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28 Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften | Heft 11 (2013), S. 28–66 Peter Dils »Nous ne sommes tous que des écoliers en fait d’hiéroglyphes.« Die Bedeutungsfindung des ägyptischen Wortschatzes am Beispiel der Lehre für Kagemni 1. Einführung Das »Wörterbuch der ägyptischen Sprache«, dessen fünf Hauptbände zwischen 1926 und 1931 im Auſtrag der Deutschen Akademien der Wissenschaſten von Adolf Erman (1854–1937) und Hermann Grapow (1885–1967) veröffentlicht wurden, ist bis heute das unverzichtbare Arbeitsinstrument für eine wissen- schaſtliche Bearbeitung altägyptischer Texte. Die Autorität der beiden Her- ausgeber, vor allem die von Adolf Erman als Begründer und Gallionsfigur der streng positivistischen Philologie der »École de Berlin«, 1 war und ist dermaßen groß, dass sich kaum jemand fragt, wie Erman und Grapow zu ihren Bedeu- tungsansätzen gekommen sind bzw. wie sicher, präzise oder vollständig diese sind. Fünfundsiebzig Jahre ägyptologischer Forschung seit der Entzifferung der Hieroglyphen durch Jean-François Champollion im Jahr 1822 wurden beim Anfang des Wörterbuchprojekts 1897 durch Erman, der tabula rasa mit den Arbeiten seiner Vorgänger machen wollte, völlig ausgeblendet. Und doch stützte sich Ermans eigene erste Wortschatzsammlung auf das Glossar zum medizinischen Papyrus Ebers, das 1875 durch Ludwig Stern erstellt worden war. 2 Selbstverständlich ist ein gedrucktes Wörterbuch, das die Informationen stark verdichtet wiedergeben muss, nicht der geeignete Ort, um die Bedeu- tungsfindung zu erörtern, aber auch die bis 1963 erschienenen Zusatzbände zum »Wörterbuch der ägyptischen Sprache« liefern als Begründung für die Wortbedeutungen nur die »eindeutigsten« Belegstellen, nicht die gedanklichen Argumentationen, die zu diesen Bedeutungen führten. Die Angabe »u. ä./o. ä.« 1 Siehe jetzt omas L. Gertzen, École de Berlin und »Goldenes Zeitalter« (1882–1914) der Ägyptologie als Wissenschaſt. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis von Ebers, Erman und Sethe, Berlin/Boston 2013. 2 Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schriſt, herausgegeben, mit Inhaltsangabe und Einleitung versehen von Georg Ebers, mit einem hieroglyphisch-lateinischen Glossar von Ludwig Stern, Bd. II, Leip- zig 1875.

Peter Dils »Nous ne sommes tous que des écoliers en fait d ...repo.saw-leipzig.de/.../escidoc:31051/denkstroeme-heft11_28-66_dils.pdf · Peter Dils 30 2. Der Papyrus Prisse und

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28 Denkstroumlme Journal der Saumlchsischen Akademie der Wissenschaften | Heft 11 (2013) S 28ndash66

Peter Dils

raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquoDie Bedeutungsfindung des aumlgyptischen Wortschatzes am Beispiel der Lehre fuumlr Kagemni

1 Einfuumlhrung

Das raquoWoumlrterbuch der aumlgyptischen Sprachelaquo dessen fuumlnf Hauptbaumlnde zwischen 1926 und 1931 im Auftrag der Deutschen Akademien der Wissenschaften von Adolf Erman (1854ndash1937) und Hermann Grapow (1885ndash1967) veroumlffentlicht wurden ist bis heute das unverzichtbare Arbeitsinstrument fuumlr eine wissen-schaftliche Bearbeitung altaumlgyptischer Texte Die Autoritaumlt der beiden Her-ausgeber vor allem die von Adolf Erman als Begruumlnder und Gallionsfigur der streng positivistischen Philologie der raquoEacutecole de Berlinlaquo1 war und ist dermaszligen groszlig dass sich kaum jemand fragt wie Erman und Grapow zu ihren Bedeu-tungsansaumltzen gekommen sind bzw wie sicher praumlzise oder vollstaumlndig diese sind Fuumlnfundsiebzig Jahre aumlgyptologischer Forschung seit der Entzifferung der Hieroglyphen durch Jean-Franccedilois Champollion im Jahr 1822 wurden beim Anfang des Woumlrterbuchprojekts 1897 durch Erman der tabula rasa mit den Arbeiten seiner Vorgaumlnger machen wollte voumlllig ausgeblendet Und doch stuumltzte sich Ermans eigene erste Wortschatzsammlung auf das Glossar zum medizinischen Papyrus Ebers das 1875 durch Ludwig Stern erstellt worden war2

Selbstverstaumlndlich ist ein gedrucktes Woumlrterbuch das die Informationen stark verdichtet wiedergeben muss nicht der geeignete Ort um die Bedeu-tungsfindung zu eroumlrtern aber auch die bis 1963 erschienenen Zusatzbaumlnde zum raquoWoumlrterbuch der aumlgyptischen Sprachelaquo liefern als Begruumlndung fuumlr die Wortbedeutungen nur die raquoeindeutigstenlaquo Belegstellen nicht die gedanklichen Argumentationen die zu diesen Bedeutungen fuumlhrten Die Angabe raquou aumlo aumllaquo

1 Siehe jetzt Thomas L Gertzen Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (1882ndash1914) der Aumlgyptologie als Wissenschaft Das Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnis von Ebers Erman und Sethe BerlinBoston 2013

2 Papyros Ebers Das hermetische Buch uumlber die Arzeneimittel der alten Aumlgypter in hieratischer Schrift herausgegeben mit Inhaltsangabe und Einleitung versehen von Georg Ebers mit einem hieroglyphisch-lateinischen Glossar von Ludwig Stern Bd II Leip-zig 1875

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

hinter einem Bedeutungsansatz der man auf Schritt und Tritt im Woumlrterbuch begegnet ist ein klares Indiz dafuumlr dass den Woumlrterbuchautoren bewusst war dass ihr monumentales und epochales Werk kein Endpunkt der lexikographi-schen Arbeit darstellte

Die Arbeit wurde mit dem Akademieprojekt raquoAltaumlgyptisches Woumlrterbuchlaquo an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (1992ndash2012) und an der Saumlchsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (1999ndash2012) wieder aufgenommen Hauptziel war es alte und neue Texte nach dem heu-tigen Kenntnisstand mittels eines neuartigen Forschungsinstruments einer digitalen Textdatenbank lexikographisch zu erschlieszligen Das Hauptergebnis dieses Projekts ist die Textdatenbank raquoThesaurus Linguae Aegyptiaelaquo (TLA) mit ca 11 Millionen Textwoumlrtern die im Internet frei zugaumlnglich ist und die es erlaubt ein beliebiges altaumlgyptisches Wort in seinem Satz- und Textkontext abzufragen Von Leipziger Seite wurden die altaumlgyptischen literarischen Texte erschlossen Seit 2013 wird an den beiden Akademien mit dem neu bewillig-ten gemeinsamen Projekt raquoStrukturen und Transformationen des Wortschat-zes der aumlgyptischen Sprache Text- und Wissenskultur im alten Aumlgyptenlaquo die Organisation des Wortschatzes in seiner diachronen Dimension erforscht In diesem auf 22 Jahre bemessenen Projekt werden in Leipzig schwerpunkt-maumlszligig die Wissenstexte mit ihren Fachsprachen und Fachwortschaumltzen analy-siert Parallel dazu laufen am Aumlgyptologischen Institut der Universitaumlt Leipzig zwei weitere lexikographische Projekte zum Aumlgyptisch-Koptischen Das eine Projekt raquoDatabase and Dictionary of Greek Loan Words in Copticlaquo erforscht die sehr zahlreichen griechischen Lehnwoumlrter in der spaumltesten Sprachstufe des Aumlgyptischen dem Koptischen Und das andere Projekt raquoAltaumlgyptische Woumlrterbuumlcher im Verbundlaquo untersucht wie die aumlgyptologische Wortforschung des 19 Jahrhunderts sich in den damaligen Woumlrterbuumlchern nieder geschla- gen hat

Im vorliegenden Beitrag soll anhand eines im abgeschlossenen Leipziger Akademieprojekt behandelten Literaturwerkes der Frage der Bedeutungsfin-dung der Woumlrter exemplarisch nachgegangen werden von den fruumlhesten Uumlber-setzungsversuchen bis in die heutige Zeit Als Beispiel dient das Literaturwerk mit dem modernen Titel Die Lehre fuumlr Kagemni Es gehoumlrt zu der Gattung der Weisheitstexte und ist in einer einzigen Handschrift dem Papyrus Prisse uumlber-liefert Der auf uns gekommene Teil des Textes ist kurz wurde schon fruumlh der Wissenschaft zugaumlnglich und ist seitdem zahlreiche Male uumlbersetzt worden Er enthaumllt sowohl sehr seltenes als auch uumlberaus haumlufiges Vokabular hat einen normativen und einen narrativen Abschnitt und ist teils metrisch teils in Prosa formuliert

Peter Dils

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2 Der Papyrus Prisse und die Lehre fuumlr Kagemni

Die Lehre fuumlr Kagemni steht auf den ersten beiden Kolumnen des Papyrus Prisse der von Emile Prisse drsquoAvennes (1807ndash1879) im Maumlrz 1843 in Kairo an-gekauft wurde3 Der ausgebildete Ingenieur der von 1827 bis 1836 Topogra-phie Hydrologie und Festungsbau an aumlgyptischen Militaumlrschulen im Auftrag des aumlgyptischen Staates lehrte wandte sich anschlieszligend als Privatmann der Archaumlologie und der Architektur- und Kunstgeschichte der pharaonischen wie arabisch-islamischen Zeit zu Prisse erwarb den Papyrus in Kairo von einem raquoFellahlaquo d h einem Bauern der zuvor bei seinen Grabungen auf dem theba-nischen Westufer taumltig gewesen war Ob der Papyrus aus seiner eigenen Gra-bung gestohlen wurde wie Prisse behauptet oder anderswo in der thebani-schen Nekropole gefunden wurde laumlsst sich leider nicht mehr ermitteln Prisse schenkte den Papyrus der Koumlniglichen Bibliothek in Paris heute die Pariser Nationalbibliothek und besorgte selbst die Faksimile-Edition des Papyrus die 1847 erschien4

Der Papyrus Prisse ist 705 m lang 145 bis 15 cm hoch und in ausgezeichnetem Erhaltungszustand5 Er war urspruumlnglich mit einem anderen Text beschriftet

3 Fuumlr die Herkunfts- und Erwerbsgeschichte des Papyrus siehe Michel Dewachter raquoNouvelles informations relatives agrave lrsquoexploitation de la neacutecropole royale de Drah Aboul Neggahlaquo in Revue drsquoEacutegyptologie 36 (1985) S 59ndash66 und vor allem seine Praumlsizierungen raquoLrsquoapparition du Papyrus Prisse (pBN 183ndash194)laquo in Revue drsquoEacutegyptologie 39 (1988) S 209ndash210 Fuumlr die Biographie von Prisse drsquoAvennes siehe Bibliothegraveque Nationale de France (Hg) Visions drsquoEacutegypte Eacutemile Prisse drsquoAvennes (1807ndash1879) Paris 2011 Mercedes Volait (Hg) Eacutemile Prisse drsquoAvennes Un artiste-antiquaire en Eacutegypte au XIXe siegravecle (Bibliothegraveque drsquoEacutetude 156) Le Caire 2013

4 Eacutemile Prisse drsquoAvennes Fac-simileacute drsquoun papyrus eacutegyptien en caractegraveres hieacuteratiques trouveacute agrave Thegravebes donneacute agrave la Bibliothegraveque Royale de Paris et publieacute par E Prisse drsquoAvennes Paris 1847

5 Fuumlr die Beschreibung des Papyrus siehe zuletzt Fredrik Hagen An Ancient Egyp-tian Literary Text in Context The Instruction of Ptahhotep (Orientalia Lovaniensia Analecta

Abb 1 Kol 1ndash2 des Papyrus Prisse Abb nach Jeacutequier Le papyrus Prisse et ses variantes (Fn 5) Tf I

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der abgewaschenabgescheuert wurde (Palimpsest) Daraufhin wurde er mit der Lehre fuumlr Kagemni (Kol 1ndash2) mit einem zweiten Text uumlber einer Laumlnge von 137 cm (Kol 3) und schlieszliglich mit der Lehre des Ptahhotep die den Rest des Papyrus fuumlllt (Kol 4ndash19) neu beschriftet Der zweite Text wurde spaumlter eben-falls ausradiert Obwohl die erste erhaltene Kolumne des Papyrus vollstaumlndig ist ndash vielleicht wurde der meistens loumlchrige Papyrusanfang vom Verkaumlufer vor-her abgeschnitten ndash ist der Beginn der Lehre fuumlr Kagemni nicht uumlberliefert Eine solche Lehre besteht typischerweise aus einer Rahmenerzaumlhlung die einen normativen Teil mit Verhaltensregeln umschlieszligt In der Rahmenerzaumlhlung werden der Autor sowie die Umstaumlnde und der Grund weshalb er die Lehre verfasst hat eingefuumlhrt Nach dem Mittelteil mit den Verhaltensvorschriften setzt die Rahmenerzaumlhlung wieder ein Das anvisierte Publikum wird ange-sprochen und die Vorteile des Befolgens der Regeln werden dargestellt ebenso die Ehrungen die dem Autor zuteilwerden Der uumlberlieferte Text der Lehre fuumlr Kagemni setzt irgendwo mitten in den Verhaltensregeln ein und endet mit der (hinteren) Rahmenerzaumlhlung Wie viel am Anfang verloren ist laumlsst sich nicht einschaumltzen Der Name des Autors ist anders als bei der viel laumlngeren und be-ruumlhmteren Lehre des Ptahhotep nicht auf uns gekommen

Da die beiden Literaturwerke des Papyrus Prisse vorgeben sich im aumlgypti-schen Alten Reich in der Zeit der groszligen Pyramiden unter den Koumlnigen Huni und Snofru (ca 2700ndash2600 v Chr) bzw unter Koumlnig Isesi (ca 2400 v Chr) abzuspielen galt der Papyrus eine Zeit lang als raquole plus ancien manuscrit connu dans le monde entierlaquo6 bzw als raquole plus ancien livre du mondelaquo7 Und er wird

218) LeuvenParisWalpole 2012 S 135ndash142 Er gibt eine Papyruslaumlnge von 640 m an die Laumlnge von 705 m nach Gustave Jeacutequier Le Papyrus Prisse et ses variantes Paris 1911 S 6 Andere Publikationen nennen eine Laumlnge von 701 m und einen ausradierten Bereich (Text 2) von 163 cm (z B httparchivesetmanuscritsbnffreadhtmlid=FRBNFEAD000012921 [1782013]) Letzteres schlieszligt die obere Haumllfte von Kol 4 die ebenfalls ausradiert wurde mit ein Dabei nicht beruumlcksichtigt ist jedoch das Ende von Kol 2 das ebenfalls entfernt wurde Der ausradierte zweite Text kann eine Laumlnge von fuumlnf kompletten Kolumnen gehabt haben vorausgesetzt die Kolumnen hatten eine mit Kol 1 und 2 vergleichbare Laumlnge

6 Emmanuel de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves chef des nau-toniers (Meacutemoires preacutesenteacutes par divers savants agrave lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres de lrsquoInstitut de France Premiegravere Seacuterie Sujets divers drsquoeacuteruditon Tome III) Paris 1851 (= 1853) S 76

7 Franccedilois Joseph Chabas raquoLe plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisselaquo in Revue archeacuteologique 15 (1858) S 1ndash25 Louis Leblois (Hg) Le plus ancien livre du monde Les Sentences de Kakemni gouverneur sous le roi drsquoEacutegypte Snefrou (plus de 2000 ans avant Moiumlse) Texte et traduction Strasbourg 1874 Battiscombe G Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni The oldest books in the world (The Wisdom of the East) New York 1906 (= 1910)

Peter Dils

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beschrieben mit den Worten raquorien nrsquoeacutegale la largeur et la beauteacute de ce ma-nuscrit qui provient drsquoun personnage nommeacute Ptah-Hoteplaquo8 In Wirklichkeit gehoumlrt das Manuskript aus palaumlographischen und sprachhistorischen Gruumlnden in die 12 Dynastie des Mittleren Reiches (ca 1950ndash1750 v Chr) und auch die handschriftliche Schoumlnheit wurde juumlngst in Frage gestellt Ein weiteres Praumldi-kat fuumlr den Papyrus lautete raquoce terrible manuscritlaquo9 Diesmal geht es nicht um die materielle Beschaffenheit des Dokuments sondern um die Uumlbersetzungs-schwierigkeiten Denn die Texte des Papyrus Prisse wurden im 19 Jh wegen ihres moralischen Inhalts und ihrer Form als das Schwierigste was die pharao-nische Kultur an Schriftzeugnissen vorzuweisen hatte eingestuft10

Dank des Thesaurus Linguae Aegyptiae (TLA) sind gewisse Zahleninfor-mationen heute ganz leicht ermittelbar Die Lehre fuumlr Kagemni enthaumllt nach der Lemmatisierung des TLA 294 Woumlrter die sich uumlber 170 verschiedene Lemma ansaumltze verteilen Bloszlig 47 Woumlrter kommen im Text mehr als einmal vor 26 Woumlrter sind insgesamt uumlberaus selten oder sogar nur hier uumlberliefert In der metrischen Uumlbersetzung von R Parkinson besteht der Text aus 45 Versen 29 im normativen und 16 im narrativen Teil11

Zum besseren Verstaumlndnis des Zusammenhangs der spaumlter aufgefuumlhr-ten Beispiele folgt hier eine Uumlbersetzung des groumlszligten Teiles des Literatur- werkes

[Der ganze vordere Bereich des Textes fehlt]

Wohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtigegepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigteOffen ist das Zelt des Schweigendengeraumlumig ist der Platz des Ruhigen

8 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76 9 Franccedilois Joseph Chabas raquoLe Papyrus Prisse Lettre agrave Mr le Directeur du Journal

eacutegyptologique de Berlin agrave propos de la difficulteacute que preacutesente la traduction de ce docu-mentlaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Alterthumskunde 8 (1870) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 99

10 Vgl noch 1911 Jeacutequier Papyrus Prisse (Fn 5) S 6 raquoLes principes moraux contenus au papyrus Prisse constituent le texte litteacuteraire eacutegyptien le plus difficile agrave traduirelaquo

11 Richard B Parkinson The Tale of Sinuhe and other ancient egyptian poems 1940ndash1640 BC (Oxford Worldrsquos Classics) Oxford 1998 S 291ndash292 Es gibt noch immer keine Einigkeit uumlber die Gestaltung des aumlgyptischen Versbaus weshalb auch andere Verszahlen fuumlr die Lehre fuumlr Kagemni vorliegen vgl Hellmut Brunner Altaumlgyptische Weisheit Lehren fuumlr das Leben Darmstadt 1988 S 134ndash136 53 Verse (38+15) und Pascal Vernus Sagesses de lrsquoEacutegypte pharaonique Paris 2001 S 56ndash58 51 Verse (35+16)

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Rede nicht Scharf sind die Messergegen den der vom [rechten] Weg abkommtEs gibt kein Eilen ausgenommen beim [richtigen] Anlass [woumlrtl zu seinem Fall]Wenn du mit einer Menschenmenge [beim Essen] sitzestdann hasse das Brot das du liebst [d h verzichte auf die Nahrung die du bevor-zugst][Denn] das Herz [d h der Sitz des Verlangens] zu bezwingen dauert nur einen kurzen Augenblick[Aber] Schlemmerei[] ist Suumlnde [oder Fresslust ist etwas Abscheuliches] man zeigt mit dem Finger darauf

Ein Becher Wasser der loumlscht den Durst[Und] ein Mundvoll [einfaches] Sww-Gemuumlse das festigt das HerzEtwas Gutes reicht fuumlr das Gute [im Allgemeinen][Und] irgendeine Kleinigkeit reicht fuumlr das Groszlige

Einer mit gierigem Bauch ist ein elender KerlSo wie die Zeit [des Essens] voruumlbergeht da hat er vergessen[Nur] zu Hause hat der Bauch freie Bahn [d h sind dem Appetit keine Schranken gesetzt]

Wenn du mit einem SchlemmerGefraumlszligigen [beim Essen] sitzt dann sollst du [erst] essen wenn sein Heiszlighunger voruumlber istWenn du mit einem ZecherTrunkenbold trinkstdann sollst du annehmen da ist sein Herz befriedigt

Stuumlrze dich nicht auf das Fleisch neben einem GierigenNimm an wenn er dir [etwas] gibtLehne es nicht ab Das ist was [ihn] freundlich stimmen wird

[hellip]

Mache nicht [uumlber]groszlig dein Herz [d h sei nicht hochmuumltig oder uumlbermuumltig] wegen der Muskelkraft[die vorhanden ist] inmitten deiner NachkommenRekrutenHuumlte dich dich zu widersetzen [Denn] man weiszlig nicht was geschehen kannoder was der Gott [d h der Koumlnig] tut wenn er bestraft

Dann veranlasste der Wesir dass seine Kinder gerufen wurdennachdem er sich mit dem Wesen der Menschen vertraut gemacht hatteund ihr Verhalten ihm verstaumlndlich wurde [woumlrtl uumlber ihn kam]

Peter Dils

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Schlieszliglich sagte er zu ihnenraquoWas all dieses angeht das auf dieser Papyrusrolle geschrieben stehthoumlrt daraufgehorcht ihm wie ich es gesagt habeGeht nicht uumlber das hinaus was festgelegtvorgesehen istlaquo

Dann warfen sie sich auf dem BauchDann lasenrezitierten sie es so wie es auf Papier [woumlrtl Schrift] standDann war es besser ihrer Meinung [woumlrtl ihrem Herzen] nach als irgend etwas [anderes] in diesem ganzen LandDann gestalteten sie ihr Leben [woumlrtl standen sie auf und setzten sich] entspre-chend

Da ist die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni entschlafen [woumlrtl angelandet]Da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snefru als wohl-taumltiger Koumlnig uumlber dieses ganze Land aufgestelltDa wurde Kagemni zum [Haupt-]Stadtvorsteher und Wesir eingesetzt

3 Die ersten uumlbersetzten Woumlrter und Saumltze

Die ersten Woumlrter die identifiziert wurden waren Koumlnigsnamen Prisse drsquoAvennes selbst der kein Philologe war erkannte die Kartusche des Snofru sowie die des Isesi der ihm als Besitzer einer Pyramide in Saqqara bekannt war12 Drei Kartuschen von denen mindestens eine aus der Zeit der groszligen Pyramiden stammte (Prisse wusste damals noch nicht dass Snofru der Vater des Cheops war) machten den Papyrus fuumlr seinen Kaumlufer natuumlrlich noch umso wertvoller denn in den 40er Jahren des 19 Jh lag ein Forschungsschwerpunkt auf der Rekonstruktion der Chronologie des alten Aumlgypten und der Reihen-folge der Pharaonen13 Prisse begab sich im Fruumlhjahr 1843 erneut auf die Spuren

12 Brief von Prisse drsquoAvennes an Champollion-Figeac vom 20 Maumlrz 1843 Dewachter Nouvelles informations (Fn 3) S 209

13 Christian Karl Josias von Bunsen (1791ndash1860) und Karl Richard Lepsius (1810ndash1884) versuchten eine Weile gemeinsam die altaumlgyptische Chronologie zu rekonstruieren konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und veroumlffentlichten getrennt ihre Ergebnisse In der Rezension zu Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte (Fn 16) erwaumlhnt Emmanuel de Rougeacute schon den Namen von Pharao Isesi nach dem Papyrus Prisse (in Annales de Philosophie chreacutetienne 13 [1846] S 1ndash74 vgl Gaston Maspero Oeuvres divers Paris 1904 S 10 Anm 1) waumlhrend Bunsen nur den Beleg der raquochambre des ancecirctreslaquo kennt Auch Prisse erstellte seine eigene Koumlnigsliste bei der die Koumlnigsliste aus der raquochambre des ancecirctreslaquo eine wichtige Rolle spielt (Delange in Visions drsquoEacutegypte [Fn 3] S 21ndash22)

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der Koumlnige Snofru und Isesi nun in der sogenannten raquochambre des ancecirctreslaquo des Amuntempels von Karnak Diese Kapelle mit der Darstellung von zahl-reichen Vorgaumlngerkoumlnigen Thutmosisrsquo III lieszlig Prisse demontieren und nach Paris verschicken sehr zum Leidwesen von Richard Lepsius der die Reliefs im gleichen Jahr fuumlr Berlin hatte sichern wollen

Es ist kein Zufall dass der erste komplett uumlbersetzte Satz der Lehre fuumlr Kagemni aus dem narrativen Teil stammt und eine Kartusche enthaumllt Der sprachbegabte Emmanuel de Rougeacute (1811ndash1872)14 der sich seit 1836 mit der Hieroglyphenschrift beschaumlftigte nachdem ihm die in eben diesem Jahr pos-tum erschienene raquoGrammaire eacutegyptienlaquo von Jean-Franccedilois Champollion in die Haumlnde gefallen war konnte im Mai 1849 als erster eine uumlberzeugende Uumlbersetzung eines laumlngeren historischen Textes in der Acadeacutemie des Inscrip-tions et Belles-Lettres vorlegen In der 1851 erfolgten Drucklegung dieser Vor-lesung uumlber die Biographie des Schiffsoffiziers Ahmose einem Meilenstein in der aumlgyptologischen Forschungsliteratur zitierte er auch eine Passage aus der Lehre fuumlr Kagemni15 De Rougeacute arbeitete damals in der aumlgyptischen Abteilung des Louvre spaumlter wurde er Professor fuumlr Aumlgyptologie am Collegravege de France

Die Uumlbersetzung und ausfuumlhrliche Kommentierung der Biographie des Ah-mose durch Emmanuel de Rougeacute war eine groszligartige Leistung denn Champol-lion war 1832 gestorben ohne einen Schuumller ausgebildet oder eine ausfuumlhrliche Sprachbeschreibung hinterlassen zu haben Die aus dem Nachlass 1836 erstellte raquoGrammaire eacutegyptienlaquo und das 1841 erschienene raquoDictionnaire eacutegyptienlaquo reichten nicht aus um fortlaufende Texte zu uumlbersetzen16 De Rougeacute beschreibt seine Vorgehensweise folgendermaszligen raquoJe me suis occupeacute surtout agrave compleacuteter la Grammaire et le Dictionnaire [i e von Champollion] en rendant plus rigoureuse

14 Eine biographische Skizze bei Gaston Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute Paris 1908 auch erschienen als Einfuumlhrung zu den gesammelten Schriften von de Rougeacute Gaston Maspero raquoNotice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacutelaquo in ders (Hg) Emmanuel de Rougeacute Oeuvres diverses Tome premier (Bibliothegraveque eacutegyptologique contenant les oeuvres des eacutegyptologues franccedilais 21) Paris 1907 S indashclvi

15 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) die Kagemni-Stelle auf S 76ndash77

16 Christian Karl Josias Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte Geschichtliche Untersuchung in fuumlnf Buumlchern Erstes Buch Hamburg 1845 S 322 Er schaumltzt die Zahl der bis dahin entzifferten Woumlrter auf etwa 500 An anderer Stelle (S 317) schreibt er raquoEtwa dreihundert Woumlrter der altaumlgyptischen Sprache auf jene Weise urkundlich gefunden hat er [i e Champollion] in derselben [gemeint ist die Grammaire] aufgefuumlhrt und eine be-deutend groumlszligere Anzahl liegt in dem eben jetzt (Febr 1844) vollstaumlndig erschienenen aumlgyp-tischen Woumlrterbuche vorlaquo An anderer Stelle scheint Bunsen die Zahl von 685 Woumlrtern erwaumlhnt zu haben (vgl Heinrich Brugsch Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch Bd IV Leipzig 1868 S viii)

Peter Dils

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la meacutethode drsquoinvestigation Pour se croire certain du sens drsquoun mot il faut que ce sens vous rende raison de tous les passages ougrave vous le trouvez employeacute Crsquoest lagrave un genre de preuve long et peacutenible que ne se sont point imposeacute suffisamment MM Birch et Lepsius qui sont nos deux grands rivaux agrave lrsquoeacutetranger aussi les voyons-nous tregraves souvent obligeacutes de revenir sur des sens qursquoils ont publieacutes et sur des lectures de caractegraveres nouveaux qursquoils ont donneacutees comme certaines sans eacutenoncer leurs preuves Il faut proceacuteder avec plus de seacuteveacuteriteacute [hellip]laquo17

Die Methode die de Rougeacute hier beschreibt ist genau die mit der auch Adolf Erman spaumlter sehr erfolgreich sein wird die Regeln der Grammatik erschlieszligen und eine mutmaszligliche Wortbedeutung an moumlglichst vielen Textstellen uumlber-pruumlfen um die Bedeutung abzusichern Aus diesem Grund zitiert de Rougeacute fuumlr eine bestimmte Wendung in der Biographie des Ahmose die Lehre fuumlr Ka-gemni Aus dem gleichen Grund traumlgt sowohl das abgeschlossene als auch das aktuelle gemeinsame Akademieprojekt von Berlin und Leipzig moumlglichst viele Texte in der Textdatenbank Thesaurus Linguae Aegyptiae zusammen

17 Antwortschreiben von Emmanuel de Rougeacute an Franccedilois Joseph Chabas vom 2231852 nachdem Chabas ihn fuumlr seine angehenden Aumlgyptisch-Studien konsultiert hat Freacutedeacuteric Chabas und Philippe Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas Paris 1898 S 9ndash10

