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Schmiechen: Erinnerungen und Erfahrungen 1 MS 21.12.2016 21:30 h Einige, sehr persönliche Erinnerungen und Erfahrungen aus achtzig Jahren von Michael Schmiechen zum Pharisäer-Kaffee des Schütte-Horn-Saals, 2016 Bei dem Vortrag am 09.12.2016 wurden nur die Folien mit Titeln gezeigt, die Texte auf den Folien ohne Titel wurden, fast wörtlich, nur verlesen. Inzwischen habe ich, nur wo 'notwendig', überall berichtigt, verbessert und [ergänzt]. Hohes Saaldirektorium, liebe Saal- Bürgerinnnen und -bürger, Latten- Schwestern und -Brüder, oder richtiger, liebe Latten-Enkelinnen und -Enkel! Denn alle Studenten hier könnten ja meine Enkel sein und ich weiss aus Erfahrung, dass Sie die Erinnerungen und Anekdoten Ihrer Grossväter höchstens lustig finden, aber eigentlich gar nicht interessieren. Deshalb habe ich auch in meinen Vor- lesungen vor Allem von Ihrer Zukunft gesprochen und das tue ich natürlich auch heute Abend. Denn es wird ja niemand von mir erwarten, dass ich mich in meinem Alter noch ändern kann und will. Grossväter erzählen Märchen Aber leider wissen die oft selber nicht, dass ihre Geschichten z. T. uralte Modelle für das erfolgreiche Bewäl- tigen sehr schwieriger Situationen im Leben sind. Nicht die Märchen sind grausam, sondern Ihr Leben wird (!) grausam. Die super-klugen Eltern, die glaubten, Märchen nicht weitererzählen zu müssen, haben nicht nur ihren Kindern etwas für ihr Leben ganz Wesentliches und Wichtiges vorenthalten.

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Schmiechen: Erinnerungen und Erfahrungen 1

MS 21.12.2016 21:30 h

Einige, sehr persönliche Erinnerungen und Erfahrungen

aus achtzig Jahren

von Michael Schmiechen

zum Pharisäer-Kaffee des Schütte-Horn-Saals, 2016

Bei dem Vortrag am 09.12.2016

• wurden nur die Folien mit Titeln gezeigt,

• die Texte auf den Folien ohne Titel wurden, fast wörtlich, nur verlesen.

Inzwischen habe ich, nur wo 'notwendig', überall berichtigt, verbessert und [ergänzt].

Hohes Saaldirektorium, liebe Saal-Bürgerinnnen und -bürger, Latten-Schwestern und -Brüder, oder richtiger, liebe Latten-Enkelinnen und -Enkel!

Denn alle Studenten hier könnten ja meine Enkel sein und ich weiss aus Erfahrung, dass Sie die Erinnerungen und Anekdoten Ihrer Grossväter höchstens lustig finden, aber eigentlich gar nicht interessieren.

Deshalb habe ich auch in meinen Vor-lesungen vor Allem von Ihrer Zukunft gesprochen und das tue ich natürlich auch heute Abend.

Denn es wird ja niemand von mir erwarten, dass ich mich in meinem Alter noch ändern kann und will.

Grossväter erzählen Märchen

Aber leider wissen die oft selber nicht, dass ihre Geschichten z. T. uralte Modelle für das erfolgreiche Bewäl-tigen sehr schwieriger Situationen im Leben sind.

Nicht die Märchen sind grausam, sondern Ihr Leben wird (!) grausam.

Die super-klugen Eltern, die glaubten, Märchen nicht weitererzählen zu müssen, haben nicht nur ihren Kindern etwas für ihr Leben ganz Wesentliches und Wichtiges vorenthalten.

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Die Geschichten, die ich erzählen werde, sind wie die Gleichnisse, Fabeln, [in China 'Strategeme' (!)] und Märchen für die Aufmerksamen unter Ihnen auch Beispiele für solche Situationen und Strategien.

Mich selber hat gerade das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen sehr beschäftigt.

Wer bei dem Gleichnis an eine Hochzeit denkt, der liegt nicht ganz falsch [, denn in dem Kontext hat Jesus ja seinen Rat erteilt: 'Seid bereit' (Matth. 15, 1 - 13)].

