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Insel Verlag Leseprobe Modersohn, Antje / Werner, Wolfgang »Wir gehören uns ja« Paula Modersohn-Becker/Otto Modersohn. Der Briefwechsel Herausgegeben von Antje Modersohn und Wolfgang Werner © Insel Verlag 978-3-458-17729-6

Otto, Elsbeth und Paula Modersohn im Garten von Heinrich … · 2017-09-14 · Bereits am . Dezember , in der Verlobungszeit mit Paula Becker, notierte Otto Modersohn in sein Tagebuch:

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Insel VerlagLeseprobe

Modersohn, Antje / Werner, Wolfgang»Wir gehören uns ja«

Paula Modersohn-Becker/Otto Modersohn. Der BriefwechselHerausgegeben von Antje Modersohn und Wolfgang Werner

© Insel Verlag978-3-458-17729-6

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Otto, Elsbeth und Paula Modersohn im Garten von Heinrich VogelersBarkenhoff, um

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Paula Modersohn-BeckerOtto ModersohnDer Briefwechsel

Herausgegeben vonAntje Modersohn undWolfgang Werner

Bearbeitet vonRebecca Duckwitz und

Katrin Rascher-Friesenhausen

Insel Verlag

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Herausgegeben im Auftrag der Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen(Gisela Götte,Wolfgang Werner), und der Otto-Modersohn-Stiftung, Fischerhude

(Antje Modersohn)

Erste Auflage © Insel Verlag Berlin

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

reproduziert oder unter Verwendungelektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt

oder verbreitet werden.Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,Waldbüttelbrunn

Druck: Pustet, RegensburgPrinted in Germany

ISBN ----

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Paula Modersohn-Becker,Otto Modersohn, am Tisch lesend, um

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Inhalt

Gisela Götte»In der Grundanschauung verwandt –in den Äußerungen verschieden« . . . .

Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . .

DER BRIEFWECHSEL . . . . . . . . . . .

Biographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . .

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . .

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Otto Modersohn, Paula Becker, am Tisch schreibend, um

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Gisela Götte»In der Grundanschauung verwandt – in den

Äußerungen verschieden«

Mit dieser Edition des Briefwechsels zwischen Paula Modersohn-Becker (-) und Otto Modersohn (-) werdenerstmals bisher unveröffentlichte Briefe, Karten und Tagebuch-einträge Otto Modersohns mit den in einer erweitertenAusgabe erschienenen Briefen und Tagebüchern Paula Moder-sohn-Beckers in eine dialogische Form gebracht. Zum besserenVerständnis der jeweiligen Zusammenhänge sind diese Zwie-gespräche und Selbstzeugnisse mit einigen Texten an andereBriefpartner verknüpft. Die hier vorliegende Publikation fülltmit ihren erstveröffentlichten Texten eine Lücke in der Primär-literatur und soll für die stetig zunehmende Sekundärliteraturzubeiden Künstlern ein weiterführender, substantieller Beitragsein.Die vorliegende Ausgabe umfasst den Zeitraum von , demJahr der ersten Begegnung Paula Beckers mit der Malerei OttoModersohns in einer Ausstellung der Kunsthalle Bremen, biszum Jahr , in dem die Erschütterung der Familie und Freun-de nach dem Tod Paula Modersohn-Beckers im November schriftlichen Ausdruck findet.Der Briefwechsel belegt die Tage,Wochen und Monate, in denendie Ehepartner räumlich voneinander getrennt waren. Die vierAufenthalte Paula Modersohn-Beckers in der damaligen Kunst-metropole Paris von insgesamt fast Monaten der Jahre ,, und nehmen den breitesten Raum der Korres-pondenz ein. Die Zeit zwischen Anfang Oktober bis zurgemeinsamen Rückkehr nach Worpswede Ende März ver-brachte Otto Modersohn in Paris. Lediglich ein knapper Rück-

