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www.planung-analyse.de planung & analyse Heft 4/2014 Schwerpunkt Fishing the River of Information 35 W ir leben in einem Eldorado für faktenorientiertes Manage- ment. So scheint es zumindest zu sein, wenn die stetig wach- sende Anzahl und Vielfalt der Daten betrachtet wird, die mit der Big Data Welle angeschwemmt wird. Unsere Intuition sagt uns: „Je mehr Daten, desto mehr Wissen“. Doch wie sehr uns – und Millionen von Mana- gern – die Intuition ein Schnippchen regel- mäßig schlägt, ist schnell erklärt. So schauten wir uns die Kundendaten einer Bank an und stellten wenig erstaunt fest, dass Kunden mit hohem Girokonto-Saldo wahr- scheinlicher einen Privatkredit hatten. Intuitiv ist klar, Kunden mit hohem Kontostand müssen angesprochen werden, um mehr Privatkredite zu verkaufen. Mit den richtigen Analyseme- thoden ist jedoch leicht festzustellen, dass das Gegenteil richtig ist bzw. wäre. Kunden mit Geld brauchen kein Geld. Sie haben nur im Schnitt mehr Kredite, weil sie diese wegen Bo- nität bewilligt bekommen. Kunden mit gerin- gem Kontostand und akzeptabler Bonität sind die eigentlich attraktiven Zielkunden. Unzählige solcher Beispiele sitzen in unseren Datenbanken und zeigen, dass die berühmte Storchenmetapher präsenter ist als je zuvor: Obwohl mehr Babys in Gebieten geboren wer- den, wo Storche nisten, bringen diese nicht die Kinder. Das Problem besteht darin, dass reine Daten und Fakten niemals Auskunft darüber geben, was zu tun ist. Sie zeigen nur, was vor- handen ist. Sie zeigen aber nicht, wie die Grö- ßen, die wir managen wollen – wie Kauf- absicht, Markenpräferenzen, Preisbereitschaft oder Abwanderungsabsicht – sich diagnosti- zieren und steuern lassen. Vor dem Hinter- grund der zunehmenden Datenflut und dem einhergehenden, datengetriebenen Ableiten von Management-Entscheidungen wird eben aus einer Spielerei für Statistiker ein zentraler Wettbewerbsfaktor für Management von Un- ternehmen, aber auch zunehmend professio- nellen Sportvereinen durch die Entschlüsse- lung der Erfolgscodes. Sich hierbei als Manager an gängige Theorien und Strategien anzulehnen, ist zwar einfach und nachvollziehbar, aber in letzter Konse- quenz ohne fundierte Ursache-Wirkungs-Ana- lysen recht blindäugig. So hat das Projekt PIMS, bei dem der Profit Impact of Market Strategies ermittelt wird, beispielsweise auf- gezeigt, dass die mit intuitiver Logik abgeleite- ten Strategien bei Unternehmenskäufen nach Megatrends, Marktgröße und Marge zu schau- en, irrelevant und irreführend für die zukünfti- ge Performance sind. Dass daran so fest ge- halten wird, ist die Folge von falschen Ana- Tiki-Taka-Analytics Entschlüsselung von Erfolgscodes mit Big Data Enigma Abbildung 1: Digitalisierung von Fußball in ein Spiel der Zahlen © Buckler/Schmidt/Limbach/Haase; planung & analyse 4/14 Dr. Frank Buckler ist Geschäftsführer der Success Drivers GmbH, Gründer von Neusrel Causal Analytics und ein führender Experte für das Auf- decken von Management-Erfolgs- faktoren. Er berät Unternehmen weltweit dabei, die entscheidenden Erfolgshebel im Bereich Strategie, Marketing und Vertrieb aufzuspüren und hilft mit seinem Team diese Erkenntnisse in höhere Margen, effektiveres Marketing und ge- steigerten Abverkauf zu übersetzen. [email protected] Dr. Steffen Schmidt, Habilitand am Institut für Marketing und Management der Leibniz Universität Hannover, Forschungsleiter des Center for Sports Management (CSM) und Experte für das Erstellen von Management-Erfolgsmodellen. Er forscht wissenschaftlich und berät praktisch Unternehmen in den Bereichen neuro- und verhaltens- ökonomische Marketingforschung. [email protected] Matthias Limbach, Diplom-Öko- nom, ist Ge- schäftsführer der Dr. Buh- mann Schule gGmbH, stellv. Ge- schäftsführer Liga-Abteilung des TSV Havelse und Research Fellow am Center for Sports Management (CSM). Er promoviert am Institut für Marketing und Management der Leibniz Universität Hannover im Bereich Sportsponsoring. [email protected] Janina Haase, M.Sc, ist wissen- schaftliche Mitarbeiterin am Institut für Marketing und Management der Leibniz Universität Hannover, Projektmitarbeiterin am Center for Sports Management (CSM) und Expertin für das Ana- lysieren von Management-Erfolgs- studien. Sie promoviert im Bereich Markenmanagement im Sport- business. [email protected] 3 Die Autoren

