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Gewalt an älteren Menschen
Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung (Mitteilung) trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.
Gewalt
Gewalt ist der Einsatz wie immer gearteter Zwangsmittel mit dem Ziel, einen Menschen gegen seinen Willen zu einer Verhaltens- änderung zu bewegen (zu zwingen).
Gewalt an älteren MenschenDefinition 1:
Bei Gewalt gegen ältere Menschen handelt es sich um eine einmalige oder wiederholte Handlung im Rahmen einer Vertrauensbe- ziehung oder um die Unterlassung geeigneter Maßnahmen, die älteren Menschen Schaden oder Leid zufügen.
WHO 2002: Erklärung von Toronto zum Schutz älterer Menschen vor Gewalt
Gewalt an älteren Menschen
Definition 2:
Gewalt ist eine vermeidbare Beeinträchtigung menschlicher Grundbedürfnisse, deren Entste- hung von vielen Faktoren beeinflusst wird, die jedoch veränderbar sind und zum Handeln auffordern.
Prof. Hirsch, BRD
Gewalt an älteren Menschen
Definition 3:
Gewalt ist jedes Handeln, welches potentiell realisierbare grundlegende menschliche Bedürf- nisse (Überleben, Wohlbefinden, Identität, Entwicklungsmöglichkeit, und Freiheit) durch personelle, strukturelle oder kulturelle Deter- minanten beeinträchtigt, einschränkt oder deren Befriedigung verhindert.
Galtung, J., Strukturelle Gewalt, 1975
Gewalt an älteren Menschen
kann überall dort auftreten, wo alte Menschen leben
zu Hause in Einrichtungen des Sozial- und
Gesundheitswesens wie Heimen, Tageszentren oder Krankenhäusern
im öffentlichen Raum
Häufigkeit von Gewalt
Kaum systematische Daten, meist Auswertungen von Statistiken, Schätzungen oder Hochrechnungen
Angaben in Jahresprävalenzraten Jahresprävalenz: innerhalb eines Jahres wurden X% der 60+ Opfer von Gewalt
Angst, selbst Opfer zu werden größer als tatsächliche Gefährdung
Großes Tabu (Scham, Angst, Schutzbedürfnis gegenüber
gewalttätigen Angehörigen)
Häufigkeit von Gewalt im sozialen Nahraum
Jahres-Prävalenz in repräsentativen Stichproben 65+ zwischen 0,8% und 29,3%besonders hohe Gefährdung von betreuungsbedürftigen alten Menschen in der Familie− Beinahe 25% der betreuungsbedürftigen alten Menschen erleben Gewalt und 20% Vernachlässigung − 1/3 der betreuenden Angehörigen von Demenzkranken berichtet über von ihnen ausgeübte Gewalt - 5 % als körperliche Misshandlungen.Quelle: Josef Hörl, Gewalt gegen alte Menschen als ethisches Problem in der Pflege. In:
Imago Hominis. Bd. 19 (2012), S. 39-49
Häufigkeit von Gewalt in Institutionen
Keine repräsentativen nationalen Stichprobenergebnisse
Empirische Einzelstudien (Befragungen von Pflegepersonal) aus den USA bzw. Deutschland − Psychische Gewalt beobachtet: 63% bis 81%− Physische Gewalt bzw. aktive Vernachlässigung beobachtet: 30% bis 36%− Selbst schon begangen: 10% − Selbst schon begangen: 40% bis 45%
Quelle: Josef Hörl, Gewalt gegen alte Menschen als ethisches Problem in der Pflege. In: Imago Hominis. Bd. 19 (2012), S. 39-49
Ebenen der Gewalt in Betreuungs- und Pflegebeziehungen
Ebenen der Gewalt in Betreuungs- und Pflegebeziehungen
Person
Ebenen der Gewalt in Betreuungs- und Pflegebeziehungen
Persondirekt
Direkte (personale) Gewaltdie beabsichtigte, versuchte oder durchgeführte physische und/oder psychische Schädigung einer Person, von Lebewesen und Sachen durch eine andere Person(Kunczik, 1998, S. 13; vgl. Scheithauer, 2003)
Kennzeichen: Gewalt durch Akteurinnen und Akteure
