5
Zusammenfassung Osteogenesis imperfekta (OI) ist eine erbliche Erkrankung mit erhöhter Kno chenbrüchigkeit, niedriger Knochen masse, sowie assoziierten Sympto men wie blaue Skleren, Dentinogene sis imperfekta und Überstreckbarkeit der Gelenke. Die traditionelle Klassifi zierung unterscheidet vier Phänoty pen (OI Typ I bis IV). In den vergange nen Jahren wurden zusätzlich drei Gruppen von OI Patienten identifiziert, deren Krankheitsbilder klinische und knochenhistologische Besonderheiten aufwiesen. Diese Entitäten wurden mit OI Typ V, VI und VII bezeichnet. Die Mehrheit der nach klinischen Kriterien diagnostizierten OI Patienten tragen eine Mutation in einem der beiden Gene, die für Alphaketten von Kolla gen Typ I kodieren (COL1A1 und COL1A2). Die OI Typen V bis VII sind allerdings nicht durch Kollagendefek te bedingt; die ursächlichen Gende fekte sind derzeit noch unbekannt. Schlüsselwörter Kollagen Typ I, Osteoblasten, Osteo genesis Imperfekta Osteogenesis Imperfecta: Clinical, Genetic and Pathogenetic Aspects Summary OI is a hereditary disorder with in creased bone fragility, low bone mass and associated symptoms such as blue sclera, dentinogenesis imper fecta and joint hyperlaxity. The tradi tional classification distinguishes four phenotypes (OI I to IV). In recent years three additional groups of OI patients have been identified, who have characteristic clinical and bone histological features. These entities were named OI type V, VI and VII. The majority of patients with a clinical diagnosis of OI carry a mutation in one of the two genes that code for collagen type I alpha chains (COL1A1 and COL1A2). However, OI types V to VII are not due to collagen defects and the causative gene abnormality is unknown at present. Key Words Collagen Type I, Osteoblasts, Osteogenesis Imperfecta Osteogenesis imperfekta (OI) ist eine erbliche Erkrankung mit erhöhter Knochenbrüchigkeit und niedriger Knochenmasse. Der Schweregrad der Erkrankung ist sehr variabel und reicht von intrauterinen Frakturen mit perinatalem Tod bis zu sehr milden Formen ohne Frakturen. Typische extraskelettäre Krankheitserscheinun gen sind häufig, aber nicht immer, zu finden. Diese sind blaue Skleren, Dentinogenesis imperfekta, Über streckbarkeit von Gelenken, Über dehnbarkeit der Haut, Schwerhörig keit und Schaltknochen im Schädel Röntgenbild. Die Mehrheit der nach klinischen Kriterien diagnostizierten OI Patienten tragen eine Mutation in einem der beiden Gene, die für Al phaketten von Kollagen Typ I kodie ren (COL1A1 und COL1A2). Diagnose und Klassifizierung Klinische Diagnose einer OI Die klinische Diagnose einer OI ba siert haupsächlich auf den oben auf gezählten Symptomen. Traditioneller weise wird blauen Skleren und Denti nogenesis imperfekta viel diagnosti sche Bedeutung beigemessen. Dabei sind aber einige Einschränkungen zu beachten. Dunkle oder bläuliche Skle ren finden sich sehr häufig auch bei gesunden Säuglingen, so dass die sem Befund in dieser Altersgruppe kaum diagnostischer Wert zukommt. Dentinogenesis imperfekta ist häufi ger in Milchzähnen als im Erwachse nengebiss. Auch wenn die Zähne bei Inspektion normal erscheinen, zeigen radiologische oder histologische Genetik der Skelettdysplasien 23 medgen 16 (2004) Osteogenesis Imperfekta: Klinische, Genetische und Pathogenetische Aspekte Frank Rauch Genetics Unit, Shriners Hospital for Children and McGill University, Montréal, Québec, Canada

Osteogenesis Imperfekta: Klinische, Genetische und ... · Osteogenesis Imperfecta Osteogenesis imperfekta (OI) ist eine erbliche Erkrankung mit erhöhter Knochenbrüchigkeit und niedriger

