17
[J.Orn. 62 ~ i15 J. Orn. 115, 1974: S. 62--78 Schlafplatzflug der LachmiJwe (Larus ridibundus) in einem siiddeutschen Winterquartier Von Martin Neub 1. Einfiihrung Kollektives N~ichtigen und gemeinsame Fliige zum Schlafplatz treten bei vielen Vogelarten auf, offenbar unabh~ngig davon, ob sie gesondert als Einzelpaare bri~ten oder schon zur Brutzeit als Koloniebriiter soziale Verb~inde bilden. Vorwiegend im Winterhalbjahr -- weniger verbreitet auch w~ihrend der Brutzeit -- finden sich Einzelv~Sgel und verschiedene Fref~populationen, die tagsiiber miteinander kaum in Kontakt stehen, abends zu einer geschlossenen Schlafpopulation zusammen. Ober die Hauptfunktion gemeinsamen N~ichtigens existieren verschiedene Ansichten: einmal der Schutz vor Beutefeinden durch Aufbau einer Warngemeinschaft (ScHMIDT 1953, GADGIL 1972), dann das Auffinden neuer Nahrungspl~itze durch gemeinsamen mor- gendlichen Abflug (WA~D 1965 und ZAHAVI 1971, zit. in GADGIL 1972) und schliei~- lich die Regulation der Populationsdichte auf~erhalb der Brutzeit (WxNNr-EDwARDS 1962). Vor und w~ihrend der Sammelbewegungen macht sich eine allgemeine Unruhe oder ungerichtete Aktivit~it der VtSgel bemerkbar, wobei noch ungekl~irt ist, ob sie un- mittelbar dutch den Hell-Dunkel-Wechsel verursacht oder lediglich durch diesen zeitlich gesteuert wird. Die 1Dberlegungen yon ASCHOFF& W~wI~ (t962) machen letz- teres wahrscheinlich. SCHMIDT (1953) interpretiert diese Unruhe ai's eine ,,reduzierte, abet in Funktion erhaltene Endiuf~erung einer noch (permanent) vorhandenen Zug- (Ausbreitungs- oder Ausweichens-) F~ihigkeit". Das Einschalten von vorbereitenden Sammelpl~tzen (,,Warter~umen") vor dem Aufsuchen des eigentlichen Schlafplatzes und die damit verbundenen Sicherungs- und Synchronisationsmechanismen wurden fiir die Lachm/Swe bisher kaum untersucht, eventuell nur deshalb, weil sie nicht tiberall in Erscheinung treten. Lediglich bei SCHMIDT (1953) und STEiN~R (1963) gibt es einige Bemerkungen hierzu, HELBIG & NEUMANN (1964) vermuten auf Grund eines pl&zlichen Auffliegens der M6wen yore Schlafplatz ohne ersichtlichen Grund ,gewisse Tendenzen zum Aufsuchen eines ge- trennten Warteraums". Im hier behandelten Stuttgarter Neckarraum war dies jedoch fast stets die Regel. Die vorliegende Arbeit befai~t sich deshalb schwerpunktm~iffig mit den vorbereiten- den Sammelbewegungen der Lachm~Swe beim Schlafplatzflug. Weiterhin werden Beobachtungen am eigentlichen Schlafplatz behandelt, soweit sie fiber das bisher schon Bekannte hinausgehen. Den Untersuchungen lieBen sich Feststellungen zur Aktivit~tsrhythmik der Lachm~Swe im Winterhalbjahr anschlief~en.

Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

[J.Orn. 62 ~ i15

J. Orn. 115, 1974: S. 62--78

Schlafplatzflug der LachmiJwe (Larus ridibundus) in einem siiddeutschen Winterquartier

Von Martin Neub

1. Einfiihrung

Kollektives N~ichtigen und gemeinsame Fliige zum Schlafplatz treten bei vielen Vogelarten auf, offenbar unabh~ngig davon, ob sie gesondert als Einzelpaare bri~ten oder schon zur Brutzeit als Koloniebriiter soziale Verb~inde bilden. Vorwiegend im Winterhalbjahr - - weniger verbreitet auch w~ihrend der Brutzeit - - finden sich Einzelv~Sgel und verschiedene Fref~populationen, die tagsiiber miteinander kaum in Kontakt stehen, abends zu einer geschlossenen Schlafpopulation zusammen. Ober die Hauptfunktion gemeinsamen N~ichtigens existieren verschiedene Ansichten: einmal der Schutz vor Beutefeinden durch Aufbau einer Warngemeinschaft (ScHMIDT 1953, GADGIL 1972), dann das Auffinden neuer Nahrungspl~itze durch gemeinsamen mor- gendlichen Abflug (WA~D 1965 und ZAHAVI 1971, zit. in GADGIL 1972) und schliei~- lich die Regulation der Populationsdichte auf~erhalb der Brutzeit (WxNNr-EDwARDS 1962).

Vor und w~ihrend der Sammelbewegungen macht sich eine allgemeine Unruhe oder ungerichtete Aktivit~it der VtSgel bemerkbar, wobei noch ungekl~irt ist, ob sie un- mittelbar dutch den Hell-Dunkel-Wechsel verursacht oder lediglich durch diesen zeitlich gesteuert wird. Die 1Dberlegungen yon ASCHOFF & W~wI~ (t962) machen letz- teres wahrscheinlich. SCHMIDT (1953) interpretiert diese Unruhe ai's eine ,,reduzierte, abet in Funktion erhaltene Endiuf~erung einer noch (permanent) vorhandenen Zug- (Ausbreitungs- oder Ausweichens-) F~ihigkeit".

Das Einschalten von vorbereitenden Sammelpl~tzen (,,Warter~umen") vor dem Aufsuchen des eigentlichen Schlafplatzes und die damit verbundenen Sicherungs- und Synchronisationsmechanismen wurden fiir die Lachm/Swe bisher kaum untersucht, eventuell nur deshalb, weil sie nicht tiberall in Erscheinung treten. Lediglich bei SCHMIDT (1953) und STEiN~R (1963) gibt es einige Bemerkungen hierzu, HELBIG & NEUMANN (1964) vermuten auf Grund eines pl&zlichen Auffliegens der M6wen yore Schlafplatz ohne ersichtlichen Grund ,gewisse Tendenzen zum Aufsuchen eines ge- trennten Warteraums".

Im hier behandelten Stuttgarter Neckarraum war dies jedoch fast stets die Regel. Die vorliegende Arbeit befai~t sich deshalb schwerpunktm~iffig mit den vorbereiten- den Sammelbewegungen der Lachm~Swe beim Schlafplatzflug. Weiterhin werden Beobachtungen am eigentlichen Schlafplatz behandelt, soweit sie fiber das bisher schon Bekannte hinausgehen. Den Untersuchungen lieBen sich Feststellungen zur Aktivit~tsrhythmik der Lachm~Swe im Winterhalbjahr anschlief~en.

Page 2: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

Heft19741] Schlafplarzflug der Lachm~Swe 63

2. Material und Methodik

Die M/Swen wurden am mittleren Neckar im Raum Stuttgart (48.51 N 9.12 E bei S-Hofen) in 3 Winterhalbjahren zwischen dem 17. September 1965 und dem 31. M~irz 1968 untersucht. Die 214 Beobachtungstage verteilen sich folgendermaf~en auf die einzelnen Monate: Septem- ber (18), Oktober (21), November (36), Dezember (47), Januar (34), Februar (24), M~irz (21), April (13). 175real wurde abends bis in die Dunkelheit hinein beobachtet, 37real vom frtihen Morgen an und 2mal die ganze Nacht hindurch.

Astronomische Angaben stellten die Wetter~imter Freiburg und Stuttgart zur Verftigung. Einen ergiebigen Briefwechsel verdanke ich den Herren Dr. F. GOETHE, R. GI3LDI, Dr. K. HOFFMANN, G. JUNG, Dr. H. L6HRL und K. SCHILHANSL. Herrn Prof. Dr. E. ScH/2z gilt mein herzlicher Dank fiir viele f/Srdernde Hinweise zur Arbeit, ebenso ftir die Durchsicht des Manuskripts den Herren Dr. F. GOETHE und Dr. K. HOFFMANN (Rhythmik).