seelische oder emotionale Gewalt: zielgerichtetes seelisches Quälen
Respektlosigkeit, ängstigen und einschüchtern, korrigieren, beschämen, bloßstellen, drohen, beschimpfen, anschreien, beleidigen, ständig kontrollieren, isolieren, Kontakte unterbinden, Babysprache verwenden,
Direkte (personale) Gewalt
physische Gewalt: Zufügen von körperlichem Schmerz und körperlichem Zwang durch aktives Handeln, Unterlassen oder Vernachlässigen: heftig anfassen, schütteln, stoßen, an den Haaren reißen, zurück halten, schlagen, … Medikamente vorenthalten/überdosieren Nahrung vorenthalten, Flüssigkeitsmangel, Symptome/Schmerzen nicht ernst nehmen, mangelnde Körperhygiene, kein Toilettentraining, fehlende Dekubitusprophylaxe, …
Direkte (personale) Gewalt
Sexuelle Belästigung, sexuelle Übergriffe: jede Art von nicht erwünschtem sexuellen Kontakt oder Berührungen, schlüpfrige Witze, anzügliche Bemerkungen
Finanzielle Ausbeutung: Kontrolle über Eigentum zu erlangen suchen, Vorenthalten von Geld, Veruntreuung, finanzielle Zuwendungen erpressen, Übergabe von Vermögen oder Immobilien erzwingen
Einschränkung des freien Willens und der Persönlichkeitsrechte: Einschränkung der individuellen Lebensgewohnheiten (z.B.Vorenthalten von Lieblingsspeisen oder Getränken), der Bewegungsmöglichkeiten (festhalten, festbinden, einsperren), Auflösung der Wohnung ohne Einwilligung, Kontrolle der Post, Verhindern von (sexuellen) Beziehungen
Ebenen der Gewalt in Betreuungs- und Pflegebeziehungen
Struktur
Persondirekt
Strukturelle GewaltEinschränkende und benachteiligende Regelungen, Vorschriften und Strukturen führen zu Beeinträchtigung und Schädigung von Personen, zu Abhängigkeit und Fremdbestimmtheit
Kennzeichen: verdeckt und wenig fassbar Mangelhafte Lebensräume: erzwungenes Wohnen im
Mehrbettzimmer - keine Privatsphäre, reglementierende Hausordnung lässt bisherige Lebensgewohnheiten nicht zu, mangelnde Infrastruktur verhindert soziale Teilhabe
Strukturelle Gewalt Sicherheit vor Lebensqualität: Einschränkungen der
Mobilität wg. vermuteter Unfallgefahr, Brandschutz oder Hygienevorschriften, „beschützende“ Maßnahmen = Über-Fürsorglichkeit, Magensonde ohne medizinische Notwendigkeit
Finanzielle Ziele kommen vor ethischer Pflicht: zu wenige oder nicht entsprechende Angebote an Aktivitäten, Sparzwang (Qualität der Inkontinenzprodukte, Fertigkost, Essenszeiten und -dauer nicht bedürfnisgerecht,..)
Strukturelle Gewalt Unzureichender Personalschlüssel: Zeitmangel
verhindert Toilettentraining, keine Dekubitusprophylaxe, keine Begleitung bei gewohnten Alltagsaktivitäten (Friedhofbesuch, Einkauf), Vernachlässigung
Inhumane Arbeitsbedingungen: mangelnde Anerkennung der Leistung, Respektlosigkeit , kein Rückhalt durch Team oder Führungskräfte
Mangelhafte Qualifizierung: Vorenthalten von Wissen, Wissen nicht ernst nehmen
unnötige Bestellung einer Sachwalterschaft
Ebenen der Gewalt in Betreuungs- und Pflegebeziehungen
Struktur
Persondirekt
Ebenen der Gewalt in Betreuungs- und Pflegebeziehungen
Struktur Kultur
Persondirekt
Kulturelle Gewalt
Entsteht aus den in einer Gesellschaft geltenden Werthaltungen und negativen Vorurteilen gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen trägt zur Rechtfertigung und Legitimierung von direkter oder struktureller Gewalt bei
Wertesystem: defizitäres bzw. negatives Altersbild, nur jung ist erstrebenswert, Orientierung an technischen Lösungen grenzt ältere Menschen aus (nur mehr Zugang über internet)