Abb 2 De Rougeacutes drei Stufen der Entschluumlsselung Der gleiche Satz im Hieratischen um-gewandelt in Hieroglyphen in einer (veralteten) wissenschaftlichen Transliteration und in lateinischer Uumlbersetzung (alles von rechts nach links geschrieben in Anlehnung an das hiera tische Original) Aus de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

hinter einem Bedeutungsansatz der man auf Schritt und Tritt im Woumlrterbuch begegnet ist ein klares Indiz dafuumlr dass den Woumlrterbuchautoren bewusst war dass ihr monumentales und epochales Werk kein Endpunkt der lexikographi-schen Arbeit darstellte

Die Arbeit wurde mit dem Akademieprojekt raquoAltaumlgyptisches Woumlrterbuchlaquo an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (1992ndash2012) und an der Saumlchsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (1999ndash2012) wieder aufgenommen Hauptziel war es alte und neue Texte nach dem heu-tigen Kenntnisstand mittels eines neuartigen Forschungsinstruments einer digitalen Textdatenbank lexikographisch zu erschlieszligen Das Hauptergebnis dieses Projekts ist die Textdatenbank raquoThesaurus Linguae Aegyptiaelaquo (TLA) mit ca 11 Millionen Textwoumlrtern die im Internet frei zugaumlnglich ist und die es erlaubt ein beliebiges altaumlgyptisches Wort in seinem Satz- und Textkontext abzufragen Von Leipziger Seite wurden die altaumlgyptischen literarischen Texte erschlossen Seit 2013 wird an den beiden Akademien mit dem neu bewillig-ten gemeinsamen Projekt raquoStrukturen und Transformationen des Wortschat-zes der aumlgyptischen Sprache Text- und Wissenskultur im alten Aumlgyptenlaquo die Organisation des Wortschatzes in seiner diachronen Dimension erforscht In diesem auf 22 Jahre bemessenen Projekt werden in Leipzig schwerpunkt-maumlszligig die Wissenstexte mit ihren Fachsprachen und Fachwortschaumltzen analy-siert Parallel dazu laufen am Aumlgyptologischen Institut der Universitaumlt Leipzig zwei weitere lexikographische Projekte zum Aumlgyptisch-Koptischen Das eine Projekt raquoDatabase and Dictionary of Greek Loan Words in Copticlaquo erforscht die sehr zahlreichen griechischen Lehnwoumlrter in der spaumltesten Sprachstufe des Aumlgyptischen dem Koptischen Und das andere Projekt raquoAltaumlgyptische Woumlrterbuumlcher im Verbundlaquo untersucht wie die aumlgyptologische Wortforschung des 19 Jahrhunderts sich in den damaligen Woumlrterbuumlchern nieder geschla- gen hat

Im vorliegenden Beitrag soll anhand eines im abgeschlossenen Leipziger Akademieprojekt behandelten Literaturwerkes der Frage der Bedeutungsfin-dung der Woumlrter exemplarisch nachgegangen werden von den fruumlhesten Uumlber-setzungsversuchen bis in die heutige Zeit Als Beispiel dient das Literaturwerk mit dem modernen Titel Die Lehre fuumlr Kagemni Es gehoumlrt zu der Gattung der Weisheitstexte und ist in einer einzigen Handschrift dem Papyrus Prisse uumlber-liefert Der auf uns gekommene Teil des Textes ist kurz wurde schon fruumlh der Wissenschaft zugaumlnglich und ist seitdem zahlreiche Male uumlbersetzt worden Er enthaumllt sowohl sehr seltenes als auch uumlberaus haumlufiges Vokabular hat einen normativen und einen narrativen Abschnitt und ist teils metrisch teils in Prosa formuliert

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2 Der Papyrus Prisse und die Lehre fuumlr Kagemni

Die Lehre fuumlr Kagemni steht auf den ersten beiden Kolumnen des Papyrus Prisse der von Emile Prisse drsquoAvennes (1807ndash1879) im Maumlrz 1843 in Kairo an-gekauft wurde3 Der ausgebildete Ingenieur der von 1827 bis 1836 Topogra-phie Hydrologie und Festungsbau an aumlgyptischen Militaumlrschulen im Auftrag des aumlgyptischen Staates lehrte wandte sich anschlieszligend als Privatmann der Archaumlologie und der Architektur- und Kunstgeschichte der pharaonischen wie arabisch-islamischen Zeit zu Prisse erwarb den Papyrus in Kairo von einem raquoFellahlaquo d h einem Bauern der zuvor bei seinen Grabungen auf dem theba-nischen Westufer taumltig gewesen war Ob der Papyrus aus seiner eigenen Gra-bung gestohlen wurde wie Prisse behauptet oder anderswo in der thebani-schen Nekropole gefunden wurde laumlsst sich leider nicht mehr ermitteln Prisse schenkte den Papyrus der Koumlniglichen Bibliothek in Paris heute die Pariser Nationalbibliothek und besorgte selbst die Faksimile-Edition des Papyrus die 1847 erschien4

Der Papyrus Prisse ist 705 m lang 145 bis 15 cm hoch und in ausgezeichnetem Erhaltungszustand5 Er war urspruumlnglich mit einem anderen Text beschriftet

3 Fuumlr die Herkunfts- und Erwerbsgeschichte des Papyrus siehe Michel Dewachter raquoNouvelles informations relatives agrave lrsquoexploitation de la neacutecropole royale de Drah Aboul Neggahlaquo in Revue drsquoEacutegyptologie 36 (1985) S 59ndash66 und vor allem seine Praumlsizierungen raquoLrsquoapparition du Papyrus Prisse (pBN 183ndash194)laquo in Revue drsquoEacutegyptologie 39 (1988) S 209ndash210 Fuumlr die Biographie von Prisse drsquoAvennes siehe Bibliothegraveque Nationale de France (Hg) Visions drsquoEacutegypte Eacutemile Prisse drsquoAvennes (1807ndash1879) Paris 2011 Mercedes Volait (Hg) Eacutemile Prisse drsquoAvennes Un artiste-antiquaire en Eacutegypte au XIXe siegravecle (Bibliothegraveque drsquoEacutetude 156) Le Caire 2013

4 Eacutemile Prisse drsquoAvennes Fac-simileacute drsquoun papyrus eacutegyptien en caractegraveres hieacuteratiques trouveacute agrave Thegravebes donneacute agrave la Bibliothegraveque Royale de Paris et publieacute par E Prisse drsquoAvennes Paris 1847

5 Fuumlr die Beschreibung des Papyrus siehe zuletzt Fredrik Hagen An Ancient Egyp-tian Literary Text in Context The Instruction of Ptahhotep (Orientalia Lovaniensia Analecta

Abb 1 Kol 1ndash2 des Papyrus Prisse Abb nach Jeacutequier Le papyrus Prisse et ses variantes (Fn 5) Tf I

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der abgewaschenabgescheuert wurde (Palimpsest) Daraufhin wurde er mit der Lehre fuumlr Kagemni (Kol 1ndash2) mit einem zweiten Text uumlber einer Laumlnge von 137 cm (Kol 3) und schlieszliglich mit der Lehre des Ptahhotep die den Rest des Papyrus fuumlllt (Kol 4ndash19) neu beschriftet Der zweite Text wurde spaumlter eben-falls ausradiert Obwohl die erste erhaltene Kolumne des Papyrus vollstaumlndig ist ndash vielleicht wurde der meistens loumlchrige Papyrusanfang vom Verkaumlufer vor-her abgeschnitten ndash ist der Beginn der Lehre fuumlr Kagemni nicht uumlberliefert Eine solche Lehre besteht typischerweise aus einer Rahmenerzaumlhlung die einen normativen Teil mit Verhaltensregeln umschlieszligt In der Rahmenerzaumlhlung werden der Autor sowie die Umstaumlnde und der Grund weshalb er die Lehre verfasst hat eingefuumlhrt Nach dem Mittelteil mit den Verhaltensvorschriften setzt die Rahmenerzaumlhlung wieder ein Das anvisierte Publikum wird ange-sprochen und die Vorteile des Befolgens der Regeln werden dargestellt ebenso die Ehrungen die dem Autor zuteilwerden Der uumlberlieferte Text der Lehre fuumlr Kagemni setzt irgendwo mitten in den Verhaltensregeln ein und endet mit der (hinteren) Rahmenerzaumlhlung Wie viel am Anfang verloren ist laumlsst sich nicht einschaumltzen Der Name des Autors ist anders als bei der viel laumlngeren und be-ruumlhmteren Lehre des Ptahhotep nicht auf uns gekommen

Da die beiden Literaturwerke des Papyrus Prisse vorgeben sich im aumlgypti-schen Alten Reich in der Zeit der groszligen Pyramiden unter den Koumlnigen Huni und Snofru (ca 2700ndash2600 v Chr) bzw unter Koumlnig Isesi (ca 2400 v Chr) abzuspielen galt der Papyrus eine Zeit lang als raquole plus ancien manuscrit connu dans le monde entierlaquo6 bzw als raquole plus ancien livre du mondelaquo7 Und er wird

218) LeuvenParisWalpole 2012 S 135ndash142 Er gibt eine Papyruslaumlnge von 640 m an die Laumlnge von 705 m nach Gustave Jeacutequier Le Papyrus Prisse et ses variantes Paris 1911 S 6 Andere Publikationen nennen eine Laumlnge von 701 m und einen ausradierten Bereich (Text 2) von 163 cm (z B httparchivesetmanuscritsbnffreadhtmlid=FRBNFEAD000012921 [1782013]) Letzteres schlieszligt die obere Haumllfte von Kol 4 die ebenfalls ausradiert wurde mit ein Dabei nicht beruumlcksichtigt ist jedoch das Ende von Kol 2 das ebenfalls entfernt wurde Der ausradierte zweite Text kann eine Laumlnge von fuumlnf kompletten Kolumnen gehabt haben vorausgesetzt die Kolumnen hatten eine mit Kol 1 und 2 vergleichbare Laumlnge

6 Emmanuel de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves chef des nau-toniers (Meacutemoires preacutesenteacutes par divers savants agrave lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres de lrsquoInstitut de France Premiegravere Seacuterie Sujets divers drsquoeacuteruditon Tome III) Paris 1851 (= 1853) S 76

7 Franccedilois Joseph Chabas raquoLe plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisselaquo in Revue archeacuteologique 15 (1858) S 1ndash25 Louis Leblois (Hg) Le plus ancien livre du monde Les Sentences de Kakemni gouverneur sous le roi drsquoEacutegypte Snefrou (plus de 2000 ans avant Moiumlse) Texte et traduction Strasbourg 1874 Battiscombe G Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni The oldest books in the world (The Wisdom of the East) New York 1906 (= 1910)

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beschrieben mit den Worten raquorien nrsquoeacutegale la largeur et la beauteacute de ce ma-nuscrit qui provient drsquoun personnage nommeacute Ptah-Hoteplaquo8 In Wirklichkeit gehoumlrt das Manuskript aus palaumlographischen und sprachhistorischen Gruumlnden in die 12 Dynastie des Mittleren Reiches (ca 1950ndash1750 v Chr) und auch die handschriftliche Schoumlnheit wurde juumlngst in Frage gestellt Ein weiteres Praumldi-kat fuumlr den Papyrus lautete raquoce terrible manuscritlaquo9 Diesmal geht es nicht um die materielle Beschaffenheit des Dokuments sondern um die Uumlbersetzungs-schwierigkeiten Denn die Texte des Papyrus Prisse wurden im 19 Jh wegen ihres moralischen Inhalts und ihrer Form als das Schwierigste was die pharao-nische Kultur an Schriftzeugnissen vorzuweisen hatte eingestuft10

Dank des Thesaurus Linguae Aegyptiae (TLA) sind gewisse Zahleninfor-mationen heute ganz leicht ermittelbar Die Lehre fuumlr Kagemni enthaumllt nach der Lemmatisierung des TLA 294 Woumlrter die sich uumlber 170 verschiedene Lemma ansaumltze verteilen Bloszlig 47 Woumlrter kommen im Text mehr als einmal vor 26 Woumlrter sind insgesamt uumlberaus selten oder sogar nur hier uumlberliefert In der metrischen Uumlbersetzung von R Parkinson besteht der Text aus 45 Versen 29 im normativen und 16 im narrativen Teil11

Zum besseren Verstaumlndnis des Zusammenhangs der spaumlter aufgefuumlhr-ten Beispiele folgt hier eine Uumlbersetzung des groumlszligten Teiles des Literatur- werkes

[Der ganze vordere Bereich des Textes fehlt]

Wohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtigegepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigteOffen ist das Zelt des Schweigendengeraumlumig ist der Platz des Ruhigen

8 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76 9 Franccedilois Joseph Chabas raquoLe Papyrus Prisse Lettre agrave Mr le Directeur du Journal

eacutegyptologique de Berlin agrave propos de la difficulteacute que preacutesente la traduction de ce docu-mentlaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Alterthumskunde 8 (1870) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 99

10 Vgl noch 1911 Jeacutequier Papyrus Prisse (Fn 5) S 6 raquoLes principes moraux contenus au papyrus Prisse constituent le texte litteacuteraire eacutegyptien le plus difficile agrave traduirelaquo

11 Richard B Parkinson The Tale of Sinuhe and other ancient egyptian poems 1940ndash1640 BC (Oxford Worldrsquos Classics) Oxford 1998 S 291ndash292 Es gibt noch immer keine Einigkeit uumlber die Gestaltung des aumlgyptischen Versbaus weshalb auch andere Verszahlen fuumlr die Lehre fuumlr Kagemni vorliegen vgl Hellmut Brunner Altaumlgyptische Weisheit Lehren fuumlr das Leben Darmstadt 1988 S 134ndash136 53 Verse (38+15) und Pascal Vernus Sagesses de lrsquoEacutegypte pharaonique Paris 2001 S 56ndash58 51 Verse (35+16)

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Rede nicht Scharf sind die Messergegen den der vom [rechten] Weg abkommtEs gibt kein Eilen ausgenommen beim [richtigen] Anlass [woumlrtl zu seinem Fall]Wenn du mit einer Menschenmenge [beim Essen] sitzestdann hasse das Brot das du liebst [d h verzichte auf die Nahrung die du bevor-zugst][Denn] das Herz [d h der Sitz des Verlangens] zu bezwingen dauert nur einen kurzen Augenblick[Aber] Schlemmerei[] ist Suumlnde [oder Fresslust ist etwas Abscheuliches] man zeigt mit dem Finger darauf

Ein Becher Wasser der loumlscht den Durst[Und] ein Mundvoll [einfaches] Sww-Gemuumlse das festigt das HerzEtwas Gutes reicht fuumlr das Gute [im Allgemeinen][Und] irgendeine Kleinigkeit reicht fuumlr das Groszlige

Einer mit gierigem Bauch ist ein elender KerlSo wie die Zeit [des Essens] voruumlbergeht da hat er vergessen[Nur] zu Hause hat der Bauch freie Bahn [d h sind dem Appetit keine Schranken gesetzt]

Wenn du mit einem SchlemmerGefraumlszligigen [beim Essen] sitzt dann sollst du [erst] essen wenn sein Heiszlighunger voruumlber istWenn du mit einem ZecherTrunkenbold trinkstdann sollst du annehmen da ist sein Herz befriedigt

Stuumlrze dich nicht auf das Fleisch neben einem GierigenNimm an wenn er dir [etwas] gibtLehne es nicht ab Das ist was [ihn] freundlich stimmen wird

[hellip]

Mache nicht [uumlber]groszlig dein Herz [d h sei nicht hochmuumltig oder uumlbermuumltig] wegen der Muskelkraft[die vorhanden ist] inmitten deiner NachkommenRekrutenHuumlte dich dich zu widersetzen [Denn] man weiszlig nicht was geschehen kannoder was der Gott [d h der Koumlnig] tut wenn er bestraft

Dann veranlasste der Wesir dass seine Kinder gerufen wurdennachdem er sich mit dem Wesen der Menschen vertraut gemacht hatteund ihr Verhalten ihm verstaumlndlich wurde [woumlrtl uumlber ihn kam]

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Schlieszliglich sagte er zu ihnenraquoWas all dieses angeht das auf dieser Papyrusrolle geschrieben stehthoumlrt daraufgehorcht ihm wie ich es gesagt habeGeht nicht uumlber das hinaus was festgelegtvorgesehen istlaquo

Dann warfen sie sich auf dem BauchDann lasenrezitierten sie es so wie es auf Papier [woumlrtl Schrift] standDann war es besser ihrer Meinung [woumlrtl ihrem Herzen] nach als irgend etwas [anderes] in diesem ganzen LandDann gestalteten sie ihr Leben [woumlrtl standen sie auf und setzten sich] entspre-chend

Da ist die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni entschlafen [woumlrtl angelandet]Da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snefru als wohl-taumltiger Koumlnig uumlber dieses ganze Land aufgestelltDa wurde Kagemni zum [Haupt-]Stadtvorsteher und Wesir eingesetzt

3 Die ersten uumlbersetzten Woumlrter und Saumltze

Die ersten Woumlrter die identifiziert wurden waren Koumlnigsnamen Prisse drsquoAvennes selbst der kein Philologe war erkannte die Kartusche des Snofru sowie die des Isesi der ihm als Besitzer einer Pyramide in Saqqara bekannt war12 Drei Kartuschen von denen mindestens eine aus der Zeit der groszligen Pyramiden stammte (Prisse wusste damals noch nicht dass Snofru der Vater des Cheops war) machten den Papyrus fuumlr seinen Kaumlufer natuumlrlich noch umso wertvoller denn in den 40er Jahren des 19 Jh lag ein Forschungsschwerpunkt auf der Rekonstruktion der Chronologie des alten Aumlgypten und der Reihen-folge der Pharaonen13 Prisse begab sich im Fruumlhjahr 1843 erneut auf die Spuren

12 Brief von Prisse drsquoAvennes an Champollion-Figeac vom 20 Maumlrz 1843 Dewachter Nouvelles informations (Fn 3) S 209

13 Christian Karl Josias von Bunsen (1791ndash1860) und Karl Richard Lepsius (1810ndash1884) versuchten eine Weile gemeinsam die altaumlgyptische Chronologie zu rekonstruieren konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und veroumlffentlichten getrennt ihre Ergebnisse In der Rezension zu Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte (Fn 16) erwaumlhnt Emmanuel de Rougeacute schon den Namen von Pharao Isesi nach dem Papyrus Prisse (in Annales de Philosophie chreacutetienne 13 [1846] S 1ndash74 vgl Gaston Maspero Oeuvres divers Paris 1904 S 10 Anm 1) waumlhrend Bunsen nur den Beleg der raquochambre des ancecirctreslaquo kennt Auch Prisse erstellte seine eigene Koumlnigsliste bei der die Koumlnigsliste aus der raquochambre des ancecirctreslaquo eine wichtige Rolle spielt (Delange in Visions drsquoEacutegypte [Fn 3] S 21ndash22)

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der Koumlnige Snofru und Isesi nun in der sogenannten raquochambre des ancecirctreslaquo des Amuntempels von Karnak Diese Kapelle mit der Darstellung von zahl-reichen Vorgaumlngerkoumlnigen Thutmosisrsquo III lieszlig Prisse demontieren und nach Paris verschicken sehr zum Leidwesen von Richard Lepsius der die Reliefs im gleichen Jahr fuumlr Berlin hatte sichern wollen

Es ist kein Zufall dass der erste komplett uumlbersetzte Satz der Lehre fuumlr Kagemni aus dem narrativen Teil stammt und eine Kartusche enthaumllt Der sprachbegabte Emmanuel de Rougeacute (1811ndash1872)14 der sich seit 1836 mit der Hieroglyphenschrift beschaumlftigte nachdem ihm die in eben diesem Jahr pos-tum erschienene raquoGrammaire eacutegyptienlaquo von Jean-Franccedilois Champollion in die Haumlnde gefallen war konnte im Mai 1849 als erster eine uumlberzeugende Uumlbersetzung eines laumlngeren historischen Textes in der Acadeacutemie des Inscrip-tions et Belles-Lettres vorlegen In der 1851 erfolgten Drucklegung dieser Vor-lesung uumlber die Biographie des Schiffsoffiziers Ahmose einem Meilenstein in der aumlgyptologischen Forschungsliteratur zitierte er auch eine Passage aus der Lehre fuumlr Kagemni15 De Rougeacute arbeitete damals in der aumlgyptischen Abteilung des Louvre spaumlter wurde er Professor fuumlr Aumlgyptologie am Collegravege de France

Die Uumlbersetzung und ausfuumlhrliche Kommentierung der Biographie des Ah-mose durch Emmanuel de Rougeacute war eine groszligartige Leistung denn Champol-lion war 1832 gestorben ohne einen Schuumller ausgebildet oder eine ausfuumlhrliche Sprachbeschreibung hinterlassen zu haben Die aus dem Nachlass 1836 erstellte raquoGrammaire eacutegyptienlaquo und das 1841 erschienene raquoDictionnaire eacutegyptienlaquo reichten nicht aus um fortlaufende Texte zu uumlbersetzen16 De Rougeacute beschreibt seine Vorgehensweise folgendermaszligen raquoJe me suis occupeacute surtout agrave compleacuteter la Grammaire et le Dictionnaire [i e von Champollion] en rendant plus rigoureuse

14 Eine biographische Skizze bei Gaston Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute Paris 1908 auch erschienen als Einfuumlhrung zu den gesammelten Schriften von de Rougeacute Gaston Maspero raquoNotice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacutelaquo in ders (Hg) Emmanuel de Rougeacute Oeuvres diverses Tome premier (Bibliothegraveque eacutegyptologique contenant les oeuvres des eacutegyptologues franccedilais 21) Paris 1907 S indashclvi

15 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) die Kagemni-Stelle auf S 76ndash77

16 Christian Karl Josias Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte Geschichtliche Untersuchung in fuumlnf Buumlchern Erstes Buch Hamburg 1845 S 322 Er schaumltzt die Zahl der bis dahin entzifferten Woumlrter auf etwa 500 An anderer Stelle (S 317) schreibt er raquoEtwa dreihundert Woumlrter der altaumlgyptischen Sprache auf jene Weise urkundlich gefunden hat er [i e Champollion] in derselben [gemeint ist die Grammaire] aufgefuumlhrt und eine be-deutend groumlszligere Anzahl liegt in dem eben jetzt (Febr 1844) vollstaumlndig erschienenen aumlgyp-tischen Woumlrterbuche vorlaquo An anderer Stelle scheint Bunsen die Zahl von 685 Woumlrtern erwaumlhnt zu haben (vgl Heinrich Brugsch Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch Bd IV Leipzig 1868 S viii)

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la meacutethode drsquoinvestigation Pour se croire certain du sens drsquoun mot il faut que ce sens vous rende raison de tous les passages ougrave vous le trouvez employeacute Crsquoest lagrave un genre de preuve long et peacutenible que ne se sont point imposeacute suffisamment MM Birch et Lepsius qui sont nos deux grands rivaux agrave lrsquoeacutetranger aussi les voyons-nous tregraves souvent obligeacutes de revenir sur des sens qursquoils ont publieacutes et sur des lectures de caractegraveres nouveaux qursquoils ont donneacutees comme certaines sans eacutenoncer leurs preuves Il faut proceacuteder avec plus de seacuteveacuteriteacute [hellip]laquo17

Die Methode die de Rougeacute hier beschreibt ist genau die mit der auch Adolf Erman spaumlter sehr erfolgreich sein wird die Regeln der Grammatik erschlieszligen und eine mutmaszligliche Wortbedeutung an moumlglichst vielen Textstellen uumlber-pruumlfen um die Bedeutung abzusichern Aus diesem Grund zitiert de Rougeacute fuumlr eine bestimmte Wendung in der Biographie des Ahmose die Lehre fuumlr Ka-gemni Aus dem gleichen Grund traumlgt sowohl das abgeschlossene als auch das aktuelle gemeinsame Akademieprojekt von Berlin und Leipzig moumlglichst viele Texte in der Textdatenbank Thesaurus Linguae Aegyptiae zusammen

17 Antwortschreiben von Emmanuel de Rougeacute an Franccedilois Joseph Chabas vom 2231852 nachdem Chabas ihn fuumlr seine angehenden Aumlgyptisch-Studien konsultiert hat Freacutedeacuteric Chabas und Philippe Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas Paris 1898 S 9ndash10

Abb 2 De Rougeacutes drei Stufen der Entschluumlsselung Der gleiche Satz im Hieratischen um-gewandelt in Hieroglyphen in einer (veralteten) wissenschaftlichen Transliteration und in lateinischer Uumlbersetzung (alles von rechts nach links geschrieben in Anlehnung an das hiera tische Original) Aus de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76

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Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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Peter Dils

ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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2 Der Papyrus Prisse und die Lehre fuumlr Kagemni

Die Lehre fuumlr Kagemni steht auf den ersten beiden Kolumnen des Papyrus Prisse der von Emile Prisse drsquoAvennes (1807ndash1879) im Maumlrz 1843 in Kairo an-gekauft wurde3 Der ausgebildete Ingenieur der von 1827 bis 1836 Topogra-phie Hydrologie und Festungsbau an aumlgyptischen Militaumlrschulen im Auftrag des aumlgyptischen Staates lehrte wandte sich anschlieszligend als Privatmann der Archaumlologie und der Architektur- und Kunstgeschichte der pharaonischen wie arabisch-islamischen Zeit zu Prisse erwarb den Papyrus in Kairo von einem raquoFellahlaquo d h einem Bauern der zuvor bei seinen Grabungen auf dem theba-nischen Westufer taumltig gewesen war Ob der Papyrus aus seiner eigenen Gra-bung gestohlen wurde wie Prisse behauptet oder anderswo in der thebani-schen Nekropole gefunden wurde laumlsst sich leider nicht mehr ermitteln Prisse schenkte den Papyrus der Koumlniglichen Bibliothek in Paris heute die Pariser Nationalbibliothek und besorgte selbst die Faksimile-Edition des Papyrus die 1847 erschien4

Der Papyrus Prisse ist 705 m lang 145 bis 15 cm hoch und in ausgezeichnetem Erhaltungszustand5 Er war urspruumlnglich mit einem anderen Text beschriftet

3 Fuumlr die Herkunfts- und Erwerbsgeschichte des Papyrus siehe Michel Dewachter raquoNouvelles informations relatives agrave lrsquoexploitation de la neacutecropole royale de Drah Aboul Neggahlaquo in Revue drsquoEacutegyptologie 36 (1985) S 59ndash66 und vor allem seine Praumlsizierungen raquoLrsquoapparition du Papyrus Prisse (pBN 183ndash194)laquo in Revue drsquoEacutegyptologie 39 (1988) S 209ndash210 Fuumlr die Biographie von Prisse drsquoAvennes siehe Bibliothegraveque Nationale de France (Hg) Visions drsquoEacutegypte Eacutemile Prisse drsquoAvennes (1807ndash1879) Paris 2011 Mercedes Volait (Hg) Eacutemile Prisse drsquoAvennes Un artiste-antiquaire en Eacutegypte au XIXe siegravecle (Bibliothegraveque drsquoEacutetude 156) Le Caire 2013

4 Eacutemile Prisse drsquoAvennes Fac-simileacute drsquoun papyrus eacutegyptien en caractegraveres hieacuteratiques trouveacute agrave Thegravebes donneacute agrave la Bibliothegraveque Royale de Paris et publieacute par E Prisse drsquoAvennes Paris 1847

5 Fuumlr die Beschreibung des Papyrus siehe zuletzt Fredrik Hagen An Ancient Egyp-tian Literary Text in Context The Instruction of Ptahhotep (Orientalia Lovaniensia Analecta

Abb 1 Kol 1ndash2 des Papyrus Prisse Abb nach Jeacutequier Le papyrus Prisse et ses variantes (Fn 5) Tf I

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der abgewaschenabgescheuert wurde (Palimpsest) Daraufhin wurde er mit der Lehre fuumlr Kagemni (Kol 1ndash2) mit einem zweiten Text uumlber einer Laumlnge von 137 cm (Kol 3) und schlieszliglich mit der Lehre des Ptahhotep die den Rest des Papyrus fuumlllt (Kol 4ndash19) neu beschriftet Der zweite Text wurde spaumlter eben-falls ausradiert Obwohl die erste erhaltene Kolumne des Papyrus vollstaumlndig ist ndash vielleicht wurde der meistens loumlchrige Papyrusanfang vom Verkaumlufer vor-her abgeschnitten ndash ist der Beginn der Lehre fuumlr Kagemni nicht uumlberliefert Eine solche Lehre besteht typischerweise aus einer Rahmenerzaumlhlung die einen normativen Teil mit Verhaltensregeln umschlieszligt In der Rahmenerzaumlhlung werden der Autor sowie die Umstaumlnde und der Grund weshalb er die Lehre verfasst hat eingefuumlhrt Nach dem Mittelteil mit den Verhaltensvorschriften setzt die Rahmenerzaumlhlung wieder ein Das anvisierte Publikum wird ange-sprochen und die Vorteile des Befolgens der Regeln werden dargestellt ebenso die Ehrungen die dem Autor zuteilwerden Der uumlberlieferte Text der Lehre fuumlr Kagemni setzt irgendwo mitten in den Verhaltensregeln ein und endet mit der (hinteren) Rahmenerzaumlhlung Wie viel am Anfang verloren ist laumlsst sich nicht einschaumltzen Der Name des Autors ist anders als bei der viel laumlngeren und be-ruumlhmteren Lehre des Ptahhotep nicht auf uns gekommen

Da die beiden Literaturwerke des Papyrus Prisse vorgeben sich im aumlgypti-schen Alten Reich in der Zeit der groszligen Pyramiden unter den Koumlnigen Huni und Snofru (ca 2700ndash2600 v Chr) bzw unter Koumlnig Isesi (ca 2400 v Chr) abzuspielen galt der Papyrus eine Zeit lang als raquole plus ancien manuscrit connu dans le monde entierlaquo6 bzw als raquole plus ancien livre du mondelaquo7 Und er wird