Schwerpunkt FishingtheRiverofInformation Tiki-Taka … · SchwerpunktFishing the River of Information 37 faktoren,damitIhreZimmerpflanzegedeiht? Sonne und Wasser. Analog zum Deckel-Bei-

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www.planung-analyse.de planung & analyse Heft 4/2014

Schwerpunkt Fishing the River of Information 35

Wir leben in einem Eldorado fürfaktenorientiertes Manage-ment. So scheint es zumindestzu sein, wenn die stetig wach-sende Anzahl und Vielfalt der

Daten betrachtet wird, die mit der Big DataWelle angeschwemmt wird. Unsere Intuitionsagt uns: „Je mehr Daten, desto mehr Wissen“.Doch wie sehr uns – und Millionen von Mana-gern – die Intuition ein Schnippchen regel-mäßig schlägt, ist schnell erklärt.So schauten wir uns die Kundendaten einerBank an und stellten wenig erstaunt fest, dassKunden mit hohem Girokonto-Saldo wahr-scheinlicher einen Privatkredit hatten. Intuitivist klar, Kunden mit hohem Kontostand müssenangesprochen werden, um mehr Privatkreditezu verkaufen. Mit den richtigen Analyseme-thoden ist jedoch leicht festzustellen, dass dasGegenteil richtig ist bzw. wäre. Kunden mitGeld brauchen kein Geld. Sie haben nur imSchnitt mehr Kredite, weil sie diese wegen Bo-nität bewilligt bekommen. Kunden mit gerin-gem Kontostand und akzeptabler Bonität sinddie eigentlich attraktiven Zielkunden.Unzählige solcher Beispiele sitzen in unserenDatenbanken und zeigen, dass die berühmteStorchenmetapher präsenter ist als je zuvor:Obwohl mehr Babys in Gebieten geboren wer-den, wo Storche nisten, bringen diese nicht dieKinder. Das Problem besteht darin, dass reineDaten und Fakten niemals Auskunft darübergeben, was zu tun ist. Sie zeigen nur, was vor-

handen ist. Sie zeigen aber nicht, wie die Grö-ßen, die wir managen wollen – wie Kauf-absicht, Markenpräferenzen, Preisbereitschaftoder Abwanderungsabsicht – sich diagnosti-zieren und steuern lassen. Vor dem Hinter-grund der zunehmenden Datenflut und demeinhergehenden, datengetriebenen Ableitenvon Management-Entscheidungen wird ebenaus einer Spielerei für Statistiker ein zentralerWettbewerbsfaktor für Management von Un-ternehmen, aber auch zunehmend professio-nellen Sportvereinen durch die Entschlüsse-lung der Erfolgscodes.

Sich hierbei als Manager an gängige Theorienund Strategien anzulehnen, ist zwar einfachund nachvollziehbar, aber in letzter Konse-quenz ohne fundierte Ursache-Wirkungs-Ana-lysen recht blindäugig. So hat das ProjektPIMS, bei dem der Profit Impact of MarketStrategies ermittelt wird, beispielsweise auf-gezeigt, dass die mit intuitiver Logik abgeleite-ten Strategien bei Unternehmenskäufen nachMegatrends, Marktgröße und Marge zu schau-en, irrelevant und irreführend für die zukünfti-ge Performance sind. Dass daran so fest ge-halten wird, ist die Folge von falschen Ana-

Tiki-Taka-AnalyticsEntschlüsselung von Erfolgscodes mit Big Data Enigma

Abbildung 1: Digitalisierung von Fußball in ein Spiel der Zahlen

© Buckler/Schmidt/Limbach/Haase; planung & analyse 4/14

Dr. FrankBuckler istGeschäftsführerder SuccessDrivers GmbH,Gründer von

Neusrel Causal Analytics und einführender Experte für das Auf-decken von Management-Erfolgs-faktoren. Er berät Unternehmenweltweit dabei, die entscheidendenErfolgshebel im Bereich Strategie,Marketing und Vertrieb aufzuspürenund hilft mit seinem Team dieseErkenntnisse in höhere Margen,effektiveres Marketing und ge-steigerten Abverkauf zu übersetzen.

