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1 Otto v. Stritzky Rhone - Weg zum Mittelmeer 1951 Dieser Bericht war bisher enthalten in dem Buch Donau, Elbe, Rhone, Mittelmeer — vom Boot aus gesehen Er steht jetzt unentgeltlich zur Verfügung und bringt Ihnen hoffentlich beim Lesen einen Nutzen. Wie wäre es als Dank dafür mit einer Spende an die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger? Die finanziert aus- schließlich aus solchen Einnahmen die Hilfe für auf See in Gefahr geratene Menschen, auch für Kleinbootfahrer — vielleicht mal für Sie? Überweisung dann bitte an DGzRS, Konto Nr. 107 2016, BLZ 290 501 01, Sparkasse Bremen Und wenn Sie nach dem Lesen des Berichtes Fragen beantwortet haben möchten, dann schreiben Sie uns bitte Otto v. Stritzky und Marja de Pree Im Birkenfeld 13 A, 65779 Kelkheim-Eppenhain Tel / Fax 06198-8657, e-mail <[email protected]> Text und Bilder dieses Berichtes sind Eigentum des Autors bzw. seines Verlages. Sie dürfen ohne schriftliche Genehmigung nicht vervielfältigt oder in Publikationen über- nommen werden, sei es gedruckt oder mittels elektronischer Medien. Auch die Wei- terverbreitung auf andere Weise, sowie Übersetzungen, unterliegen den Bestimmun- gen des Urheberrechts und damit der Zustimmung des Autors / des Verlages.

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Otto v. Stritzky

Rhone - Weg zum Mittelmeer

1951

Dieser Bericht war bisher enthalten in dem Buch

Donau, Elbe, Rhone, Mittelmeer — vom Boot aus gesehen

Er steht jetzt unentgeltlich zur Verfügung und bringt Ihnen hoffentlichbeim Lesen einen Nutzen. Wie wäre es als Dank dafür mit einer Spende andie Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger? Die finanziert aus-schließlich aus solchen Einnahmen die Hilfe für auf See in Gefahr gerateneMenschen, auch für Kleinbootfahrer — vielleicht mal für Sie?

Überweisung dann bitte an

DGzRS, Konto Nr. 107 2016, BLZ 290 501 01, Sparkasse Bremen

Und wenn Sie nach dem Lesen des Berichtes Fragen beantwortet habenmöchten, dann schreiben Sie uns bitte

Otto v. Stritzky und Marja de PreeIm Birkenfeld 13 A, 65779 Kelkheim-EppenhainTel / Fax 06198-8657, e-mail <[email protected]>

Text und Bilder dieses Berichtes sind Eigentum des Autors bzw. seines Verlages. Siedürfen ohne schriftliche Genehmigung nicht vervielfältigt oder in Publikationen über-nommen werden, sei es gedruckt oder mittels elektronischer Medien. Auch die Wei-terverbreitung auf andere Weise, sowie Übersetzungen, unterliegen den Bestimmun-gen des Urheberrechts und damit der Zustimmung des Autors / des Verlages.

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Deutschland war von den Siegern besetzt undin Zonen unter ihrer Kontrolle aufgeteilt. Weraus einer dieser Besatzungszonen raus wollte,der musste schon gewichtige Gründe angebenkönnen, sonst bekam er weder ein Reisepapier,noch das Geld in fremder Währung, die Devi-sen. Was also tun, wenn man wie wir, Haraldund ich, mit dem Faltboot auf die Rhone will?Auf den Strom, der in den Alpen entspringtund ins Mittelmeer mündet? Im Winter1950/51 halfen uns Freunde beim HamburgerSportbund, dem Dachverband hanseatischerVereine. Sie bescheinigten:

„Es handeltsich um eine Jugendleiterfahrt,

die auf Veranlassung und mit Unterstützungdes HSB durchgeführt wird. Der Zweck istJugendleiter-Austausch zwischen Deutschenund Franzosen.“ Kein Wort wahr – aber gut.

