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Seite 254 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
LEITARTIKEL / DEUTSCHER ÄRZTETAG
Die Meistersingerhalle in Nürnberg – Tagungsort des 115. Deutschen Ärztetages
Die Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts erbau-te Meistersingerhalle in Nürnberg bot den Delegierten und Teilnehmern des 115. Deutschen Ärztetages (DÄT) durchaus gute Arbeitsbedingungen. Lediglich die fehlende Stromver-sorgung an den Arbeitsplätzen der Delegierten und der
alleinige Internet-Zugang über einen ziemlich teuren Hot-Spot der Telecom wurden kritisiert und Abhilfe für kom-mende Ärztetage in entsprechenden Entschließungen zum TOP V Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer (BÄK) ge-fordert.
Ärztetag kompaktEin Rückblick auf den 115. Deutschen Ärztetag
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DEUTSCHER ÄRZTETAG
Anders als in früheren Jahren begann die Debatte am Nach-mittag des Eröffnungstages nicht mit der Diskussion über die Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik (TOP I) son-dern mit dem TOP II Anforderungen an eine gesetzliche Krankenversicherung in der Zukunft, zu dem die gesund-heitspolitischen Sprecher der CDU Jens Spahn und der SPD Prof. Dr. Karl Lauterbach geladen waren. Beide Referenten hatten den Delegierten bereits vorab ihre Ansichten mitge-teilt; Spahn in Form eines 10 Punkte umfassenden Thesenpa-piers, Lauterbach durch Vorlage des 17 Seiten umfassenden SPD-Parteitagsbeschlusses vom Dezember 2011. Die Referate beider Politiker enthielten wenig Überraschen-des; insbesondere wer einen kämpferischen Professor Lauter-bach erwartet hatte wurde enttäuscht. Bedenken gegen die Bürgerversicherung ver-suchte er zu zerstreuen, indem er auf ein Ne-beneinander von ge-setzlicher (GKV) und privater Krankenversi-cherung (PKV) hinwies – zu gleichen Konditio-
nen, wohlgemerkt. Den-noch würde es nicht zu einer „Einheitsmedizin“ kommen. Jens Spahn sieht in der Diskussion um die PKV vor allen eine „linke Neid de-batte“, weist gleich-wohl aber auf zahlrei-che Mängel und Schwä-chen der PKV hin. Als Probleme erkannt wer-
den der Mindestversi-cherungsschutz, die Bil-ligtarife, die Vertriebso-rientierung und über-durchschnittliche Bei-tragssteigerungen. Spahn findet es span-nend zu sehen, ob und wie schnell die PKV ihre Probleme selbst lösen kann. Etwas überra-schend war die Kontro-verse zwischen beiden Politikern in der Frage der Praxisgebühr. Beide räumen ein, daß diese ihre erwartete Steue-rungsfunktion verloren
hat. Während Spahn we-gen ansonsten fehlen-der Mittel an der Praxis-gebühr festhalten will und die Ärzteschaft auffordert eigene Zuzahlungsvorstellungen zu entwickeln, erklärt Lauterbach die Praxisgebühr zu einem unsinnigen Symbol der Zuzah-lung.
Mit den Entschließungen zu diesem Tagesordnungspunkt
(TOP) bekennt sich der DÄT zum System der dualen Kranken-versicherung und bezeichnet die Bürgerversicherung als „Irr-weg“, der die notwendigen Reformen der GKV behindere und das hohe Niveau der Versorgung gefährde. Gleichzeitig müssen die PKV zukunftsfähig weiterentwickelt und das Grundprinzip der solidarischen Finanzierung in der GKV un-ter Erweiterung der Finanzierungsbasis erhalten werden.
Zur Zukunft der GKV (TOP II) – die An-sichten der CDU, vorgetragen von Jens Spahn
Zur Zukunft der GKV (TOP II) – die Ansichten der SPD, vorgetragen von Prof. Dr. Karl Lauterbach
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„Fegt alle hinweg“ – Diese Ausstellung erinnert an die Verdrängung jüdi-scher Ärzte aus dem Beruf in der Darstellung von Einzelschicksalen.
Weiterhin beschließt der Ärztetag die im Ulmer Papier dar-gelegten Finanzierungskriterien weiterzuentwickeln und be-auftragt den Vorstand der BÄK zum nächsten Ärztetag in Hannover ein tragfähiges Konzept zur Finanzierung des Krankenversicherungssystems vorzulegen.
