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Karl Christian Führer Politische Kultur und Journalismus Tageszeitungen als politische Akteure in der Krise der Weimarer Republik 1929 - 1933 1929 beschäftigte sich ein holländischer Journalist, der in Berlin als Korrespondent des ›Allgemeen Handelsblad‹ arbeitete, in einem Artikel für seine Zeitung etwas abseits der sonst von ihm behandelten Themen mit dem Zustand der Presse im Deutschen Reich. Aus der doppelten Perspektive des Fremden und des Berufskol- legen registrierte er dabei entsetzt die Begeisterung, mit der deutsche Journalisten keine Gelegenheit ausließen, »um sich gegenseitig in der Oeffentlichkeit als un- verträglich, unehrlich, unvertrauenswürdig und selbst als käuflich darzustellen. Wenn der Widersacher nur zu einem anderen politischen Lager gehört!« 1 In der Tat war die beständige polemische Abgrenzung voneinander für die Presseland- schaft der späten Weimarer Republik charakteristisch. Selbst die deutschen Zei- tungsverleger beklagten die Flut an »gehässigen Anwürfen« und gegenseitigen Schmähungen in der Tagespresse. 2 Diese heftige Polemik unter Journalisten in den politisch bewegten letzten Jah- ren der Weimarer Republik belegt beispielhaft eine Funktion der aktuellen Presse, die medienhistorische Forschungen vielfach unterschätzt, wenn nicht sogar igno- riert haben. Tageszeitungen und die Journalisten, die für deren Inhalt verantwort- lich zeichnen, sind weit mehr als die Beobachter und Protokollanten des politi- schen Geschehens, als die sie viele der zeitungswissenschaftlichen oder auch histo- riographischen Arbeiten verstehen, die untersuchen, wie sich ein bestimmtes histo- risch bedeutsames Ereignis »im Spiegel der Presse« darstellt. Vielmehr muss die Tagespresse als eigenständiger Akteur im System der Politik gelten, dessen Han- deln die Agenda der von den Zeitgenossen als »wichtig« wahrgenommenen The- men entscheidend mitbestimmt, weil die mediale Berichterstattung Aufmerksam- keit lenkt und Wahrnehmungen prägt. Damit bestimmt die Presse zu einem guten Teil die sozialen Voraussetzungen für politisches Handeln. 3 Dies gilt natürlich insbesondere für eine Epoche wie die Weimarer Republik, in der Lesen – trotz der Erfolge von Rundfunk und Kino – unangefochten die wichtigste Form der media- len Partizipation darstellte. 4 Genauer gesagt, handelt es sich bei »der Presse« allerdings um ein Kollektiv un- terschiedlicher Akteure. Real existent sind viele verschiedene Zeitungen, die ein konfliktträchtiges Ensemble von Konkurrenten bilden – und gerade das Neben-, Gegen- und gelegentlich auch Miteinander dieser eigensinnigen Redaktionen und Verlage bedingt den politischen und gesellschaftlichen Einfluss der Printmedien. Auch in dieser Beziehung kann die Weimarer Republik als Exempel gelten, denn in den Jahren 1918 bis 1933 präsentierte sich die deutsche Zeitungslandschaft Karl Christian Führer ist Privatdozent und apl. Professor am Historischen Seminar der Universität Hamburg Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte • Band 10 • 2008 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008

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Karl Christian Führer Politische Kultur und Journalismus Tageszeitungen als politische Akteure in der Krise der Weimarer Republik 1929 - 1933 1929 beschäftigte sich ein holländischer Journalist, der in Berlin als Korrespondent des ›Allgemeen Handelsblad‹ arbeitete, in einem Artikel für seine Zeitung etwas abseits der sonst von ihm behandelten Themen mit dem Zustand der Presse im Deutschen Reich. Aus der doppelten Perspektive des Fremden und des Berufskol-legen registrierte er dabei entsetzt die Begeisterung, mit der deutsche Journalisten keine Gelegenheit ausließen, »um sich gegenseitig in der Oeffentlichkeit als un-verträglich, unehrlich, unvertrauenswürdig und selbst als käuflich darzustellen. Wenn der Widersacher nur zu einem anderen politischen Lager gehört!«1 In der Tat war die beständige polemische Abgrenzung voneinander für die Presseland-schaft der späten Weimarer Republik charakteristisch. Selbst die deutschen Zei-tungsverleger beklagten die Flut an »gehässigen Anwürfen« und gegenseitigen Schmähungen in der Tagespresse.2

Diese heftige Polemik unter Journalisten in den politisch bewegten letzten Jah-ren der Weimarer Republik belegt beispielhaft eine Funktion der aktuellen Presse, die medienhistorische Forschungen vielfach unterschätzt, wenn nicht sogar igno-riert haben. Tageszeitungen und die Journalisten, die für deren Inhalt verantwort-lich zeichnen, sind weit mehr als die Beobachter und Protokollanten des politi-schen Geschehens, als die sie viele der zeitungswissenschaftlichen oder auch histo-riographischen Arbeiten verstehen, die untersuchen, wie sich ein bestimmtes histo-risch bedeutsames Ereignis »im Spiegel der Presse« darstellt. Vielmehr muss die Tagespresse als eigenständiger Akteur im System der Politik gelten, dessen Han-deln die Agenda der von den Zeitgenossen als »wichtig« wahrgenommenen The-men entscheidend mitbestimmt, weil die mediale Berichterstattung Aufmerksam-keit lenkt und Wahrnehmungen prägt. Damit bestimmt die Presse zu einem guten Teil die sozialen Voraussetzungen für politisches Handeln.3 Dies gilt natürlich insbesondere für eine Epoche wie die Weimarer Republik, in der Lesen – trotz der Erfolge von Rundfunk und Kino – unangefochten die wichtigste Form der media-len Partizipation darstellte.4

Genauer gesagt, handelt es sich bei »der Presse« allerdings um ein Kollektiv un-terschiedlicher Akteure. Real existent sind viele verschiedene Zeitungen, die ein konfliktträchtiges Ensemble von Konkurrenten bilden – und gerade das Neben-, Gegen- und gelegentlich auch Miteinander dieser eigensinnigen Redaktionen und Verlage bedingt den politischen und gesellschaftlichen Einfluss der Printmedien. Auch in dieser Beziehung kann die Weimarer Republik als Exempel gelten, denn in den Jahren 1918 bis 1933 präsentierte sich die deutsche Zeitungslandschaft Karl Christian Führer ist Privatdozent und apl. Professor am Historischen Seminar der Universität Hamburg

Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte • Band 10 • 2008 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008

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nicht nur vielgestaltiger, sondern auch schroffer zerklüftet als jemals zuvor oder auch danach. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, hatte das Geschehen in dieser stark fraktionierten Medienwelt für die politische Kultur der jungen Demokratie fatale Folgen: Die innere Zerrissenheit der deutschen Gesellschaft fand hier nicht einfach nur ihren Ausdruck; sie wurde im Ensemble der Tagespresse vielmehr be-ständig neu inszeniert, perpetuiert und intensiviert. Gerade in den Jahren der schweren sozialen und politischen Krise nach 1929 haben Journalisten entschei-dend zur Vergiftung des politischen Klimas in Deutschland beigetragen. Damit haben sie den Untergang der Republik aktiv gefördert.

Der hier vorliegende Aufsatz untersucht diese destruktive Leistung der aktuellen Presse auf lokaler Ebene, denn Tageszeitungen von nationaler Bedeutung und mit einer regional weit gestreuten Leserschaft spielten in der Presselandschaft der Weimarer Republik nur eine geringe Rolle. Im Wesentlichen waren Zeitungen eine lokale Ware: Sie fanden ihren Absatz dort, wo sie produziert wurden.5 Das En-semble der Presse existierte damit sichtbar und erfahrbar vor allem auf lokaler Ebene – und hier vornehmlich in den Großstädten. Hamburg als die zweitgrößte deutsche Metropole (nach Berlin) dient deshalb hier als Beispiel. Die Hansestadt an der Elbe war in den 1920er Jahren noch nicht das Zentrum des deutschen Pres-sewesens, zu dem sie nach 1945 heranwuchs; sie besaß aber auch schon seinerzeit einen höchst differenzierten Zeitungsmarkt. Zudem hängt der Stadt traditionell ein liberales Image an. Sie eignet sich deshalb besonders, um die Bedeutung zu bestimmen, die Tageszeitungen als Akteure auf der politischen Bühne besaßen.

Der Aufsatz präsentiert zunächst knapp die Hamburger Presselandschaft der späten Weimarer Republik und zeigt dann, wie sich die politisch am stärksten pro-filierten hanseatischen Tageszeitungen in dieser Zeit polemisch voneinander ab-grenzten. Es folgt eine Skizze der Nachrichtenpolitik dieser Blätter, die durch die Bank als gewollt einseitig, lückenhaft und politisch manipulativ gelten muss. Ab-schließend wird geprüft, auf welche Weise und mit welchem Ergebnis staatliche Stellen in den Jahren nach 1929 gegen demokratiefeindliche Hetze und bewusste Lügen in Hamburger Tageszeitungen kämpften. Dabei wird sich zeigen, dass die Weimarer Republik zwar keineswegs die wehrlose Demokratie war, als die sie oft erinnert wird, dass sie unter den gegebenen Umständen aber kaum wirkungsvolle Waffen gegen radikale Agitation im journalistischen Gewand besaß.

I JOURNALISTISCHE GRABENKÄMPFE: PRESSEPOLEMIK ALS TEIL DER

POLITISCHEN (UN-)KULTUR DER SPÄTEN WEIMARER REPUBLIK Im Jahre 1931 erschienen in Hamburg 24 verschiedene Tageszeitungen.6 Die meis-ten davon waren »Käseblättchen«, die ihre Leser lediglich in jeweils unterschiedli-chen Stadtvierteln fanden; nur wenige können als bedeutsam gelten, weil sie hohe Auflagen erreichten und/oder weil sie mit einer der wichtigen Parteien der Weima-rer Republik in enger Verbindung standen. Dieser »Kern« der hanseatischen Pres-selandschaft bestand aus sechs Periodika: Zwei politisch liberal orientierte Zeitun-gen konkurrierten mit je zwei linken und zwei rechten Blättern.

Von der Auflage her dominierten die beiden liberalen Zeitungen, der ›Hamburger Anzeiger‹ (im Folgenden HA) und das ›Hamburger Fremdenblatt‹ (im

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Folgenden HF), die Anfang der 1930er Jahre beide jeweils eine Druckauflage von rund 150.000 Exemplaren deklarierten. Als Nummer Drei der lokalen Auflagen-statistik folgte mit 60.-70.000 Exemplaren das ›Hamburger Echo‹ (im Folgenden HE), das örtliche Parteiorgan der SPD; auf Platz Vier fanden sich die ›Hamburger Nachrichten‹ (im Folgenden HN), die in zeitgenössischen Pressekatalogen als »national parteilos« klassifiziert wurden (Druckauflage 40.-50.000 Exemplare) und trotz betont bildungsbürgerlicher Diktion keinen Hehl aus ihrer Republik-feindlichkeit machten. Komplettiert wird diese Liste von zwei ausgesprochen radi-kalen Blättern, der ›Hamburger Volkszeitung‹ (im Folgenden HVZ) als dem loka-len kommunistischen Parteiorgan sowie dem ›Hamburger Tageblatt‹ (im Folgen-den HT), das erst 1931 als Sprachrohr der hanseatischen NSDAP gegründet wurde. Ihre Verbreitung ist schwer zu bestimmen, weil beide Parteien ohne Zögern auch mit Zahlen Propaganda trieben. Im Jahr 1932 lag die Druckauflage im Fall der HVZ wohl bei 10.-15.000 Exemplaren bzw. beim ›Tageblatt‹ bei 15.-20.000 Exemplaren (mit stark steigender Tendenz im zweiten Halbjahr).

Wie die genannten Auflagen belegen, waren die Hamburger der späten Weima-rer Republik sehr zeitungsfreudig: Gemeinsam erreichten allein die eben vorge-stellten sechs Blätter (von denen lediglich das ›Fremdenblatt‹ in nennenswertem Umfang überregional verbreitet wurde) rund 70 Prozent aller Hamburger Haus-halte. Die schwere Wirtschaftskrise, die 1929 einsetzte, hat daran kaum etwas geändert. Da es sich durchweg um Abonnementszeitungen handelte, die in der Regel nicht an Einzelpersonen, sondern an einen mehrköpfigen Haushalt gingen, fanden selbst die kommunistische ›Volkszeitung‹ und das NS-›Tageblatt‹ deutlich mehr Leser, als man es beim Blick auf ihre Absatzzahlen vermuten würde. Zudem wurden gelesene Zeitungen besonders im proletarischen Milieu oft an Nachbarn oder Bekannte weiter gereicht; viele Cafés und Kneipen legten Zeitungen zur Lektüre aus. Die Versorgungsdichte mit Tageszeitungen kann also als sehr hoch gelten. Ein Mann, der es wissen musste, hielt den Hamburger Zeitungsmarkt je-denfalls geradezu für überfüllt: Der Verlagsdirektor des ›Hamburger Fremden-blatts‹ klagte 1931, der »hiesige Platz sei völlig ausgeschöpft«.7

In diesem eng mit der Hamburger Gesellschaft verflochtenen Ensemble von Ta-geszeitungen ging es in den späten Jahren der Weimarer Republik zu wie in einer Schlangengrube. Nimmt man die beiden liberalen Blätter ›Anzeiger‹ und ›Frem-denblatt‹ aus (die einander souverän ignorierten), kann fast von einem Kampf aller gegen alle gesprochen werden. Wie sich denken lässt, kam ein guter Teil der Po-lemik von den radikalen Außenseitern der lokalen Zeitungsszene, den Redaktionen des ›Tageblatts‹ und der ›Volkszeitung‹.

