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Cornelsen Akademie Best of SchulRecht! www.cornelsen-akademie.de Seite 1 von 2 © 2008 Cornelsen Verlag, Berlin. Alle Rechte vorbehalten. Der Fall des Monats Nr. 5 - Januar „Würdest du bitte mit dem Prügeln aufhören?“ Der Fall Der junge Referendar, frisch von der Hochschule, hat Aufsicht auf dem Pausenhof. Nachdem er die Bereiche abgegangen ist, die problemlos einzusehen sind, wagt er sich voller Idealismus in die abgelegenen Winkel des Schulgrundstücks. Als er um eine Ecke biegt, sieht er eine Gruppe von Schülern, die um etwas herumstehen, was er nicht erkennen kann. Allerdings hört er klagende Schreie. Dies veranlasst ihn, sich der Gruppe mit schnellen Schritten zu nähern und die Umstehenden beiseite zu bitten. Er sieht einen großen kräftigen Jungen, der auf einen deutlich kleineren einschlägt. Pädagogisch einfühlsam spricht er den Großen von hinten an: „Hallo, könntest du dir vorstellen, nicht mehr auf den Kleinen einzuschlagen?“ Keine Antwort, der große Schüler prügelt weiter, der kleine heult. Auch die pädagogisch nächste Stufe „Bitte lass doch den Kleinen in Ruhe!“ verhallt ohne erkennbare Reaktion. Der Große drischt weiter, der kleine rollt sich zusammen und versucht, wenigstens sein Gesicht zu schützen. Jetzt reißt dem Referendar der Geduldsfaden: „Hey, lass den Kleinen in Ruhe!“, ruft er. Als auch dies keine Wirkung zeigt, vergisst er alles, was man ihm an der Hochschule beigebracht hat, und gibt dem großen Schläger eine schallende Ohrfeige. Dieser lässt völlig verdutzt von dem Kleinen ab und trollt sich von dannen. Vorher ruft er dem Referendar allerdings noch zu: „Sie wissen doch, dass Lehrer keine Schüler schlagen dürfen. Ziehen Sie sich bloß warm an, Sie hören von unserem Anwalt.“ Der junge Kollege ist völlig verstört und wendet sich Rat suchend an Sie als erfahrene Lehrkraft. Die Rechtsfrage Hat der Lehrer eine Körperverletzung begangen? Durfte der Lehrer den Schüler schlagen? Die Entscheidung Ja, er hat objektiv eine Körperverletzung begangen. Aber er durfte in dieser Situation den Schüler schlagen. Der Kommentar Natürlich darf ein Lehrer seine Schüler nicht schlagen, wenn sie mal wieder die Hausaufgaben nicht gemacht oder eine schlechte Arbeit geschrieben haben. Allerdings es gibt Ausnahmen. Und eine wichtige ist die Notwehr bzw. die sog. „Nothilfe“. Was Notwehr ist, wissen Sie vermutlich. Der Notwehrparagraph (§ 32 StGB und § 227 BGB) umfasst jedoch nicht nur die Verteidigung der eigenen Person, sondern auch die verteidigende Hilfe für andere, die in Not sind. Das ist die sog. „Nothilfe“. Dieser Begriff steht zwar in keinem Gesetz, aber jeder Jurist verwendet ihn, weil er zur Abgrenzung von der (eigenen) Notwehr sinnvoll ist. Unser Referendar hat mit der Ohrfeige tatsächlich eine Körperverletzung begangen, aber sie wird durch die Nothilfe gerechtfertigt. Diese Rechtfertigung hebt die Strafbarkeit der Handlung auf, so dass der junge Kollege einem etwaigen wilden Schreiben eines Anwalts ganz gelassen entgegen sehen kann. Seine Nothilfe war nämlich erforderlich, um die Schläge des Rüpels zu stoppen. Da weniger einschneidende Maßnahmen erkennbar keinen Erfolg brachten, war die Ohrfeige ein letztes geeignetes Mittel, um Schaden von dem Kleinen abzuwenden.

