3
10 Bisher existieren keine offiziellen Empfeh- lungen, auf Basis welcher Faktoren sich die Startdosis an Gonadotropinen bestmöglich individualisieren lässt. In der Praxis verlas- sen sich Reproduktionsmediziner daher auf eigene Erfahrungen und entscheiden subjek- tiv, welche prädiktiven Parameter sie für die Steuerung erwünschter (adäquate Oozyten- ausbeute) bzw. unerwünschter (OHSS) Out- comes einer IVF heranziehen. Lange Zeit galten das Alter der Frau und die antrale Follikelzahl (AFC) als vertrau- enswürdigste Parameter für die prospektive Abschätzung eines Behandlungserfolges. Basierend auf der zwischenzeitlich gesi- cherten Erkenntnis einer unmittelbaren Korrelation zur Anzahl reifender Follikel, ist heute jedoch das „Anti-Müller-Hormon“ (AMH) der prädiktive Parameter der Wahl. AMH kann zu jeder Zeit des Menstruations- zyklus mit automatisierten Tests im Serum gemessen werden, es ist damit ein robuster und objektiver Marker der ovariellen Funk- tionsreserve. Mit nachlassender ovarieller Funktionsreserve sinken die AMH-Kon- zentrationen ab. Das Studienkonzept Die ESTHER-1 Studie 1 verglich zwei Be- handlungskonzepte zur Eierstockstimula- tion vor IVF: O Die Prüfgruppe erhielt eine individuali- sierte Dosierung des neuartigen Wirkstoffs Follitropin delta (FE 999049, Zulassungs- inhaber Ferring Pharmaceuticals, Kopen- hagen), einem humanen, rekombinanten Follikel-stimulierenden Hormon (hrFSH). Verabreicht wurde eine gleichbleibende tägliche Dosis, die sich nach einem festge- Im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation (IVF) werden exogene Gonadotropine mit dem Ziel verabreicht, die Eierstöcke zu sti- mulieren und eine adäquate Anzahl von Eizellen für die Befruchtung zu gewinnen. Die ovarielle Reaktion auf eine Standard- dosierung zeigt große interindividuelle Schwankungen, gleichzeitig ist sie eine kri- tische Determinante sowohl für die Rate an Lebendgeburten nach IVF als auch für das Risiko eines ovariellen Überstimulations- syndroms (OHSS). Es stellt sich daher die Frage, ob eine Biomarker-gesteuerte, indi- viduell adaptierte Hormonstimulation das Outcome einer IVF-Behandlung optimieren könnte. Vielversprechende Antworten dazu liefert die kürzlich publizierte ESTHER*-1 Studie unter Verwendung des neuen Wirk- stoffes Follitropin delta und des Biomarker- tests Elecsys® AMH Plus. 1 fotolia/ akf Für Sie gelesen Ovarielle Stimulation bei IVF Vorteile durch neuen Dosis-Algorithmus Medizin | Ovarielle Stimulation bei IVF | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017 Körpergewicht der Frau und prätherapeutischer AMH-Spiegel bestimmen die individuelle Dosierung eines neuen Gonadotropin- Wirkstoffs.

Ovarielle Stimulation bei IVF Vorteile durch neuen Dosis ... · neue Konzept evtl. Vorteile bei sekundären Endpunkten zeigt (z. B. Anteil Patientinnen mit adäquater Anzahl von Oozyten,

  • Upload
    vanliem

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Ovarielle Stimulation bei IVF Vorteile durch neuen Dosis ... · neue Konzept evtl. Vorteile bei sekundären Endpunkten zeigt (z. B. Anteil Patientinnen mit adäquater Anzahl von Oozyten,

10

Bisher existieren keine offiziellen Empfeh-lungen, auf Basis welcher Faktoren sich die Startdosis an Gonadotropinen bestmöglich individualisieren lässt. In der Praxis verlas-sen sich Reproduktionsmediziner daher auf eigene Erfahrungen und entscheiden subjek-tiv, welche prädiktiven Parameter sie für die Steuerung erwünschter (adäquate Oozyten-ausbeute) bzw. unerwünschter (OHSS) Out-comes einer IVF heranziehen.

Lange Zeit galten das Alter der Frau und die antrale Follikelzahl (AFC) als vertrau-enswürdigste Parameter für die prospektive Abschätzung eines Behandlungserfolges. Basierend auf der zwischenzeitlich gesi-cherten Erkenntnis einer unmittelbaren Korrelation zur Anzahl reifender Follikel, ist heute jedoch das „Anti-Müller-Hormon“ (AMH) der prädiktive Parameter der Wahl.