Gefangen in ihrer totalitären Weltsicht hielten die Kommunisten grundsätzlich alle Zeitungen, die nicht die Politik der KPD predigten, für ein Übel. »Hinaus mit den bürgerlichen und sozialdemokratischen Zeitungen aus den Wohnungen der Arbeiter!«, so lautete die in regelmäßigen Abständen wiederholte Handlungsan-weisung der Partei an proletarische Familien.8 Einige Gegner aber waren der KPD besonders wichtig. Da die Partei in der Sozialdemokratie ihren politischen Haupt-feind sah, richtete die HVZ die heftigsten Angriffe auf das sozialdemokratische ›Hamburger Echo‹. Sprachlich kämpfte sie dabei mit harten Bandagen: 1929 be-

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zeichnete die HVZ-Redaktion das HE in einem einzigen Artikel nacheinander als »Korruptions- und Sudelblatt«, als »Lügen-Echo« und als das »Blatt uneinge-schränkten Arbeiterverrats«.9

Allerdings schnitt die bürgerliche Presse kaum besser ab: Der liberale ›Hambur-ger Anzeiger‹ war in der Sicht der HVZ »eines der übelsten kapitalistischen Pres-sereptile an der Wasserkante« und ein Teil der »Schludermeier-Presse«; das ›Fremdenblatt‹ galt den Kommunisten nur als »Sprachorgan der Bourgeoisie«.10 Die beiden rechten Hamburger Tageszeitungen, die ›Nachrichten‹ und das ›Tage-blatt‹, nahm die HVZ nur gelegentlich wahr. Wenn die beiden Blätter ins Visier der ›Volkszeitung‹ gerieten, dann ließen die HVZ-Redakteure ihrer Verachtung für die Rechtsradikalen freien Lauf: Die »Schmutz-Nachrichten« und das »Nazi-Ta-geblatt« wurden als Feinde der Arbeiterschaft und Freunde der kapitalistischen »Ausbeuter« an den kommunistischen Pranger gestellt.11 Solche Ausfälle nach rechts aber stellten für die HVZ im Vergleich zu den beständigen Angriffen auf das ›Hamburger Echo‹ nur eine politisch zweitrangige Front dar. Das immer wie-der als »Lügen-Echo« bezeichnete Organ der Hamburger Sozialdemokraten war und blieb der Lieblingsfeind der HVZ.12

Die Reaktion des ›Echos‹ auf diese Angriffe ließ an Deutlichkeit nichts zu wün-schen übrig: Es bezeichnete die HVZ als »Dreckschleuder« und deren Redaktion als »eine elende Verleumdergesellschaft«.13 Obwohl der unseriöse und demagogi-sche Charakter der ›Volkszeitung‹ unverhüllt zu Tage lag, scheinen die sozialde-mokratischen Journalisten nie auf den Gedanken gekommen zu sein, die aggres-sive linksradikale Konkurrenz einfach zu ignorieren. Auch ihnen war es offen-sichtlich wichtig, zumindest als Reagierende beständig auf das Blatt der anderen Arbeiterpartei (und damit selbstverständlich auch auf die Partei selbst) einzuschla-gen. Deshalb öffnete das ›Echo‹ seine Spalten immer wieder für Artikel, in denen HVZ-Meldungen auf umständliche Weise korrigiert, ergänzt, zurückgewiesen und kommentiert wurden – selbst wenn es dabei nur um Nebensächlichkeiten ging.14 Damit vollzog sich die politische Auseinandersetzung zwischen den beiden linken Parteien der Weimarer Republik auf den Seiten der ›Volkszeitung‹ und des ›Echos‹ zu einem guten Teil auf dem denkbar niedrigsten Niveau, nämlich als eine Art Schlammschlacht, in der unter großem Einsatz und mit zahlreichen schweren Beleidigungen nur um flüchtige Details gerungen wurde.

Auf der rechten Seite des politischen Spektrums fand das Wüten der HVZ gegen die zweite linke Hamburger Tageszeitung seine Entsprechung im Kampf des nati-onalsozialistischen ›Tageblatts‹ gegen die ›Hamburger Nachrichten‹. Dieser Dau-erdisput entstand, weil die ›Nachrichten‹, die nach 1918 zunächst die DNVP von Alfred Hugenberg unterstützt hatten, spätestens seit der Reichstagswahl im Sep-tember 1930 unverhohlen Sympathie für die NSDAP zeigten. Das erst ein Viertel-jahr später gegründete und erheblich auflagenschwächere ›Tageblatt‹ musste des-halb einige Mühe aufwenden, um sich selbst als die »wahre« nationalsozialistische Zeitung in Hamburg zu präsentieren. Heftige Attacken auf die politisch eng ver-wandten Kollegen dienten diesem Ziel.

In der Sicht des HT handelte es sich bei dem NSDAP-freundlichen Kurs der ›Nachrichten‹ nur um Opportunismus. Die HN-Redaktion fürchte um ihren Abon-

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nentenstamm und habe deshalb nach dem erdrutschartigen Wahlsieg der National-sozialisten plötzlich begonnen, »ihr Papier faustdick mit ›nationalem‹ Fliegen-leim« zu bestreichen.15 Zugleich aber fehle den ›Nachrichten‹ jede politische Kon-sequenz. Zumal das HN-Feuilleton sei alles als national, weil dort künstlerische und wissenschaftliche Leistungen von Juden wie Arthur Schnitzler oder Albert Einstein gelobt wurden. »Ueber dem Strich [d.h. im politischen Teil – K.C.F.]: Stramm national; unter dem Strich [d.h. im Feuilleton]: international bis auf die Knochen« – eine solche Kombination wollte das ›Tageblatt‹ mit Blick auf die Reinheit der nationalsozialistischen »Lehre« auf keinen Fall akzeptieren.16

Hinzu kam ein massiver politischer Konflikt der nur im Kampf gegen die Repu-blik vereinten rechten Zeitungsredaktionen: Die ›Hamburger Nachrichten‹ als kon-servativ-bürgerliches Blatt sahen in der NSDAP vor allem einen Juniorpartner der traditionellen gesellschaftlichen Eliten des Deutschen Reichs und einen Koali-tionspartner der anderen rechten Parteien, der im Reichstag die Mehrheit sichern sollte; das ›Tageblatt‹ als NS-Parteiorgan aber beharrte auf dem totalitären Herr-schaftsanspruch der nationalsozialistischen Bewegung. Dieser latent immer beste-hende Dissens brach offen aus, als Hitler im August 1932 das ihm angetragene Amt des Vizekanzlers im Kabinett Papen ablehnte. Die ›Hamburger Nachrichten‹, die in dieser Konstellation wohl eine politische Ideallösung gesehen hätten, be-kannten sich nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Papen und Hitler zum amtierenden Reichskanzler und zu Reichspräsident Hindenburg, die dem NS-Parteiführer (einstweilen noch) die Übergabe der Macht verweigerten. Das ›Ham-burger Tageblatt‹ aber trommelte weiter für Hitlers Anspruch auf die Kanzler-schaft und die ungeteilte Regierungsgewalt.17 Damit gewann der Konflikt zwi-schen dem NS-Parteiorgan und den ›Nachrichten‹ noch einmal entschieden an Schärfe. Die HN identifizierten das ›Tageblatt‹ als eine »kaum tragbare Belastung für die nationalsozialistische Bewegung in Hamburg«. Das HT revanchierte sich mit dem Urteil, die ›Nachrichten‹ hüllten unzulässigerweise ihre »reaktionären Anschauungen in nationalsozialistische Gewänder« und diskreditierten durch ihre »hemmungslose grundsatzlose Zick-Zack-Schreibweise« die Sache der ganzen nationalen Opposition.18

Ähnlich wie bei der HVZ so waren die politisch ganz anders orientierten Tages-zeitungen auch für das nationalsozialistische ›Tageblatt‹ deutlich weniger interes-sant als die Konkurrenz im gleichen politischen Lager. Für die liberalen Blätter hatte das HT bestenfalls Spott übrig. Den ›Hamburger Anzeiger‹ etwa titulierte die ›Tageblatt‹-Redaktion als das »Gesetz- und Verordnungsblatt der Welt-Vernunft-Demokratie« und deren Chefredakteur Alois Winbauer als »Allvater der Demo-kratie«.19 Die beiden linken Zeitungen wurden vom HT mit dem Vorwurf der Lüge überzogen, der in der Hamburger Presselandschaft der späten Weimarer Republik ohnehin allgegenwärtig war. Einen Unterschied sah das Blatt allenfalls in der un-terschiedlichen journalistischen Geschicklichkeit: Die HVZ lüge »plump und dumm«; das ›Hamburger Echo‹ hingegen »raffiniert und unverschämt«.20

Neben den beiden radikalen Blättern ›Volkszeitung‹ und ›Tageblatt‹ war in der Hamburger Presselandschaft vor allem auch das sozialdemokratische ›Hamburger Echo‹ aktiv am Kreislauf der Polemik und der Beleidigungen beteiligt. Im Dauer-

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clinch mit der HVZ, der den politischen Bruderkampf der beiden linken Parteien zur Alltagsinstitution machte, reagierte das ›Echo‹ in der Regel nur auf Angriffe von kommunistischer Seite. Bei anderen Zeitungen aber scheuten sich die sozial-demokratischen Journalisten nicht, auch in eigener Initiative auszuteilen. Objekt ihrer Kritik waren die bürgerlichen Tageszeitungen, die das HE in den letzten Jah-ren der Weimarer Republik mit wachsender Vehemenz als mehr oder weniger heimliche Sympathisanten der NSDAP verdächtigte.

Offene Feindschaft bestand – wie sich unschwer denken lässt – mit den ›Ham-burger Nachrichten‹. Fast bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten Ende Januar 1933 betrachtete das ›Echo‹ die HN als die »eigentliche« nationalso-zialistische Tageszeitung in Hamburg: Neben dem »Nazi-Organ vom Speersort«, das wahlweise auch als »Chauvinistenblatt« bezeichnet wurde, nahmen die Sozial-demokraten das ›Tageblatt‹ als amtliches NSDAP-Organ kaum wahr, geschweige denn ernst.21 Wenn die ›Echo‹-Redakteure die Auseinandersetzung mit den HN suchten, benutzten sie nur selten das Florett der politischen Argumentation, sehr viel häufiger aber den schweren Säbel der Polemik: Sie sprachen mit Blick auf die ›Hamburger Nachrichten‹ von »Verlumpung« und titulierten die Autoren der rechtsorientierten Zeitung als »Verbrecher am Volk«. Selbst vor einer dunklen Drohung mit persönlichen Konsequenzen für eine politisch missliebige Berichter-stattung schreckte das ›Echo‹ nicht zurück: »Die Herren sollten sich ob der augen-blicklichen Konstellation nicht zu sicher fühlen. Es wird die Zeit kommen, in der auch mit solcher aus niedriger Gesinnung kommenden Methode abgerechnet wird.«22

Womöglich noch wütender aber reagierte das HE auf das ›Hamburger Fremden-blatt‹, weil dieses liberale Blatt seine politische Linie nach 1930 zusehends aus den Augen verlor. Das HF, das sich schleichend für »nationales« Gedankengut öffnete, sah sich 1932 gleich mehrfach mit der Beschuldigung der ›Echo‹-Redaktion kon-frontiert, durch seine Nachrichtenpolitik die NSDAP zu unterstützen: Es unterdrü-cke Meldungen über Gewalttaten von Nationalsozialisten gegenüber Sozialdemo-kraten entweder ganz, oder aber – schlimmer noch – es manipuliere solche Nach-richten und verwandle die NS-Täter in Opfer. Diese »verlogene Form der Bericht-erstattung« im ›Fremdenblatt‹ komme, so meinte das HE, »einer direkten Begünstigung des verbrecherischen Treibens der Nationalsozialisten« gleich.23

Dieser Vorwurf war durchaus berechtigt. So druckte das ›Fremdenblatt‹ bei-spielsweise im Oktober 1932 nach von SA-Männern provozierten Krawallen in Altona den Polizeibericht nur in verstümmelter Form ab: Anders als in der amtli-chen Pressemitteilung war im HF allenfalls andeutungsweise von nationalsozialis-tischen Angreifern die Rede. Zudem ergänzte die Redaktion die redigierte Nach-richt auch noch durch eine Erklärung der NSDAP, in der die Partei »auf Anfrage« der Zeitung (wie sich denken lässt) jede Schuld von Nationalsozialisten an den Ausschreitungen abstritt. Das Fazit des ›Echos‹, hier biete eine Zeitung ihren Le-sern eine »wissentlich falsche Berichterstattung«, erscheint durchaus als schlüs-sig.24 Gerade die »Anfrage« an die NSDAP war nichts anderes als eine verdeckte Form der politischen Unterstützung: Wie auch der HF-Redaktion bewusst sein musste, nutzten die Nationalsozialisten dieses an sich unschuldige Element des

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journalistischen Handwerks skrupellos zur Verbreitung öffentlicher Lügen. Jede Zeitung, die ihre Spalten für die Selbstdarstellung der NSDAP öffnete, ohne ihr gleichzeitig konsequent zu widersprechen, machte sich damit zwangsläufig selbst zum Büttel der rechtsradikalen Partei.