[email protected]

Dr. SteffenSchmidt,Habilitand amInstitut fürMarketing undManagement der

Leibniz Universität Hannover,Forschungsleiter des Center forSports Management (CSM) undExperte für das Erstellen vonManagement-Erfolgsmodellen. Erforscht wissenschaftlich und berätpraktisch Unternehmen in denBereichen neuro- und verhaltens-ökonomische Marketingforschung.

[email protected]

MatthiasLimbach,Diplom-Öko-nom, ist Ge-schäftsführerder Dr. Buh-

mann Schule gGmbH, stellv. Ge-schäftsführer Liga-Abteilung desTSV Havelse und Research Fellowam Center for Sports Management(CSM). Er promoviert am Institutfür Marketing und Management derLeibniz Universität Hannover imBereich Sportsponsoring.

[email protected]

Janina Haase,M.Sc, ist wissen-schaftlicheMitarbeiterin amInstitut fürMarketing und

Management der Leibniz UniversitätHannover, Projektmitarbeiterin amCenter for Sports Management(CSM) und Expertin für das Ana-lysieren von Management-Erfolgs-studien. Sie promoviert im BereichMarkenmanagement im Sport-business.

[email protected]

3Die Autoren

www.planung-analyse.de planung & analyse Heft 4/2014

36 Schwerpunkt Fishing the River of Information

3Kurzfassung Evidenzbasiertes bzw. faktenorientiertes Management ist dasHandlungsgebot der Stunde, um einen klaren Wettbewerbsvorteil durch dieEntschlüsselung von Erfolgscodes in den heutigen hochkomplexen unddynamischen Zeiten zu erzielen, sowohl in der Wirtschaft als auch im Sport.Im vorliegenden Beitrag wird eine leistungsfähige Dechiffriermaschinevorgestellt, welche die aktuellen Erfolgstreiber im Profifußballsport mit BigData Enigma decodiert.

3Abstract Evidence-based or fact-oriented management, respectively, is theaction order of the day to achieve a clear competitive advantage by de-ciphering the secret codes of success in today's highly dynamic and compli-cated economy as well as in the sports business. Within the present paperan efficient decoding device is introduced, which discloses success driversin the professional football sport by Big Data Enigma.

lysen. Hier greift nun durch Big Data ein fatalerErkenntniszirkel: Je mehr Daten vorliegen, des-to höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass irre-führende Analysen durchgeführt werden, sichdann verbreiten und Scheinwissen an Plausi-bilität gewinnt.

Klassische Spielanalysen im Fußballauf dem Holzweg

Wie in der normalen Wirtschaftswelt, sind imFußballprofimanagement auf und neben demPlatz gravierende Veränderungen zu erkennen.So ist mit der Digitalisierung des Spiels auchhier eine Big Data-Bewegung auf- und ange-kommen. Oder wie es der Fußballexperte Bier-mann nennt: Eine „Verwandlung in ein Spiel derZahlen“, wie Abbildung 1 veranschaulicht. Hiergreift aber ebenfalls das oben stehende Muster:Mehr Daten bedeuten nicht automatisch mehrWissen. Und eine Fokussierung auf einzelneKennzahlen wie Ballbesitz, Anzahl an Torschüs-sen oder Passgenauigkeit erst recht nicht.Fußballnostalgiker, wie es viele Fans aber auchProfi-Trainer sind, verachten sowieso derarti-ge Statistiken und halten sie bestenfalls fürnebensächlich. Derweil lieben gerade Journa-listen wiederum solche Statistiken und nutzendiese gerne zur Interpretation von Spielen,insbesondere zur Ergänzung von Videoanaly-sen. Hier ist aber auch unmittelbar zu erken-nen, dass dies nicht zwangsläufig ein besseresSpielverständnis nach sich zieht: Ein im TV miteinem Fußballexperten gemeinsam auftreten-der Journalist erzeugt zuverlässig mindestensdrei Meinungen und Interpretationen, geradewenn recht belanglos die Vielzahl an Statisti-ken aufgegriffen werden. Dann herrscht aufallen Kanälen Meinungskonfusion durch Da-tenvielfalt. Ein Beispiel: Als Bayern Münchendie Bundesliga mit 53 Spielen ohne Niederlagein Folge dominierte, lag es nach Meinung derExperten vor allem an dem Tiki-Taka-Systemmit viel Ballbesitz und starker Passquote. Alsdie Siegesserie riss und Bayern München ge-gen FC Augsburg und Borussia Dortmund ver-lor, meinten die gleichen Experten ebenfalls,dass es an dem Tiki-Taka-System gelegen ha-ben soll. Dass eine Ursache (hier: Tiki-Taka)aber für zwei vollkommen gegensätzliche Er-eignisse (hier: Sieg und Niederlage) hauptver-antwortlich sein soll, kann logisch und kausalbetrachtet wenig richtig sein. Vielmehr ist ein

Fußballspiel hochdynamisch und komplex unddurch eine Vielzahl an Parametern bestimmt.Oder anders ausgedrückt: Die Wahrheit liegtzwar auf dem Platz, ist aber in den Statistik-tabellen codiert, wie eine Geheimbotschaft. Esbedarf einer leistungsfähigen Dechiffrierme-thode, um den Sieger-Code zu entschlüsseln.

