Verantwortung für die Verbindung der Komponenten auf denjenigen Hersteller über, der die gefor- derte Erklärung abgibt. Dokumentation und Aufklärung beim „off label use“ Die Behandlungsalternativen und die für einen „off label use“ sprechenden Erwä- gungen sind umfassend zu dokumentie- ren, damit ein medizinischer Sachver- 728 | Gefässchirurgie 8 · 2013 Rechtsfragen für Gefäßmediziner

„Off label use“ von Gefäßprothesen; Off label use of vascular prostheses;

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Gefässchirurgie 2013 · 18:728–730DOI 10.1007/s00772-013-1255-0Online publiziert: 14. November 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

M. WerthernRechtsanwalt, München

„Off label use“ von GefäßprothesenDokumentation, Aufklärung, Haftung

Gefäßprothesen müssen als Medizinpro-dukte zugelassen sein. Sie gehören nach der EU-Richtlinie 93/42 zur höchsten Si-cherheitsstufe Klasse III. Die Zulassung erfolgt für den in der Gebrauchsanwei-sung festgelegten Verwendungszweck.

Unter „off label use“ versteht man den Einsatz eines zugelassenen Medizinpro-duktes bei Indikationen, für die es nicht zugelassen ist. Der zulassungsüberschrei-tende Einsatz kann sich auf Indikation, Anwendungsverfahren, Patientengut, Morphologie oder auf Kontraindikatio-nen beziehen. Wird hingegen ein nicht zugelassenes Medizinprodukt eingesetzt, spricht man vom „unlicened use“.

Anwendungsgrundsätze „off label use“

Der „off label use“ ist nur zulässig, wenn Fdie Zulassungsüberschreitung medi-

zinisch erforderlich ist, weil bei an-derweitiger, zulassungskonformer Anwendung des Medizinprodukts der Heilerfolg nicht oder nur mit größe-ren Risiken für den Patienten erreich-bar ist,

Feine allgemein anerkannte, dem me-dizinischen Standard entsprechende, zulassungskonforme Therapie in der speziellen Fallkonstellation nicht zur Verfügung steht,

Feine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht,

Fbei nicht schwerwiegenden, lebensbe-drohlichen Erkrankungen die Wirk-samkeit im nicht zugelassenen An-

wendungsbereich wissenschaftlich nachgewiesen ist.

Vor der Behandlung muss eine auf den Patienten bezogene Analyse erfolgen. Die Schwere der Erkrankung und ihr poten-zieller Heilungsverlauf sind zu berück-sichtigen sowie Chancen und Risiken gegenüber dem voraussichtlichen Nutzen abzuwägen. Fehlt bei dem zulassungs-überschreitenden Einsatz von Medizin-produkten im Einzelfall die wissenschaft-liche Fundierung und Anerkennung in der Praxis, bewegen wir uns außerhalb des Facharztstandards und damit haf-tungsrechtlich auf unsicherem Boden; es handelt sich um einen individuellen Heil-versuch als Unterfall des „off label use“.

„Off label use“ bei Kombination von Produkten unterschiedlicher Hersteller?

Liegt in der Kombination der Endopro-these der Firma X mit der Endoprothese der Firma Y ein „off label use“ vor, wenn in der Gebrauchsanweisung des Haupt-körpers nur die Kombination mit einer Verlängerung des gleichen Herstellers vorgesehen ist?

Die Antwort hängt davon ab, ob es sich bei Hauptkörper- und Extenderprothesen um Feigenständige aber kombinierba-

re Produkte mit CE-Kennzeichnung oder

Fum Medizinprodukte als Teil eines Systems bzw. einer Behandlungsein-heit handelt.

Eigenständige aber kombinierbare Medi-zinprodukte (Beispiel Spritze und Kanü-le) können verbunden werden, wenn bei-de Produkte über eine CE-Kennzeich-nung und eine EU-Konformitätserklä-rung verfügen.

