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232 Raumliche Superposition zweier Bewegungszustande eines Ions Schrodingers Katzen leben Ianger! Einer Forschergruppe am National Institute of Standards in Boulder, USA, gelang es, eine quantenmechanische Su- perposition raurnlich getrennter Zustande eines einzelnen Atoms herzustellen [l]. Diese experimentelle Realisierung eines beriihmten Gedankenexperimentes von Erwin Schrodinger erlaubt Einblicke in den Ubergang von der Quantenmechanik zur klassischen Physik. Die Entwicklung der Quanteii- mechanik war stets von kontro- versen Diskussionen beziiglich ihrer Interpretation begleitet. Oft stand dabei die Frage im Mittel- punkt, wie das kuriose Verhalten quantenmechanischer Systeme mit unserer klassischcn Welt in Einklang zu bringen ist. Beriihm- te Gedankenexperimente, wie das Einstein-Podolski-Rosen-Parado- xon oder Schrodingers Katze, versuchten, die Allgemeingiiltig- keit der Quantenmechanik in Frage zu stellen. Vergeblich, wie wir heute wissen. Dennoch sind sie fur die Klarung der konzep- tionellen Schwierigkeiten auch 60 Jahre spater noch wichtig. Das wissenschaftliche Interesse an diesen Fragestellungen hat in den letzten Jahren stark zugenom- men, da durch die Fortschritte bei der Kiihlung von Atomen (Physik in unserer Zeit 27,206 (5/1996)) viele dieser Gedanken- experimente experimentell iiber- priifbar geworden sind. Das Problem beim Ubergang von der Mikro- zur Makrowelt ist das Prinzip der Superposition diskre- ter Zustande in der Quantenme- chanik. Dem steht unsere klassi- sche Welt gegeniiber, in der im- rner nur ein Zustand beobachtet wird. Erwin Schrodinger illu- strierte das Problem in einem Gedankenexperiment mit einer Katze und einern radioaktiven Atom in einer geschlossenen Kiste: zerfallt das Atom, wird iiber einen Geiger-Zahler mit angeschlossenem Relais eine fur die Katze todliche Substanz freigesetzt. Die Quantenmecha- nik lehrt uns, dai3 die Katze so- lange in einer Superposition der Zustande 'tot' und 'lebendig' ist, wie wir die Kiste ungeoffnet lassen, da wir nicht wissen, wann das Atom zerfallt. Dies ist ein offensichtlicher Widerspruch zu unserer Erfahrung, nach der eine Katze entweder tot oder lebendig ist. Wir leben in einer klassischen Welt der Alternativen und nicht in einer Welt der Superpositionen. Ein Ansatz, um diesen Wider- spruch zu losen, wurde in letzter Zeit immer mehr favorisiert. Er war schon in den Anfangen der Quantenmechanik bekannt, aber seine Bedeutung fur den Uber- gang von der Quantenwelt zur klassischen Physik wurde lange Zeit nicht erkannt: Makroskopi- sche Systeme sind nie isoliert von ihrer Umgebung. Sie folgen nicht streng der Schrodinger-Glei- chung, die lediglich geschlossene Systeme beschreibt. Als Folge hiervon verlieren klassische Sy- steme die Superposition von Zustanden. Die zugehorige Wel- lenfunktion, die ein quantenme- chanisches System vollstandig beschreibt, ist keine Summe von verschiedenen Zustanden mehr. Die Wechselwirkung mit der Urngebung erklart die Reduktion dieser Summe zu einem einzigen Zustand. Die Zeitdauer dieses Prozesses ist extrem kurz: Eine quantenme- chanische Superposition von zwei Ortszustanden im Abstand von 1 cm und einer Masse von 1 g ist bei einer Umgebungstem- peratur von 300 K schon nach hochstens s zerstort. Die Zerstorung der Superposition bei Objekten der Groflenordnung von Schrodingers Katze findet also praktisch instantan statt und ist daher nicht wahrnehmbar. Urn eine raumliche Superposition und deren Reduktion dennoch mit den gegenwartigen experi- mentellen Moglichkeiten beob- achtbar zu machen, ist ein vie1 kleinerer Abstand und eine we- sentlich geringere Masse notwen- dig. Die NIST-Gruppe um Chris Monroe und Dave Wineland realisierte ein solches Experi- ment, indem sie ein einziges Ion in einer Falle speicherte. Die 7 nm groi3en Wellenpakete des Atoms besagen einen maximalen Abstand von 80 nm, waren