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(Aus der Universit~tsklinik ffir 0hren-, Nasen- u~d Halsleiden, Bern [Vorsteher: Prof. E . Li~scher ]. ) 0tomikroskopische Befunde bei Mastoiditis. Von E. Lfischer, Bern. Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 29. November 1935.) Bei gewShnlicher Otoskopie sind eindeutige und diagnostisch ver- wertbare Untersehiede zwischen dem Trommelfellbefund der unkompli- zierten hinteren oberen akuten Mittelohrentziindung und demjenigen der Mastoiditis nicht zu sehen. Stenger i faint im Handbuch der Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten yon Den]cer und Kahler die allgemeine Ansicht dahin zusammen, dal~ dem Trommelfellbild nur insofern dia- gnostischer Weft zukommt, als es einen entziindliehen Proze{] im hinteren oberen Teil der PaukenhShle erkennen 1/~$t und damit die Diagnose der Mastoiditis in frag]ichen F~]len stiitzt. Einzig Steinmann 2 beschrieb im Jahre 1926 einen eigenartigen Trommelfellbefund, den er nur bei operationsreifer M~sboiditis land und dem er daher groSe differentialdiagnostische Bedeutung beimaB. Das mastoiditisehe Trommelfell zeichnet sieh seiner Meinung nach durch die blal~rote Farbe gegenfiber der hochroten Hyper~mie der akuten un- komplizierten Mittelohrentziindung aus. Es gleieht in seiner F~rbung einem Ohrpolypen. Dem Befunde fehlen jedoch eharakteristisehe Einzel- heiten, so da$ er diagnostisch nieht sicher verwertet werden kann und daher keine weitere Beachtung fand. Dureh die Otomikroskopie mit meinem Ohrmikroskop werden die Beobachtungen von Steinmann in gewisser Hinsicht best~tigt und sicher- gestellt. Das etwas unbestimmte Bild gewinnt bei 10--20faeher Ver- grSl3erung erheblich an Deutlichkeit, da neben der eigentiimlichen F~rbung typische und diagnostisch verwertbare Einzelheiten hervor- treten, wie die drei folgenden Krankengesehiehten zeigen. Fall 1.: Or. Kl., Nr. 95/28. H. H. 7j~ihriger Knabe: Aufgenommen am 3.3.28. Erkrankte vor 1 Monat aus roller Gesundheit an reehtsseitigen Ohrsehmerzen. 14 Tage sp~ter begann das rechte Ohr zu fliel~en. Vor 24 Stunden trat eine Schwellung fiber dem reehten Mastoid auf, weswegen der Patient eingewiesen wurde. Antrotomie am 3.3.28: Empyem des Warzenfortsatzes, Sp~ttbefund. Normale Abheilung. Otomikroskopiseher Befund des reehten Ohres am 3.3.28. 5. Krank- heitswoche, 10faehe VergrSl~erung (Abb. 1): 1 Stenger: Handbuch der ttals-Nasen-Ohrenheilkunde yon Den~er und Kahler, Bd. 7, S. 152. Berlin 1926. 2 Steinmann: Ann. Mal, Oreille 45, 942 (1926). Archive f. Ohren-, Nasen- u. Kehlkopfheilkunde. Bd. 140. 24

Otomikroskopische Befunde bei Mastoiditis

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Page 1: Otomikroskopische Befunde bei Mastoiditis

(Aus der Universit~tsklinik ffir 0hren-, Nasen- u~d Halsleiden, Bern [Vorsteher: Prof. E. Li~scher ]. )

0tomikroskopische Befunde bei Mastoiditis. Von

E. Lfischer, Bern.

Mit 3 Textabbildungen.

(Eingegangen am 29. November 1935.)