  • Upload
    lamdat

  • View
    233

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

ZusammenfassungOsteogenesis imperfekta (OI) ist eineerbliche Erkrankung mit erhöhter Kno�chenbrüchigkeit, niedriger Knochen�masse, sowie assoziierten Sympto�men wie blaue Skleren, Dentinogene�sis imperfekta und Überstreckbarkeitder Gelenke. Die traditionelle Klassifi�zierung unterscheidet vier Phänoty�pen (OI Typ I bis IV). In den vergange�nen Jahren wurden zusätzlich dreiGruppen von OI Patienten identifiziert,deren Krankheitsbilder klinische undknochenhistologische Besonderheitenaufwiesen. Diese Entitäten wurden mitOI Typ V, VI und VII bezeichnet. DieMehrheit der nach klinischen Kriteriendiagnostizierten OI Patienten trageneine Mutation in einem der beidenGene, die für Alphaketten von Kolla�gen Typ I kodieren (COL1A1 undCOL1A2). Die OI Typen V bis VII sindallerdings nicht durch Kollagendefek�te bedingt; die ursächlichen Gende�fekte sind derzeit noch unbekannt.

SchlüsselwörterKollagen Typ I, Osteoblasten, Osteo�genesis Imperfekta

Osteogenesis Imperfecta: Clinical, Genetic and PathogeneticAspects

Summary OI is a hereditary disorder with in�creased bone fragility, low bone massand associated symptoms such asblue sclera, dentinogenesis imper�fecta and joint hyperlaxity. The tradi�tional classification distinguishes fourphenotypes (OI I to IV). In recentyears three additional groups of OIpatients have been identified, whohave characteristic clinical and bonehistological features. These entitieswere named OI type V, VI and VII. Themajority of patients with a clinicaldiagnosis of OI carry a mutation inone of the two genes that code forcollagen type I alpha chains (COL1A1and COL1A2). However, OI types V toVII are not due to collagen defectsand the causative gene abnormality isunknown at present.

Key WordsCollagen Type I, Osteoblasts, Osteogenesis Imperfecta

Osteogenesis imperfekta (OI) ist eineerbliche Erkrankung mit erhöhterKnochenbrüchigkeit und niedrigerKnochenmasse. Der Schweregrad derErkrankung ist sehr variabel undreicht von intrauterinen Frakturen mitperinatalem Tod bis zu sehr mildenFormen ohne Frakturen. Typischeextraskelettäre Krankheitserscheinun(gen sind häufig, aber nicht immer, zufinden. Diese sind blaue Skleren,Dentinogenesis imperfekta, Über(streckbarkeit von Gelenken, Über(dehnbarkeit der Haut, Schwerhörig(keit und Schaltknochen im Schädel(Röntgenbild. Die Mehrheit der nachklinischen Kriterien diagnostiziertenOI Patienten tragen eine Mutation ineinem der beiden Gene, die für Al(phaketten von Kollagen Typ I kodie(ren (COL1A1 und COL1A2).

Diagnose und Klassifizierung

Klinische Diagnose einer OIDie klinische Diagnose einer OI ba(siert haupsächlich auf den oben auf(gezählten Symptomen. Traditioneller(weise wird blauen Skleren und Denti(nogenesis imperfekta viel diagnosti(sche Bedeutung beigemessen. Dabeisind aber einige Einschränkungen zubeachten. Dunkle oder bläuliche Skle(ren finden sich sehr häufig auch beigesunden Säuglingen, so dass die(sem Befund in dieser Altersgruppekaum diagnostischer Wert zukommt.Dentinogenesis imperfekta ist häufi(ger in Milchzähnen als im Erwachse(nengebiss. Auch wenn die Zähne beiInspektion normal erscheinen, zeigenradiologische oder histologische

Gen

etik

der

Ske

lett

dys

pla

sien

23medgen 16 (2004)

Osteogenesis Imperfekta: Klinische, Genetische und Pathogenetische Aspekte

Frank Rauch

Genetics Unit, Shriners Hospital for Children and McGill University,Montréal, Québec, Canada

Untersuchungen häufig Auffälligkei(ten.

Klinisch manifester Hörverlust ist inden ersten zwei Lebensjahrzehntenselten. Allerdings sind geringgradigeaudiometrische Auffälligkeiten bereitsbei der Mehrheit von Kindern und Ju(gendlichen mit OI nachzuweisen. Eswurde daher empfohlen, nach dem10. Lebensjahr bei OI Patienten alledrei Jahre audiometrische Untersu(chungen durchzuführen (Kuurila,2000). Etwa die Hälfte der Patientenüber 50 Jahre gibt Hörminderung an,und ein noch höherer Anteil erwach(sener OI Patienten haben eindeutigpathologische Befunde in der Audio(metrie (Kuurila, 2002; Paterson,2001).