Von der <Allied High Commission for Germany>wurde daraufhin ein TEMPORARY TRAVELDOCUMENT ausgestellt: Mit vorschriftsmä-ßiger Einreisegenehmigung gültig nur fürAustria, Belgium, Denmark, France, Greece,Italy, Liechtenstein, Luxembourg, Nether-lands, Norway, Saar, Sweden, Switzerland andUK. Nicht für Spanien und Portugal, nicht fürLänder im Osten. Auch die Saar war damalsnoch Ausland — wurde von den Franzosen erst1957 wieder zurückgegeben. Benutzungsdauerdieses Reise-Dokumentes zwei Jahre. Eintra-gungen auf Englisch, z.B. Profession merchant.Nun also gab es auch Devisen. Für unsere<Jugendleiterfahrt> bewilligte die Behördefür jeden von uns den Umtausch von 170Deutschen Mark in 40 US Dollar. Ziemlichgenau also zahlten wir für einen Dollar 4,20DM. Ein Kursverhältnis, zu dem die Ameri-kaner billig reisen und einkaufen konnten.Für die 40 Dollar gab es französischeGeldscheine – wie viele weiß ich nichtmehr. Reichen mussten die für 22 Tageunterwegs. Zu bezahlen waren dann nochdie Bahnfahrkarte mit DM 153,75 und

Visa-Gebühren: Für Frankreich DM 10,00, Ita-lien 4,50, Schweiz 2,00. Reisekosten insge-samt also DM 340,25. die entsprachen fastgenau mein Monatseinkommen brutto bei derDeutschen Maizena AG in diesem Jahr.Harald war als Lehrling in dieser Firma mir imVerkaufsbereich zeitweise zugeteilt. Und da

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zu der Zeit keine der Freundinnen mitkonnte, fuhren wir beide los. Woraus sicheine Freundschaft entwickelte, die bis heu-te blieb.Die Rhone: Sie entsteht aus dem Rhoneglet-scher, 1753 m über dem Meer, im schweize-rischen Kanton Wallis. Auf ihrem Wegdurchfließt sie den Genfer See und erreichtnach 753 km das Mittelmeer: „Vielleichtkönnten wir auf dem noch weiter paddeln?“Auf den rd. 160 km in der Schweiz Wildwas-ser und einige E-Werke. Bis 60 km nach demVerlassen des Genfer Sees gab es damalsdrei weitere von diesen den Fluss sperren-den Stromerzeugern und noch einen kurzvor Lyon. Danach aber lockte die freieFahrt bis zum Meer. Mit schneller Strö-mung durch eine großartige Landschaft. Da-mit aber ist es inzwischen vorbei. Etwa 20mal müsste man heute aussteigen, umtragen,oder sich von Schleuse zu Schleuse auflangsamem, nicht sauberem Wasser bewe-gen. Die geschilderte Fahrt ist also einStück Nostalgie und so nicht mehr wieder-holbar.Die Möglichkeiten ins Ausland zu fahren,wurden dann langsam aber sicher besser. AbEnde 1951, nach Lockerung des Besatzungs-statutes, gab es wieder deutsche Vertretun-gen im Ausland. Ab 1953 konnte jeder Bundes-bürger mit DM 1.500 pro Jahr in eine fremdeWährung umgetauschtem Geld frei reisen. Die

Devisen-Beschränkungen endeten allerdingserst einige Jahre später ganz und 13 europäi-sche Länder hoben schließlich den Visum-Zwang auf. Womit nach Fress– und Kleider-die Reisewelle zu rollen begann ...

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„Jetzt stapfen die Kollegen ins Büro, hockenan vollen Schreibtischen, Aufträge werdenverteilt...“ – morgens nach mehr als 13 Stun-den Fahrt, eingequetscht im vollen Acht-Personenabteil des D-Zuges nach Straßburg.Schlafen? Aussichtslos, der Wagen rütteltund schlingert und jedes Mal wenn er hält,will jemand raus oder rein. Aber wir haben jaUrlaub, die erste Faltbootfahrt im Ausland!Umsteigen an der Grenze und in Amberieux.Unser Zug fährt durchs Elsass und durch dieBurgundische Pforte: Ca. 350 m über demMeeresspiegel bildet sie zwischen Vogesenund Jura die Wasserscheide Rhein / Rhone.Eroberer und Verfolgte zogen früher durchihre 30 km breite Senke, zu Fuß, mit Pferdund Wagen. Heute brausen wir auf Schienenhindurch, Autostraßen nutzen die Enge, undder Rhein-Rhone-Kanal an dem wir zeitweiseentlang fahren. Danach ist es der Doubs,dann der Lac d’Annecy. Und schließlich sindwir in Aix les Bains, gerade 23 Stunden nachunserer Abfahrt in Hamburg. Welch ein Kon-trast: Südlich warme Luft — jetzt, am schonspäten Abend, brauchen wir weder unserePullover noch Jacken.„Hier könnte ich bleiben...“, meint Harald.