218) LeuvenParisWalpole 2012 S 135ndash142 Er gibt eine Papyruslaumlnge von 640 m an die Laumlnge von 705 m nach Gustave Jeacutequier Le Papyrus Prisse et ses variantes Paris 1911 S 6 Andere Publikationen nennen eine Laumlnge von 701 m und einen ausradierten Bereich (Text 2) von 163 cm (z B httparchivesetmanuscritsbnffreadhtmlid=FRBNFEAD000012921 [1782013]) Letzteres schlieszligt die obere Haumllfte von Kol 4 die ebenfalls ausradiert wurde mit ein Dabei nicht beruumlcksichtigt ist jedoch das Ende von Kol 2 das ebenfalls entfernt wurde Der ausradierte zweite Text kann eine Laumlnge von fuumlnf kompletten Kolumnen gehabt haben vorausgesetzt die Kolumnen hatten eine mit Kol 1 und 2 vergleichbare Laumlnge

6 Emmanuel de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves chef des nau-toniers (Meacutemoires preacutesenteacutes par divers savants agrave lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres de lrsquoInstitut de France Premiegravere Seacuterie Sujets divers drsquoeacuteruditon Tome III) Paris 1851 (= 1853) S 76

7 Franccedilois Joseph Chabas raquoLe plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisselaquo in Revue archeacuteologique 15 (1858) S 1ndash25 Louis Leblois (Hg) Le plus ancien livre du monde Les Sentences de Kakemni gouverneur sous le roi drsquoEacutegypte Snefrou (plus de 2000 ans avant Moiumlse) Texte et traduction Strasbourg 1874 Battiscombe G Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni The oldest books in the world (The Wisdom of the East) New York 1906 (= 1910)

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beschrieben mit den Worten raquorien nrsquoeacutegale la largeur et la beauteacute de ce ma-nuscrit qui provient drsquoun personnage nommeacute Ptah-Hoteplaquo8 In Wirklichkeit gehoumlrt das Manuskript aus palaumlographischen und sprachhistorischen Gruumlnden in die 12 Dynastie des Mittleren Reiches (ca 1950ndash1750 v Chr) und auch die handschriftliche Schoumlnheit wurde juumlngst in Frage gestellt Ein weiteres Praumldi-kat fuumlr den Papyrus lautete raquoce terrible manuscritlaquo9 Diesmal geht es nicht um die materielle Beschaffenheit des Dokuments sondern um die Uumlbersetzungs-schwierigkeiten Denn die Texte des Papyrus Prisse wurden im 19 Jh wegen ihres moralischen Inhalts und ihrer Form als das Schwierigste was die pharao-nische Kultur an Schriftzeugnissen vorzuweisen hatte eingestuft10

Dank des Thesaurus Linguae Aegyptiae (TLA) sind gewisse Zahleninfor-mationen heute ganz leicht ermittelbar Die Lehre fuumlr Kagemni enthaumllt nach der Lemmatisierung des TLA 294 Woumlrter die sich uumlber 170 verschiedene Lemma ansaumltze verteilen Bloszlig 47 Woumlrter kommen im Text mehr als einmal vor 26 Woumlrter sind insgesamt uumlberaus selten oder sogar nur hier uumlberliefert In der metrischen Uumlbersetzung von R Parkinson besteht der Text aus 45 Versen 29 im normativen und 16 im narrativen Teil11

Zum besseren Verstaumlndnis des Zusammenhangs der spaumlter aufgefuumlhr-ten Beispiele folgt hier eine Uumlbersetzung des groumlszligten Teiles des Literatur- werkes

[Der ganze vordere Bereich des Textes fehlt]

Wohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtigegepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigteOffen ist das Zelt des Schweigendengeraumlumig ist der Platz des Ruhigen

8 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76 9 Franccedilois Joseph Chabas raquoLe Papyrus Prisse Lettre agrave Mr le Directeur du Journal

eacutegyptologique de Berlin agrave propos de la difficulteacute que preacutesente la traduction de ce docu-mentlaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Alterthumskunde 8 (1870) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 99

10 Vgl noch 1911 Jeacutequier Papyrus Prisse (Fn 5) S 6 raquoLes principes moraux contenus au papyrus Prisse constituent le texte litteacuteraire eacutegyptien le plus difficile agrave traduirelaquo

11 Richard B Parkinson The Tale of Sinuhe and other ancient egyptian poems 1940ndash1640 BC (Oxford Worldrsquos Classics) Oxford 1998 S 291ndash292 Es gibt noch immer keine Einigkeit uumlber die Gestaltung des aumlgyptischen Versbaus weshalb auch andere Verszahlen fuumlr die Lehre fuumlr Kagemni vorliegen vgl Hellmut Brunner Altaumlgyptische Weisheit Lehren fuumlr das Leben Darmstadt 1988 S 134ndash136 53 Verse (38+15) und Pascal Vernus Sagesses de lrsquoEacutegypte pharaonique Paris 2001 S 56ndash58 51 Verse (35+16)

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Rede nicht Scharf sind die Messergegen den der vom [rechten] Weg abkommtEs gibt kein Eilen ausgenommen beim [richtigen] Anlass [woumlrtl zu seinem Fall]Wenn du mit einer Menschenmenge [beim Essen] sitzestdann hasse das Brot das du liebst [d h verzichte auf die Nahrung die du bevor-zugst][Denn] das Herz [d h der Sitz des Verlangens] zu bezwingen dauert nur einen kurzen Augenblick[Aber] Schlemmerei[] ist Suumlnde [oder Fresslust ist etwas Abscheuliches] man zeigt mit dem Finger darauf

Ein Becher Wasser der loumlscht den Durst[Und] ein Mundvoll [einfaches] Sww-Gemuumlse das festigt das HerzEtwas Gutes reicht fuumlr das Gute [im Allgemeinen][Und] irgendeine Kleinigkeit reicht fuumlr das Groszlige

Einer mit gierigem Bauch ist ein elender KerlSo wie die Zeit [des Essens] voruumlbergeht da hat er vergessen[Nur] zu Hause hat der Bauch freie Bahn [d h sind dem Appetit keine Schranken gesetzt]

Wenn du mit einem SchlemmerGefraumlszligigen [beim Essen] sitzt dann sollst du [erst] essen wenn sein Heiszlighunger voruumlber istWenn du mit einem ZecherTrunkenbold trinkstdann sollst du annehmen da ist sein Herz befriedigt

Stuumlrze dich nicht auf das Fleisch neben einem GierigenNimm an wenn er dir [etwas] gibtLehne es nicht ab Das ist was [ihn] freundlich stimmen wird

[hellip]

Mache nicht [uumlber]groszlig dein Herz [d h sei nicht hochmuumltig oder uumlbermuumltig] wegen der Muskelkraft[die vorhanden ist] inmitten deiner NachkommenRekrutenHuumlte dich dich zu widersetzen [Denn] man weiszlig nicht was geschehen kannoder was der Gott [d h der Koumlnig] tut wenn er bestraft

Dann veranlasste der Wesir dass seine Kinder gerufen wurdennachdem er sich mit dem Wesen der Menschen vertraut gemacht hatteund ihr Verhalten ihm verstaumlndlich wurde [woumlrtl uumlber ihn kam]

Peter Dils

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Schlieszliglich sagte er zu ihnenraquoWas all dieses angeht das auf dieser Papyrusrolle geschrieben stehthoumlrt daraufgehorcht ihm wie ich es gesagt habeGeht nicht uumlber das hinaus was festgelegtvorgesehen istlaquo

Dann warfen sie sich auf dem BauchDann lasenrezitierten sie es so wie es auf Papier [woumlrtl Schrift] standDann war es besser ihrer Meinung [woumlrtl ihrem Herzen] nach als irgend etwas [anderes] in diesem ganzen LandDann gestalteten sie ihr Leben [woumlrtl standen sie auf und setzten sich] entspre-chend

Da ist die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni entschlafen [woumlrtl angelandet]Da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snefru als wohl-taumltiger Koumlnig uumlber dieses ganze Land aufgestelltDa wurde Kagemni zum [Haupt-]Stadtvorsteher und Wesir eingesetzt

3 Die ersten uumlbersetzten Woumlrter und Saumltze

Die ersten Woumlrter die identifiziert wurden waren Koumlnigsnamen Prisse drsquoAvennes selbst der kein Philologe war erkannte die Kartusche des Snofru sowie die des Isesi der ihm als Besitzer einer Pyramide in Saqqara bekannt war12 Drei Kartuschen von denen mindestens eine aus der Zeit der groszligen Pyramiden stammte (Prisse wusste damals noch nicht dass Snofru der Vater des Cheops war) machten den Papyrus fuumlr seinen Kaumlufer natuumlrlich noch umso wertvoller denn in den 40er Jahren des 19 Jh lag ein Forschungsschwerpunkt auf der Rekonstruktion der Chronologie des alten Aumlgypten und der Reihen-folge der Pharaonen13 Prisse begab sich im Fruumlhjahr 1843 erneut auf die Spuren

12 Brief von Prisse drsquoAvennes an Champollion-Figeac vom 20 Maumlrz 1843 Dewachter Nouvelles informations (Fn 3) S 209

13 Christian Karl Josias von Bunsen (1791ndash1860) und Karl Richard Lepsius (1810ndash1884) versuchten eine Weile gemeinsam die altaumlgyptische Chronologie zu rekonstruieren konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und veroumlffentlichten getrennt ihre Ergebnisse In der Rezension zu Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte (Fn 16) erwaumlhnt Emmanuel de Rougeacute schon den Namen von Pharao Isesi nach dem Papyrus Prisse (in Annales de Philosophie chreacutetienne 13 [1846] S 1ndash74 vgl Gaston Maspero Oeuvres divers Paris 1904 S 10 Anm 1) waumlhrend Bunsen nur den Beleg der raquochambre des ancecirctreslaquo kennt Auch Prisse erstellte seine eigene Koumlnigsliste bei der die Koumlnigsliste aus der raquochambre des ancecirctreslaquo eine wichtige Rolle spielt (Delange in Visions drsquoEacutegypte [Fn 3] S 21ndash22)

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der Koumlnige Snofru und Isesi nun in der sogenannten raquochambre des ancecirctreslaquo des Amuntempels von Karnak Diese Kapelle mit der Darstellung von zahl-reichen Vorgaumlngerkoumlnigen Thutmosisrsquo III lieszlig Prisse demontieren und nach Paris verschicken sehr zum Leidwesen von Richard Lepsius der die Reliefs im gleichen Jahr fuumlr Berlin hatte sichern wollen

Es ist kein Zufall dass der erste komplett uumlbersetzte Satz der Lehre fuumlr Kagemni aus dem narrativen Teil stammt und eine Kartusche enthaumllt Der sprachbegabte Emmanuel de Rougeacute (1811ndash1872)14 der sich seit 1836 mit der Hieroglyphenschrift beschaumlftigte nachdem ihm die in eben diesem Jahr pos-tum erschienene raquoGrammaire eacutegyptienlaquo von Jean-Franccedilois Champollion in die Haumlnde gefallen war konnte im Mai 1849 als erster eine uumlberzeugende Uumlbersetzung eines laumlngeren historischen Textes in der Acadeacutemie des Inscrip-tions et Belles-Lettres vorlegen In der 1851 erfolgten Drucklegung dieser Vor-lesung uumlber die Biographie des Schiffsoffiziers Ahmose einem Meilenstein in der aumlgyptologischen Forschungsliteratur zitierte er auch eine Passage aus der Lehre fuumlr Kagemni15 De Rougeacute arbeitete damals in der aumlgyptischen Abteilung des Louvre spaumlter wurde er Professor fuumlr Aumlgyptologie am Collegravege de France

Die Uumlbersetzung und ausfuumlhrliche Kommentierung der Biographie des Ah-mose durch Emmanuel de Rougeacute war eine groszligartige Leistung denn Champol-lion war 1832 gestorben ohne einen Schuumller ausgebildet oder eine ausfuumlhrliche Sprachbeschreibung hinterlassen zu haben Die aus dem Nachlass 1836 erstellte raquoGrammaire eacutegyptienlaquo und das 1841 erschienene raquoDictionnaire eacutegyptienlaquo reichten nicht aus um fortlaufende Texte zu uumlbersetzen16 De Rougeacute beschreibt seine Vorgehensweise folgendermaszligen raquoJe me suis occupeacute surtout agrave compleacuteter la Grammaire et le Dictionnaire [i e von Champollion] en rendant plus rigoureuse

14 Eine biographische Skizze bei Gaston Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute Paris 1908 auch erschienen als Einfuumlhrung zu den gesammelten Schriften von de Rougeacute Gaston Maspero raquoNotice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacutelaquo in ders (Hg) Emmanuel de Rougeacute Oeuvres diverses Tome premier (Bibliothegraveque eacutegyptologique contenant les oeuvres des eacutegyptologues franccedilais 21) Paris 1907 S indashclvi

15 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) die Kagemni-Stelle auf S 76ndash77

16 Christian Karl Josias Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte Geschichtliche Untersuchung in fuumlnf Buumlchern Erstes Buch Hamburg 1845 S 322 Er schaumltzt die Zahl der bis dahin entzifferten Woumlrter auf etwa 500 An anderer Stelle (S 317) schreibt er raquoEtwa dreihundert Woumlrter der altaumlgyptischen Sprache auf jene Weise urkundlich gefunden hat er [i e Champollion] in derselben [gemeint ist die Grammaire] aufgefuumlhrt und eine be-deutend groumlszligere Anzahl liegt in dem eben jetzt (Febr 1844) vollstaumlndig erschienenen aumlgyp-tischen Woumlrterbuche vorlaquo An anderer Stelle scheint Bunsen die Zahl von 685 Woumlrtern erwaumlhnt zu haben (vgl Heinrich Brugsch Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch Bd IV Leipzig 1868 S viii)

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la meacutethode drsquoinvestigation Pour se croire certain du sens drsquoun mot il faut que ce sens vous rende raison de tous les passages ougrave vous le trouvez employeacute Crsquoest lagrave un genre de preuve long et peacutenible que ne se sont point imposeacute suffisamment MM Birch et Lepsius qui sont nos deux grands rivaux agrave lrsquoeacutetranger aussi les voyons-nous tregraves souvent obligeacutes de revenir sur des sens qursquoils ont publieacutes et sur des lectures de caractegraveres nouveaux qursquoils ont donneacutees comme certaines sans eacutenoncer leurs preuves Il faut proceacuteder avec plus de seacuteveacuteriteacute [hellip]laquo17

Die Methode die de Rougeacute hier beschreibt ist genau die mit der auch Adolf Erman spaumlter sehr erfolgreich sein wird die Regeln der Grammatik erschlieszligen und eine mutmaszligliche Wortbedeutung an moumlglichst vielen Textstellen uumlber-pruumlfen um die Bedeutung abzusichern Aus diesem Grund zitiert de Rougeacute fuumlr eine bestimmte Wendung in der Biographie des Ahmose die Lehre fuumlr Ka-gemni Aus dem gleichen Grund traumlgt sowohl das abgeschlossene als auch das aktuelle gemeinsame Akademieprojekt von Berlin und Leipzig moumlglichst viele Texte in der Textdatenbank Thesaurus Linguae Aegyptiae zusammen

17 Antwortschreiben von Emmanuel de Rougeacute an Franccedilois Joseph Chabas vom 2231852 nachdem Chabas ihn fuumlr seine angehenden Aumlgyptisch-Studien konsultiert hat Freacutedeacuteric Chabas und Philippe Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas Paris 1898 S 9ndash10

Abb 2 De Rougeacutes drei Stufen der Entschluumlsselung Der gleiche Satz im Hieratischen um-gewandelt in Hieroglyphen in einer (veralteten) wissenschaftlichen Transliteration und in lateinischer Uumlbersetzung (alles von rechts nach links geschrieben in Anlehnung an das hiera tische Original) Aus de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der abgewaschenabgescheuert wurde (Palimpsest) Daraufhin wurde er mit der Lehre fuumlr Kagemni (Kol 1ndash2) mit einem zweiten Text uumlber einer Laumlnge von 137 cm (Kol 3) und schlieszliglich mit der Lehre des Ptahhotep die den Rest des Papyrus fuumlllt (Kol 4ndash19) neu beschriftet Der zweite Text wurde spaumlter eben-falls ausradiert Obwohl die erste erhaltene Kolumne des Papyrus vollstaumlndig ist ndash vielleicht wurde der meistens loumlchrige Papyrusanfang vom Verkaumlufer vor-her abgeschnitten ndash ist der Beginn der Lehre fuumlr Kagemni nicht uumlberliefert Eine solche Lehre besteht typischerweise aus einer Rahmenerzaumlhlung die einen normativen Teil mit Verhaltensregeln umschlieszligt In der Rahmenerzaumlhlung werden der Autor sowie die Umstaumlnde und der Grund weshalb er die Lehre verfasst hat eingefuumlhrt Nach dem Mittelteil mit den Verhaltensvorschriften setzt die Rahmenerzaumlhlung wieder ein Das anvisierte Publikum wird ange-sprochen und die Vorteile des Befolgens der Regeln werden dargestellt ebenso die Ehrungen die dem Autor zuteilwerden Der uumlberlieferte Text der Lehre fuumlr Kagemni setzt irgendwo mitten in den Verhaltensregeln ein und endet mit der (hinteren) Rahmenerzaumlhlung Wie viel am Anfang verloren ist laumlsst sich nicht einschaumltzen Der Name des Autors ist anders als bei der viel laumlngeren und be-ruumlhmteren Lehre des Ptahhotep nicht auf uns gekommen

Da die beiden Literaturwerke des Papyrus Prisse vorgeben sich im aumlgypti-schen Alten Reich in der Zeit der groszligen Pyramiden unter den Koumlnigen Huni und Snofru (ca 2700ndash2600 v Chr) bzw unter Koumlnig Isesi (ca 2400 v Chr) abzuspielen galt der Papyrus eine Zeit lang als raquole plus ancien manuscrit connu dans le monde entierlaquo6 bzw als raquole plus ancien livre du mondelaquo7 Und er wird

218) LeuvenParisWalpole 2012 S 135ndash142 Er gibt eine Papyruslaumlnge von 640 m an die Laumlnge von 705 m nach Gustave Jeacutequier Le Papyrus Prisse et ses variantes Paris 1911 S 6 Andere Publikationen nennen eine Laumlnge von 701 m und einen ausradierten Bereich (Text 2) von 163 cm (z B httparchivesetmanuscritsbnffreadhtmlid=FRBNFEAD000012921 [1782013]) Letzteres schlieszligt die obere Haumllfte von Kol 4 die ebenfalls ausradiert wurde mit ein Dabei nicht beruumlcksichtigt ist jedoch das Ende von Kol 2 das ebenfalls entfernt wurde Der ausradierte zweite Text kann eine Laumlnge von fuumlnf kompletten Kolumnen gehabt haben vorausgesetzt die Kolumnen hatten eine mit Kol 1 und 2 vergleichbare Laumlnge

6 Emmanuel de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves chef des nau-toniers (Meacutemoires preacutesenteacutes par divers savants agrave lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres de lrsquoInstitut de France Premiegravere Seacuterie Sujets divers drsquoeacuteruditon Tome III) Paris 1851 (= 1853) S 76

7 Franccedilois Joseph Chabas raquoLe plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisselaquo in Revue archeacuteologique 15 (1858) S 1ndash25 Louis Leblois (Hg) Le plus ancien livre du monde Les Sentences de Kakemni gouverneur sous le roi drsquoEacutegypte Snefrou (plus de 2000 ans avant Moiumlse) Texte et traduction Strasbourg 1874 Battiscombe G Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni The oldest books in the world (The Wisdom of the East) New York 1906 (= 1910)

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beschrieben mit den Worten raquorien nrsquoeacutegale la largeur et la beauteacute de ce ma-nuscrit qui provient drsquoun personnage nommeacute Ptah-Hoteplaquo8 In Wirklichkeit gehoumlrt das Manuskript aus palaumlographischen und sprachhistorischen Gruumlnden in die 12 Dynastie des Mittleren Reiches (ca 1950ndash1750 v Chr) und auch die handschriftliche Schoumlnheit wurde juumlngst in Frage gestellt Ein weiteres Praumldi-kat fuumlr den Papyrus lautete raquoce terrible manuscritlaquo9 Diesmal geht es nicht um die materielle Beschaffenheit des Dokuments sondern um die Uumlbersetzungs-schwierigkeiten Denn die Texte des Papyrus Prisse wurden im 19 Jh wegen ihres moralischen Inhalts und ihrer Form als das Schwierigste was die pharao-nische Kultur an Schriftzeugnissen vorzuweisen hatte eingestuft10

Dank des Thesaurus Linguae Aegyptiae (TLA) sind gewisse Zahleninfor-mationen heute ganz leicht ermittelbar Die Lehre fuumlr Kagemni enthaumllt nach der Lemmatisierung des TLA 294 Woumlrter die sich uumlber 170 verschiedene Lemma ansaumltze verteilen Bloszlig 47 Woumlrter kommen im Text mehr als einmal vor 26 Woumlrter sind insgesamt uumlberaus selten oder sogar nur hier uumlberliefert In der metrischen Uumlbersetzung von R Parkinson besteht der Text aus 45 Versen 29 im normativen und 16 im narrativen Teil11

Zum besseren Verstaumlndnis des Zusammenhangs der spaumlter aufgefuumlhr-ten Beispiele folgt hier eine Uumlbersetzung des groumlszligten Teiles des Literatur- werkes

[Der ganze vordere Bereich des Textes fehlt]

Wohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtigegepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigteOffen ist das Zelt des Schweigendengeraumlumig ist der Platz des Ruhigen

8 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76 9 Franccedilois Joseph Chabas raquoLe Papyrus Prisse Lettre agrave Mr le Directeur du Journal

eacutegyptologique de Berlin agrave propos de la difficulteacute que preacutesente la traduction de ce docu-mentlaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Alterthumskunde 8 (1870) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 99

10 Vgl noch 1911 Jeacutequier Papyrus Prisse (Fn 5) S 6 raquoLes principes moraux contenus au papyrus Prisse constituent le texte litteacuteraire eacutegyptien le plus difficile agrave traduirelaquo

11 Richard B Parkinson The Tale of Sinuhe and other ancient egyptian poems 1940ndash1640 BC (Oxford Worldrsquos Classics) Oxford 1998 S 291ndash292 Es gibt noch immer keine Einigkeit uumlber die Gestaltung des aumlgyptischen Versbaus weshalb auch andere Verszahlen fuumlr die Lehre fuumlr Kagemni vorliegen vgl Hellmut Brunner Altaumlgyptische Weisheit Lehren fuumlr das Leben Darmstadt 1988 S 134ndash136 53 Verse (38+15) und Pascal Vernus Sagesses de lrsquoEacutegypte pharaonique Paris 2001 S 56ndash58 51 Verse (35+16)

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Rede nicht Scharf sind die Messergegen den der vom [rechten] Weg abkommtEs gibt kein Eilen ausgenommen beim [richtigen] Anlass [woumlrtl zu seinem Fall]Wenn du mit einer Menschenmenge [beim Essen] sitzestdann hasse das Brot das du liebst [d h verzichte auf die Nahrung die du bevor-zugst][Denn] das Herz [d h der Sitz des Verlangens] zu bezwingen dauert nur einen kurzen Augenblick[Aber] Schlemmerei[] ist Suumlnde [oder Fresslust ist etwas Abscheuliches] man zeigt mit dem Finger darauf

Ein Becher Wasser der loumlscht den Durst[Und] ein Mundvoll [einfaches] Sww-Gemuumlse das festigt das HerzEtwas Gutes reicht fuumlr das Gute [im Allgemeinen][Und] irgendeine Kleinigkeit reicht fuumlr das Groszlige

Einer mit gierigem Bauch ist ein elender KerlSo wie die Zeit [des Essens] voruumlbergeht da hat er vergessen[Nur] zu Hause hat der Bauch freie Bahn [d h sind dem Appetit keine Schranken gesetzt]

Wenn du mit einem SchlemmerGefraumlszligigen [beim Essen] sitzt dann sollst du [erst] essen wenn sein Heiszlighunger voruumlber istWenn du mit einem ZecherTrunkenbold trinkstdann sollst du annehmen da ist sein Herz befriedigt

Stuumlrze dich nicht auf das Fleisch neben einem GierigenNimm an wenn er dir [etwas] gibtLehne es nicht ab Das ist was [ihn] freundlich stimmen wird

[hellip]

Mache nicht [uumlber]groszlig dein Herz [d h sei nicht hochmuumltig oder uumlbermuumltig] wegen der Muskelkraft[die vorhanden ist] inmitten deiner NachkommenRekrutenHuumlte dich dich zu widersetzen [Denn] man weiszlig nicht was geschehen kannoder was der Gott [d h der Koumlnig] tut wenn er bestraft

Dann veranlasste der Wesir dass seine Kinder gerufen wurdennachdem er sich mit dem Wesen der Menschen vertraut gemacht hatteund ihr Verhalten ihm verstaumlndlich wurde [woumlrtl uumlber ihn kam]

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Schlieszliglich sagte er zu ihnenraquoWas all dieses angeht das auf dieser Papyrusrolle geschrieben stehthoumlrt daraufgehorcht ihm wie ich es gesagt habeGeht nicht uumlber das hinaus was festgelegtvorgesehen istlaquo

Dann warfen sie sich auf dem BauchDann lasenrezitierten sie es so wie es auf Papier [woumlrtl Schrift] standDann war es besser ihrer Meinung [woumlrtl ihrem Herzen] nach als irgend etwas [anderes] in diesem ganzen LandDann gestalteten sie ihr Leben [woumlrtl standen sie auf und setzten sich] entspre-chend

Da ist die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni entschlafen [woumlrtl angelandet]Da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snefru als wohl-taumltiger Koumlnig uumlber dieses ganze Land aufgestelltDa wurde Kagemni zum [Haupt-]Stadtvorsteher und Wesir eingesetzt

3 Die ersten uumlbersetzten Woumlrter und Saumltze

Die ersten Woumlrter die identifiziert wurden waren Koumlnigsnamen Prisse drsquoAvennes selbst der kein Philologe war erkannte die Kartusche des Snofru sowie die des Isesi der ihm als Besitzer einer Pyramide in Saqqara bekannt war12 Drei Kartuschen von denen mindestens eine aus der Zeit der groszligen Pyramiden stammte (Prisse wusste damals noch nicht dass Snofru der Vater des Cheops war) machten den Papyrus fuumlr seinen Kaumlufer natuumlrlich noch umso wertvoller denn in den 40er Jahren des 19 Jh lag ein Forschungsschwerpunkt auf der Rekonstruktion der Chronologie des alten Aumlgypten und der Reihen-folge der Pharaonen13 Prisse begab sich im Fruumlhjahr 1843 erneut auf die Spuren

12 Brief von Prisse drsquoAvennes an Champollion-Figeac vom 20 Maumlrz 1843 Dewachter Nouvelles informations (Fn 3) S 209

13 Christian Karl Josias von Bunsen (1791ndash1860) und Karl Richard Lepsius (1810ndash1884) versuchten eine Weile gemeinsam die altaumlgyptische Chronologie zu rekonstruieren konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und veroumlffentlichten getrennt ihre Ergebnisse In der Rezension zu Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte (Fn 16) erwaumlhnt Emmanuel de Rougeacute schon den Namen von Pharao Isesi nach dem Papyrus Prisse (in Annales de Philosophie chreacutetienne 13 [1846] S 1ndash74 vgl Gaston Maspero Oeuvres divers Paris 1904 S 10 Anm 1) waumlhrend Bunsen nur den Beleg der raquochambre des ancecirctreslaquo kennt Auch Prisse erstellte seine eigene Koumlnigsliste bei der die Koumlnigsliste aus der raquochambre des ancecirctreslaquo eine wichtige Rolle spielt (Delange in Visions drsquoEacutegypte [Fn 3] S 21ndash22)

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der Koumlnige Snofru und Isesi nun in der sogenannten raquochambre des ancecirctreslaquo des Amuntempels von Karnak Diese Kapelle mit der Darstellung von zahl-reichen Vorgaumlngerkoumlnigen Thutmosisrsquo III lieszlig Prisse demontieren und nach Paris verschicken sehr zum Leidwesen von Richard Lepsius der die Reliefs im gleichen Jahr fuumlr Berlin hatte sichern wollen

Es ist kein Zufall dass der erste komplett uumlbersetzte Satz der Lehre fuumlr Kagemni aus dem narrativen Teil stammt und eine Kartusche enthaumllt Der sprachbegabte Emmanuel de Rougeacute (1811ndash1872)14 der sich seit 1836 mit der Hieroglyphenschrift beschaumlftigte nachdem ihm die in eben diesem Jahr pos-tum erschienene raquoGrammaire eacutegyptienlaquo von Jean-Franccedilois Champollion in die Haumlnde gefallen war konnte im Mai 1849 als erster eine uumlberzeugende Uumlbersetzung eines laumlngeren historischen Textes in der Acadeacutemie des Inscrip-tions et Belles-Lettres vorlegen In der 1851 erfolgten Drucklegung dieser Vor-lesung uumlber die Biographie des Schiffsoffiziers Ahmose einem Meilenstein in der aumlgyptologischen Forschungsliteratur zitierte er auch eine Passage aus der Lehre fuumlr Kagemni15 De Rougeacute arbeitete damals in der aumlgyptischen Abteilung des Louvre spaumlter wurde er Professor fuumlr Aumlgyptologie am Collegravege de France

Die Uumlbersetzung und ausfuumlhrliche Kommentierung der Biographie des Ah-mose durch Emmanuel de Rougeacute war eine groszligartige Leistung denn Champol-lion war 1832 gestorben ohne einen Schuumller ausgebildet oder eine ausfuumlhrliche Sprachbeschreibung hinterlassen zu haben Die aus dem Nachlass 1836 erstellte raquoGrammaire eacutegyptienlaquo und das 1841 erschienene raquoDictionnaire eacutegyptienlaquo reichten nicht aus um fortlaufende Texte zu uumlbersetzen16 De Rougeacute beschreibt seine Vorgehensweise folgendermaszligen raquoJe me suis occupeacute surtout agrave compleacuteter la Grammaire et le Dictionnaire [i e von Champollion] en rendant plus rigoureuse