In aller Regel ist die Diagnosestellungbei der OI einfach, wenn andere Fa(milienmitglieder betroffen sind, oderwenn mehrere typische Befunde vor(liegen. Diagnostische Unsicherheit er(gibt sich aber oft, wenn die Familien(anamnese leer ist, und wenn erhöhteKnochenbrüchigkeit nicht mit offen(sichtlichen extraossären Krankheits(manifestationen einhergeht. DieseUnsicherheit ist auch dadurch be(dingt, dass es keine klinischen Mini(malkriterien gibt, die als beweisendfür eine OI gelten. Daher kommt es innicht dem Vollbild der OI entspre(chenden Fällen häufig zu Diskrepan(zen zwischen verschiedenen Untersu(chern.

In dieser Situation kann die Analyseder Kollagen Typ I Gene hilfreich sein.Mittels einer seit vielen Jahren eta(

blierten Methode kann die von Haut(fibroblasten produzierte Menge undStruktur von Prokollagen Typ I Mole(külen untersucht werden. In einem al(ternativen Verfahren wird DNA ausLeukozyten extrahiert und die kodie(renden Regionen der COL1A1 undCOL1A2 Gene auf Mutationen unter(sucht. Beide Ansätze sollen nahezu90% aller Kollagen Typ I Mutationenentdecken (Marlowe, 2002). Ein posi(tiver Kollagen Typ I Befund bestätigtalso die Diagnose OI. Ein negativesErgebnis lässt aber die Möglichkeitenoffen, dass eine Kollagen Typ I Muta(tion vorhanden ist aber nicht gefun(den wurde, oder dass eine Form derOI vorliegt, die nicht durch KollagenTyp I Mutationen verursacht wird (sie(he unten). Eine negative Kollagen TypI Analyse kann daher eine OI nichtausschließen.

KlassifikationObwohl der klinische Schweregradder OI ein kontinuierliches Spektrumdarstellt, kann die Klassifizierung vonPatienten in verschiedene Typen sinn(voll sein, um die Prognose abzu(schätzen oder die Ergebnisse thera(peutischer Eingriffe zu beurteilen. Dieam häufigsten verwendete Klassifizie(rung wurde von Sillence et al 1979veröffentlicht und unterscheidet vier(Phäno()Typen (Sillence, 1979).

In den letzten Jahren wurden zusätz(lich drei Krankheitsbilder beschrie(ben, die unter klinischen Gesichts(punkten der OI zuzuordnen sind, aberzusätzlich charakteristische Be(sonderheiten aufweisen. Diese Krank(heitsbilder wurden in Anlehnung an

die Sillence(Klassifikation als OI Ty(pen V, VI und VII bezeichnet (Tabelle1) (Glorieux, 2000; Glorieux, 2002;Ward, 2002). Das wichtigste Merkmalaller OI Typen ist Knochenbrüchigkeit,deren Schweregrad in der folgendenReihenfolge zunimmt: Typ I < Typ IV,V, VI, VII < Typ III < Typ II.

OI Typ II ist in aller Regel mit perina(taler Lethalität verbunden. TypischeBefunde sind kurze und oft breit er(scheinende Röhrenknochen mitschweren Deformierungen. Die Rip(pen sind sehr schmall und könnenschon bei Geburt multiple Frakturenaufweisen. Der Thorax ist oft hypo(plastisch. Der Schädel ist sehr weichund zeigt im Röntgenbild nur wenigMineralisation. Unter der Geburt kannes dadurch zu zerebralen Traumenkommen. Die Neugeborenen sind hy(poton und entwickeln meist kurz nachder Geburt ein respiratorisches Versa(gen, das innerhalb von Tagen oderwenigen Wochen zum Tod führt.