Bereits bei der Eröffnungsveranstaltung war unter den Teil-nehmern eine Nürnberger Erklärung verteilt worden, in der festgestellt wird, daß die furchtbaren Menschenrechts-verletzungen in der NS-Zeit durch Ärzte nicht von den politi-schen Instanzen, sondern von der Ärzteschaft selbst ausgin-gen und unter Beteiligung führender Repräsentanten der verfaßten Ärzteschaft, medizinischer Fachgesellschaften und herausragenden Vertretern der universitären Medizin erfolg-ten. Mit dieser Erklärung wird die Verantwortung von Ärzten
für die Unrechtstaten der NS-Medizin anerkannt, das „tiefste
Bedauern“ über die vielfachen Menschenrechtsverletzungen ausgedrückt, werden die Opfer und ihre Nachkommen um Verzeihung gebeten. Gleichzeitig will der Deutsche Ärztetag darauf hinwirken, daß die historische Forschung und weitere Aufarbeitung gefördert wird.
Ohne Diskussion und einstimmig verabschiedete der Ärzte-tag diese Erklärung, die damit gleichzeitig den Einstieg in den TOP I Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspo-litik bildete. In der Diskussion wurden aus der Rede des Bun-desgesundheitsministers Daniel Bahr und dem Referat von Ärztetagspräsident Dr. Frank-Ulrich Montgomery insbeson-dere die Themenkomplexe Approbationsordnung, Praxis-gebühr, Patientenrechtegesetz, Freiberuflichkeit, Versor-gungsstrukturgesetz und IGeL-Leistungen aufgegriffen. Die Dreigliedrigkeit des Praktischen Jahres (PJ) wurde in ver-
schiedenen Entschlie-ßungen bekräftigt, wobei das Wahlterti-al auch in theoreti-schen Fächern wie auch in ambulanten Einrichtungen abge-leistet werden kann. Kontrovers diskutiert
wurde die Sinnhaftig-keit des Krankenpfle-gepraktikums in ei-ner ambulanten Ein-richtung, dennoch in
Die Delegierten aus Mecklenburg-Vorpommern (v. l.): Dr. Andreas Gibb, Dr. Christiane Frenz, Dr. Fred Ruhnau, Dr. Wilfried Schimanke, Dr. Kerstin Skusa, Dr. Karl Schulze
Dr. Andreas Crusius wendet sich in der gesundheitspolitischen Debatte an das Plenum.
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2. Lesung mit einer entsprechenden Entschließung eingefor-dert. Zum Ausdruck gebracht wurden auch verschiedene Anregungen zur Stärkung der Allgemeinmedizin in Ausbil-dung, Praktikum und Lehre.
Der Ärztetag bittet in einer Entschließung die Gesundheits-ministerkonferenz der Länder, die Ärztekammern in die nach dem Versorgungsstrukturgesetz zu bildenden Landesgre-mien für die sektorenübergreifende Versorgung stimmbe-rechtigt einzubeziehen. Diese Bitte wird vor allem mit den Kompetenzen der Ärztekammern in der Weiterbildung und im Berufsrecht begründet, denn diese Belange können bei einer weiteren Flexibilisierung der Berufsausübung nicht un-berücksichtigt bleiben.
Nach Auffassung der Mehrheit der Delegierten soll die Praxisgebühr abgeschafft oder durch eine andere Form der Selbstbeteiligung ohne bürokratischen Aufwand aber
mit funktionierender Steuerungsfunktion ersetzt werden. Darüber hinaus stellt der Ärztetag einen Forderungskatalog auf, wie mit den Überschüssen der GKV verfahren werden soll. Darin werden der Ausgleich von Tarifsteigerungen in
Krankenhäusern und Praxen, der Abbau der chronischen Un-terfinanzierung in der ambulanten Medizin und der Aus-gleich nachteiliger Sockeleffekte des GKV-Finanzierungsge-setzes gefordert.Während in Berlin der Entwurf des Patientenrechtegeset-zes vom Kabinett verabschiedet wird, diskutierten die Dele-gierten des Ärztetages noch einen umfangreichen Forde-
rungskatalog dazu. Kernpunkte sind die Sorge vor Bürokratie und überbordenden Dokumentationspflichten, die Auswei-tung von Fehlererfassungssystemen und die bereits früher definierten grundsätzlichen Patientenrechte wie freie Arzt-wahl, Wahrung des Patientengeheimnisses, bürgernahes und solidarisches Gesundheitswesen usw. Es bleibt abzuwarten, was davon noch in die parlamentarische Debatte einfließt.