Die Lachm/Swe wlrd auf ihrem regul~iren Zug an verschiedenen Stationen prim~ir durch gtinstiges Nahrungsangebot festgehalten. Daraus haben sich zweifellos Traditionen entwickelt; dies beweisen Ringfunde (GExoUDET 1936, TETT~NBORN 1943, KNOVrLI 1946, KRAuSS 1965) und Verfrachtungsversuche (ROPvELL & ScmFrEI~LI 1939). Im Stuttgarter Neckargebiet ist die Lachm/Swe vorwiegend Herbstdurchziigler (Maximum 1700 M/Swen, 21. Dez. 1967) nnd 13berwinterer (einige hundert M/Swen). Zur weiteren Zugph~inologie siehe NEuB (1969).

3. Gebiets-Charakteristik

Die meisten Aufenthaltsorte der M/Swen am Neckar sind yon bebautem Gel~inde umschlos- sen, der Neckar selbst ist vollst~ind-ig fiir die Schiffahrt kanalisiert. An diese /Skologisdl vermutlich recht extreme Situation sind die M/Swen durchaus angepat~t und besiedeln tagsilber bevorzugt Staustufen, Schleusenanlagen, Abwasserzufliisse und sonstige abfalltr~ichtige Lokali- t~iten, entsprechend ihrem Ern~ihrungsmodus (s. NEUB 1970). Gr/51~ere Fl~ichen, die weitgehend frei yon StiSrungen dutch Schiffe sind, iibernehmen zudem die Funktion von abendlicben Sammel- o~er auch Schlafpl~itzen. Die Abb. 1 umfaf~t nur das engere Gebiet, der tats~ichliche Aktionsradius ist wesentlich grtif~er und reicht im Stiden mittlerweile bis Tiibingen (GATTER 1969 und mdl.) und im Norden mindestens bis Ludwigsburg, das sind _> 80 Flui~-Kilometer.

=.-_=,,,~_:== ..'::.Nil..==: b e b o u t e s Gebie t

II Brlicke

"t=~ Schleuse

' ::=::===::=====.. ~====:==:==:=:====.

~iiNii i i i i i i = '

N ~ ....=. = i . Fy .. . . . . . • __~.---= "--. . . . . . . . . . . . _ _ _

heimer u s e

i i H i F ' i ! Jk

l k m Abb. I. Engeres Beoba~mngsgebiet Jm Stuttgarter Ne&ar-Raum.

Page 3: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

64 MARTIN NEUB [ J'115Orn"

4. Ergebnisse

4.1. S e k u n d ~ i r e S a m m e l p l i i t z e

Sekund~ire Sammelpl~itze - - in der Terminologie nach SCHMIDT (1953) - - sind Zwischenstationen auf dem Schlafplatzflug. Fiir die Stuttgarter MiSwen sind sie identisch mit einem Tell der Tagespl~itze. Mit ihrem konzentrierten Nahrungsange- bot stellen sie Anziehungspunkte dar und werden gleichzeitig zum abendlichen Sam- melplatz. Neu hinzufliegende M~Swen kommen im wesentlichen nut aus einer Richtung, was den sekund:,iren Sammelplatz gewissermai~en als einsinnigen Stauraum ausweist. Die MiSwen brechen nicht gemeinsam auf, sondern truppweise, fast stets in Verbin- dung mit einem bezeichnenden lauten ,,kreeeaa"-Ruf. (3berhinfliegende Artgenossen verm/Sgen die rastenden zum Abflug zu stimulieren, doch ist der wesentliche AuslSser wohl in der Abnahme der IAchtintensit~it zu sehen, wie dies fiir verschiedene Vogel- arten bekannt ist und speziell auch an der Lachm/Swe beobachtet wurde (HrLBIG & NrUMANN 1964). Wenn sich auch die M/Swen in ihrem Flug bevorzugt an den Neckar- lauf halten, so k~Snnen sie doch betr~ichtliche Strecken dutch direkte Uberlandfliige abkiirzen (z. B. Abschneiden des Neckarknies bei Plochingen [GATTm~ 1969] und Uberfliegen des Ackerlandes zwischen Stuttgart und Ludwigsburg; Abki~rzung jeweils etwa 50 0/0).

4.2 P r i m i i r e r S a m m e l p l a t z

Den Aktivit~iten der M~Swen am prim~iren Sammelplatz gait das Hauptinteresse der Untersuchungen. Unter diesem Begriff wird die letzte Station vor dem gemein- samen Hug zum eigentlichen Schlafplatz verstanden. Hier sind bereits s~imtliche M/Swen des Einzugsbereichs versammelt. Der ~Sfters verwendete Terminus ,,Warte- raum" sollte seines anthropomorphen Charakters wegen vermieden werden; ,,Sam- melplatz" ist weitaus deskriptiver. Geeignet, wenn auch wieder etwas deutungsbe- ladener, w~ire auch ,,Stauraum" (s. o.), wenn dies nicht zu Verwechslung mit Pl~itzen, an denen Zugstau stattfindet, Anlai~ geben kSnnte.

Fiir die Neckarm/Swen stellten sich drei verschiedene, alternativ benutzte prim~ire Sammelpl~itze heraus (vgl. Abb. 1). Etwas schematisiert gilt fiir die Benutzungs- zeiten:

Neckarschleuse bei S-Hofen:

Max-Eyth-See:

Neckarschleuse/Hafen bei S-Untertiirkheim:

Mitre Sept. - - Anf..Nov.

Anf. Nov. - - Mitte Jan.

Mitte Jan. - - Anf. April

Als Ursachen fiir die Wechsel sind zumindest teilweise ~iut~ere St~Sreinfliisse ver- antwortlich: a) B o o t e : Solange Segel- und Ruderbootbetrieb auf dem Max-Eyth-See herrschte, diente

die Hofener Schleuse als primS.rer Sammelplatz. Erst danach siedelten die M/iwen auf den See urn. Dieser Zusammenhang ist offensichtlich. Fuhren winters einmal ,,inoffiziell" Boote auf dem See, wichen die Mgwen kurzfristig wieder zur Hofener Schleuse aus. Die St/Srungen an der Schleuse schienen das ,,kleinere Ubel" zu sein, zumal auch Fahrwasser und Aufenthaltsplatz der MSwen durch eine Kaimauer getrennt sind.

Page 4: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

Heft 1 ] 1974 ] Schlafplatzflug der Lachm/Swe 65

b) J a g d : Haupts~ichlich ab Januar schossen abends J~iger am Max-Eyth-See auf Enten. Nachweislich im Januar 1967 wurde daraufhin der prim~ire Sammelplatz f[ir die ganze Folgezeit nach Untert[irkheim verlegt. (Im n~ichsten Winter suchten die MiSwen jedoch wieder den traditionellen Max-Eyth-See auf.) - - Schief~en yon J~igern fiihrte z.B. auch in Ulm/Donau zur Aufgabe eines M/Swenschlafplatzes (ScmrHANSL briefl.).

c) K n a 11 k i5 r p e r • Knallen yon Feuerwerksk/Srpern vor und an Silvester 1967 hatte (reversible) Umsiedlung yore Max-Eyth-See nach Untertiirkheim zur Folge.

d) D e t e r g e n t i e n : Abwasserschaum an der Schleuse bei S-Untertiirkheim behinderte die M6wen augenf~illig (fiir den prim~iren Sammelplatz ist abendliches Massenbaden eharakte- ristisch, s.u.). Bei einem besonders starken Detergentien-Anfall wichen die M/Swen ver- mutlich deshalb in den Hafen aus.