OI Typ III ist die schwerste mit demÜberleben zu vereinbarende Form,die bei etwa 1:60000 Lebendgeburtenauftritt. Deformierungen sind be(sonders an den unteren Extremitätenstark ausgeprägt (Abbildungen 1Aund B). Die Mehrzahl der Patientenbleiben daher zur Fortbewegung aufden Rollstuhl angewiesen. Diese Pa(tienten haben extremen Kleinwuchs(Erwachsenengröße oft unter 120cm). Dies ist auch dadurch bedingt,dass die Wachstumsfugen aufgrundder geringen Stabilität des umgeben(denden Knochens zerbrechen kön(nen, was zur sogenannten Popcorne(

Gen

etik

der

Ske

lett

dys

pla

sien

24 medgen 16 (2004)

Abb 1 Knochendeformie#rungen bei schwerer OIA. Klinischer AspektB. Typische radiologische

Befunde an den unterenExtremitäten: DünneKortikalis der langenRöhrenknochen, Pop(cornepiphysen, Protru(sio acetabuli

C. Kompressionsfrakturenaller Lendenwirbelkörper

Abb 2 Lamellierungmuster im kindlichen Knochengewebe. Beim OI Typ I sind die Lamellen etwas dünner alsbei Kontrollpersonen ohne Knochenerkrankung. Bei den OI Typen III und IV sind die Lamellen leichtunregelmäßig. Der OI Typ V weist ein Geflecht(muster auf, während der OI Typ VI durch ein„Fischschuppenmuster“ gekennzeichnet ist.

piphyse führt (Abbildung 1B). Fastalle Patienten entwickeln bis zum 7.Lebensjahr eine Skoliose, die durchmultiple Wirbelkörperfrakturen be(dingt ist (Abbildung 1C). Dies kann zurespiratorischen Problemen führen,der Haupttodesursache in dieser Pa(tientengruppe. Weitere durch die ex(treme Knochenbrüchigkeit ausgelösteKomplikationen sind Protrusio aceta(buli, die bis zur Rektumkompressionführen kann, sowie die Basilarinvagi(nation. Diese beginnt zunächst mitallgemeinen Symptomen wie Abge(schlagenheit und Schwächegefühl,führt dann aber zu progredienten neu(rologischen Ausfällen.

Patienten mit geringgradigen Kno(chendeformierungen und mäßiggradi(gem Kleinwuchs werden dem OI TypIV zugeordnet. Der Schweregrad derErkrankung liegt also in etwa zwi(schen der OI Typ I und der OI Typ III.Die Frakturinzidenz ist hoch und häu(fig entwickelt sich eine Skoliose.Trotzdem kann die Mehrheit der Pa(tienten mit intensiven Therapiemaß(nahmen freies Gehen erlernen. Der OITyp IV der Sillence(Klassifikation um(fasst im Prinzip alle Patienten, dienicht eindeutig den ersten drei Typenzugeordnet werden können. Bei ei(nem relativ großen Anteil der Patien(ten lassen sich keine das KollagenTyp I betreffende Mutatationen finden.Aus dieser heterogenen Gruppe wur(den kürzlich drei verschiedene Krank(heitsbilder isoliert, die aufgrund vonklinischen und histologischen Be(sonderheiten als eigene Entitäten er(kannt wurden. In Fortführung der Sil(

lence(Nomenklatur wurden sie mit OITyp V, VI und VII bezeichnet.

OI Typ V ist durch mäßig bis stark er(höhte Knochenbrüchigkeit gekenn(zeichnet (Glorieux, 2000). Die Erkran(kung folgt einem autosomal dominan(tem Erbgang, aber Kollagen Typ I Mu(tationen sind bislang nicht gefundenworden. Die interossäre Membranzwischen Radius und Ulna kalzifiziertfrüh, was die Pronation/Supinations(bewegung beeinträchtigt und sekun(där zur Luxation des Radiusköpf(chens führen kann. In der histologi(schen Untersuchung erscheinen dieKnochenlamellen ausgefranst odernetzartig (Abbildung 2). Von klinischerBedeutung ist, dass Patienten mit OITyp V zur Bildung von hyperplasti(schem Kallus neigen, der einem Osteo(sarkom ähneln kann. In unklaren Fäl(len können Magnetresonanz undComputertomographie bei der Unter(scheidung zwischen hyperplasti(schem Kallus und Osteosarkom hilf(reich sein. Im Krankengut des Shri(ners Hospital von Montreal (Kanada)wurde im Verlauf der letzten 15 Jahrein 16 von 364 OI Patienten (4.4%)eine OI Typ V diagnostiziert (unveröf(fentlichte Beobachtung). In Deutsch(land beobachteten Brenner et al.hyperplastischen Kallus bei 10 ihrer209 OI Patienten (4.8%) (Brenner,1993). OI Typ V scheint also 4 bis 5%der in Krankenhäusern behandeltenOI Patienten zu betreffen.

