PMAktuell 201504 021 Public

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  • 8/18/2019 PMAktuell 201504 021 Public

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    Monatelang schwieg die Landesonde Philae –

    über 450 Millionen Kilometer entfernt von der

    Erde, verankert auf einem Kometen in einer

    Felsspalte. Dann, im Juni 2015, funkte die

    Sonde wieder Signale zur Erde. Die Wissen-

    schaftler waren begeistert, die Geschichte der

    „Rosetta“-Mission geht weiter. Das Raumfahrt-

    projekt der ESA gilt als wichtiger Meilenstein

    bei der Erforschung unseres Sonnensystems.

    Was Projektmanager jetzt wissen sollten: Prof.

    Klaus Schilling (Universität Würzburg) wird

    auf dem PM Forum 2015 dieses Projekt vor-

    stellen. Die GPM hat den profunden Kennerder „Rosetta“-Mission als Keynote Speaker

    gewonnen. Der Termin: 27./28. Oktober 2015

    in Nürnberg (www.pm-forum.de)

    Die schwachen Signale, die Wissenschaftlerim Juni 2015 aus den Tiefen unseres Sonnen- 

    systems empngen, lösten Begeisterung aus.

    Sie kamen von der Landesonde Philae vomKometen Tschurjumow-Gerassimenko – kurz:

    Tuschuri – über das Mutterraumschiff Rosetta.

    Diese Sonde war nach monatelangem Tiefschlafwieder zum Leben erwacht. Eine große Über- 

    raschung? 

    Prof. Klaus Schilling: Nein, für Wissenschaftler

    war das keine Überraschung. Wir haben schon

    erwartet, dass die Sonde Philae wieder erwacht.

    Nach der Landung im November vergangenen

    Jahres hat sie mit der Energie gearbeitet, die sie

    von der Erde mitgebracht hatte. Danach wurde

    sie in den Tiefschlaf versetzt, bis von den Solar-

    zellen durch die Annäherung der Kometenbahn

    an die Sonne ausreichend Licht in Energiegewandelt werden konnte, um den Betrieb wie-

    der aufzunehmen.

    Die Sonde Rosetta hatte im vergangenen Jahr

    den Kometen erreicht. Sie hatte die Landeein- 

    „Rosetta“-Mission auf dem PM Forum im Oktober 2015

    Das Funksignal aus dem Allkrönte den Projekterfolg 

     Autor: Ol iver Steeger

      REPORT 03

    projektManagement aktuell   | AUSGABE 4.2015

    heit Philae im Gepäck; diesen sogenannten

    „Lander“ setzte sie auf der Kometenoberächeab. Doch das Manöver – rund 450 MillionenKilometer weit weg von uns – gelang nicht wie

    geplant. Auf dem Kometen angekommen, hattePhilae Probleme, sich zu verankern.

    Philae ist an einem anderen Ort gelandet, alsvorgesehen. Und dieser Ort ist auch ungünstiger

    für die Sonnenkollektoren. Aber: Bei der Landung

    im November 2014 war der Komet noch sehrweit von der Sonne entfernt. Man hat gehofft,dass durch glückliche Umstände das wenigeSonnenlicht ausreicht für einen Weiterbetrieb.Dies war dann nicht der Fall. Man wusste aber,

    dass das Problem behoben würde, wenn sich der

    Komet auf seiner Bahn der Sonne weiter an-nähert. Was den Landeplatz betrifft: Der Lander

    befindet sich jetzt in einer Felsspalte. Für dieWissenschaft ist diese Felsspalte noch interes-

    santer als der ursprünglich vorgesehene Lande-

    platz.

    „LANDER“ AN FELSSPALTEAUFGESETZT 

    Vor einigen Wochen, etwa Mitte August, ist derKomet der Sonne am nächsten gekommen.Dabei bildet sich der typische Kometenschweif

    Klaus Schilling

    Prof. Dr. Klaus Schilling war

    zunächst in der Raumfahrtindus-trie bei Airbus Space verantwort-

    lich an der Entwicklung von inter-

    planetaren Raumsonden beteiligt

    (unter anderem: HUYGENS zum

    Saturn-Mond Titan, Mars Rover

    und Erdbeobachtungsmissionen).

    Während seiner Industriezeit hatte

    er die Verantwortung für die

    Rosetta-Systemstudien und ist

    nun seit über 25 Jahren mit dieser

    Mission verbunden.