4.2.1. A b e n d l i c h e A n k u n f t

Der abendli&e Anflug zum prim~iren Sammelplatz erstreckt sich tiber mehrere Stunden. Die Verh~iltnisse entsprechen so sehr den Schilderungen anderer Autoren tiber den Anflug zum Schlafplatz, dag sich eine weitere Beschreibung eriibrigt. Auch die zeitliche Verschiebung der Ankunft der Hauptmassen je nach Bew~51kungs- und damit Helligkeitsgrad wurde schon friiher festgestellt (EPPr, ECHT 1941, FeANCK 1954, HrL~IG & N r U M A ~ 1964). Im Gegensatz zum sekundiiren Sammelplatz kom- men die M~Swen hier aus allen Richtungen an, also neckarauf- und -abw~irts.

4.2.2. V e r h a l t e n

Unmittelbar nach der Ankunft am prim~iren Sammelplatz beginnen die meisten M6wen zu b a d e n. Auf die sich hierbei abzeichnenden konstant wiederkehrenden Bewegungsphasen soll hier nicht n~iher eingegangen werden. Es wurde hieriiber zu- sammen mit Herrn K. PrNSKI auch ein Film gedreht. Die mittlere Gesamtbadedauer lag bei 4,5rain (n = 16) mit einer Streuung yon 3--10min. BURCKHARDT (1944) gibt nur durchschnittlich 3 rain an. Eine Eigenart, die sich experimentell fiberpriifen liege, wurde mehrmals festgestellt: Die Bindung der M/Swe an den Badeplatz scheint gegen Ende des Badens bin zuzunehmen. M/Swen in den ersten Badephasen liegen sich no& leicht yon Artgenossen zum Mitfliegen stimulieren oder flogen auch yon selbst bei leichten St~irungen ab, solche in der letzten Phase jedoch (Eintauchen fast des ganzen K~irpers) badeten des ~Sfteren kontinuierlich weiter, auch wenn der ganze M6wen- schwarm um sie herum aufflog. Nur auf starke Reize hin (Schiisse, Auspuff-Knallen) brachen sie sofort das Baden ab. Das auf das Baden folgende P u t z e n geschieht bevorzugt im Stehen, wozu die M/Swen je nach Urtlichkeit verschiedenste Standm6g- lichkeiten aufsuchen (Kaimauern, Bootsstege, Lichtmasten, freie Steine im Wasser, Eisfl~iche). Auf die Bedeutung des abendlichen Massenbadens als Synchronisations- faktor wiesen BURCKHAeDT (1944) und SCHMIDT (1953) hin.

Als ein vermutlich wesentlich wirksamerer Faktor trat bei den Stuttgarter M6wen ein bisher offenbar unbekanntes Ph~inomen auf: Mit £ortschreitender D~immerung riicken die M6wen auf dem Wasser mehr und mehr zusammen, dies beschrieb z. B. auch KNOI'rLI (1946). Gleichzeitig macht sich eine deutliche ungerichtete Unruhe da-

5*

Page 5: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

66 MART~ NEUB [ J.Orn. [ 115

durch bemerkbar, dal~ jede MSwe mit gerecktem Hals mehr oder minder schnell um- herschwimmt. Von einem bestimmten Punkt an und stets vor Massenauffl~igen (s. u.) schwimmt nun die Gesamtheit aller MSwen geordnet in einer d e u t 1 i c h a u s g e - p r ~ g t e n K r e i s f o r m. Dieses Verhalten fiel bereits bei der ersten Beobachtung am MSwensammelplatz auf. Die Anzahl der MSwen ist hierfiir praktisch gleichgiiltig, das ,,K r e i s s c h w i m m e n" zeigten Schw~irme yon 17 bis iiber 1000 Individuen, und zwar - - bis au£ wenige Ausnahmen - - stets als ein einziger geschlossener Ver- band. Der Durchmesser des Kreises richtet sich ganz nach der MSwenanzahl, d .h. etwa 2- -20 m. Die Zeit, die eine MSwe fi~r eine volle Kreisbewegung benStigt, kann je nach SchwarmgrSt~e und Intensit~t des Kreisschwimmens variieren. Fiir MSwen, die am ~iui~eren Rand eines Schwarms yon 700 Exemplaren schwammen, ergaben sich Zeiten zwischen 95 und 150 sec.

Das dichtgedr~ingte Durcheinander- und z. T. auch das nachfolgende Kreisschwim- men ist stets begleitet yon ganz spezifischen kurzen Rufen (am h~ufigsten ,,tcheck", dann ,,gegeg", ,psiie", ,,chwao" u.a.), was sich aus einiger Entfernung wie eine Mischung aus schrillem Gackern und rauhem Murmeln anhSrt. Die Ruft~itigkeit schwillt bis unmittelbar vor dem Abflug zum Gekreisch an und endet dann mit einem Schlag, wenn die VSgel in der Luft sind. Wenn diese Rule nicht Laute aggressiver Auseinandersetzungen darstellen, wird es sich mSglicherweise um Homologien oder Analogien zum entsprechenden Abflugruf der Silberm6we (Nr. 5 bei GO~TH~ 1956) handeln. Dieser Ruf, ein kurzer, tiefer einsilbiger ,,Bellaut", gelegentlich zweisilbig l~ingergezogen, fungiert als ,,sozialer Abfluglaut (Intentionsruf), d. h. Mitreif~-Signal, Aufbruch".

Das Zustandekommen des Kreisschwirnmens findet durch folgende L~berlegung seine Erkl~rung: Wenn die MSwen mit zunehmender Dunkelheit immer dichter zu- sammenri~cken, gleichzeitig abet st~indig in unruhiger Bewegung sind, fiihrt dies dauernd zum ~berschreiten der Individualdistanz und damit zu aggressiven Aus- einandersetzungen (eventuell wird haupts~chlich ,,yon aui~en her nachgedriingt"). Jede MSwe wird versuchen, solche Angriffe zu vermeiden; so mug notgedrungen als KompromiB eine gleichfSrmige gerichtete Bewegung entstehen; d. h. beim gemein- samen Schwimmen in nur eine Richtung kann die Individualdistanz aufrechterhalten werden, die VSgel verlieren aber dennoch nicht den Zusammenhalt. Die Bewegung vollzieht sich deshalb in einer Kreisform, weil ja offensichtlich die Tendenz besteht, mSglichst dicht beisammen zu bleiben. (Schw~cher ausgepr~gt kommt es gelegentlich zu blot~em gemeinsamen ,,Richtungsschwimmen".)

Das Kreisschwimmen erfolgt ti~iufig nicht nur einmal am Abend, sondern kann sich wiederholen, wenn z. B. nur ein Teil der MSwen auffliegt und nach einiger Zeit wieder bei den anderen niedergeht; nach erneutem Kreisschwimmen brechen dann alle geschlossen zum Schlafplatz auf.

Zu erw',ihnen ist noch, daf~ sich stehende MSwen (am MaxwEyth-See ist dies - - aui~er bei Eisbildung - - nur beschr~inkt mSglich) kaum am Kreisschwimmen beteiligen. Sie lassen sich dann allerdings im Flug sofort yon den anderen mitreif~en.

Page 6: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

Heft19741 I Schlafplatzflug der Lachm~Swe 67

Die abendliche Unruhe und das teilweise daraus resultierende Kreisschwimmen ist nicht etwa nur auf die Zugzeiten beschr~inkt, sondern tritt den ganzen Winter tiber auf.

Innerhalb der Gattung Larus beoba&tete GOeTHe (briefl.) bei Einzeltieren verschiedener Rassen der Silberm~Swe die Bewegung in Kreisform immer wieder bei bestimmten Anliissen, z. B. vor der Kopulation.