OI Typ VI ist eine Form der OI mit oftschwerem Verlauf (Glorieux, 2002).Dieser OI Typ wurde auf der Grundla(ge spezifischer histologischer Befun(

de definiert, da eine große Menge un(mineralisiertes Osteoid mit einemsehr auffälligen Lamellierungsmuster(‘Fischschuppenmuster’) beobachtetwird (Abbildung 2). Diese histologi(schen Befunde weisen auf einen Mi(neralisationsdefekt hin, obwohl nor(male Serumkonzentrationen von Kal(zium und Phosphor vorliegen. Radio(logische Rachitiszeichen fehlen, wasdafür spricht, dass die Mineralisie(rung von Wachstumsfugen normalverläuft. Der Vererbungsmodus istnoch nicht geklärt und Kollagen Typ IMutationsanalysen sind negativ (Glo(rieux, 2002). OI Typ VI fand sich sichin 8 von 195 OI Patienten (4%) desShriners Hospital, deren Knochenge(webe innerhalb der letzten 15 Jahreuntersucht wurde (unveröffentlichteBeobachtung).

OI Typ VII ist eine rezessive Erkran(kung, die bislang nur in einer Gemein(de im Norden der kanadischen Pro(vinz Quebec beschrieben wurde(Ward, 2002). Neben Knochenbrü(chigkeit ist Rhizomelie ein auffälligerklinischer Befund. Coxa vara kannschon im Säuglingsalter auftreten.Das für diese Erkrankung ursächlicheGen wurde auf Chromosom 3p22(24.1 lokalisiert und liegt demnachaußerhalb der Kollagen Typ I Loci(Ward, 2002).

Differentialdiagnose der OIDie Differentialdiagnose der OI um(fasst eine Reihe von Skeletterkran(kungen (Tabelle 2). Die klinische Ähn(lichkeit des Bruck Syndroms und desOsteoporose(Pseudoglioma Syn(droms mit der OI wird schon dadurch

Gen

etik

der

Ske

lett

dys

pla

sien

25medgen 16 (2004)

Tab 1 Erweiterte Sillence#Klassifikation der OI

Typ Schweregrad Typische Befunde Typische Mutationen

I Mild, nicht(deformierend Normale Körpergröße oder geringgradiger Kleinwuchs; Vorzeitiges Stopkodon in COL1A1blaue Skleren; keine DI

II Perinatal lethal Multiple Frakturen der Rippen und langen Röhrenknochen Glyzinmutationen in COL1A1 bei Geburt; schwerste Deformierungen; niedrige Dichte der oder COL1A2Schädelknochen; dunkle Skleren

III Schwere Deformierungen Extremer Kleinwuchs; Gesicht dreiecksförmig; Glyzinmutationen in COL1A1schwere Skoliose; graue Skleren; DI oder COL1A2

IV Mittelschwere Deformierungen Kleinwuchs; milde bis mittelgradige Skoliose; Glyzinmutationen in COL1A1graue oder weiße Skleren; DI oder COL1A2

V Mittelschwere Deformierungen Kleinwuchs; Luxation des Radiusköpfchens; unbekanntkalzifizierte Membrana interossea des Unterarms; hyperplastischer Kallus; weiße Skleren; keine DI

VI Mittelschwere bis Kleinwuchs; Skoliose; Akkumulation von Osteoid in unbekanntschwere Deformierungen Knochengewebe; Fischschuppenmuster;

weiße Skleren; keine DI

VII Mittelschwere Deformierungen Milder Kleinwuchs; kurze Oberarme und Oberschenkel; unbekanntCoxa vara; weiße Skleren; keine DI

Anmerkung: Die „typischen Mutationen“ können im Einzelfall abwesend oder nicht nachweisbar sein.DI: Dentinogenesis imperfecta

hervorgehoben, dass diese Erkran(kungen auch als ‘OI mit kongenitalenKontrakturen’ und als ‘okuläre Formder OI’ bezeichnet worden sind.