AMH kann zu jeder Zeit des Menstruations-zyklus mit automatisierten Tests im Serum gemessen werden, es ist damit ein robuster und objektiver Marker der ovariellen Funk-tionsreserve. Mit nachlassender ovarieller Funktionsreserve sinken die AMH-Kon-zentrationen ab.

Das StudienkonzeptDie ESTHER-1 Studie1 verglich zwei Be- handlungskonzepte zur Eierstockstimula-tion vor IVF:O Die Prüfgruppe erhielt eine individuali-

sierte Dosierung des neuartigen Wirkstoffs Follitropin delta (FE 999049, Zulassungs-inhaber Ferring Pharmaceuticals, Kopen-hagen), einem humanen, rekombinanten Follikel-stimulierenden Hormon (hrFSH). Verabreicht wurde eine gleichbleibende tägliche Dosis, die sich nach einem festge-

Im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation (IVF) werden exogene Gonadotropine mit dem Ziel verabreicht, die Eierstöcke zu sti-mulieren und eine adäquate Anzahl von Eizellen für die Befruchtung zu gewinnen. Die ovarielle Reaktion auf eine Standard-dosierung zeigt große interindividuelle Schwankungen, gleichzeitig ist sie eine kri-tische Determinante sowohl für die Rate an Lebendgeburten nach IVF als auch für das Risiko eines ovariellen Überstimulations-syndroms (OHSS). Es stellt sich daher die Frage, ob eine Biomarker-gesteuerte, indi-viduell adaptierte Hormonstimulation das Outcome einer IVF-Behandlung optimieren könnte. Vielversprechende Antworten dazu liefert die kürzlich publizierte ESTHER*-1 Studie unter Verwendung des neuen Wirk-stoffes Follitropin delta und des Biomarker-tests Elecsys® AMH Plus.1

foto

lia/

akf

Für Sie gelesen

Ovarielle Stimulation bei IVF Vorteile durch neuen Dosis-Algorithmus

Medizin | Ovarielle Stimulation bei IVF | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017

Körpergewicht der Frau und prätherapeutischer AMH-Spiegel bestimmen die individuelle Dosierung eines neuen Gonadotropin-Wirkstoffs.

Page 2: Ovarielle Stimulation bei IVF Vorteile durch neuen Dosis ... · neue Konzept evtl. Vorteile bei sekundären Endpunkten zeigt (z. B. Anteil Patientinnen mit adäquater Anzahl von Oozyten,

11

legten Algorithmus für jede Frau indivi-duell aus ihrem prätherapeutischen AMH-Spiegel (Elecsys® AMH-Test) und ihrem Körpergewicht ableitete (Tab. 1).

O Die Vergleichsgruppe wurde konventio-nell behandelt. Alle Frauen erhielten Follitropin alpha in einer Standard- dosis von 150 IU über die ersten 5 Tage. Danach konnte die Dosis in Abhängig-keit von dem Therapieansprechen nach oben oder unten angepasst werden (max. 450 IU/Tag) (s.u.).

Abgesehen vom beschriebenen, unter-schiedlichen Stimulationskonzept verlief die Behandlung aller Frauen gleich und nach etablierten Procedere. Therapieziel waren 8–14 gewonnene Oocyten.

Bei ESTHER-1 handelt es sich um eine prospektive, multizentrische (37 Prüfstel-len in 11 Ländern), kontrollierte, randomi-sierte, Behandler-verblindete, sog. „Nicht-Unterlegenheitsstudie“. Dabei ging es im primären Endpunkt um den Nachweis der vergleichbaren Wirksamkeit des neuen mit einem etablierten Präparat hinsichtlich fort-laufender Schwangerschafts- und Implanta-tionsrate. Parallel wurde untersucht, ob das neue Konzept evtl. Vorteile bei sekundären Endpunkten zeigt (z. B. Anteil Patientinnen mit adäquater Anzahl von Oozyten, Prakti-kabilität der Handhabung).