In der Sicht des HE waren die ›Fremdenblatt‹-Redakteure allesamt »Konjunk-turpolitiker«, die opportunistisch vor den gewalttätigen Nationalsozialisten ein-knickten, sich gleichzeitig aber doch nicht trauten, wirklich richtig Farbe zu be-kennen. Die sozialdemokratischen Journalisten beschimpften das bürgerliche Kon-kurrenzblatt deshalb als charakterlose »üble Erscheinung«.25

An der Pressepolemik, die auch in Hamburg während der letzten Jahre der Wei-marer Republik gang und gäbe war, zeigt sich in der Gesamtschau, wie elend es mit der politischen Kultur in der ersten deutschen Demokratie stand. Die tiefe Zerklüftung der deutschen Gesellschaft wurde in diesen Auseinandersetzungen der Zeitungsredaktionen immer wieder neu als Kampf unversöhnlich divergierender Weltanschauungen inszeniert. Gerade die ritualisierte Wiederholung dieser An-würfe und Beleidigungen vertiefte die gesellschaftliche Fraktionierung und trieb die Polarisierung zwischen den verschiedenen Lagern weiter voran. Dieser Kampf kannte keinen Grundkonsens über die Aufgaben der Tagespresse, und deshalb kannten die Streitenden auch keinen Respekt voreinander.

Deutlich zeigt sich an den journalistischen Grabenkämpfen in der späten Weima-rer Republik auch die zunehmende Isolierung der Demokraten. Zwar waren die Angriffe des ›Hamburger Echos‹ auf das ›Fremdenblatt‹ politisch völlig berechtigt. Zugleich aber erweiterte sich der Zwei-Frontenkampf, den das HE gegen Links- wie Rechtsradikale führte, damit um noch eine weitere Stellung. Auch war der persönlich herabsetzende Ton, in dem die sozialdemokratischen Journalisten ihre bürgerlichen Kollegen kritisierten, wohl kaum geeignet, die aufgeheizte politische Stimmung zu beruhigen. Diese emotionale Polemik mag als Ausdruck enormer Enttäuschung über den Kurswechsel der ehemals liberalen HF-Redaktion zwar psychologisch verständlich sein; politisch konstruktive Arbeit aber leistete das ›Echo‹ damit nicht.

II WELTANSCHAULICHE »FÜHRUNG« DER LESER: POLITIK MIT NACHRICHTEN Am 7. Januar 1932 erlebte Hamburg eine Massenversammlung der NSDAP: Jo-seph Goebbels sprach im größten Saal der Hansestadt vor rund 10.000 Zuhörern über den Kampf der Nationalsozialisten um die Macht. Auf lokaler Ebene musste das allein schon wegen der eindrucksvollen Besucherzahl als ein wichtiges politi-sches Ereignis gelten. Die Information darüber aber war für die damaligen Ham-burger Journalisten keineswegs selbstverständlich. Sowohl im linksliberalen ›Hamburger Anzeiger‹ als auch im sozialdemokratischen ›Echo‹ und in der kom-munistischen ›Volkszeitung‹ fand sich am nächsten Tag (und auch danach) kein einziges Wort über den Auftritt des Berliner Gauleiters an der Elbe. Die ›Hambur-ger Nachrichten‹ und das nationalsozialistische ›Tageblatt‹ berichteten hingegen jeweils in großer Aufmachung und begeistertem Ton auf Seite Eins. Das ›Frem-denblatt‹ schließlich bemühte sich auffällig um Neutralität. Goebbels bekam so-wohl in der Morgen- als auch in der Abendausgabe des HF einen kurzen Artikel

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auf der dritten Seite. Beide Texte schwankten auf kuriose Weise zwischen distan-ziertem Referat und wörtlicher Wiedergabe ohne Anführungszeichen; ein deutlich negativer Satz, der von Goebbels’ »Hassausbrüchen« sprach, fehlte in der Abend-ausgabe (die von weit mehr Hamburgern gelesen wurde als das auflagenschwache frühe Blatt) und auch die Überschrift war nun gewollt wertfrei formuliert.26

Das bedeutsame lokalpolitische Ereignis wurde von den Hamburger Tageszei-tungen also gar nicht so sehr unterschiedlich kommentiert; die eigentliche Diskre-panz zwischen den politisch anders profilierten Blättern lag vielmehr auf der Ebene der Information. Wenn der ›Anzeiger‹, das HE und die HVZ hier ihren politischen Gegner einfach totschwiegen, dann taten sie nichts, was seinerzeit in der Zunft der Journalisten als ehrenrührig gegolten hätte. Vielmehr ließen sich in der Weimarer Republik fast alle Zeitungsredaktionen ganz selbstverständlich und ohne jedes schlechte Gewissen schon bei der Auswahl der Nachrichten, die sie ihren Lesern präsentierten, von politischen Überlegungen leiten.

Der Chefredakteur einer Stuttgarter Zeitung formulierte das 1932 so: »Die Auf-gabe jeder Abteilung der Zeitung – ausgenommen das auf reinen Neuigkeitswert abgestellte Vermischte und der unterhaltende Teil – ist: Politik treiben, etwas er-reichen wollen, auf ein gestecktes Ziel lossteuern. Erst in dieser Arbeit bewährt der Redakteur sein Können und seine Begabung. Erst durch sie fesselt er die Leser-schaft wirklich und zwingt sie zum Mitgehen.«27 Zeitungen waren nach diesem Verständnis so zu gestalten, dass sie den Leser fortlaufend in seinem »ethischen Habitus« bestätigten.28 Damit galt es als völlig legitim, die Entscheidung, eine be-stimmte Nachricht zu bringen oder nicht zu bringen, von politischen Kriterien ab-hängig zu machen.29 Gerade die Verleger betrachteten die Funktion der Zeitung als »Nachrichtenverbreiter« mit abschätzigen Blicken; »die politische Führung« der Leser war ihnen weitaus wichtiger.30

Somit war das Verschweigen missliebiger Nachrichten journalistischer Alltag. Nur eine Woche nach der eben erwähnten Rede von Joseph Goebbels findet sich in der hanseatischen Presse ein weiteres Beispiel für diese Strategie – diesmal in spie-gelbildlicher Verkehrung. Am 14. Januar 1932 veranstaltete die zur Verteidigung der Republik gegründete »Eiserne Front« in Hamburg im gleichen innerstädtischen Saal eine Massenversammlung mit wiederum 10.000 Zuhörern. Das ›Hamburger Echo‹ widmete dieser Veranstaltung unter der Schlagzeile »Das Dritte Reich kommt nicht!« zwei ganze Seiten, und auch der ›Anzeiger‹ berichtete an zentraler Stelle über diese »Kundgebung von übergewaltigem Ausmaß« – die Leser der an-deren hier untersuchten Hamburger Blätter aber erfuhren davon überhaupt nichts.31

Solche politisch bedingten Lücken in der Berichterstattung der Tageszeitungen finden sich keineswegs nur bei Meldungen über Versammlungen und Reden von Politikern. Nachrichten über politische Gewalttaten etwa gehörten ganz selbstver-ständlich in den Bereich der bewusst selektiven Berichterstattung. So finden sich im ›Hamburger Fremdenblatt‹ und in den ›Hamburger Nachrichten‹ im Frühjahr 1932 kaum Meldungen über den Terror der SA, dafür aber viele Informationen über kommunistische Gewaltkriminalität (für das ›Tageblatt‹ gilt das verständli-cherweise noch stärker). Der linksliberale ›Anzeiger‹ stellte die NSDAP zwar deutlich als Bedrohung des inneren Friedens dar, präsentierte sie zugleich aber

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immer doch als beherrschbar. So berichtete die HA-Redaktion stets nur in Aus-wahl, gewissermaßen exemplarisch, über Gewalttaten – ganz anders als vor allem das ›Hamburger Echo‹, das solche Meldungen fast im Übermaß ins Blatt nahm und damit vielleicht eher das Gegenteil des Gewollten erreichte, nämlich Überwälti-gung und Resignation der Leser. Die kommunistische ›Volkszeitung‹ schließlich zeichnete mit ihren Nachrichten ohne Wenn und Aber das Bild einer heroisch gegen aggressive »Nazi-Horden« ankämpfenden Arbeiterklasse, die Waffen stets nur zur Selbstverteidigung einsetzte.32

Erschreckend wirkt beim Blick auf diese höchst unterschiedlichen Berichte, wie bereitwillig die beiden traditionsreichen und betont seriösen bürgerlichen Zeitun-gen HF und HN die Gewalttätigkeit der NSDAP selbst noch in extremen Fällen »klein redeten«. Als Beispiel dafür kann der Mord gelten, den fanatisierte NS-Anhänger im März 1931 an einem kommunistischen Abgeordneten der Bürger-schaft (dem Hamburger Parlament) verübten. Das ›Fremdenblatt‹ meldete diese Bluttat, ohne den politischen Hintergrund der Täter zu erwähnen (stattdessen war allgemein von einer Welle der Gewalt die Rede, die von den Kommunisten aus-gehe) und fügte dann auch noch einen Kommentar hinzu, der Hitler lobte, weil er seine Partei auf »unerschütterliche Gesetzlichkeit« festlege. Die ›Hamburger Nachrichten‹ vollbrachten sogar das Kunststück, den Mord auf das Konto der Sozialdemokraten zu schreiben, weil die SPD die Nationalsozialisten, »eine aus der Tiefe des Volkes kommende Bewegung», fatalerweise »mit polizeilichen Schi-kanen und Gewaltmaßnahmen« bekämpfe, was bei Hitlers Anhängern eine zwar bedauerliche, letztlich aber doch verständliche »seelische Verwirrung« auslöse.33

Auch der links-liberale ›Hamburger Anzeiger‹ betrieb Politik durch Nachrich-tenselektion. Bereits im Vorfeld der Reichspräsidentenwahl von 1932 agitierte das Blatt für eine erneute Kandidatur des greisen Amtsinhabers Paul von Hindenburg. Kritik von linker Seite am Präsidenten wurde dabei konsequent verschwiegen. Als der Wahlkampf lief, erweckte das Blatt mit einer extrem einseitigen Berichterstat-tung den Eindruck, es gebe außer dem zum Idol verklärten Hindenburg gar keine anderen Bewerber. Eine politisch argumentierende Auseinandersetzung mit dem Kandidaten der NSDAP, Adolf Hitler, entfiel.34

Die selektive und fast durchgängig politisch stark gefärbte Berichterstattung der Tageszeitungen war vor allem deshalb so problematisch, weil sie für den einzelnen Rezipienten in der Regel wohl ohne jede Korrektur blieb. Zeitungsleser, die re-gelmäßig mehr als ein Blatt zur Kenntnis nahmen, waren schon aus ökonomischen Gründen extrem selten.35 Bestenfalls werden die Hamburger am Kiosk oder in der Straßenbahn die abweichenden Schlagzeilen der Zeitungen registriert haben; viel-leicht nahmen sie gelegentlich auch in Cafés oder Kneipen eine dort ausliegende Tageszeitung in die Hand, die sie sonst nicht lasen. Mit solchen Seitenblicken aber war keine umfassende Sicht auf das Zeitgeschehen zu gewinnen – insbesondere nicht bei Lokalnachrichten, die nach den journalistischen Konventionen der Zeit nur höchst selten auf der Titelseite auftauchten.

Auch der Rundfunk bot kein Korrektiv für die selektive Berichterstattung der Zeitungen, denn Nachrichten führten im Radioprogramm der Weimarer Republik ein publizistisches Schattendasein. Lokalnachrichten spielten so gut wie überhaupt

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keine Rolle; selbst die »großen« überregional wichtigen Meldungen gingen nur in strenger Auswahl und in so neutralen und übervorsichtigen Formulierungen über den Äther, das teilweise völlige Inhaltsleere entstand.36

Ganz unabhängig von Wertungen und Meinungen, allein schon auf der Ebene der Fakten, waren die meisten Deutschen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit über den Lauf ihrer Welt in den letzten Jahren der Weimarer Republik nur bruchstück-haft und einseitig informiert. Diese gewollten Lücken in der Berichterstattung der Presse haben das politische Klima in der späten Weimarer Republik stark geprägt. Die Unfähigkeit der damaligen deutschen Gesellschaft zum Konsens, die sich ja selbst auf Grundregeln des sozialen Lebens bezog, hat hier eine ihrer Ursachen: Die Komplizenschaft von Verlegern und Journalisten bei der Verfolgung eines selbsterteilten politischen Auftrags ermöglichte es in dieser Zeit vielen Deutschen, jeden Konflikt zwischen ihrem »ethischen Habitus« und der Realität zu vermeiden.