Die panostotische fibröse Dysplasieist eine Extremform der polyostoti(schen fibrösen Dysplasie, bei der alleKnochen betroffen sind. Die idiopathi(sche autosomal rezessive Hyper(phosphatasie, auch als juvenile Pa(get(Krankheit bezeichnet, ist durchdeutlich beschleunigten Knochenum(satz gekennzeichnet. Von der OIunterscheidet sich diese Erkrankungdurch die extrem hohe Serumaktivitätder alkalischen Phosphatase. Die Hy(pophosphatasie hat sehr unterschied(liche klinische Erscheinungsformen,die von Todgeburt mit Fehlen minera(lisierten Knochens bis zu vereinzeltenpathologischen Frakturen im spätenErwachsenenalter reichen. Das Cole(Carpenter Syndrome ist nur in einigenwenigen Patienten beschrieben wor(den, so dass der Vererbungsmodusnoch nicht geklärt ist. Die idiopathi(sche juvenile Osteoporose ist einevorübergehende, erworbene Form derOsteoporose im Kindes( und Jugend(

alter, die typischerweise kurz vor derPubertät beginnt und keine Sympto(me außerhalb des Skelettsystemsverursacht. Zwar ist die Erkrankungnach 3 bis 5 Jahren üblicherweiseselbstlimitierend, doch können Wir(beldeformierungen und funktionelleEinschränkungen persistieren.

Unterscheidung zwischenleichteren Formen der OI und KindesmisshandlungKindesmisshandlung ist eine häufigeUrsache für Frakturen, die vor allemim ersten Lebensjahr auftritt. DieUnterscheidung zwischen leichterenFormen der OI und Kindesmisshand(lung kann schwierig sein, besonderswenn die Familienanamnese für OIleer ist. Knochendichteuntersuchun(gen mittels Dual Energy X(Ray Ab(sorptiometry oder Computertomogra(phie sollen nach Meinung einiger Au(toren in der Differentialdiagnose hilf(reich sein. Der Nutzen solcher Unter(suchungen ist aber schon allein des(halb begrenzt, weil kaum Informatio(nen vorliegen, welche Knochendich(tewerte bei Säuglingen und Kleinkin(dern mit milder OI zu erwarten sind.

In dieser Situation kann eine KollagenTyp I Mutationsanalyse sehr nützlichsein, vorausgesetzt das Ergebnis isteindeutig positiv und somit bewei(send für eine OI (Marlowe, 2002). Um(gekehrt ist ein negativer Befund na(türlich kein Beweis für Kindesmiss(handlung. In vielen Fällen beruht dieUnterscheidung zwischen Kindes(misshandlung und milder OI weiterhinauf sorgfältiger klinischer Untersu(chung und Beurteilung von Röntgen(bildern.

Pathogenese von OI#Formen,verursacht durch Kollagen Typ I Dieser Abschnitt beschränkt sich aufdie Diskussion von OI(Formen, diedurch Kollagen Typ I Mutationen ver(ursacht werden, da über die Pathoge(nese der anderen OI(Formen kaumInformationen vorliegen. Ein KollagenTyp I Molekül besteht aus drei Poly(peptidketten (zwei alpha 1 und einealpha 2 Kette, kodiert im COL1A1( undCOL1A2(Gen), die eine Triplehelix bil(den. Damit sich die drei Ketten kor(rekt zusammenfügen können, muss injeder Kette jede dritte Aminosäurepo(sition mit einem Glyzin besetzt sein. Hunderte von OI verursachende Mu(tationen in COL1A1 und COL1A2 sindbeschrieben. Diese können schema(tisch in zwei Gruppen eingeteilt wer(den (Byers, 2000). Die erste Gruppebesteht aus sogenannten Nullmuta(tionen, die ein vorzeitiges Stopkodonim COL1A1(Gen erzeugen. Diese füh(ren fast immer zu einer OI Typ I. DieTranskriptionsprodukte solcherartmutierter Gene sind üblicherweise un(stabil und werden hydrolysiert. Daherproduzieren Fibroblasten betroffener

Gen

etik

der

Ske

lett

dys

pla

sien

26 medgen 16 (2004)

Tab 2 Skeletterkrankungen mit Ähnlichkeit zur OI

Erkrankung Schwere der Typische Merkmale Vererbung Genetischer DefektKnochenbrüchigkeit/ Deformierungen

Bruck Syndrom ++ bis +++ Angeborene Gelenkkontrakturen AR Telopeptid(Lysylhydroxylase Mangel