Langer Weg zum Lac de Bourget, zum Seeauf dem unsere Wanderfahrt im Boot begin-

nen soll. Wir ziehen das Faltbootgepäck aufdem Bootswagen hinter uns her und findenschließlich in der Dunkelheit einen von derUferstraße etwas abgelegenen Grasplatz.Jenseits plätschern die Wellen, diesseits hu-schen Reklame-Scheinwerfer übers raschaufgebaute Zelt. Dass nachts ab und zu einAuto vorbei fährt, stört nicht einmal dieTräume. Träume vom Losziehen?Kräftige Wellen am Morgen. Sie branden ge-gen das Ufer und rollen über die Betonpisteauf der wir das Boot aufbauen.

Rhonefahrt

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Den RIH II - wer Karl May gelesen hat, weißes: Benannt nach dem rassigen Araber-Hengstdes Kara ben Nemsi. Die II weil es mein zwei-tes Faltboot ist. Relativ schmal, der KetteWanderzweier, mit ‘nem Kiel statt einer brei-ten Leiter als Boden. Schnell dadurch, wozudie Tropfenform des Rumpfes ihren Teil bei-trägt. Und trotzdem können wir genug Gepäckmitnehmen. Kaum sitzen wir im Boot, da pa-cken uns schon von den Bergen fallenden Böen.Richtiger Seegang und kaum Zeit um zu denSchlössern und Klöstern zu schauen, zu denVillen, die an den zum Wasser hin abfallendenBergen stehen. Mit knapp 20 km Länge ist die-ser See der größte Frankreichs. Und irgendwosoll aus ihm der Canal de Savières hinaus undzur Rhone führen. Aber wo? Fischer zeigenden Weg - zwischen Schilfwänden verstecktdie Einfahrt zum Kanal. Kanal? Als schmalesFlüsschen, keine vier Kilometer lang, windet ersich durch die grüne Landschaft. Ruhig undschön, malerische Blicke zu den Bergen undzum alten Ort Chanaz.„La joli village“, nennt ihn unser Rhone-Handbuch. Uralte Häuser vor denen die Netzetrocknen, eine Frau beim Waschen, Kinder, diegern mitfahren würden.Dann steuern wir hinaus in den breiten, sehrschnellen Strom: Ein tolles Gefühl – wir sindauf der Rhone. Aufregend, ja begeisternd.Denn nun wird uns dieser Fluss weit nach Sü-den bringen. Und wir werden mit ihm, auf ihm

leben, von seiner Kraft profitieren, seinenLaunen ausgeliefert sein.Stromstrudel und kleine Schnellen – das Bootreagiert auf Paddel-Korrekturen, das Steuernur, wenn wir schneller sind als die Strömung.Aber daran gewöhnen wir uns. Und da wir bei-de müde sind, zelten wir schon zeitig am linkenUfer. Das Kochen an diesem Abend können wiruns sparen: Die Weintrauben rundherum sindlecker, süß und nahrhaft.

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Geruhsame Fahrt in den Tagendarauf. Oft lassen wir uns ein-fach faul treiben. Einmal sogarüberholen wir ein Faltboot ausHeidelberg, dessen Besatzungdemnach noch fauler ist als wir.Aber immerhin knipsen sie unsund wir sie.

Dann wieder lockt das Paddeln durchdie Berge, unter alten Brücken hin-durch, an kleinen Ortschaften vorbei.Das Wasser: Kalt! Schwimmen stetsnur ein kurzes Vergnügen. Aufpassendabei - der Strom nimmt einengleich mit und landen kann man nichtüberall. Vorsicht auch wegen derhier berüchtigten Schwemmsände,in denen man angeblich versinkt –wohin? Unbekannt. An einem Abendsteht unser Zelt auf einer Insel.Wo? Keine Ahnung. Sich in dieserunbewohnten Gegend zu orientie-

ren ist schwierig. Aus unserem Buchjedoch wissen wir wenigstens, dass bald hefti-ge Stromschnellen kommen werden...