Das gleiche gilt für Medizinprodukte, die Teil eines Systems bzw. einer Behand-lungseinheit sind, wenn ihre Verbindung nach der Zweckbestimmung der einzel-nen Komponenten zulässig ist.

In der Praxis überwiegen die Fälle, in denen der marktbeherrschende Herstel-ler A zur Sicherung des Absatzes seiner Produktpalette eine Kombinationsmög-lichkeit mit Fremdkomponenten aus-schließt und der Hersteller B als Wettbe-werber eine Konformitätserklärung für die Zusammensetzung und Systemfähig-keit seiner Komponenten vorlegt.

Hier lautet die Empfehlung, sich bei unterschiedlichen oder sich widerspre-chenden Aussagen in den Gebrauchsan-weisungen der einzelnen Komponenten von den jeweiligen Herstellern eine Er-klärung über die sicherheitstechnisch un-bedenkliche Kombinierbarkeit der Kom-ponenten zu einem System vorlegen zu lassen. Dadurch geht die Verantwortung für die Verbindung der Komponenten auf denjenigen Hersteller über, der die gefor-derte Erklärung abgibt.

Dokumentation und Aufklärung beim „off label use“

Die Behandlungsalternativen und die für einen „off label use“ sprechenden Erwä-gungen sind umfassend zu dokumentie-ren, damit ein medizinischer Sachver-

728 |  Gefässchirurgie 8 · 2013

Rechtsfragen für Gefäßmediziner

ständiger die getroffene Entscheidung ex post als medizinisch geboten nachvollzie-hen kann.

Der Patient ist über den zulassungs-überschreitenden Einsatz des Medizin-produkts und über die damit verbunde-nen bekannten wie unbekannten Risiken aufzuklären und ausdrücklich darauf hin-zuweisen, dass unbekannte Risiken der-zeit nicht auszuschließen sind, damit er abwägen kann, ob er nach der herkömm-lichen Methode mit bekannten oder we-gen der in Aussicht gestellten Vorteile nach der neuen Methode mit unbekann-ten Risiken behandelt werden will.

Beim „off label use“ entfällt die Pro-dukthaftung des Herstellers. Ob die Kran-kenversicherung des Patienten die durch „off label use“ verursachten Behandlungs-kosten erstattet, kann zweifelhaft sein. Auf beides ist der Patient hinzuweisen.

Schließlich sollte der Inhalt des Aufklä-rungsbogens um die Inhalte ergänzt wer-den, über die nach der Gebrauchsanleitung des Herstellers der Patient zusätzlich aufzu-klären ist. Zum Beispiel sind nach der Ge-brauchsanleitung für eine Gefäßprothese Patienten darüber aufzuklären, dass nach endovaskulären Behandlungen lebenslan-ge, regelmäßige Nachkontrollen erforder-lich sind, um den Gesundheitszustand des Patienten und Sitz und Verhalten der Ge-fäßprothese beurteilen zu können. Im gän-gigen Aufklärungsbogen BAA fehlt hin-gegen der Hinweis auf notwendige Nach-sorgeuntersuchungen nach Implantat der Endoprothese.

Erweist sich die vorgesehene, nach den jeweiligen Zweckbestimmungen un-bedenkliche Kombination von Gefäßpro-thesen intraoperativ aus medizinischen Gründen als nicht möglich oder wäre sie für den Patienten nachteilig, so ist der „off label use“ ohne Unterbrechung der Ope-ration zur gesonderten Aufklärung des Patienten und/oder Einholung der Kon-formitätserklärung zulässig, wenn zu dem gewählten Verfahren keine andere Behandlungsalternative ernsthaft in Be-tracht zu ziehen ist.

Haftung

Für Folgen eines Produktfehlers haftet der Hersteller. Ihm gegenüber gilt der glei-che Vertrauensgrundsatz wie unter Ärz-

ten verschiedener Fachrichtungen. Auf die Fehlerfreiheit des Medizinproduktes kann der Arzt vertrauen, eine besonde-re Prüfungspflicht besteht nicht. Die Pro-dukthaftung des Herstellers entfällt, wenn von den Vorgaben in der Gebrauchsan-leitung unter der Überschrift „Verwen-dungszweck“ abgewichen wird.