Osteoporose(Pseudoglioma Syndrom ++ Angeborene Blindheit AR LRP5

Panostotische fibröse Dysplasie +++ Zystische oder „Milchglas(“ Keine GNAS1Läsionen in allen Knochen (somatische

Mutation)

Idiopathische Hyperphosphatasie +++ Erhöhte alkalische Phosphatase; AR TNFRSF11Bbreite Diaphysen; dicke Schädelknochen

Hypophosphatasie + bis +++ Niedrige alkalische Phosphatase AR, AD TNSALP

Cole(Carpenter Syndrom +++ Kraniosynostose; Exophthalmus Unbekannt Unbekannt

Idiopathische juvenile Osteoporose + bis +++ Nur Skelettsystem betroffen Nicht erblich Unbekannt

AD: Autosomal dominantAR: Autosomal rezessiv+: mild; ++: mittelgradig; +++: schwer

Abb 3 Schematische Darstellungder Auswirkungen von Mutationenim Kollagen Typ I.

Nullmutationen im COL1A1 Gen ver(mindern die Kollagenproduktion umdie Hälfte und führen zum OI Typ I.Punktmutationen in einem Glyzin ver(ändern die Struktur der Kollagentriple(helix, so dass die Aggregation zu Fi(brillen erschwert wird. Solche Mutatio(nen führen zur OI Typ III oder IV.

Individuen nur normale Kollagen TypI Ketten, wobei die produzierte Kolla(genmenge jedoch herabgesetzt ist(Abbildung 3). Nullmutationen imCOL1A2 Gen werden bei OI(Patientennicht beobachtet, was darauf schlie(ßen lässt, dass diese ohne sympto(matische Auswirkungen bleiben.

Die zweite große Gruppe von mit OIassoziierten Mutationen sind Punkt(mutationen in COL1A1 oder COL1A2,die ein Glyzin betreffen (Byers, 2000).Zellen mit einer solchen Mutation bil(den sowohl normales als auch mu(tiertes Kollagen Typ I (Abbildung 3).Der resultierende Phänotyp ist sehrvariabel, und wird davon beeinflusst,welche der beiden Alphaketten be(troffen ist, welche Position in der Tri(plehelix durch die Mutation verändertwird und welche Aminosäure anstellevon Glyzin eingebaut wird. Die Geno(typ(Phänotyp Korrelationen sind der(zeit zu ungenau, um den Phänotyp ei(ner bestimmten Glyzinmutation mitBestimmtheit vorauszusagen.

In den meisten molekularen Studienwurden Hautfibroblasten verwendet,um die Kollagenproduktion zu unter(suchen. Dies geschieht aus prakti(schen Erwägungen, da diese Zellenleicht verfügbar sind. Allerdings be(trifft die OI hauptsächlich den Kno(chen, nicht die Haut. Nur wenig istdarüber bekannt, welche Auswirkun(gen Kollagenmutationen auf Osteo(blasten haben. Einige Autoren fandenaber Unterschiede zwischen Osteo(blasten und Fibroblasten in der post(translationalen Modifizierung von mu(tierten Kollagenmolekülen (Mundlos,1996). Für die große Mehrheit vonMutationen ist unklar, wie Osteobla(sten mutierte Genprodukte verarbei(ten, wieviel mutiertes Protein von derZelle sezerniert wird, und ob mutier(tes Protein in die organische Kno(chenmatrix eingebaut wird.

In Osteoblasten mit einer KollagenTyp I Mutation ist auch das Expres(sionmuster anderer Matrixproteine,wie Proteoglykane, Hyaluronan, De(corin, Fibronectin und Thrombospon(din. Diese Störung der organischenMatrix zieht auch die Mineralphase inMitleidenschaft. Zum Beispiel weistdie oim(Maus – ein Model schwerer

OI – kleinere und weniger einheitlichausgerichtete Mineralkristalle als nor(male Mäuse auf (Grabner, 2001). Esist nicht überraschend, dass dieseStörungen der organischen und mine(ralischen Knochenkomponenten zuveränderten biomechanischen Eigen(schaften führen. Kollagen von oim(Mäusen hat eine herabgesetzte Zug(festigkeit. Mineralisiertes OI Knochen(material ist härter als normaler Kno(chen (Grabner, 2001), bricht aber beiDeformierung leichter und ermüdetschneller. Die Summe dieser Störun(gen erklärt teilweise die erhöhte Kno(chenbrüchigkeit von OI(Knochen. Alsweiterer Faktor kommt hinzu, dassdie OI mit erniedrigter Knochenmas(se einhergeht. Sowohl die Kortikalis(dicke als auch die Menge an trabeku(lärem Knochen ist vermindert.