     An der Universität Würzburg leitet

    er seit 2003 den Lehrstuhl für

    „Robotik und Telematik“ und führte

    Raumfahrtstudiengänge ein. Er rea-

    lisierte mit seinem Team den ersten

    deutschen Pico-Satelliten UWE-1

    ( Universität Würzburg Experimen-

    talsatellit), der 2005 gestartet

    wurde, um Internet unter Weltraum-

    bedingungen zu untersuchen, und

    der Ausgangspunkt für ein aktives

    Kleinstsatellitenprogramm wurde.

    Parallel ist er Vorstand des außer-

    universitären Forschungsinstituts„Zentrum für Telematik“. Foto: ESA

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    projektManagement aktuell   | AUSGABE 4.2015

    04 REPORT

    die „Rosetta“-Mission zu verstehen – indem man

    direkt am Kometen Messungen vornimmt.

    Wurde das Wasser also möglicherweise vonKometen gebracht? 

    Was die Kometengruppe betrifft, aus der Tschur-

     jumow-Gerassimenko stammt, unterscheidensich die Wassermolekül-Zusammensetzungenvon den auf der Erde vorgefundenen. Aber bisher

    wurden vor allem Partikel von der Oberfläche des

    Kometen aufgefangen und untersucht. Ob dieUntersuchung der später aus dem Zentrum des

    Kometen kommenden Partikel im Kometen-schweif andere Erkenntnisse bringt – dies müs-

    sen wir abwarten.

    FRAGE NACH DEN GRUND- BAUSTEINEN DES LEBENS 

    Nach einigen Hypothesen soll ja nicht nur unserWasser möglicherweise aus dem Weltall stam- 

    men, sondern auch Grundbausteine des Lebens,etwa Kohlenwasserstoffe.

     Auch da könnten d ie Messungen auf dem Kome-ten neue Erkenntnisse bringen. Kohlenwasser-stoffe – also die Grundbausteine der organischen

    werden die Kometen aus dem fernen Gürtel ins

    Innere gelenkt und von der Sonne angezogen.

    Der Komet Tschurjumow-Gerassimenko ist alsoeine Art Flaschenpost aus der Ferne unseresSonnensystems. In zweierlei Hinsicht: zumeinen räumlich aus der tiefsten Region desSonnensystems, zum anderen zeitlich, indemer Relikte aus der frühen Zeit unseres Sonnen- 

    systems transportiert. Richtig verstanden? 

    Ja! Das Material, das wir beispielsweise auf der

    Erde finden, ist durch Vulkanismus oder biologi-

    sche Vorgänge weiter prozessiert. Es hat sich im

    Laufe der Zeit stark verändert. Dies gilt übrigens

    auch für das Material an der Oberfläche desKometen. Aber das, was nun aus dem Innerenhervorkommt und als Kometenschweif sichtbar

    wird, das ist original erhaltenes Material.

    Welche Fragen können die Erkenntnisse ausdem Urmaterial beantworten? 

    Dazu gehört beispielsweise die Frage, woher die

    umfangreichen Wassermassen auf der Erdekommen. Es gibt verschiedene Theorien, bei

    denen auch die Kometen, die ja als schmutzigeSchneebälle beschrieben werden, eine wichtige

    Rolle spielen. Dies versucht man nun auch durch

    aus – und damit wurde es für die Wissenschaft- ler nochmals spannend.

    Richtig! Im Schweif finden sich Partikel aus dem

    Innern des Kometen. Es handelt sich um quasi

    unberührtes Ursprungsmaterial …

    … des Kometen? 

    Vor allem ist es das Ursprungsmaterial des Son-

    nensystems. In dem Kometen hat sich diesesMaterial aus der Zeit, als unser Sonnensystementstand, unberührt und tiefgekühlt erhalten.

    „FLASCHENPOST“ AUS DERFERNE DES SONNENSYSTEMS 

    Wie das? 

    Der Komet stammt aus einer sehr fernen Region

    unseres Sonnensystems, aus dem Kuiper-Gürtel,

    der jenseits der Planeten liegt. Im Kuiper-Gürtel

    kommt nur geringe Sonnenenergie an, so blieb

    dieser weitestgehend unverändert. Das Problem

    für die Wissenschaft jedoch is t: Der Kuiper-Gürtel

    befindet sich jenseits der Reichweite unsererRaketen. In diesem Zusammenhang kommenKometen ins Spiel. Durch Gravitationsstörungen

    Die Landestelle von „Philae“

    auf dem Kometen

    Tschurjumow-Gerassimenko;

    Foto: ESA

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      REPORT 05

    projektManagement aktuell   | AUSGABE 4.2015

    autonom ablaufende Reaktionsfähigkeiten, die

    nicht auf detaillierten Befehlen von der Erde auf-bauen.