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blick in seinem »Reisetagebuch« und drei Briefe Modersohns anseine Schwägerin Herma Becker geben über diesen korrespon-denzfreien Pariser Winter eine spärliche Auskunft. Gerade inden Monaten der selbst gewählten Abwesenheit Paula Moder-sohn-Beckers von Worpswede enthalten die Briefe der Künst-lerin und die Antwortbriefe Otto Modersohns reichhaltigesMaterial an maltechnischen, kunsttheoretischen und malerei-geschichtlichen Überlegungen, die durch die intensive Auseinan-dersetzung Paula Modersohn-Beckers mit der Pariser Kunstszeneund Museumslandschaft ausgelöst worden sind. Zeitgeschicht-liches mischt sich mit der jeweiligen Tagesaktualität, persönli-che Erlebnisse und Stimmungsbilder wechseln mit der nüchter-nen Bestandsaufnahme äußerer Ereignisse.Die Brieftexte sind weit mehr als nur die Korrespondenz zwi-schen zwei bildenden Künstlern, die die deutsche Malerei desausgehenden . und des beginnenden . Jahrhunderts jederauf seine Weise entscheidend mitgestaltet und geprägt haben. Siespiegeln vielmehr die facettenreiche Gemeinschaft zweier sehrunterschiedlicher Künstlerpersönlichkeiten wider, die das jeweilseigene Profil auch während ihrer Ehe zu bewahren wussten.Bereits am . Dezember , in der Verlobungszeit mit PaulaBecker, notierte Otto Modersohn in sein Tagebuch: »Man mußsich in der Liebe als verschieden empfinden, nicht ineinanderaufgehen wollen, nur innig, liebreich berühren. Auf dem Wegebin ich bei meiner Paula. Ihre Art ist von meiner durchaus ver-schieden. Das (ist) das Beste. Ihr Temperament leichter, freier,heiterer – und das liebe und verehre ich sosehr. Ihr Urtheil inder Kunst selbständig, eigenartig – schätze ich sosehr. Sie bildetein glückliches Gegengewicht zu mir, und ich zu ihr. So muß essein. In der Grundanschauung verwandt – kunstdurchglühtesLeben – in den Äußerungen verschieden. Sonst langweilig.« Die-se Passage, aus der das Motto vorliegender Publikation stammt,

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hat bei wechselseitiger, konstruktiver Kritik und mannigfachenSchwankungen im Urteil der Kunst des Anderen ihre Gültigkeitbehalten. Bindend waren die gegenseitige Anerkennung undWertschätzung im Künstlerischen und Menschlichen trotz zeit-weiser Entfremdung zwischen den Partnern.Der vorliegende Textkorpus zeichnet den gemeinsamen Lebens-weg von Paula Modersohn-Becker, der Wegbereiterin der Mo-derne, mit dem um eine halbe Generation älteren Otto Moder-sohn nach, demMitbegründer derWorpsweder Künstlerkolonieund Hauptvertreter des Worpsweder Naturlyrismus. Zugleichgibt die Publikation neue Auskünfte über das Leben in derKünstlervereinigung in Worpswede der Jahre bis . An-gesprochen werden die Querelen und das wiederum Verbinden-de zwischen den Gründern der Künstlerkolonie, aus der sich um auf Heinrich Vogelers Barkenhoff ein Freundeskreis bil-dete, die sogenannte »Familie«. Paula Becker schilderte diese Ge-meinschaft in einem Brief an Marie Hill vom . Dezember: »Draußen leben wir eine stille Gemeinde: Vogeler und sei-ne kleine Braut, Otto Modersohn und ich, und Clara Westhoff.Wir nennen uns: die Familie.Wir sind immer sonntags beieinan-der und freuen uns aneinander, und teilen viel miteinander. Somein ganzes Leben zu leben ist wunderbar.« Zu diesem Freund-schaftskreis gehörten auch Paula Beckers Schwester Milly, Rai-ner Maria Rilke, Carl Hauptmann und Marie Bock. Einblickein die schon bald ambivalente Beziehung der Modersohns zudem Ehepaar Rilke, deren wirtschaftlich prekäre Situation zurSelbststilisierung und Abschottung geführt hatte, fügen dem Bilddes Worpsweder Künstlerkreises neue Facetten hinzu.Paula Becker, die nach ihrer zweijährigen professionellen Ausbil-dung im Berliner Verein der Künstlerinnen als Anfängerinzur Korrektur bei Fritz Mackensen nach Worpswede kam, heira-tete den damals weithin bekanntenMaler OttoModersohn,