Bei den Lutheranern ist das Gleichnis deshalb auch das Evangelium für den Toten-Sonntag.

In dem Wissen habe ich die Konsequenzen gezogen, meinen Nachlass 'aus'-sortiertund dem Archiv der TUB vermacht.

Und als ich danach ganz entspannt meine Weihnachtspost erledigen und Advent feiern wollte, erreichte mich die eilige Einladung des Saaldirektoriums zu meinem Auftritt hier.

Früh übt sich

Zu Kriegs-Beginn war ich sieben Jahre alt und mit acht Jahren wurde ich mit der KLV in Sicherheit gebracht.

Mit elf Jahren wurde ich als Kriegs-Feldscher ausgebildet, und mit zwölf Jahren musste ich üben, mit der Panzerfaust zu schiessen.

Die Kinder-Land-Verschickung nach Ober-Franken war eigentlich nicht notwendig, denn die Soldaten aus unserem Dorf in der Nähe Hamburgs hatten ihre Kasernen sofort in Richtung Front verlassen, so dass die leeren Gebäude den Engländern keine einzige Bombe wert waren.

Feldscher? Was ist das?

Der Feldscher war ein Handwerker, der Verwundungen von Soldaten versorgte. Erst ab dem 18. Jahr-hundert waren auch akademisch ausgebildete Ärzte unter den Feldscheren.

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Ich war aber erst Quintaner.

[Von dem Skelett im Schrank des Biologie-Saals kannte ich aber schon jeden Knochen. Und deshalb konnte ich schon bald gebrochene Arme und Beine fachgerecht schienen.]

Nach dem Krieg dienten die Kasernen in unserem Dorf als Durchgangs-Lager für Flüchtlinge und Auswanderer. Und unsere Schule diente als Lazarett. Der Unterricht fand zuerst ganz privat, später in Klassen in einer privaten Villa statt.

Fast jeden Tag kamen neue Schüler in unsere Klasse und blieben oft nur wenige Tage oder Wochen.

Und die neuen Lehrer liefen z. T. mit geflickten Knochen und Uniformen herum.

Die alten Pauker waren übrigens nicht so schlimm, wie immer erzählt wird. Sie kannten uns sehr genau und haben unsere sehr verschiedenen Talente gefordert (!) und damit gefördert, wo immer sie konnten.

[Das Senken von Anforderungen ist das Dümmste, was man machen kann!]

Wunsch und Wirklichkeit

Ingenieur wollte ich werden, weil ich nie wieder einen Aufsatz schreiben wollte. Aber seither habe ich täglich (fast) nichts anderes mehr gemacht:

Angebote, Berichte, Vorträge, Beiträge zu Zeitschriften und Proceedings, Diskussionen und Rezensionen.

Brot und Schnaps billig

Nach Berlin bin ich zum Studium des Schiffsmaschinenbaus gekommen, weil das Brot und der Schnaps hier billiger waren als in Hannover.

Aber hier lehrten auch noch Friedrich Sass und Fritz Horn [, für deren Lehren ich sehr empfänglich war].

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Zimmer, möblierte (!), mietete ich in den ersten Jahren nur für die Vorlesungszeit. Am Ende klappte ich meinen Koffer zu und fuhr zum Praktikum nach Hause. Und für das nächste Semester suchte ich mir eine neue Bude zum Schlafen.

Denn gelebt habe ich nur auf den Sälen, zunächst auf dem Hermann-Föttinger-Saal, dann auf dem Friedrich-Sass-Saal.

Ich kam morgens zum Frühstücken und ging erst wieder, wenn die Wächter uns nachts raus-warfen.

Danach gingen wir oft noch zu Aschinger am Zoo, um die berühmte Erbsen-Suppe im Stehen zu essen. Von den kleinen Brötchen dazu konnten wir mit geübtem Griff bis zu acht greifen.

Schräger Zinnober

Ein grosses Ereignis war jedes Jahr der Schräge Zinnober, der fünftägige Fasching der Hochschule der Künste.

