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8/18/2019 PMAktuell 201504 021 Public
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Monatelang schwieg die Landesonde Philae –
über 450 Millionen Kilometer entfernt von der
Erde, verankert auf einem Kometen in einer
Felsspalte. Dann, im Juni 2015, funkte die
Sonde wieder Signale zur Erde. Die Wissen-
schaftler waren begeistert, die Geschichte der
„Rosetta“-Mission geht weiter. Das Raumfahrt-
projekt der ESA gilt als wichtiger Meilenstein
bei der Erforschung unseres Sonnensystems.
Was Projektmanager jetzt wissen sollten: Prof.
Klaus Schilling (Universität Würzburg) wird
auf dem PM Forum 2015 dieses Projekt vor-
stellen. Die GPM hat den profunden Kennerder „Rosetta“-Mission als Keynote Speaker
gewonnen. Der Termin: 27./28. Oktober 2015
in Nürnberg (www.pm-forum.de)
Die schwachen Signale, die Wissenschaftlerim Juni 2015 aus den Tiefen unseres Sonnen-
systems empngen, lösten Begeisterung aus.
Sie kamen von der Landesonde Philae vomKometen Tschurjumow-Gerassimenko – kurz:
Tuschuri – über das Mutterraumschiff Rosetta.
Diese Sonde war nach monatelangem Tiefschlafwieder zum Leben erwacht. Eine große Über-
raschung?
Prof. Klaus Schilling: Nein, für Wissenschaftler
war das keine Überraschung. Wir haben schon
erwartet, dass die Sonde Philae wieder erwacht.
Nach der Landung im November vergangenen
Jahres hat sie mit der Energie gearbeitet, die sie
von der Erde mitgebracht hatte. Danach wurde
sie in den Tiefschlaf versetzt, bis von den Solar-
zellen durch die Annäherung der Kometenbahn
an die Sonne ausreichend Licht in Energiegewandelt werden konnte, um den Betrieb wie-
der aufzunehmen.
Die Sonde Rosetta hatte im vergangenen Jahr
den Kometen erreicht. Sie hatte die Landeein-
„Rosetta“-Mission auf dem PM Forum im Oktober 2015
Das Funksignal aus dem Allkrönte den Projekterfolg
Autor: Ol iver Steeger
REPORT 03
projektManagement aktuell | AUSGABE 4.2015
heit Philae im Gepäck; diesen sogenannten
„Lander“ setzte sie auf der Kometenoberächeab. Doch das Manöver – rund 450 MillionenKilometer weit weg von uns – gelang nicht wie
geplant. Auf dem Kometen angekommen, hattePhilae Probleme, sich zu verankern.
Philae ist an einem anderen Ort gelandet, alsvorgesehen. Und dieser Ort ist auch ungünstiger
für die Sonnenkollektoren. Aber: Bei der Landung
im November 2014 war der Komet noch sehrweit von der Sonne entfernt. Man hat gehofft,dass durch glückliche Umstände das wenigeSonnenlicht ausreicht für einen Weiterbetrieb.Dies war dann nicht der Fall. Man wusste aber,
dass das Problem behoben würde, wenn sich der
Komet auf seiner Bahn der Sonne weiter an-nähert. Was den Landeplatz betrifft: Der Lander
befindet sich jetzt in einer Felsspalte. Für dieWissenschaft ist diese Felsspalte noch interes-
santer als der ursprünglich vorgesehene Lande-
platz.
„LANDER“ AN FELSSPALTEAUFGESETZT
Vor einigen Wochen, etwa Mitte August, ist derKomet der Sonne am nächsten gekommen.Dabei bildet sich der typische Kometenschweif
Klaus Schilling
Prof. Dr. Klaus Schilling war
zunächst in der Raumfahrtindus-trie bei Airbus Space verantwort-
lich an der Entwicklung von inter-
planetaren Raumsonden beteiligt
(unter anderem: HUYGENS zum
Saturn-Mond Titan, Mars Rover
und Erdbeobachtungsmissionen).
Während seiner Industriezeit hatte
er die Verantwortung für die
Rosetta-Systemstudien und ist
nun seit über 25 Jahren mit dieser
Mission verbunden.