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der in seiner Kunst seinen Weg bereits gefunden hatte. Mit dengänzlich verschiedenen Voraussetzungen der Biographie und Ent-wicklung glich diese Verbindung keineswegs dem Lebensmodusder berühmten Künstlerpaare Wassily Kandinsky und GabrieleMünter oder Robert und Sonia Delaunay, die gemeinsam undsich gegenseitig stützend in einem Kreis gleichgesinnter Künst-ler nach einer neuen Bildsprache suchten.Es ist deshalb bemerkenswert, dass Paula Modersohn-Becker dieWorpsweder Stimmungsmalerei weit hinter sich zurückließ undin einem kurzen Jahrzehnt ein Lebenswerk von europäischemRang schuf. Ihr Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstseinsprechen aus nahezu allen schriftlichen Selbstzeugnissen derMa-lerin. Ihre berühmt gewordenen Sätze, die sie am . Februar kurz vor ihrer Abreise nach Paris an den zurückgewonne-nen Freund Rainer Maria Rilke schrieb, machten sie zu einerIdentifikationsfigur für bildende Künstlerinnen bis heute: »Undnun weiß ich garnicht wie ich mich unterschreiben soll. Ichbin nicht Modersohn und ich bin auch nicht mehr Paula Becker.Ich bin Ich, und hoffe es immer mehr zu werden. Das ist wohldas Endziel von allem unsern Ringen.«Paula Becker orientierte sich zunächst in Berlin sowie auf Reisennach München, Leipzig und Dresden an der Kunst in den Mu-seen und den Ausstellungen der Galerien. Mit ihrem Aufbruchnach Paris in der Silvesternacht / erfüllte sie sich ihrensehnlichen Wunsch, nun auch die Kunst der dortigen Museums-sammlungen sowie insbesondere die französische Malerei derModerne kennenzulernen. Überdies nahm sie Unterricht an pri-vaten Akademien, um ihre Ausbildung voranzutreiben. Die anden Bruder Kurt gerichteten Worte vom April lesen sichwie das Bekenntnis ihrer eigenen Pariser Befindlichkeit: »SiehstDu, das habe ich für Dich gewünscht, daß Du mit Deiner Zeitlebst (…). Dein Nervensystem ist eins unserer Generation.« Of-

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fen gegenüber neuen künstlerischen Strömungen, entdeckte sie in der Galerie Vollard die Bilder des zu dieser Zeit einembreiten Publikum noch weitgehend unbekannten Malers PaulCézanne und fand in ihm einen ihrem Streben wahlverwandtenKünstler. Die späteren Begegnungen mit der Malerei von Mau-rice Denis, Paul Gauguin,Vincent van Gogh, des Zöllners HenriRousseau und vermutlich auch Pablo Picassos waren für dienach neuen Bildkonzepten suchendeMalerin vonwegweisenderBedeutung.Während ihrer Parisaufenthalte setzte sich Paula Mo-dersohn-Becker mit der Kunst der Impressionisten, Pointillistenund Nabis auseinander und sah im März bei den Indépen-dants erstmals Werke von Henri Matisse und André Derain. Sieäußerte sich über Gustave Courbet, Edgar Degas, Odilon Redonund Charles Cottet, zeichnete im Louvre nach Gemälden u.a.von Ingres, Cranach und Rembrandt, fertigte Skizzen nach ägyp-tischen Skulpturen und schulte ihr Formempfinden an den Mu-mienporträts aus Fayum. Von den Deutschen interessierten sieAnselm Feuerbach, Hans von Marées und vor allem ArnoldBöcklin, dessen Tagebuchaufzeichnungen sie gemeinsam mitModersohn noch während ihrer Verlobungszeit gelesen hatte.Im Januar besuchte sie zusammen mit Otto Modersohn inBerlin die große Jahrhundertausstellung deutscher Kunst nochvor deren Eröffnung.Zu ihren Lebzeiten fand die Kunst Paula Modersohn-Beckerskaum öffentliche Anerkennung. Erst , sechs Jahre nach ih-rem Tod, setzte mit einer Ausstellung ihrer Werke in dem vonKarl Ernst Osthaus gegründeten Folkwang Museum in Hagenihr Nachruhm ein. Dieser gipfelte , Jahre nach ihrer Ge-burt, in einer umfassenden Retrospektive in Paris, der ersten inFrankreich.Otto Modersohn hingegen war schon zu Lebzeiten ein hoch aner-kannter, an der Düsseldorfer Kunstakademie ausgebildeter Land-