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Mit „tres vive“ über 2.000 m waren sie beiSault Brenaz angekündigt. Schon von weitemdroht ihr lauter werdendes Rauschen. Spritz-decke gut zu und Tempo. Einige Wellen klet-

tern übers Boot, andere lassen uns schaukeln,dann aber sind wir durch. Und atmen beidehörbar auf: „Was, wenn ...?“ Es ging gut so.Wieder Ruhe auf dem Wasser, das immer nochflott strömt. In einem kleinen Dorf kaufen wirpain et fromage und bis zum frühen Abendsind wir dann schon 35 km weiter flussab. Er-neut bei einem Hindernis: „À droite barrage etl’usine electrique de Jonage“ - die Sperre mitdem Kraftwerk ist nicht zu übersehen. Breitliegt sie quer über dem Fluss und verlangt um-tragen zu werden. Ziemlich weit und mühsam.Damit ist‘s auch genug für diesen Tag – wirzelten gleich am Ende der Portage, am CanalJonage.

Von hier aus fehlt nun die Strömung. Brücken,Brücken, Brücken - auf dem Wege nach und inLyon, Frankreichs drittgrößter Stadt. Eine vondenen wird gerade repariert: Baustelle – voll

gesperrt. Blöde Schlepperei durch denSchutt über Kabel und Schienen. Danachdann dreht der Fluss auf - Strudel undStromschnellen. Und schnell sind wirzwischen Häusern, Autos und Krach derGroßstadt.Vor der laut Buch gefährlichsten Durch-fahrt, unter einer der alten Brücken,steigt Harald aus und geht mit unserenPapieren, mit Film- und Fotoapparat aufder Straße nebenher - allein rutsche ichim Boot in die Widerwellen hinter denbreiten Brückenpfeilern. Mit einem et-

was unwohlen Gefühl im Bauch.Aufpassen und nicht in den wie ein Trichtersich vertiefenden Strudel geraten, den ich zu-vor von der Brücke aus gesehen hatte. Aber esgeht - an seinem äußeren Rand mit Tempo vor-

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bei. In unserem Flusswanderbuch stand wasvon „starke Deckwalze, mehrere tödliche Un-fälle“. Darum die vielen Zuschauer am Kai?Komische Typen die hierherumlungern, unbeauf-sichtigt können wir dasBoot nicht liegen lassen.Darum macht nur Haraldsich landfein und bum-melt ein wenig durch dieGroßstadt. „Chiques etcharmantes“ ist seinKommentar nach Rück-kehr. Für die damit ge-meinten hübschen Mäd-chen hätte er jedochnicht so weit laufenmüssen - bei mir am Kai,wo ich zeichne, versam-melte sich eine ganzeGruppe von denen. Nur:Hätte ich doch in derSchule Französischstatt Latein gelernt ...!Von nun an hat die Rho-ne es sehr eilig. Mitmindestens 12 km/std „messen“ wir ihr Tem-po. Wohl nicht sehr genau und übertrieben,aber sie ist schnell, sehr schnell. Da kommenwir auch ohne zu paddeln voran. Wie im Film,auf einer breiten Leinwand, zieht die Land-schaft vorbei.

Bei Condrien ein Restaurant am Fluss, dasBeau Rivage. Übers Wasser gebaute Terrasse,Sonnenschirme, gepflegte Tische und leckeres

Essen. Dass wir nurdrei Gänge bestellen,findet der Oberseltsam. Doch als ersieht, dass wir mit´nem kleinen Bootund nicht im dickenAuto kamen, da ver-steht er: „Messieurssportives, très bien“,und er füllt unsereGläser ohne zusätzli-che Berechnung nocheinmal. Deutsche? Eswäre gut, dass dieauch wieder kämen,so wie früher, vordem unseligen Krieg.Dieses Essen reißtkein großes Loch inunsere Reisekasse.Nur die Trauben zumNachtisch hätten wir

uns sparen können, das aber wissen wir erstabends. Denn da wachsen, nein wuchsen siehinterm Zelt.Der Fluss wird breit. Trotzdem behält er sei-ne Geschwindigkeit und wir werden immer fau-ler. Liegen im Boot, Arme und Füße außen-