Dabei muss der Leser vielfach als Dritter in diesem Bunde gelten. Der Reichs-verband der deutschen Presse, der die Interessen von Journalisten vertrat, regis-trierte nach 1929 eine wachsende Intoleranz in der Bevölkerung nicht nur gegen-über missliebigen Meinungen, sondern auch gegenüber allen Nachrichten, die das jeweilige Weltbild in Frage stellten. Der Vorsitzende der Organisation, Wilhelm Ackermann, sprach von einem »wachsenden Widerwillen immer breiterer Leser-schichten gegen sachliche Aufklärung«. Selbst neutrale, unkommentierte Nach-richten würden als Parteinahme verstanden und führten deshalb zu Angriffen »bis zum organisierten Boykott und zur persönlichen Bedrohung«. Für die Pressefrei-heit sah Ackermann in solchen Aktionen eine massive Gefahr, die »von unten« ausgehe. Nach seinem Urteil wollten die meisten Deutschen von einer politischen Kontrollfunktion der Presse nichts wissen: »Der Leser will in seiner spezifischen Stimmung gehalten werden; das und nichts anderes mehr verlangt er von seinem Blatt.«37

Unter solchen Bedingungen hatte die Vorstellung von der Presse als einer »Vier-ten Gewalt«, die Regierung, Parlament und Justiz kritisch beobachte, kaum noch Chancen praktisch wirksam zu werden. In der Weimarer Republik war das En-semble der Tageszeitungen vielmehr spätestens seit Beginn der Weltwirtschafts-krise im Jahr 1929 ein Motor der politischen Überhitzung, unter der das Land litt. Dies gilt umso stärker, als die Zeitungsredaktionen, die einen radikalen Kurs ver-folgten, im journalistischen Alltag auch vor bewussten Lügen und agitatorischer Hetze nicht zurückschreckten. Sie nutzten die Meinungs- und Pressefreiheit ent-schlossen, um gegen die Freiheit und für die (jeweils unterschiedlich konzipierte) Diktatur zu streiten. In Hamburg gilt dies in den letzten Jahren von der nationalso-zialistischen Machtübernahme für die ›Volkszeitung‹ der KPD, das ›Tageblatt‹ der NSDAP sowie auch für die ›Hamburger Nachrichten‹, die sich selbst als »national parteilos« bezeichneten, seit 1930 aber stark mit der NS-Bewegung sympathisier-ten. Gerade auch durch den Missbrauch der Pressefreiheit wurden Journalisten in der späten Weimarer Republik zu wichtigen politischen Akteuren. Zwar versuchte das demokratische System durchaus, dieses Treiben zu stoppen – die Mittel dazu aber erwiesen sich als weitgehend untauglich.

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III DIE ZEITUNG ALS WAFFE IM POLITISCHEN KAMPF. JOURNALISTEN ALS FEINDE DER DEMOKRATIE

Die Verfassung der Weimarer Republik garantierte zwar die Pressefreiheit (wenn-gleich nur unter »ferner liefen« als eine Variante der allgemeinen Meinungsfrei-heit) und erklärte auch, eine Zensur fände nicht statt. Tatsächlich aber gab es in Deutschland nach 1918 eine ganze Reihe von Möglichkeiten, Presseprodukte am Erscheinen zu hindern und Meinungsäußerungen zu ahnden. Paragraph 48 der Verfassung gab dem Reichspräsidenten das Recht, die Grundrechte (und mit ihnen auch die Pressefreiheit) in Krisenzeiten befristet außer Kraft zu setzen, wenn dies zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich er-schien.38 Daneben zielte das 1922 vom Reichstag nach der Ermordung von Außen-minister Rathenau mit Dreiviertel-Mehrheit verabschiedete Republikschutzgesetz speziell auch auf die Presse: Die Länder konnten eine Tageszeitung für bis zu vier Wochen verbieten, wenn das Blatt etwa zu politischen Gewalttaten aufgerufen oder Verfassung und Republik beschimpft hatte. Die für solche Artikel verant-wortlichen Journalisten wurden zudem mit Gefängnis bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafen bedroht.39

Zeitungsverbote nach dem Republikschutzgesetz ergingen jeweils durch eine einfache Verwaltungsanordnung, ohne eine vorherige Anhörung von Verlag und Redaktion oder eine gerichtliche Prüfung der Vorwürfe. Zwar gab es für Betrof-fene ein Beschwerdeverfahren und auch Klagemöglichkeiten; solche Einsprüche aber hatten keinerlei aufschiebende Wirkung. Eine Notverordnung des Kabinetts Brüning vom 28. März 1931 bestätigte im wesentlichen die eben angeführten Ver-botsgründe, erleichterte den Landesbehörden aber das Verfahren und erweiterte die Verbotszeit auf bis zu acht Wochen. Eine zweite Fassung dieser Vorschriften vom Juli 1931 schuf noch eine zusätzliche Interventionsmöglichkeit: Die Behörden konnten von Zeitungen nun den Abdruck von »Entgegnungen« verlangen, die fal-sche Behauptungen richtig stellten (was zuvor nicht möglich gewesen war, weil das Presserecht der Weimarer Republik die uns heute vertraute »Gegendarstel-lung« nicht kannte). Die Aufmachung und die Platzierung der amtlichen Richtig-stellung im Blatt durften genau vorgeschrieben werden.40

Auch ohne Verbot einer Zeitung und ohne »Entgegnung« eröffnete schließlich noch das Strafgesetzbuch vielfältige Möglichkeiten, Journalisten für Presseartikel zur Rechenschaft zu ziehen. Die Beleidigung von Beamten und anderen Reprä-sentanten des Staates, »Staatsverleumdung«, die »Anreizung zum Klassenkampf« und die Beschimpfung von Religionsgemeinschaften waren ebenso strafbewehrt wie Aufforderungen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder zur Begehung strafba-rer Handlungen. Lag nach dem Urteil der Polizei eines dieser Delikte vor, konnte sie zudem die Beschlagnahme aller Ausgaben der Zeitung verfügen, die den recht-lich zu beanstandeten Artikel enthielten. Solche Beschlagnahmen bedurften einer richterlichen Bestätigung.41

Verfahren, die sich auf eine dieser vielen verschiedenen Bestimmungen stützten, waren in Hamburg in der Weimarer Republik bis Anfang 1931 ein Privileg der ›Hamburger Volkszeitung‹. Wenigstens einige Beispiele sollen demonstrieren, wie sich die politische Agitation der HVZ las – und wie sie geahndet wurde. Im Au-

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gust 1930 druckte das Blatt einen Kommentar zu der kurz bevorstehenden Verfas-sungsfeier des Hamburger Senats. Darin wurde die Konstitution von 1919 als »Verfassung der Ausbeuterrepublik« bezeichnet, deren Feier mit der »proletari-schen Ehre« nicht zu vereinbaren sei; die Senatoren sahen sich als »bessere[s] Pack« tituliert, als die »mit Riesenkorruptionsgehältern bezahlten Pfeffersäcke«, die sich in der Öffentlichkeit »wie die Truthähne« spreizen würden. Der Artikel endete mit dem pathetischen (und in der Zeichensetzung recht frei gestalteten) Aufruf: »Laßt die Pfeffersäcke mit ihren Dämchen und Dienern feiern, was sie wollen, wenn der klassenbewußte Arbeiter am Montag demonstriert und seine Stimme erhebt, dann für den Sturz der kapitalistischen Ausbeuterverfassung, für Diktatur des Proletariats, für Lohnerhöhung, Siebenstundentag, für ausreichende Unterstützung, für die Sowjetverfassung!«42 Wegen dieses Artikels verurteilte das Hamburger Amtsgericht den verantwortlichen HVZ-Redakteur, Arthur Demolski, im Oktober 1930 zu einer Geldstrafe von 150 RM (bzw. ersatzweise zu 15 Tagen Haft). Das war ein erstaunlich mildes Urteil, denn die Richter erkannten nur auf »öffentliche Beamtenbeleidigung«, d. h. sie ließen andere mögliche und entschie-den härter zu ahndende Strafgründe (etwa die Beschimpfung der Verfassung und die Aufforderung zur Beseitigung der Demokratie) außer acht.43

Verfahren dieser Art gehörten geradezu zum Alltag der HVZ-Journalisten. 1928 war die Redaktion in fast 200 Prozesse verwickelt; der von Oktober 1929 bis Februar 1930 presserechtlich verantwortliche Redakteur, Erich Hoffmann, zog in diesen sechs Monaten nicht weniger als 94 Anklagen auf sich.44 Die Kommunisten sahen in solchen Prozessen das Wüten einer enthemmten »Klassenjustiz«, die es darauf anlege, die revolutionäre kommunistische Presse »kaputt zu machen«. In der Tat waren die Strafen, die Redakteure und Verlag auf sich nehmen mussten, erheblich: Die Prozesse des Jahres 1928 etwa brachten HVZ-Mitarbeiter für insge-samt 28 Monate hinter Gitter; zugleich hatte die Zeitung angeblich Geldstrafen in Höhe von 26.000 RM zu zahlen (zu denen noch ähnlich hohe Gerichtskosten hin-zukamen).45

Die Opferrolle, die hier beansprucht wurde, passt allerdings schlecht zu dem durchweg aggressiven Ton der ›Volkszeitung‹, und sie verträgt sich noch schlech-ter mit der geringen journalistischen Sorgfalt der Redaktion. Gerade in den Schlussjahren der Weimarer Republik stellten Beleidigungsklagen die große Mehr-heit unter den gegen die HVZ angestrengten Prozessen. Mehrheitlich kamen sie von Beamten und sozialdemokratischen Politikern, die in der ›Volkszeitung‹ als Exponenten eines angeblich arbeiterfeindlichen Klassenstaats angegriffen worden waren. Anders als die HVZ es darstellte, belegte diese Prozesswelle keineswegs eine besondere, politisch motivierte Empfindlichkeit der von ihr mit Vorliebe kriti-sierten Sozialdemokraten. Sie war vielmehr das direkte Ergebnis der personalisie-renden und skandalisierenden Berichterstattung der HVZ, die den Lesern fort-gesetzt das Gefühl vermitteln sollte, die Arbeiterschaft werde in der Weimarer Republik konsequent entrechtet, beleidigt und erniedrigt. Artikel solcher Art fan-den sich in der ›Volkszeitung‹ in so großer Zahl und in so dichter Folge, dass ein Arbeiter eigentlich schon ein gehöriges Maß an Masochismus aufweisen musste, um das Blatt mit Vergnügen lesen zu können. Dabei war die SPD auch hier der

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Hauptfeind der HVZ: Sozialdemokratische Beamte sowie SPD- und Gewerk-schafts-»Bonzen« standen fast noch stärker unter Dauerbeschuss als »ausbeuteri-sche« Unternehmer. Durch Unterstellungen, Verdrehungen und teilweise geradezu absurd konstruierte Skandalnachrichten »bewies« das Blatt in zahllosen Varianten den fortgesetzten »Verrat« sozialdemokratischer Politiker und Gewerkschafter am Proletariat.46 In diesem Zusammenhang ist auch von einer inhaltlichen Besonder-heit der ›Volkszeitung‹ zu sprechen, die sie von allen anderen Hamburger Tages-zeitungen unterschied: den »Arbeiterkorrespondenten«.

Wie alle kommunistischen Blätter so war auch die HVZ seit Mitte der 1920er Jahre gewissermaßen eine Zeitung »zum Mitmachen«: Sie publizierte auf ihren Lokalseiten fortlaufend Texte von Lesern, in denen diese aus ihrem eigenen Le-bensbereich berichteten, und betrieb einigen Aufwand, um solche »Arbeiterkorres-pondenten« anzuwerben und zu schulen. Die schreibenden Laien wurden von der Redaktion zwar zu Sorgfalt und Wahrhaftigkeit ermahnt; der leninistische Grund-satz »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser« aber galt hier nicht. In der redaktio-nellen Praxis der HVZ wurden offenbar alle Texte von Lesern, die nicht völlig unplausibel klangen und auch nicht gegen die politisch-ästhetischen Konzepte der KPD verstießen, ohne jede Gegenrecherche ins Blatt gehoben.47

Damit aber öffnete sich die Zeitung für individuelle Ressentiments, Sichtveren-gungen und auch für schlichte Unwissenheit. Selbst die Verlagsgesellschaft der HVZ rügte im Oktober 1930 in internen Schreiben an die Redaktion deren fahrläs-sige journalistische Arbeitsweise. Allerdings tat der Verlag das nicht im Interesse einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung, sondern nur aus Furcht vor Gerichts-verfahren und deren Kosten.48

Auch das Erscheinungsverbot, die schärfste Waffe im Kampf gegen einen Miss-brauch der Pressefreiheit, wurde durchaus entschlossen gegen die HVZ eingesetzt: Bis zu ihrer Unterdrückung durch das NS-Regime im Februar 1933 war die 1919 gegründete HVZ alles in allem 21 Monate lang verboten. Zwar finden sich die längsten Verbotsphasen in den frühen Krisen der Republik bis 1925. Die Zuspit-zung der politischen Auseinandersetzungen in den letzten Jahren der Demokratie aber spiegelt sich auch in der HVZ-Verbotsstatistik ab 1929 deutlich wieder. 1929 und 1930 gab es je zwei Verfügungen, die das Erscheinen der Zeitungen für meh-rere Wochen untersagten; 1931 ahndeten die Behörden die radikale Agitation des Blattes viermal mit einer Stillegung der Rotationspressen (für insgesamt neun Wo-chen); 1932 wurde die ›Volkszeitung‹ dann sogar fünfmal (für zusammen sieben Wochen) verboten, weil sie durch die Verdrehung von Tatsachen und radikale Parolen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet hatte.49

Wenn Strafen die Funktion haben sollen, neue Rechtsverstöße zu verhindern, in-dem sie den Täter dazu bringen, sein Unrecht einzusehen, und andere Menschen von einer Nachahmung der geahndeten Tat abhalten, dann waren die vielen Straf-aktionen gegen die Redaktion der ›Hamburger Volkszeitung‹ allesamt völlig er-folglos. Die radikale politische Agitation der KPD-Presse war mit den Mitteln, die der Republik zur Verfügung standen, nicht zu stoppen, denn in diesen Redaktionen wurde im doppelten Sinne des Wortes Überzeugungsarbeit geleistet. Gerade die Haftstrafen für revolutionäre Parolen und Appelle in Zeitungsartikeln waren in der