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schaftsmaler. Als Mitbegründer der Künstlerkolonie feierte erzusammen mit den Worpswedern in der Kunsthalle Bremenund kurz darauf im Münchener Glaspalast seine erstenkünstlerischen Erfolge. Modersohns Malerei stand in der Tradi-tion der französischen Schule von Barbizon, deren Vertreterdie Freilichtmalerei propagierten und realistische Stimmungs-landschaften schufen, in Abkehr von der klassisch-idealistischenLandschaftskomposition, wie sie auf den Akademien gelehrtwurde. Zu den von Modersohn häufig genannten Künstlern ge-hörten neben Rembrandt die Barbizon-Maler Millet, Daubigny,Dupré, Rousseau und Corot. Diesen begegnete Modersohn be-reits auf der III. Internationalen Kunstausstellung im Mün-chener Glaspalast sowie bei seinem Besuch der PariserWeltausstellung. Die Auseinandersetzung mit der Malerei Ar-nold Böcklins, die Modersohn in der Münchner Schackgaleriezur gleichen Zeit sah, führte mehrfach zu kunsttheoretischenReflexionen in seinen Tagebüchern.Trotz dieser grundlegend unterschiedlichen Voraussetzungenstellte sich schon frühzeitig, noch zu Lebzeiten von Modersohnserster Frau, ein rasches, künstlerisches Einvernehmen zwischenPaula Becker und ihm ein. Die bei allen ihren Selbstzweifeln kriti-sche Anfängerin und der bereits Arrivierte fanden sich wie selbst-verständlich in ihren Sacherörterungen, Empfindungen undUrteilen. Die später in ihrer Ehe häufig gemeinsame Lektürekunsthistorischer Abhandlungen der damals maßgeblichen Au-toren Julius Meier-Graefe und Richard Muther sowie die Rezep-tion von Künstlermonographien und gegenseitig empfohlenerBeiträge in Kunstzeitschriften vertieften den fachlichen Gedan-kenaustausch zwischen beiden. Nicht zuletzt waren es die ge-meinsamen Besuche großer Museumssammlungen, welche kol-legiale Gespräche auslösten.Die Ehe der Modersohns war von gegenseitigem Respekt und