Meinungsaustausch am Vorstandstisch zwischen Baden-Württemberg, M-V und Bremen
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In einer Entschließung wendet sich der Ärztetag gegen die Überreglementierung von individuellen Gesundheitsleistun-gen (IGeL). Die Trennung von GKV- und IGel-Sprechstunde (von der SPD gefordert) wird als Gängelei von Ärzten und Patienten abgelehnt; der Gemeinsame Bundesausschuß ist in Sachen IGeL nicht legitimiert. Eine weitere Entschließung stellt fest, daß dem Patienten dienende individuelle Gesund-heitsleistungen Ausdruck seiner Selbstbestimmung sind und fordert den Gesetzgeber auf, auf deren staatliche Reglemen-tierung zu verzichten.Mit starken Worten wendet sich die Entschließung I-08 ge-gen den Generalverdacht der Korruption und unterstreicht die Freiberuflichkeit des Arztberufes. Der 115. DÄT fordert, die weitere Verrechtlichung des Arztberufes zu stoppen. Es wird aufgezeigt, daß Berufsordnung und Strafgesetzbuch bereits jetzt hinreichende Möglichkeiten zur Ahndung von Rechtsverstößen bieten. Ärzte in der Rolle von Beauftragten der Krankenkassen bedrohen nicht nur die Therapiefreiheit sondern beschädigen das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten nachhaltig. Einleitend zum TOP III Förderung kooperativer Versor-gungsstrukturen machte Dr. Max Kaplan, Vizepräsident der BÄK und Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, deut-lich, daß Kooperationen nicht nur innerhalb der eigenen Be-rufsgruppe sondern darüber hinaus mit anderen Facharzt-gruppen, mit anderen Berufsgruppen und sektorenübergrei-fend notwendig sind. Kaplan begründet dies u. a. mit dem veränderten Versorgungsbedarf durch den demographischen Wandel, veränderten Ansprüchen der Patienten, neuen (nicht-
ärztlichen) Gesundheitsberufen und deren Selbstverständnis, veränderten Ansprüchen der nachwachsenden Ärztegenera-tion, dem zunehmenden Fachkräftemangel und zunehmender Spezialisierung in der Medizin. Er betont die Verantwortung der Ärzteschaft für die Weiterentwicklung der Versorgungs-strukturen und appelliert an die junge Ärztegeneration die Chancen kooperativer Versorgungsformen zu nutzen. Ange-fangen von der Kooperation zwischen verschiedenen Berufs-gruppen in der Einzelpraxis über die Zusammenarbeit ver-schiedener Arztgruppen in Gemeinschaftspraxen und Praxis-gemeinschaften bis hin zu Versorgungszentren und regiona-len Ärztenetzen reicht die Palette der Kooperationsformen.
Am Beispiel des Gesundheitsnetzes Qualität und Effizienz
eG, dem aktuell 67 Praxen aus der Region Nürnberg angehö-ren, stellte dessen Vorsitzender Dr. Veit Warmbach die Vor-teile der Kooperation für die beteiligten Patienten und Ärzte dar, die sich mit den Stichworten Humanität, Qualität und Wirtschaftlichkeit zusammenfassen lassen1. Warmbach ist zu-gleich Vorsitzender der seit 2011 bestehenden Agentur deut-scher Netzwerke e.V., dem aktuell 20 Mitgliedsnetze angehö-ren. Insgesamt agieren etwa 400 Praxisnetze in Deutschland. Nach dem Versorgungsstrukturgesetz können Praxisnetze ein eigenes Honorarvolumen als Teil der Gesamtvergütung erhalten. Die Agentur sei notwendig, um die Interessen ge-genüber der Politik und den Kassen zu vertreten.
Präsident Dr. Crusius (Bildmitte) unter seinen Delegierten
1 Die aussagekräftige Präsentation zum Gesundheitsnetz QuE finden Sie un-ter www.baek.de/Referate zu den Tagesordnungspunkten ...