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bords, nehmen ab und zu einen Schluck aus derzwecks Kühlung draußen unter Wasser mitfah-renden Trinkflasche. Es rauscht vorn irgend-wo? Da werden wir wach. Beim „Table du Roi“zum Beispiel, einem Felsen auf dem ein Louiswährend seines Kreuzzuges gespeist habensoll. Oder wenn, vermutlich wegen Untiefen imFluss, Stromschnellen eine Kursänderung ver-langen. Platz zum Ausweichen ist genug. Meistsind wir die einzigen, die hier unterwegs sind -selten, sehr selten, ein Kahn oder ein Boot mitAnglern.Doch dann, in Valence, da ist Betrieb. Franzö-sische Kanuten üben mit Zweier-Kanadiern dasWenden und die Querung des Flusses, nutzen

das Kehrwasser um wieder zurück zu dem Pon-ton zu kommen an dem wir anlegten. NetteLeute, Fachsimpeln über Boote und Paddel, oh-ne ein Wort über den Krieg oder, besser ge-sagt, über die Kriege zwischen den beiden

Nachbarn Deutschland und Frankreich.In weniger als 100 Jahren waren es drei: 1870hatte Preußen eine Kriegserklärung Frank-reichs ausgelöst. Ein Jahr später waren deut-sche Soldaten in Paris, der Krieg endete undaus u.a. Preußen wurde, auch dadurch, 1871 dasDeutsche Reich. 1914 begann der erste Welt-krieg – wieder standen sich Deutsche undFranzosen gegenüber - die Armeen beiderLänder verbluteten in Kämpfen auf französi-schem Boden. Mit der Kapitulation Deutsch-lands im französischen Compiegne endete die-ser Krieg. Aber: Franzosen besetzten danachTeile Deutschlands und blieben bis in die Mit-te der Zwanzigerjahre, vorgeblich um Repara-tionsleistungen des Reiches zu sichern.Die Folge: Ein fast schon traditioneller Völ-kerhass. Und dann der zweite Weltkrieg: 1939erklärte Frankreich, einem Abkommen mit demvon Hitler angegriffenen Polen entsprechend,Deutschland den Krieg. 1940 wurde das Landvon deutschen Truppen erobert. Nicht ganz:Die Gegend, in der wir hier paddeln, blieb, ei-nem Waffenstillstandsabkommen gemäß, unterder in Vichy amtierenden Regierung des Mar-schall Petain zunächst noch frei. Bis zum No-vember 1942, da war auch das vorbei: Deut-sche Truppen besetzten nun auch noch denRest französischen Bodens. Und erst ab Juni1944, mit Landungen der Alliierten, endet dannnach und nach die deutsche, die feindlicheHerrschaft.

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Mussten nicht die vielen unguten Erinnerungenan diese erst wenige Jahre zurückliegendeZeit, an uns Deutsche, auch in den Köpfen je-ner sein, die sich da mit uns unterhalten? Kön-nen wir ihnen zeigen, dass die Verständigungzwischen den Menschen unserer beider Ländergut und ganz normal sein kann, dass Sport ver-bindet? Wir versuchen es jedenfalls.Einer von denen, mit denen wir sprechen, istFrancois, baumlang, dunkle Haut und nett.Mein erster etwas näherer Kontakt mit einemSchwarzen. Was es in Valence alles zu sehengibt, das beschreibt er wie ein Fremdenfüh-rer. Und fragt ob wir nicht bei ihm im HotelTherminus am Place de la Gare übernachtenwollten, wo er für uns sorgen würde. Wir hät-ten kein Geld? Er nickt und lächelt verständ-nisvoll.„Durfte“ Harald in Lyon bummeln, hier bin ichdran. Schön ist die Stadt. Ausgedehnte Park-anlagen, überall blüht es und duftet. Düfteauch auf dem Marktplatz, wo Fische und Obstvon Tischen, Tücher, Schuhe und auch Gemüsevom nicht gerade sauberen Asphalt weg ver-kauft werden. Niemand scheint das zu stören.Dieser Trubel, die vielen und lauten Stimmen,Lachen, Pfeifen und sogar Singen - was für einanderes Leben als in unserer ernsten und ehernachdenklichen nordischen Welt. Ich hattedavon zwar schon in Büchern gelesen - dieWirklichkeit aber ist so viel heiterer und lus-tiger, die Menschen locker und unkompliziert.