Wenn ich spät nachmittags zum Früh-stücken auf den Saal kam, schwor ich mir, nie wieder hinzugehen, aber abends war ich doch wieder da.

Monatlicher Zinnober

Da der schräge Zinnober viel zu selten stattfand, haben wir den monatlichen Zinnober im Bootshaus am Stössen-see eingeführt. Die Strassenbahn 75 brachte uns und die Bierkisten fast direkt bis vor die Tür.

Ein 'echtes Problem' war nur der Mangel an Partnerinnen zum Tanzen. Denn an der TU gab es nur wenige Mädchen, bei den Schiffbauern gar keine und bei den Architekten nebenan auch nur drei.

Eins davon wurde meine Frau.

Für ihren erfahrenen Professor war das nicht überraschend. Er begrüsste die jungen Damen immer nur 'für kurze Zeit', nämlich bis zu ihrer baldigen Heirat.

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Freundinnen und Bräute

Manche auf dem Saal hatten schon eine Freundin und einige waren sogar schon verlobt, aber natürlich 'nur' heimlich.

Soweit ich weiss, heirateten aber auch alle anderen gleich nach bestandener Diplom-Prüfung, so wie auch wir.

Wir leben seither in Berlin, unterbrochen nur durch Studien in Imperial College in London, am MIT in Cambridge Mass. und an der Tokyo University.

Andere haben hier nur einen Koffer stehen, und zwar bei ihrer Schwiegermutter. So sind vermutlich auch regelmässige Gast-Vorträge am ISM zu erklären.

Die Jahrzehnte seither sind uns wie im Fluge und in Flugzeugen vergangen, weil wir immer etwas vorhatten, ungeplant, weil es 'die Pille' noch nicht gab, oder auch geplant.

Das fing an mit unserer ersten Tochter in einer Dachstube in London.

Wir legten das Baby in ein aus Spänen geflochtenen Bettchen, das wir auf dem Sperrmüll gefunden hatten und das uns nur einen Topf Farbe und einen Pinsel kostete.

Denn Geld spielt bei uns fast nie eine Rolle, da meistens nicht vorhanden.

Unser viertes Kind, noch keine drei Monate alt, machte vor fünfzig Jahren schon seine erste Flug-Reise an den Strand nach Bornholm, damals noch mit dem Umweg durch den Luftkorridor nach Hamburg.

Von dem letzten Rest unseres Geldes kauften wir uns vor der Rückreise noch schnell ein Gemälde, so dass wir uns schon die Flughafen-Gebühr leihen mussten.

Nützliche Praktika

In Ermangelung einer Schlosser-Lehre konnte ich bei der vornehmen HAPAG nicht als Assistent, sondern nur als Reiniger anheuern.

Die damals geübten Handgriffe nützen mir jetzt noch beim täglichen Putzen unseres Bades 'etc'.

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Praktika habe ich vorher als gut-bezahlterHilfs-Arbeiter regelmässig bei der Deutschen Werft auf Finkenwerder gemacht.

Die war damals trotz der veralteten, für den Sektions-Bau völlig ungeeigneten Helling-Anlage aus den zwanziger Jahren eine der produktivsten Werften.

Das Seefahrts-Praktikum habe ich danach auf einem Motor-Schiff in den US Golf und auf einem Turbinen-Schiff nach Australien 'erlebt'.

Als Reiniger habe ich nicht nur Toiletten der Schlosser und Heizer geschruppt, sondern auch Kessel-Rohre gereinigt und den Doppel-Boden von innen gestrichen.

Hans Langenberg fuhr dagegen immer als Matrose auf Fisch-Dampfern und brachte danach als Deputat ein Fass Heringe mit.

Das stand dann im Winter draussen vor dem Fenster. Entweder briet er sich abends, mit Duldung der Saal-Bürger, einige davon oder er ging runter in den Hof und räucherte sich ein paar.

Leben auf dem Saal

Als ich nach dem Vorexamen an der TH Braunschweig vor 62 Jahren an die TUB kam, gab es auf den Sälen nur noch einige Nachzügler aus dem Krieg. Die haben jede Diskussion ganz klar und endgültig für sich entschieden: 'Michael, Du warst ja gar nicht im Krieg!'