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Sicht kommunistischer Journalisten offensichtlich so etwas wie eine ehrenhafte Auszeichnung, bestätigten sie doch gewissermaßen amtlich ihren entschlossenen Einsatz für die Sache der Partei.50

Die Erscheinungsverbote schließlich verfehlten schon deshalb ihren Zweck, weil es der kommunistischen Parteiorganisation offensichtlich fast durchweg gelang, die Unterdrückung der HVZ zu unterlaufen. Zwar war es unzulässig, ein Ersatz-blatt für eine verbotene Zeitung zu produzieren; die Belieferung der Abonnenten mit einer anderen kommunistischen Tageszeitung aber fiel nicht unter dieses Ver-bot. So erhielten die HVZ-Leser im Dezember 1930, als die Behörden das Er-scheinen des Hamburger KPD-Organs für fast vier Wochen untersagten, die ›Bre-mer Arbeiterzeitung‹ ins Haus geliefert. Da illegale Maßnahmen für die KPD als revolutionäre Bewegung allenfalls ein taktisches, aber kein grundsätzliches Pro-blem darstellten, lagen dem Bremer Blatt auch noch Sonderausgaben der verbote-nen ›Volkszeitung‹ bei, die sich mit der spöttischen Kopfzeile »Von Schönfelder [Adolph Schönfelder, dem Chef der Hamburger Polizeibehörde – K.C.F.] verboten – von uns erlaubt« schmückten. Nach der Meinung des liberalen ›Hamburger An-zeigers‹ übertrafen diese illegalen Ausgaben »in ihrem rüden Ton und ihrer revo-lutionären Mache alles [...], was man seit Jahren« von der HVZ gewohnt sei.51 Ein Jahr zuvor hatte die Hamburger Parteiorganisation während einer Verbotsphase etliche ihrer zahlreichen Betriebs- und Stadtteilzeitungen in einen HVZ-Ersatz verwandelt, so dass zeitlich befristet »23 ›kleine‹ Hamburger Volkszeitungen« erschienen, die kostenlos verteilt wurden.52

In der Gesamtbilanz haben die amtlichen Bemühungen, die anti-demokratische und sozialrevolutionäre Agitation der ›Hamburger Volkszeitung‹ zu stoppen, kaum etwas bewirkt. Die KPD verfügte über ein scheinbar unerschöpfliches Reservoir an Anhängern, die bereit waren, für die Arbeit an der Parteizeitung auch ins Gefäng-nis zu gehen. Zugleich besaßen die Regeln der kapitalistischen Wirtschaft im Be-reich der kommunistischen Presse offenbar keine große Bedeutung, weil die Partei diesen Bereich ihrer politischen Arbeit (sei es aus eigenen Mitteln, sei es mit Hilfe sowjetischer Gelder) im Notfall ohne Rücksicht auf finanzielle Verluste am Leben hielt.53 Unter solchen Voraussetzungen aber mussten die Instrumentarien der Re-publik gegen einen Missbrauch der Pressefreiheit versagen: Die Zeitung als poli-tisch-sozialer Unruhestifter trat mit jeder Ausgabe der HVZ immer wieder neu auf den Plan.

Das gleiche Fazit ist auch für das nationalsozialistische ›Hamburger Tageblatt‹ zu ziehen. Die journalistischen Mittel des HT in seinem Kampf gegen die Demo-kratie ähnelten in vieler Hinsicht den Strategien der kommunistischen Zeitung: Auch im ›Tageblatt‹ wurde mit radikalen Parolen für die Beseitigung der Verfas-sung und den Sturz der Demokratie geworben; die Journalisten zeichneten bestän-dig das Bild einer von Korruption und sozialer Ungerechtigkeit zerfressenen Re-publik; die Inhaber politischer Ämter wurden gezielt persönlich beleidigt. Wie im Falle der HVZ reagierte die Hamburger Polizei auch bei der neuen nationalsozia-listischen Tageszeitung mit Verboten. Sowohl 1931 als auch 1932 durfte das HT je dreimal vorübergehend nicht mehr erscheinen. Dabei fielen die Verbotsphasen kürzer aus als bei der HVZ: In ersten Jahr seiner Existenz kam das ›Tageblatt‹

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sechs Wochen lang nicht zu seinen Abonnenten und an die Kioske; 1932 sum-mierten sich die drei behördlichen Interventionen gegen das HT dann auf ver-gleichsweise bescheidene 15 Tage.54

1931 erging das befristete Verbot in zwei Fällen, weil das HT Mordanschläge von Nationalsozialisten auf Kommunisten bzw. auf Beamte rechtfertigte. Im drit-ten Fall beleidigte das Blatt pauschal Polizisten und Justizbeamte.55 1932 ver-hängte die Hamburger Polizei das erste Verbot, als das HT katholische Mitglieder der bayerischen Staatsregierung als »schwarze Schweinepriester« und als »Fron-deure gegen die Reichsautorität« bezeichnete. Zugleich wurde der damalige Chef-redakteur, Hans Jacobi, wegen dieses von ihm geschriebenen Leitartikels zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.56 Das zweite Verbot reagierte auf den Satz: »Wir fordern Säuberung der Polizei von allem marxistischem Gesindel, erst dann wird in Hamburg Ruhe und Ordnung einziehen.« Die letzte Verfügung gegen das ›Ta-geblatt‹ vor der nationalsozialistischen Machtübernahme schließlich erging im Oktober 1932, weil die Zeitung behauptet hatte, Polizeibeamte, die sich zur NSDAP bekannten, würden in Hamburg unter Vorwänden dienstrechtlich be-nachteiligt und drangsaliert.57

Nach den Erinnerungen des ersten HT-Chefredakteurs, Albert Krebs, waren die behördlichen Verbote dem Hamburger NS-Blatt zumindest in den ersten andert-halb Jahren seiner Existenz keineswegs durchweg unangenehm. Als politisch ein-deutig nachteilig galten sie nur in Wahlkampfzeiten. Ansonsten aber hatten sie entgegen der Absicht der intervenierenden Behörden paradoxerweise für das Blatt und damit für die Hamburger NSDAP eher positive Folgen. Jedes Verbot bedeu-tete eine »kostenlose Propaganda«, die neue Anhänger warb und die schon vor-handenen Mitglieder aktivierte: »Viele fühlten sich durch ein Verbot zu einer er-höhten Werbeaktivität aufgerufen, auch wenn sie vorher mancherlei Kritik geübt hatten. Ebenso ging der Straßenverkauf beim Wiedererscheinen der Zeitung sprunghaft in die Höhe.« Noch wichtiger aber waren die finanziellen Effekte, die das Nichterscheinen der Zeitung für den Verlag hatte. Da die Abonnements wei-terliefen und auch weiterhin bezahlt wurden, während die Kosten sich stark ver-minderten, bedeuteten vor allem längere Verbotsphasen für das finanzschwache Blatt eine Gesundkur: »Ein- oder zweimal hat uns ein Verbot geradezu vor dem finanziellen Zusammenbruch gerettet, indem es uns eine Frist zur Beschaffung eines Zwischenkredits gewährte.« Krebs versuchte in seiner Zeit als HT-Chefre-dakteur deshalb zumindest in einem Fall, ein Verbot gezielt und bewusst »durch heftige Angriffe zu provozieren«.58

IV PRESSEAGITATION UND AMTLICHE ENTGEGNUNGEN Neben den zwiespältig zu beurteilenden Verboten standen Bemühungen der Ham-burger Behörden, die politische Agitation radikaler Tageszeitungen mit dem Mittel der amtlichen »Entgegnung« unschädlich zu machen. Diese spezielle Form der heutigen Gegendarstellung fand sich vom September 1931 bis Anfang November 1932 zwölfmal im ›Tageblatt‹ (aber nur zweimal in der kommunistischen HVZ). Der Senat korrigierte auf diesem Wege etwa Falschmeldungen des nationalsozia-listischen HT über angeblich geplante Kürzungen der Unterstützungen für Lang-

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zeitarbeitslose, die polemische Verzerrung eines Urteils des Reichsgerichts gegen die HT-Redaktion oder auch einen frei erfundenen Bericht, die Finanzbehörde plane den Verkauf der Hamburger Elektrizitätswerke an ausländische Unterneh-men.59

Ob solche Richtigstellungen im Kampf gegen die politische Verhetzung viel be-wirkten, muss bezweifelt werden. Zwar hatte die Reichsregierung bei der Einfüh-rung der »Entgegnung« im Juli 1931 gleich mehrere Vorschriften erlassen, die das neue Instrument zu einer wirkungsvollen politisch-publizistischen Waffe machen sollten. Die Zeitung, die gegen die Grundregeln der journalistischen Arbeit versto-ßen hatte, musste die amtliche Korrektur ihrer Berichterstattung an genau bezeich-neter Stelle und in vorgeschriebener Aufmachung bringen. Redaktionelle Stel-lungnahmen zu der abgedruckten Entgegnung waren ausdrücklich untersagt.60

In der Praxis war damit aber nicht viel gewonnen, denn die politische Instru-mentalisierung der HT-Berichterstattung ließ sich durch Korrekturen an einzelnen Texten nicht brechen. Im August 1932 beispielsweise manipulierte die Redaktion des ›Tageblatts‹ — wie erwähnt – einen Bericht über ein Urteil des Reichsgerichts gegen das HT: Die Leser mussten den Eindruck gewinnen, die Leipziger Richter hätten zwar das ›Tageblatt‹ bestraft, in ihrer Urteilsbegründung zugleich aber den »Reichsbanner«, eine SPD-nahe, republiktreue Massenorganisation, als gewalttä-tige und politisch anrüchige Organisation bewertet.61 Schon seit seiner Gründung führte das ›Hamburger Tageblatt‹ unablässig eine heftige Kampagne gegen die starke Stellung des »Reichsbanners« unter den Hamburger Polizeibeamten. In die-sem Zusammenhang nahm das Blatt immer wieder auch den Polizeisenator Adolph Schönfelder aufs Korn, der als Sozialdemokrat und Reichsbanner-Mitglied gleich auf doppelte Weise dem Feindbild der HT-Redaktion entsprach. Der manipulierte Bericht über das Urteil des Reichsgerichts gehörte zu dieser Kampagne gegen Schönfelder, deren Funktion sich auch daraus erklärt, dass er in Hamburg für die Presseverbote zuständig war.

Der Senat wehrte sich umgehend mit einer Entgegnung gegen die Verdrehungen des HT. Das Blatt wurde gezwungen, die amtliche Richtigstellung »auf der ersten Seite an erster Stelle in derselben Schriftgröße« zu bringen, in der Überschrift und Text des falsch informierenden Artikels gesetzt worden waren. Schon die nächste Ausgabe des ›Tageblatts‹ erschien deshalb mit der Hauptschlagzeile »Der Senat entgegnet«. Dieser amtliche Text aber wurde von distanzierenden Sätzen einge-rahmt: Zum einen stand über der Erklärung, die Redaktion werde »[m]it Hilfe der bekannten Pressezwangsverordnung [...] unter Verbotsandrohung« gezwungen, die Entgegnung abzudrucken; zum anderen erfuhren die Leser am Ende, eine Stel-lungnahme zum Text des Senats sei zwar verboten, aber für die nächste Ausgabe gelte diese Vorschrift nicht mehr: »Unsere Leser werden unsere Meinung hierzu morgen erfahren.« Zu allem Überfluss präsentierte sich die amtliche Richtigstel-lung auch noch als ein verklausulierter, nur mühsam zu lesender juristischer Fach-text, der den politischen Kern der Auseinandersetzung eher verschleierte als offen legte.62

Die HT-Redaktion hingegen konnte nach Abdruck der Entgegnung ohne solche Fesseln operieren. Wie angekündigt erfuhren die Leser an nächsten Tag in der Tat

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die »Meinung« des Blattes zu der amtlichen Richtigstellung – und das war nichts anderes als eine Wiederholung der Angriffe auf den angeblich gewalttätigen »Reichsbanner« und auch auf Schönfelder, die der beanstandete Artikel enthalten hatte. Formal gesehen war hier zwar für die Sache der journalistischen Korrektheit durchaus ein Sieg errungen worden, denn in diesem zweiten Artikel erfolgten die Attacken auf die Sozialdemokraten ohne den erlogenen Bezug auf das Reichsge-richt.63 Als Mittel im Kampf gegen die politische Verhetzung aber war eine »Ent-gegnung« offensichtlich dennoch untauglich: Punktuelle Richtigstellungen der Berichterstattung konnten das Gebäude aus Lügen, Verdrehungen, emotionalisie-renden Parolen und Versprechungen, an dem das ›Hamburger Tageblatt‹ unabläs-sig baute, nicht zum Einsturz bringen, weil sie immer nur auf einzelne und aus-tauschbare Elemente der nationalsozialistischen Agitation zielten.