Eingeschlossen waren Frauen im Alter von 18–40 Jahren in einem ersten IVF/ICSI**-Zyklus aufgrund nachgewiesener idiopati-scher bzw. tubulär bedingter Unfruchtbar-keit, Endometriose im Stadium I/II oder infertilen männlichen Partnern. Darüber hinaus waren zusätzliche Ein- und Aus-schlusskriterien definiert. Die Studienteil-nehmerinnen wurden innerhalb der Alters-gruppen < 35, 35–37 und 38–40 Jahre jeweils im Verhältnis 1:1 randomisiert. Insgesamt 1326 Frauen erhielten eine Gonadotropin-therapie (Prüfgruppe n = 665, Vergleichs-gruppe n  =  661) und 1122 dieser Frauen

auch einen Blastozystentransfer (Prüfgruppe n = 562, Vergleichsgruppe n = 560).

Evtl. Empfehlungen zur Dosisanpassung (s.  o.) erfolgten durch die Studienärzte ausschließlich auf Basis der von Tag 1–5 erzielten follikulären Entwicklung, d.  h. ohne Kenntnis der jeweiligen Gruppenzu-gehörigkeit der Patientin. Entsprechende Anweisungen wurden von einer (unverblin-deten) Studienhelferin ausgeführt, sofern die Patientin der Vergleichsgruppe angehörte. Frauen der Prüfgruppe blieben weiterhin bei der anfänglich individuell festgelegten Dosierung.

Primäre Endpunkte der Studie waren:O Fortlaufende Schwangerschaftsrate,

dabei war eine bestehende Schwanger-schaft durch mindestens einen über Ultraschall intrauterin sichtbaren Fetus 10–11 Wochen nach Transfer definiert.

O Fortlaufende Implantationsrate, definiert als der Anteil intrauterin sicht-barer Feten 10–11 Wochen nach Trans-fer bezogen auf die Gesamtzahl transfe-rierter Blastozysten.

Vordefinierte sekundäre Endpunkte waren: O Schwangerschaftsoutcomes, speziell die

Lebendgeburtrate (definiert als die Geburt mindestens eines lebenden Kindes)

O Erfolgsrate der Stimulationsbehandlung, definiert durch die Anzahl der Patientin-nen mit 8–14 gewinnbaren Eizellen bzw. Anteil extremer ovarieller Reaktionen (< 4, ≥ 15 oder ≥ 20 Oozyten)

O Embryologie (Entwicklung der befruch-teten Eizelle und des Embryos)

O Sicherheit der Behandlung bzw. Anteil unerwünschter Nebenwirkungen in Form von OHSS und/oder präventiv notwendiger Interventionen wegen frühem OHSS.

ErgebnisseO Beide Behandlungskonzepte erwiesen

sich als gleichwertig bezüglich der primären Endpunkte „Fortlaufende Schwangerschafts- und Implantations-rate“. Damit war die „Nicht-Unterlegen-heit“ der individualisierten Follitropin delta-Behandlung gezeigt.

O Auch bei den weiteren Schwanger-schaftsoutcomes, der Lebendgeburtrate und der Anzahl lebender Neugeborener nach vier Wochen war kein Unterscheid festzustellen.

O Demgegenüber erreichte die AMH-basierte Behandlung mit Follitropin delta signifikant häufiger den optimalen Zielwert von 8–14 Oozyten und indu-zierte weniger extreme ovarielle Reak-tionen (Tab. 2), obwohl die anfängliche Dosis in keinem Fall nachjustiert worden war (bei Follitropin alfa Nachjustierung in 36,8 % der Fälle).

O Das Auftreten von OHSS und/oder prä-ventiver Maßnahmen wegen OHSS war bei der Follitropin delta-Behandlung signifikant niedriger (Tab. 2). In der Prüfgruppe wurden zwei Frauen wegen eines OHSS hospitalisiert (mittlere Hospitalisationsdauer 4,0 Tage), in der Vergleichsgruppe waren es sechs Frauen (mittlere Hospitalisationsdauer 8,7 Tage). Darüber hinaus gab es zwi-schen den Behandlungsgruppen keinen

Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017 | Ovarielle Stimulation bei IVF | Medizin

Tab. 1: Individualisierte Dosierung von Follitropin delta

AMH- Konzentration

im Serum (pmol/l)

Fixe tägliche Dosis inug/kg Körpergewicht

(max. 12 ug/Tag)

< 15 12

15–16 0,19

17 0,18

18 0,17

19–20 0,16

21–22 0,15

23–24 0,14

25–27 0,13

28–32 0,12

33–39 0,11

≥ 40 0,10

Page 3: Ovarielle Stimulation bei IVF Vorteile durch neuen Dosis ... · neue Konzept evtl. Vorteile bei sekundären Endpunkten zeigt (z. B. Anteil Patientinnen mit adäquater Anzahl von Oozyten,

12

foto

lia/

Kitt

y

Unterschied bei unerwünschten Neben-wirkungen.