Der Verwendungszweck bestimmt die Grenzen des Einsatzes der Gefäßprothe-se. Die Überschreitung der Grenzen ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Ver-wendung der Prothese trotz Toleranzab-weichung von den Herstellervorgaben bei den anatomischen Gegebenheiten des Pa-tienten wissenschaftlich als vertretbar an-gesehen wird und endovaskuläre Alterna-tiven oder das offen-chirurgische Verfah-ren aus dokumentierten nachvollziehba-ren Gründen nicht in Betracht kommen.

Ausblick

Um die Legitimationsgrundlage durch wissenschaftliche Absicherung für nach-folgende Fälle zu erreichen, sollte der ein-zelne Off-label-use-Fall wissenschaft-lich aufbereitet werden. Ohne Systema-tisierung bleiben die Erkenntnisse aus dem „off label use“ auf den Einzelfall be-schränkt und gewinnen keine wissen-schaftliche Anerkennung.

Eine bei der DGG oder dem Bundes-institut für Arzneimittel und Medizinpro-dukte (BfArM) angesiedelte Clearing-Stelle könnte die wissenschaftliche Aufbereitung des „off label use“ übernehmen. Verbindet man die Meldung von Off-label-use-Fällen mit einer Haftungsfreistellung des behan-delnden Arztes, so würde das sicherlich zur gewünschten wissenschaftlichen Aufberei-tung der Anwendungsfälle und damit zum medizinischen Fortschritt beitragen.

Korrespondenzadresse

M. WerthernRechtsanwaltKeplerstraße 1, 81679 Mü[email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  M. Werthern gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Entzündliches Rheuma erhöht Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko

Patienten, die an rheumatoider Arthritis 

(RA) leiden sterben im Durchschnitt 5-10 

Jahre früher als Nicht-Betroffene. Ein Grund 

für die geringere Lebenserwartung sind Be-

gleiterkrankungen von Herz und Gefäßen, 

an denen Menschen mit entzündlichem 

Rheuma doppelt so häufig leiden wie ge-

sunde Menschen.

„Am besten beugen RA-Patienten Gefäß-

Komplikationen vor, indem die Krank-

heitsaktivität therapeutisch unterdrückt 

wird“, betont Prof. Dr. Hanns-Martin Lorenz, 

Tagungspräsident der DGRh vom Univer-

sitätsklinikum Heidelberg. Darüber hinaus 

sei es wichtig, dass sie alle anderen Risiko-

faktoren für eine Herzerkrankung oder eine 

Arteriosklerose vermeiden. Dazu gehören 

insbesondere Rauchen und Übergewicht. 

Denn das metabolische Syndrom ist bei RA-

Patienten weit verbreitet. „Hinzu kommt, 

dass viele keinen oder zu wenig Sport 

treiben“, mahnt Lorenz. All dies wiederum 

erhöht die Gefahr, einen Schlaganfall oder 

einen Herzinfarkt zu erleiden. 

Der Rheumatologe empfiehlt die vorbeu-

gende Behandlung sämtlicher Risikofak-

toren: Blutdruck- und Blutzuckerkontrolle, 

Cholesterinsenkung, Bekämpfung von 

Adipositas sowie eine Raucherentwöh-

nung. Ferner rät Lorenz bei Patienten, die 

ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Er-

krankungen haben, zu einem möglichst 

geringen Einsatz von nicht-steroidalen 

Antirheumatika (NSAR) und Glukokorti-

koiden. Diese Medikamente wirken bei 

RA-Patienten zwar entzündungshemmend 

und schmerzlindernd, sie stehen aber auch 

unter Verdacht, das kardiovaskuläre Risiko 

zu erhöhen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft

für Rheumatologie e.V.,

www.dgrh.de

Fachnachrichten

729Gefässchirurgie 8 · 2013  |