Die funktionelle Interpretation des Kreiss&wimmens scheint nicht ganz einfach. Einerseits bestehen deutliche Parallelen zu Abflugs-Intentionsbewegungen verschie- dener Anatiden (LoReNz 1935, BEZZEL 1967, EIBL-EIB~SFeLDT 1967), bei Graug~insen sieht dies folgendermai~en aus: ,,Graug~inse in Abflugstimmung beginnen zu wandern, schiitteln den Kopf bei gestrecktem Hals und rufen dazu. Fangen einige aus einer Schar damit an, fallen alsbald auch andere ein. So kommt es schlieSlich zu gemein- samen Aufbruch" (EIBL-EmEsvELDT 1967). Derartige stimmungstibertragende Aus- dru&sbewegungen sind nach LORENZ (1935) fiir solche Vogelarten charakteristisch, ,,denen der Entschlu8 zum Auffliegen ziemlich schwerf~illt". Dies trifft ftir die Lach- m?Swe sicher nicht in dem Maf~e zu wie ftir Anatiden. Trotzdem wird man auch dem Kreisschwimmen der Lachm~Swen einen stimmungsiibertragenden und synchronisieren- den Effekt beimessen k~nnen, der beim nachfolgenden Auffliegen dann auch tats~ich- lich alle Schwarmangeh~Srigen genau glei&zeitig zum S&lafplatz aufbre&en l~iflt.

In auffallendem Unterschied zu den Anatiden vollftihrt bei den Lachm~Swen nicht (nur) jedes Einzeltier Intentionsbewegungen des Abflugs -- sofern es sich um solche handelt --, sondern (zus~itzlich) der ganze Verband eine einheitli&e Bewegung. Dies deutet eine andere InterpretationsmiSglichkeit des Kreisschwimmens an: WYNNE- EDWARDS (1962) bezeichnet eine Klasse kollektiver Verhaltensweisen, die gerade ftir die Situation am Schlafplatz typisch sind, wie gemeinsames Singen yon Staren auf engem Raum und Flugman?Sver yore Schw~irmen verschiedener Vogelarten, als ,,epideictic display", ein Ausdru&, der sich schwer ins Deutsche tibersetzen l~if~t, vielleicht als ,,Demonstrations-Verhalten". Am Schlafplatz versammeln sich in der Regel s~imtliche Individuen einer Population, wodurch die M~Sglichkeit gegeben ist, durch ,,epideictic displays" die augenbli&liche Populationsstiirke zu demonstrieren. Nach WYNNE-J~DWARDS sind solche Verhaltensweisen hauptsiichlich als Regulations- mechanismen der Populationsdichte auf~erhalb der Brutzeit aufzufassen. Rein ph~ino- menologisch k~Snnte man auch das kollektive Kreisschwimmen der Lachm~Jwe den ,,epideictic displays" zuordnen, ob jedoch ebenso der funktionelle Hintergrund zu- trifft, l~ii~t sich nicht mit Sicherheit sagen. Zu denken gibt allerdings die abrupte Be- endigung des Verhaltens durch das Auffliegen des Schwarms; notfalls liege sich das Kreisschwimmen als Vorstufe des Kreisfliegens (vgl. 4.2.3.) erkl~iren. Insgesamt iiberwiegt jedoch der Eindruck, daf~ das Kreisschwimmen auf den Abflug des Schwarms ausgerichtet ist (Intensit~itssteigerung bis unmittelbar zu diesem Ereignis). Auch die Tatsache, daf~ Intentionsbewegungen gerade dann schon einige Zeit vor dem eigentlichen Abflug ausgefiihrt werden, wenn gr/Si%re Flugstrecken zurtickgelegt wer- den sollen (LORENZ 1935), spricht eher ftir eine Interpretation des Kreisschwimmens

Page 7: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

j . O r n . 68 MARTIN NEUB 115

in dieser Richtung. Die Beschr~inkung dieses Verhaltens auf die spezielle Situation am prim~iren Sammelplatz k6nnte daran liegen, dag ein synchroner Abflug des ganzen Schwarms beim Aufsuchen des Schlafplatzes notwendiger ist als tagsiiber beim Wechsel yon Nahrungsrevieren. Die endgiiltige Entscheidung soll hier jedoch nicht getroffen werden, bis nicht weitere ~ihnliche Beobachtungen vorliegen.

4.2.3. A b f l u g z u m S c h l a f p l a t z u n d m o r g e n d l i c h e R i i c k k e h r

Die Tatsache, daf~ die MSwen (meist) nicht am abendlichen Sammelplatz iibernachten, sondern zu einem gesonderten Schlafplatz abfliegen, kann sehr leicht iibersehen wer- den, wie dies bei den eigenen Beobachtungen anfangs auch geschah. Aus der An- wesenheit der M6wen his in den spiiten Abend hinein und dann wieder friih am

h ( W a h r e 0 Z )

20 °°t\\ oo / / / 19 ~ / o /

o/ / J ' ~ " o / . , / ] \ e , 4 /

8°°t o

17 oo 4 \o- o~-...% oo Ioi o /

16oo J v

primdrer Sammetplat z

7 oo

00~

00 .

/. oo

\ \

, I J i i I I

$ 0 N 0 J F N A

Abb. 2. Aktivi t l i tsbeginn (An- flug, n = 11) und Akt ividi ts - ende (Abflug, n = 49) in Be- ziehung zum Sonnenstand; nach Beobachtungen am pri- m~iren Sammelplatz (48.51 N) in den Wintermonaten. SA = Sonnenaufgang, SU ~ Sonnen- untergang.

Page 8: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

Heft19741 ] Schlafplatzflug der Lachm/Swe 69

n~i&sten Morgen wurde ein fdberna&ten ges&lossen. Dies war ni&t berechtigt. Denn die VSgel flogen regelm~itgig erst fast bei Dunkelheit abends ab und kehrten morgens lange vor Sonnenaufgang wieder zurii&. Erst eine n~ichtli&e Dauerbeobachtung bra&te dies zutage.

Der Massenabflug vollzieht sich wie schon oben beschrieben. Der Zeitpunkt hierfiir ist nun offenbar nicht willkiirlich, sondern es stellte sich folgendes heraus: Abend- licher Abflug und morgendliche Ankunft stehen zeitli& in Beziehung zum Sonnen- stand (Abb. 2).

Entsprechendes wurde fiir verschiedene andere Vogelarten nachgewiesen (Uber- sicht in AscHoFr & W~vEI~ 1962). Dies flit die Lachm/Swe anhand der Stuttgarter Mtiwen zu zeigen, war deshalb mSglich, weil man an Ab- und Anflug am prim~iren Sammelplatz repr~isentative Zeitmarken flit Aktividitsende bzw. -beginn zur Ver- fiigung hatte.

Der Schwellenbereich fiir den Zeitpunkt des Abflugs ist ersichtlich s&mal. Es er- gaben si& jedoch Bes&leunigungs- und Verz~Sgerungsfaktoren; durch ~iugere Ein- fliisse ~inderte sich vermutlieh die Intensit~it der Bindung an den Sammelplatz.

Beschleunigend wirkte: a ) Bede&ter Himmel.

b) Vers&iedene Einfliisse, die der Grofgstadtbetrieb mit sich bringt, also pl/Stzli&e laute Verkehrsger~ius&e, Auftau&en yon Fuf~g~ingern, vorbeifahrende Schlffe (Schleusen bei S-Hofen und Unterdirkheim).

c) An der S&leuse bei S-Hofen ~inderte si& st~indig der Wasserspiegel und damit die Anzahl der freiliegenden Steine. Bei steigendem Wasser verringerten sich die Standm~Sglichkeiten, was zu erhtShter Unruhe fiihrte.

d) f3berhinfliegende M~Swen. - - Einmal liegen sich einige M6wen yon einem S&warm iiberfliegender Kr~ihen (bei Dunkelheit) ,,versehentli&" mitreiflen (sie kehrten jedoch gleich wieder zurti&), was auf das Vorhandensein yon intra- bzw. inter- spezifisch sozial wirksamen Reizen hinweist. - - Sturmmtiwen (Larus canus), die si& regelm~ifgig winters in kleiner Anzahl im Ne&arraum aufhalten (NruB 1969), sind in das Ges&ehen beim Schlafplatzflug roll integriert. Entsprechendes gilt offenbar au& far den Bodensee (JuNo briefl.).