damit also raumlich getrennt. Mit die- sem System ist es moglich, den Zerstorungsprozefl einer Super- position zu verfolgen und diese sogar gezielt zu verandern. Die kinetische Energie des Ions wird zunachst durch Laserkiih- lung bis zum quantenmechani- schen Grundzustand des harmo- nischen Potentials des Ionenfal- lenfeldes verringert. U m dann eine raumliche Superposition zweier Bewegungszustande her- zustellen, werden die internen (elektronischen) und externen (Bewegungs-) Zustande des Atoms rnit einer Sequenz von Laserpuls-Paaren manipuliert. Die beiden so erzeugten raumli- chen Wellenpakete entsprechen in Schrodingers Gedankenexperi- ment der toten und der lebendi- gen Katze. Sie sind mit zwei internen elektronischen Zustan- den verkniipft, die dem radioak- tiven Atom ahneln, das in der Box zerfallt - oder eben nicht. Im ersten Schritt spaltet ein La- serpuls-Paar das Wellenpaket in zwei gleiche Anteile auf. Weitere Laserpulse regen durch die auf das Atom einwirkenden Krafte erst den einen, dann den anderen Bewegungszustand an. Die resul- tierende Wellenfunktion ist eine Superposition von zwei verschie- denen makroskopischen Bewe- gungszustanden, wobei jeder von beiden mit einem der internen Zustande des Atoms verknupft ist: Das war Schrodingers Idee. Wie kann die Schrodinger-Katze verifiziert werden? Indem die Wahrscheinlichkeit gemessen wird, mit der sich das Atom in einem der beiden internen Zu- stande befindet. Ein Laserpuls kornbiniert dafiir beide Bewe- gungszustande. Da die Wellenpa- kete cine feste Phasenbeziehung zueinander haben, kann die quantenmechanische Interferenz zwischen ihnen gemessen wer- den. Bei destruktiver Interferenz ist die Wahrscheinlichkeit, dai3 sich das Atom im jeweiligen Zustand befindet gleich null, bei konstruktiver Interferenz ist sie gleich eins. Die Besetzungswahr- scheinlichkeit in Abhangigkeit der Phase beider Wellenpakete ergibt dann ein Interferenzmu- ster, das als Indikator fur eine Superposition dient. Wird der maximale Abstand der beiden Wellenpakete durch lange- re Laserpulse vergroflert, ist die Interferenz weniger stark ausge- pragt, was den Zerfall der Super- position bedeutet. Dieser Effekt ist ab einem Abstand von 80 nm sichtbar. O b dies bereits Anzei- chen des quantenmechanischen Zerfalls der Superposition sind, lassen die Forscher offen, denn bislang konnen sie apparative Einfliisse nicht ganzlich aus- schlieflen. Die Eleganz des Konzeptes, eine raumliche Superposition zweier Wellenpakete eines einzelnen Ions herzustellen, liegt in der Mog- lichkeit, die wichtigen Parameter kontrolliert verandern und ein- stellen zu konnen. Zukiinftige Experimente an diesem System werden einen Vergleich mit den theoretisch berechneten Zeit- dauern, nach denen eine Super- position zerstort ist, beinhalten. Dies ist ein wichtiger Test, ob dieser Losungsansatz iiberhaupt der richtige ist, um die Quanten- welt mit unserer klassischen Wirklichkeit zu versohnen. [l] C. Monroe et al., Science 272, 1131 (1996). Jiirgen Rink, Karlsruhe Technomathem at i k in Bremen Den Studiengang Technomathe- matik gibt es in Deutschland schon seit 15 Jahren. Ab dem Wintersemester wird er nun auch an der Universitat Bremen ange- boten. Gelehrt werden hier die Gebiete Mathematik, technische Anwendungen (Elektrotechnik, Geophysik, Produktionstechnik oder Physik) und Informatik. In dem neu gegriindeten Zentrum fur Technomathematik sollen Vertreter aus Industrie und Wis- senschaft zusammenarbeiten. Durch Kooperationsprojekte und Einbeziehung realer Probleme in die Studienausbildung sol1 der Austausch zwischen Hochschule und Industrie vertieft werden. Weitere Informationen erhalt man unter: Zentrum fur Tech- nomathematik, Prof. Dr. Angeli- ka Bunse-Gerstner, Universitat Bremen, Fachbereich 3, Postfach 33 04 40,28334 Bremen, Telefon: 0421/218-4821 oder -4811. Uni-Press Aktuell Nr. 059 Physik in unserer Zeit / 27. Jahrg. 1996 / Nr. J