AusblickObwohl seit über 20 Jahren feststeht,dass die OI in der Mehrheit der Fälledurch Kollagenmutationen verursachtwird, ist bislang weitgehend unklar,wie dieser genetische Defekt zum be(obachteten Phänotyp führt. Währendsich die Grundlagenforschung in derVergangenheit hauptsächlich auf dieintrazellulären Auswirkungen der Mu(tationen konzentriert hat, wird die Er(klärung des Phänotyps nur gelingen,wenn Regelkreise auf übergeordnetenEbenen biologischer Organisation(Gewebe, ganzes Organ) mit ins Kal(kül gezogen werden. Was die „neuen“OI Typen V bis VII betrifft, so gilt eszunächst, mittels Linkage Analyseund Sequenzierung von Kandidaten(genen die ursächlichen Gendefektezu charakterisieren.

Literatur1. Brenner RE, Schiller B, Pontz BF, Lehmann

H, Teller WM, Spranger J, Vetter U (1993)Osteogenesis imperfecta in Kindheit undAdoleszenz. Monatsschr Kinderheilkd141:940(945.

2. Byers PH (2000) Osteogenesis imperfecta:perspectives and opportunities. Curr OpinPediatr 12:603(609.

3. Glorieux FH, Rauch F, Plotkin H, Ward L, Tra(vers R, Roughley P, Lalic L, Glorieux DF, Fas(sier F, Bishop NJ (2000) Type V osteogenesisimperfecta: a new form of brittle bone dise(ase. J Bone Miner Res 15:1650(1658.

4. Glorieux FH, Ward LM, Rauch F, Lalic L,Roughley PJ, Travers R (2002) Osteogenesisimperfecta type VI: a form of brittle bone di(

sease with a mineralization defect. J BoneMiner Res 17:30(38.

5. Grabner B, Landis WJ, Roschger P, Rinner(thaler S, Peterlik H, Klaushofer K, Fratzl P(2001) Age( and genotype(dependence ofbone material properties in the osteogenesisimperfecta murine model (oim). Bone 29:453(457.

6. Kuurila K, Grenman R, Johansson R, Kaitila I(2000) Hearing loss in children with osteoge(nesis imperfecta. Eur J Pediatr 159:515(519.

7. Kuurila K, Kaitila I, Johansson R, Grenman R(2002) Hearing loss in Finnish adults withosteogenesis imperfecta: a nationwide sur(vey. Ann Otol Rhinol Laryngol 111:939(946.

8. Marlowe A, Pepin MG, Byers PH (2002) Te(sting for osteogenesis imperfecta in cases ofsuspected non(accidental injury. J Med Ge(net 39:382(386.

9. Mundlos S, Chan D, Weng YM, Sillence DO,Cole WG, Bateman JF (1996) Multiexon de(letions in the type I collagen COL1A2 gene inosteogenesis imperfecta type IB. Moleculescontaining the shortened alpha2(I) chainsshow differential incorporation into the boneand skin extracellular matrix. J Biol Chem271:21068(21074.

10. Paterson CR, Monk EA, McAllion SJ (2001)How common is hearing impairment inosteogenesis imperfecta? J Laryngol Otol115:280(282.

11. Sillence DO, Senn A, Danks DM (1979) Ge(netic heterogeneity in osteogenesis imper(fecta. J Med Genet 16:101(116.

12. Ward LM, Rauch F, Travers R, Chabot G,Azouz EM, Lalic L, Roughley PJ, Glorieux FH(2002) Osteogenesis imperfecta type VII: anautosomal recessive form of brittle bone di(sease. Bone 31:12(18.

DanksagungDiese Arbeit wurde unterstützt von den Shri(ners of North America.

KorrespondenzadresseFrank RauchGenetics UnitShriners Hospital for Children1529 Cedar AvenueMontréal, QuébecCanada H3G 1A6Tel. +1(514(842(5964Fax +1(514(842([email protected]

Gen

etik

der

Ske

lett

dys

pla

sien

27medgen 16 (2004)