Bei gewShnlicher Otoskopie sind eindeutige und diagnostisch ver- wertbare Untersehiede zwischen dem Trommelfellbefund der unkompli- zierten hinteren oberen akuten Mittelohrentziindung und demjenigen der Mastoiditis nicht zu sehen. Stenger i faint im Handbuch der Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten yon Den]cer und Kahler die allgemeine Ansicht dahin zusammen, dal~ dem Trommelfellbild nur insofern dia- gnostischer Weft zukommt, als es einen entziindliehen Proze{] im hinteren oberen Teil der PaukenhShle erkennen 1/~$t und damit die Diagnose der Mastoiditis in frag]ichen F~]len stiitzt.

Einzig S t e i n m a n n 2 beschrieb im Jahre 1926 einen eigenartigen Trommelfellbefund, den er nur bei operationsreifer M~sboiditis land und dem er daher groSe differentialdiagnostische Bedeutung beimaB. Das mastoiditisehe Trommelfell zeichnet sieh seiner Meinung nach durch die blal~rote Farbe gegenfiber der hochroten Hyper~mie der akuten un- komplizierten Mittelohrentziindung aus. Es gleieht in seiner F~rbung einem Ohrpolypen. Dem Befunde fehlen jedoch eharakteristisehe Einzel- heiten, so da$ er diagnostisch nieht sicher verwertet werden kann und daher keine weitere Beachtung fand.

Dureh die Otomikroskopie mit meinem Ohrmikroskop werden die Beobachtungen von S t e i n m a n n in gewisser Hinsicht best~tigt und sicher- gestellt. Das etwas unbestimmte Bild gewinnt bei 10--20faeher Ver- grSl3erung erheblich an Deutlichkeit, da neben der eigentiimlichen F~rbung typische und diagnostisch verwertbare Einzelheiten hervor- treten, wie die drei folgenden Krankengesehiehten zeigen.

Fall 1.: Or. Kl., Nr. 95/28. H. H. 7j~ihriger Knabe: Aufgenommen am 3.3 .28.

Erkrankte vor 1 Monat aus roller Gesundheit an reehtsseitigen Ohrsehmerzen. 14 Tage sp~ter begann das rechte Ohr zu fliel~en. Vor 24 Stunden trat eine Schwellung fiber dem reehten Mastoid auf, weswegen der Patient eingewiesen wurde. Antrotomie am 3.3.28: Empyem des Warzenfortsatzes, Sp~ttbefund. Normale Abheilung.

Otomikroskopiseher Befund des reehten Ohres am 3.3.28. 5. Krank- heitswoche, 10faehe VergrSl~erung (Abb. 1):

1 Stenger: Handbuch der ttals-Nasen-Ohrenheilkunde yon Den~er und Kahler, Bd. 7, S. 152. Berlin 1926.

2 Steinmann: Ann. Mal, Oreille 45, 942 (1926).

Archive f. Ohren-, Nasen- u. Keh lkopfhe i lkunde . Bd. 140. 24

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Das Trommelfe l l ist h in t en oben nebs t der anl iegenden Geh6rgangs- wand s ta rk angeschwollen und vorgew61bt. Kurze r F o r t s a t z und H a m m e r - griff s ind in der Schwellung vol ls t~ndig versehwundan. Das ganze Trommelfe l l is t von livid blaflroter Farbe. Nament l i ch im unte ren Teil is t die Pa r s tens~ durah dieke weifiliche Striinge wabenartig in Fe lde r gateil t . I n den Ver t iefungen liegen zum Tail fleckige Blu tungen ; gr6i~ere B lu tungen sitzan auf der Vorw61bung unregelm~gig vers t reut . Die

Gegend desKut i ss t re i fens ist in feine zirkul~ra F~tlt- chen gelegt. Von den Ge- f~gen sind nur einige unsaharfe und m~13ig di- l a t ie r te Radi / i rvenen im oberen Teil zu sehen. H in t en un ten l iegt wenig puls ierender Ei ter .

FM12. Ot.K1.Nr. 542/31. E. M. 67j~hriger Mann: Auf- genommen am 16.12.31.