Übrigens sprachen wir uns z. T. auf den Sälen mit Nachnamen und Sie an. Das war keine persönliche Macke von mir, wie mir neulich bestätigt wurde.

Dabei gibt es ja die schöne alte, 'richtige' Form mit Vornamen und Sie. Dass sich jetzt in Firmen alle Duzen, beruht auf einem plumpen Übersetzungs-Fehler.

Die Schiffbauer hatten damals das Vor-recht, die Schulspeise auf den Sälen essen zu dürfen.

Dazu mussten aber täglich die schweren Thermos-Kübel von der Küche der Mensa herangeschleppt und wieder zurückgebracht werden.

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Das Recht hatten sich vermutlich die ersten Kriegs-Heimkehrer erkämpft. Darunter waren auch U-Boot-Kommandanten, die ein strenges Regiment auf dem Sälen führten. Die habe ich selber aber nicht mehr angetroffen.

Studium generale

Die begeisternden Vorlesungen, z. B. über die grossen Romane der Welt-Literatur, waren willkommene Abwechslungen im Studien-Alltag.

Selbst die anspruchsvollen [, schrift-lichen und mündlichen (!)] Prüfun-gen störten (mich) nicht.

Erste Arbeit in der VWS

Meine Tätigkeit auf der Schleuseninsel begann auf dem Flachwasser-Wagen mit den von anderen Mitarbeitern begonne-nen Projekt 'Systematische Versuche mit Kort-Düsen für See-Schiffe'.

Und mit der damals noch sehr dürftigen Mess- und Registrier-Technik.

Meine Ergebnisse entsprachen aber leider gar nicht den Vor-Urteilen meiner Chefs, auch denen vieler Schiffbauer heute noch.

Mein Bericht erhielt deshalb keine VWS-Nummer und verschwand im Keller.

Aber Ideen und Fakten lassen sich nicht in Kellern einsperren!

Meine Ergebnisse von 1961 entsprachen ganz meinen Vorstellungen und meinen Kenntnissen von Hydrodynamik, die ich den klaren Vorlesungen von Hermann Schlichting in Braunschweig verdanke.

Und sie bilden die Grundlage meiner später entwickelten rationalen Theorie der Wechselwirkungen zwischen Rümpfen und Propellern.

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Zu viel der Hilfe

Als ich einen Aufsatz meines ersten Chefs nicht nur korrigiert hatte, sondern völlig umgeschrieben hatte, musste ich solche Arbeiten nie wieder machen.

[Sobald ich zu lesen beginne, möchte ich noch heute alle Aufsätze umschreiben. Einstein selber meinte einmal: 'Das hätte ich auch einfacher sagen können.']

Ähnlich erging es einem frisch verheira-teten Freund. Er liess beim Abtrocknen hin und wieder eine Tasse fallen, bis er nicht mehr Abtrocknen musste.

Sehr schiefe Ebene

Nicht nur in der Berliner Versuchs-anstalt durften wir an Tagungen nur teilnehmen, wenn wir substantielle Beiträge zur Diskussion im Gepäck hatten.

So bin ich auf die schiefe Ebene gekommen [und darauf geblieben].

Nur small talk shows

Bei der STG gab es zu Vorträgen m. W. keine Vor-Prüfungen und es gibt keine Vor-Abdrucke mehr und des-halb auch keine Diskussionen, die diesen Namen verdienen.

Bei der SNAME ist das noch ganz anders [, und zwar sehr rigoros].

Die hiesigen Entschuldigungen sind nicht überzeugend, denn wir haben doch früher auch gearbeitet.

Ich erinnere mich, dass meine Kinder in den Ferien schon am Strand buddelten, während ich im Kurhaus noch weiter an einem Vortrag arbeitete, um den noch rechtzeitig einreichen zu können.

Kritische Beiträge, [oder nur pointiert formulierte?], werden in Deutschland irr-tümlich als persönliche Beleidigungen empfunden und deshalb gibt es solche Beiträge leider gar nicht mehr.

[Seit meinem Beitrag zu Grims Vortrag von 1966 über sein 'Leid'-Rad gibt es bei der STG dazu eine lex Schmiechen.]