Auch Strafprozesse gegen die Autoren und Redakteure des HT bewirkten wenig bis gar nichts. Zwar gab es sie in recht großer Zahl. Im Vergleich zu den Urteilen gegen die Autoren der kommunistischen HVZ aber fällt doch auf, dass die Richter sich mit Gefängnisstrafen gegen NS-Redakteure zurückhielten. Die drei Monate Haft für Hans Jacobi wegen Beleidigung der bayerischen Regierung scheinen die strengste Strafe gewesen zu sein, die in Verfahren gegen HT-Mitarbeiter verhängt wurde. Andere Verfahren gewannen durch milde Urteile den Charakter einer Farce. Der HT-Redakteur Hermann Okraß etwa kassierte im Januar 1932 eine Strafe von lediglich 20 RM für die presserechtlich von ihm zu verantwortende Formulierung, der Altonaer Oberbürgermeister, Max Brauer, sei ein »vollgefresse-ner Bonze«. Traurigerweise rechtfertigte das Schöffengericht dieses Urteil mit den Worten, »man sehe täglich in den Zeitungen handfestere Beleidigungen«. Das traf wohl zumindest für die Berliner Tagespresse durchaus zu; zugleich aber bedeutete ein Urteil wie dieses ganz ohne Frage die endgültige »Schimpffreiheit« für die Feinde der Demokratie auch in Hamburg.64

In anderen Verfahren gegen nationalsozialistische Journalisten fanden sich Ham-burger Richter noch nicht einmal mehr zu symbolisch bedeutsamen Verurteilungen bereit. Wiederholt sprachen sie Journalisten frei, die für radikale NS-Propaganda verantwortlich zeichneten. Ein Kommentar von Albert Krebs, der unverhohlen eine politische Säuberung der Hamburger Polizei nach nationalsozialistischen Regeln für die Zeit nach der Machtübernahme der Partei ankündigte, galt einem Hamburger Gericht nicht (wie der Staatsanwalt es beantragt hatte) als versuchte Nötigung der Beamten, sondern als politische Meinungsäußerung. Ein Text, der den Hitler-Putsch von 1923 – d. h. einen versuchten Staatsstreich – verherrlichte, erhielt durch Gerichtsbeschluss als »Totenehrung« seine juristische Absolution; ein anderer Artikel, der mit großer Emphase schilderte, wie Nationalsozialisten öffentlich den Text der Weimarer Verfassung verbrannten, galt den Richtern nicht als Verächtlichmachung der Republik, sondern nur als die straffreie Referierung von Tatsachen. Selbstverständlich feierte die NSDAP jedes dieser Urteile in der Öffentlichkeit als politische Niederlage der Republik – aber das scheint die Hamburger Richter nicht stutzig gemacht zu haben.65

Auch gegen antisemitische Parolen im ›Hamburger Tageblatt‹ schritt die Justiz nicht ein. Zwar spielte die Hetze gegen die Juden im HT, wie insgesamt in der

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nationalsozialistischen Propaganda vor 1933, nur eine eher untergeordnete Rolle. Als zentrales Element der nationalsozialistischen »Weltanschauung« aber war sie im Blatt dennoch selbstverständlich präsent. So gratulierte sich das ›Tageblatt‹ wiederholt selbst für die Entscheidung, grundsätzlich keine Anzeigen »jüdischer Firmen« anzunehmen. Der Verlag nehme kein »Judengeld«, hieß es in einem die-sem Artikel, weil das HT »der jüdischen Weltpest im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben auf die Finger« klopfen wolle.66 Seine antisemitische Kon-ditionierung bewies das ›Tageblatt‹ auch noch auf andere Weise: Immer wieder machte es prominente Personen als Juden »kenntlich«. Wie die Berliner NS-Presse, so vergaß auch das HT etwa nie, den Berliner Polizeivizepräsidenten Bern-hard Weiß bei jeder Erwähnung erneut als Juden zu bezeichnen. Zudem wurde Weiß oft auch noch ein als »jüdisch« geltender zweiter Vorname (»Isidor«) ver-passt. Als Weiß gegen das HT klagte, weil schon der einfache Hinweis auf eine jüdische Abstammung im Gefüge der NS-»Weltanschauung« fraglos eine persön-liche Herabsetzung bedeutete, bestritt Chefredakteur Krebs vor Gericht und auch im ›Hamburger Tageblatt‹ eine beleidigende Absicht. Es gehe nicht darum, ob Weiß persönlich für den Posten geeignet sei oder nicht. Vielmehr sei die Beset-zung einer leitenden Beamtenposition mit einem Juden für das ›Tageblatt‹ grund-sätzlich »ein unerträglicher Zustand«, denn schließlich sei jeder Jude »so etwas Wesensverschiedenes, daß ein Angehöriger dieser Rasse unmöglich eine führende Stellung bei uns innehaben kann«.67 Dabei ließ Krebs auch keinen Zweifel an den grundsätzlichen Zielen der NSDAP: Juden lebten danach in Deutschland lediglich »zu Gaste«, und ein »rassefremdes Volk« dürfe keinesfalls »über uns Deutsche« herrschen.68

Solche Formulierungen, die mit dem Presserecht und dem Strafgesetzbuch als Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft und mit Blick auf den Gesamtzusam-menhang der NS-»Lehre« durchaus auch als persönliche Beleidigung zu ahnden gewesen wären, blieben jedoch ohne Strafe. Bernhard Weiß wurde von den Rich-tern belehrt, er sei nicht beleidigt worden, weil die HT-Redaktion ihn ja immer nur als »Jude« titulierte, dabei aber auf jedes »schmückende Beiwort« verzichtete.69 Dabei spielte es auch keine Rolle, dass die HT-Artikel deutlich erkennbar Teil einer schon seit 1927 laufenden Hasskampagne der NS-Presse gegen den Berliner Beamten waren.70

Insgesamt hatte das ›Hamburger Tageblatt‹ allen Grund, mit der Justiz zufrieden zu sein: Anders als im Fall der kommunistischen HVZ vereitelten die Richter in vielen Fällen Versuche der Hamburger Polizeibehörde, der radikalen Agitation des Blattes Grenzen zu ziehen.71 Zumindest in einigen dieser Gerichtsbeschlüsse scheint sich ein kaum noch verhülltes Einverständnis der Richter mit den Ange-klagten zu dokumentieren. In anderen Fällen mag das aus heutiger Sicht befremd-lich wirkende Urteil ergangen sein, weil die Richter die Meinungsfreiheit als de-mokratisches Grundrecht höher einstuften als die Verletzung von Persönlichkeits-rechten oder die Bedrohung der Demokratie durch Formulierungen in einzelnen Pressetexten. Ob härtere Strafen abschreckend auf die Redakteure und Autoren des ›Hamburger Tageblatts‹ gewirkt hätten, ist allerdings zu bezweifeln: Politische Fa-natiker sind mit Mitteln der Justiz wohl grundsätzlich nicht zu beeindrucken. Die

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deutlich schärfere Ahnung vergleichbarer Vergehen von Kommunisten bleibt je-doch unbestreitbar.

Wie oben schon angeführt wurde, verfolgten auch die ›Hamburger Nachrichten‹ spätestens seit dem Herbst 1930 einen eindeutig republikfeindlichen Kurs. Das traditionsreiche Blatt plädierte immer wieder für eine Koalition der rechten Par-teien im Reichstag mit der als »große, nationale Bewegung« gefeierten NSDAP und stritt gegen alle politischen Kräfte, die eine Regierungsverantwortung der Nationalsozialisten ablehnten. Als konservativ-bürgerliche Zeitung wahrten die HN dabei allerdings die Umgangsformen: Persönliche Beleidigungen und aggres-siv-aufpeitschende Parolen gegen den politischen Gegner, die sich in der ›Volks-zeitung‹ und im ›Tageblatt‹ gleich zuhauf fanden, entsprachen nicht dem scheinbar seriösen Stil der ›Hamburger Nachrichten‹. Presserechtliche Verfahren gegen das Blatt blieben deshalb zunächst aus.

Mit der Zuspitzung der politischen Auseinandersetzungen im Jahr 1932 aber verschärfte sich auch der Ton der HN. Von Januar bis Ende April erhielt die Zei-tung zwei Verwarnungen der Hamburger Polizei, ihre Berichterstattung gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Soweit sich das nach den unvollständigen Quellen beurteilen lässt, monierte die Behörde zum einen im Januar einen Kom-mentar zur Finanzlage Hamburgs, der zu dem demagogischen Schluss kam, die Steuer- und Finanzpolitik des Senats in den Jahren der Republik habe »den Staat reich, seine Bürger aber arm« gemacht. Zum anderen bezeichnete das Blatt im April 1932 das vom Kabinett Brüning verfügte Verbot der paramilitärischen Orga-nisation der NSDAP, der SA (die für zahlreiche Gewalttaten verantwortlich war), in grotesker Verkehrung der Tatsachen als »Terror« der Sozialdemokraten gegen die Nationalsozialisten.72

In konsequenter Fortsetzung dieser politischen Linie publizierten die ›Hamburger Nachrichten‹ Ende Juni 1932 einen höchst ungewöhnlichen Text: Die Redaktion verfasste einen »Offenen Brief« an Brünings erst kurz zuvor berufenen Nachfolger im Amt des Reichskanzlers, Franz von Papen. Darin forderten die Journalisten der HN als selbsternannte Politikberater nichts anderes, als die Er-richtung einer Militärdiktatur in Preußen und in Bayern, weil beide Länder angeb-lich versuchten, die Politik der Reichsregierung gegenüber der NS-Bewegung zu torpedieren. Dabei ging es zentral um die Wiederzulassung der SA, die das Kabi-nett Papen am 16. Juni 1932 per Notverordnung verfügt hatte, weil die NSDAP nur unter dieser Bedingung bereit war, die neue Regierung im Reichstag wenigs-tens zu tolerieren. Länderverordnungen, die das öffentliche Tragen von Uniformen untersagten (wie etwa Bayern sie erlassen hatte), kollidierten mit dieser erneuten Legalität der brutal agierenden SA. Die Parole der HN in dieser Sache lautete: »Die Autorität des Reiches darf nicht länger Spielball der Länder bleiben«; die Reichswehr müsse die Exekutive in Bayern wie in Preußen übernehmen. Einmal in Fahrt, empfahl das Blatt der Reichsregierung gleich auch noch, alle Minister der beiden angeblich »rebellierenden Länder« zu verhaften. Dabei wurde der Reichs-kanzler gleich mehrfach persönlich angesprochen: »Für Sie, Herr Reichskanzler, und die von Ihnen geführte Reichsregierung erhebt sich die Frage, wie lange Sie sich diesen offenen Widerstand gegen Ihre Maßnahmen gefallen lassen wollen.

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Vergessen Sie nicht, daß es sich hier um eine Machtprobe handelt, aus der Sie unbedingt als erster Sieger hervorgehen müssen. «73

Bedenkenlosigkeit war im politischen Journalismus der späten Weimarer Repu-blik alles andere als selten. Selbst in diesem Umfeld aber stellte der »Offene Brief« der HN eine Besonderheit dar, denn so konkrete Handlungsanweisungen und einen so anmaßenden Ton gegenüber den politisch Verantwortlichen hatte es bislang noch nicht gegeben. »Offener und dreister ist wohl noch nie in einem deutschen Blatt zum Staatsstreich, also zum Hochverrat, aufgefordert worden«, urteilte das sozialdemokratische ›Hamburger Echo‹.74 Die Erwartung des HE, die Reichsregie-rung werde die Redaktion der ›Hamburger Nachrichten‹ umgehend wegen dieses Appells, die Verfassung zu brechen, zur Rechenschaft ziehen, wurde jedoch ent-täuscht. Zwar wollte der Hamburger Senat die HN wegen »Verächtlichmachung« der Reichsregierung befristet verbieten. Ausgerechnet der Reichsinnenminister aber intervenierte dagegen, denn letztlich diente der »Offene Brief« trotz seines hochfahrenden Tons den politischen Zielen der Regierung. Als er erschien, plante das Kabinett Papen bereits die Absetzung der von Sozialdemokraten und Zen-trumspolitikern geführten preußischen Regierung, die am 20. Juli 1932 dann mit dem sogenannten »Preußenschlag« erfolgreich realisiert wurde. Wegen des Drucks aus Berlin verwandelte sich das geplante Verbot der HN »unter schweren Beden-ken« des Hamburger Senats somit in eine weitere Verwarnung des Blatts.75 In diesem Fall war es also die Abkehr der politischen Elite in Berlin von der Repu-blik, die eine Reaktion auf die offen verfassungsfeindlichen Parolen der ›Hambur-ger Nachrichten‹ vereitelte. Die Verwarnung, die der von der Reichsregierung gegängelte Senat aussprach, aber ließ die Redaktion des Blattes unbeeindruckt. Sie zeigte sich sogar empört, dass »unser maßvoller und formvollendeter Offener Brief« überhaupt gerügt wurde.76

Insgesamt blieben in den letzten Jahren der Weimarer Republik in Hamburg wie auch sonst im Reich alle Bemühungen der Behörden, dem Treiben politisch radi-kaler Journalisten ein Ende zu machen, ohne nennenswerten Erfolg. Die vielfälti-gen Instrumente, die der Demokratie zur Kontrolle der Presse zur Verfügung stan-den, erwiesen sich durchweg als unzureichend, denn die politischen Überzeu-gungstäter in den Verlagen und Redaktionen, mit denen die Republik es zu tun hatte, ließen sich von den verhängten Sanktionen nicht beeindrucken. Selbst dort, wo in Einzelfällen wirklich harte Strafen ergingen (also im Fall der kommunisti-schen Zeitungen), traten stets bereitwillig neue Kräfte an die Stelle verurteilter Journalisten. Gegenüber der rechtsradikalen Presse fielen zudem viele Urteile so harmlos aus, dass Verleger und Redakteure damit kaum ernsthaft zur Besinnung aufgerufen wurden – wahrscheinlich weil einige Richter mit den politischen An-sichten der Angeklagten sympathisierten.