14 Eine biographische Skizze bei Gaston Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute Paris 1908 auch erschienen als Einfuumlhrung zu den gesammelten Schriften von de Rougeacute Gaston Maspero raquoNotice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacutelaquo in ders (Hg) Emmanuel de Rougeacute Oeuvres diverses Tome premier (Bibliothegraveque eacutegyptologique contenant les oeuvres des eacutegyptologues franccedilais 21) Paris 1907 S indashclvi

15 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) die Kagemni-Stelle auf S 76ndash77

16 Christian Karl Josias Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte Geschichtliche Untersuchung in fuumlnf Buumlchern Erstes Buch Hamburg 1845 S 322 Er schaumltzt die Zahl der bis dahin entzifferten Woumlrter auf etwa 500 An anderer Stelle (S 317) schreibt er raquoEtwa dreihundert Woumlrter der altaumlgyptischen Sprache auf jene Weise urkundlich gefunden hat er [i e Champollion] in derselben [gemeint ist die Grammaire] aufgefuumlhrt und eine be-deutend groumlszligere Anzahl liegt in dem eben jetzt (Febr 1844) vollstaumlndig erschienenen aumlgyp-tischen Woumlrterbuche vorlaquo An anderer Stelle scheint Bunsen die Zahl von 685 Woumlrtern erwaumlhnt zu haben (vgl Heinrich Brugsch Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch Bd IV Leipzig 1868 S viii)

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la meacutethode drsquoinvestigation Pour se croire certain du sens drsquoun mot il faut que ce sens vous rende raison de tous les passages ougrave vous le trouvez employeacute Crsquoest lagrave un genre de preuve long et peacutenible que ne se sont point imposeacute suffisamment MM Birch et Lepsius qui sont nos deux grands rivaux agrave lrsquoeacutetranger aussi les voyons-nous tregraves souvent obligeacutes de revenir sur des sens qursquoils ont publieacutes et sur des lectures de caractegraveres nouveaux qursquoils ont donneacutees comme certaines sans eacutenoncer leurs preuves Il faut proceacuteder avec plus de seacuteveacuteriteacute [hellip]laquo17

Die Methode die de Rougeacute hier beschreibt ist genau die mit der auch Adolf Erman spaumlter sehr erfolgreich sein wird die Regeln der Grammatik erschlieszligen und eine mutmaszligliche Wortbedeutung an moumlglichst vielen Textstellen uumlber-pruumlfen um die Bedeutung abzusichern Aus diesem Grund zitiert de Rougeacute fuumlr eine bestimmte Wendung in der Biographie des Ahmose die Lehre fuumlr Ka-gemni Aus dem gleichen Grund traumlgt sowohl das abgeschlossene als auch das aktuelle gemeinsame Akademieprojekt von Berlin und Leipzig moumlglichst viele Texte in der Textdatenbank Thesaurus Linguae Aegyptiae zusammen

17 Antwortschreiben von Emmanuel de Rougeacute an Franccedilois Joseph Chabas vom 2231852 nachdem Chabas ihn fuumlr seine angehenden Aumlgyptisch-Studien konsultiert hat Freacutedeacuteric Chabas und Philippe Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas Paris 1898 S 9ndash10

Abb 2 De Rougeacutes drei Stufen der Entschluumlsselung Der gleiche Satz im Hieratischen um-gewandelt in Hieroglyphen in einer (veralteten) wissenschaftlichen Transliteration und in lateinischer Uumlbersetzung (alles von rechts nach links geschrieben in Anlehnung an das hiera tische Original) Aus de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76

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Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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beschrieben mit den Worten raquorien nrsquoeacutegale la largeur et la beauteacute de ce ma-nuscrit qui provient drsquoun personnage nommeacute Ptah-Hoteplaquo8 In Wirklichkeit gehoumlrt das Manuskript aus palaumlographischen und sprachhistorischen Gruumlnden in die 12 Dynastie des Mittleren Reiches (ca 1950ndash1750 v Chr) und auch die handschriftliche Schoumlnheit wurde juumlngst in Frage gestellt Ein weiteres Praumldi-kat fuumlr den Papyrus lautete raquoce terrible manuscritlaquo9 Diesmal geht es nicht um die materielle Beschaffenheit des Dokuments sondern um die Uumlbersetzungs-schwierigkeiten Denn die Texte des Papyrus Prisse wurden im 19 Jh wegen ihres moralischen Inhalts und ihrer Form als das Schwierigste was die pharao-nische Kultur an Schriftzeugnissen vorzuweisen hatte eingestuft10

Dank des Thesaurus Linguae Aegyptiae (TLA) sind gewisse Zahleninfor-mationen heute ganz leicht ermittelbar Die Lehre fuumlr Kagemni enthaumllt nach der Lemmatisierung des TLA 294 Woumlrter die sich uumlber 170 verschiedene Lemma ansaumltze verteilen Bloszlig 47 Woumlrter kommen im Text mehr als einmal vor 26 Woumlrter sind insgesamt uumlberaus selten oder sogar nur hier uumlberliefert In der metrischen Uumlbersetzung von R Parkinson besteht der Text aus 45 Versen 29 im normativen und 16 im narrativen Teil11

Zum besseren Verstaumlndnis des Zusammenhangs der spaumlter aufgefuumlhr-ten Beispiele folgt hier eine Uumlbersetzung des groumlszligten Teiles des Literatur- werkes

[Der ganze vordere Bereich des Textes fehlt]

Wohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtigegepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigteOffen ist das Zelt des Schweigendengeraumlumig ist der Platz des Ruhigen

8 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76 9 Franccedilois Joseph Chabas raquoLe Papyrus Prisse Lettre agrave Mr le Directeur du Journal

eacutegyptologique de Berlin agrave propos de la difficulteacute que preacutesente la traduction de ce docu-mentlaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Alterthumskunde 8 (1870) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 99

10 Vgl noch 1911 Jeacutequier Papyrus Prisse (Fn 5) S 6 raquoLes principes moraux contenus au papyrus Prisse constituent le texte litteacuteraire eacutegyptien le plus difficile agrave traduirelaquo

11 Richard B Parkinson The Tale of Sinuhe and other ancient egyptian poems 1940ndash1640 BC (Oxford Worldrsquos Classics) Oxford 1998 S 291ndash292 Es gibt noch immer keine Einigkeit uumlber die Gestaltung des aumlgyptischen Versbaus weshalb auch andere Verszahlen fuumlr die Lehre fuumlr Kagemni vorliegen vgl Hellmut Brunner Altaumlgyptische Weisheit Lehren fuumlr das Leben Darmstadt 1988 S 134ndash136 53 Verse (38+15) und Pascal Vernus Sagesses de lrsquoEacutegypte pharaonique Paris 2001 S 56ndash58 51 Verse (35+16)

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Rede nicht Scharf sind die Messergegen den der vom [rechten] Weg abkommtEs gibt kein Eilen ausgenommen beim [richtigen] Anlass [woumlrtl zu seinem Fall]Wenn du mit einer Menschenmenge [beim Essen] sitzestdann hasse das Brot das du liebst [d h verzichte auf die Nahrung die du bevor-zugst][Denn] das Herz [d h der Sitz des Verlangens] zu bezwingen dauert nur einen kurzen Augenblick[Aber] Schlemmerei[] ist Suumlnde [oder Fresslust ist etwas Abscheuliches] man zeigt mit dem Finger darauf

Ein Becher Wasser der loumlscht den Durst[Und] ein Mundvoll [einfaches] Sww-Gemuumlse das festigt das HerzEtwas Gutes reicht fuumlr das Gute [im Allgemeinen][Und] irgendeine Kleinigkeit reicht fuumlr das Groszlige

Einer mit gierigem Bauch ist ein elender KerlSo wie die Zeit [des Essens] voruumlbergeht da hat er vergessen[Nur] zu Hause hat der Bauch freie Bahn [d h sind dem Appetit keine Schranken gesetzt]

Wenn du mit einem SchlemmerGefraumlszligigen [beim Essen] sitzt dann sollst du [erst] essen wenn sein Heiszlighunger voruumlber istWenn du mit einem ZecherTrunkenbold trinkstdann sollst du annehmen da ist sein Herz befriedigt

Stuumlrze dich nicht auf das Fleisch neben einem GierigenNimm an wenn er dir [etwas] gibtLehne es nicht ab Das ist was [ihn] freundlich stimmen wird

[hellip]

Mache nicht [uumlber]groszlig dein Herz [d h sei nicht hochmuumltig oder uumlbermuumltig] wegen der Muskelkraft[die vorhanden ist] inmitten deiner NachkommenRekrutenHuumlte dich dich zu widersetzen [Denn] man weiszlig nicht was geschehen kannoder was der Gott [d h der Koumlnig] tut wenn er bestraft

Dann veranlasste der Wesir dass seine Kinder gerufen wurdennachdem er sich mit dem Wesen der Menschen vertraut gemacht hatteund ihr Verhalten ihm verstaumlndlich wurde [woumlrtl uumlber ihn kam]

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Schlieszliglich sagte er zu ihnenraquoWas all dieses angeht das auf dieser Papyrusrolle geschrieben stehthoumlrt daraufgehorcht ihm wie ich es gesagt habeGeht nicht uumlber das hinaus was festgelegtvorgesehen istlaquo

Dann warfen sie sich auf dem BauchDann lasenrezitierten sie es so wie es auf Papier [woumlrtl Schrift] standDann war es besser ihrer Meinung [woumlrtl ihrem Herzen] nach als irgend etwas [anderes] in diesem ganzen LandDann gestalteten sie ihr Leben [woumlrtl standen sie auf und setzten sich] entspre-chend

Da ist die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni entschlafen [woumlrtl angelandet]Da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snefru als wohl-taumltiger Koumlnig uumlber dieses ganze Land aufgestelltDa wurde Kagemni zum [Haupt-]Stadtvorsteher und Wesir eingesetzt

3 Die ersten uumlbersetzten Woumlrter und Saumltze

Die ersten Woumlrter die identifiziert wurden waren Koumlnigsnamen Prisse drsquoAvennes selbst der kein Philologe war erkannte die Kartusche des Snofru sowie die des Isesi der ihm als Besitzer einer Pyramide in Saqqara bekannt war12 Drei Kartuschen von denen mindestens eine aus der Zeit der groszligen Pyramiden stammte (Prisse wusste damals noch nicht dass Snofru der Vater des Cheops war) machten den Papyrus fuumlr seinen Kaumlufer natuumlrlich noch umso wertvoller denn in den 40er Jahren des 19 Jh lag ein Forschungsschwerpunkt auf der Rekonstruktion der Chronologie des alten Aumlgypten und der Reihen-folge der Pharaonen13 Prisse begab sich im Fruumlhjahr 1843 erneut auf die Spuren

12 Brief von Prisse drsquoAvennes an Champollion-Figeac vom 20 Maumlrz 1843 Dewachter Nouvelles informations (Fn 3) S 209

13 Christian Karl Josias von Bunsen (1791ndash1860) und Karl Richard Lepsius (1810ndash1884) versuchten eine Weile gemeinsam die altaumlgyptische Chronologie zu rekonstruieren konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und veroumlffentlichten getrennt ihre Ergebnisse In der Rezension zu Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte (Fn 16) erwaumlhnt Emmanuel de Rougeacute schon den Namen von Pharao Isesi nach dem Papyrus Prisse (in Annales de Philosophie chreacutetienne 13 [1846] S 1ndash74 vgl Gaston Maspero Oeuvres divers Paris 1904 S 10 Anm 1) waumlhrend Bunsen nur den Beleg der raquochambre des ancecirctreslaquo kennt Auch Prisse erstellte seine eigene Koumlnigsliste bei der die Koumlnigsliste aus der raquochambre des ancecirctreslaquo eine wichtige Rolle spielt (Delange in Visions drsquoEacutegypte [Fn 3] S 21ndash22)

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der Koumlnige Snofru und Isesi nun in der sogenannten raquochambre des ancecirctreslaquo des Amuntempels von Karnak Diese Kapelle mit der Darstellung von zahl-reichen Vorgaumlngerkoumlnigen Thutmosisrsquo III lieszlig Prisse demontieren und nach Paris verschicken sehr zum Leidwesen von Richard Lepsius der die Reliefs im gleichen Jahr fuumlr Berlin hatte sichern wollen

Es ist kein Zufall dass der erste komplett uumlbersetzte Satz der Lehre fuumlr Kagemni aus dem narrativen Teil stammt und eine Kartusche enthaumllt Der sprachbegabte Emmanuel de Rougeacute (1811ndash1872)14 der sich seit 1836 mit der Hieroglyphenschrift beschaumlftigte nachdem ihm die in eben diesem Jahr pos-tum erschienene raquoGrammaire eacutegyptienlaquo von Jean-Franccedilois Champollion in die Haumlnde gefallen war konnte im Mai 1849 als erster eine uumlberzeugende Uumlbersetzung eines laumlngeren historischen Textes in der Acadeacutemie des Inscrip-tions et Belles-Lettres vorlegen In der 1851 erfolgten Drucklegung dieser Vor-lesung uumlber die Biographie des Schiffsoffiziers Ahmose einem Meilenstein in der aumlgyptologischen Forschungsliteratur zitierte er auch eine Passage aus der Lehre fuumlr Kagemni15 De Rougeacute arbeitete damals in der aumlgyptischen Abteilung des Louvre spaumlter wurde er Professor fuumlr Aumlgyptologie am Collegravege de France

Die Uumlbersetzung und ausfuumlhrliche Kommentierung der Biographie des Ah-mose durch Emmanuel de Rougeacute war eine groszligartige Leistung denn Champol-lion war 1832 gestorben ohne einen Schuumller ausgebildet oder eine ausfuumlhrliche Sprachbeschreibung hinterlassen zu haben Die aus dem Nachlass 1836 erstellte raquoGrammaire eacutegyptienlaquo und das 1841 erschienene raquoDictionnaire eacutegyptienlaquo reichten nicht aus um fortlaufende Texte zu uumlbersetzen16 De Rougeacute beschreibt seine Vorgehensweise folgendermaszligen raquoJe me suis occupeacute surtout agrave compleacuteter la Grammaire et le Dictionnaire [i e von Champollion] en rendant plus rigoureuse

14 Eine biographische Skizze bei Gaston Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute Paris 1908 auch erschienen als Einfuumlhrung zu den gesammelten Schriften von de Rougeacute Gaston Maspero raquoNotice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacutelaquo in ders (Hg) Emmanuel de Rougeacute Oeuvres diverses Tome premier (Bibliothegraveque eacutegyptologique contenant les oeuvres des eacutegyptologues franccedilais 21) Paris 1907 S indashclvi

15 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) die Kagemni-Stelle auf S 76ndash77

16 Christian Karl Josias Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte Geschichtliche Untersuchung in fuumlnf Buumlchern Erstes Buch Hamburg 1845 S 322 Er schaumltzt die Zahl der bis dahin entzifferten Woumlrter auf etwa 500 An anderer Stelle (S 317) schreibt er raquoEtwa dreihundert Woumlrter der altaumlgyptischen Sprache auf jene Weise urkundlich gefunden hat er [i e Champollion] in derselben [gemeint ist die Grammaire] aufgefuumlhrt und eine be-deutend groumlszligere Anzahl liegt in dem eben jetzt (Febr 1844) vollstaumlndig erschienenen aumlgyp-tischen Woumlrterbuche vorlaquo An anderer Stelle scheint Bunsen die Zahl von 685 Woumlrtern erwaumlhnt zu haben (vgl Heinrich Brugsch Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch Bd IV Leipzig 1868 S viii)

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la meacutethode drsquoinvestigation Pour se croire certain du sens drsquoun mot il faut que ce sens vous rende raison de tous les passages ougrave vous le trouvez employeacute Crsquoest lagrave un genre de preuve long et peacutenible que ne se sont point imposeacute suffisamment MM Birch et Lepsius qui sont nos deux grands rivaux agrave lrsquoeacutetranger aussi les voyons-nous tregraves souvent obligeacutes de revenir sur des sens qursquoils ont publieacutes et sur des lectures de caractegraveres nouveaux qursquoils ont donneacutees comme certaines sans eacutenoncer leurs preuves Il faut proceacuteder avec plus de seacuteveacuteriteacute [hellip]laquo17

Die Methode die de Rougeacute hier beschreibt ist genau die mit der auch Adolf Erman spaumlter sehr erfolgreich sein wird die Regeln der Grammatik erschlieszligen und eine mutmaszligliche Wortbedeutung an moumlglichst vielen Textstellen uumlber-pruumlfen um die Bedeutung abzusichern Aus diesem Grund zitiert de Rougeacute fuumlr eine bestimmte Wendung in der Biographie des Ahmose die Lehre fuumlr Ka-gemni Aus dem gleichen Grund traumlgt sowohl das abgeschlossene als auch das aktuelle gemeinsame Akademieprojekt von Berlin und Leipzig moumlglichst viele Texte in der Textdatenbank Thesaurus Linguae Aegyptiae zusammen

17 Antwortschreiben von Emmanuel de Rougeacute an Franccedilois Joseph Chabas vom 2231852 nachdem Chabas ihn fuumlr seine angehenden Aumlgyptisch-Studien konsultiert hat Freacutedeacuteric Chabas und Philippe Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas Paris 1898 S 9ndash10

Abb 2 De Rougeacutes drei Stufen der Entschluumlsselung Der gleiche Satz im Hieratischen um-gewandelt in Hieroglyphen in einer (veralteten) wissenschaftlichen Transliteration und in lateinischer Uumlbersetzung (alles von rechts nach links geschrieben in Anlehnung an das hiera tische Original) Aus de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Rede nicht Scharf sind die Messergegen den der vom [rechten] Weg abkommtEs gibt kein Eilen ausgenommen beim [richtigen] Anlass [woumlrtl zu seinem Fall]Wenn du mit einer Menschenmenge [beim Essen] sitzestdann hasse das Brot das du liebst [d h verzichte auf die Nahrung die du bevor-zugst][Denn] das Herz [d h der Sitz des Verlangens] zu bezwingen dauert nur einen kurzen Augenblick[Aber] Schlemmerei[] ist Suumlnde [oder Fresslust ist etwas Abscheuliches] man zeigt mit dem Finger darauf

Ein Becher Wasser der loumlscht den Durst[Und] ein Mundvoll [einfaches] Sww-Gemuumlse das festigt das HerzEtwas Gutes reicht fuumlr das Gute [im Allgemeinen][Und] irgendeine Kleinigkeit reicht fuumlr das Groszlige

Einer mit gierigem Bauch ist ein elender KerlSo wie die Zeit [des Essens] voruumlbergeht da hat er vergessen[Nur] zu Hause hat der Bauch freie Bahn [d h sind dem Appetit keine Schranken gesetzt]

Wenn du mit einem SchlemmerGefraumlszligigen [beim Essen] sitzt dann sollst du [erst] essen wenn sein Heiszlighunger voruumlber istWenn du mit einem ZecherTrunkenbold trinkstdann sollst du annehmen da ist sein Herz befriedigt

Stuumlrze dich nicht auf das Fleisch neben einem GierigenNimm an wenn er dir [etwas] gibtLehne es nicht ab Das ist was [ihn] freundlich stimmen wird

[hellip]

Mache nicht [uumlber]groszlig dein Herz [d h sei nicht hochmuumltig oder uumlbermuumltig] wegen der Muskelkraft[die vorhanden ist] inmitten deiner NachkommenRekrutenHuumlte dich dich zu widersetzen [Denn] man weiszlig nicht was geschehen kannoder was der Gott [d h der Koumlnig] tut wenn er bestraft

Dann veranlasste der Wesir dass seine Kinder gerufen wurdennachdem er sich mit dem Wesen der Menschen vertraut gemacht hatteund ihr Verhalten ihm verstaumlndlich wurde [woumlrtl uumlber ihn kam]

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Schlieszliglich sagte er zu ihnenraquoWas all dieses angeht das auf dieser Papyrusrolle geschrieben stehthoumlrt daraufgehorcht ihm wie ich es gesagt habeGeht nicht uumlber das hinaus was festgelegtvorgesehen istlaquo

Dann warfen sie sich auf dem BauchDann lasenrezitierten sie es so wie es auf Papier [woumlrtl Schrift] standDann war es besser ihrer Meinung [woumlrtl ihrem Herzen] nach als irgend etwas [anderes] in diesem ganzen LandDann gestalteten sie ihr Leben [woumlrtl standen sie auf und setzten sich] entspre-chend

Da ist die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni entschlafen [woumlrtl angelandet]Da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snefru als wohl-taumltiger Koumlnig uumlber dieses ganze Land aufgestelltDa wurde Kagemni zum [Haupt-]Stadtvorsteher und Wesir eingesetzt

3 Die ersten uumlbersetzten Woumlrter und Saumltze

Die ersten Woumlrter die identifiziert wurden waren Koumlnigsnamen Prisse drsquoAvennes selbst der kein Philologe war erkannte die Kartusche des Snofru sowie die des Isesi der ihm als Besitzer einer Pyramide in Saqqara bekannt war12 Drei Kartuschen von denen mindestens eine aus der Zeit der groszligen Pyramiden stammte (Prisse wusste damals noch nicht dass Snofru der Vater des Cheops war) machten den Papyrus fuumlr seinen Kaumlufer natuumlrlich noch umso wertvoller denn in den 40er Jahren des 19 Jh lag ein Forschungsschwerpunkt auf der Rekonstruktion der Chronologie des alten Aumlgypten und der Reihen-folge der Pharaonen13 Prisse begab sich im Fruumlhjahr 1843 erneut auf die Spuren

12 Brief von Prisse drsquoAvennes an Champollion-Figeac vom 20 Maumlrz 1843 Dewachter Nouvelles informations (Fn 3) S 209

13 Christian Karl Josias von Bunsen (1791ndash1860) und Karl Richard Lepsius (1810ndash1884) versuchten eine Weile gemeinsam die altaumlgyptische Chronologie zu rekonstruieren konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und veroumlffentlichten getrennt ihre Ergebnisse In der Rezension zu Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte (Fn 16) erwaumlhnt Emmanuel de Rougeacute schon den Namen von Pharao Isesi nach dem Papyrus Prisse (in Annales de Philosophie chreacutetienne 13 [1846] S 1ndash74 vgl Gaston Maspero Oeuvres divers Paris 1904 S 10 Anm 1) waumlhrend Bunsen nur den Beleg der raquochambre des ancecirctreslaquo kennt Auch Prisse erstellte seine eigene Koumlnigsliste bei der die Koumlnigsliste aus der raquochambre des ancecirctreslaquo eine wichtige Rolle spielt (Delange in Visions drsquoEacutegypte [Fn 3] S 21ndash22)

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der Koumlnige Snofru und Isesi nun in der sogenannten raquochambre des ancecirctreslaquo des Amuntempels von Karnak Diese Kapelle mit der Darstellung von zahl-reichen Vorgaumlngerkoumlnigen Thutmosisrsquo III lieszlig Prisse demontieren und nach Paris verschicken sehr zum Leidwesen von Richard Lepsius der die Reliefs im gleichen Jahr fuumlr Berlin hatte sichern wollen

Es ist kein Zufall dass der erste komplett uumlbersetzte Satz der Lehre fuumlr Kagemni aus dem narrativen Teil stammt und eine Kartusche enthaumllt Der sprachbegabte Emmanuel de Rougeacute (1811ndash1872)14 der sich seit 1836 mit der Hieroglyphenschrift beschaumlftigte nachdem ihm die in eben diesem Jahr pos-tum erschienene raquoGrammaire eacutegyptienlaquo von Jean-Franccedilois Champollion in die Haumlnde gefallen war konnte im Mai 1849 als erster eine uumlberzeugende Uumlbersetzung eines laumlngeren historischen Textes in der Acadeacutemie des Inscrip-tions et Belles-Lettres vorlegen In der 1851 erfolgten Drucklegung dieser Vor-lesung uumlber die Biographie des Schiffsoffiziers Ahmose einem Meilenstein in der aumlgyptologischen Forschungsliteratur zitierte er auch eine Passage aus der Lehre fuumlr Kagemni15 De Rougeacute arbeitete damals in der aumlgyptischen Abteilung des Louvre spaumlter wurde er Professor fuumlr Aumlgyptologie am Collegravege de France

Die Uumlbersetzung und ausfuumlhrliche Kommentierung der Biographie des Ah-mose durch Emmanuel de Rougeacute war eine groszligartige Leistung denn Champol-lion war 1832 gestorben ohne einen Schuumller ausgebildet oder eine ausfuumlhrliche Sprachbeschreibung hinterlassen zu haben Die aus dem Nachlass 1836 erstellte raquoGrammaire eacutegyptienlaquo und das 1841 erschienene raquoDictionnaire eacutegyptienlaquo reichten nicht aus um fortlaufende Texte zu uumlbersetzen16 De Rougeacute beschreibt seine Vorgehensweise folgendermaszligen raquoJe me suis occupeacute surtout agrave compleacuteter la Grammaire et le Dictionnaire [i e von Champollion] en rendant plus rigoureuse

14 Eine biographische Skizze bei Gaston Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute Paris 1908 auch erschienen als Einfuumlhrung zu den gesammelten Schriften von de Rougeacute Gaston Maspero raquoNotice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacutelaquo in ders (Hg) Emmanuel de Rougeacute Oeuvres diverses Tome premier (Bibliothegraveque eacutegyptologique contenant les oeuvres des eacutegyptologues franccedilais 21) Paris 1907 S indashclvi

15 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) die Kagemni-Stelle auf S 76ndash77

16 Christian Karl Josias Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte Geschichtliche Untersuchung in fuumlnf Buumlchern Erstes Buch Hamburg 1845 S 322 Er schaumltzt die Zahl der bis dahin entzifferten Woumlrter auf etwa 500 An anderer Stelle (S 317) schreibt er raquoEtwa dreihundert Woumlrter der altaumlgyptischen Sprache auf jene Weise urkundlich gefunden hat er [i e Champollion] in derselben [gemeint ist die Grammaire] aufgefuumlhrt und eine be-deutend groumlszligere Anzahl liegt in dem eben jetzt (Febr 1844) vollstaumlndig erschienenen aumlgyp-tischen Woumlrterbuche vorlaquo An anderer Stelle scheint Bunsen die Zahl von 685 Woumlrtern erwaumlhnt zu haben (vgl Heinrich Brugsch Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch Bd IV Leipzig 1868 S viii)

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la meacutethode drsquoinvestigation Pour se croire certain du sens drsquoun mot il faut que ce sens vous rende raison de tous les passages ougrave vous le trouvez employeacute Crsquoest lagrave un genre de preuve long et peacutenible que ne se sont point imposeacute suffisamment MM Birch et Lepsius qui sont nos deux grands rivaux agrave lrsquoeacutetranger aussi les voyons-nous tregraves souvent obligeacutes de revenir sur des sens qursquoils ont publieacutes et sur des lectures de caractegraveres nouveaux qursquoils ont donneacutees comme certaines sans eacutenoncer leurs preuves Il faut proceacuteder avec plus de seacuteveacuteriteacute [hellip]laquo17

Die Methode die de Rougeacute hier beschreibt ist genau die mit der auch Adolf Erman spaumlter sehr erfolgreich sein wird die Regeln der Grammatik erschlieszligen und eine mutmaszligliche Wortbedeutung an moumlglichst vielen Textstellen uumlber-pruumlfen um die Bedeutung abzusichern Aus diesem Grund zitiert de Rougeacute fuumlr eine bestimmte Wendung in der Biographie des Ahmose die Lehre fuumlr Ka-gemni Aus dem gleichen Grund traumlgt sowohl das abgeschlossene als auch das aktuelle gemeinsame Akademieprojekt von Berlin und Leipzig moumlglichst viele Texte in der Textdatenbank Thesaurus Linguae Aegyptiae zusammen

17 Antwortschreiben von Emmanuel de Rougeacute an Franccedilois Joseph Chabas vom 2231852 nachdem Chabas ihn fuumlr seine angehenden Aumlgyptisch-Studien konsultiert hat Freacutedeacuteric Chabas und Philippe Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas Paris 1898 S 9ndash10

Abb 2 De Rougeacutes drei Stufen der Entschluumlsselung Der gleiche Satz im Hieratischen um-gewandelt in Hieroglyphen in einer (veralteten) wissenschaftlichen Transliteration und in lateinischer Uumlbersetzung (alles von rechts nach links geschrieben in Anlehnung an das hiera tische Original) Aus de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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Peter Dils

ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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Schlieszliglich sagte er zu ihnenraquoWas all dieses angeht das auf dieser Papyrusrolle geschrieben stehthoumlrt daraufgehorcht ihm wie ich es gesagt habeGeht nicht uumlber das hinaus was festgelegtvorgesehen istlaquo

Dann warfen sie sich auf dem BauchDann lasenrezitierten sie es so wie es auf Papier [woumlrtl Schrift] standDann war es besser ihrer Meinung [woumlrtl ihrem Herzen] nach als irgend etwas [anderes] in diesem ganzen LandDann gestalteten sie ihr Leben [woumlrtl standen sie auf und setzten sich] entspre-chend

Da ist die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni entschlafen [woumlrtl angelandet]Da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snefru als wohl-taumltiger Koumlnig uumlber dieses ganze Land aufgestelltDa wurde Kagemni zum [Haupt-]Stadtvorsteher und Wesir eingesetzt

3 Die ersten uumlbersetzten Woumlrter und Saumltze

Die ersten Woumlrter die identifiziert wurden waren Koumlnigsnamen Prisse drsquoAvennes selbst der kein Philologe war erkannte die Kartusche des Snofru sowie die des Isesi der ihm als Besitzer einer Pyramide in Saqqara bekannt war12 Drei Kartuschen von denen mindestens eine aus der Zeit der groszligen Pyramiden stammte (Prisse wusste damals noch nicht dass Snofru der Vater des Cheops war) machten den Papyrus fuumlr seinen Kaumlufer natuumlrlich noch umso wertvoller denn in den 40er Jahren des 19 Jh lag ein Forschungsschwerpunkt auf der Rekonstruktion der Chronologie des alten Aumlgypten und der Reihen-folge der Pharaonen13 Prisse begab sich im Fruumlhjahr 1843 erneut auf die Spuren