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Anschauungen formalisiert

Nichts ist praktischer als eine gute Theorie und nichts ist mächtiger als eine gute Philosophie.

Vor über zweitausend Jahren erzählte Archilochos dazu die Fabel:

'Der Fuchs weiss viele Dinge, aber der Igel weiss eine grosse Sache.'

Der Igel weiss eine grosse Sache

Als ich meine Theorie der Wechselwirkung zwischen Rümpfen und -Propellern entwickeln wollte, habe ich natürlich keinen Schiffbauer gefragt, sondern mich nach Logikern umgesehen, die wissen, wie Theorien konstruiert werden.

Axiomatische Theorie 1980

Fritz Horn zum 100sten Geburtstag

You cannot have a theory without principles.'Principles' is another name for 'prejudices'.

Mark Twain, 1900

Die Entwicklung begann 1980 an einem Sommer-Wochenende, nachdem mir bei den Erzählungen der Schiffbauer end-gültig der Kragen geplatzt war.

Nach weiteren 35 Jahren intensiver Arbeit ist jetzt die Vision von Fritz Horn, die schon vor dem Krieg mit unzureichenden Mitteln erprobt und 1937 auf der ITTC in Berlin diskutiert wurde, endlich Realität geworden.

Die Logiker und Philosophen sind der begründeten Meinung, dass die Philo-sophien der Physiker und Ingenieure meistens sehr naiv und schlecht sind.

Ich habe ihnen aber entgegen gehalten, dass sie ja schon lange verständliche (!) und brauchbare Werkzeuge hätten liefern können und müssen!

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November 1988 im Nordmeer

Die full scale Erprobung meiner Ideen erfolgte bereits acht Jahre später auf der damaligen METEOR. [Die vielen deut-schen Forschungs-Schiffe gleichen Namens sind merkwürdiger Weise nicht nummeriert.]

post-faktische Ignoranz

Von arroganten Ignoranten wird jetzt behauptet, dass meine erfolgreichen, professionellen Schub-Messungen, meines Wissens die einzigen, die je gemacht wurden, nicht funktioniert hätten.

Hohle Mess-Welleder METEOR

Als sechs Komponenten-Waage unter vollen Betriebs-Lasten kalibriert

Dazu habe ich gestern in der aktuellen ZEIT gelesen, dass Schüler, Studenten und deren Lehrer wahre und falsche Veröffentlichungen gar nicht mehr unter-scheiden können.

Selbst wenn darüber steht, 'dies ist eine bezahlte Werbung', von einem skrupel-losen Pharma-Konzern oder von einem maffiösen Anwalts-Kartell, wissen sie gar nicht, was das bedeutet.

Nach Sokals Jux mit einem sinnlosen Aufsatz, der von einer renommierten Zeitschrift veröffentlicht wurde, gibt es jetzt Programme, mit denen jedermann sinnlose paper, die sich gegenseitig 'zitieren' (!), in Serie produzieren und in Massen publizieren kann.

Selbst das Archiv des Springer-Verlages ist schon mit solchem Schrott verseucht. Also seien Sie auf der Hut!

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Absurde Ideen

Eine Idee, die am Anfang nicht absurd klingt, taugt nichts!

Albert Einstein

How to be a good empiricist

… intuitive appeal, agreement with customary modes of speech, far from being the philosophical virtue, indicates that not much progress has been made and that the business of investigating what is commonly accepted has not even started.

Paul Feyerabend

Rechentechnik ab ovo

Als wir noch keinen eigenen Rechner hatten, wusste unser erster 'Operator' wo in der TU Zuse-Rechner nachts unbenutzt herumstanden.

Und damit er die für die VWS effizient nutzen konnte, wurde ihm eine Loch-streifen-Stanze bewilligt.

Dann kamen Lochkarten-Stapel und immer wieder neue Programmier-Sprachen, die wir schnell gelernt und 'verbraucht' haben.

Besonders lehrreich war für mich immer wieder das Analysieren umfangreicher Ergebnisse aufwändiger Versuche, in ich sonst gar nicht involviert gewesen war.