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Anerkennung getragen. Das Paar gewährte einander Freiräume,wobei die Großzügigkeit Modersohns seiner Frau gegenüber, de-ren Parisaufenthalte er akzeptierte und finanziell unterstützte,in dieser Zeit keineswegs selbstverständlich war. Die zahlrei-chen, meist dem Tagebuch anvertrauten Äußerungen Otto Mo-dersohns zur Kunst Paula Modersohn-Beckers schwankten zwi-schen Wertschätzung und Kritik. »Wie ich ihr von dem Intimengeben kann – so sie mir vom Großen, Freien, Lapidaren. (…)Wundervoll ist dies wechselseitige Geben und Nehmen; ich füh-le wie ich lerne an ihr und mit ihr. (…) Sie ist eine echte Künst-lerin, wie es wenige gibt in der Welt, sie hat etwas ganz Seltenes.(…) Keiner kennt sie, keiner schätzt sie – das wird anders wer-den«, notierte der Maler am . Juni in sein Tagebuch.Doch nur wenige Tage später, am . Juni, klagte er: »Egoismus,Rücksichtslosigkeit ist die moderne Krankheit. Nietzsche der Va-ter. (…) Leider ist Paula auch sehr von diesen modernen Ideenangekränkelt. (…) Ob wohl alle begabten Frauenzimmer sosind? Begabt in der Kunst ist Paula ja sehr, ich bin erstaunt überihre Fortschritte. Wenn sich damit doch mehr menschliche Tu-genden verbänden.« Und wiederum wenige Tage später, am. Juli , gestand sich Otto Modersohn ein, dass er mit seinerFrau zurzeit nicht »mitkomme«. Er rühmt ihren Farbensinn undist »einfach paff« darüber: »Das rüttelt mich auf. Diese kleineDeern soll besser malen wie du, der Deubel, das wäre doch!(…) Mir sind die Augen offen. Das wird ein Wettlauf.«»Ein Kunstwerk ist ein Stück Natur, gesehen durch ein Tempera-ment«, diesen berühmten Satz Emile Zolas machte sich OttoMo-dersohn einen Tag nachdem ihm seine Frau mit ihren Arbeitendie Augen geöffnet hatte, am . Juli , zu eigen. In Abwand-lung dieser Maxime bekennt der Maler: »Nur das Gefühl schafftgute, echte Kunst. Nur im Furor, in der Leidenschaft kann etwasFeines, Lebensvolles, echt Künstlerisches entstehen. (…) Denn

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alle meine Franzosen zeigen dies Temperament, diese Leiden-schaft: Natur gesehen durch eigenes Temperament.« Mit dieserFeststellung verabschiedete sich Modersohn nach »jährigemSchlafe« von einer Bildauffassung, die allein die Natur als großeLehrmeisterin beschwört und der er seinen ersten großenErfolg schuldete.Für Paula Modersohn hingegenwar die Natur gleichsam nur einVorwand bei ihrer Suche nach einem neuen, bildkünstlerischenWortschatz. Der Bildauffassung der Nabis entsprechend, derenMalerei sie in Paris kennengelernt hatte, erachtete sie den Bild-wert gegenüber dem Darstellungswert als vorrangig: »Ich glau-be, man müßte beim Bildermalen gar nicht so an die Naturdenken, wenigstens nicht bei der Konzeption des Bildes. Die Far-benskizze ganz so machen, wie man einst etwas in der Naturempfunden hat. Aber meine persönliche Empfindung ist dieHauptsache. Wenn ich die erst festgelegt habe, klar in Formund Farbe, dann muß ich von der Natur das hineinbringen, wo-durch mein Bild natürlich wirkt, daß ein Laie gar nicht andersglaubt, als ich habe mein Bild vor der Natur gemalt«, schrieb sieam . Oktober . Wenige Monate später, im Februar ,notierte sie in ihr Pariser Tagebuch: »Die große Einfachheit derForm, das ist etwas Wunderbares.«Beide Künstler trafen sich freilich in einer Kunstanschauung,deren Devise lautete: »Das Ding an sich – in Stimmung«, eineFormulierung, mit der Otto Modersohn im April das »alteThema« seiner Bilder »nicht im Sinne des gewöhnlichen Natura-lismus« deutete und hinzufügte, dass er diese früher mit »Paula«oft gebraucht habe. Bereits im Juli notierte Modersohn insein Tagebuch: »Das Ding an sich ist mein Ziel, das Ding an sichin Stimmung. Daß das merkwürdige Einzelne da ist und gese-hen wird – mein Ziel.« Damit übertrug Otto Modersohn denvon Descartes über Immanuel Kant zum philosophischen Mode-