12 Brief von Prisse drsquoAvennes an Champollion-Figeac vom 20 Maumlrz 1843 Dewachter Nouvelles informations (Fn 3) S 209

13 Christian Karl Josias von Bunsen (1791ndash1860) und Karl Richard Lepsius (1810ndash1884) versuchten eine Weile gemeinsam die altaumlgyptische Chronologie zu rekonstruieren konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen und veroumlffentlichten getrennt ihre Ergebnisse In der Rezension zu Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte (Fn 16) erwaumlhnt Emmanuel de Rougeacute schon den Namen von Pharao Isesi nach dem Papyrus Prisse (in Annales de Philosophie chreacutetienne 13 [1846] S 1ndash74 vgl Gaston Maspero Oeuvres divers Paris 1904 S 10 Anm 1) waumlhrend Bunsen nur den Beleg der raquochambre des ancecirctreslaquo kennt Auch Prisse erstellte seine eigene Koumlnigsliste bei der die Koumlnigsliste aus der raquochambre des ancecirctreslaquo eine wichtige Rolle spielt (Delange in Visions drsquoEacutegypte [Fn 3] S 21ndash22)

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der Koumlnige Snofru und Isesi nun in der sogenannten raquochambre des ancecirctreslaquo des Amuntempels von Karnak Diese Kapelle mit der Darstellung von zahl-reichen Vorgaumlngerkoumlnigen Thutmosisrsquo III lieszlig Prisse demontieren und nach Paris verschicken sehr zum Leidwesen von Richard Lepsius der die Reliefs im gleichen Jahr fuumlr Berlin hatte sichern wollen

Es ist kein Zufall dass der erste komplett uumlbersetzte Satz der Lehre fuumlr Kagemni aus dem narrativen Teil stammt und eine Kartusche enthaumllt Der sprachbegabte Emmanuel de Rougeacute (1811ndash1872)14 der sich seit 1836 mit der Hieroglyphenschrift beschaumlftigte nachdem ihm die in eben diesem Jahr pos-tum erschienene raquoGrammaire eacutegyptienlaquo von Jean-Franccedilois Champollion in die Haumlnde gefallen war konnte im Mai 1849 als erster eine uumlberzeugende Uumlbersetzung eines laumlngeren historischen Textes in der Acadeacutemie des Inscrip-tions et Belles-Lettres vorlegen In der 1851 erfolgten Drucklegung dieser Vor-lesung uumlber die Biographie des Schiffsoffiziers Ahmose einem Meilenstein in der aumlgyptologischen Forschungsliteratur zitierte er auch eine Passage aus der Lehre fuumlr Kagemni15 De Rougeacute arbeitete damals in der aumlgyptischen Abteilung des Louvre spaumlter wurde er Professor fuumlr Aumlgyptologie am Collegravege de France

Die Uumlbersetzung und ausfuumlhrliche Kommentierung der Biographie des Ah-mose durch Emmanuel de Rougeacute war eine groszligartige Leistung denn Champol-lion war 1832 gestorben ohne einen Schuumller ausgebildet oder eine ausfuumlhrliche Sprachbeschreibung hinterlassen zu haben Die aus dem Nachlass 1836 erstellte raquoGrammaire eacutegyptienlaquo und das 1841 erschienene raquoDictionnaire eacutegyptienlaquo reichten nicht aus um fortlaufende Texte zu uumlbersetzen16 De Rougeacute beschreibt seine Vorgehensweise folgendermaszligen raquoJe me suis occupeacute surtout agrave compleacuteter la Grammaire et le Dictionnaire [i e von Champollion] en rendant plus rigoureuse

14 Eine biographische Skizze bei Gaston Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute Paris 1908 auch erschienen als Einfuumlhrung zu den gesammelten Schriften von de Rougeacute Gaston Maspero raquoNotice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacutelaquo in ders (Hg) Emmanuel de Rougeacute Oeuvres diverses Tome premier (Bibliothegraveque eacutegyptologique contenant les oeuvres des eacutegyptologues franccedilais 21) Paris 1907 S indashclvi

15 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) die Kagemni-Stelle auf S 76ndash77

16 Christian Karl Josias Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte Geschichtliche Untersuchung in fuumlnf Buumlchern Erstes Buch Hamburg 1845 S 322 Er schaumltzt die Zahl der bis dahin entzifferten Woumlrter auf etwa 500 An anderer Stelle (S 317) schreibt er raquoEtwa dreihundert Woumlrter der altaumlgyptischen Sprache auf jene Weise urkundlich gefunden hat er [i e Champollion] in derselben [gemeint ist die Grammaire] aufgefuumlhrt und eine be-deutend groumlszligere Anzahl liegt in dem eben jetzt (Febr 1844) vollstaumlndig erschienenen aumlgyp-tischen Woumlrterbuche vorlaquo An anderer Stelle scheint Bunsen die Zahl von 685 Woumlrtern erwaumlhnt zu haben (vgl Heinrich Brugsch Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch Bd IV Leipzig 1868 S viii)

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la meacutethode drsquoinvestigation Pour se croire certain du sens drsquoun mot il faut que ce sens vous rende raison de tous les passages ougrave vous le trouvez employeacute Crsquoest lagrave un genre de preuve long et peacutenible que ne se sont point imposeacute suffisamment MM Birch et Lepsius qui sont nos deux grands rivaux agrave lrsquoeacutetranger aussi les voyons-nous tregraves souvent obligeacutes de revenir sur des sens qursquoils ont publieacutes et sur des lectures de caractegraveres nouveaux qursquoils ont donneacutees comme certaines sans eacutenoncer leurs preuves Il faut proceacuteder avec plus de seacuteveacuteriteacute [hellip]laquo17

Die Methode die de Rougeacute hier beschreibt ist genau die mit der auch Adolf Erman spaumlter sehr erfolgreich sein wird die Regeln der Grammatik erschlieszligen und eine mutmaszligliche Wortbedeutung an moumlglichst vielen Textstellen uumlber-pruumlfen um die Bedeutung abzusichern Aus diesem Grund zitiert de Rougeacute fuumlr eine bestimmte Wendung in der Biographie des Ahmose die Lehre fuumlr Ka-gemni Aus dem gleichen Grund traumlgt sowohl das abgeschlossene als auch das aktuelle gemeinsame Akademieprojekt von Berlin und Leipzig moumlglichst viele Texte in der Textdatenbank Thesaurus Linguae Aegyptiae zusammen

17 Antwortschreiben von Emmanuel de Rougeacute an Franccedilois Joseph Chabas vom 2231852 nachdem Chabas ihn fuumlr seine angehenden Aumlgyptisch-Studien konsultiert hat Freacutedeacuteric Chabas und Philippe Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas Paris 1898 S 9ndash10

Abb 2 De Rougeacutes drei Stufen der Entschluumlsselung Der gleiche Satz im Hieratischen um-gewandelt in Hieroglyphen in einer (veralteten) wissenschaftlichen Transliteration und in lateinischer Uumlbersetzung (alles von rechts nach links geschrieben in Anlehnung an das hiera tische Original) Aus de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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Peter Dils

von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

der Koumlnige Snofru und Isesi nun in der sogenannten raquochambre des ancecirctreslaquo des Amuntempels von Karnak Diese Kapelle mit der Darstellung von zahl-reichen Vorgaumlngerkoumlnigen Thutmosisrsquo III lieszlig Prisse demontieren und nach Paris verschicken sehr zum Leidwesen von Richard Lepsius der die Reliefs im gleichen Jahr fuumlr Berlin hatte sichern wollen

Es ist kein Zufall dass der erste komplett uumlbersetzte Satz der Lehre fuumlr Kagemni aus dem narrativen Teil stammt und eine Kartusche enthaumllt Der sprachbegabte Emmanuel de Rougeacute (1811ndash1872)14 der sich seit 1836 mit der Hieroglyphenschrift beschaumlftigte nachdem ihm die in eben diesem Jahr pos-tum erschienene raquoGrammaire eacutegyptienlaquo von Jean-Franccedilois Champollion in die Haumlnde gefallen war konnte im Mai 1849 als erster eine uumlberzeugende Uumlbersetzung eines laumlngeren historischen Textes in der Acadeacutemie des Inscrip-tions et Belles-Lettres vorlegen In der 1851 erfolgten Drucklegung dieser Vor-lesung uumlber die Biographie des Schiffsoffiziers Ahmose einem Meilenstein in der aumlgyptologischen Forschungsliteratur zitierte er auch eine Passage aus der Lehre fuumlr Kagemni15 De Rougeacute arbeitete damals in der aumlgyptischen Abteilung des Louvre spaumlter wurde er Professor fuumlr Aumlgyptologie am Collegravege de France

Die Uumlbersetzung und ausfuumlhrliche Kommentierung der Biographie des Ah-mose durch Emmanuel de Rougeacute war eine groszligartige Leistung denn Champol-lion war 1832 gestorben ohne einen Schuumller ausgebildet oder eine ausfuumlhrliche Sprachbeschreibung hinterlassen zu haben Die aus dem Nachlass 1836 erstellte raquoGrammaire eacutegyptienlaquo und das 1841 erschienene raquoDictionnaire eacutegyptienlaquo reichten nicht aus um fortlaufende Texte zu uumlbersetzen16 De Rougeacute beschreibt seine Vorgehensweise folgendermaszligen raquoJe me suis occupeacute surtout agrave compleacuteter la Grammaire et le Dictionnaire [i e von Champollion] en rendant plus rigoureuse

14 Eine biographische Skizze bei Gaston Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute Paris 1908 auch erschienen als Einfuumlhrung zu den gesammelten Schriften von de Rougeacute Gaston Maspero raquoNotice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacutelaquo in ders (Hg) Emmanuel de Rougeacute Oeuvres diverses Tome premier (Bibliothegraveque eacutegyptologique contenant les oeuvres des eacutegyptologues franccedilais 21) Paris 1907 S indashclvi

15 de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) die Kagemni-Stelle auf S 76ndash77

16 Christian Karl Josias Bunsen Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte Geschichtliche Untersuchung in fuumlnf Buumlchern Erstes Buch Hamburg 1845 S 322 Er schaumltzt die Zahl der bis dahin entzifferten Woumlrter auf etwa 500 An anderer Stelle (S 317) schreibt er raquoEtwa dreihundert Woumlrter der altaumlgyptischen Sprache auf jene Weise urkundlich gefunden hat er [i e Champollion] in derselben [gemeint ist die Grammaire] aufgefuumlhrt und eine be-deutend groumlszligere Anzahl liegt in dem eben jetzt (Febr 1844) vollstaumlndig erschienenen aumlgyp-tischen Woumlrterbuche vorlaquo An anderer Stelle scheint Bunsen die Zahl von 685 Woumlrtern erwaumlhnt zu haben (vgl Heinrich Brugsch Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch Bd IV Leipzig 1868 S viii)

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la meacutethode drsquoinvestigation Pour se croire certain du sens drsquoun mot il faut que ce sens vous rende raison de tous les passages ougrave vous le trouvez employeacute Crsquoest lagrave un genre de preuve long et peacutenible que ne se sont point imposeacute suffisamment MM Birch et Lepsius qui sont nos deux grands rivaux agrave lrsquoeacutetranger aussi les voyons-nous tregraves souvent obligeacutes de revenir sur des sens qursquoils ont publieacutes et sur des lectures de caractegraveres nouveaux qursquoils ont donneacutees comme certaines sans eacutenoncer leurs preuves Il faut proceacuteder avec plus de seacuteveacuteriteacute [hellip]laquo17

Die Methode die de Rougeacute hier beschreibt ist genau die mit der auch Adolf Erman spaumlter sehr erfolgreich sein wird die Regeln der Grammatik erschlieszligen und eine mutmaszligliche Wortbedeutung an moumlglichst vielen Textstellen uumlber-pruumlfen um die Bedeutung abzusichern Aus diesem Grund zitiert de Rougeacute fuumlr eine bestimmte Wendung in der Biographie des Ahmose die Lehre fuumlr Ka-gemni Aus dem gleichen Grund traumlgt sowohl das abgeschlossene als auch das aktuelle gemeinsame Akademieprojekt von Berlin und Leipzig moumlglichst viele Texte in der Textdatenbank Thesaurus Linguae Aegyptiae zusammen

17 Antwortschreiben von Emmanuel de Rougeacute an Franccedilois Joseph Chabas vom 2231852 nachdem Chabas ihn fuumlr seine angehenden Aumlgyptisch-Studien konsultiert hat Freacutedeacuteric Chabas und Philippe Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas Paris 1898 S 9ndash10

Abb 2 De Rougeacutes drei Stufen der Entschluumlsselung Der gleiche Satz im Hieratischen um-gewandelt in Hieroglyphen in einer (veralteten) wissenschaftlichen Transliteration und in lateinischer Uumlbersetzung (alles von rechts nach links geschrieben in Anlehnung an das hiera tische Original) Aus de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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la meacutethode drsquoinvestigation Pour se croire certain du sens drsquoun mot il faut que ce sens vous rende raison de tous les passages ougrave vous le trouvez employeacute Crsquoest lagrave un genre de preuve long et peacutenible que ne se sont point imposeacute suffisamment MM Birch et Lepsius qui sont nos deux grands rivaux agrave lrsquoeacutetranger aussi les voyons-nous tregraves souvent obligeacutes de revenir sur des sens qursquoils ont publieacutes et sur des lectures de caractegraveres nouveaux qursquoils ont donneacutees comme certaines sans eacutenoncer leurs preuves Il faut proceacuteder avec plus de seacuteveacuteriteacute [hellip]laquo17

Die Methode die de Rougeacute hier beschreibt ist genau die mit der auch Adolf Erman spaumlter sehr erfolgreich sein wird die Regeln der Grammatik erschlieszligen und eine mutmaszligliche Wortbedeutung an moumlglichst vielen Textstellen uumlber-pruumlfen um die Bedeutung abzusichern Aus diesem Grund zitiert de Rougeacute fuumlr eine bestimmte Wendung in der Biographie des Ahmose die Lehre fuumlr Ka-gemni Aus dem gleichen Grund traumlgt sowohl das abgeschlossene als auch das aktuelle gemeinsame Akademieprojekt von Berlin und Leipzig moumlglichst viele Texte in der Textdatenbank Thesaurus Linguae Aegyptiae zusammen

17 Antwortschreiben von Emmanuel de Rougeacute an Franccedilois Joseph Chabas vom 2231852 nachdem Chabas ihn fuumlr seine angehenden Aumlgyptisch-Studien konsultiert hat Freacutedeacuteric Chabas und Philippe Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas Paris 1898 S 9ndash10

Abb 2 De Rougeacutes drei Stufen der Entschluumlsselung Der gleiche Satz im Hieratischen um-gewandelt in Hieroglyphen in einer (veralteten) wissenschaftlichen Transliteration und in lateinischer Uumlbersetzung (alles von rechts nach links geschrieben in Anlehnung an das hiera tische Original) Aus de Rougeacute Meacutemoire sur lrsquoinscription du tombeau drsquoAhmegraves (Fn 6) S 76

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Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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Emmanuel de Rougeacute setzte zuerst den hieratischen Papyrustext in Hie-roglyphen um wie es auch heute der besseren Lesbarkeit halber noch immer gemacht wird Allein das war schon eine Leistung Zwar hatte Champollion 1821 d h ein Jahr bevor er den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift machte nachgewiesen dass das Hieratische eine Kursiv-form der Hieroglyphenschrift war aber dies bedeutete nicht dass man einen hieratischen Text ohne weiteres lesen konnte18 Die Hilfsmittel wie palaumlogra-phische Listen Anthologien von hieratischen Spezimina und Woumlrterbuumlcher die heute zur Verfuumlgung stehen gab es damals alle nicht Man musste muumlhsam die hieroglyphischen und hieratischen Versionen des aumlgyptischen Totenbuchs miteinander vergleichen um auf diesem Wege das Hieratische nach und nach zu meistern Fuumlr das Hieratische des Papyrus Prisse kam noch hinzu dass es typologisch deutlich aumllter und anders war als die juumlngeren hieratischen Toten-buumlcher und dass es damals noch keine Texte mit vergleichbarem hieratischen Duktus gab

De Rougeacute entschied sich seine Satzuumlbersetzungen auf Lateinisch zu bie-ten obwohl seine ganze Studie franzoumlsisch geschrieben ist Latein spielte in der Aumlgyptologie als Wissenschaftssprache kaum eine Rolle Abgesehen von Dissertationen und einigen wenigen Monographien darunter solche der irre-geleiteten Leipziger Hieroglyphenentzifferer Friedrich August Wilhelm Spohn (1792ndash1824) und Gustav Seyffarth (1796ndash1885) war Latein nur wichtig fuumlr das Koptische die spaumlteste Sprachstufe des Aumlgyptischen in der vor allem fruumlh-christliche Texte geschrieben sind Das damals wichtigste koptische Woumlrter-buch das raquoLexicon linguae copticaelaquo von Vittorio Amadeo Peyron aus dem Jahr 1835 war auf Latein und die fruumlhen Aumlgyptologen haben als sie koptische Woumlrter zitierten haumlufig eine lateinische Uumlbersetzung des Wortes hinzugefuumlgt waumlhrend sie fuumlr aumlltere aumlgyptische Woumlrter eine Uumlbersetzung in einer modernen Sprache waumlhlten Franz Joseph Lauth lieferte 1869 fuumlr seine Bearbeitung der Lehre fuumlr Kagemni sowohl eine deutsche als auch eine lateinische Uumlbersetzung und Philippe Virey der die Uumlbersetzungen seiner Vorgaumlnger zitierte benutzte seinerseits 1887 die lateinische und nicht die deutsche Version

Der Satz den de Rougeacute behandelte lautet in moderner Transliteration und Uumlbersetzung aHa n s aHa Hm n ( j) nsw-bj t j (currenn frw)| m nsw mnx m tA pn r-Dr=f raquoDann wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten

18 Jean-Franccedilois Champollion De lrsquoeacutecriture hieacuteratique des anciens Eacutegyptiens Grenoble 1821 Er nennt auf S 2 das Hieratische eine raquotachygraphie hieacuteroglyphiquelaquo Fuumlr den Beitrag von Champollion zur Entzifferung des Hieratischen vgl Georges Posener raquoChampollion et le deacutechiffrement de lrsquoeacutecriture hieacuteratiquelaquo in Comptes rendus des seacuteances de lrsquoAcadeacutemie des Inscriptions et Belles-Lettres 116 (1972) S 566ndash573

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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Snofru aufgestellt [d h erhoben inthronisiert] als vorzuumlglicherwohltaumltiger Kouml-nig in diesem ganzen Landlaquo De Rougeacutes lateinische Uumlbersetzung raquoecce surrexit majestas regis superiorum et inferiorum regionum Senofre sicut rex beneficus in regione ista ipsa()laquo kommt dem schon ziemlich nahe

Aus seiner Publikation erfaumlhrt man wie er zu seiner Uumlbersetzung gelangt ist Er hat erkannt dass aHa n oft vor einem Verb steht und erklaumlrte es zu einer Partikel Er uumlbersetzte es mit raquosiehelaquo weil er einen lautlich vielleicht plausiblen und doch falschen Zusammenhang zwischen aHa n und koptisch (ⲉⲓⲥ) ϩⲏⲏⲛⲉ raquosiehelaquo annahm Die meisten uumlbrigen Woumlrter dieses spezifischen Satzes waren schon Champollion bekannt aber waumlhrend letzterer nicht mehr dazu gekom-men ist seine Wortuumlbersetzung zu begruumlnden war gerade dies ein bewuss-tes Anliegen de Rougeacutes Das Verb s aHa erklaumlrte der Entzifferer der Hierogly-phenschrift als eine raquotransitivelaquo Konjugationsform des Verbs aHa dem 2 und 4 Stamm der arabischen Konjugation aumlhnlich19 was wir heute eine Kausativ-bildung mit s-Praumlformans nennen Da Champollion fuumlr aHa die Bedeutung raquoplacer eacutetablir mettre (Lat) collocare erigerelaquo erschlossen hatte implizierte dies dass s aHa raquofaire placerlaquo war Allerdings dachte er noch dass der Schiffs-mast als ⲕⲱ ⲕⲁⲁ zu lesen sei De Rougeacute konnte letzteres korrigieren durch die Identifizierung des koptischen Nachfahren ⲁϩⲉ ⲱϩⲉ raquostehenlaquo Er fuumlgte hinzu dass die Bedeutung raquostehenlaquo auszligerdem durch viele Belege abgesichert ist u a durch die Opposition mit Hmsi kopt ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo Des Weiteren erwaumlhnte er den Stein von Rosette auf dem einmal s aHa und einmal rDi aHa dem griechischen Infinitiv στῆσαι (von ἵστημι raquoaufrichten aufstellen sich hin-stellenlaquo) entspricht Die Wortgruppe Hm n nsw-bj t j kannte Champollion auch schon als einen Koumlnigstitel die βασιλεύς auf dem Stein von Rosette entsprach wo er an einer Stelle als βασιλεὺς τῶν τε ἄνω καὶ τῶν κάτω χωρῶν ausgeschrie-ben ist Die spezifische Uumlbersetzung von Hm als raquoMajestaumltlaquo geht ebenfalls auf Champollion zuruumlck und hat sich bis heute gehalten obwohl die Argumen-tation voumlllig falsch und auch der Bedeutungsaspekt raquoMajestasHoheitlaquo nicht vorhanden ist20 Die Bedeutung von mnx war dank der Bezeichnung von Kouml-nig Ptolemaios Euergetes als nTr mnx oder griechisch θεὸς εὐεργέτης raquowohl-taumltiger Gottlaquo gegeben Das Wort tA entspricht koptisch ⲧⲟ raquoLand Erde Weltlaquo nur r-Dr=f konnte De Rougeacute mit raquole pays qui est donc luilaquo d h raquole pays par

19 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Grammaire eacutegyptienne ou principes geacuteneacuteraux de lrsquoeacutecriture sacreacutee eacutegyptienne Paris 1836 S 439

20 Die Argumentation lautet dass die verwendete Hieroglyphe eine Vase und ein Symbol der Heiligkeit sei weshalb sie auch im houmlchsten Priestertitel verwendet sein sollte Die Hieroglyphe ist allerdings keine Vase sondern ein Bleuel zum Waumlschewaschen Heute zieht man fuumlr Hm die Bedeutung raquodie Personlaquo oder raquodie Leiblichkeitlaquo des Koumlnigs in Erwauml-gung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

excellencelaquo (das Land schlechthin) nicht korrekt erklaumlren Aber spaumltestens 1858 wusste Franccedilois Joseph Chabas dass raquodas ganze Landlaquo gemeint war vermut-lich weil er in Dr das koptische ⲧⲏⲣ= raquoganzlaquo erkannt hat

De Rougeacute verwendete fuumlr die Bedeutungsfindung folgende Methoden

ndash Identifizierung der koptischen Nachfahren der altaumlgyptischen Woumlrterndash Inneraumlgyptische Wortmorphologie-bildung (s-aHa)ndash Wortkontext mit Satzpartikel vor Verbum (aHan) und Antonymen (aHa

Hmsi)ndash Identifizierung des griechischen Aumlquivalents in zweisprachigen Textenndash Interpretation des Klassifikators am Wortende (nicht im angefuumlhrten Bei-

spiel)

Essentiell war fuumlr ihn die Untermauerung einer moumlglichen Bedeutung durch zahlreiche weitere Textstellen die haumlufig aus dem aumlgyptischen Totenbuch stammen dem groumlszligten Corpus an zusammenhaumlngenden Texten das damals dank der Edition eines Turiner Exemplars 1842 durch Richard Lepsius verfuumlg-bar geworden war

4 Die Lehre fuumlr Kagemni in der 2 Haumllfte des 19 Jahrshyhunderts

41 Dunbar Isidore Heath oder die biblisch inspirierte Uumlbersetzung

Nachdem Prisse drsquoAvennes 1847 den Papyrus durch seine Faksimile-Edition der Oumlffentlichkeit zugaumlnglich gemacht hatte lieferte der englische Geistliche Dunbar Isidore Heath (1816ndash1888) im Jahr 1856 die erste vollstaumlndige raquoUumlber-setzunglaquo des Papyrus Prisse die er zwei Jahre spaumlter separat drucken lieszlig21 Ein Jahr zuvor hatte er schon zweifelhaften Ruhm erworben mit einer raquoUumlberset-zunglaquo von Texten aus den Miscellanies-Papyri von London in denen er die Ge-schehnisse des Exodus wiederzufinden behauptete22 Das einzige Verdienst des

21 Rev Dunbar Isidore Heath raquoOn a manuscript of the phoenician King Assa ruling in Egypt earlier than Abrahamlaquo in The (London) Monthly Review and Record of the Lon-don Prophetical Society July 1856 [Aufloumlsung des Zeitschriftentitels unsicher Abkuumlrzung raquoMonthly Reviewlaquo] A Record of the Patriarchal Age or the Proverbs of Aphobis [or rather of Pta h-Hetep] B C 1900 now first fully translated by Rev Dunbar I Heath London 1858

22 Rev Dunbar I Heath The Exodus Papyri with a Historical and Chronological Introduction by Miss Fanny Corbaux London 1855 (URN nbndebsz16-diglit-5481 httpdigiubuni-heidelbergdediglitheath1895 [1782013])

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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Peter Dils

de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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Peter Dils

von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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Peter Dils

dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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Peter Dils

lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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Amateurs Heath war dass er die Aumlgyptologen Franccedilois Joseph Chabas Samuel Birch und Charles Goodwin zwang sich zu dem Papyrus Prisse bzw den Mis-cellanies zu aumluszligern23 Zumindest scheint er den Tenor der Lehre des Ptahhotep erkannt zu haben denn er nennt den Text raquothe Proverbs of Aphobislaquo Obwohl er den Namen Ptahhotep lesen konnte nannte Heath ihn Aphobis weil er ihn mit Koumlnig ApophisAphobis aus der Koumlnigsliste von Manetho identifizierte da-mit er ihn mit einem der HirtenkoumlnigeHyksos ndash fuumlr ihn waren dies die Juden aus dem biblischen Buch Exodus ndash gleichstellen konnte24 Chabas schreibt uumlber den Uumlbersetzungsversuch von Heath dass dieser raquose flatte de donner la tra-duction drsquoune partie notable du papyrus mais il mrsquoa eacuteteacute impossible de le suivre dans ses interpreacutetations hardies les reacutesultats auxquels je suis arriveacute sont tout agrave fait diffeacuterentslaquo25 An anderer Stelle vermerkt Chabas raquoEn effet lrsquoexamen des premiegraveres lignes de la traduction montre que le traducteur au lieu de deacutetermi-ner le sens des phrases drsquoapregraves une connaissance preacutealablement acquise du sens des mots agrave attribueacute aux mots des valeurs exigeacutees par les phrases qursquoil devinait ou imaginait tout drsquoune piegravecelaquo26 Battiscombe Gunn ist 1906 noch unbarmher-ziger in seinem Urteil raquoThis version [gemeint ist die Uumlbersetzung] which first appeared in 1856 was ruined by the translatorrsquos theory that the Prisse Papyrus contained references to the Exodus and was written by the rsaquoShepherd-Kinglsaquo Aphobis How he obtained that name from Ptah-hotep how he read the Exodus

23 Samuel Birch aumluszligert sich nur in ganz allgemeinen Worten zum Inhalt der Mis-cellanies-Papyri in John Gardner Wilkinson The Egyptians in the Time of the Pharaohs London 1857 S 276ndash279 Dort erwaumlhnt er auch den Papyrus Prisse als raquoa code of moral instructions in which are mentioned the names of the old monarchs Seneferu and Ani or An written by one Ptah-hetp in the reign of the king Assa or Assethlaquo (S 278) Die erwaumlhn-ten Koumlnigsnamen liest man heute Snofru Huni (statt AniAn) und Isesi (statt AssaAsseth) Charles Goodwin ist sehr diplomatisch in seiner Zuruumlckweisung der fantasievollen Satz-segmentierungen und Uumlbersetzungen der Miscellanies-Papyri durch Heath fuumlr den Papy-rus Prisse uumlbernimmt er die Forschungsergebnisse von Chabas Charles Wycliffe Goodwin raquoHieratic Papyrilaquo in Cambridge Essays contributed by members of the university Nr 4 London 1858 S 226ndash282 (die Beurteilung von Heath auf S 245ndash246 die Ergebnisse von Chabas auf S 275ndash278)

24 Die Publikation von Heath war mir nicht zugaumlnglich Fuumlr einige Auszuumlge und den Anfang der Uumlbersetzung der Lehre des Ptahhotep siehe Hagen An Ancient Egyptian Liter-ary Text in Context (Fn 5) S 4ndash7

25 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 hier S 2 = Franccedilois Joseph Chabas Oeuvres diverses Tocircme 1 (Bibliothegraveque Eacutegyptologique 9) Paris 1899 S 183ndash214

26 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 hier S 83 Er zitiert einige der Uumlbersetzungen die Heath fuumlr aumlgyptische Woumlrter vorschlaumlgt raquofondationlaquo fuumlr snD raquovigoureuxlaquo fuumlr mtj raquosagesselaquo fuumlr grw und raquoordonnancelaquo fuumlr hr

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

into his book or how he got three-fourths of his translation it is not possible to say Written in a style which is in itself a matter for decipherment it is full of absurdities and gratuitous mistakes and is entirely worthless It is one more instance of the lamentable results that arise when a person with a preconceived Biblical theory comes into contact with Egyptian recordslaquo27

Fuumlr den Laien waren solche extrem abweichenden Uumlbersetzungen durch raquoFachleutelaquo natuumlrlich nicht leicht nachzuvollziehen vor allem nicht weil es auch 1856 noch immer vehemente Gegner gegen die Entzifferungsmethode Champollions gab28 Ein weiteres Problem fuumlr die Oumlffentlichkeit war dass die Anhaumlnger der Methode Champollions zu Uumlbersetzungen und damit zu chro-nologischen Interpretationen kamen die die Richtigkeit der biblischen Chro-nologie und damit den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage stellten