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Dr. Andreas W. Schneider stellte am Beispiel der Urologie am Klinikum Salzhausen das kooperative Belegarztwesen als Musterbeispiel einer integrativen Versorgung dar und strich die Vorteile heraus, die sich als Versorgung aus einer (ärztli-chen) Hand zusammenfassen lassen. Als Nachteile werden verschiedene Vergütungsprobleme und die Konkurrenz zu Honorarärzten benannt. Sein Kollege in der Gemeinschafts-praxis in Winsen/L. Dr. Kilian Rödder begründete im folgen-den Vortrag seine persönliche Entscheidung für die beleg-ärztliche Tätigkeit nach 10jähriger klinischer Aus- und Wei-terbildung und inzwischen erreichter Oberarztposition mit weiterer operativer Tätigkeit „auf Augenhöhe“ mit den Kli-nikärzten, der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Be-rufsausübung.
BÄK-Vizepräsidentin Dr. Martina Wenker (zugleich Präsiden-tin der Ärztekammer Niedersachsen) schüttete mit der letz-ten Folie ihres Resümees ein wahres Füllhorn von Koopera-tionsformen über den Delegierten aus: Ärztenetze verschie-dener Größe, fachübergreifende Gemeinschaftspraxis, Satel-litenpraxis, Belegabteilung und kooperative Belegabteilung, sektorenübergreifendes Integrationsmodelle, regionales Versorgungszentrum … Aber auch sie – wie alle Referenten vor ihr – haben einen Aspekt völlig unberücksichtigt gelas-sen: Was wird aus der Weiterbildung, wenn die Versorgung nur noch im Belegsystem erfolgt?
In einer mit großer Mehrheit gefaßten Entschließung tritt der Deutsche Ärztetag für die Förderung der dargestellten
Vielfalt von Kooperationsformen ein. Gleichzeitig werden die Ärztekammern, Kassenärztlichen Vereinigungen und die Be-rufsverbände aufgefordert, ihre Mitglieder bei der Bildung von Kooperationen zu unterstützen und zu beraten. Die Auf-hebung der Trennung zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung und die gegenseitige kollegiale Unterstützung und Beratung werden als wesentliche Vorzüge des koopera-tiven Belegarztwesens herausgestrichen und seine weitere Förderung eingefordert. An die nachwachsende Ärztegene-ration („Generation Y“) wird appelliert, die Chancen der ko-operativen Berufsausübung zu begreifen und diese Versor-gungsformen im eigenen Interesse, aber auch im wohlver-standenen Interesse der Patienten weiterzuentwickeln. Gleichzeitig hat der DÄT beschlossen, daß der Nutzen von Kooperationsformen für den Patienten nachgewiesen wer-den muß und nicht in Gewinnoptimierung und Marketing bestehen darf. In zwei weiteren Entschließungen wird der
Gesetzgeber aufgefordert, die Rahmenbedingungen für rein hausärztliche Versorgungszentren zu schaffen.
Die verbleibende Zeit des 2. Beratungstages ermöglichte es, den TOP V Wahl eines weiteren Arztes / einer weiteren
Schlangen vor den Wahlurnen
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Ärztin in den Vorstand der BÄK vorzuziehen. Erforderlich wurde die Wahl, weil der Sitz von Rudolph Henke (MdB) frei wurde. Henke wurde nach dem Tod von Prof. Dr. Hoppe dessen Nach-folger als Präsident der
Ärztekammer Nordrhein. Im 3. Wahlgang setzte sich Dr. Christoph von Ascheraden (Präsident der Bezirksärztekammer Südbaden) gegen seine
Mitbewerber Dr. Andreas Botzlar (Bayern, 2. Vorsit-zender des Marburger Bundes) und die Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbun-des Dr. Regine Rapp-Engels durch. Mit von Ascheraden wer-den die Hausärzte in der BÄK deutlich gestärkt.
Als Einstieg in den TOP IV Weiterbildung referierte der Prä-sident der Ärztekammer Schleswig-Holstein Dr. Franz-Joseph Bartmann zunächst über die Evaluation der Weiterbil-dung in den Jahren 2009 und 2011. Er stellt fest, daß dieses Projekt zum Ende des Jahres 2011 planmäßig abgeschlossen worden ist und bewertet es insgesamt positiv. Insbesondere die verbesserte Kommunikation zwischen den Kammern und ihren Mitgliedern, die Veränderung der Weiterbildungskul-tur und die Wahrnehmung der Kammer als Servicestelle für die Weiterbildung rechtfertigen diese Einschätzung. Es hat sich aber auch gezeigt, daß das bisherige (Schweizer) Kon-zept der Evaluation zahlreiche Schwächen hat. Andererseits ergibt sich weiterhin Bedarf an der Evaluation um die Struk-
Dr. Christoph von Ascheraden wird neuer Beisitzer im Vorstand der BÄK
tur- und Prozeßqualität der Weiterbildung zu verbessern, die Weiterbildungsordnung weiterzuentwickeln und den Nach-wuchs für die Patientenversorgung in Deutschland zu moti-vieren. Die Evaluation wird nach einem speziell für Deutsch-land durch „Evaluation der Evaluation“ entwickelten Kon-zept fortgesetzt. Dabei soll auf ein Weiterbildungsregister bei den Ärztekammern zurückgegriffen werden, welches es
ermöglicht, die Weiterzubildenden direkt zu befragen. Auch wird der Fragebogen vereinfacht und spezifiziert werden.