     Augenblick, bitte! Wir müssen doch auf der Erdein den Kontrollzentren erfassen können, wassich am Kometen abspielt.

    Richtig! Deshalb hat man bei dieser Mission auf

    eine Kombination zwischen Fernsteuerung mitVerzögerung und autonomer, lokaler Reaktions-

    fähigkeit gesetzt . Grob gesagt: Alle Vorgänge, die

    in Echtzeit gesteuert werden müssen, laufenautonom ab. Dazu gehört beispielsweise derLandevorgang.

    Eben sagten sie, dass noch niemand auf einemKometen gelandet ist. Wussten Sie, was Sie aufTschurjumow-Gerassimenko erwartet?

    Der Komet ist kohlrabenschwarz und finster. Es

    ist so, als würde man in einem Kohlenkeller ohne

    Licht arbeiten. Die faszinierenden Fotos, die Sie

     jetzt sehen können, sind aufwend ig nachbearbei -

    tet. Aus den Bildern lassen sich die mechani-schen Eigenschaften nur schwer vorhersagen. Als Rosetta konstru iert wurde, wussten wi r nicht,

    ob auf einer harten Oberfläche oder einer tiefen

    Staubschicht gelandet werden muss. Die Technikwar so auszulegen, dass sie sowohl mit Staubals auch mit hartem Stein zurechtkommt. Diese

    Sonden müssen adaptiv auf die vorgefundeneUmgebung reagieren können.

    Wobei man immer den Rahmen des technisch

    Möglichen im Auge behalten muss ...

     Auch des finanzie ll Möglichen. Je vielsei tiger und

    quasi cleverer ein System ist, desto mehr kostet

    es meist. Da müssen wir im Dreieck von Kosten,

    Zuverlässigkeit und Technologie immer wiederabwägen und Iterationsschleifen durchlaufen, bis

    wir eine unter allen diesen Gesichtspunkten opti-

    male Lösung gefunden haben.

    RECHNUNG MIT VIELENUNBEKANNTEN 

    Unter dem Strich ist solch eine Mission eineRechnung mit vielen Unbekannten. Trotzdembraucht man für die Planung und Umsetzungdes Projekts zumindest einige Anhaltspunkte.

    Sie sagten vorhin, dass die Sonde für verschie- 

    dene Szenarien – Staub oder Stein – angepasstwar. Wie kann man mit wenigen Anhaltspunktensolch ein Projekt überhaupt planen? 

    Mal nachrechnen: Was auf der Erde 100 Ton- 

    nen wiegt, bringt auf dem Kometen gerade einKilogramm auf die Waage.

    Ja. Deshalb ist es auch so schwierig, mit derSonde nach Material zu bohren. Wenn die Sonde

    nach unten drückt, hebt sie nach oben ab. Durch

    die extrem geringe Gravitation war es auchschwierig, den Planeten anzufliegen. Störkräfte

    gewinnen großen Einfluss, da sie nicht wie auf

    der Erde von einer nennenswerten Gravitationkompensiert werden. Hinzu kommt: Der Kometdreht sich um seine eigene Achse, etwa einmal

    in zwölf Stunden. Diese komplexen Bewegungen

    mussten hochgenau von den Space Dynamics-

    Spezialisten bei ESOC in Darmstadt aus denNahbeobachtungen vorhergesagt werden, um

    den ausgewählten Landeplatz zu treffen. Dennder Landeanflug dauerte über 7 Stunden beiGeschwindigkeiten langsamer als ein Fußgänger.

    Trotzdem hat sie auf 100 Meter überraschendgenau den Landeort erreicht.

    Wo lagen weitere Herausforderungen diesesProjekts? 

    Eine Herausforderung bestand darin, sich demKometen überhaupt so anzunähern, dass Rosetta

    in seine Umlaufbahn kam. Das Raumschiffmusste sich herantasten, seine Geschwindigkeit

    angleichen und in eine Umlaufbahn einlenken. Anschl ießend erfo lgte erstmals e ine Landung auf

    einem Kometen. Bisher ist man nur sehr schnell

    an Kometen vorbeigeflogen, beispielsweise mitder europäischen Sonde Giotto beim KometenHaley – mit einer Geschwindigkeit von über200.000 Stundenkilometern.