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wort gewordenen Begriff »Das Ding an sich« auf die Gattung derMalerei und apostrophierte eine Wirklichkeit, die unabhängigfür sich besteht. Gegenstände der Sinnenwelt sind Erscheinun-gen jenseits der Art, wie der Künstler sie anschaut. Sowohl Paulawie Otto Modersohn hatten mit der bildnerischen Auswertungdieser Maxime einen breiten Spielraum.Ein immer wiederkehrendes Thema, insbesondere in den Tage-bucheinträgen vonOttoModersohn, waren Überlegungen zu Far-be, Form,Technik undMalmittel: »Ich will in Zukunft riesig aufTechnik achten, was ich nie recht gethan. Nur die Lasurwuth,die ich ganz schablonenhaft, unfein anwandte entsprang einemfalsch verstandenen Verlangen nach Technik«, notierte der Ma-ler am . August . Wenige Monate später, am . Februar schrieb er seiner Frau aus Worpswede nach Paris begeistertüber seine Entdeckung der Ölfarbstifte: »Und nun meine Kunst.Seit Du fort bist, habe ich den Stein der Weisen entdeckt. DieseRaffaellistifte sind über Untermalung fabelhaft. (…) Noch niebin ich so von einer Technik fasciniert. Ich möchte alles aber al-les damit versuchen, alle meine angefangenen Bilder. (…) Ich ha-be jetzt verschiedene im Gebrauch. Tempera war besser wieÖl, aber diese Stifte sind erst das Wahre.« Im selben Monat no-tierte er in sein Tagebuch: »Durch den ganzen Apparat der frühe-ren Techniken, was ging da von innerem Reiz, Frische, Gefühlverloren.« Dennoch fand selbst Paula Modersohns kollegialeKritik an seiner Malerei mit Raffaellistiften, die sie nach ihrerRückkehr aus Paris ihm gegenüber geäußert haben musste, inModersohns Tagebuch vom . März ein positives Echo. Unterder Überschrift »Merkwürdiges Colorit« vermerkte Otto Moder-sohn in seinem Tagebuch vom . September : »Von An-fang an betrachtete ich Colorit als meine Domäne, ich hieltmich darin für besonders begabt, es fiel mir leicht, irgendeineStimmung auszudrücken. (…) Paula war die erste, die immer

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an meinem Colorit Anstoß nahm, allmählich und immer mehrsehe ich das auch ein. (…) Sie hat überhaupt von allen Malernund Malerinnen, die mir nahe gekommen, die meiste Ahnungund Auffassung für ein merkwürdiges Colorit.«Erst im Dezember verriet ein Eintrag in Modersohns Tage-buch, wie weit sich Paula Modersohn-Becker mit ihrer Bildauf-fassung von seiner eigenen im Laufe der Jahre entfernt hatte:»Paula macht mir in ihrer Kunst lange nicht soviel Freude wiefrüher. Sie nimmt keinen Rath an – das ist sehr thöricht undschade. Riesige Kraftvergeudung.Was könnte die machen! Maltlebensgroße Akte und das kann sie nicht, ebenso lebensgroßeKöpfe kann sie nicht. Und da ist sie drauf erpicht – wie ich frü-her auf meine Märchen. Ihre herrlichen Studien läßt sie liegen.(…) Sie ist hochkoloristisch – aber unmalerisch-hart besondersin ausgeführten Figuren. Verehrt primitive Bilder, sehr schadefür sie – sollte sich malerische ansehen.Will Farbe und Form ver-einigen – geht gar nicht in der Weise wie sie es macht. Sie magdie Form nicht unterdrücken – großer Fehler – sie denkt zu we-nig über ihre Kunst nach – arbeitet immer in denselben An-schauungen – kommt nicht weiter.« Ein Jahr später, im Dezem-ber , revidierte Otto Modersohn in einem Brief aus Paris anseine Schwägerin Herma Becker dieses Urteil: »Paula malt riesigund macht bedeutende Fortschritte.«Die Briefe und Tagebücher Paula Modersohn-Beckers und OttoModersohns sind keine literarischen Schöpfungen, wie sie inbesonderem Maße aus der Briefkultur des . Jahrhunderts be-kannt sind. Sie sind spannungsreiche Zeugnisse der persön-lichen und künstlerischen Entwicklung beider Briefpartner, ih-rer Erfahrungs- und Lebensgeschichten. Gegenseitige, glühendeLiebesbezeugungen mit einer bisweilen drastischen Ausmalungintimer Momente wechseln sich ab mit begeisterten oder auchkritischen Berichten über Kunst, mit Schilderungen familiärer