In dem einstimmig gefaßten Beschluß zur Fortsetzung und Verbesserung der Evaluation werden die Landesärztekam-mern aufgefordert, die Ergebnisse der Evaluation zu veröf-fentlichen, problematische Weiterbildungsstätten zu identi-fizieren und die unzureichende Umsetzung von Vorgaben der WBO (Curricula, WB-Gespräche u. ä.) zu ahnden. Darüber hinaus werden die Kammern aufgefordert, die bereits 2009 in Mainz beschlossene Meldepflicht für Weiterbildungsassi-stenten einzuführen und auch die Situation der Weiterbilder zu evaluieren. In einem weiteren Beschluß wird festgelegt, die Befragung zu institutionalisieren und stichtagsbezogen zu erheben und auszuwerten.
Ausgehend von dem auf dem 113. DÄT in Dresden erteilten Auftrag, eine Novellierung der Muster-Weiterbildungs-ordnung (M-WBO) vorzulegen, erstattete Franz-Joseph Bart-mann als Vorsitzender der Weiterbildungsgremien der BÄK den Sachstandsbericht. Als Ziele der Novelle bezeichnete der Referent die Flexibilisierung der Weiterbildung, den Abgleich von Berufs- und Sozialrecht sowie die Definition didaktisch adäquater und versorgungsgerechter Richtzahlen. Demnach soll die Weiterbildung vorrangig über Inhalte und weniger über Zeiten definiert, sollen berufsbegleitende Weiterbil-dungsmöglichkeiten (curriculare WB) erschlossen, die ambu-lante WB gestärkt und Verbundbefugnisse ausgebaut wer-den. Doppelte Nachweise bei Kammer und Kassenärztlicher Vereinigung sollen entfallen. Die M-WBO soll die Inhalte auf den Kernbereich eingrenzen, Lernziele definieren und die Richtzahlen am Versorgungsbedarf orientieren. Die Struktur der M-WBO bleibt erhalten; in Diskussion befindlich sind die Überführung definierter Anforderungen (z.B. G-BA-Richtli-nien) in das WB-Recht, Zusatz-Weiterbildung in Teilzeit und der Arbeitsbegriff des Moduls. Ab September 2012 soll eine Internetplattform freigeschaltete werden, auf der sich Fach-gesellschaften und Verbände in die Novellierung einbringen können. Bartmann hält es für möglich, daß dem 117. Deut-schen Ärztetag 2014 die Novelle zur Beschlußfassung vorge-legt werden kann.
Die Beschlüsse zur Struktur der Novelle unterstreichen die Ausführungen Dr. Bartmanns, verlangen jedoch auch die grundsätzliche Klärung der Fragen von Struktur, Inhalten,
Die Arbeitsecke der Geschäftsstelle unserer Kammer
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Zeiten und Richtzahlen anhand eines Kriterienkataloges. Eine rein modulare Weiterbildung wird abgelehnt; vielmehr wird die Einführung neuer Elemente in die WBO an Bedin-gungen geknüpft wie Evidenz, Flexibilität, Kohärenz und Modalität. Eine ganze Reihe von speziellen Anträgen zur feh-lenden WB-Befugnis, zur persönlichen Eignung, zur Weiter-bildung in Teilzeit, zur ambulanten Weiterbildung und zu speziellen WB-Inhalten (Sonographie, Geriatrie, Notfallme-dizin) wurden entweder an den Vorstand überwiesen oder binden den Vorstand durch Beschluß und fließen so in die Novelle ein.