Letztlich mussten die Maßnahmen gegen den Missbrauch der Pressefreiheit durch Feinde der Demokratie in der Weimarer Republik wohl zwingend zum Kampf gegen eine Hydra werden, der mit jeder Strafe neue Köpfe nachwuchsen, denn gerade die beiden Strafen, die wirklich Abhilfe und Schutz vor weiterer poli-tischer Verhetzung in Tageszeitungen geboten hätten, gehörten nicht zum Arsenal der Republik: Publikationsverbote durften immer nur zeitlich befristet, aber nicht

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dauerhaft ausgesprochen werden; zudem fehlte die Möglichkeit, eine verfassungs-feindliche Organisation mitsamt ihrem Apparat zu verbieten. Das befristete Publi-kationsverbot aber bedeutete auf dem Zeitungsmarkt der Weimarer Republik (der ganz vom Abonnement geprägt war) eine ökonomische Stärkung des bekämpften Blattes. Unter solchen Voraussetzungen musste die Demokratie wohl oder übel mit der beständigen Instrumentalisierung der Presse im Kampf gegen die bürgerlichen Freiheiten und die republikanischen Institutionen leben. Die Weimarer Republik war zwar alles andere als ein wehrloser Staat; die Machtmittel, über die sie ver-fügte, kurierten jedoch nur oberflächliche Symptome, setzten aber nie grundlegend am Übel selbst an.

Das geflügelte Wort von der Presse als der »Vierten Gewalt« gewinnt mit Blick auf die späten Jahre der ersten deutschen Demokratie mithin eine neue Bedeutung. Die Tageszeitungen waren in dieser Zeit ohne Frage ein wichtiger Faktor des poli-tischen Lebens – sie waren es allerdings in einem unguten Sinn. Mit heftiger Po-lemik untereinander, mit einer selektiven und manipulativen Nachrichtenpolitik sowie im Fall politisch radikaler Blätter auch mit bewussten Lügen und entschlos-sener Agitation förderten die Journalisten die Fraktionierung der deutschen Gesell-schaft in einander fremd gegenüber stehende Lager. Von zentraler Bedeutung war hierbei der Verzicht selbst seriöser bürgerlicher Zeitungen auf eine nüchterne Übermittlung von Nachrichten, die mit der jeweiligen »Tendenz« des Blattes kol-lidierten. Die auch in diesen Redaktionen herrschende Praxis, Nachrichten vor allem als Material für die »politische Führung« der Leser zu benutzen, markierte die Kultur der Manipulation in der Zunft der Journalisten als Kriterium für wahre Könnerschaft und lud zur Nachahmung ein. Damit trug die aktuelle Presse ent-scheidend zur Eskalation der politischen Konflikte bei, die das öffentliche Klima in Deutschland in den Jahren nach 1929 mehr und mehr vergiftete. Der Republik hätte es mit Sicherheit gut getan, wenn sie unter ihren Journalisten weniger selbst ernannte politische Akteure, dafür aber mehr schlichte Nachrichtenübermittler gehabt hätte.

ANMERKUNGEN

1 Ein holländischer Journalist über deutsche Zeitungen und Journalisten. In: Deutsche

Presse (im Folgenden DP), 19. Jg., 1929, S. 93-94, hier: S. 94. 2 Wahlkampf in der Presse. In: Zeitungs-Verlag (im Folgenden ZV), 31. Jg., 1930, Sp.

1365-1366, hier: Sp. 1356. Vgl. auch: Heinrich Krumbhaar: Bilanz. In: ebd., Sp. 9-12, hier: Sp. 11; Raché: Journalisten unter sich... In: DP, 20. Jg., 1930, S. 468-469.

3 Vgl. als pressegeschichtliche Arbeiten mit einem ähnlichen Ansatz etwa: Bernhard Fulda: Industries of Sensationalism: German Tabloids in Weimar Berlin. In: Karl Christian Führer/Corey Ross (Hg.): Mass Media, Culture and Society in Twentieth-Century Germany. Houndmills und New York: Palgrave 2006, S. 183-203; Bernhard Rosenberger: Zeitungen als Kriegstreiber? Die Rolle der Presse im Vorfeld des Ersten Weltkrieges. Köln: Böhlau 1998. Allgemein zu Medien als »agierende[n] Faktoren der Geschichte« vgl. als Überblick: Clemens Zimmermann: Politischer Journalismus, Öf-fentlichkeit und Medien im 19. und 20. Jahrhundert. In: Ders. (Hg.): Politischer Jour-

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nalismus, Öffentlichkeiten und Medien im 19. und 20. Jahrhundert. Ostfildern: Thor-becke 2006, S. 9-25.

4 Vgl.: Fulda (2006), S. 183 f. (wie Anm. 3). 5 Otto Groth: Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde (Journalistik). 3 Bde. Mann-

heim: Bensheimer 1928/30, Bd. 1, S. 226. 6 Diese Angabe bezieht sich auf »Groß-Hamburg«, das mit der Fusion des Stadtstaates

Hamburg und verschiedener preußischer Gemeinden (dazu gehörten auch die Groß-städte Altona, Harburg und Wandsbek) zwar erst 1937 entstand, das jedoch schon vor-her einen einheitlichen urbanen Ballungsraum darstellte. Der folgende Überblick nach: Karl Christian Führer: Medien-Metropole Hamburg. Mediale Öffentlichkeiten 1930 – 1960 (im Druck), S. 264-291. Vgl. dort auch Angaben zu Verlagen, Herausgebern etc.

7 Niederschrift über die Sitzung wg. der Bezugs- und Anzeigenpreise der Zeitungen, 26.3.31, Staatsarchiv Hamburg 135-1 I-IV/3421, nicht paginiert.

8 Heraus zur Massenwerbung für die KPD-Presse! In: HVZ Nr. 13, 16./17. 1. 1932. 9 ›Echo‹-Sudeleien gerichtlich bestätigt. In: HVZ Nr. 236, 11. 10. 1929. 10 Gemeinheiten der Schludermeier-Presse. In: HVZ Nr. 245, 21. 10. 1930; Auf Kosten

der Austräger. In: HVZ Nr. 2, 4. 1. 1932. 11 Vgl. etwa: Denkzettel für die Schmutz-Nachrichten. In: HVZ Nr. 21, 26. 1. 1931;

Nazi-Tageblatt in der Front der Ausbeuter. In: HVZ Nr. 67, 19./20. 3. 1932. 12 Vgl. beispielsweise nur für den Januar 1932: Wuchermieten für elende Wohnlöcher.

In: HVZ Nr. 6, 8. 1. 1932; Die ABG und das ›Echo‹. In: HVZ Nr. 11, 14. 1. 1932; Das ›Hamburger Echo‹ sabotiert den Kampf der Arbeitermieter. In: HVZ Nr. 13, 16./17. 1. 1932; ›Hamburger Echo‹ in Nöten. In: HVZ Nr. 14, 18. 1. 1932; Begeistertes Nazilob für Leipart. In: HVZ Nr. 17, 21. 1. 1932; Das ›Echo‹ hetzt gegen die kämpfende Ar-beiterschaft. In: HVZ Nr. 18, 22. 1. 1932; Werft das ›Echo‹ raus. In: HVZ Nr. 19, 23. 1. 1932.

13 Selbstverhöhnung der Volkszeitung. In: HE Nr. 33, 3. 2. 1932; So sehen ihre Beweise aus. In: HE Nr. 6, 6. 1. 1929.

14 Vgl. etwa: Die Ahnungslosen. In: HE Nr. 34, 4. 2. 1932; »Zwischenruf von rechts«. In: HE Nr. 42, 13. 2. 1932; Der Denunzianten - Roman in Fortsetzungen. In: HE Nr. 51, 24. 2. 1932; Hellsehen - die große Mode. In: HE Nr. 52, 25. 2. 1932.

15 »Gewissensschaukel«. In: HT Nr. 214, 19. 9. 1932. 16 Die Front unter dem Strich. In: HT Nr. 221, 27. 10. 1931. 17 Vgl. etwa: Noch ist die Zeit nicht gekommen. In: HN Nr. 379, 14. 8. 1932; Die neue

Lage. In: HN Nr. 380, 15. 8. 1932; NSDAP lehnt Papen-Programm ab! In: HT Nr. 203, 6. 9. 1932; Papen hat zu verschwinden! In: HT Nr. 209, 13. 9. 1932; Wir sind tot-gesagt. In: HT Nr. 214, 19. 9. 1932.

18 Das ›Hamburger Tageblatt‹ – ein Schädling der nationalen Bewegung. In: HN Nr. 520, 4. 11. 1932; Die Hamburger Nachrichten - eine Zierde der nationalen Bewegung. In: HT Nr. 252, 6. 11. 1932.

19 Was will er eigentlich? In: HT Nr. 214, 19. 10. 1931. 20 Lügen, die letzte Waffe des ›Echos‹. In: HT Nr. 78, 3. 4. 1932. 21 Zitate aus: Die Hamburger Nachrichten unentwegt hinter Hitler. In: HE Nr. 93, 3. 4.

1931; Das nennt sich gerechte Justiz. In: HE Nr. 161, 6. 7. 1932. An der Straße Speers-ort in der Hamburger Innenstadt stand das HN-Verlagshaus. Das ›Tageblatt‹ wurde im HE allenfalls als das »Nazi-Käseblättchen« bespöttelt. Bekenntnisse. In: HE Nr. 32, 2. 2. 1932; Eine Unfreundlichkeit. In: HE Nr. 40, 11. 2. 1932.

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22 Verlumpung am Speersort. In: HE Nr. 155, 29. 6. 1932. Vgl. auch: Unrassigkeiten des

»Judenblatts«. In: HE Nr. 26, 26. 1. 1931; Wohlverdiente Orden. In: HE Nr. 111, 22. 4. 1931; Das Geschäft über alles. In: HE Nr. 317, 17. 11. 1931; Journalistische Deser-teure. In: HE Nr. 51, 24. 2. 1932; Schlotternde Angst... In: HE Nr. 18, 21. 1. 1933.

23 Fremdenblatt-Objektivität. In: HE Nr. 60, 5. 3. 1932. 24 Der Zensor aus dem Herrenklub. In: HE Nr. 246, 13. 10. 1932. 25 Eine üble Erscheinung. In: HE Nr. 177, 25. 7. 1932. 26 Goebbels über den kommenden Kampf. In: HT Nr. 7, 8. 1. 1932; Goebbels spricht bei

Sagebiel. In: HN Nr. 8, 8. 1. 1932; Dr. Goebbels neue Kampfansage an Brüning. In: HF Nr. 8 A, 8. 1. 1932; Dr. Goebbels in Hamburg. In: HA Nr. 8, 8. 1. 1932.

27 C. Brackmann: Die Wissenschaft in den Redaktionen. In: ZV 30. Jg., 1929, Nr. 22 (= Sonder-Nr. zur Jahresversammlung des Vereins Deutscher Zeitungsverleger), S. 37-37.

28 Wilhelm Kapp: Das deutsche Feuilleton. In: ZV 32. Jg., 1931, Sp. 166-168, hier: Sp. 168.

29 Vgl. etwa: Friedrich Bertkau/Karl Bömer: Der wirtschaftliche Aufbau des deutschen Zeitungswesens. Berlin: Duncker & Humblot 1932 (= Zeitung und Zeit, Bd. 3) S. 192.

30 Hans Hartmeyer: Deutsche Zeitungsverleger in Wien. In: HN Nr. 262, 9. 6. 1931. Hartmeyer war Verleger der ›Hamburger Nachrichten‹. Vgl. auch schon die Rede von Martin Carbe in: Die Zukunft der Sozialpolitik. Die Not der geistigen Arbeiter. Jubi-läumstagung des Vereins für Sozialpolitik in Eisenach 1922. Mit Beiträgen zum 50jährigen Jubiläums des Vereins von Lujo Brentano u. a. München und Berlin: Duncker & Humblot 1923 (= Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 163), S. 217-220. Carbe war Generalbevollmächtigter des Mosse-Verlags.

31 Das Dritte Reich kommt nicht! In: HE Nr. 15, 15. 1. 1932; Der Tag der Eisernen Front. In: HA Nr. 12, 15. 1. 1932. Ansonsten berichtete nur noch das ›Fremdenblatt‹ klein auf seiner siebten Seite: Die »Eiserne Front«. In: HF Nr. 15, 15. 1. 1932.

32 Vgl. ausführlicher: Führer (2008), S. 291-300 (wie Anm. 6). Zu den großen Lücken in der Berichterstattung bürgerlich-konservativer Zeitungen über NS-Gewalttaten vgl. auch: Florian Stadel: Die Reichstagswahlen von 1930 und 1932 und die Wahl zum preußischen Landtag 1932 im Spiegel der überregionalen deutschen Tagespresse. Uni-versität Bonn, phil. Diss. 1993, S. 269.

33 Die Bluttat im Nachtautobus. In: HF Nr. 75, 16. 3. 1931; Politische Bluttaten. In: ebd.; Seelische Verwirrung. In: HN Nr. 126, 16. 3. 1931.