An der Universität Würzburg leitet
er seit 2003 den Lehrstuhl für
„Robotik und Telematik“ und führte
Raumfahrtstudiengänge ein. Er rea-
lisierte mit seinem Team den ersten
deutschen Pico-Satelliten UWE-1
( Universität Würzburg Experimen-
talsatellit), der 2005 gestartet
wurde, um Internet unter Weltraum-
bedingungen zu untersuchen, und
der Ausgangspunkt für ein aktives
Kleinstsatellitenprogramm wurde.
Parallel ist er Vorstand des außer-
universitären Forschungsinstituts„Zentrum für Telematik“. Foto: ESA
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04 REPORT
die „Rosetta“-Mission zu verstehen – indem man
direkt am Kometen Messungen vornimmt.
Wurde das Wasser also möglicherweise vonKometen gebracht?
Was die Kometengruppe betrifft, aus der Tschur-
jumow-Gerassimenko stammt, unterscheidensich die Wassermolekül-Zusammensetzungenvon den auf der Erde vorgefundenen. Aber bisher
wurden vor allem Partikel von der Oberfläche des
Kometen aufgefangen und untersucht. Ob dieUntersuchung der später aus dem Zentrum des
Kometen kommenden Partikel im Kometen-schweif andere Erkenntnisse bringt – dies müs-
sen wir abwarten.
FRAGE NACH DEN GRUND- BAUSTEINEN DES LEBENS
Nach einigen Hypothesen soll ja nicht nur unserWasser möglicherweise aus dem Weltall stam-
men, sondern auch Grundbausteine des Lebens,etwa Kohlenwasserstoffe.
Auch da könnten d ie Messungen auf dem Kome-ten neue Erkenntnisse bringen. Kohlenwasser-stoffe – also die Grundbausteine der organischen
werden die Kometen aus dem fernen Gürtel ins
Innere gelenkt und von der Sonne angezogen.
Der Komet Tschurjumow-Gerassimenko ist alsoeine Art Flaschenpost aus der Ferne unseresSonnensystems. In zweierlei Hinsicht: zumeinen räumlich aus der tiefsten Region desSonnensystems, zum anderen zeitlich, indemer Relikte aus der frühen Zeit unseres Sonnen-
systems transportiert. Richtig verstanden?
Ja! Das Material, das wir beispielsweise auf der
Erde finden, ist durch Vulkanismus oder biologi-
sche Vorgänge weiter prozessiert. Es hat sich im
Laufe der Zeit stark verändert. Dies gilt übrigens
auch für das Material an der Oberfläche desKometen. Aber das, was nun aus dem Innerenhervorkommt und als Kometenschweif sichtbar
wird, das ist original erhaltenes Material.
Welche Fragen können die Erkenntnisse ausdem Urmaterial beantworten?
Dazu gehört beispielsweise die Frage, woher die
umfangreichen Wassermassen auf der Erdekommen. Es gibt verschiedene Theorien, bei
denen auch die Kometen, die ja als schmutzigeSchneebälle beschrieben werden, eine wichtige
Rolle spielen. Dies versucht man nun auch durch
aus – und damit wurde es für die Wissenschaft- ler nochmals spannend.
Richtig! Im Schweif finden sich Partikel aus dem
Innern des Kometen. Es handelt sich um quasi
unberührtes Ursprungsmaterial …
… des Kometen?
Vor allem ist es das Ursprungsmaterial des Son-
nensystems. In dem Kometen hat sich diesesMaterial aus der Zeit, als unser Sonnensystementstand, unberührt und tiefgekühlt erhalten.
„FLASCHENPOST“ AUS DERFERNE DES SONNENSYSTEMS
Wie das?
Der Komet stammt aus einer sehr fernen Region
unseres Sonnensystems, aus dem Kuiper-Gürtel,
der jenseits der Planeten liegt. Im Kuiper-Gürtel
kommt nur geringe Sonnenenergie an, so blieb
dieser weitestgehend unverändert. Das Problem
für die Wissenschaft jedoch is t: Der Kuiper-Gürtel
befindet sich jenseits der Reichweite unsererRaketen. In diesem Zusammenhang kommenKometen ins Spiel. Durch Gravitationsstörungen
Die Landestelle von „Philae“
auf dem Kometen
Tschurjumow-Gerassimenko;
Foto: ESA
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autonom ablaufende Reaktionsfähigkeiten, die
nicht auf detaillierten Befehlen von der Erde auf-bauen.