    „AUTONOM ABLAUFENDEREAKTIONSFÄHIGKEITEN“ 

    Der Funkverkehr zwischen Erde und Sonde ist

    schwierig. Bei der Landung betrug die Distanz

    zur Erde rund 500 Millionen Kilometer. Der Sig- nalweg beträgt etwa eine halbe Stunde. Wird

    hier ein Steuerungsbefehl gegeben und eine Antwort von der Sonde angefordert, so kommt

    die Antwort erst nach einer Stunde an. Erstdann kann man wieder eingreifen – wiederum

    mit großer Verzögerung. Was bedeutet dieselange Datenübertragung für die Mission? 

     An den physikal ischen Gegebenheiten der Daten-

    übertragung lässt sich nicht rütteln. Man mussschauen, wie man mit derartigen Verzögerungen

    zurechtkommt. Die Sonde verfügt über viele

    Chemie – wurden bereits nachgewiesen. Es ist

    zu hoffen, dass uns die „Rosetta“-Mission auchbei der Beantwortung dieser Frage ein Stückweiterbringt. Die Wissenschaftler sind schon jetzt

    von den ersten Ergebnissen begeistert. Man hat

    spannende Publikationen auf den Weg gebracht,

    die allerdings noch im Druck sind.

    Nochmals zu dem Lander, der auf dem KometenExperimente und Messungen durchführt: DerLander Philae hat den vorgesehenen Lande- platz verfehlt. Die Schubdüsen, die Anker und

    Eisschrauben haben nicht richtig funktioniertund den Lander nicht befestigt. Was ist genau

    geschehen? 

    Die Sonde ist wieder zurückgefedert nach derersten Landung. Sie ist auf einen Kilometer Höhe

    gestiegen und hat noch ein zweites und drittes

    Mal aufgesetzt. Dann hat sie sich in einer Fels-

    spalte verkeilt.

    Vorhin sagten Sie, dass dieser „neue“ Lande- 

    platz in der Felsspalte noch besser ist für die

    Mission. Weshalb ist er besser? 

    Der ursprüngliche Landeort war vorgesehen auf

    einer ebenen Fläche, bedeckt von einer etwa

    30 Zentimeter dicken Staubschicht. Jetzt befin-den wir uns am Rande eines Kraters, umgeben

    von erstaunlich festem Gestein. Nach der Lan-dung hat die Sonde vollautomatisch die vorge-

    sehenen Experimente durchgeführt. Jetzt besteht

    die gute Möglichkeit, darauf aufbauend weitere,

    neue Experimente zu unternehmen. Dafür ist der

    neue Landeplatz günstig. Allerdings verhinderndie zunehmenden Ausgasungsaktivitäten desKometen, dass sich Rosetta nahe annähernkann; damit ist die Kommunikationsverbindungsehr eingeschränkt.

    EXTREM GERINGEGRAVITATION 

    Ein Komet ist ein vergleichsweise kleines Objektim Weltall – ein Winzling, wenn man bedenkt,

    dass er einen Radius von zwei bis vier Kilome- 

    tern hat. Welche Herausforderungen ergabensich daraus für das Projekt? 

    Von der Masse her können Sie den Kometen mit

    einem Berg auf der Erde vergleichen – etwa mit

    dem Montblanc. Dies hat Einfluss auf die Gravi-

    tation des Kometen. Die Gravitation beträgt nuretwa ein Hunderttausendstel dessen, was wirvon der Erde her kennen.

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    06 REPORT

    Nein. Am Ende der Phase B wird die Planung

    eingefroren. Es müssten schon außergewöhn-liche Gründe eintreten, dass die Pläne dannnochmals verändert werden. Eine Raumsonde ist

    ein sehr komplexes System. Auch die Realisie-

    rung mit mehr als 50 über ganz Europa verteilten

    Firmen ist sehr komplex. Wenn jeder auf seinem

    Gebiet ändert und lokal verbessert, ohne dieRückwirkungen zu übersehen – das Gesamtsys-

    tem würde sicher nicht funktionieren.

    Sprechen wir bitte noch über die Risiken beiRaumfahrtprojekten. Sie hatten bei der „Rosetta“-Mission ein großes Problem zu bewältigen. Die

    Rakete Ariane 5, die die Sonde ins All befördernsollte, explodierte bei ihrem Jungfernug. Die

    Fehler nach dem Unglück mussten sorgfältiganalysiert werden. Der Starttermin Ihrer Sonde

    hatte sich damit um lange Zeit verschoben.