Ich sollte immer 'nur' versuchen, den Relikten der mehr, meistens weniger professionell geplanten und durchge-führten Projekte vor deren Beerdigung auf dem Daten-Friedhof, doch noch Leben einzuhauchen.

Für uns waren das mit den damaligen Werkzeugen z. T. schon 'big data'.

Zwischen allen Stühlen

Mit einer Untersuchung zu den Unter-haltungs-Tiefen der vier deutschen See-Wasserstrassen sass ich plötzlich zwischen allen Stühlen: zwischen den Wasserstrassen-Ämtern, den Hafen-Behörden und den Lotsen-Brüderschaften.

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Und beim Auftrag-Geber, dem BMV, war zuletzt ein neuer Bearbeiter zuständig, der den Auftrag nicht verstanden hatte.

Ausgerechnet der wollte mir erklären, wie ich die Studie hätte anfangen 'müssen', nachdem ich alle drei Monate zum Rapport in Bonn erscheinen musste.

Auch nachdem ich von der Gehaltsliste der VWS gestrichen war, habe ich noch einen grossen Auftrag zur Elb-Vertiefung für die WSD in Kiel erledigt.

Übrigens gingen die Aufträge weder an die BAW, noch die VBD, sehr zum Ärger letzterer. Aber dabei ging es ja nicht um die Untiefen auf der Elbe, sondern ín den very (!) big data.

40 Jahre Vorlesungen

Wer nicht weiß, wo er hin will, darf sich nicht wundern, wenn er woanders ankommt.

Mark Twain

How to solve it

It is foolish to answer a question that you do not understand. It is sad to work for an end that you do not desire. Such foolish and sad things often [!] happen, …

Gustav Polya

Der ungarische Mathematiker Polya hat nicht nur zwei dicke Bücher über das plausible Schliessen geschrieben, sondern auch ein herrliches kleines Buch über das Lösen von (mathematischen) Problemen:

„How to solve it“.

[Das Lösen beginnt danach immer mit dem Erzeugen einer formalen Sprache. Und deshalb spielten die Makro-Operationen 'Begreifen' und 'Beschreiben' in meinen Vorlesungen und in all meinen Arbeiten immer eine fundamentale Rolle.]

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Ich persönlich habe oft erlebt, dass ein Kollege, der noch gar nicht wusste, worum es ging, schon eine Versuchs-'Mimik' skizzierte.

Und wenn ich 'mal schnell' Probleme für Kollegen lösen sollte, habe ich das oft getan, bis ich merkte, dass die Lösungen meistens zu gar nichts Nütze waren.

Die richtige Weise

Gewissheit ist einer der billigsten Gebrauchsartikel, und sie kann augenblicklich erlangt werden, sobald das Problem in der richtigen Weise angepackt worden ist.

Paul Feyerabend

Goethes Methode

Er abstrahiert mit einer seltnen Genau-igkeit, aber nie ohne das Objekt zugleich zu konstruieren, dem die Abstraktion entspricht. Dies ist nichts als angewandte Philosophie ...

Novalis: Über Kunst und Literatur

Auf dem Boden geblieben!

Alle meine Gedichte sind Gelegen-heitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin ihren Grund und Boden. Von Gedichten aus der Luft gegriffen halte ich nichts.

Johann Wolfgang Goethe

Dazu eine schöne Geschichte von zwei jungen Fachleuten, die sich für sehr viel Geld die uninteressante Hälfte einer Matrix hatten 'verkaufen' lassen.

Als sie ihre eigene Dummheit und den Betrug bemerkten, wussten sie aber, dass ich ihnen helfen würde und 'natürlich' kostenlos.

'Natürlich' habe ich das getan! Und genau so 'natürlich' bekamen sie von der VWS einen sehr dünnen Bericht und eine sehr dicke Rechnung.

Und ich selber habe danach 'natürlich' noch einen Aufsatz geschrieben, so wie Goethe das 'natürlich' auch getan hätte.

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20 Jahre Ruhe-Stand

If relativistic electrodynamics is correct, then we are still far from having a dynamics for the translation of rigid bodies.