O Die Gesamtmenge der im Behandlungs-zyklus verabreichten Gonadotropine lag – bei vergleichbarer Stimulations-dauer – in der Prüfgruppe signifikant (p < 0,001) niedriger.

Fazit Biomarker-gesteuerte Therapien sind bei etlichen medizinischen Fragestellungen, z. B. in der Onkologie etabliert, weil sie Patienten-outcomes verbessern können. Die vorgestellte Studie lässt auch in der Reproduktionsmedi-zin Vorteile einer solchermaßen individuali-sierten Behandlung vermuten. Basierend auf dem Marker der ovariellen Funktionsreserve AMH und dem Körpergewicht der Frau wurde mit dem neuen Wirkstoff Follitropin delta bei einfacherer Handhabung (keine Dosisnachjus-

tierungen) der angestrebte Zielwert von 8–14 gewinnbaren Oozyten häufiger bei gleichzeitig weniger Interventionsbedarf erreicht.

Das OHSS ist die relevanteste Nebenwirkung beim Einsatz von Gonadotropinen. Bis zur Stimulationsausbeute von 15 Eizellen besteht ein linearer Zusammenhang mit der Rate an späteren Lebendgeburten, darüber steigt das OHSS-Risiko überproportional an. Daraus resultiert der erwünschte Bereich von 8–14 Eizellen, dessen Erreichen allerdings bisher oft mit Dosisadaptierungen verbunden ist.

Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse zeich-nen sich mit dem individualisierten Behand-lungskonzept, bei gleichwertigen Schwan-gerschafts- und Implantationsraten, eine zuverlässigere Vorhersage der ovariellen Reak-tion und eine einfachere Anwendung (gleich-

bleibende Dosierung) durch die Patientinnen ab. Bei vergleichbarer Wirksamkeit könnte dies die Sicherheit der Behandlung verbessern und den Monitoringaufwand reduzieren.

Im Rahmen einer kontrollierten ovariellen Stimulation mit Follitropin delta (Firma FERRING Arzneimittel GmbH) fungiert der Elecsys® AMH-Test als Begleitdiagnostikum (Companion Diagnostics) für die präthera-peutische Festlegung der Gonadotropindo-sierung zusammen mit dem Körpergewicht. Dieser Sachverhalt ist in der Fachinforma-tion REKOVELLE®2 und des diagnostischen Tests3 entsprechend dokumentiert.

* ESTHER-1: The Evidence-based Stimulation Trial with Human rFSh in Europe and Rest of World

** ISCI: Intraplasmic sperm injection (Intrazyto-plasmatische Spermieninjektion)

Medizin | Ovarielle Stimulation bei IVF | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 52 • 04/2017

Tab. 2: Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen bei sekundären Endpunkten

Outcome-Kriterium Individualisierte Dosis

Follitropin delta (Prüfgruppe)

Standarddosis Follitropin alfa

(Vergleichsgruppe)

Signifikanz

Optimaler Zielwert gewonnener Eizellen (8–14) erreicht

43,3 % 38,4 % P = 0,019

Poor Response auf Stimulation (< 4 gewonnene Eizellen) bei Frauen mit entsprechendem Risiko

11,8 % 17,9 % P = 0,039

Exzessive Response auf Stimulation bei Frauen mit entsprechendem Risiko ≥ 15 Eizellen≥ 20 Eizellen

27,9 %10,1 %

35,1 %15,6 %

P = 0,038P = 0,030

Präventive Interventionen 2,3 % 4,5 % P = 0,005

OhSS (moderat/schwer) und/oder präventive Maßnahmen

4,4 % 6,7 % P = 0,013

Dr. Frank gast Leitung Medical & Scientific Affairs 0621 759-4618 frank.gast@ roche.com

Literatur 1 Andersen AN et al for the ESThER-1 study group:

„Individualized versus conventional ovarian stimula-tion for in vitro fertilization: a multicenter, randomized, controlled, assessor-blinded, phase 3 noninferiority trial." Fertility and Sterility (2016); epub ahead of print

2 FERRINg Arzneimittel gmbh, Fachinformation REKOVELLE® 12 Mikrogramm, 36 Mikrogramm, 72 Mikrogramm (Stand Dezember 2016)

3 Packungsbeilage Elecsys® AMh Plus-Test (Stand Dezember 2016); Roche Diagnostics

Neuer Dosierungs- algorithmus: Gleiche Schwangerschaftsrate, einfachere Anwendung.