42 Franccedilois Joseph Chabas oder die Identifikation von Einzelwoumlrtern

Der Autodidakt Franccedilois Joseph Chabas (1817ndash1882) reagierte 1858 auf die Uumlbersetzung von Heath und legte einen ersten brauchbaren Eindruck des In-haltes der beiden Lehren des Papyrus Prisse vor29 Dieser war so uumlberzeugend dass Charles Goodwin (1817ndash1878) und Heinrich Brugsch (1827ndash1894) die Uumlbersetzung gleich in ihren Uumlberblick der hieratischen Papyri bzw Geschichte Aumlgyptens uumlbernahmen30 Chabas war ein Weinhaumlndler aus Chalon-sur-Saocircne der 1852 durch die Lektuumlre eines Artikels uumlber die Entzifferung der Hierogly-phenschrift aus der Feder von Nestor lrsquoHocircte einem Reisegefaumlhrten Champol-lions seine Begeisterung fuumlr die Aumlgyptologie entdeckte Dank seiner Sprachbe-gabung seines Interesses fuumlr das Altertum und den Ratschlaumlgen von Emmanuel de Rougeacute erwarb er sehr schnell einen Einblick in die aumlgyptische Sprache

27 Gunn The Instruction of Ptah-hotep and the Instruction of Kersquogemni (Fn 7) S 37ndash38

28 Lepsius beschreibt die Situation wie folgt raquoDans le domaine de lrsquoEacutegyptologie on a beaucoup plus traduit qursquoon nrsquoa compris ces traductions hardies ont exciteacute lrsquoeacutetonnement drsquoun public incompeacutetent mais en mecircme temps elles ont eacuteveilleacute les deacutefiances des gens senseacutes mecircme agrave lrsquoeacutegard des reacutesultats seacuterieux de la sciencelaquo (zitiert durch Chabas in Revue archeacuteo-logique 15 [Fn 7] S 25)

29 Chabas Le plus ancien livre du monde Eacutetude sur le Papyrus Prisse (Fn 7) S 1ndash25 = Chabas Oeuvres diverses (Fn 25) S 183ndash214

30 Goodwin Hieratic Papyri (Fn 23) S 275ndash278 Heinrich Brugsch Histoire drsquoEacutegypte degraves les premiers temps de son existence jusqursquoa nos jours Premiegravere Partie LrsquoEacutegypte sous les rois indigegravenes Leipzig 1859 S 29ndash30

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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Die Methode von Chabas bestand darin erst einmal die Bedeutung der einzelnen Woumlrter zu ermitteln und anschlieszligend die Woumlrter zu einem Satz aneinander zu reihen Ersteres gelang ihm relativ gut letzteres ebenfalls so-lange gaumlngige Verbalsaumltze eine narrative Struktur und leicht nachvollzieh-bare realweltliche Situationen vorlagen Im normativen Teil konnte er auf der Grundlage von Konstruktionen im Totenbuch die Partikel j r als ein Wort identifizieren das Konditionalsaumltze einleitet (raquowenn fallslaquo) was es ihm ermoumlg-lichte die Struktur von mehreren Verhaltensregeln zu erfassen Chabas aumluszligerte sich nicht zu der Natur dieses j r ndash er war kein Sprachwissenschaftler ndash aber er uumlbersetzte es woumlrtlich mit raquoeacutetantlaquo aumlhnlich Champollions Deutung dieser Partikel als eine Moumlglichkeit Saumltze mit dem Verb raquoseinlaquo zu bilden Letzteres stimmt zwar nicht ebenso wenig wie Chabasrsquo Verweis auf das koptische ⲁⲣⲉⲩ raquo(Lat) si fortelaquo d h raquoob etwalaquo aber die Beobachtung dass die Totenbuchpas-sagen vom Zusammenhang her ein Konditionalgefuumlge bilden muumlssen ist rich-tig Fortschritte in der Wortforschung gelangen eben stufenweise Zwar war die Wortart noch nicht identifiziert aber zumindest lag eine der Funktionen des Lemmas vor Es fiel Chabas auch gar nicht schwer wiederholt zuzugeben dass ihm persoumlnlich noch vieles unklar war und dass die Aumlgyptologie erst auf dem Niveau der Grundschule war wenn es um die Hieroglyphen ging raquonous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo31

Anders als de Rougeacute der seine Forschung von sieben Kolumnen aumlgypti-schen Textes in einer Monographie von 196 Seiten vorlegte stand Chabas nur ein Zeitschriftenartikel fuumlr einen viel laumlngeren Text zur Verfuumlgung Entspre-chend kurz sind seine Uumlbersetzungserlaumluterungen Ich uumlberspringe die ansatz-weise bis annaumlhernd richtigen Passagen um mich bei einem Satz aufzuhalten den Chabas in einem spaumlteren Aufsatz ausfuumlhrlich besprochen hat Diese ersten Zeilen des Papyrus erlaumlutern besser seine Vorgehensweise und die Probleme mit denen er sich konfrontiert sah Chabas ging davon aus dass der Beginn der Lehre verloren ist und der erhaltene Teil mitten in einem Satz anfaumlngt raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence par des paroles munies de glaives pour surprendre la malice qui ne peut y eacutechapperlaquo32 Unser heutiges Textverstaumlndnis weicht davon sehr erheblich ab raquoWohlbehalten ist der Ehr-fuumlrchtige gepriesen ist der ZuverlaumlssigeGemaumlszligigte Offen ist das Zelt des

31 Siehe weiter unten das Zitat in seinem Zusammenhang Fn 4032 Chabasrsquo Uumlbersetzung lautet etwa raquo[hellip] vermehrterhoumlht meine Hochachtung Ein

anmutiger Gesang eroumlffnet das ArkanumGeheimnis meiner Redebegabtheit erweitert den Ort meiner Intelligenz durch Worte die mit Schwertern ausgestattet sind um die Boshaf-tigkeit die nicht entkommen kann zu uumlberraschenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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Peter Dils

dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigen Rede nicht [Denn] die Messer sind scharf gegen den der vom [rechten] Weg abkommtlaquo Es liegt eine Beschreibung des idealen Beamten des treuen und tugendhaften Verwalters vor d h eines Mitglieds der Personengruppe die als Adressaten einer solchen Lehre anvisiert wurde

Chabasrsquo Probleme bei dieser zugegebenermaszligen schwierigen Textpassage liegen auf vier Ebenen Lektuumlre des hieratischen Originals Identifikation der Woumlrter Identifikation der Satzsyntax allgemeine(s) Textverstaumlndnis bzw Text-erwartung Fuumlr die Umsetzung des Hieratischen in Hieroglyphen konnte Cha-bas die Umsetzung von Theacuteodule Deacuteveria (1831ndash1871) der die Papyrussamm-lung des Louvre in Paris betreute benutzen33 aber nicht alles war leicht zu lesen Das Ende des von Chabas als raquoarcanelaquo uumlbersetzten Wortes Xnw bekam faumllschlicherweise einen Schrein als DeterminativKlassifikator statt eines Stoffzeichens was allerdings erst von F Ll Griffith 1890 erkannt wurde Das Wort das mit den phonetischen Zeichen Xn geschrieben ist wurde des Klassifi-kators wegen mit dem Koptischen ϩⲟⲩⲛ raquoInnereslaquo verknuumlpft was Chabas zu der Bedeutung raquogeheimer Ort Verstecklaquo daher raquoarcanumlaquo fuumlhrte Tatsaumlchlich liegt das Wort raquoZeltlaquo (mit dem Stoffdeterminativ) vor

Eine gravierende Schwierigkeit fuumlr die Identifikation der Woumlrter ist die Tatsache dass die aumlgyptische Schrift wie bei den semitischen Sprachen nur Konsonanten wiedergibt dass sich Woumlrter mit der gleichen Wurzel also sehr aumlhneln und sich nur durch eine haumlufig nicht geschriebene Wurzelerweiterung sowie durch das Deutzeichen am Wortende (Determinativ oder Klassifikator) unterscheiden So ist das von Chabas mit raquo(ma) consideacuterationlaquo uumlbersetzte Wort

snDw je nach Klassifikator und nach Satzposition als raquoEhrfurcht Respektlaquo (snD snDw snD t hier dann snDw=j die Ehrfurcht vor mir) raquoehrfuchtvoll seinlaquo (snD hier dann snDw=j der vor dem ich Ehrfurcht habe) und raquoder Ehrfurchtsvollelaquo (snD snDw) zu deuten Fuumlr die Uumlbersetzung der Wurzel snD lieferte erneut das Koptische die Loumlsung Champollion kannte schon die Lesung der gerupften Ente als ⲥⲛϯ dachte dabei jedoch faumllsch-licherweise an das koptische Verb ⲥⲉⲛⲧⲉ ⲥⲉⲛϯ ⲥωⲛⲧ raquogruumlndenlaquo34 das aller-dings Mittelaumlgyptisch snTj entspricht Die Bedeutung raquoconsideacuterationlaquo d h raquoHochachtung Ruumlcksichtlaquo geht zuruumlck auf das seltene koptische Verb ⲥⲛⲁⲧ das in der koptischen Uumlbersetzung der Septuagintabibel dem griechischen εὐλαβέομαι entspricht Dies wiederum bedeutet raquosich in Acht nehmen vorsich-

33 Chabas erwaumlhnt die Transkription von Theodule Deveacuteria in Revue archeacuteologique 15 (Fn 7) S 2 Fn 4

34 Jean-Franccedilois Champollion le Jeune Dictionnaire eacutegyptien en eacutecriture hieacutero-glyphique Paris 1841 S 160ndash161

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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Peter Dils

de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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Peter Dils

von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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Peter Dils

dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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Peter Dils

lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

tig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo Peyron schreibt deshalb fuumlr ⲥⲛⲁⲧ raquorevereri timerelaquo Nachdem Chabas zuerst (1858) mit dem Substan- tiv raquoconsideacuterationlaquo und Lauth spaumlter (1869) mit dem Verb raquoehrenlaquo uumlber- setzte verbesserte Chabas 1870 die Uumlbersetzung in raquopeur crainte timiditeacute reacuteveacuterencelaquo35

Auch die Grammatik genauer gesagt die Satzsyntax bereitete Chabas Probleme Er war von einem Verbalsatz ausgegangen ohne zu beruumlcksichti-gen dass das Aumlgyptische wie die semitischen Sprachen auch nicht-verbale Saumltze kennt d h Saumltze die in unseren Sprachen mit dem Verb raquoseinlaquo gebil-det werden Auszligerdem ging Chabas fuumlr seinen Verbalsatz von der Wortfolge SubjektndashVerbndashObjekt aus weil ihm noch nicht bekannt war dass diese Wort-folge in der Sprachstufe in der die Lehre fuumlr Kagemni geschrieben ist nur in ganz bestimmten Konstruktionen vorkommt Erst Adolf Erman wird in den 80er Jahren des 19 Jh die Sprachstufendifferenzierung des Aumlgyptischen her-ausarbeiten u a mit dem Uumlbergang von einer VerbndashSubjektndashObjekt-Wortfolge (VSO Mittelaumlgyptisch) zu einer SubjektndashVerbndashObjekt-Wortfolge (SVO Neu-aumlgyptisch)

Schlieszliglich scheint Chabas fuumlr diesen raquoSatzlaquo der den Verhaltensregeln mit Konditionalgefuumlge vorangeht vorausgesetzt zu haben dass er eine Art Einfuumlh-rung darstellt die die stilistische Qualitaumlt des Textes thematisiert Man fragt sich ob er dabei ein Werk eines antiken Rhetorikers vor Augen hatte

Wie dem auch sei fuumlr die Ermittlung der Wortbedeutung war zuerst das Determinativ bzw der Klassifikator entscheidend Die Kombination von De-terminativKlassifikator und Kontext lieferte ein Indiz in welcher Richtung die Bedeutung zu erahnen war anschlieszligend erlaubte es die Transliteration (d h die Umsetzung des hieroglyphischen Wortbildes in Buchstaben) im Kopti-schen nach einem Wort das die Bedeutung weiter eingrenzte auf die Suche zu gehen Wie entscheidend das Determinativ war zeigt sich gerade bei Woumlrtern fuumlr die keine koptische Entsprechung gefunden wurde Chabas uumlbersetzte die Wurzel gr mit raquoredenlaquo und das Substantiv mit raquoBeredtheitlaquo wegen des Mannes mit Hand am Mund das auf eine Aktion mit dem Mund hinweist36 Als Komplement von raquoBeredtheitlaquo erfand er dann raquoIntelligenzlaquo fuumlr hr das mit der Buchrolle determiniert ist Die koptische Entsprechung ϭⲱ raquobleiben aufhoumlren schweigenlaquo (mit Bedeutungsveraumlnderung) fuumlr gr war noch nicht er-kannt worden Und die Erkenntnis dass de Rougeacute 1851 hr mit raquose reposerlaquo

35 Birch (1876) hat schon raquoterrorlaquo und raquo(to) terrifylaquo Brugsch (1868) uumlbersetzt raquofuumlrch-ten Furcht haben vor Achtung haben vor Ehrfurcht haben voll Ehrfurcht erfuumlllt seinlaquo

36 Tatsaumlchlich ist das Verb raquoschweigenlaquo gemeint wie Chabas selbst 1864 entdeckte Franccedilois Chabas Meacutelanges eacutegyptologiques 2e Seacuterie Chalon-sur-Saone 1864 S 165ndash179

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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uumlbersetzt hatte und richtigerweise auf das koptische ϩⲣⲣⲉ ϩⲉⲣⲓ raquo(sich) beruhi-gen ruhig seinlaquo verwies hatte es anscheinend noch nicht bis in den Zettelkaumls-ten von Chabas geschafft

43 Franz Joseph Lauth oder das Identifizieren von Satzstrukturen

In den folgenden Jahren begegnet man der Lehre fuumlr Kagemni hin und wie-der in Aufsaumltzen So erwaumlhnt im Jahr 1868 Heinrich Brugsch eher nebenbei die raquoAbhandlung des rsaquoaumlgyptischen Landvogtes Kakemnilsaquolaquo womit erstmals der Name des Adressaten der Lehre (und nicht des Autors) gelesen wurde37 An-schlieszligend uumlbersetzte er eine Passage aus dem narrativen Teil und konnte die Erstarbeit von Chabas von 1858 ein wenig verbessern

Aber erst im Jahr 1869 22 Jahre nach der Veroumlffentlichung des Papyrus Prisse legte Franz Joseph Lauth (1822ndash1895) der im gleichen Jahr zum Konser-vator der aumlgyptischen Sammlung und ersten (Honorar-)Professor fuumlr Aumlgypto-logie an der Muumlnchner Universitaumlt ernannt wurde als erster eine vollstaumlndige aumlgyptologische Uumlbersetzung vor38 Ausgebildet als klassischer Philologe ver-diente Lauth seinen Lebensunterhalt in Muumlnchen zuerst als Hauslehrer spaumlter als Gymnasiallehrer Mit einem Aufsatz uumlber das Runenalphabet (1857) erregte er die Aufmerksamkeit des Bayerischen Fuumlrstenhofes wodurch er Zugang zur koumlniglichen Bibliothek und zu den koumlniglichen Kunstsammlungen bekam Dort entdeckte er sein Interesse fuumlr das alte Aumlgypten dem er sich fortan im Selbststudium widmete39 Sein erster aumlgyptologischer Aufsatz uumlber den Tier-kreis stammt von 1863 In diesem Zusammenhang setzte er sich mit Franccedilois Chabas in Verbindung der ihn vor voreiligen Schluumlssen warnte und ndash Zufall oder nicht ndash auf den Papyrus Prisse zu sprechen kam raquoJe voudrais vous peacuteneacute-trer drsquoune grande veacuteriteacute qursquoon se plaicirct geacuteneacuteralement agrave dissimuler crsquoest qursquoapregraves tout nous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglyphes Il nrsquoest pas temps encore de systeacutematiser de proclamer des principes et des regravegles drsquoabuser

37 Heinrich Brugsch Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift Berlin 1868 S 27 Lauth wird im darauffolgenden Jahr den Autor Kadjimna nennen Virey schreibt Kaqimna die korrekte Lesung des ersten Konsonanten als g in gm fuumlr den Ibis gelang erst gegen Ende des 19 Jh

38 Franz Joseph Lauth raquoDer Author Kadjimna vor 5400 Jahren ndash Papyrus Prisselaquo I Theil in Sitzungsberichte der koumlnigl bayer Akademie der Wissenschaften zu Muumlnchen Jahrgang 1869 Band II [Heft 4 Dez] Muumlnchen 1869 S 530ndash579 und Tf

39 Dieter Kessler raquoLauth Franz Josephlaquo in Neue Deutsche Biographie 13 (1982) S 741 f httpwwwdeutsche-biographiedepnd116771127html (1782013)

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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de la synthegravese nous devons nous borner agrave noter les faits isoleacutes agrave progresser peu agrave peu dans la science de lrsquoeacutegyptien en restant libre de tout lien theacuteorique [hellip] Si vous voulez ecirctre reacuteellement utile agrave la science nrsquoadmettez pas trop vite que lrsquoeacutegyptien soit du type seacutemitique ne concluez pas que les creacuteateurs de la langue copte ne connaissaient pas le geacutenie de leur langue mais appliquez-vous agrave eacuteluci-der nettement les textes non encore traduits ou mal traduits (et crsquoest la presque totaliteacute) Quand vous saurez lire avec certitude une page du Papyrus Prisse par exemple vous pourrez songer agrave meacutethodiserlaquo40

Abgesehen von der Tatsache dass es die erste vollstaumlndige Bearbeitung des Papyrus ist hat die Publikation erhebliche weitere Verdienste Es ist die erste veroumlffentlichte hieroglyphische Umschrift des hieratischen Originals und sie ist besser als die spaumlteren von Duumlmichen (1884) Virey (1887) und Budge (1888) Erst Griffith (1890) wird die Qualitaumlt dieser Umsetzung uumlbertreffen Lauth hat gewiss auch zuerst geschaut welche Woumlrter er schon identifizieren konnte er ging aber fundamental anders vor indem er gleichzeitig die Satzstrukturen zu ergruumlnden versuchte Durch seine Vertrautheit mit der biblischen und antiken Literatur wurde ihm klar dass Versstrukturen vorliegen dass viele Saumltze paral-lel aufgebaut sind (Parallelismus membrorum) und dass einiges an nicht-ver-balen Saumltzen vorhanden ist Im Konditionalgefuumlge suchte er im Anschluss an eine Protasis mit j r (siehe oben Chabas) die Apodosis und konnte so z B Im-perative identifizieren Die von Lauth ermittelten Vers- und Satzgrenzen sind mehrheitlich richtig Dieses Satzstrukturverstaumlndnis erlaubte es ihm Woumlrter deren Uumlbersetzung er nicht kannte doch annaumlhernd zu erraten

Leider geriet Lauth hier auf gravierende Irrwege Er kennzeichnete die erschlossenen Saumltze nicht als solche sondern gab sie fuumlr abgesichert aus Die erratenen Wortbedeutungen versuchte er vor allem durch (aus heutiger Sicht unwahrscheinliche) koptische Entsprechungen zu untermauern sowie durch Phaumlnomene die es im Hebraumlischen und im Lateinischen und Griechischen gibt und die dann auch fuumlrs Aumlgyptische postuliert wurden Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung schon durch Chabas Brugsch u a ermittelt waren setzte er u U anderslautende eigene Bedeutungen an Nur selten versuchte er seine erschlos-senen Wortbedeutungen durch weitere Textbelege zu bestaumltigen dies vor allem dann wenn sie von Chabas u a abwichen Er muss ziemlich von seinem eige-nen Koumlnnen uumlberzeugt gewesen sein denn er schreibt dass die Woumlrterbuumlcher von Brugsch und Birch sowie die Grammatik von de Rougeacute raquokeine sonder-lichen Dienste geleistet habenlaquo weil jene sich bei dem so alten und schwierigen Text raquomit dem Expediens des Stillschweigenslaquo beholfen haumltten41

40 Chabas und Virey Notice biographique de Franccedilois-Joseph Chabas (Fn 17) S 4941 Lauth Der Author Kadjimna (Fn 38) S 533 Gemeint sind Heinrich Brugsch

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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Peter Dils

ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Das Geflecht aus genialen Erkenntnissen und methodischem Unfug ist der-maszligen unentwirrbar dass Lauths Arbeiten nach seinem Ausscheiden aus seinen Aumlmtern im Jahr 1882 sehr schnell in Vergessenheit geraten sind Er wurde an der Muumlnchner Universitaumlt auch nicht ersetzt erst 1906 wurde dort Karl Dyroff zum auszligerordentlichen Professor fuumlr Aumlgyptologie ernannt Heinrich Brugsch beschrieb Lauths Forschungen wie folgt raquoWir beklagen es aufrichtig dass einer der kenntnissreichsten und philologisch durchgebildetsten aumllteren Aegypto-logen unter uns Deutschen Prof F J Lauth aus Muumlnchen es nicht verstanden hat seine ungebaumlndigte Phantasie zu zuumlgeln sondern in wissenschaftlichen Werken und populaumlren Schriften die Goldkoumlrner seines Wissens in die Spreu unglaublichster Einbildungen zu werfen Es faumlllt schwer fuumlr den Nichtkenner der aumlgyptologischen Studien und ihrer Fortschritte das Echte von dem Fal-schen zu unterscheiden so dass die nutzbringende Verwerthung seiner zahlrei-chen Arbeiten mit den groumlssten Gefahren fuumlr die wissenschaftliche Wahrheit verbunden ist [hellip] Haumltte Lauth es verstanden mit weiser Maumlssigung und mit Aufgabe seiner excentrischen Ansichten seinen Stoff zu behandeln so wuumlrde er mit Recht den Ruf eines der verdienstvollsten Gelehrten erlangt und behauptet habenlaquo42

Weil das in seinem Naturell lag reagierte Franccedilois Chabas sofort in einem offenen Brief auf den Aufsatz von Lauth43 Er besprach den Wortschatz der An-fangspassage der Lehre fuumlr Kagemni sehr detailliert und forderte Lauth auf seine abweichenden Bedeutungsansaumltze zu begruumlnden damit raquoMr Lauth tra-vailleur zeacuteleacute et savant conscienscieux ne doit pas voir son travail partager le sort de celui de Mr Heathlaquo Chabas nahm fuumlr diese Passage zwar die satz-syntaktische Strukturierung von Lauth war aber er aumluszligerte sich weder posi-tiv noch negativ dazu sondern er verlangte zuerst eine Begruumlndung fuumlr die

Hieroglyphisch-demotisches Woumlrterbuch enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebraumluchlichsten Woumlrter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Aumlgypter [hellip] Bd IndashIV Leipzig 1867ndash1868 (auch mit dem franzoumlsischen Titel Henri Brugsch Dictionnaire hieacuteroglyphique et deacutemotique [hellip]) Samuel Birch raquoDictionary of Hie-roglyphicslaquo in Christian Karl Josias Bunsen (Hg) Egyptrsquos Place in Universal History Vol V London 1867 S 335ndash586 Emmanuel de Rougeacute Chrestomathie eacutegyptienne Abreacutegeacute gram-matical Fasc 1ndash2 Paris 1867ndash1868

42 Heinrich Karl Brugsch Die Aegyptologie Abriss der Entzifferung und Forschun-gen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift Sprache und Alterthumskunde Leipzig 1897 S 142

43 Chabas Le Papyrus Prisse (Fn 9) S 81ndash85 und S 97ndash101 Der Deutsch-Franzouml-sische Krieg brach erst einige Monate spaumlter aus und der damit einhergehende Antago-nismus spielte keine Rolle bei der Ablehnung durch Chabas von Lauths Bearbeitung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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Peter Dils

ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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von Lauth vorgeschlagenen Bedeutungen raquoLaissant de cocircteacute ses arrangements syntactiques on lui demandera neacutecessairement en ce qui concerne les courtes phrases que je viens drsquoanalyser de nouvelles preuves pour les valeurs suivantes [hellip] Si Mr Lauth ne reacuteussit pas agrave montrer que les sens par lui adopteacutes sont justes et les miens inexacts il conviendra avec moi que la soliditeacute de ses inter-preacutetations est bien probleacutematique car les faciliteacutes qursquoil srsquoest accordeacutees dans ces passages il les a prises aussi dans tout le reste de sa traductionlaquo

Vergleichen wir den Anfang der Lehre in der Uumlbersetzung von Lauth (1869) mit der aumllteren (1858) und neueren (1870) von Chabas erkennt man den Fortschritt den Lauth auf syntaktischem Gebiet gemacht hat waumlhrend er auf lexikographischem Gebiet zuruumlckbleibt

ndash wDA snDw Hzi mtj wn Xn(w) n(j) grw wsx st nt hr(w)ndash 1858 raquo[hellip] augmentedeacuteveloppe ma consideacuteration Un chant gracieux

ouvre lrsquoarcane de mon eacutelocution dilate le lieu de mon intelligence [hellip]laquondash 1869 raquoHeil ist der mich ehrt gepriesen der willfaumlhrt Offen ist der Schrein

meiner Diction aufgethan der Sitz meiner Fictionlaquondash 1870 raquo[hellip] gueacuteri de ma crainte Un chant juste ouvre lrsquoasile de mon silence

dilate le lieu de mon calme [hellip]laquondash 2013 raquoWohlbehalten ist der Ehrfuumlrchtige gepriesen ist der Zuverlaumlssige

Gemaumlszligigte Offen ist das Zelt des Schweigsamen geraumlumig ist der Platz des Ruhigenlaquo

Bei der Uumlbersetzung von Xnw ist Lauths raquoSchreinlaquo eindeutig dem raquoarcane asilelaquo von Chabas vorzuziehen Aber fuumlr snD (raquoconsideacuterationlaquo gt raquocraintelaquo vs raquoehrenlaquo) mtj (raquogracieuxlaquo gt raquojustelaquo vs raquowillfahrenlaquo) gr (raquoeacutelocutionlaquo gt raquosilencelaquo vs raquoDictionlaquo) und hr (raquointelligencelaquo gt raquocalmelaquo vs raquoGedanke Vorstellung Ein-bildungskraft Phantasie Fictionlaquo) haumltte er besser die neuen Bedeutungen die schon im Woumlrterbuch von Brugsch oder anderswo aufgefuumlhrt sind uumlbernom-men Denn er versteht raquoSchrein der Dictionlaquo und raquoSitz der Fiktionlaquo als poe-tische Umschreibungen fuumlr den Mund wobei er mit modernen Raumltselspielen vergleicht (raquoune dame rouge dans un palais d h die Zunge innerhalb des Gau-menslaquo) in Wirklichkeit geht es um das Thema der Gastfreundschaft seitens oder zugunsten des idealen Beamten Auch wenn Lauth in diesem Abschnitt aus der Perspektive von Chabas nicht gut wegkommt soll jedoch nicht ver-schwiegen bleiben dass er in anderen Passagen deutlich mehr verstanden hat als es 1858 Chabas gelang

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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44 Heinrich Brugsch oder das erste raquoechtelaquo Woumlrterbuch

Die Verfuumlgbarkeit des Woumlrterbuches von Heinrich Brugsch bedeutete natuumlrlich nicht dass es fehlerfrei oder die dortige Information leicht zu benutzen war Heinrich Brugsch (1827ndash1894) war ein genialer Wissenschaftler der schon 1847 als Gymnasialschuumller im letzten Schuljahr einen wegweisenden Aufsatz zur Entzifferung der demotischen Schriftstufe des Aumlgyptischen vorlegte44 Er be-zeichnete sich im Bereich der Aumlgyptologie als einen Autodidakten und wurde von Alexander von Humboldt und Emmanuel de Rougeacute gefoumlrdert er studierte in Berlin beim ihm nicht freundlich gesonnenen Karl Richard Lepsius Brugsch hatte eine bewegte Berufslaufbahn mit Anstellungen am Aumlgyptischen Museum in Berlin und im aumlgyptischen Staatsdienst er hatte die erste Aumlgyptologie-Pro-fessur in Goumlttingen inne und arbeitete u a im deutschen diplomatischen Dienst Er las hieroglyphische und demotische Texte wie kein anderer seiner Zeit Seine Woumlrterbuumlcher geographische Studien und Textsammlungen seine Gruumlndung der ersten aumlgyptologischen Fachzeitschrift praumlgten die Aumlgyptologie der zweiten Haumllfte des 19 Jahrhunderts

Aber er war ein sehr schneller wenn nicht vorschneller Forscher Auguste Mariette charakterisierte in einem Gespraumlch mit Gaston Maspero den Unter-schied in der Arbeitsweise von Brugsch und de Rougeacute wie folgt raquoQuand [hellip] jrsquoamegravene Brugsch et Rougeacute devant un texte nouveau Brugsch le lit immeacutediate-ment et en improvise au courant de la lecture une traduction qui en rend le sens geacuteneacuteral avec fideacuteliteacute puis il passe agrave un autre sujet il en a exprimeacute du premier coup tout ce qursquoil en tirera jamais Rougeacute copie le texte il penche la tecircte agrave gau-che il la tourne agrave droite et quand il a bien consideacutereacute la pierre agrave loisir il srsquoen va en disant qursquoelle est fort inteacuteressante mais il me revient deux ou trois jours ap-regraves avec un meacutemoire complet sur la matiegravere il a tout analyseacute tout peseacute tout veacute-rifieacute et quand il se deacutecide agrave publier on ne trouve plus rien agrave glaner apregraves luilaquo45