Kollektive Vorurteile gegenüber dem Alter führen zur Sündenbocktheorie: Kostenentwicklung im Gesundheitswesen, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind weniger belastbar, Alter = Krankheit und Hilflosigkeit
Kulturelle Gewalt Diskriminierung (Ageismus): soziale und wirtschaftliche Benachteiligung aufgrund
der negativen Stereotype, z.B. keine Kredite, Zugangsbarrieren zu bestimmten Reha-Leistungen
Tradiertes Frauenbild, Pflegeverpflichtung für Frauen, starre Beziehungsmuster zwischen den Generationen: Frauen wird ohne entsprechende Vorbereitung oder ungeplant die Verantwortung für Hilfe benötigende Familienmitglieder übertragen, da das zu ihren „natürlichen“ Aufgaben gehört
Abteilungskultur: Infantilisierung (hat brav gegessen), Ent-Persönlichung (Pflegefälle, Abgänge für Verstorbene)
Sprache: „Gewaltwörter“ (Altenberg, demografische Belastung), Etikettierung (die Dementen, die Wegläufer), Verdinglichen (verlegen, unterbringen, umlegen), Institutionenjargon (windeln, fertig machen)
Ebenen der Gewalt in Betreuungs- und Pflegebeziehungen
Struktur Kultur
Persondirekt
indirekt
Kritische Faktoren für Gewalthandlungen bei Betreuungspersonen
Konflikthafte Beziehungen (Lebensgeschichte)Hilflosigkeit und Überforderung durch Überschreiten
der BelastungsgrenzeMangelndes Wissen über Krankheitsfolgen Häufung verschiedener BelastungsfaktorenSoziale IsolationPsychische Erkrankungen (Sucht, Depression)
Kritische Faktoren für Gewalthandlungen bei Betreuten
Unangemessener UmgangEindringen in die IntimsphäreMissachtung von Gefühlen und BedürfnissenKrankheitsfolgen (Verkennen der Situation, Wegfall der
Hemmschwelle)Zwang, Misshandlung, Gewalt durch
Betreuungspersonen
Gewaltumkehr
Maßnahmen
• Prävention durch Aufklärung, Bewusstseinsbildung • Gesetze• Opferschutzstruktur• Beratungsstellen (Frauenhelpline und –notruf)• Frauenhäuser• Gewaltschutzzentren• Männerberatung• Prozessbegleitung• Arbeit mit Gewalttätern
persönliche PräventionBelastungen erkennen und ansprechen
Entlastungsmöglichkeiten ansprechen und ermutigen, sie zu nutzen
Persönliche Entlastungsstrategien entwickeln
Selbstwahrnehmung schärfen helfen, Gegensteuern schulen
Hilfsmöglichkeiten aufzeigen
Verbündete suchen, denn: Gewalt kann nie alleine gelöst werden
GesetzeGewaltschutzgesetzeBundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie
(1.5.1997)2. Gewaltschutzgesetz (1.6.2009)Schutz gegen Stalking (1.7.2006)Tatbestand der fortgesetzten Gewaltausübung (1.6.2009)Wegweisung des Gefährders/der Gefährderin aus der
Wohnung durch die Exekutive nach § 38a SPGBetretungsverbot nach § 38a SPG
Gesetze
• Heimvertragsgesetz (27.2.2004)• Heimaufenthaltsgesetz (1.7.2005)• Bundespflegegeldgesetz (1.7.1993)• OPCAT/UN Behindertenkonvention• Berufsgesetze• Heimgesetze und –Verordnungen der
Bundesländer
Melde- bzw. Anlaufstellen• Aufsichtsbehörden der Bundesländer• Patienten- und Pflegeanwaltschaften, Ombudsstellen• Gewaltschutzzentren• Opferschutzorganisation Weißer Ring• Führungskräfte von Heimen und mobilen Diensten
(Heimleitungen bzw. Einsatzleitungen)• Polizeiinspektionen• Beratungstelefon Pro Senectute 0699 11 20 00 99
www.wedo-partnership.eu/ http://www.wedo-partnership.eu/wedo2
EUSTaCEA Projekt und Europäische Charta: http://www.age-platform.eu/age-projects/health-and-long-term-care/659-daphne
Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung (Mitteilung) trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.