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Der Fall des Monats Nr. 5 - Januar

„Würdest du bitte mit dem Prügeln aufhören?“

Der Fall

Der junge Referendar, frisch von der Hochschule, hat Aufsicht auf dem Pausenhof. Nachdem er die Bereiche abgegangen ist, die problemlos einzusehen sind, wagt er sich voller Idealismus in die abgelegenen Winkel des Schulgrundstücks. Als er um eine Ecke biegt, sieht er eine Gruppe von Schülern, die um etwas herumstehen, was er nicht erkennen kann. Allerdings hört er klagende Schreie. Dies veranlasst ihn, sich der Gruppe mit schnellen Schritten zu nähern und die Umstehenden beiseite zu bitten. Er sieht einen großen kräftigen Jungen, der auf einen deutlich kleineren einschlägt. Pädagogisch einfühlsam spricht er den Großen von hinten an: „Hallo, könntest du dir vorstellen, nicht mehr auf den Kleinen einzuschlagen?“ Keine Antwort, der große Schüler prügelt weiter, der kleine heult. Auch die pädagogisch nächste Stufe „Bitte lass doch den Kleinen in Ruhe!“ verhallt ohne erkennbare Reaktion. Der Große drischt weiter, der kleine rollt sich zusammen und versucht, wenigstens sein Gesicht zu schützen. Jetzt reißt dem Referendar der Geduldsfaden: „Hey, lass den Kleinen in Ruhe!“, ruft er. Als auch dies keine Wirkung zeigt, vergisst er alles, was man ihm an der Hochschule beigebracht hat, und gibt dem großen Schläger eine schallende Ohrfeige. Dieser lässt völlig verdutzt von dem Kleinen ab und trollt sich von dannen. Vorher ruft er dem Referendar allerdings noch zu: „Sie wissen doch, dass Lehrer keine Schüler schlagen dürfen. Ziehen Sie sich bloß warm an, Sie hören von unserem Anwalt.“ Der junge Kollege ist völlig verstört und wendet sich Rat suchend an Sie als erfahrene Lehrkraft. Die Rechtsfrage

Hat der Lehrer eine Körperverletzung begangen? Durfte der Lehrer den Schüler schlagen? Die Entscheidung

Ja, er hat objektiv eine Körperverletzung begangen. Aber er durfte in dieser Situation den Schüler schlagen. Der Kommentar

Natürlich darf ein Lehrer seine Schüler nicht schlagen, wenn sie mal wieder die Hausaufgaben nicht gemacht oder eine schlechte Arbeit geschrieben haben. Allerdings es gibt Ausnahmen. Und eine wichtige ist die Notwehr bzw. die sog. „Nothilfe“. Was Notwehr ist, wissen Sie vermutlich. Der Notwehrparagraph (§ 32 StGB und § 227 BGB) umfasst jedoch nicht nur die Verteidigung der eigenen Person, sondern auch die verteidigende Hilfe für andere, die in Not sind. Das ist die sog. „Nothilfe“. Dieser Begriff steht zwar in keinem Gesetz, aber jeder Jurist verwendet ihn, weil er zur Abgrenzung von der (eigenen) Notwehr sinnvoll ist. Unser Referendar hat mit der Ohrfeige tatsächlich eine Körperverletzung begangen, aber sie wird durch die Nothilfe gerechtfertigt. Diese Rechtfertigung hebt die Strafbarkeit der Handlung auf, so dass der junge Kollege einem etwaigen wilden Schreiben eines Anwalts ganz gelassen entgegen sehen kann. Seine Nothilfe war nämlich erforderlich, um die Schläge des Rüpels zu stoppen. Da weniger einschneidende Maßnahmen erkennbar keinen Erfolg brachten, war die Ohrfeige ein letztes geeignetes Mittel, um Schaden von dem Kleinen abzuwenden.

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Cornelsen Akademie Best of SchulRecht! Außerdem lag der Eingriff des Lehrers ungefähr auf der gleichen Ebene wie der Angriff des Schlägers. Die Reaktion des Lehrers war also nicht überzogen, sondern dem Angriff angemessen.

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