Schrödingers Katzen leben länger!

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Page 1: Schrödingers Katzen leben länger!

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Raumliche Superposition zweier Bewegungszustande eines Ions

Schrodingers Katzen leben Ianger! Einer Forschergruppe am National Institute of Standards in Boulder, USA, gelang es, eine quantenmechanische Su- perposition raurnlich getrennter Zustande eines einzelnen Atoms herzustellen [l]. Diese experimentelle Realisierung eines beriihmten Gedankenexperimentes von Erwin Schrodinger erlaubt Einblicke in den Ubergang von der Quantenmechanik zur klassischen Physik.

Die Entwicklung der Quanteii- mechanik war stets von kontro- versen Diskussionen beziiglich ihrer Interpretation begleitet. Oft stand dabei die Frage im Mittel- punkt, wie das kuriose Verhalten quantenmechanischer Systeme mit unserer klassischcn Welt in Einklang zu bringen ist. Beriihm- te Gedankenexperimente, wie das Einstein-Podolski-Rosen-Parado- xon oder Schrodingers Katze, versuchten, die Allgemeingiiltig- keit der Quantenmechanik in Frage zu stellen. Vergeblich, wie wir heute wissen. Dennoch sind sie fur die Klarung der konzep- tionellen Schwierigkeiten auch 60 Jahre spater noch wichtig. Das wissenschaftliche Interesse an diesen Fragestellungen hat in den letzten Jahren stark zugenom- men, da durch die Fortschritte bei der Kiihlung von Atomen (Physik in unserer Zeit 27,206 (5/1996)) viele dieser Gedanken- experimente experimentell iiber- priifbar geworden sind.

Das Problem beim Ubergang von der Mikro- zur Makrowelt ist das Prinzip der Superposition diskre- ter Zustande in der Quantenme- chanik. Dem steht unsere klassi- sche Welt gegeniiber, in der im- rner nur ein Zustand beobachtet wird. Erwin Schrodinger illu- strierte das Problem in einem Gedankenexperiment mit einer Katze und einern radioaktiven Atom in einer geschlossenen Kiste: zerfallt das Atom, wird iiber einen Geiger-Zahler mit angeschlossenem Relais eine fur die Katze todliche Substanz freigesetzt. Die Quantenmecha- nik lehrt uns, dai3 die Katze so- lange in einer Superposition der Zustande 'tot' und 'lebendig' ist, wie wir die Kiste ungeoffnet lassen, da wir nicht wissen, wann das Atom zerfallt. Dies ist ein offensichtlicher Widerspruch zu unserer Erfahrung, nach der eine Katze entweder tot oder lebendig ist. Wir leben in einer klassischen

Welt der Alternativen und nicht in einer Welt der Superpositionen.

Ein Ansatz, um diesen Wider- spruch zu losen, wurde in letzter Zeit immer mehr favorisiert. Er war schon in den Anfangen der Quantenmechanik bekannt, aber seine Bedeutung fur den Uber- gang von der Quantenwelt zur klassischen Physik wurde lange Zeit nicht erkannt: Makroskopi- sche Systeme sind nie isoliert von ihrer Umgebung. Sie folgen nicht streng der Schrodinger-Glei- chung, die lediglich geschlossene Systeme beschreibt. Als Folge hiervon verlieren klassische Sy- steme die Superposition von Zustanden. Die zugehorige Wel- lenfunktion, die ein quantenme- chanisches System vollstandig beschreibt, ist keine Summe von verschiedenen Zustanden mehr. Die Wechselwirkung mit der Urngebung erklart die Reduktion dieser Summe zu einem einzigen Zustand.

Die Zeitdauer dieses Prozesses ist extrem kurz: Eine quantenme- chanische Superposition von zwei Ortszustanden im Abstand von 1 cm und einer Masse von 1 g ist bei einer Umgebungstem- peratur von 300 K schon nach hochstens s zerstort. Die Zerstorung der Superposition bei Objekten der Groflenordnung von Schrodingers Katze findet also praktisch instantan statt und ist daher nicht wahrnehmbar.

Urn eine raumliche Superposition und deren Reduktion dennoch mit den gegenwartigen experi- mentellen Moglichkeiten beob- achtbar zu machen, ist ein vie1 kleinerer Abstand und eine we- sentlich geringere Masse notwen- dig. Die NIST-Gruppe um Chris Monroe und Dave Wineland realisierte ein solches Experi- ment, indem sie ein einziges Ion in einer Falle speicherte. Die 7 nm groi3en Wellenpakete des

Atoms besagen einen maximalen Abstand von 80 nm, waren damit also raumlich getrennt. Mit die- sem System ist es moglich, den Zerstorungsprozefl einer Super- position zu verfolgen und diese sogar gezielt zu verandern.