Augenblick, bitte! Wir müssen doch auf der Erdein den Kontrollzentren erfassen können, wassich am Kometen abspielt.
Richtig! Deshalb hat man bei dieser Mission auf
eine Kombination zwischen Fernsteuerung mitVerzögerung und autonomer, lokaler Reaktions-
fähigkeit gesetzt . Grob gesagt: Alle Vorgänge, die
in Echtzeit gesteuert werden müssen, laufenautonom ab. Dazu gehört beispielsweise derLandevorgang.
Eben sagten sie, dass noch niemand auf einemKometen gelandet ist. Wussten Sie, was Sie aufTschurjumow-Gerassimenko erwartet?
Der Komet ist kohlrabenschwarz und finster. Es
ist so, als würde man in einem Kohlenkeller ohne
Licht arbeiten. Die faszinierenden Fotos, die Sie
jetzt sehen können, sind aufwend ig nachbearbei -
tet. Aus den Bildern lassen sich die mechani-schen Eigenschaften nur schwer vorhersagen. Als Rosetta konstru iert wurde, wussten wi r nicht,
ob auf einer harten Oberfläche oder einer tiefen
Staubschicht gelandet werden muss. Die Technikwar so auszulegen, dass sie sowohl mit Staubals auch mit hartem Stein zurechtkommt. Diese
Sonden müssen adaptiv auf die vorgefundeneUmgebung reagieren können.
Wobei man immer den Rahmen des technisch
Möglichen im Auge behalten muss ...
Auch des finanzie ll Möglichen. Je vielsei tiger und
quasi cleverer ein System ist, desto mehr kostet
es meist. Da müssen wir im Dreieck von Kosten,
Zuverlässigkeit und Technologie immer wiederabwägen und Iterationsschleifen durchlaufen, bis
wir eine unter allen diesen Gesichtspunkten opti-
male Lösung gefunden haben.
RECHNUNG MIT VIELENUNBEKANNTEN
Unter dem Strich ist solch eine Mission eineRechnung mit vielen Unbekannten. Trotzdembraucht man für die Planung und Umsetzungdes Projekts zumindest einige Anhaltspunkte.
Sie sagten vorhin, dass die Sonde für verschie-
dene Szenarien – Staub oder Stein – angepasstwar. Wie kann man mit wenigen Anhaltspunktensolch ein Projekt überhaupt planen?
Mal nachrechnen: Was auf der Erde 100 Ton-
nen wiegt, bringt auf dem Kometen gerade einKilogramm auf die Waage.
Ja. Deshalb ist es auch so schwierig, mit derSonde nach Material zu bohren. Wenn die Sonde
nach unten drückt, hebt sie nach oben ab. Durch
die extrem geringe Gravitation war es auchschwierig, den Planeten anzufliegen. Störkräfte
gewinnen großen Einfluss, da sie nicht wie auf
der Erde von einer nennenswerten Gravitationkompensiert werden. Hinzu kommt: Der Kometdreht sich um seine eigene Achse, etwa einmal
in zwölf Stunden. Diese komplexen Bewegungen
mussten hochgenau von den Space Dynamics-
Spezialisten bei ESOC in Darmstadt aus denNahbeobachtungen vorhergesagt werden, um
den ausgewählten Landeplatz zu treffen. Dennder Landeanflug dauerte über 7 Stunden beiGeschwindigkeiten langsamer als ein Fußgänger.
Trotzdem hat sie auf 100 Meter überraschendgenau den Landeort erreicht.
Wo lagen weitere Herausforderungen diesesProjekts?
Eine Herausforderung bestand darin, sich demKometen überhaupt so anzunähern, dass Rosetta
in seine Umlaufbahn kam. Das Raumschiffmusste sich herantasten, seine Geschwindigkeit
angleichen und in eine Umlaufbahn einlenken. Anschl ießend erfo lgte erstmals e ine Landung auf
einem Kometen. Bisher ist man nur sehr schnell
an Kometen vorbeigeflogen, beispielsweise mitder europäischen Sonde Giotto beim KometenHaley – mit einer Geschwindigkeit von über200.000 Stundenkilometern.