Verz~Sgernd wirkte: a) Klarer I--Iimmel.

b) Fallen des Wasserspiegels an der S&leuse bei S-Hofen. Dadurch Zunahme der Standmtiglichkeiten und Abnahme der ~iuflerlich erkennbaren Unruhe.

Diese Faktoren veranlaflten aut~erhalb der ,,kritischen Zeitspanne", also tags oder na&ts, keinen Abflug der M6wen. Eine statistis&e Sicherung der jeweiligen Ein- fluflnahme war ni&t m/iglich.

Die Ab- und Anflugzeiten ~inderten sich etwa entlang der Kurve der biirgerlichen D~immerung (Sonne 6 ° unter Horizont, Abb. 2). Dies entspricht den vermutlich allgemeinen Verh~iltnissen im Winter (ASCHOFF 1969), wiihrend sie sich im Sommer-

Page 9: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

70

100

Nin. vor SA

50

10

~onnen - ~ ad tgang

I

o Nin.vor 20 ] N Mittag 15 ]

°°° 'i{ I--

N t tc lg

JQhresze i t

MARTIN NEUB

Aktivi tU tsbeginn

Phasenwinket - d i f f e r e n z

l a )

{ b }

J .Orn . 115

÷ 10

$onnen- - "~ 4n te rgang

-10

-50

M in. nach

SU

~ " ~ . " " 7 o

• o

A k t i v i t d t s e n d e

I i i

S 0 N D J F N A

(e l Abb. 3. Beginn und Ende der Aktivit~it (bezogen auf Sonnen- aufgang und -untergang) und Phasenwinkeldifferenz (Mitte der Aktivit~tszeit bezogen auf wahren Mittag).

halbjahr z. B. bei der DoMe in Richtung auf den Sonnenauf- und Sonnenuntergang hin verschieben (AscHoFF & HOLST 1960). Fiir die Lachm6we mtiflte dies noch fest- gestellt werden. Den ganzen Winter tiber war der Aktivit~itsbeginn an deutlich geringere Helligkeitswerte gebunden als das Aktivit~itsende (Abb. 2 und 3 a, c), in Qbereinstlmmung mit der Regel la yon ASCHO~F & W~wR (1962). Festhalten l~iflt sich ferner, daft die Mitte der Aktivit~itszeit 6--15 min vor 12 Uhr wahrer Ortszeit (Kulminationspunkt der Sonne) lag (Abb. 3 b), d.h. die Phasenwinkeldifferenz zwi- schen Aktividitsmitte und dem Zeitgeber wies stets positive Werte auf. 1) Der Kurven- verlauf fiir die Phasenwinkeldifferenz (grofle Werte in den eigentlichen Winter- monaten, kleinere zum Frtihjahr hin) widerspricht den Voraussagen yon ASCHOFF & W~VEI~ (1962), wobei man allerdings einschr~inkend sagen muff, daft die Datenzahl ge- ring ist und sieh nur auf das Winterhalbjahr bezieht. Aufschluflreich w~re nun die

1) Die Bezeichnungen ftir positive und negative Phasenwinkeldifferenz wurden vor einiger Zeit aus praktischen G6.inden vertauscht (HoFFMAN~ briefl., vgl. auch ASCHOFF 1969).

Page 10: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

Heft 1 ] 1974

Ptlasenwinket - dif ferenz

rain.

15

10

Schlafplatzflug der Lachm/Swe

o r = -0.906 . p < 0.01

y = -2 ,57x + 39,2

I I I i l Aktivi ta tsdouer

10 11 12 13 14 Std. Abb. 4. Beziehung zwis&en Phasenwinkeldifferenz und Aktivit~itsdauer im Winterhalbjahr.

7i

Kenntnis der Werte im Sommerhalbjahr. M/Sglicherweise liegen iihnliche Verh~iltnisse wie bei verschiedenen Spechten vor, wo sehr gering positive oder auch negative Pha- senwinkeldifferenzen im Sp~itwinter oder Vorfriihling auftraten (BLuME 1963/64).

Die Aktivit~itsdauer nahm zum Dezember hin nicht in gleichem Matge wie die theoretische Sonnentagsdauer ab. W~ihrend Ende Oktober und Anfang M~irz der M6wentag etwa 1 Std. 30 rain l~inger als der ,,Sonnentag" dauerte, betrug die Differenz Ende Dezember knapp 2 Std.. Dies deckt sich mit dem Konzept yon ASCHOFF & WEVER (1962).

Ordnet man die Aktivit~itszeiten nach ihrer Liinge, so ergibt sich eine signifikante negative Korrelation zwischen Aktivitiitsdauer und Phasenwinkeldifferenz (Abb. 4). Der Befund stimmt mit den Folgerungen aus dem Asc~oFF-WEvER-Modell nicht iiberein. Danach treten zu Zeiten der kiirzesten Aktivit~itsdauer in der Regel auch die kleinsten Phasenwinkeldifferenzen auf. Die Ursachen far die Abweichung miigten no& untersucht werden. Auch AscI~OF~ (1969) nennt eine Anzahl von Gegenbei- spielen.

Nach dem Massenaufbruch vom prim~iren Sammelplatz vollfiihren die M6wen fiir liingere oder kiirzere Zeit auff~illige K r e i s f 1 ii g e, bevor sie direkt dem Schlafplatz zustreben. Dieses Kreisen ist von vielen Vogelarten bekannt (WYNNE- EDWARDS 1962). TRArZ (1961) und ST~INER (1963) beschreiben dies bei der Lach- m~Swe in Salzburg bzw. Wien nur fiir das Friihjahr und deuten es als eine gewisse Zugbereitschaft (vgl. Interpretation der abendlichen Unruhe durch SCHMIDT 1953). In Stuttgart, wie etwa auch in Basel (BuRcxHARDT 1944), treten die abendlichen Kreisfliige den ganzen Winter tiber auf. Oft sind daran nur Teilschwiirme beteiligt, die nach einiger Zeit wieder zu den iibrigen zuriickkehren. Die Flllge verlaufen fast v~illig lautlos, nur gelegentlich sind einzelne Rufe vernehmbar. Das Kreisfliegen, das in seiner Bedeutung durchaus noeh nicht v611ig gekl~irt ist, verdient einige Beachtung.

Page 11: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

[ J. Orn. 72 MARTIN NEUB [ 115

SCHMIDT (1953) stellt in Behandlung dieser Frage zwei Gesichtspunkte heraus: 1. ,,Alle motorischen Tiitigkeiten rufen Lustgeffihle hervor, die wiederum auf die ersteren zuriickwirken und sie steigern kSnnen" (zit. nach STRESEMA~N 1951). Auch GOETHE (briefl.) gewann diesen Eindruck bei vielen MSwenarten. 2. Die Rundfliige garantieren ,,in sinnvollem Ausgleich der Unruhe nicht nut z. B. summarische Reak- tion gegentiber GreifvSgeln, sondern offenbar besonders auch gegeniiber Witterungs- einfliissen und dem Zugtrieb".

Dies mut~ jedoch wahrscheinlich noch erg~inzt werden, um die Form der Bewegung zu verstehen. Man kann sicher nicht damit rechnen, dat~ nach dem Auffliegen des Schwarmes in s~imtlichen VSgeln gleicherma~en die Tendenz zum Aufsuchen des Schlafplatzes besteht, bei einem Tell wird die Bindung an den Sammelplatz noch anhalten. Aus diesem Konflikt heraus entsteht eine gemeinsame kreisfSrmige Hug- bewegung, der nebenbei wiederum ein synchronisierender Effekt zukommen kann. Das Kreisen ist hierbei ein ganz normaler Flug, der lediglich noch kein Ziel hat, da zwei - - nicht im selben Vogel liegende - - Komponenten entgegengesetzt wirken. Das gleiche erlebt man bei vielen Vogelschw~irmen, die etwa eine groi~e Freifl~iche iiberfliegen mfissen (L6HRL brief1.), z. B. bei allen Meisen und Schwanzmeisen. Meist starten anfangs nut wenige, kehren um und starten wieder, oder sie kreisen so lange, bis die Masse gemeinsam aufbricht. Fiir diese Gedanken - - die freilich bewufk hypo- thetischen Charakter besitzen - - spricht, dai~ Teilgruppen des MSwenschwarms das Kreisen dutch Zwischenlandungen unterbrechen, um dann erneut wieder aufzufliegen. Im Ausrichten der verschiedenen Komponenten und dem Synchronisationseffekt zeigen sich gewisse Parallelen zum Kreisschwimmen.