Die kinetische Energie des Ions wird zunachst durch Laserkiih- lung bis zum quantenmechani- schen Grundzustand des harmo- nischen Potentials des Ionenfal- lenfeldes verringert. U m dann eine raumliche Superposition zweier Bewegungszustande her- zustellen, werden die internen (elektronischen) und externen (Bewegungs-) Zustande des Atoms rnit einer Sequenz von Laserpuls-Paaren manipuliert. Die beiden so erzeugten raumli- chen Wellenpakete entsprechen in Schrodingers Gedankenexperi- ment der toten und der lebendi- gen Katze. Sie sind mit zwei internen elektronischen Zustan- den verkniipft, die dem radioak- tiven Atom ahneln, das in der Box zerfallt - oder eben nicht.

Im ersten Schritt spaltet ein La- serpuls-Paar das Wellenpaket in zwei gleiche Anteile auf. Weitere Laserpulse regen durch die auf das Atom einwirkenden Krafte erst den einen, dann den anderen Bewegungszustand an. Die resul- tierende Wellenfunktion ist eine Superposition von zwei verschie- denen makroskopischen Bewe- gungszustanden, wobei jeder von beiden mit einem der internen Zustande des Atoms verknupft ist: Das war Schrodingers Idee.

Wie kann die Schrodinger-Katze verifiziert werden? Indem die Wahrscheinlichkeit gemessen wird, mit der sich das Atom in einem der beiden internen Zu- stande befindet. Ein Laserpuls kornbiniert dafiir beide Bewe- gungszustande. Da die Wellenpa- kete cine feste Phasenbeziehung zueinander haben, kann die quantenmechanische Interferenz zwischen ihnen gemessen wer- den. Bei destruktiver Interferenz ist die Wahrscheinlichkeit, dai3 sich das Atom im jeweiligen Zustand befindet gleich null, bei konstruktiver Interferenz ist sie gleich eins. Die Besetzungswahr- scheinlichkeit in Abhangigkeit der Phase beider Wellenpakete ergibt dann ein Interferenzmu- ster, das als Indikator fur eine Superposition dient.

Wird der maximale Abstand der beiden Wellenpakete durch lange- re Laserpulse vergroflert, ist die Interferenz weniger stark ausge- pragt, was den Zerfall der Super- position bedeutet. Dieser Effekt ist ab einem Abstand von 80 nm sichtbar. O b dies bereits Anzei- chen des quantenmechanischen Zerfalls der Superposition sind, lassen die Forscher offen, denn bislang konnen sie apparative Einfliisse nicht ganzlich aus- schlieflen.

Die Eleganz des Konzeptes, eine raumliche Superposition zweier Wellenpakete eines einzelnen Ions herzustellen, liegt in der Mog- lichkeit, die wichtigen Parameter kontrolliert verandern und ein- stellen zu konnen. Zukiinftige Experimente an diesem System werden einen Vergleich mit den theoretisch berechneten Zeit- dauern, nach denen eine Super- position zerstort ist, beinhalten. Dies ist ein wichtiger Test, ob dieser Losungsansatz iiberhaupt der richtige ist, um die Quanten- welt mit unserer klassischen Wirklichkeit zu versohnen. [l] C. Monroe et al., Science 272, 1131 (1996).

Jiirgen Rink, Karlsruhe

Tech no mat hem at i k in Bremen

Den Studiengang Technomathe- matik gibt es in Deutschland schon seit 15 Jahren. Ab dem Wintersemester wird er nun auch an der Universitat Bremen ange- boten. Gelehrt werden hier die Gebiete Mathematik, technische Anwendungen (Elektrotechnik, Geophysik, Produktionstechnik oder Physik) und Informatik. In dem neu gegriindeten Zentrum fur Technomathematik sollen Vertreter aus Industrie und Wis- senschaft zusammenarbeiten. Durch Kooperationsprojekte und Einbeziehung realer Probleme in die Studienausbildung sol1 der Austausch zwischen Hochschule und Industrie vertieft werden.

Weitere Informationen erhalt man unter: Zentrum fur Tech- nomathematik, Prof. Dr. Angeli- ka Bunse-Gerstner, Universitat Bremen, Fachbereich 3, Postfach 33 04 40,28334 Bremen, Telefon: 0421/218-4821 oder -4811.

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Physik in unserer Zeit / 27. Jahrg. 1996 / Nr. J