„AUTONOM ABLAUFENDEREAKTIONSFÄHIGKEITEN“
Der Funkverkehr zwischen Erde und Sonde ist
schwierig. Bei der Landung betrug die Distanz
zur Erde rund 500 Millionen Kilometer. Der Sig- nalweg beträgt etwa eine halbe Stunde. Wird
hier ein Steuerungsbefehl gegeben und eine Antwort von der Sonde angefordert, so kommt
die Antwort erst nach einer Stunde an. Erstdann kann man wieder eingreifen – wiederum
mit großer Verzögerung. Was bedeutet dieselange Datenübertragung für die Mission?
An den physikal ischen Gegebenheiten der Daten-
übertragung lässt sich nicht rütteln. Man mussschauen, wie man mit derartigen Verzögerungen
zurechtkommt. Die Sonde verfügt über viele
Chemie – wurden bereits nachgewiesen. Es ist
zu hoffen, dass uns die „Rosetta“-Mission auchbei der Beantwortung dieser Frage ein Stückweiterbringt. Die Wissenschaftler sind schon jetzt
von den ersten Ergebnissen begeistert. Man hat
spannende Publikationen auf den Weg gebracht,
die allerdings noch im Druck sind.
Nochmals zu dem Lander, der auf dem KometenExperimente und Messungen durchführt: DerLander Philae hat den vorgesehenen Lande- platz verfehlt. Die Schubdüsen, die Anker und
Eisschrauben haben nicht richtig funktioniertund den Lander nicht befestigt. Was ist genau
geschehen?
Die Sonde ist wieder zurückgefedert nach derersten Landung. Sie ist auf einen Kilometer Höhe
gestiegen und hat noch ein zweites und drittes
Mal aufgesetzt. Dann hat sie sich in einer Fels-
spalte verkeilt.
Vorhin sagten Sie, dass dieser „neue“ Lande-
platz in der Felsspalte noch besser ist für die
Mission. Weshalb ist er besser?
Der ursprüngliche Landeort war vorgesehen auf
einer ebenen Fläche, bedeckt von einer etwa
30 Zentimeter dicken Staubschicht. Jetzt befin-den wir uns am Rande eines Kraters, umgeben
von erstaunlich festem Gestein. Nach der Lan-dung hat die Sonde vollautomatisch die vorge-
sehenen Experimente durchgeführt. Jetzt besteht
die gute Möglichkeit, darauf aufbauend weitere,
neue Experimente zu unternehmen. Dafür ist der
neue Landeplatz günstig. Allerdings verhinderndie zunehmenden Ausgasungsaktivitäten desKometen, dass sich Rosetta nahe annähernkann; damit ist die Kommunikationsverbindungsehr eingeschränkt.
EXTREM GERINGEGRAVITATION
Ein Komet ist ein vergleichsweise kleines Objektim Weltall – ein Winzling, wenn man bedenkt,
dass er einen Radius von zwei bis vier Kilome-
tern hat. Welche Herausforderungen ergabensich daraus für das Projekt?
Von der Masse her können Sie den Kometen mit
einem Berg auf der Erde vergleichen – etwa mit
dem Montblanc. Dies hat Einfluss auf die Gravi-
tation des Kometen. Die Gravitation beträgt nuretwa ein Hunderttausendstel dessen, was wirvon der Erde her kennen.
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Nein. Am Ende der Phase B wird die Planung
eingefroren. Es müssten schon außergewöhn-liche Gründe eintreten, dass die Pläne dannnochmals verändert werden. Eine Raumsonde ist
ein sehr komplexes System. Auch die Realisie-
rung mit mehr als 50 über ganz Europa verteilten
Firmen ist sehr komplex. Wenn jeder auf seinem
Gebiet ändert und lokal verbessert, ohne dieRückwirkungen zu übersehen – das Gesamtsys-
tem würde sicher nicht funktionieren.
Sprechen wir bitte noch über die Risiken beiRaumfahrtprojekten. Sie hatten bei der „Rosetta“-Mission ein großes Problem zu bewältigen. Die
Rakete Ariane 5, die die Sonde ins All befördernsollte, explodierte bei ihrem Jungfernug. Die
Fehler nach dem Unglück mussten sorgfältiganalysiert werden. Der Starttermin Ihrer Sonde
hatte sich damit um lange Zeit verschoben.