Erstmalig präsentierte der neue Hauptgeschäftsführer der BÄK Dr. Bernhard Rochell die sogenannten Regularien – Jahresrechnung 2010/11 und Haushaltsvoranschlag 2012/13
(TOP VII bis IX). Während der Abschluß für das zurückliegen-de Geschäftsjahr und die Entlastung des Vorstandes (jeweils einstimmig über die Stimmführer der Länderkammern) den Delegierten kein Problem war, sorgte der Etat für das neue Haushaltsjahr für verhaltenen Unmut. Ursache ist eine Stei-gerung der Umlage, mit der die Länderkammern die BÄK fi-nanzieren, um fast sieben Prozent. Das Haushaltsvolumen
steigt gegenüber dem aktuellen Geschäftsjahr um eine knap-pe halbe Million auf 17,95 Mio. Euro. Diese Steigerung um knapp drei Prozent ist in erster Linie durch den Personalbe-darf für eine eigene Rechtsabteilung der BÄK infolge der Auflösung der gemeinsamen Rechtsabteilung mit der KBV bedingt. Gleichzeitig erfordern die seit Jahren rückläufigen (gleichwohl immer noch respektable 2,8 Mio. Euro in 2010) Gewinne des Deutschen Ärzteverlages erhöhte finanzielle Beiträge der Landesärztekammern. Auch bei strengster Haushaltsdisziplin wollte der Vorsitzende des Finanzaus-schusses der BÄK Dr. Franz Bernhard Ensink Beitragssteige-rungen auch in den kommenden Jahren nicht ausschließen.
Arbeitsatmosphäre im Präsidium (v. l.): Dr. Rochell (Hauptgeschäftsführer BÄK), Dr. Montgomery, die Vizepräsidenten Dr. Wenker und Dr. Kaplan
Die gute Nachricht: Für die Mitglieder in Mecklenburg-Vor-pommern wird es keine Beitragssteigerungen geben.
Im Rahmen des Tätigkeitsberichtes der Bundesärztekam-mer (TOP VI) wandte sich der Ärztetag zunächst der Rolle des Hausarztes in der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung zu. In seinen „Eckpunkten zur Sicherstel-lung der hausärztlichen Versorgung“ hatte der letztjährige Ärztetag in Kiel Bundesärztekammer, DEGAM und Hausärz-teverband aufgefordert, eine Corporate Identity für den Hausarzt zu entwickeln. Vizepräsident Dr. Kaplan erläuterte
die hierzu vorgelegte Entschließung und bezeichnete das Pa-pier als Paradigmenwechsel, weil es die Tätigkeit des Haus-arztes ganz überwiegend positiv beleuchtet. In die Diskussi-on brachten nur einzelne Stimmen Kritik ein, weil ein Ideal-bild gezeichnet werde, welches der Wirklichkeit (Bürokratie, Ökonomisierung u. a.) oft nicht entspricht und geeignet sei, junge Kollegen zu verprellen. Die sechsseitige Entschließung definiert die hausärztliche Versorgung und das Berufsbild des Hausarztes, benennt 14 Kompetenzen in der hausärztli-chen Versorgung und beschreibt die Arbeitsteilung und Ko-
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operation mit Vertretern anderer ärztlicher Fach-gebiete, mit der statio-nären Versorgung und mit Gesundheitsfachbe-rufen. Darüber hinaus umreißt es das For-schungsprofil der Allge-meinmedizin und zeigt Perspektiven auf. Die ganz überwiegend posi-tive Diskussion fand ih-
ren Abschluß nach einem flammenden Plädoyer unserer Kollegin Dr. Anke Müller (Strasburg) für die Schönheit des Hausarztberufes durch den Geschäftsordnungs-antrag „Schluß der De-
batte“. Das Papier wurde einstimmig beschlossen.