Insgesamt stellt das Kreisfliegen offenbar ein Beispiel dar ffir ,,epideictic display" (WYNN~-EDwARDS 1962; vgl. 4.2.2.).

Fraglich erscheint, ob man das beschriebene abendliche Kreisfliegen mit dem auch tagsfiber h~iufig zu beobachtenden Kreisen in thermischen Aufwinden gleichsetzen kann. Dieses Verhalten tritt bei vielen MSwenarten auf; bemerkenswert ist auch hierbel ein vermutlich sozial stimulierender Effekt, im Zusammenhang mit Greif- vSgeln yon GOETHE ,Anemocarpose" benannt.

Zur morgendlichen Rfickkehr ist noch zu bemerken, dab die MSwen stets am Max-Eyth-See erscheinen, unabh~ingig davon, ob am Abend zuvor hier, an der Schleuse bei S-Hofen oder bei S-Untertiirkheim der prim~ire Sammelplatz lag. StS- rungen durch Boote gibt es zu dieser frfihen Tageszeit noch nicht. Dies legt die Vermutung nahe, daf~ der traditionelle Anteil eines Sammelplatzes ffir den Max- Eyth-See am st~irksten ist. Nach der Ankunft gehen die MSwen zun~ichst dicht bei- sammen auf dem See nieder und verteilen sich dann allm~ihlich fiber eine grSf~ere Fl~iche.

4.3. S c h l a f p l a t z

Im Einzugsbereich der Stuttgarter MSwen existieren vier oder ffinf wechselweise benutzte Schlafpl~itze. Davon sind drei bekannt, die anderen waren trotz inten-

Page 12: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

Heft 1 ] 1974 Schlafplatzflug der LachmSwe 73

sivster Nachsuche nicht auszumachen (die V/Sgel brachen ja praktisch erst in der Dunkelheit auf) :

a) Max-Eyth-See

b) Neckarschleuse bei S-Hofen

c) Neckarschleuse bei S-Untertiirkheim

d) vermutlich zwischen Max-Eyth-See und Untertiirkheim (aus der jeweils entgegen- gesetzten Abflugrichtung zu schlie~en)

e) eventuell im Raum Ludwigsburg

In Heilbronn/Neckar iibernachten die MSwen regelm~it~ig auf zwei D~ichern yon Versandhallen! Mit Herrn R. GULDI, der darauf aufmerksam machte, wurde der Oft am 7. Jan. 1967 besichtigt. Die winters st~indig beheizten (!) Hallen sind etwa 10 m hoch und haben eine Fl~iche yon je 46 × 90 m. Die D~icher steigen nur sehr wenig zur Mitte hin an. Dutch mehrere Reihen gewSlbter Kunststoff-Fenster f~illt auch nachts der Lichtschein steil gegen den Himmel. Es batten sich abends etwa 450 LachmSwen auf der Eckfl~iche einer Halle zum Schlafen versammelt, so dai~ sie von beiden Kanten aus optimale 13bersicht fiir eventuell nahende Gefahren hatten.

Diese zweifellos ungewShnliche N~ichtigungsweise - - ein Ausdruck zunehmender Anpassung der LachmSwe an Kulturbiotope auch im Binnenland - - zeigten beispiels- weise auch Stare in der Miinchner Innenstadt (Z~DLER 1959). Tagsllber sitzen Lach- mSwen h~iufig auf Geb~iuden, einmal auch abends auf dem Schindeldach einer ehe- maligen Gastst~itte am Max-Eyth-See. Das zeigt, daf~ eventuell auch die Stuttgarter MSwen an l[lbernachten auf Geb~iuden gewShnt sein kSnnten, beim Schlafplatz d ist es gut denkbar, daf~ es sich dabei um eine der zahlreichen Fabrikationshallen der Daimler-Benz-AG. in S-Untertiirkheim handelt. Kontrollen mit dem dortigen Werk- schutz konnten dies jedoch nicht best~itigen.

An den bekanntgewordenen N~ichtigungsst~itten war nie yon vornherein erkennbar, ob es sich um prim~iren Sammelplatz oder Schlafplatz handelte. Der abendliche Anflug der M~Swen vollzog sich vSllig gleichartig, yon Fall zu Fall brachen die VSgel jedoch nicht auf, sondern verweilten die Nacht iiber am selben Oft. Das bedeutet: Die Trennung zwischen prim~irem Sammelplatz und Schlafplatz kann aufgehoben werden, oder mit anderen Worten, prim~irer Sammelplatz und Schlafplatz kSnnen identisch sein. Dies stellte auch SCHMIDT (1953) fiir manche Vogelarten fest. Wie eingangs erw~ihnt, scheint sogar andernorts bei der LachmSwe in der Regel kein prim~irer Sammelplatz zu existieren.

Aufschlut~reich war eine n~ichtliche Dauerbeobachtung (2./3, Jan. 1968) am Max- Eyth-See: Die MSwen verhielten sich fast die ganze Nacht fiber sehr unruhig (ledig- lich ab 3.30 Uhr schien eine ausgedehnte Schlafperiode eingetreten zu sein, abet auch dann waren noch st~indig einzelne Rule zu hSren). Die VSgel zeigten immer wieder das Kreisschwimmen, bis zu 11/2 Std. lang ohne Unterbrechung (!) (das erste Mal 16.51 Uhr, d.h. in der ,,kritischen" Abflugzeit); wiederholt flog der Schwarm oder ein Tell auch auf und ging nach einer Flugrunde wieder nieder. Man gewann sehr