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Situationen, alltäglichen Erlebnissen und Selbstreflexionen. Per-sönliche Nähe und Distanz, Sehnsucht nach dem vermisstenBriefpartner und Verbitterung ihm gegenüber bestimmen in ih-rer Vielfarbigkeit den vitalen Dialog zwischen den Eheleuten,der durchwegs von Aufrichtigkeit und gegenseitigem Vertrauengetragen war.Ergreifend ist die Sprachform der Wiederholung, deren sich Ot-to Modersohn bediente, als seine Frau ihn im Frühjahr fürimmer verlassen wollte und nach Paris aufgebrochen war. Umsie wieder zurückzugewinnen, beschwor er sie in seinem Briefvom . Juni siebzehn Mal nacheinander mit der Formel »Nocheinmal sag, ich sollte mit Dir (…)« und bat sie, doch zu versu-chen, ihr Leben noch einmal mit ihm zu teilen.Die Brieftexte von Paula Modersohn-Becker zeichnen sich häu-fig, im Unterschied zu den meist eher sachlich gehaltenen Äuße-rungen Modersohns, durch den Gebrauch von Metaphern aus.Das eigentlicheWort oder auch die Beschreibung des realen Her-gangs werden vermieden und durch ein sachfremdes Vokabularersetzt. Zwischen beiden besteht eine Analogie, die mit einer Be-deutungserweiterung einhergeht. Dieses Mittel einer poetischenRedeweise wendet Modersohn-Becker gerne für die Schilderungintimster Vorgänge an.Während ihrer Verlobungszeit mit OttoModersohn schrieb sie ihm im September : »Wir müssenuns erst die tausend andern Blumen unseres Liebesgartens pflü-cken ehe wir uns in einer schönen Stunde die wunderbare tief-rote Rose pflücken.« Und während der ersten großen Trennungvon ihrem Mann versprach sie ihm am . November :»Wenn Du wieder kommst, sollst Du alles, alles haben. Ich legealles in Deine Hände. Nur das Letzte, Köstlichste, das Kleinod,das wickle ich in ein seiden Tuch und grabe es in die Erde undpflanz ein Blümelein darauf und imMai wennmeine Blume duf-tend blüht in Seligkeit, beseligend, dann lüfte ich leise das Tüch-

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lein und wir schauen beide fromm das Allerheiligste.« Dochauch im Alltagsleben, im Blick auf die Passanten mitten im Tru-bel der Großstadt Berlin dachte und schrieb Paula Becker imJanuar in Analogien und Metaphern: »Dabei sind es zarte,vibrierende, sensitive Frauen, Gartenblumen, und mein Blühenist doch so sehr im Felde.« Höchst bemerkenswert ist, dass dieKünstlerin ihre Sprachbilder auf ihre Bildsprache überträgt. Inihren Porträts werden die attributiven Pflanzen, Blüten undFrüchte zu Bedeutungsträgern und damit zu Metaphern derim Bild vergegenwärtigten Person.Das Motto »In der Grundanschauung verwandt – in den Äuße-rungen verschieden«, das dem vorliegenden Briefwechsel zwi-schen Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn vorange-stellt ist, definiert zutreffend das Streben beider Künstler, derjeweils eigenen, individuellen Entfaltung gebührend Raum zugeben. Sie waren weder Rivalen noch Konkurrenten, vielmehrtrafen sie sich im fortwährenden Ringen um die Kunst und imschöpferischen Diskurs über ihre bildkünstlerischen Anschauun-gen. Als schriftliche Zeugnisse eines »kunstdurchglühten Le-bens« erhellen die Briefe und Tagebucheinträge Paula und OttoModersohns ein Stück weit das Schaffen ihrer Verfasser.