Der verschobene Starttermin führte dazu, dassder ursprünglich anvisierte Komet nicht mehrerreichbar war, nachdem er sich in seiner Bahn
weiter fortbewegt hatte.
Der Komet Tschurjumow-Gerassimenko waranfangs gar nicht das Ziel?
Nein, das war der Komet Wirtanen. Wir hattenaber großes Glück, dass sich nach längererSuche Tschurjumow-Gerassimenko als mög-liches Ersatzziel herausstellte. Natürlich mussten
die Bahnen und auch die Technik für Rosettaentsprechend angepasst werden. Dies war beifast fertigem Raumschiff eine spannende Phase
neuerlicher Anpassung.
„FLY-BYS“ GEBENZUSÄTZLICHE ENERGIE
Was daran war so schwierig?
In der Regel reicht die Leistung der Raketennicht aus, um den Zielkometen direkt anzuflie-
gen. Deshalb greift man in der Raumfahrt zueinem Trick, den sogenannten „Fly-Bys“. Die
Sonde ließ sich auf ihrem Weg von der Gravita-
tion der einzelnen Planeten einfangen und einStück mitziehen: Damit gewinnt sie zusätzliche
Energie. Dies bedeutet aber auch: Die Bahnenvom Satelliten, von den Planeten und vom Ziel-
kometen müssen zusammenpassen. Bei einerStartverzögerung geht eine günstige Konstella-
tion, die vielleicht nur ein oder zwei Tage vorhält,wieder verloren. Kommt es zu einer Verzögerung,
dann bietet sich vielleicht erst nach Jahren
Weshalb ist so früh bereits die Industrie an den
Projekten beteiligt? Weil die Industrie auch die Kosten für die Lösun-
gen ermitteln muss. So kann man der geplanten
Mission direkt ein Preisschild anhängen. Häufig
müssen dann in weiteren Iterationen geeignete
Kompromisse gefunden werden, um zwischenhohen Anforderungen und verfügbaren Budgets
zu vermitteln.
Man tastet sich quasi an die machbare Lösung
heran ...
… indem man beispielsweise sinnvoll Anforde-
rungen reduziert, um in die Zone des finanziell
Machbaren vorzustoßen. Dies ist ein völlig nor-maler Vorgang in der Raumfahrt.
Diese Forschungsprojekte und Machbarkeits-
studien lösen fast immer technologischenFortschritt aus – häug ganze Quantensprüngeim Fortschritt. In der Raumfahrt arbeitet man
bekanntlich an den Grenzen des derzeit tech- nisch Machbaren. Es werden Technologienentwickelt, die sich dann Jahre später auchin unserem Alltagsleben bemerkbar machen.Eben sprachen sie beispielsweise von autono-
men Steuerungssystemen. Aufgrund der gro- ßen Distanz zur Erde muss der Lander Philaekomplexe Manöver autonom steuern. ÄhnlicheSysteme gibt es ja heute – Jahre später nachdem Start der Rakete im Jahr 2004 – auch aufder Erde.
Ein Beispiel dafür, das jeder kennt: In der Auto-
mobilindustrie sind Fahrassistenzsysteme eingroßes Thema. Man redet bereits von selbstfah-
renden Autos, was natürlich noch Zukunftsmusik
ist. Aber wenn heute Autos automatisch einpar-
ken können, dann nutzen sie auch Kontrolltech-
nologien, die in der Raumfahrt weiterentwickelt
wurden. Raumfahrt findet also Niederschlag inunserem Alltagsleben.
PLANUNG WIRD„EINGEFROREN“
Die Technologie entwickelt sich heute sehrschnell. Dies kann man besonders an der Com-
putertechnologie erkennen. Meine Frage: Nach Absch luss der Planungen vergehen noch eini- ge Jahre, bis die Sonde gebaut ist. Ist man in
solchen Projekten nicht immer wieder versucht,das Planungspaket wieder aufzuschnüren undaktuelle technische Innovationen einzubeziehen?
Die eben erwähnte Anpassungsfähigkeit der
Technik ist ein wichtiger Baustein dafür, ein Pro- jekt mit so vielen Unbekannten durchzuführen.Die Sonde ist so gestaltet, dass sie mit einemweiten Bereich von Bedingungen umgehen kann.