Page 13: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

[ J. Orn. 74 MARTIN N~UB [ 115

den Eindruck, dat~ die VSgel sich in einern st~ndigen Konfllkt zwischen Bleibe- und Abflugtendenz befanden, wobei sich beide Komponenten lange Zeit die Waage hid- ten. Vielleicht kann man das mehrfache Auffliegen als gewisse Entladung dieser Spannung interpretieren. Das Verhalten in dieser Nacht war atypis&, wie sich sp~ter herausstellte; sonst verlaufen die N~chte ruhiger. Dennoch legt es den Schlut~ nahe, dat~ es sich jeclen Abend neu entscheiden mut~, ob der abendliche Anflugsort Schlafplatz oder nur prim~rer Sammelplatz ist, und dat~ ~ut~ere Faktoren fiir die Verst~rkung einer der beiden Komponenten, Bleibe- und Abflugtendenz, verantwort- lich sing. Nach SCHmDT (1953) [ibernehmen Ubergangsstationen (sekund~rer ung prim~rer Sammelplatz) zwar im allgemeinen eine Sammelfunktion, urspr~inglich scheinen sie jegoch auf Sicherungsgebaren zurii&zugehen (vgl. etwa auch das ,,~ber- gangsverhalten" bei Spechten, BI.UME 1964). An den meisten Winterpl~/tzen nun n~chtigen die MSwen auf weitr~umigen Wasserfl~chen. Mancherorts, in Basel (BuRcKHARDT 1944), Salzburg (TRA~rZ 1961), Wien (STEINER 1963) ung ausnahms- weise MiJnchen (KRAuss 1965), linden Ubernachtungen auch auf engerem Raum mitten im Stadtgebiet statt. Stuttgart scheint in dieser Gruppe einen Extremfall darzu- stellen: Der Schlafplatz Schleuse bei S-Hofen liegt weniger als 100 m (allerdlngs 6 m tlefer) yon einer stark befahrenen Straf~e - - auch mit Straf~enbahnverkehr - - ent- fernt. An der Schleuse bei S-Untertiirkheim ftihrt 50 m welter die Schnellstrage nach Eglingen vorbei. Beide Pl~itze werden augerdem bis 21 Uhr vom Lastschiff- verkehr in Mitleidenschaft gez0gen. Abgesehen yon den akustischen Einfli.issen, an die sich die MSwen offenbar ohne weiteres gewShnen kSnnen (vgl. KNOVrLI 1946), liegen die Schlafpl~itze, wie auch der Max-Eyth-See, landschaftlich in einer Senke, wo die l~bersicht nicht sehr weit reicht. Nun gehen den [3bernachtungen auf ausgedehn- ten Wasserfl~ichen - - also mit weiteml~berblick - - offensichtlich keine umfangreichen Sammlungen voraus. Daraus k6nnte man folgern, dat~ sich die Stuttgarter MSwen auf Grund eines ,,angeborenen Sicherheitsbediirfnisses" (ScHMIDT 1953) im Einschal- ten eines prim~iren Sammelplatzes ein Verhalten angeeignet haben, das die Schutz- armut der gegebenen Riiumlichkeiten kompensiert. Dieses Verhalten kSnnte aus vor- erst unbekannten Grtinden zeitweilig abgelegt werden. Wie die Verh~ilmisse in der Nacht vom 2./3. Jan. 1968 (s. o.) besgitigen wiirden, handelte es sich dabei um einen dynamischen Vorgang. Denkbar ist, daf~ sich in dieser Weise der beschriebene Funk- tionswechsel vom prim~iren Sammelplatz zum Schlafplatz vollzieht. Verl~ii~liche Anhaltspunkte fiir gie ausschlaggebenden Faktoren gibt es jedoch nicht. Alle drei Schlafplgtze stehen unter einem s&wachen Einfluf~ kiinstlicher Lichtquellen (H~iuser- und Straf~enbeleuchtung), dies ist eventuell nicht bedeutungslos; Brl~THOLD (1969) diskutiert abendlichen Schlafplatzwechsel bei Staten, die auch yon SclqOZ (1942) beschrieben sind, u.a. im Zusammenhang mit der I-Ielligkeit. Auch Witterungsein- fliisse kSnnten mitwirken (in der Nacht 2./3. Jan. 68 hatte es mehrfach geschneit).

Was die Gel~indemorphologie des Schlafplatzes betrifft, so suchen die MSwen an- scheinend bevorzugt Stellen mit festem Untergrund auf, sofern sie ausreichend Sicher- heit bieten. Streitigkeiten um solche Pl~itze sind die Regel. Einmal stand eine Anzah! MSwen auf einer kleinen Eisfl~iche, immer neue flogen hinzu, bis sich das Eis durch

Page 14: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

Heft 1 ] Schlafplatzflug der Laehm6we 75 1974 ]

die zunehmende Belastung ins Wasser senkte und die M/Swen gezwungenermai~en auf- flogen. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrmals hintereinander.

Stehende MiSwen befinden sich auch schon am prim~iren Sammelplatz h~iufig in Schlafstellung.

Eine Pr~iferenz fiir Standm~Sglichkeiten entspriiche ganz den Gewohnheiten an den Brutpliitzen (Inseln, Schilf- und Seggenbulten in Teichen und Siimpfen). Vorteile bieten sich dadurch, daf~ keine etwa vorhandenen Str~Smungen ausgeglichen werden miissen, die Flucht wohl rascher m~Sglich ist und auch keine Unterwasserfeinde drohen, z. B. Welse (HAAs 1961). Als idealer Kompromif~ mit bestm~Sglichen Schutzkompo- nenten erscheint im Winter das (3bernachten in seichtem (2--3 cm tiefen) Wasser, wie es BUI~ClfHARDT (1944) fiir Basel beschreibt und wie eigene Beobachtungen im Rheindelta (Bodensee) zeigten. In interessanter Parallele hierzu begaben sich selbst in Gefangenschaft Silberm~Swen zum Schlafen an den Rand eines Wasserbeckens (GoETHe 1965).

Fiir das l~bernachten auf dem Eis lieig sich eine kleine Einzelheit feststellen: Wenn das Eis mit Schnee bedeckt war, schliefen die M/Swen auf dem Bauch liegend, befand sich aber eine diinne Wasserschicht fiber dem Eis, standen sie (am Spiegelbild erkennbar).

4.4. M o r g e n d l i c h e r A u f b r u c h z u d e n T a g e s s t a t i o n e n

Noch vor Sonnenaufgang verlassen die ersten M/Swen den Schlafplatz bzw. den Max-Eyth-See nach morgendlicher Ankunfc Der Abflug vollzieht sich rasch, und im Gegensatz zum abendlichen Anflug ist morgens der Platz in kurzer Zeit (40--50 min) ger~iumt bis auf wenige, die sich auch tagsiiber bier aufhalten. Die gleiche maximale Abflugdauer geben auch EVVRECHT (1941) und FXANCK (1954) ffir ganz unterschied- lich grof~e M/Swenschw~irme an: in Ziirich mehrere 1000, in Hamburg bis 130 V~Sgel. Auch BURCKHARDT (1944) betont das rasche Verlassen des Schlafplatzes. Dies fi~gt sich in den yon ASCHOFF & WEVEI~ (1962) aufgezeigten hypothetischen Rahmen, wonach die Schwelle yon der die Aktivifiit bestimmenden Schwingung bei Aktivit~its- ende flacher, bei Aktivit~itsbeginn steiler durchschritten wird, dadurch streuen die Zeitpunkte fi~r den Aktivit/itsbeginn weniger als fiir das Aktivifiitsende.

Zusammenfassung Okologische und sozialethologische Aspekte des Schlafplatzfluges der Lachm~Swe im Stutt-

garter Neckarraum werden untersucht, mlt besonderer Betonung der Vorgiinge am Haupt- sammelplatz.

1. Die Lachm~Swen des Stuttgarter Neckarraumes schalten vor dem Aufsuchen des Schlaf- platzes einen Hauptsammelplatz (prim~irer Sammelplatz) ein.

2. ~uflere St/Sreinfll.isse k/Snnen einen kurzfristigen Wechsel des traditionellen prim~iren Sam- melplatzes oder ffchlafplatzes bewirken.

3. Abendlicher Abflug yore prim/iren Sammelplatz zum Schlafplatz und morgendliche An- kunft stehen zeitlich in Beziehung zum Sonnenstand. Innerhalb eines engen Schwellenbe- reichs scheinen ;iuf~ere Faktoren beim Abflug beschleunigend oder verz/Sgernd wirken zu k~Snnen. Die Aktivifiitsrhythmik der Lachm~Swe im Winter wird diskutiert.

Page 15: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

I J" Orn. 76 MART~N NEuB [ 115

4. Vor dem pl6tzlichen Abflug vom prim~iren Sammelplatz zeigen die M/3wen ein charakteri- stisches kollektives Kreisschwimmen. Es ist wahrscheinlich das Resultat mehrerer Kompo- nenten: abendliche ungerichtete Unruhe, verst~irkte Gruppierungstendenz, individuelle Ab- wehr. Funktionell ist das Kreisschwimmen nicht ganz gekl~irt: Es k6nnte sich um die Summe yon Abflugs-Intentionsbewegungen aller Einzelv/Sgel handeln, die zwangsl~iufig in eine Richtung weisen, oder um ein kollektives ,,Demonstrations-Verhalten" (epideictic display). Ein synchronisierender Effekt ist in jedem Fall offensichtlich.

5. Langanhaltendes Kreisen des Schwarms nach dem Auffliegen wird als Folge eines Kon- fliktes entgegengesetzter Komponenten verstanden, die nicht im selben Vogel liegen (Bleibe- und Abflugtendenz).

6. Ubernachten auf Gebiiuden tritt lokal regelm~ii~ig auf, ein Beispiel zunehmender Anpas- sung der Lachm6we an Kulturbiotope.

7. Das Einschalten eines prim~iren Sammelplatzes wird auf ein Sicherheitsbediirfnis zuriick- gefiihrt; dadurch k~nnte die uniibersichtliche Raumsituation des Stuttgarter Neckarbereichs zumindest teilweise kompensiert werden.