Warum können wir nicht auch so sein?Eine Frage, über die wir abends im Zelt disku-tieren. Mit dem Ergebnis – ja, mit welchem?Ich glaube es gab gar keines. Weil einer vonuns inzwischen einschlief. Vermutlich war ichdas. Denn plötzlich wache ich vom Knarren desalten Baumes neben dem Zelt auf. Nur nochRudimente seiner Wurzeln stecken im Ufer-sand, ein Hochwasser hat ihn unterspült. Wennder Wind nun noch zunimmt und der umfällt?„Dann stimmen bei mir Geburts- und Sterbe-datum überein“, geht’s mir durch den Kopf undich habe Angst. Harald, den ich wecke, weni-ger. Aber er fügt sich müde und leise brum-mend dem „Älteren und Erfahrenen“ und wirbauen das Zelt in sicherer Entfernung nocheinmal auf. Natürlich: umsonst, denn der Baumsteht auch am nächsten Morgen noch. Und wirfeiern mit einem zu Hause noch seltenenStück Schokolade Geburtstag.

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Rhonebrücken

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Wir landen in Le Teil. Zur Ardèche wollen wir,zu dem Fluss, der durch die Cevennen zur Rho-ne fließt. „Morgen früh nehmen wir euer Bootmit, so wie es ist – alles gratuitement“, erklärtder Diensthabende am Bahnhof, „unsere Wag-gons sind lang genug. Und bis dahin lagern wires bei uns ein“. Alles gratis? „Ein Sport-Service der Eisenbahn.“So haben wir Zeit. Strolchen durch den alten,romantischen Ort. Häuser in früheren Jahr-hunderten aus Felssteinen gebaut. Ein mittel-alterliches Kastell, dicke Mauern und Wehr-gänge. Enge Gassen, die sich steil den Berg-hang hinauf ziehen. Und ganz da oben, in denWeinbergen, da finden wir sogar unseren Zelt-platz für die Nacht. Mit großartigem Blick ü-ber die Rhone-Ebene, über den Fluss der uns

hierher brachte: Dass die Trauben uns auchhier „in den Mund wachsen“ - so falsch ist dasnicht. Schließlich müssen wir ja die knappenDevisen schonen.Morgens begrüßt uns „unser Freund“ GeorgesBouchon am Bahnhof - die dienstliche Eisen-bahnermütze über Hemd und Hosenträgernweist ihn als Kommandant des Zuges nachVogue/Ardèche aus. Von unserem Abteil ausdirigiert er ihn, nur widerwillig unterbricht erseine Erzählungen beim Halt auf mehrerenStationen. Und offensichtlich reicht ihm unserhäufiges „oui, oui“ zu manchmal nur teilweisegut Verstandenem.Wo wir dann mittags ankommen und ausladen,ist es glutheiß. Flüssig gewordener Straßenbe-lag klebt unter unseren Schuhsohlen. Und dieRollläden der Geschäfte in Vogué sind dicht,Siesta, geschlossen. Bis auf den einen Laden,dessen dicke Besitzerin sich die Anstrengungdes Bedienens und des Schwitzens extra ver-golden lässt. Jedenfalls zahlen wir über 700Francs für Makkaroni, Käse, Marmelade, Mar-garine, Mehl, Eier, Zucker, Rosinen, Milchpul-ver, Puddingpulver, Suppenwürfel und Brot.„Was soll es, vor drei Jahren noch hätten wirnichts davon bei uns so einfach kaufen kön-nen“, erinnert Harald, „auf Karten gab’s jakaum was. Auf dem schwarzen Markt? DerWein, den wir jetzt kaufen, wäre da unver-