Ein schoumlnes Beispiel fuumlr Brugschrsquos vorschnelles Arbeiten ist das gerade genannte gr raquoschweigenlaquo uumlber das Chabas und Lauth unterschiedlicher Meinung waren Brugsch uumlbernahm in seinem Woumlrterbuch (Bd IV 1517) die Deutung als raquoschweigenlaquo mit dem Hinweis raquozuerst von Hrn Chabas (s Meacutel 2 165 fl) sehr scharfsinnig nachgewiesen in der Bedeutung rsaquoschweigen still seinlsaquolaquo Aber unmittelbar vorher setzte er ein anderes Lemma gr an mit der Bedeutung raquohabend mitlaquo ohne zu beruumlcksichtigen dass Chabas zwei der drei

44 Das Manuskript ist von Anfang 1847 die Drucklegung von 1848 Scriptura Aegyp-tiorum demotica ex papyris et inscriptionibus explanata scripsit Henricus Brugsch discipulus primae classis Gymnasii realis quod Beroline floret Berlin 1848

45 Maspero Notice biographique du Vicomte Emmanuel de Rougeacute (Fn 14) S cliv

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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dort aufgefuumlhrten Beispiele im gleichen Aufsatz ebenfalls als zu raquoschweigenlaquo gehoumlrig einstufte Das dritte Beispiel ist ebenso zu verstehen ein Wort raquohabend mitlaquo existiert zwar aber es lautet Xr was der Graphie von gr manchmal ziemlich aumlhnlich sieht Brugschrsquos Lemma gr raquohabend mitlaquo ist ein raquoghostwordlaquo46 Es kommt noch hinzu dass die Beispielzitate die Brugsch fuumlr raquoschweigenlaquo gibt zwar tatsaumlchlich raquoschweigenlaquo bedeuten aber heute anders uumlbersetzt werden Brugschrsquos Lemmabedeutung ist richtig aber die Satzsyntax seiner Beispiele und damit seiner Uumlbersetzungen sind es nicht Unter diesen Umstaumlnden ist es irgendwie verstaumlndlich dass Lauth nicht ohne weiteres Brugsch folgen wollte aber er haumltte sich mit dem ausfuumlhrlichen Aufsatz von Chabas auseinanderset-zen muumlssen der von Brugsch zitiert wird

Ein anders geartetes Beispiel ist das eher seltene Wort xw(w) raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo das in den Tischvorschriften von Kagemni in dem Satz raquoEine Suumlnde ist die Voumlllerei ()laquo vorkommt Brugsch hat das Lemma in seinem Woumlrterbuch (III 1061ndash1062) mit der Bedeutung raquodas physische und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet er verwies auf kopt ϩⲟⲟⲩ ϩⲱⲟⲩ ϩⲁⲩ raquomalus esse malus malumlaquo wobei er jedoch einen falschen etymologischen Zusammenhang etablierte denn ϩⲟⲟⲩ geht auf HwA raquofaulig seinlaquo zuruumlck In seinem Supplement (VI 902) nahm Brugsch genau die Kagemni-Stelle xw(w) auszligerdem durch eine Fehllesung als xaw mit der Be-deutung raquogeringlaquo auf und auch diesmal fand er einen falschen koptischen Nachfahren naumlmlich ⲉⲣ-ϧⲁⲉ raquoinferiorem minorem esselaquo das jedoch auf xAa raquoverlassenlaquo zuruumlckgeht Brugsch lieferte also ein richtiges Wort mit einer rich-tigen Bedeutung aber einer falschen Etymologie sowie ein Geisterwortghost-word mit falscher Etymologie

Die vielen falschen koptischen Ableitungen sind selbstverstaumlndlich ein Aumlr-gernis aber sie allein implizieren nicht unbedingt dass die mutmaszligliche Be-deutung (voumlllig) falsch ist Denn eine Vorahnung der Bedeutung lieferten das Deutzeichen am Wortende (der Klassifikator bzw das Determinativ) und der Satzkontext Zu den Ursachen fuumlr die vielen falschen koptischen Ableitungen zaumlhlen eine ungenuumlgende Differenzierung der einzelnen koptischen Dialekte ein mangelndes Wissen um die historische Lautentwicklung vom Mittelaumlgyp-tischen zum Koptischen (immerhin ein Zeitrahmen von ca 2500 Jahren) und schlichtweg die Tatsache dass noch viele altaumlgyptische Wurzeln und Lemmata unidentifiziert waren von denen einige ebenfalls fuumlr ein Fortleben bis ins Kop-tische in Betracht kamen

46 Zur Verteidigung von Brugsch kann angefuumlhrt werden dass auch bei Birch gr mit den drei Bedeutungen raquosilence have bearlaquo wiedergegeben wird

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45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

45 Johannes Duumlmichen und Philippe Virey oder kleine Siege in Semantik und Grammatik

Es dauerte weitere 15 Jahre bis Johannes Duumlmichen (1833ndash1894) eine neue Uumlber-setzung der Lehre fuumlr Kagemni ablieferte47 Sie erschien 1884 in einer Anthologie von grundlegenden Texten zu den Weltreligionen und deshalb ohne Kommen-tar Andererseits erreichte sie damit ein groszliges Publikum Duumlmichen absol-vierte zuerst ein Theologiestudium und anschlieszligend ein Aumlgyptologiestudium in Berlin bei Lepsius und Brugsch ndash die Zeit der aumlgyptologischen Autodidak-ten war vorbei Er bereiste mehrfach Aumlgypten und sammelte viel Material zur Geographie und Metrologie sowie zur Baugeschichte der Tempel der griechisch-roumlmischen Zeit Im Jahr 1872 wurde er der erste Professor fuumlr Aumlgyptologie an der Universitaumlt Strasbourg damals Straszligburg wo er im Jahr 1874 eine Vorlesung uumlber die Lehre fuumlr Kagemni abhielt Adolf Erman schrieb spaumlter abwertend uumlber seinen Konkurrenten fuumlr den Lehrstuhl in Berlin dass seine Straszligburger Kol-legen Johannes Duumlmichen den raquoDuumlmmlichenlaquo nannten48 was angesichts seiner verdienstvollen Veroumlffentlichungen nicht besonders fair ist Aber Erman stoumlrte sich an dem Schreibstil denn Duumlmichen konnte sich nicht kurzfassen

Seit 1881 arbeitete auch Philippe Virey (1853ndash1920) am Papyrus Prisse (Ka-gemni und vor allem Ptahhotep) eine Arbeit die er 1883 als Diplomarbeit an der Eacutecole Pratique des Hautes Eacutetudes in Paris einreichte und die 1887 veroumlf-fentlicht wurde49 Virey bezeichnete sich als letzten Schuumller von Chabas den er als Jugendlicher in Burgund kennengelernt hatte obwohl er bei Maspero und Greacutebaut in Paris Aumlgyptologie studierte

Sowohl Duumlmichen als auch Virey benutzten die Arbeiten ihrer Vorgaumln-ger Waumlhrend Duumlmichen sich eher nach Chabas richtete und sich fuumlr die dort fehlende Teilen von Lauth inspirieren lieszlig ist die Uumlbersetzung von Virey deut-

47 Johannes Duumlmichen raquoLes sentences de Kakemnilaquo in Louis Leblois (Hg) Les Bibles et les initiateurs religieux de lrsquohumaniteacute Paris 1884 Livre II Vol 2 1re partie S 80ndash83 und Tf VndashVI (zwischen S 80ndash81) Es gibt eine aumlltere Version bei Leblois Le plus ancien livre du monde (Fn 7) in der Leblois einige Auszuumlge uumlbersetzt auf der Grundlage einer muumlndlichen Vorlesung von Duumlmichen Fuumlr eine Kurzbiographie von Duumlmichen siehe Wilhelm Spie-gelberg raquoDuumlmichen Johanneslaquo in Historische Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften (Hg) Allgemeine Deutsche Biographie Band 48 (1904) S 162ndash163 httpwwwdeutsche-biographiedepnd116235624htmlanchor=adb (1082013)

48 Adolf Erman Mein Werden und mein Wirken Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten Leipzig 1929 S 169

49 Philippe Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse Le livre de Kaqimna et les leccedilons de Ptah-hotep (Bibliothegraveque de lrsquoEacutecole des Hautes Eacutetudes Sciences philologiques et histo-riques 70) Paris 1887

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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lich selbstaumlndiger und zeichnet sich durch eine groumlszligere (allzu interpretatori-sche) Annaumlherung an die franzoumlsische Zielsprache aus In den 80er Jahren des 19 Jahrhunderts war die Bedeutung der meisten gaumlngigen Wurzeln bekannt Das Problem waren einerseits die vielen seltenen Lemmata andererseits die Grammatik und insbesondere die Satzsyntax die fuumlr die Identifizierung der Wurzel als Substantiv bzw als eine der vielen aumlhnlich aussehenden Verbalfor-men entscheidend war

Kleine Fortschritte konnten in beiden Bereichen erzielt werden Johannes Duumlmichen hatte schon 1865 in einer Studie zu den Bauinschriften des Hathor-tempels von Dendera festgestellt50 dass die Wurzel txi die in Beinamen der Goumlttin Hathor und Feierlichkeiten zu ihren Ehren eine wichtige Rolle spielte die Bedeutung raquosich betrinken trunken seinlaquo hat und er konnte auf koptisch ϯϩⲉ ⲑⲓϧⲓ raquoebrietas ebriuslaquo d h raquosich betrinken betrunken sein Trunkenheitlaquo verweisen Das erlaubte es ihm nicht nur im Kagemni den Vers j r zwr=k Hna tx w als raquoWenn du trinkst mit einem der sich voll getrunkenlaquo d h mit einem raquoSaumluferlaquo zu deuten Er konnte auszligerdem fuumlr den parallelen Satz j r Hmsi=k Hna Af a raquoWenn du [bei Tisch] sitzt mit einem Afalaquo der das sehr seltene Wort Af a enthaumllt eine Hypothese formulieren So wie tx w der raquoSaumluferlaquo war mit dem man zusammen trank (zwr) so koumlnnte Af a der raquoFresserlaquo sein mit dem man zusammen [bei Tisch] saszlig (Hmsi) Die gleiche Wurzel kommt ein zweites Mal im Kagemni vor diesmal nicht als Personenbezeichnung sondern als eine negative Charaktereigenschaft51

In den beiden aufgefuumlhrten Konditionalsaumltzen stehen die Verben zwr und Hmsi Das zweite Verb hatte schon Champollion dank des hockenden oder zu Boden sinkenden Mannes als Klassifikator am Wortende und dank des koptischen Nachfahren ϩⲙⲟⲟⲥ ϩⲉⲙⲥⲓ raquositzen sich setzenlaquo als raquoecirctre assis srsquoasseoirlaquo identifiziert Das erste Verb zwr war ihm auch schon begegnet aber die drei Wasserwellen die als Klassifikator vorhanden waren hatten ihn zu einer Fehldeutung verleitet Champollion hatte hier raquoreacutepandre distribuer lrsquoeaulaquo angenommen und eine Bestaumltigung im koptischen ⲥⲱⲣ raquoverbreiten ausstreuenlaquo gefunden das jedoch auf das Verb sr demot srs ar zuruumlckgeht Dagegen schlug Samuel Birch die Bedeutung raquotrinkenlaquo vor weil in Totenbuch vignetten eine

50 Johannes Duemichen Bauurkunde der Tempelanlage von Dendera Leipzig 1865 S 28ndash29

51 Dank der Hypothese von Duumlmichen konnte Lauth 1869 fuumlr den Satz xw pw Af a die Bedeutung raquoEin Erzuumlbel ist die Voumlllereilaquo vorschlagen (Fresser ~ Voumlllerei) Zur Unter-mauerung dieser Bedeutung schob Lauth eine gewagte Etymologie hinterher Af a komme raquoallenfallslaquo (von) raquoocircfe abstergere (= deglutire)laquo Jedoch entspricht das koptische ⲱⲫⲉ raquoaus-pressen aufwischenlaquo fuumlr das Lauth also die abgeleitete Bedeutung raquohinunterschluckenlaquo mutmaszligte dem aumlgyptischen af i j af raquoauspressenlaquo

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trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

trinkende Person im Zusammenhang mit einem raquoSpruch zum Trinken von Wasser in der Nekropolelaquo (rA n zwr mw m Xr t -nTr) vorkommt De Rougeacute konnte dann den koptischen Nachkommen ⲥⲱ identifizieren und die lautliche Veraumlnderung mit dem gaumlngigen Schwund des -r am Wortende begruumlnden Das Beispiel von zwr zeigt ein wichtiges weiteres Hilfsmittel der fruumlhen Aumlgyptologie um Wortbedeutungen zu ermitteln Man nahm an dass die Beischrift bei einem abgebildeten Gegenstand oder einer dargestellten Handlung sich direkt darauf bezog Das Wort mAj als einziges Wort bei der Darstellung eines Loumlwen bedeutet tatsaumlchlich raquoLoumlwelaquo (koptisch ⲙⲟⲩⲓ) so wie zwr bei einem Mann der eine Schale an den Mund fuumlhrt tatsaumlchlich raquotrinkenlaquo bedeutet

Aus Duumlmichens Uumlbersetzung des zuerst von de Rougeacute gelesenen Satzes zur Thronbesteigung von Pharao Snofru geht hervor dass ihm bewusst war dass das Kausativverb s aHa raquostehen tun machen dass X steht gt aufrichten aufstellenlaquo keine intransitive oder reflexive (raquosich aufstellenlaquo) Bedeutung hat sondern dass eine Passivkonstruktion vorliegen muss Statt de Rougeacutes raquoecce surrexit majestas hellip Senofre sicut rex beneficuslaquo hat Duumlmichen raquovoici on eacuteleva la majesteacute du roi Snefrou pour ecirctre un roi bienfaisantlaquo Eine solche passivische Uumlbersetzung hat natuumlrlich wichtige Implikationen fuumlr das Thronbesteigungs-verfahren der fruumlhen Pharaonen weshalb man bis in Uumlbersetzungen der 1990er Jahre intransitiv-aktive oder reflexive Wiedergaben findet52 Dieses Beispiel zeigt schoumln wo die Grenzen unseres Wissens bzw unserer Rekonstruktion des aumlgyptischen Wortschatzes liegen Wir ermitteln eine Wortbedeutung aus dem Zusammenhang der wiederum auf unserem Bild d h unserer Rekonstruktion der aumlgyptischen Gesellschaft fuszligt Und es ist schwer sich vorzustellen dass der pyramidenbauende Koumlnig Snofru bloszlig eine passive Rolle im folgenden narra-tiven Abschnitt spielte raquoDa landete die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Huni an [im Jenseits] Und da wurde die Majestaumlt des Koumlnigs von Ober- und Unteraumlgypten Snofru zum wohltaumltigen Koumlnig in diesem ganzen Land aufgestellt Und da wurde Kagemni zum (Haupt-)Stadtvorsteher und We-sir eingesetztlaquo Der Lexikograf steht hier vor folgendem Problem Entweder be-folgt er die Regeln der Grammatik die besagen dass ein kausatives Verb tran-sitiv ist oder er folgt seinem Bauchgefuumlhl seiner Interpretation des Kontextes dass hier doch eine aktive intransitive Bedeutung raquoaufstehen sich hinstellenlaquo

52 Aktivereflexiveintransitive Uumlbersetzungen d h solche mit Koumlnig Snofru als Agens bei Virey (1887) Revillout (1896) Erman (1923 raquodie Majestaumlt des Koumlnigs Snefru wurde zum trefflichen Koumlnigelaquo) von Bissing (1955) Brunner (1988 raquound die Majestaumlt des Koumlngs hellip stand auf als wohltaumltiger Koumlniglaquo) Roccati (1994) Parkinson (1997 raquothe Majesty of the dual King Sneferu ascended as the worthy kinglaquo) Eindeutig passivische Uumlbersetzungen bei Griffith (1890) Gunn (1910) Scharff (1941) Gardiner (1946) Bresciani (1969) Simpson (1972) Lichtheim (1973) Vernus (2001) u a

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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vorliegen muumlsste Er koumlnnte in letzterem Fall mutmaszligen dass eine Bedeu-tungsverschiebung von raquojemanden hinstellenlaquo zu raquosich hinstellen aufstehenlaquo aufgetreten ist wie es tatsaumlchlich viel spaumlter auch fuumlr einige Kausativverben der Fall ist Aber man wuumlnscht sich unbedingt eine Bestaumltigung aus zum Kagemni zeitgenoumlssischen Texten

Philippe Virey ging den eingeschlagenen Weg weiter aber er lieferte im methodischen Bereich der Bedeutungsfindung keine neuen Erkenntnisse Inte-ressant ist dass er fuumlr das Satzverstaumlndnis explizit auf den Aufbau des Papyrus Prisse in Versen verweist raquo[hellip] le Papyrus Prisse a eacuteteacute eacutecrit en versets le plus ancien livre du monde est un ouvrage sinon poeacutetique au moins rythmeacutelaquo53 Aus diesem Wissen zog er allerdings nicht die Konsequenz fuumlr die Uumlbersetzung ebenfalls eine Versstruktur oder zumindest eine Zeileneinteilung nach Sinn-einheiten vorzunehmen Chabas hatte das 1858 fuumlr eine einzige Passage getan Revillout fuumlhrte es 1896 als erster fuumlr den ganzen Text durch danach sollte erst wieder Miriam Lichtheim 1973 eine Uumlbersetzung in Verszeilen vorlegen

46 Francis Llewellyn Griffith ndash auf dem Weg in die moderne Aumlgyptologie

Groszlige Fortschritte im Verstaumlndnis der Lehre fuumlr Kagemni erzielte Francis Llewellyn Griffith (1862ndash1934) mit einer Studie von 189054 die er mit einer Uumlbersetzung fuumlr das allgemeine Publikum 1897 noch erheblich verbesserte55 Griffith war gesegnet mit einem erstaunlichen Gedaumlchtnis und einem kriti-schen Geist Er studierte ab 1879 in Oxford wo er sich selbst Aumlgyptisch bei-brachte denn das wurde dort nicht gelehrt er selber sollte 1901 der erste Pro-fessor fuumlr Aumlgyptologie in Oxford werden Ab 1884 arbeitete er mit Flinders Petrie auf dessen Grabungen zusammen und wurde zum groumlszligten britischen Aumlgyptologen seiner Zeit der sowohl Hieratisch des Mittleren Reiches als auch Demotisch Koptisch und Nubisch beherrschte und die meroitische Schrift entzifferte

Griffith lieferte 1890 eine hieroglyphische Transkription des Textes ab die der Hieratisch-Spezialist A H Gardiner 1946 fuumlr fast perfekt erklaumlrte Man erkennt an Griffiths Uumlbersetzung dass das grammatische Wissen deut-

53 Virey Eacutetudes sur le Papyrus Prisse (Fn 49) S 1054 Francis Llewellyn Griffith raquoNotes on Egyptian Texts of the Middle Kingdom IIIlaquo

in Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13 (1890) S 65ndash76 hier S 66ndash7255 Ders in Charles Dudley Warner (Hg) Library of the Worldrsquos Best Literature An-

cient and Modern Bd IX New York 1897 S 5327ndash5329

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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lich zugenommen hat Die Untersuchung von Erman zur Sprache des Papyrus Westcar (1889) wird im Beitrag von 1890 erwaumlhnt und die deutlich verbesserte Uumlbersetzung von 1897 erscheint nicht moumlglich ohne Kenntnis von Ermans Aumlgyptische Grammatik (1894) Zum Beispiel uumlbersetzte Griffith anders als seine Vorgaumlnger die wn jn=f Hr sDm-Konstruktion nicht laumlnger mit einem Futur und er wusste dass nach j r als Hervorhebungspartikel nicht immer ein Konditionalsatz folgte Fuumlr mehrere seltene Woumlrter konnte er endlich eine uumlberzeugende Uumlbersetzung vorschlagen Axf raquoAppetitlaquo (bis dahin analysiert als fx raquoGuumlrtellaquo oder als die Praumlposition xf t raquogegenuumlberlaquo) sz f raquofreundlich stimmenlaquo (bis dahin raquoekelerregend seinlaquo nach Lauth) skn raquoVielfraszliglaquo (bis da-hin raquoFleischerlaquo [Lauth] raquowiderlicher Mannlaquo [Virey]) khs raquogrob schroff seinlaquo (bis dahin raquoSchmach Schandelaquo [Lauth] raquoKummer Herzensleidlaquo [Virey])

Die Bearbeitung von Eugegravene Revillout (1843ndash1913) von 189656 ist ein Beispiel dafuumlr dass eine neue Bearbeitung nicht immer einen Fortschritt bedeutet Re-villout fing sein Studium bei Emmanuel de Rougeacute an und er spezialisierte sich auf die spaumlten Sprachstufen Koptisch und vor allem Demotisch sowie auf die aumlgyptische Rechtsgeschichte Er veroumlffentlichte eine hohe Zahl von Buumlchern und Artikeln und hat auf diese Weise viele Texte bekannt gemacht aber sowohl die wissenschaftliche Qualitaumlt seiner Beitraumlge als auch sein polemischer Stil las-sen viel zu wuumlnschen uumlbrig Fuumlr unser Thema reicht es darauf hinzuweisen dass Revillout auf die schon 1864 von Chabas korrigierte obsolete Uumlbersetzung raquoredenlaquo des gaumlngigen Verbs gr raquoschweigenlaquo beharrte Auszligerdem verstand Re-villout das was uns von der Lehre fuumlr Kagemni erhalten ist nicht als die zweite Haumllfte und den Schluss des Textes sondern als den Anfang die Einfuumlhrung eines Literaturwerkes Den allerletzten Satz des Textes das typische Kolophon jwi=f pw raquoEs bedeutet dass es angekommen ist [d h dieser Satz bedeutet dass es der Text zu Ende ist]laquo verknuumlpfte er mit dem vorangehenden und interpretierte sehr fantasievoll raquoje lui portai cette offrandelaquo

5 Die Lehre fuumlr Kagemni im Projekt Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache

Betrachtet man das lexikographische Wissen uumlber die aumlgyptische Sprache am Ende des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive des Wortschatzes von Kagemni stellt sich die Situation als ziemlich chaotisch dar Die gaumlngigen Woumlrter waren

56 Eugegravene Revillout raquoLes deux preacutefaces du Papyrus Prisselaquo in Revue eacutegyptologique 7 (1896) S 188ndash198

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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Peter Dils

ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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identifiziert und ihre allgemeine Bedeutung bestimmt aber diese wurde nicht notwendigerweise von allen akzeptiert oder schon in einem Woumlrterbuch ver-zeichnet Fuumlr viele Lemmata kursierten mehrere in geringerem oder staumlrkerem Maszlige voneinander divergierende Bedeutungen Zahlreiche falsche koptische Entsprechungen erschwerten die Absicherung der Bedeutungen Auf moder-ner Fehllesung oder antiken Schreibfehlern beruhende Ghostwords geisterten durch die Woumlrterbuumlcher und die Literatur Es gab noch immer ungeklaumlrte Woumlr-ter Schlieszliglich fuumlhrte das noch ungenuumlgende grammatische Bewusstsein der fruumlhen Aumlgyptologen zu idiosynkratischen Interpretationen die frei im Raum stehen neben ndash wie wir im Nachhinein wissen ndash richtigen Interpretationen

Ob dieses negative Bild im gleichen Maszlig fuumlr andersartige Texte zutrifft z B fuumlr narrative und hymnische Texte waumlre zu pruumlfen Adolf Erman jeden-falls hat diese Meinung vertreten Kurz nach seiner Ernennung zum auszliger-ordentlichen Professor an der Berliner Universitaumlt waren die folgenden Zeilen in der Berliner Vossischen Zeitung zu lesen raquo[hellip] so hat Adolf Erman das emi-nente Verdienst durch seine kritischen Arbeiten auf philologischem Gebiete zuerst eine aumlgyptische Sprachwissenschaft in des Wortes bester Bedeutung be-gruumlndet und dadurch dem Dilettantismus welcher sich gerade auf dem philo-logischen Gebiete immer breiter zu machen suchte energischen Widerstand entgegengesetzt zu habenlaquo57 Und in seiner Antrittsrede als Mitglied der Preu-szligischen Akademie der Wissenschaften bereitete er den Weg fuumlr den Antrag seines groszligen Woumlrterbuchprojektes vor Letzteres sei ein dringliches Deside-rat denn raquodie Zahl der bekannten Worte schrumpft zusammen das Heer der unbekannten waumlchst denn wir ermitteln die Bedeutungen nicht mehr durch kuumlhne Etymologien und noch kuumlhneres Erratenlaquo58

Tatsaumlchlich leitete Erman mit dem gemeinsamen Akademieprojekt zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache die moderne aumlgyptologische Lexikogra-phie ein Dass dies ein langwieriger Prozess war laumlsst sich an den Materialien zur Lehre fuumlr Kagemni ablesen In dem Projekt an dem viele namhafte Wis-senschaftler mitarbeiteten hat Hans O Lange (1863ndash1943) die Kagemni-Zettel geschrieben Schon seit 1886 interessierte er sich fuumlr den Papyrus Prisse zu dem er eine Dissertation vorlegen wollte59 Lange lieszlig mehrere Passagen unuumlber-setzt andere wurden im Laufe des Projekts auf den Zetteln durchgestrichen

57 Berliner Vossische Zeitung 1885 24 Januar Beilage I Mit Dank an Thomas Gert-zen der mir dieses Zitat zugaumlnglich machte Er zitiert es verkuumlrzt in seinem Buch Eacutecole de Berlin und raquoGoldenes Zeitalterlaquo (Fn 1) S 131

58 Sitzungsberichte der Koumlniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Ber-lin Jahrgang 1895 Zweiter Halbband S 742ndash744 hier S 743

59 Hagen An Ancient Egyptian Literary Text in Context (Fn 5) S 18ndash20

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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Peter Dils

ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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oder mit dem Hinweis raquodie Uumlbersetzung sehr zweifelhaftlaquo versehen Noch in Ermans eigener Uumlbersetzung in seiner Altaumlgyptischen Literatur von 1923 blie-ben Kagemni-Passagen unuumlbersetzt fuumlr deren Woumlrter dann schlieszliglich im ge-druckten Woumlrterbuch (1926ndash1931) doch eine Bedeutung vorgeschlagen wurde

Ermans Methode war moumlglichst raquoallelaquo Belegstellen fuumlr ein Wort zusammenzu-tragen und in ihrem Satz- und Textzusammenhang zu analysieren Dank einer sorgfaumlltigen Sortierung nach Verwendungskontexten konnten viele parallele Textstellen mit ungewoumlhnlichen oder verstuumlmmelten Graphien dem richtigen Lemma zugewiesen werden wodurch Ghostwords aussortiert werden konnten Das Befolgen einer strikten philologischen Methode bei Einhaltung der mitt-lerweise erschlossenen Grammatikregeln fuumlhrte vielfach zu einem uumlberzeugen-den Erfolg bei der Bedeutungsfindung Fuumlr einige wenige Lemmata lieferte die Lehre fuumlr Kagemni einen entscheidenden Hinweis zur Wortbedeutung aber in vielen Faumlllen konnte eine Kagemni-Stelle erst dank einer anderswo ermittelten Bedeutung geklaumlrt werden

Fuumlr den Wortschatz von Kagemni scheint mir die Situation folgende zu sein Fuumlr die gaumlngigen Woumlrter mit schon allgemein akzeptierter Bedeutung lieferte das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache einerseits die endguumlltige Bestaumltigung durch die umfassende Quellensammlung andererseits eine viel

Abb 3 Woumlrterbuchzettel DZA 30611690 geschrieben durch Hans O Lange Es ist der 35 Abzug () des 5 Textzettels zum Papyrus Prisse auf dem das Wort khs raquogrob seinlaquo lemmatisiert wurde Dies ist eine Belegstelle zu der Bedeutung von khs in Bd V S 137 Bedeutungszeile 19

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

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Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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Peter Dils

ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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Peter Dils

das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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ausfuumlhrlichere Beschreibung des Bedeutungs- und Verwendungsspektrums als vorher Fuumlr Woumlrter deren Bedeutung noch etwas schwammig war grenzte das Woumlrterbuch die Bedeutung genauer ein Und fuumlr Woumlrter deren Bedeutung ziemlich in der Schwebe oder ganz und gar unbekannt war konnte das Woumlrter-buch durch die viel bessere Quellenlage einen Bedeutungsansatz formulieren der haumlufig bis heute guumlltig ist

Zu den Woumlrtern die im Zuge der Woumlrterbuchforschung eine neue bis da-hin in den Kagemni-Uumlbersetzungen nicht verzeichnete Bedeutung bekommen haben gehoumlren j tn raquosich jemandem widersetzenlaquo arq raquoverstehenlaquo Hntj raquogie-rig sein u aumllaquo Xnw raquoZeltlaquo xs f raquostrafenlaquo srx raquoVorwurflaquo und Dba raquoAnstoszlig nehmen an mit dem Finger zeigen auflaquo

Dass die ultimative Bedeutungsfindung im Woumlrterbuchprojekt trotz der jahrenlangen Sortierarbeit der Vormanuskripte des Glossars und des Hand-woumlrterbuchs nicht einfach war und im Grunde nicht abgeschlossen ist zeigt folgende Anekdote uumlber die uumlber sieben Jahre hindurch zweimal in der Wo-che stattfindenden Redaktionssitzungen raquoBei diesen Besprechungen die ganz regelmaumlszligig jeden Dienstag und Freitag bei Erman stattfanden von 9ndash1 Uhr ging es zuweilen lebhaft zu Man saszlig zu Dritt an Ermans groszligem Schreibtisch Erman in der Mitte Sethe rechts und Grapow links von ihm vor dem das zur Beratung stehende Manuskriptblatt lag uumlber das dann nicht selten zwischen Sethe und Grapow eine Diskussion entstand bei der Erman zu tun hatte Sethes manchmal bis zum Eigensinn gehende Hartnaumlckigkeit zu lockern und Grapows Lebhaftigkeit zu saumlnftigen Aber immer kam es zu einer Einigung [hellip] mochten die Gegensaumltze aus sachlichen Gruumlnden noch so scharf aufeinander platzen bei denen Sethe sich auf seine reiche Erfahrung seinen scharfen Blick und sein ungemeines praumlsentes Wissen stuumltzte Grapow auf die intensive Arbeit der letzten Tage und die Belege die er jedesmal mitbrachte die auch wohl von ihm mit Sethe sogleich fuumlr eine fragliche Bedeutung oder Konstruktion erneut durchgesehen wurdenlaquo60