8. Beim Aufsuchen der individuellen Schlafstelle zeichnete sich eine Priiferenz fiir Stehpl~itze ab. I~bernachten in seichtem Wasser diirfte winters die giinstigste M/Sglichkeit (mit opti- malen Sicherheitsfaktoren) darstellen.

9. Deutlich rascher als die abendliche Ankunft verl~iuft der morgendliche Abflug in die Tages- reviere.

S u m m a r y

O n t h e r o o s t i n g b e h a v i o u r o f t h e B l a c k h e a d e d G u l l (Larus ridibundus) i n a S o u t h G e r m a n w i n t e r i n g a r e a

Ecogical and social-ethological aspects of the roosting behaviour of the Blackheaded Gull in the Stuttgart Neckar area are investigated, with special reference to the events at the subsidiary assembly.

1. Before selecting a roost the Blackheaded Gull of the Stuttgart Neckar area gather at a subsidiary assembly.

2. External disturbances can cause the birds to change their susidiary assembly or their roost for a certain time.

3. The evening flight from the subsidiary assembly and the morning arrival at the same place occur in relation to the position of the sun. Within a threshold range external factors may have an accelerating or delaying effect. The activity rhythms of the Blackheaded Gull in winter is discussed.

4. A characteristic feature of the gulls before taking off is the collective swimming in circles. It is probably the result of several components - - evening disorientated restlessness, in- creased tendency to group, individual defence. The function of swimming in circles cannot entirely be explained - - it might be the result of individual movements of intention to take off, which necessaryly are orientated in the same direction. On the other hand it might be an ~epideictic display". A synchronizing effect is evident anyway.

5. Extended circling of the flock after taking off is understood as the result of conflict be- tween opposing tendencies of the different birds (tendency to remain and tendency to take off).

6. Overnight roosting on buildings appears locally, and represents an example of the increasing adaptation of the Blackheaded Gull to culture biotops.

Page 16: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

Heft 1 ] 1974 ]

7.

Schlafplatzflug der LachmSwe 77

The fact that the gulls gather at a subsidiary assembly is explained as a consequence of a need of security. By this behaviour the difficult to survey situation in the Stuttgart Neckar area could be compensated.

When looking for an individual roost, the birds prefer to stand. Spending the night in shallow water seems to represent the most favourable possibility during the winter (with optimal security factors).

The morning flight into the day's territory obviously proceeds quicker than the evening arrival.

Literatur

ASCHO~r, J. (1969): Phasenlage der Tagesperiodik in Abh~ngigkeit yon Jahreszeit und Brei- tengrad. Oecologla 3: 125--165.

- - , & D. HOLST (1960): Schlafplatzfliige der DoMe. Intern. Orn. Congr. 12: 55--70. - - , & R. WEWR (1962): Beginn und Ende der Aktivit~t freilebender ¥Sgel. J. Orn.

103 : 2--27.

Astronom. Rechen-Institut in Heidelberg (1965): Astronomische Grundlagen fiJr den Kalender 1967. Karlsruhe.

BERTHOLD, P. (1969): Abendlicher Schlafplatzwechsel bei finnischen Staren (Sturnus vulgaris). Bonnet Zool. Beitr. 20: 207--210.

B~ZZEL, E. (1967): Verhaltensforschung. Reihe ,,Geist und Psyche", M~inchen.

BLUME, D. (1963/64): Die Jahresperiodik yon Aktivitatsbeginn und -ende bei einigen Specht- arten. I. + II. Tell. Vogelwelt 84: 161--184; 85: 11--18.

BtrRCKrtARDT, D. (1944) : M6wertbeobachtungen in Basel. Orn. Beob. 41 : 49--76.

EI~L-EIzESrELr)T, I. (1967): Grundrif~ der vergleichenden Verhaltensforschung. Ethologie. Miinchen.

EPPRZCHT, W. (1941): Die LachmSwe (Larus ridibundus) im Stadtgebiet yon Z(irich, beson- ders im Sihlgebiet, Winter 1940/41. Orn. Beob. 38: 95--113.

FRANCr;, D. (1954): Beitr~ige zum Schlafplatzflug der LachmSwe (Larus ridibundus) im Winter. Orn. Mitt. 6: 8--10.

GADGIL, M. (1972): The function of communal roost: relevance of mixed roosts. Ibis 114: 531--533.

GArTeR W. (1969): Erg~inzung zu: LachmSwe und SturmmSwe am mittleren Neckar (s. NEuB 1969): Jh. Ges. Naturkde. Wiirttemberg 124: 269--270.

GEROUDET, P (1936): Les Mouettes rieuses de Suisse, d'apres les r~sultats du bagage, II. Partie. Les h6tes d'hiver et de passage en Suisse. Orn. Beob. 33: 167--177.

GOETr~r, F. (1956): Die SilbermSwe. Die Neue Brehm-Biicherei. Wittenberg. - - (1965): Schlafplatzflug und Nachteinstand ,,auf der Stelle" bei Grot~mSwen in der

Gefangenschaft. Vortrag auf der 78. DO-G-Vers. (Konstanz). Ref. in J. Orn. 107: 412.

HAAS, G. (1961): Federseewels verschlingt eine erwachsene LachmSwe. Natur 69: 5--7.

HELBm, L. & J. NEu~ANN (1964)" Beobachtungen an einem Schlafplatz yon LachmSwen (Larus ridibundus). Vogelwarte 22: 161--168.

KNOPrLI, W. (1946): Die V6gel der Schweiz. 18. Lief. (Echte MSwen), 3531--3786.

Page 17: Schlafplatzflug der Lachmöwe(Larus ridibundus) in einem süddeutschen Winterquartier

78 MARTIN NEus ]J. Orn. [ 115

KRAUSS, W. (1965): Beitr~ige zum Zugverhalten und I3berwintern der Lachm/iwe (Larus ridi- bundus) in Bayern, speziell in Miin&en. Anz. Orn. Ges. Bayern 7: 379--428.

LORENZ, K. (1935): Der Kumpan in der Umwelt des Vogels. Der Artgenosse als ausl6sendes Moment sozialer Verhaltensweisen. J. f. Orn. 83:137--213 u. 289--413.

N~uB, M. (1969): Lachm/Swe und Sturmm6we (Larus ridibundus, L. canus) am mittleren Neckar. Jh. Ges. Naturkde. Wiirttemberg 124: 260--269.

- - (1970): Winternahrung und Kommensalismus der Lachm/Swe (Larus ridibundus). Orn. Mitt. 22: 31--35.

ROVVELL, W. & A. SCHIFVERLI (1939): Versuche fiber Winterortstreue an Larus ridibundus und Fulica atra 1935. J. Orn. 87: 224--239.

SCttEER, G. (1963): !21ber die Bestimmung yon Sonnenhtihen zur Auswertung ornithologischer Beobachtungen. Vogelwelt 84: 33--55.

SCM•IDT, G. (1953) : Zur Analyse des Schla£platzfluges des V6gel. Diss. Kiel (unver/Sff.).

ScHttz, E. (1942): Brutbiologische Beobachtungen an Staten in Rossitten. Vogelzug 13: 99--132.

ST~INeR, H. M. (1963): Beobachtungen an Wiener M6wen, I. Egretta 6: 12--25.

TETTeNBORN, W. (1943): Feststellungen an beringten LachmSwen in Berlin, Winter 1942/43. J. Orn. 91: 286--295.

TRATZ, E. P. (1961) : Salzburgs M6wen. Mitt. Ges. Salzburger Landeskde. 101: 225--235.

WYNNE-EDwARDS, V. C. (1962): Animal dispersion in relation to social behaviour. Edin- burgh u. London.

ZEBLeR, W. (1959): StarenschlafplS.tze in der Miinchner Innenstadt. Orn. Mitt. 11: 191.

Anschrift des Verfassers: D-7800 Freiburg, Katharinenstr. 20 (Zoolog. Institut).