    Der verschobene Starttermin führte dazu, dassder ursprünglich anvisierte Komet nicht mehrerreichbar war, nachdem er sich in seiner Bahn

    weiter fortbewegt hatte.

    Der Komet Tschurjumow-Gerassimenko waranfangs gar nicht das Ziel?

    Nein, das war der Komet Wirtanen. Wir hattenaber großes Glück, dass sich nach längererSuche Tschurjumow-Gerassimenko als mög-liches Ersatzziel herausstellte. Natürlich mussten

    die Bahnen und auch die Technik für Rosettaentsprechend angepasst werden. Dies war beifast fertigem Raumschiff eine spannende Phase

    neuerlicher Anpassung.

    „FLY-BYS“ GEBENZUSÄTZLICHE ENERGIE 

    Was daran war so schwierig? 

    In der Regel reicht die Leistung der Raketennicht aus, um den Zielkometen direkt anzuflie-

    gen. Deshalb greift man in der Raumfahrt zueinem Trick, den sogenannten „Fly-Bys“. Die

    Sonde ließ sich auf ihrem Weg von der Gravita-

    tion der einzelnen Planeten einfangen und einStück mitziehen: Damit gewinnt sie zusätzliche

    Energie. Dies bedeutet aber auch: Die Bahnenvom Satelliten, von den Planeten und vom Ziel-

    kometen müssen zusammenpassen. Bei einerStartverzögerung geht eine günstige Konstella-

    tion, die vielleicht nur ein oder zwei Tage vorhält,wieder verloren. Kommt es zu einer Verzögerung,

    dann bietet sich vielleicht erst nach Jahren

    Weshalb ist so früh bereits die Industrie an den

    Projekten beteiligt? Weil die Industrie auch die Kosten für die Lösun-

    gen ermitteln muss. So kann man der geplanten

    Mission direkt ein Preisschild anhängen. Häufig

    müssen dann in weiteren Iterationen geeignete

    Kompromisse gefunden werden, um zwischenhohen Anforderungen und verfügbaren Budgets

    zu vermitteln.

    Man tastet sich quasi an die machbare Lösung

    heran ...

    … indem man beispielsweise sinnvoll Anforde-

    rungen reduziert, um in die Zone des finanziell

    Machbaren vorzustoßen. Dies ist ein völlig nor-maler Vorgang in der Raumfahrt.

    Diese Forschungsprojekte und Machbarkeits- 

    studien lösen fast immer technologischenFortschritt aus – häug ganze Quantensprüngeim Fortschritt. In der Raumfahrt arbeitet man

    bekanntlich an den Grenzen des derzeit tech- nisch Machbaren. Es werden Technologienentwickelt, die sich dann Jahre später auchin unserem Alltagsleben bemerkbar machen.Eben sprachen sie beispielsweise von autono- 

    men Steuerungssystemen. Aufgrund der gro- ßen Distanz zur Erde muss der Lander Philaekomplexe Manöver autonom steuern. ÄhnlicheSysteme gibt es ja heute – Jahre später nachdem Start der Rakete im Jahr 2004 – auch aufder Erde.

    Ein Beispiel dafür, das jeder kennt: In der Auto-

    mobilindustrie sind Fahrassistenzsysteme eingroßes Thema. Man redet bereits von selbstfah-

    renden Autos, was natürlich noch Zukunftsmusik

    ist. Aber wenn heute Autos automatisch einpar-

    ken können, dann nutzen sie auch Kontrolltech-

    nologien, die in der Raumfahrt weiterentwickelt

    wurden. Raumfahrt findet also Niederschlag inunserem Alltagsleben.

    PLANUNG WIRD„EINGEFROREN“ 

    Die Technologie entwickelt sich heute sehrschnell. Dies kann man besonders an der Com- 

    putertechnologie erkennen. Meine Frage: Nach Absch luss der Planungen vergehen noch eini- ge Jahre, bis die Sonde gebaut ist. Ist man in

    solchen Projekten nicht immer wieder versucht,das Planungspaket wieder aufzuschnüren undaktuelle technische Innovationen einzubeziehen? 

    Die eben erwähnte Anpassungsfähigkeit der

    Technik ist ein wichtiger Baustein dafür, ein Pro- jekt mit so vielen Unbekannten durchzuführen.Die Sonde ist so gestaltet, dass sie mit einemweiten Bereich von Bedingungen umgehen kann.