Albert Einstein, 1907

An dieser Situation hat sich noch nichts geändert, weil die klassische Mechanik auch nach über dreihundert Jahren noch immer nicht verstanden wird.

Und dieser unglaubliche Zustand war der Anlass für meine Rekonstruktion der klassischen Mechanik, mit Ergebnissen zu Relativität und Schwere.

Rekonstruktion im Geiste Goethes

Meine Rekonstruktion der klassischen Mechanik, entstanden im Laufe von zwölf Jahren, ist kein typisches 'Lehr-buch', sondern vielmehr ein 'Lesebuch'.

Eilige Leser können sich mit den hinter-listigen Motti begnügen. Ich bezweifle aber, dass sie dann die 'Witze' verstehen.

Naive Vorstellungen ahoi

Wie bei Pumpen ist der Schub auch bei Propellern eine sehr lästige Neben-Wirkung. Und deren Messung ist praktisch nicht möglich und, wie ich jetzt nachgewiesen habe, auch gar nicht nötig.

Ein Student hätte für diesen Nachweis einen Doktor-Hut bekommen!

Jubiläum der METEOR- Versuche

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Das zentrale Problem sind Vertrauens würdige Probefahrten als Grundlage für Kosten trächtige Entscheidungen.

Aus verständlichen Gründen haben einige 'Mitspieler' gar kein Interesse daran.

Fritz Horns Vision realisiert

Nun wird behauptet, dass eine Idee sich erst durchsetzt, wenn deren Erfinder gestorben ist. Das stimmt aber gar nicht!

Tatsächlich müssen seine Kollegen und deren Studenten erst 'aus'-sterben. Das dauert also immer mindestens zwei, drei Generationen, oft dreihundert Jahre.

Nicht nur ich bin der Meinung, dass sich Leute, die effizient Probleme lösen wollen, diesen Luxus nicht länger leisten können und müssen.

Und deshalb habe ich als apl. Professor vierzig Jahre lang Vorlesungen über professionelles Lösen von Problemen gehalten.

Als apl. Prof. war ich verpflichtet, jedes Semester Vorlesungen anzukündigen und auch zu halten, wenn nur zwei Studenten das wünschten.

Da die Vorlesungen mein ganz privates Vergnügen waren, durften die Studenten erst nach Feierabend auf die Schleusen-insel kommen.

Gebrauch von Gehirnen

Neuronale Netze, auch unter Schädel-decken, 'lernen' am besten, wenn ihnen sehr viele, sehr verschiedene Informationen in zufälliger Folge angeboten werden.

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Schmiechen: Erinnerungen und Erfahrungen 16

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Sie werden aber für innovative Lösungen völlig blockiert, wenn ihnen nur wenige verschiedene Informationen, und die auch noch geordnet angeboten werden.

Wer meint, etwas interessiere ihn nicht, er müsse etwas nicht lesen, der hat schon 'verloren'.

Lass mich ein Kind sein, …Friedrich Schiller: Maria Stuart, 1.Akt, 1.Szene.

Erhalten Sie sich also Ihre kindliche Neugier, Phantasie und Begeisterung und lassen Sie sich nicht in Ecken drängen, aus denen sie nicht wieder herauskommen, bevor Sie Ihre Kreativität entwickeln konnten.

Hilfreicher Zopf

Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Knie schloß, wieder herausgezogen hätte.

Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen

Meinen eigenen Zopf habe ich oft benutzen müssen, um mir selbst aus der Patsche zu helfen, und besonders intensiv, um mich von den Vorurteilen zu befreien, mit denen auch ich indoktriniert wurde.

[Durch das rituelle Wiederholen unverstan-dener Phrasen lassen sich keine Probleme lösen.]

Hebezeug, nicht nur für Lügner!

… also auch du bist ein Subsystem eines genügend reichhaltigen Sumpfes. Und ein Subsystem dieses Subsystems ist der eigene Schopf, dieses Hebezeug für Reformisten und Lügner.

Hans Magnus Enzensberger

Diese vollständige Fassung des Vortrages befindet sich auf meiner website www.m-schmiechen.de im 'News flash' und unter 'News on general subjects', und kann als Broschüre im Format DIN A5 ausgedruckt werden.