34 Vgl. als Beispiele für diesen Hindenburg-Kult etwa: »Nur ein Mann für die höchste Würde: Hindenburg«. In: HA Nr. 27, 2. 2. 1932; Die Präsidentenwahl. In: HA Nr. 22, 27. 1. 1932; Hindenburgs nationales Gelöbnis. In: HA Nr. 58, 12. 3. 1932; Worauf es ankommt. In: HA Nr. 60, 11. 3. 1932; Mit ihm für Deutschland. In: HA Nr. 61, 12. 3. 1932; Tue deine Pflicht! In: ebd.

35 Vgl. allgemein für die deutsche Medienlandschaft der späten Weimarer Republik: Walter Karbe: Die gefühlsmäßige Leserin. In: ZV 34. Jg., 1933, Sp. 39-40, hier: Sp. 40.

36 Vgl. dazu etwa: Renate Schumacher: Radio als Medium und Faktor des aktuellen Geschehens. In: Joachim-Felix Leonhard (Hg.): Programmgeschichte des Hörfunks in der Weimarer Republik. 2 Bde. München: dtv 1997, Bd. 1, S. 423-621, hier: S. 424-451; Ulrich Heitger: Vom Zeitzeichen zum politischen Führungsmittel. Münster: Lit 2003.

37 In der Reihenfolge der Zitate: Wilhelm Ackermann: Jahreswende. In: DP, 22. Jg., 1932, S. 1-2, hier: S. 1; Jubiläums des Landesverbandes Hessen. In: DP, 23. Jg., 1933,

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S. 6-7, hier: S. 7; Wilhelm Ackermann: Pressefreiheit? In: DP, 21. Jg., 1931, S. 693-695, hier: S. 694.

38 Reinhild Rumphorst: Journalisten und Richter. Der Kampf um die Pressefreiheit zwischen 1920 und 1970. Konstanz: UVK-Medien 2001, S. 116 f.

39 Ebd., S. 157-162. 40 Ebd., S. 167-170. Die Frist für ein Zeitungsverbot wurde im Juni 1932 in einer weite-

ren Notverordnung wieder von acht auf vier Wochen reduziert. 41 Vgl. ebd., S. 138 f. Zur Handhabung der Bestimmung vgl. den Überblick bei: Klaus

Petersen: Zensur in der Weimarer Republik. Stuttgart: Metzler 1995, S. 122-155. 42 So feiern die Pfeffersäcke die Weimarer Ausbeuter-Verfassung. In: HVZ Nr. 183, 9. 8.

1930. 43 Amtsgericht Hamburg an Senatskanzlei, 22. 12. 1930, StA HH 131-4/1930 A 112,

nicht paginiert. 44 Vgl.: In eigener Angelegenheit. In: HVZ Nr. 151, 4. 7. 1929; 28mal Hochverrat. In:

HVZ, Sonder-Nr. zum 30. Jahrestag Ihres Bestehens, o. Datum [November 1948]. 45 In eigener Angelegenheit. In: HVZ Nr. 151, 4. 7. 1929. Wie verlässlich die hier ge-

nannte Summe der Geldstrafen ist, muss offen bleiben. Eine Liste der dokumentierten Summen verzeichnet nur bescheidene Summen. Vgl.: Christa Hempel-Küter: Die kommunistische Presse und die Arbeiterkorrespondentenbewegung in der Weimarer Republik. Das Beispiel ›Hamburger Volkszeitung‹. Frankfurt/Main und New York: Peter Lang 1989, S. 393-414.

46 Als Beispiel für eine der mit Unterstellungen arbeitenden Kampagnen vgl. z. B. die Angriffe auf den Altonaer Oberbürgermeister Max Brauer in: Altonaer Misswirtschaft. In: HVZ Nr. 44, 22. 2. 1932 u. Nr. 45, 23. 2. 1932; SPD-Brauer läuft zur Klassenjustiz. In: HVZ Nr. 47, 25. 2. 1932. Hier wird Brauer durch bewusst vage gehaltene An-deutungen nicht nur der Vetternwirtschaft, sondern auch noch des Ehebruchs bezich-tigt.

47 Vgl. die Aussage des HVZ-Redakteurs Heinrich Wienecke vor Gericht zit. in: Aus den Hamburger Gerichten. In: HE Nr. 99, 10. 4. 1929. Vgl. zu den Arbeiterkorresponden-ten der HVZ ausführlich: Hempel-Küter (1989), S. 224-251, hier insbes. S. 240 f. (wie Anm. 45). 1928 publizierte die HVZ rund 4.000 Arbeiterkorrespondenzen.

48 Vgl.: Hempel-Küter (1989), S. 135 f. (wie Anm. 45). 49 Vgl. genauer die Aufstellung: ebd., S. 389-391. 50 Vgl. die stolze Bilanz, die Erich Hoffmann als ehemaliger HVZ-Redakteur für seine

Prozesse und Strafen aufmacht, in: 28mal Hochverrat. In: HVZ, Sonder-Nr. zum 30. Jahrestag Ihres Bestehens, o. Datum [November 1948].

51 Der Polizei entwischt. In: HA Nr. 294, 17. 12. 1930. Zwei dieser illegalen Ausgaben finden sich in: StA HH 135-1 I-IV/3361 UA 2, nicht paginiert.

52 Neuer Terror! In: K.P.D.-Wahlzeitung, 14. 11. 1929. Das Verbot, das damit unterlau-fen wurde, dauerte vom 8. bis zum 23. November 1929.

53 Das HE vermutete 1930, die Geldstrafen der HVZ würden mit Geldern aus der UdSSR bezahlt. Hempel-Küter (1989), S. 396 (wie Anm. 45).

54 Aufstellung über die Verbote des ›Hamburger Tageblatts‹, o. Datum [November 1932], StA HH 135-1 I-IV/3363 UA 2, nicht paginiert.

55 Vgl. die Verfügungen des Präses der Polizeibehörde vom 16. 3. 1931, 10. 9. 1931 u. 30. 9. 1931, StA HH 135-1 I-IV/3363 UA 2, nicht pagniniert.

56 Verfügung des Präses der Polizeibehörde, 28. 6. 1932, ebd. Den Artikel mit dem Titel »v. Gayl, der Zauderer« vgl. in: HT Nr. 148, 26. 6. 1932. Zur Bestrafung von Jacobi

Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte • Band 10 • 2008 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008

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50 Karl Christian Führer

vgl.: Drei Monate Gefängnis für ein Pressedelikt. In: HA Nr. 189, 13. 8. 1932; Gift-spritzer Jacobi soll brummen. In: HE Nr. 194, 13. 8. 1932.

57 Verfügung des Präses der Polizeibehörde, 4. 8. 1932, StA HH 135-1 I-IV/3363 UA 2, nicht paginiert. Den Artikel mit dem Titel »Eine Scheinmaßnahme« vgl. in: HT Nr. 178, 4. 8. 1932. Zum letzten Verbot vgl.: Verbot des ›Hamburger Tageblatts‹. In: HN Nr. 496, 21. 10. 1932.

58 Albert Krebs: Tendenzen und Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die Frühzeit der Partei. Stuttgart: DVA 1959, S. 97-99.

59 Vgl. die Liste in: Kundgebungen, Entgegnungen und Verwarnungen auf Grund der Verordnungen gegen politische Ausschreitungen, o. Datum [November 1932], StA HH 135-1 I-IV/3363 UA 2, nicht paginiert. Insgesamt ergingen nach dieser Liste 17 Ent-gegnungen und Verwarnungen. Zwölf betrafen das HT, zwei die HVZ, je eine die HN und den in Berlin erschienenden ›Völkischen Beobachter‹, ein Fall ist keiner Zeitung zugeordnet. Allerdings ist die Aufstellung offensichtlich nicht vollständig, denn an an-derer Stelle findet sich ein Hinweis auf zwei weitere Verwarnungen der ›Hamburger Nachrichten‹. Siehe dazu unten.

60 Rumphorst (2001), S. 168 (wie Anm. 38). 61 Reichsbanner-Verbot in Aussicht?. In: HT Nr. 195, 28. 8. 1932. Vgl. weitere Angriffe

gegen Schönfelder etwa in: Eine Scheinmaßnahme. In: HT Nr. 178, 4. 8. 1932; Reichs-banner, Polizei und Senator Schönfelder. In: HT Nr. 180, 10. 8. 1932.

62 Senat an Schriftleitung des HT, 29. 8. 1932, StA HH 135-1 I-IV/3363 UA 2, nicht paginiert; Der Senat entgegnet. In: HT Nr. 196, 29. 8. 1932.

63 Schönfelder und das Reichsbanner. In: HT Nr. 198, 31. 8. 1932. 64 Schimpffreiheit für die Helden des dritten Reiches. In: HE Nr. 8, 8. 1. 1932. 65 Vgl. zu den angeführten Fällen: Dr. Krebs freigesprochen und verurteilt! In: HT Nr.

21, 24. 1. 1931; Wenn Nazis vor Gericht stehen. In: HE Nr. 24, 24. 1. 1931; Das Sys-tem wieder einmal unterlegen. In: HT Nr. 89, 10. 5. 1931; »Wieder einer für unsere schwarze Liste«. In: HN Nr. 244, 29. 5. 1931; Eine unmögliche Anklage zusammenge-brochen. In: HT Nr. 159, 2. 8. 1931; Mißbrauch der Rechtsprechung. In: HT Nr. 216, 21. 10. 1931.

66 Nationalsozialisten - Freunde! In: HT Nr. 194, 20. 9. 1931. 67 Eure Gnade wollen wir nicht! In: HT Nr. 224, 30. 10. 1931. 68 Ein neuer Reinfall für den Berliner Polizeipräsidenten. In: HT Nr. 23, 27. 1. 1932. 69 Ebd. 70 Vgl. allgemein zu dieser Kampagne und zu den von Weiß angestrengten Prozessen

gegen NS-Zeitungen: Dietz Bering: Kampf um Namen. Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels. Stuttgart: Klett-Cotta 1991.

71 Vgl. das ausdrückliche Lob für die Hamburger Justiz in: Mißbrauch der Rechtspre-chung. In: HT Nr. 216, 21. 10. 1931.

72 Senat an Hauptschriftleitung der HN, 30. 6. 1932, StA HH 135-1 I-IV/3358 UA 5, nicht paginiert. Die Artikel, auf die sich die Verwarnungen bezogen, sind hier nicht genau bezeichnet. Wahrscheinlich handelte es sich um: Gut hamburgisch allewege! In: HN Nr. 3, 3. 1. 1932; Sinnlos und gefährlich. In: HN Nr. 173, 14. 4. 1932; Das Ke-renski-Stadium. In: HN Nr. 174, 14. 4. 1932. Verwarnungen (die in der Regel nicht öffentlich gemacht wurden) konnten ausgesprochen werden, wenn eine Zeitung durch ihre Berichterstattung die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdete, die Behörden aber von den Möglichkeiten der Beschlagnahme und des Verbots keinen Gebrauch machten. Reichsgesetzblatt 1931, T. I, S. 436.

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Politische Kultur und Journalismus 51

73 Offener Brief an den Reichskanzler v. Papen. In HN Nr. 298, 28. 6. 1932. 74 Was sagt die Reichsregierung dazu? In: HE Nr. 155, 29. 6. 1932. 75 Präses des Senat an Reichsminister des Innern, 30. 6. 1932, StA HH 135-1 I-IV/3358

UA 5, nicht paginiert. 76 Die ›Hamburger Nachrichten‹ werden verwarnt. In: HN Nr. 304, 1. 7. 1932. Vgl. auch:

Unsere Antwort an den Senat. In: HN Nr. 306, 2. 7. 1932. Der Senat hatte die Verwar-nung ungewöhnlicherweise durch eine Pressemitteilung öffentlich bekannt gegeben.

Zusammenfassung Der Aufsatz betrachtet die Tagespresse in den Krisenjahren der Weimarer Republik nach 1929 als eigenständigen Akteur im System der Politik. Im stark fraktionierten Ensemble der großstädtischen Zeitungen fand die innere Zerrissenheit der deutschen Gesellschaft nicht einfach nur ihren Ausdruck; sie wurde von den Zeitungen vielmehr beständig neu inszeniert, perpetuiert und intensiviert. Gerade in dieser schweren sozialen und politischen Krise haben Journalisten entscheidend zur Vergiftung des politischen Klimas in Deutschland beigetragen, weil sie die weltanschauliche »Führung« der Leser als ihre Hauptaufgabe verstanden. Nachrichtenmanipulationen galten nicht als Verstoß gegen den Auftrag der Presse. Hinzu kam eine wachsende Unduldsamkeit der Zeitungsleser gegen alle Informationen, die ihr geschlossenes Weltbild störten. Staatliche Versuche, die politische Hetze in Tageszeitungen einzudämmen, erwiesen sich als weitgehend wirkungslos. Summary Using evidence from the late years of the Weimar Republic, the essay suggests to regard the press as an active protagonist in politics and society. It draws attention to the fact that jour-nalists intensified and perpetuated the manifold political and social conflicts that unsettled Germany after 1929 since they set themselves the task »to lead« readers in matters of politics and »Weltanschauung« rather than to inform them. Manipulative distortions of news were widespread and not regarded as unprofessional. These strategies met with little resistance since readers became more and more intolerant against all information that contradicted their world view. Efforts of the authorities to check rabble-rousing political propaganda in the press also proved to be ineffective. Korrespondenzanschrift Prof. Dr. Karl Christian Führer, Universität Hamburg, Historisches Seminar, Von-Melle-Park 6, 20146 Hamburg E-mail: [email protected]

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