    Was die Planung betrifft: Bei der Realisierungeiner Raumsonde handelt es sich um einen sehr

    langen Prozess. Der Projektstart für Rosettawar 1992, doch Vorarbeiten zu technischenMachbarkeitsanalysen fanden bereits Ende der1980er-Jahre statt. Damals konnte ich bereitszur Systemdefinition beitragen.

    Systemdenition? Wie geht man dabei vor? 

    Ausgehend vom vorhandenen Wissen überKometen versuchte man technische Lösungs-

    ansätze zu finden. Die Wissenschaftler waren in

    vielen Fragen unterschiedlicher Meinung. Wirhatten es mit vielen Unsicherheiten zu tun. Inder Planung versucht man deshalb zunächstLösungskonzepte zu entwickeln, wie man mitden Unsicherheiten umgehen kann. Dabei zeigt

    sich auch, in welchen Bereichen noch Zusatz-wissen erarbeitet werden muss, um zuverlässige

    Lösungen zu finden.

    QUANTENSPRÜNGEIN DER TECHNOLOGIE 

    Planungen erfordern bekanntlich Entscheidun- 

    gen, häug Weichenstellungen von erheblicher

    Tragweite für das Projekt. Wie kann man –obwohl man kaum Bestimmtes weiß – fundierteEntscheidungen treffen? 

    Interdisziplinäre Teams setzen sich mit solchen

    schwierigen Entscheidungen auseinander, wel-che Lösungsalternativen sinnvoll sind und mithoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führen. Es

    ist intensive Arbeit nötig, um frühzeitig die Prob-

    leme überhaupt zu identifizieren, denen danndurch entsprechende Forschung mit neuen

    Lösungen begegnet werden kann. Sind die offe-

    nen Fragen erkannt, müssen Forschungsprojekte

    die Wissenslücken schließen oder das Projektmuss aufgegeben werden. Falls dies gelingt,

    schließen sich später konkrete Machbarkeitsstu-

    dien an, die man bewusst von der Industriedurchführen lässt. Manchmal arbeiten zweiverschiedene Industrieteams getrennt voneinan-

    der an einer Machbarkeitsstudie; so bekommenwir alternative Ansätze, aus denen wir lernenkönnen.

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      REPORT 07

    projektManagement aktuell   | AUSGABE 4.2015

    Darauf möchte ich hinaus! Sie erfahren mit

    großer Verspätung, dass ihr Projekt gelungenist und die Pläne aufgegangen sind. Lesensie dann von ihrem Projekterfolg aus der Zei-

    tung? 

    Bei den großen Ereignissen – etwa bei der Lan-

    dung – sind viele Ehemalige in den Kontrollzen-

    tren mit dabei, und es ist schon spannend, nach

    so vielen Jahren dann zu erleben, ob die Vorher-

    sagen tatsächlich alle wie geplant zutreffen. Sol-

    che Projekte bilden unter den Beteiligten eine

    Gemeinschaft, die sich über Generationen er-streckt. n 

    Eine Art „Task Force“ für Risikomanagement? 

    Richtig! Diese Spezialisten sollen die Risiken auf-

    spüren und analysieren. Dann sind im nächsten

    Schritt entsprechende Gegenmaßnahmen einzu-

    leiten und neue Lösungen zu entwickeln. Hierzu

    muss der Fortschritt des Systems kontinuierlich

    kritisch verfolgt werden.

    Projekte wie die „Rosetta“-Mission habeneine lange Laufzeit. Projektleiter müssen aufihren Erfolg lange warten, oft über einige Jahr-

    zehnte.Viele Wissenschaftler, die diese Mission mit ge-

    plant haben, sind heute bereits im Ruhestand.

    wieder eine ähnlich gute Chance für den nächs-

    ten Startversuch.

    Wie geht man mit solchen Risiken um? Wie ist

    das Risikomanagement gestaltet? 

    Hat man Risiken überhaupt vorhergesehen, fin-

    det man in der Regel entsprechende Gegenmaß-

    nahmen. Problematischer sind unerkannte Risi-

    ken. In der Raumfahrt muss über komplexetechnische Systeme bei den Satelliten und dieUnsicherheiten der Einsatzumgebungen der

    Überblick behalten werden. Hier sind speziali-sierte Mitarbeiter im Einsatz, um bislang nochunerkannte Risiken aufzuspüren.

    Ziel erreicht:

    Mit hochpräzisen Steuerungs-

    manövern näherte sich die Sonde

    dem Kometen an.

    Foto: ESA/ATG medialab