Zweites Sonderthema war die Prävention in der Arbeits-welt. Über die Möglichkeiten und Chancen in der betriebs-ärztlichen Versorgung referierte der Vizepräsident der Deut-schen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Prof. Dr. Stefan Letzel (Mainz), der zunächst einmal die Be-deutung der Arbeitsmedizin für die Arbeitswelt, aber auch für das außerberufliche Umfeld und die Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Gesundheit beschrieb. Arbeitsmedizin
Dr. Anke Müller (Strasburg): „Lassen sie uns zusammen die Welt retten!“
ist klassische Präventivmedizin und erreicht auch diejenigen, die sonst nicht zum Arzt gehen. Sie hilft Schäden zu verhüten (Primärprävention), zu begrenzen (Sekundärprävention) und zu revidieren (Tertiärprävention). Durch Vermeidung von Un-fällen, Berufserkrankungen und Arbeitsunfähigkeit infolge von Fehlbelastungen gewinnt die Arbeitsmedizin betriebs-wirtschaftliche Bedeutung, ist jedoch kein Kostenfaktor. Zur Verbesserung der Prävention aus arbeitsmedizinischer Sicht fordert Letzel die Erarbeitung einer gemeinsamen Perspek-tive zur Entwicklung der Beschäftigungsfähigkeit der Er-
werbsbevölkerung zwischen dem Bundesgesundheitsministe-rium und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
In der einstimmig gefaßten Entschließung zu diesem The-ma fordert der Deutsche Ärztetag, die betriebliche Gesund-heitsförderung durch Zusammenarbeit aller im System der sozialen Sicherung Beteiligter zu fördern, ein sektorenüber-greifendes Netzwerk zwischen Betriebsarzt, Haus- und Facharzt sowie Kliniken zu schaffen und die arbeitsmedizi-nischen Lehrstühle an den Universitäten deutlich auszubau-en. Die Arbeitsmedizin und die betriebsärztliche Betreuung müssen zu einer zentralen Säule der Gesundheitsvorsorge in Deutschland entwickelt werden. Mit einer weiteren Ent-schließung wird an die Unternehmen appelliert, ihren Ver-pflichtungen nach dem Arbeitsschutzgesetz nachzukom-men. Last but not least wird auf die physischen und psychi-schen Belastungen der Mitarbeiter im Gesundheitswesen hingewiesen. Der Vorstand der BÄK soll auf Arbeitsbedin-gungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen hin-wirken, die eine Gesundheitsgefährdung der Mitarbeiter ausschließen.
Als Ersatzdelegierte nachgerückt: Dr. Gerd Maskow (3. v. l.) und Dr. Hans-Martin Benad (5. v. l.) Fotos: Anita Krsnik, Dr. W. Schimanke
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Die Ärztekammern der Länder nehmen in subsidiärer Ver-antwortung staatliche und hoheitliche Aufgaben wahr. Dies ist in anderen Staaten der EU grundsätzlich anders und wird auch innenpolitisch immer mal wieder in Frage gestellt. Hin-zu kommen Einmischungen in die originären Aufgaben der Ärztekammern von verschiedener Seite, so daß es wohl ge-rechtfertigt ist, sich Gedanken über die Zukunft der Ärzte-kammern zu machen. Vizepräsidentin Dr. Martina Wenker erstattete den Bericht eines entsprechenden Arbeitskreises, dem haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der Bundesärz-tekammer und der Länderkammern angehören. In vier Arbeitsgruppen (Entscheidungsqualität, Strategie, Organisation und Leitbild) werden der Meinungsaustausch, die Beschlüsse und die Öffentlichkeitswirkung Deutscher Ärztetage hinterfragt, die Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamt untersucht und Best Practice-Modelle entwik-kelt. Die Strategiekommission soll als Denkfabrik agieren und die Versorgungsforschung als Instrument nutzen. Mit-tel- bis langfristig und unter Analyse anderer Organisatio-nen soll daraus ein Leitbild für die Bundesärztekammer ent-stehen. In der Diskussion kamen dann eher kurzfristige An-liegen zum Ausdruck. Ganz allgemein hat der Ärztetag in einem Beschluß den Vorstand beauftragt, das Entschei-dungs- und Beratungsverfahren weiterzuentwickeln und folgte darin dem Referat der Vizepräsidentin. Zum nächsten Ärztetag soll die Einsetzung einer Antragskommission ge-prüft werden, die aber die Möglichkeit spontaner Anträge nicht ausschließen darf. In der Diskussion kam immer wie-der Unzufriedenheit mit sich überschneidenden oder wider-sprechenden Anträgen und dem langwierigen Procedere der Abstimmung insbesondere wenn gezählt werden muß zum Ausdruck. Zudem soll der Vorstand der BÄK zum näch-sten Ärztetag eine Änderung der Geschäftsordnung vorbe-reiten, durch die neben dem Schluß der Debatte auch das Ende der Rednerliste eingeführt werden soll. Sicher auch eine Frage des Demokratieverständnisses!