Ardèche

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schämt viel teurer gewesen. Passen zwei Fla-schen irgendwo unters Deck? Könnten ja nocheinmal Deinen Geburtstag feiern ...“An einem Brunnen füllen wir „Salome“, unsereGummikuh, mit Trinkwasser und wandern zumFluss. Das soll er sein?Unter dem Bogen der al-ten hohen Straßenbrückedehnt sich eine Mondland-schaft mit ‘nem ärmlichenRinnsal.„Viel Steine gab’s und we-nig Wasser - stand dasnicht in der Bibel?“ Nun,nach den ersten hundertMetern Treideln des fürdiese Wassertiefe viel zuschwer beladenen Booteskönnen wir einsteigen. Fürein kurzes Stück jeden-falls. Dann knirscht esunterm Kiel: Raus. Und beidem Raus - Rein bleibt esdann auch während dernächsten Tage - die Wan-derfahrt wird zum Fahr-tenwandern.Zu einem sehr reizvollenjedoch. Denn wir ziehendurch eine der wildesten, Landschaften desKontinents. Durch Cañons, in deren Wändenriesige Grotten gähnen. Durch seenartige

Flussabschnitte, in deren glasklarem grünenWasser große weiße Fische sich beim Schwim-men und Tauchen berühren lassen. Äußerstschwieriges Umtragen von Mühlen und Wehrenwechselt mit auch mal längerem Paddeln im

schnellen Wasser. Dasswir im Wildwasser uner-fahren sind, das zeigtsich, als wir nach demPassieren einer Strom-schnellenstrecke in derKurve unter einen Prall-hang und fast untersWasser gedrückt wer-den. Gerade noch könnenwir das bereits gut ge-füllte und dadurchschwere Boot auf einerKiesbank bergen.Ortschaften wie St.Maurice und Balazuc sindmalerisch in die Ufer ge-baute Felsennester. Füruns kaum erreichbar, dieChancen miserabel fürsAnlanden. Nur selten einAngler am Ufer, winzigin Relation zu den groß-artigen Formationen. So

wie auch wir in unserem kleinen Boot.Die Nacht auf einer flachen Bank aus ange-schwemmtem Geröll ist Erholung, das Abend-

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essen keineswegs: „Seifen-Pfannkuchen“ - die in Vogue ge-kaufte Margarine muss wohl soalt wie die Felsen hier gewesensein.Als wir am Morgen darauf wei-tergehen, da bekommt dasWandern eine neue Variante:Statt Kies sind es nun große,manchmal spitze, dann wiederrunde und glitschige Steine..Bald schon im einen Fuß ein Loch, der anderegestaucht. Also bleiben wir länger im Boot ho-cken als es gut ist: Unter ihm schabt undkracht es bedenklich. Das tut weh und zwingtdoch wieder zum Aussteigen und Stolpern. Die

Bootshaut leidet, zwei Senten, Längsstangendes Gerüstes, sind kaputt und schließlich auchunsere Laune. Zumal die Karte noch etlicheUmtrage- und Flachstellen bis zur Mündung indie Rhone zeigt. Wollen wir weiter? Wir wollennicht! Im nächsten größeren Ort, in Ruoms,steigen wir aus. In der Gastwirtschaft ver-wandelt sich das Boot wieder in die dreiPackstücke, nachdem die Haut geflickt und dieSenten bandagiert wurden. „Seit Jahrzehntenhat die Ardèche nicht mehr so wenig Wasser

gehabt - sonst ...“ die Wirtinschaut richtig mitleidig undbringt uns Nachschub an Es-sen und Trinken. Wir solltenwarten, sagt sie, nachts umzwei Uhr würde das Autoder hiesigen Brauerei mitBier nach Avignon fahren.Wenn das noch Platz hätte?Es hat, hinten auf der Lade-fläche, hinter der Plane. Ummit einem Personentrans-port nicht aufzufallen, mussdiese geschlossen bleiben.Durch Ritzen sehen wirLichter und Autos vorbeihu-

schen. Und dann dämmert der Morgen - um 6Uhr früh hält unser Holperkarren auf demMarktplatz der südfranzösischen Großstadt: „Wäre einfacher gewesen mit dem Boot auf derRhone hierher zu kommen...“