6 Die Lexikographie der Lehre fuumlr Kagemni seit dem Woumlrterbuch

Das Woumlrterbuch von Erman und Grapow ist ein Meilenstein in der aumlgyptischen Lexikographie es ist ein gesundes Fundament aber es ist nicht die Bibel Das

60 Adolf Erman und Hermann Grapow Das Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache Zur Geschichte eines groszligen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie (Deutsche Akade-mie der Wissenschaften zu Berlin Vortraumlge und Schriften Heft 51) Berlin 1953 S 66

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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war wohl keinem mehr bewusst als den beiden Herausgebern denn sie schrei-ben staumlndig raquoundoder aumlhnlichlaquo hinter die Wortbedeutungen was in den spauml-teren Handwoumlrterbuumlchern dann ausgelassen wurde Jeder der versucht einen Text mehr als nur oberflaumlchlich zu uumlbersetzen findet Verwendungskontexte oder stellt sich Fragen auf die ErmanGrapow keine Antwort geben Und das gilt auch fuumlr einen vom Woumlrterbuch ausgewerteten Text wie Kagemni Die phi-lologische Arbeit an der Lehre wurde mit Alexander Scharff im Jahr 1941 wie-der aufgenommen61 er versuchte ausstehende grammatische lexikographische und interpretatorische Fragen zu klaumlren Alan H Gardiner reagierte 1946 nach dem Krieg auf diesen Aufsatz vor allem bezuumlglich der lexikographischen Fra-gen62 Walter Federn machte 1950 einen neuen Versuch im lexikographischen Bereich63 zu dem Gardiner 1951 kurz Stellung bezog64 Seitdem wurden mehr als zehn neue Komplettuumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni veroumlffentlicht Die Bedeutungsansaumltze des Woumlrterbuchs von Erman und Grapow bilden dabei jeweils die Ausgangslage genauso wie die vorangegangenen Uumlbersetzungen Letzteres hat zur Folge dass auch solche Bedeutungsansaumltze weiter tradiert werden die im Woumlrterbuch nicht laumlnger vertreten sind

Im Folgenden sollen einige Probleme der Bedeutungsansaumltze des Woumlr-terbuchs sowie der Umgang mit den Woumlrterbuchbedeutungen in der spaumlteren Forschung anhand von Beispielen aus dem Wortschatz des Kagemni vorgestellt werden

Ein erstes Problem sind die zahlreichen scheinbaren Synonyme im Woumlr-terbuch Battiscomb Gunn schrieb 1941 raquoAlthough the meanings of many words and phrases have been ascertained fairly closely for us they are still syn-onymous with other words and phrases which makes it probable that we do not understand them exactlylaquo65 Kagemni bildet da keine Ausnahme denn auf engstem Raum finden sich dort Af a Hntj und skn die alle drei als raquogierig gefraumlszligig seinlaquo uumlbersetzt werdenndash xw pw Afa jw Dba=t(w) jm raquoGefraumlszligigkeitGier ist Suumlnde Man zeigt mit

dem Finger darauflaquo

61 Alexander Scharff raquoDie Lehre fuumlr Kagemnilaquo in Zeitschrift fuumlr Aumlgyptische Sprache und Altertumskunde 77 (1941) S 13ndash21

62 Alan H Gardiner raquoThe Instruction Addressed to Kagemni and His Brethrenlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 32 (1946) S 71ndash74 und Tf XIV

63 Walter Federn raquoNotes on the Instruction to Kagemni and His Brethrenlaquo in Jour-nal of Egyptian Archaeology 36 (1950) S 48ndash50

64 Alan H Gardiner raquoKagemni once againlaquo in Journal of Egyptian Archaeology 37 (1951) S 109ndash110

65 Battiscombe G Gunn raquoNotes on Egyptian Lexicographylaquo in Journal of Egyptian Archaeology 27 (1941) S 144ndash148 hier S 144

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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ndash Xz pw Hntj n Xt=f raquoEin Niedertraumlchtiger ist der der mit seinem Bauch gie-rig istlaquo

ndash m Adw r jwf r-gs skn raquoReiszlig dich nicht um ein Stuumlck Fleisch neben einem GierigenGefraumlszligigenlaquo

Vielleicht kann eine Wortfelduntersuchung die alle Lemmata mit einer aumlhn-lichen Bedeutung beruumlcksichtigt und ihre verschiedenen Verwendungskon-texte kartiert eine Bedeutungspraumlzisierung ans Licht foumlrdern Das Problem duumlrfte jedoch sein dass alle Lemmata selten bis sehr selten belegt sind Im Concise Dictionary von Raymond Faulkner66 wird mehr differenziert Af a raquogluttony gluttonlaquo Hntj raquobe covetous greedylaquo und skn raquobe greedy lustlaquo Das Handwoumlrterbuch von Rainer Hannig67 scheint die Bedeutungen des Woumlrter-buchs uumlbernommen und sie mit denen von Faulkner angereichert zu haben Af a raquogierig gefraumlszligig unersaumlttlich seinlaquo Hntj raquogierig seinlaquo und skn raquogierig gefraumlszligig luumlstern gieriglaquo

Man stellt zweitens fest dass sogar fuumlr ganz bekannte Woumlrter nicht alle Bedeutungen erfasst sind Das Substantiv tA findet man im Woumlrterbuch nur mit der Bezeichnung raquoBrotlaquo bei Faulkner auszligerdem noch mit der Bezeich-nung raquoLaiblaquo bei Hannig steht zusaumltzlich noch raquoBrotkuumlgelchen Brotteiglaquo In Kagemni aber steht raquoBrotlaquo fuumlr Hauptnahrungsmittel d h pars pro toto fuumlr raquoNahrung Speisenlaquo im Allgemeinen Das ist die einzig sinnvolle Interpretation von raquoWenn du in einer Menschenmenge beim Essen sitzt dann versage dir rsaquodas Brotlsaquo das du liebstlaquo und raquoWer frei von Vorwuumlrfen in Bezug auf rsaquoBrotlsaquo ist dem kann kein einziges Gerede etwas anhabenlaquo So haben es auch die meisten Uumlber-setzer von Anfang an gesehen

Drittens hat das Woumlrterbuch Bedeutungsdiskussionen abgebrochen die nicht ausdiskutiert waren Nehmen wir den Fall snDw raquoder Furcht-same Aumlngstlichelaquo (Wb IV 184ndash185) Der Zusammenhang mit koptisch ⲥⲛⲁⲧ und der griechischen Entsprechung εὐλαβέομαι wurde vorhin schon erwaumlhnt auch die Tatsache dass dieses griechische Verb polysem ist (raquosich in Acht neh-men vorsichtig sein ehren Ehrfurcht haben vor fuumlrchtenlaquo) aber gerade in der Septuaginta raquo(Gott) fuumlrchtenlaquo bedeutet Das Woumlrterbuch von Erman und Gra-pow kennt fuumlr die Wurzel snD nur die Bedeutung raquosich fuumlrchten Furcht haben vorlaquo kann sich aber fuumlr die Kagemni-Stelle damit nicht durchsetzen Kaum ein Uumlbersetzer verwendet hier raquoder Aumlngstlichelaquo denn das passt nicht so richtig zum Verhalten eines tugendhaften Mannes dem es nachzufolgen gilt Die meis-ten Kagemni-Uumlbersetzungen seit 1950 gehen von irgend einem Grad der Ehr-

66 Raymond O Faulkner A Concise Dictionary of Middle Egyptian Oxford 196267 Rainer Hannig Die Sprache der Pharaonen Groszliges Handwoumlrterbuch Aumlgyptisch ndash

Deutsch (2800ndash950 v Chr) Marburger Edition Mainz 2006

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Peter Dils

Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

erbietung aus wobei der Aspekt des Schreckens von dem der Respektvolle be-fallen ist nicht laumlnger in den Uumlbersetzungen durchschimmert Ich habe den Eindruck dass unsere laizisierte und demokratisierte Gesellschaft sich nicht mehr vorstellen kann dass fruumlher Respekt immer mit Angst verbunden war wenn man dem Kaiser oder dem gottgleichen C4-Professor gegenuumlberstand Bei Hannig findet man raquoder Furchtsame Aumlngstlichelaquo im Woumlrterbuch auf der glei-chen Ebene wie raquoder Zuruumlckhaltende Respektvollelaquo Die einzige Textquelle die er fuumlr die zweite Bedeutung anfuumlhrt ist die Lehre fuumlr Kagemni68

Ein anderes Beispiel ist die Personencharakterisierung mtj Im Woumlrterbuch von Brugsch (II 724) bedeutet das Adjektivverb mtjmtr raquoin der Mitte sein in der gehoumlrigen Mitte sein richtig sein sein wie es sich schickt passend seinlaquo Bei Chabas ist es raquoexact juste symeacutetrique proportionneacute reacutegu-lierlaquo wobei er sich in Kagemni kontextbedingt fuumlr raquojustelaquo entscheidet Dies setzt sich in den Kagemni-Uumlbersetzungen durch mit raquocorrectlaquo raquoaccuratelaquo raquoexactlaquo raquorichtiglaquo raquouprightlylaquo waumlhrend das von Chabas ebenfalls vermerkte raquosymeacutetrique proportionneacute reacutegulierlaquo verschwindet Im Woumlrterbuch von Er-man und Grapow findet sich ebenfalls nur raquorichtig rechtmaumlssig genau u aumllaquo bei Personen auch raquozuverlaumlssig u aumllaquo (Wb II 1731ndash3) Im Jahr 1946 nimmt Gardiner jedoch Anstoszlig an der von Scharff 1941 gewaumlhlten Uumlbersetzung raquozu-verlaumlssiglaquo englisch raquotrustworthylaquo und er schreibt raquomt (y) [hellip] appears to me always to contain a suggestion of balance moderation the middle roadlaquo Diese Einschaumltzung fuumlhrt Gardiner zu seiner Uumlbersetzung des raquothe moderate onelaquo Seitdem findet man in den Uumlbersetzungen einerseits solche die die Woumlrter-buchbedeutung als Ausgangslage nehmen raquoder Aufrichtigelaquo (Roumlmheld) raquoder Gewissenhaftelaquo (Brunner) raquothe honest manlaquo (Parkinson) und andererseits sol-che die sich von Gardiner inspirieren lassen raquoder maszligvoll Handelndelaquo (Bis-sing) raquothe modest onelaquo (Simpson Lichtheim) raquoder das rechte Maszlig kenntlaquo (Kurth) raquole mesureacutelaquo (Vernus) raquoder Maumlszligigelaquo (BurkardThissen) Die Bemer-kung von Gardiner wurde nicht in die Handwoumlrterbuumlcher von Faulkner und Hannig auf genommen Nur eine erneute Pruumlfung der Originalquellen und der dortigen Verwendungskontexte kann den Sachverhalt klaumlren

In dem langen Zeitraum den das Woumlrterbuch von Erman und Grapow abdeckt muss es Bedeutungsveraumlnderungen und Bedeutungsverschiebungen gegeben haben Ein solcher Fall liegt vielleicht beim negativen Begriff xww vor Es wurde in den fruumlhen Uumlbersetzungen mit raquoErzuumlbellaquo (Lauth) raquochose

68 Ders Aumlgyptisches Woumlrterbuch II Mittleres Reich und Zweite Zwischenzeit (Hannig-Lexica 5 Kulturgeschichte der Antiken Welt 112) Mainz 2006 Bd II S 2274 Nr 28843 moumlgliche Belegstellen aus der Zeit nach der Zweiten Zwischenzeit sind noch nicht ver oumlffentlicht

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Peter Dils

deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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deacutegradantelaquo (Virey) raquoune peinelaquo (Revillout) raquobaselaquo (Griffith) raquoabominationlaquo (Gunn) raquoschaumlndlichlaquo (DZA 27720200 Erman) uumlbersetzt bzw als raquodas physi-sche und moralisch unreine unsaubre also Unreinheit Suumlndelaquo verzeichnet (Brugsch Wb III 1061ndash1062) Das Wort kommt vor allem im Totenbuch 125 und in anderer religioumlser Literatur vor Erman und Grapow (Wb III 2477ndash8) definieren es als raquoboumlse Handlungen Suumlndelaquo und sie fuumlgen hinzu dass es in der griechisch-roumlmischen Zeit raquoauch im Sinne von Unreines (von dem man das Heiligtum reinigt)laquo verwendet wird Erman und Grapow nehmen also die stark abwertende Faumlrbung aus den aumllteren Bedeutungsansaumltzen heraus sie bringen andererseits mit dem Begriff raquoSuumlndelaquo d h die Uumlbertretung eines goumlttlichenkirchlichen Gebots eine religioumlse christlich geladene Bedeutung erneut ins Spiel Faulkner kennt fuumlr das mittelaumlgyptische Textcorpus nur raquobaseness wrongdoinglaquo Hannig dreht die Reihenfolge des Woumlrterbuchs um und praumlzi-siert raquoSuumlnden boumlsegemeine Handlungenlaquo Es stellt sich jetzt die Frage Ist xww ein Fehlverhalten das sowohl religioumls als auch gesellschaftlich geaumlchtet wird Ist es ein Fehlverhalten das immer religioumlse Untertoumlne hat Oder hat das Wort xww eine Bedeutungsverengung erfahren von einem allgemeinen Fehl-verhalten zu einer (religioumlsen) Suumlnde hin In den modernen Uumlbersetzungen von Kagemni uumlberwiegen solche die besagen dass xww ein Fehlverhalten ist das von der Gemeinschaft abgelehnt wird (Schande schaumlndlich niedrig Las-ter ein Schlechtes disgrace despicable base an evil wrongdoing disprezzato una colpa) nur Vernus erkennt einen Verstoszlig gegen Gott (raquopeacutecheacutelaquo)

Ein groszliges Problem bei der Bedeutungsfindung ist die Tatsache dass zwar der Kotext einer Redewendung eines Satzes oder eines Textes vorhanden aber der Kontext fuumlr uns weitestgehend verloren ist Der Satz m mdww spd dsw r thi -mTn raquoRede nicht Die Messer sind spitzscharf gegen den der vom Weg ab-kommtlaquo illustriert dies in mehrfacher Hinsicht Es gibt ausreichend Beispiele mehrheitlich aus der griechisch-roumlmischen Zeit die besagen dass thi mTn als raquoden Weg [eines anderen] uumlbertretenverletzenlaquo zu verstehen ist was raquojeman-dem untreu werden aufsaumlssig gegen ihn sein u aumllaquo (Wb V 32014) bedeutet Nun ist anzunehmen dass es einen Zusammenhang zwischen thi mTn und m mdww gibt Es ist unwahrscheinlich dass hier bloszlig steht raquoRedesprich nicht Halte keine Redelaquo sondern es muss in Anbetracht des Nachfolgesatzes eine inakzeptable Art zu reden sein An modernen Intepretationen der Kagemni-Stelle liegen neben bloszligem raquoRede nichtlaquo vor raquoRede nicht zu viel unnoumltig frei heraus zu laut plappereschwatze nichtlaquo Andererseits erwaumlgt das Woumlr-terbuch fuumlr die Verwendung des Verbs mit einem Personenobjekt raquojemanden verreden jemanden verleumdenlaquo und je nach folgender Praumlposition kann es auch raquoboumlse reden uumlber tadeln sich streitenlaquo bedeuten Die Kagemni-Stelle alleine erlaubt keine endguumlltige Klaumlrung der Bedeutung aber ein Eintrag im

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Peter Dils

Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

Woumlrterbuch in der Art von raquoabsolut gebraucht im Sinne von in unangemesse-ner Weise redenlaquo waumlre angebracht

Fuumlr spd in raquoDie Messer sind spitzscharflaquo wird im Woumlrterbuch ausschlieszliglich die Bedeutung raquospitz sein spitz machenlaquo aufgefuumlhrt Nun sind Messer im Allgemeinen spitze Gegenstaumlnde aber etymologisch gesehen ist

ds ein Feuersteinmesser und das wesentliche einer Feuersteinklinge ist dass sie scharf ist Es stellt sich also die Frage ob ds eine Stichwaffe wie ein Dolch sein kann oder ob spd auch die Bedeutung raquoscharflaquo haben kann Das englische raquosharplaquo (Faulkner) bedeutet sowohl raquospitzlaquo als auch raquoscharflaquo Eine andere Frage ist warum genau das ds-Messer genannt wird Ist es denkbar dass der Aumlgypter aus dem Mittleren Reich beim Stichwort Waffe zuerst an das ds-Messer dachte Wenn ja dann koumlnnte man mit einer Wortschatzklassifika-tion der Waffen nach der Methode der Prototypensemantik ansetzen Anderer-seits ist das ds-Messer laut Woumlrterbuch eine typische Waffe der Goumltter Viel-leicht rief der Satz raquoDie ds-Messer sind scharflaquo bei dem Aumlgypter das Bild einer goumlttlichen oder jenseitlichen Sanktionierung auf

Wie heikel es ist unterschiedliche Forschermeinungen in einen Woumlrter-bucheintrag umzuwandeln zeigt das Beispiel j r Hmsi=k Hna Af a wnm=k Axf=f swA raquoWenn du zusammen mit einem SchlemmerGefraumlszligigen bei Tisch sitzt dann isst du erst wenn sein Heiszlighunger [] voruumlber istlaquo Axf ist ein Hapax Legomenon Griffith war der erste der das Wort als solches ohne Emen-dierung las und zuerst ein Verb raquoto take onersquos fill()laquo (d h seine Portion zu sich nehmen) ansetzte anschlieszligend ein Substantiv raquodesirelaquo erkannte Erman (1921) entscheidet sich fuumlr raquoMahllaquo und im Woumlrterbuch (1926) ist es schlieszliglich raquoEsslust ()laquo mit Fragezeichen Scharff (1941) passt dieses seltene Wort eine Neubildung durch Sprachpuristen aus dem 18 Jahrhundert (Adelung) zur Vermeidung des franzoumlsischen raquoappetitlaquo nicht Er uumlbersetzt lieber mit einem regulaumlren deut-schen Ausdruck raquoerster Hungerlaquo d h Appetit Gardiner (1946) haumllt diesen Ausdruck jedoch fuumlr ungenau und vermutet eine Bedeutung raquofever of appetitelaquo was dann in spaumlteren Uumlbersetzungen zu raquogreedy appetitelaquo raquoHeiszlighungerlaquo raquovor-aciteacutelaquo und raquogorginglaquo fuumlhrt Gardiners Wiedergabe mit raquofeverlaquo d h Fieber ist der Tatsache geschuldet dass er einen Zusammenhang zwischen Axf und einem seltenen Wort Axfxf raquoin Glut geraten ()laquo vermutet (Wurzelredupli-kation) das einmal in den Sargtexten mit dem Feuertopf determiniert ist Im Concise Dictionary von Faulkner ist der Vorschlag von Gardiner raquofever of appe-tite ()laquo mit einem Fragezeichen auf genommen Im Handwoumlrterbuch von Han-nig liest man raquoEsslust der groszlige Hunger Voumlllereilaquo es taucht das ungluumlckliche raquoEsslustlaquo wieder auf zusammen mit raquoder groszlige Hungerlaquo und ndash auffaumlllig ndash das mit einem Stern d h Fragezeichen versehene raquoVoumlllereilaquo Das Fragezeichen vom Woumlrterbuch zu Esslust erster Hunger Appetit faumlllt also weg obwohl Gardiner

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Peter Dils

das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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raquoNous ne sommes tous que des eacutecoliers en fait drsquohieacuteroglypheslaquo

war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Peter Dils

Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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das fuumlr einen zu schwachen Ausdruck hielt dafuumlr kommt raquogroszliger Hungerlaquo hinzu was mehr ist als Appetit aber nicht die unbezwingbare Dringlichkeit hat die Gardiner vorschwebte sowie Voumlllerei ndash diesmal mit Fragezeichen ver- sehen ndash als Art des Essens und nicht laumlnger als Lust auf Essen Bei Hannig liegen also drei Uumlbersetzungen aus zwei Gesichtspunkten fuumlr eine einzige Textstelle vor ohne dass dies gekennzeichnet wird und nur die dritte Uumlbersetzung wird als fraglich eingestuft Zur Unterstuumltzung der vorgeschlagenen Bedeutung(en) findet man bei Hannig eine moumlgliche verwandte semitische Wurzel die im Ara-bischen raquoBegierdelaquo und im Geez raquoHungerlaquo bedeutet

7 Schluss

Das Altaumlgyptische seit vielen Jahrhunderten eine tote Sprache mit dem eben-falls ausgestorbenen Koptischen als letztem Nachfahren wurde aus seinen eigenen Schriftzeugnissen heraus im 19 Jahrhundert erschlossen Das hiero-glyphisch-hieratische Schriftsystem mit seiner Mischung aus Wortzeichen (Ideogrammen oder Logogrammen) Lautzeichen (Phonogrammen) und Deut-zeichen (Determinativen oder Klassifikatoren) kombiniert mit dem koptischen Nachfahren der dank arabischer Sprachbeschreibungen sowie Uumlbersetzungen ins Arabische bzw aus dem Griechischen bekannt war erlaubte diese wunder-bare Wiederauferstehung

Vor allem die als Deutzeichen oder Klassifikatoren fungierenden Hiero-glyphenzeichen waren und sind besonders hilfreich nicht nur als Worttrenner hauptsaumlchlich sie ermoumlglichten eine Vorahnung der Wortbedeutung Klassi-fikatoren die nicht bloszlig eine allgemeine Kategorie wie raquoVerben der Bewegunglaquo (Hieroglyphen der Beinchen ) oder raquoAbstrakter Begrifflaquo (Hieroglyphe der Buchrolle ) umschreiben sondern die ganz konkrete Objekte oder Lebe-wesen darstellen wie eine Waage oder einen Loumlwen helfen einem viel weiter als nur bis zu einer Vorahnung die Chance dass tatsaumlchlich Woumlrter fuumlr raquoWaagelaquo bzw raquoLoumlwelaquo vorliegen ist besonders hoch Bis heute ist der Klassifikator der wichtigste Grobindikator fuumlr die Bedeutungsermittlung bei neu identifizierten Lemmata Durch den Vergleich von auf diese Weise grob identifizierten Woumlr-tern mit dem griechischen Text des Steines von Rosette konnten am Anfang der Entzifferungsgeschichte einige hieroglyphische Woumlrter mit griechischen Bedeutungen versehen werden allerdings war die Zahl der durch griechische Entsprechungen erschlossenen Woumlrter eher niedrig Viel wichtiger war der Vergleich paralleler Textstellen in hieroglyphischen und hieratischen Texten wodurch man unterschiedliche Orthographien des gleichen Wortes identifizie-ren konnte Sobald auf diese Weise der Lautwert eines Wortes ermittelt worden

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Peter Dils

Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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war konnte man mit Hilfe der Bedeutungsvorahnung durch den Klassifikator auf die Suche gehen nach einem koptischen Wort das als lautlicher Nachfahre in Betracht kam und dessen Bedeutung eventuell eine Bedeutungspraumlzisierung des altaumlgyptischen Wortes ermoumlglichte Da das Koptische natuumlrlich eine sehr viel juumlngere Sprachstufe war musste anschlieszligend aus dem Satzkontext heraus eine weitere Praumlzisierung vorgenommen werden um der im Laufe der Jahrhun-derte aufgetretenen Bedeutungsveraumlnderung Rechnung zu tragen

Je mehr Woumlrter auf diese Weise in kurzen Phrasen erschlossen wurden desto besser bekam man den Satzkontext einfacher Texte in den Griff Dadurch und durch die genaue Beobachtung der Wortfolge konnten weitere Regeln der Grammatik ermittelt werden was es wiederum ermoumlglichte Satzkontexte zu praumlzisieren sowie komplexere Texte in Angriff zu nehmen Die Vorliebe der Aumlgypter fuumlr sich in gewissen Textsorten wiederholende Satzmuster mit paralle-len semantisch aumlquivalenten steigernden oder antithetischen Formulierungen (Parallelismus Membrorum) war eine wichtige Hilfe bei der Erweiterung der Anzahl der bekannten Woumlrter Nicht nur Fortschritte in der Satzgrammatik sondern auch Einsichten in Wortbildungsmuster (z B Kausativbildungen mit s- Instrumentalbildungen mit m- Intensivbildungen durch Wurzelreduplika-tion) lieferten weitere Wortbedeutungen Nur selten war bzw ist der Vergleich mit Woumlrtern oder Wurzeln in semitischen und anderen Sprachen hilfreich denn selbst wenn schon die gleiche Wurzel trotz der vielen Lautveraumlnderungen erkannt wird kann die Bedeutung von Sprache zu Sprache durch die jeweilige innersprachliche Entwicklung stark variieren nuumltzlich ist der Vergleich vor allem bei Fremdwoumlrtern die das Aumlgyptische zeitnah entlehnt hat

Die Lehre fuumlr Kagemni war bei diesen ganzen Prozessen im Wesentlichen ein Nutznieszliger Der Text ist inhaltlich und formal zu komplex als dass er selber als fruumlher Generator fuumlr die Erschlieszligung von Wortbedeutungen gedient haben koumlnnte Erst als der Prozess der Bedeutungsermittlung und der Grammatik-beschreibung schon weit vorangeschritten war konnte die Lehre fuumlr Kagemni dank ihrer vielen (sehr) seltenen Woumlrter einen eigenen Beitrag zur aumlgyptischen Lexikographie liefern

Der Prozess der Bedeutungsfindung des hieroglyphisch-hieratischen Aumlgyp- tischen erreichte seinen Houmlhepunkt und einen vorlaumlufigen Abschluss in den Ar-beiten von Adolf Erman und seinem Team die zum Woumlrterbuch der aumlgyptischen Sprache fuumlhrten Der Schluumlssel zum Erfolg war der bis dahin nie erreichte Um-fang der Belegstellensammlung sowie das staumlndige Kontrollieren jeder durch welche Methode auch immer ermittelten Wortbedeutung in allen Textstellen

Die Zahl der Autosemantika fuumlr das Hieroglyphisch-hieratische liegt heute bei mehr als 15000 Woumlrtern Bei jedem neu veroumlffentlichten aumlgyptischen Text koumlnnen zwar neue Woumlrter auftauchen aber diese erschuumlttern nicht mehr das

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Peter Dils

Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung

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Peter Dils

Geruumlst der altaumlgyptischen Lexik Die semantische Forschung seit dem Woumlrter-buch von Erman und Grapow verschiebt sich in mehrere Richtungen Einer-seits geht es darum die haumlufig noch ziemlich allgemeinen Wortbedeutungen sowie die Verwendungskontexte genauer zu spezifizieren Worin unterscheidet sich ein Wort von einem anderen mit einer (augenscheinlich) sehr verwandten Bedeutung Ist ein Wort oder eine Wortbedeutung allgemeinsprachlich oder fachsprachlich Ist es gewissen sozialen Gruppen gewissen Sprachregistern oder gewissen Regionen vorbehalten usw Andererseits veraumlnderte sich der Wortschatz im Laufe von 3500 Jahren Bislang wurde das Aumlgyptische vor al-lem der Schrift nach in drei Wortschatzbloumlcke aufgeteilt (hieroglyphisch-hie-ratisches Aumlgyptisch Demotisch Koptisch) ohne dabei in groumlszligerem Umfang zeitliche Uumlberschneidungen oder diachrone Veraumlnderungen in Wortschatzbe-stand und Bedeutungen zu beruumlcksichtigen Dieser synchronen und diachro-nen Forschungsfragen hat sich das im Jahr 2013 angefangene Akademieprojekt raquoStrukturen und Transforma tionen des Wortschatzes der aumlgyptischen Sprachelaquo angenommen

Ob es je moumlglich sein wird den erhaltenen Wortschatz des aumllteren Aumlgyp-tisch wirklich voll zu verstehen ist ungewiss Die heutige Aumlgyptologie ist nicht mehr ganz in der Situation die Franccedilois Chabas 1863 beschrieben hat Das Wissen um die Hieroglyphen ist nicht mehr auf dem Niveau eines raquoGrund-schuumllerslaquo aber an den unterschiedlichen juumlngeren Uumlbersetzungen der Lehre fuumlr Kagemni sieht man gut wie schwer es manchmal ist sich auf eine Bedeu-tungspraumlzisierung zu einigen oder wie unterschiedlich polyseme Woumlrter in-terpretiert werden Vor allem bei abstrakten Begriffen oder Handlungen kann das Satz- und Textverstaumlndnis stark divergieren Aber auch bei ganz konkre-ten Begriffen wie z B Koumlrperteilbezeichnungen in den medizinischen Papyri gehen die Meinungen manchmal erheblich auseinander Die Struktur unserer Woumlrterbuumlcher die mit (einer Auswahl an) Uumlbersetzungswoumlrtern arbeiten d h eigentlich Uumlbersetzungs- und keine erklaumlrenden Woumlrterbuumlcher sind ist dabei nicht immer hilfreich manchmal sogar kontraproduktiv Man darf naumlmlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren dass die Bedeutungen der gewaumlhlten Uumlbersetzungwoumlrter bei Erman und Grapow auch schon fast 100 Jahre alt sind und in dieser Zeit haben sich sowohl die modernen Wort bedeutungen als auch das geistige Umfeld gewandelt Das ist eine der Ursachen fuumlr manche Text-uumlbersetzungen in raquoAumlgyptologendeutschlaquo Im Grunde braumluchte die Aumlgyptolo-gie ein Woumlrterbuch in dem der Grad unseres semantischen Wissens mit allen seinen Unsicherheiten in vollstaumlndigen Saumltzen beschrieben wird Dazu sind die semantische Vernetzung des Wortschatzes und die digitale Erschlieszligung wichtiger Textcorpora wie sie das neue Akademieprojekt zum Wortschatz der aumlgyptischen Sprache vorhat eine notwendige Voraussetzung