Der Rest des 4. Beratungstages reichte immerhin noch aus, um alle mehr als 130 Anträge zum Tätigkeitsbericht – gege-benenfalls nach Gegenrede und Verteidigung – zu behan-deln. Wie stets wurden damit alle Felder ärztlicher Tätigkeit
berührt – von Ausbildung über Medizinprodukte, Menschen-rechte, Palliativmedizin bis hin zu Sterbebegleitung und Ver-gütung (um nur einige zu nennen). Sämtliche beschlossenen oder an den Vorstand zur weiteren Bearbeitung überwiese-nen Anträge sind im Beschlußprotokoll unter dem Button 115. Deutscher Ärztetag 2012 auf der Internetseite der Bun-desärztekammer (www.baek.de) zu finden.
Kurz vor 15.00 Uhr erfüllten die Delegierten auch noch ihre letzte Aufgabe und wählten Düsseldorf zum Tagungsort des 117. Deutschen Ärztetages.
Es war schön in Nürnberg! Die gastgebende Kammer hat mit einem gelungenen Gesellschaftsabend unter dem Motto „Heiße Öfen, heiße Sohlen“ zum Wohlgefühl beigetragen. Die Öfen im alten Ofenwerk waren zwar schon lange erkal-tet; umgeben von Ferrari, Bentley und Co. wurde so manche heiße Sohle aufs Parkett gelegt. Das Wetter und die sehr at-traktive Stadt taten ein Übriges – wenn auch sicher nur we-
nige Delegierte Zeit für die Burg, das Germanische National-museum (mit Dürer-Ausstellung) oder das Reichsparteitags-gelände gefunden hatten.
Dr. Wilfried Schimanke
Tagesordnung 115. Deutscher ÄrztetagTop I Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
Referent: Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Berlin Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages
Top II Anforderungen an eine Krankenversicherung in der Zukunft Referent: Jens Spahn, MdB, Berlin Gesundheitspolitischer Sprecher der UnionsfraktionReferent: Prof. Dr. med. Dr. sc. Karl Lauterbach, MdB, Berlin Gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion
Top III Förderung kooperativer VersorgungsstrukturenOptimierung der medizinischen Versorgung in kooperativen, vernetz-ten Strukturen am Beispiel des Gesundheitsnetzes QuE NürnbergReferent: Dr. med. Veit Wambach, Nürnberg Vorsitzender des Vorstandes der Agentur deutscher ÄrztenetzeKooperatives Belegarztwesen – Effektive Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung Referenten: Dr. med. Andreas Schneider, Salzhausen Dr. med. Kilian Rödder, Winsen
Top IV WeiterbildungEvaluation der WeiterbildungSachstand zur Novellierung der (Muster-)WeiterbildungsordnungReferent: Dr. med. Franz-Joseph Bartmann, Bad Segeberg Vorsitzender der Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer
Top V Wahl einer weiteren Ärztin/eines weiteren Arztes in den Vorstand der Bundesärztekammer
Top VI Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer Die Rolle des Hausarztes in der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung Referent: Dr. med. Max Kaplan, München Vorsitzender der Deutschen Akademie für AllgemeinmedizinPrävention in der Arbeitswelt – Möglichkeiten und Chancen in derbetriebsärztlichen Versorgung Referent: Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stefan Letzel, Mainz Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Zwischenbericht der AG „Zukunft der Ärztekammern“ Referentin: Dr. med. Martina Wenker, Hannover Vizepräsidentin der Bundesärztekammer
Top VII Bericht über die Jahresrechnung der Bundesärztekammer für dasGeschäftsjahr 2010/2011 (01.07.2010 – 30.06.2011)a) Bericht der Geschäftsführung zum Jahresabschluß 2010/2011 Referent: Dr. med. Bernhard Rochell, Berlin
Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetagesb) Bericht des Vorsitzenden der Finanzkommission der Bundesärztekam-
mer über die Tätigkeit der Finanz kommission und die Prüfung der Jahresrechnung des Geschäftsjahrs 2010/2011 Referent: Dr. med. Franz Bernhard Ensink, MBA, Göttingen
Top VIII Entlastung des Vorstandes der Bundesärztekammer für das Geschäftsjahr 2010/2011 (01.07.2010 – 30.06.2011)
Top IX Haushaltsvoranschlag für das Geschäftsjahr 2012/2013 (01.07.2012 – 30.06.2013)a) Bericht der Geschäftsführung Referent: Dr. med. Bernhard Rochell, Berlinb) Bericht über die Beratungen in der Finanzkommission Referent: Dr. med. Franz Bernhard Ensink, MBA, Göttingen
Vorsitzender der Finanzkommission der Bundesärztekammer
Top X Wahl des Tagungsortes für den 117. Deutschen Ärztetag 2014