Erkrankte vor 6 Monaten an reehtsseitigen Ohrsehmer- zen ohne wesentliehe Allge- meinst6rung. Naeh einigen Tagen begann das Ohr zu fliegen und hat seitdem dauernd geeitert. Vor kur- zero trat unter Sehmerzen

und Fieber eine Schwellung Abb. 1. 7j/thriger Knabe: Blagrotes wabenartiges Trommelfell bei Mastoidit is . 10fach. der r eeh ten Ohrgegend auf.

Patient wurde deshalb als Mastoiditis eingewiesen. Antrotomie am 17.12.31 : Spiitbefund mit ausgedehnter Einsehmelzung desWarzenfortsatzes und groBemEpiduralabseel3. NormMe Iteilung.

Otomikroskopiseher Befund des reehten Ohres am 1 6 . 1 2 . 3 1 : 10faeh.

Die h intere obare Geh6rgangswand h~ngt als bre i te r Wul s t vor dem Trommelfe l l herunter . I n der diffusen Sehwellung der Pars tensa is t das normMe Relief n ieh t mehr zu erkennen. Das Trommelfe l l is t im ganzen livid blafirot. Sehmala Wii l s te und Furehan bi lden unregelmagige, teils gesehlossene, tai ls offene Ringe, die der Pars tansa eine eigenti imlieh landlcartenartige Marmorierung verleihen. Die k u t a n e n Gef~ge werden du tch die diffuse R6 tung und Sehwellung verdeek t (Abb. 2).

Fall 3. Or. K1. Nr. 252/26. M. It. 17j~hriges Fritulein. Aufgenommen am 3.10.26.

Erkrankte vor 2 Monaten nach akutem Schnupfen an beiderseitiger Mittelohr- entzfindung. Links normale Abheilung, reehts 3 Wochen spiiter erstmalige Para- eentese, die im weiteren Verlaufe der Krankheit noch zweimal wiederholt wurde. Wegen zunehmenden Kopfschmerzen und Druekempfindliehkeit des rechten Mastoides zur Operation eingewiesen. Antrotomie am 6.10.26: Ser6s-eitriges

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Exsudat unter Druek. Beginnende Einsehmelzung der Zellw/~nde. Normale Ab- heilung.

Otomikroskopischer Befund des reehten Ohres anl 6.10.26. 10fach (Abb. 3):

In der stark diffusen Schwellung und VorwSlbung des ganzen Trommel- felles sind das normale Relief und die Gef/~13zeiehnung versehwunden. Hinten und unten sieht man einen langen Paracentesesehnitt und zwei Paraeentesestiehe mit blutroten R/~ndern. Aus dem einen der Stiche entleert sieh reiehlieh pul- sierendes eitriges Exsu- dat, w/~hrend die beiden anderen ()ffnungen ver- klebt sind. Der Grundton des Trommelfelles ist ein blasse8 Gelbrot. Im hin- teren und oberen Teil wird die Pars tensa yon tiefen unregelmiifiigen Furchen und Wiilsten durehzogen.

Die besehriebenen oto- mikroskopischen Trom- melfellbefunde erhalten ihr typisches Aussehen durch eine blaBrote F~r- bung des Grundes und eine eigentfimliehe, teils waben-, tells landkarten-

Abb. 2.6 7j ~ihriger 5Iann: BlaBrotes Ir~armoriertes Trommel- artige, tells furehige ku- fell bei Mastoiditis. 6. JKrankheitsmonat. 10faeh.

tane Sehwellung der Pars tensa. Im Gegensatz dazu ist die Farbe des Trommelfells bei der ge- wfhnliehen Mittelohrentzfindung auf der Hfhe der Entzfindung in ihrem Grundton hoehrot und ist die Schwellung mehr gleichm/~Big bzw. mehr blasenffrmig oder grobwulstig. Da die Sattheit der Farben bei der Otomikroskopie bedeutend tiefer ist als bei gewfhnlieher Betraehtung, t r i t t auch der Farbenunterschied deutlieh in Erseheinung. Das Bild beginnt sieh in einzelnen Fallen bereits in der 2.--3. Krankheitswoehe auszupr~gen, wird aber aueh noeh naeh Woehen und Monaten gefunden.