Was die Planung betrifft: Bei der Realisierungeiner Raumsonde handelt es sich um einen sehr
langen Prozess. Der Projektstart für Rosettawar 1992, doch Vorarbeiten zu technischenMachbarkeitsanalysen fanden bereits Ende der1980er-Jahre statt. Damals konnte ich bereitszur Systemdefinition beitragen.
Systemdenition? Wie geht man dabei vor?
Ausgehend vom vorhandenen Wissen überKometen versuchte man technische Lösungs-
ansätze zu finden. Die Wissenschaftler waren in
vielen Fragen unterschiedlicher Meinung. Wirhatten es mit vielen Unsicherheiten zu tun. Inder Planung versucht man deshalb zunächstLösungskonzepte zu entwickeln, wie man mitden Unsicherheiten umgehen kann. Dabei zeigt
sich auch, in welchen Bereichen noch Zusatz-wissen erarbeitet werden muss, um zuverlässige
Lösungen zu finden.
QUANTENSPRÜNGEIN DER TECHNOLOGIE
Planungen erfordern bekanntlich Entscheidun-
gen, häug Weichenstellungen von erheblicher
Tragweite für das Projekt. Wie kann man –obwohl man kaum Bestimmtes weiß – fundierteEntscheidungen treffen?
Interdisziplinäre Teams setzen sich mit solchen
schwierigen Entscheidungen auseinander, wel-che Lösungsalternativen sinnvoll sind und mithoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führen. Es
ist intensive Arbeit nötig, um frühzeitig die Prob-
leme überhaupt zu identifizieren, denen danndurch entsprechende Forschung mit neuen
Lösungen begegnet werden kann. Sind die offe-
nen Fragen erkannt, müssen Forschungsprojekte
die Wissenslücken schließen oder das Projektmuss aufgegeben werden. Falls dies gelingt,
schließen sich später konkrete Machbarkeitsstu-
dien an, die man bewusst von der Industriedurchführen lässt. Manchmal arbeiten zweiverschiedene Industrieteams getrennt voneinan-
der an einer Machbarkeitsstudie; so bekommenwir alternative Ansätze, aus denen wir lernenkönnen.
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projektManagement aktuell | AUSGABE 4.2015
Darauf möchte ich hinaus! Sie erfahren mit
großer Verspätung, dass ihr Projekt gelungenist und die Pläne aufgegangen sind. Lesensie dann von ihrem Projekterfolg aus der Zei-
tung?
Bei den großen Ereignissen – etwa bei der Lan-
dung – sind viele Ehemalige in den Kontrollzen-
tren mit dabei, und es ist schon spannend, nach
so vielen Jahren dann zu erleben, ob die Vorher-
sagen tatsächlich alle wie geplant zutreffen. Sol-
che Projekte bilden unter den Beteiligten eine
Gemeinschaft, die sich über Generationen er-streckt. n
Eine Art „Task Force“ für Risikomanagement?
Richtig! Diese Spezialisten sollen die Risiken auf-
spüren und analysieren. Dann sind im nächsten
Schritt entsprechende Gegenmaßnahmen einzu-
leiten und neue Lösungen zu entwickeln. Hierzu
muss der Fortschritt des Systems kontinuierlich
kritisch verfolgt werden.
Projekte wie die „Rosetta“-Mission habeneine lange Laufzeit. Projektleiter müssen aufihren Erfolg lange warten, oft über einige Jahr-
zehnte.Viele Wissenschaftler, die diese Mission mit ge-
plant haben, sind heute bereits im Ruhestand.
wieder eine ähnlich gute Chance für den nächs-
ten Startversuch.
Wie geht man mit solchen Risiken um? Wie ist
das Risikomanagement gestaltet?
Hat man Risiken überhaupt vorhergesehen, fin-
det man in der Regel entsprechende Gegenmaß-
nahmen. Problematischer sind unerkannte Risi-
ken. In der Raumfahrt muss über komplexetechnische Systeme bei den Satelliten und dieUnsicherheiten der Einsatzumgebungen der
Überblick behalten werden. Hier sind speziali-sierte Mitarbeiter im Einsatz, um bislang nochunerkannte Risiken aufzuspüren.
Ziel erreicht:
Mit hochpräzisen Steuerungs-
manövern näherte sich die Sonde
dem Kometen an.
Foto: ESA/ATG medialab