Diese eigenartige Form der Trommelfellentzfindung ist histologiseh bis jetzt nicht besehrieben worden. An Hand des otomikroskopischen Brides lassen sieh fiber die pathologisehe Anatomie nur recht unbest immte Angaben maehen. Offensiehtlieh liegt eine hochgradige diffuse Schwellung der ganzen Pars tensa vor, deren kutane Schiehten zudem in unregel- m/~gigen streifenf6rmigen Wfilsten noch besonders verdiekt sind. Die Riehtung der Wfilste hat zu der normalen Faserriehtung der Lamina

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propria keine Beziehungen. Das Verschwinden der Gef/~fte zeigt, dal3 jedenfMls auch das Epithel betroffen ist, wobei eine starke Triibung der oberfl~ehlichsten kutanen Schichten die eigentfimliehe blaBrote F/~rbung bedingt. Inwieweit daran zellulgre Infiltration und inwieweit Proli- ferationsvorg~nge beteiligt sind, l~Bt sieh nicht entseheiden.

Aueh fiber die Pathogenese lassen sieh vorderhand nur Vermutungen ~ugern. S t e i n m a n n 2 nimmt an, dab die blM~rote Farbe dureh eine Stauung der Blutzirkulation infolge der Mastoiditis bedingt sei. Damit ls sieh aber das eigenartige otomikroskopische Bild nicht erklgren. An Erregern fand ieh die banMen Eiterkokken. Die eigentliche schleichende

Abb. 3. 17jhhriges Fraule in : Blattrotes gefurchtes Trommelfe] l bei }Iastoidi t is . 2. K r a n k h e i t s m o n a t . 10la th .

Mueosusotitis ffihrt nieht zu diesen Ver~nderungen. Ein einfacher Sp/~tbefund der akuten Myringitis ist es aueh nieht, denn in vielen Fs yon woehenlanger akuter Mittelohreiterung fehlt das besehriebene Bild. Meines Eraehtens liegt eine eigene und besonders schwere Form der akuten Mittelohrentzfindung vor, die einerseits zur Einschmelzung des Mastoides fiihrt und anderseits das ,,mastoiditisehe" Trommelfell zur Folge hat. Ieh lasse dahingestellt, ob der besondere Verlauf mehr dureh die Virulenz der Erreger oder dureh die momentane Bereitsebaft der betroffenen Gewebe bedingt wird.

In klinischer Hinsicht ist wichtig, daf3 das ,,mastoiditische" Trommel- fell nur bei einem Teil der Warzenfortsatzempyeme vorkommt und sein

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Fehlen deshalb eine operationsreife Mastoiditis nicht ausschlieBt. Is t der Befund jedoch vorhanden, so weist er nach meinen bisherigen Be- obachtungen nicht nur auf eine Mastoiditis, sondern auf ein operations- reifes Empyem him Bei den sog. latenten Mastoiditiden ist der Befund deshalb differentialdiagnostisch wichtig und ist in solchen Zweifelsfi~llen eine Anzeige zur Antrotomie. Das otomikroskopische Trommelfellbild gewinnt damit fiir die Beurteilung des Krankheitsverlaufes eine gr61~ere Bedeutung als der gew6hnliche otoskopische Befund. Die F~lle mit , ,mastoiditischem" Trommelfell stellen eine besondere klinisch wichtige Untergruppe der so s verschiedenartigen akuten Mittelohrent- zfindung dar.

Zusammenfassung.

An Hand yon 3 Krankengeschichten wird ein otomikroskopischer Trommelfellbefund beschrieben, der nut bei operationsreifem Empyem des Warzenfortsatzes vorkommt und deshalb differentialdiagnostisch yon groBer Bedeutung ist.