Enigma im Zeitalter von Big Data

Das Storchenbeispiel und andere Scheinkorre-lationen machen eines klar: Das Betrachtenvon Korrelationen und der Vergleich von Kenn-zahlen birgt eine immense Gefahr, schlichtwegfalsche, gefährliche Entscheidungen zu tref-fen. Warum ist das in der Praxis noch keinemaufgefallen? Weil die Dinge immer viele Ur-sachen haben. So ist immer schnell der passen-de Schuldige gefunden. Manager werden imLaufe der Karriere zu Meistern des Storytel-lings. So fällt selbst den Protagonisten nichtauf, dass es besser gehen kann.Was benötigt wird, sind Analysemethoden, diemehrere Ursachen gleichzeitig in Augenscheinnehmen. Es muss ermittelt werden, was derEinfluss jedes Treibers unter sonst konstantenUmständen wäre. Das Flaschentrio links in Ab-bildung 2 illustriert, wie das geht. Große Fla-schen repräsentieren Zielkunden, die eherkaufen, kleine Flaschen Zielkunden, die ehernegativ denken. Der Platz, an dem die Flaschesteht, sagt etwas darüber aus, wie der Ziel-kunde über die Marke denkt. Die lange Kantesteht für den Preis, die kurze für die Marken-sympathie. Die kleine Flasche entspricht derMeinung von Klara, einer Kundin, die den Preis

für schlecht hält und die Marke ablehnt. DerKunde Chris hingegen ist mit dem Preis volleinverstanden, findet aber die Marke nurdurchschnittlich. Die für solche Analysen üb-liche Regressionsanalyse legt eine Art Deckelso auf die Flaschen, dass sie so gut wie möglichrepräsentiert sind. An der Steigung der Deckel-kanten ist erkennbar, dass der Preis deutlichweniger wichtig ist als die Marke. Das Ergebnisist hier erst einmal überraschend und irritie-rend, denn der Preis hat demnach kaum Ein-fluss, obwohl Kunden mit positiverer Preis-bewertung auch eher Käufer sind.Was wir benötigen, um fälschlicherweise keinederartigen Überraschungen zu erleben, sindmultivariate Analysemethoden. Um den Codevon Erfolgsursachen zu knacken, bedarf es je-doch noch weit mehr. Etwa muss verstandenwerden, wie die Erfolgsursachen sich unter-einander beeinflussen. Wenn eine Preissteige-rung zu schlechter Markenbewertung und da-mit zu Kundenabwanderung führt, wird ausdem unbedeutenden direkten Einfluss desPreises ein bedeutend negativ wirkender, je-doch indirekter Einfluss. Das ist in der Ab-bildung 2 beim rechten Flaschenquartett er-kennbar. Mit einer Preiserhöhung würde einUnternehmen den Superkunden Andreas ver-lieren, der mehr als doppelt so viel konsumiertwie Petra und Chris zusammen. Entschei-dungsrelevant ist nur der Gesamteinfluss undnicht Einzelwirkungen.Hinzu kommen weitere Anforderungen an einDechiffriergerät. Die wichtigste zeigt ein Bei-spiel aus dem Leben. Was sind die Erfolgs-

Abbildung 2: Bessere Wiedergabe der Realität mit Hilfe von Neusrel

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faktoren, damit Ihre Zimmerpflanze gedeiht?Sonne und Wasser. Analog zum Deckel-Bei-spiel finden aber herkömmliche Methoden im-mer nur ein „je mehr Wasser, desto besser“.Oder sie proklamieren eine durchschnittlicheUnbedeutendheit, getreu dem Förster-Motto:„Einmal links vorbei geschossen und einmalrechts vorbei geschossen. Der Hirsch ist imDurchschnitt tot“. Erfolgsfaktoren wirken inWirklichkeit nichtlinear. Es gibt Sättigungsef-fekte und Schwellenwerte. Zudem bedingendiese sich in der Wirkung. Der Effekt des Was-ser hängt davon ab, ob die Pflanze im Kellersteht oder auf der Fensterbank. Es bedarf Ana-lysemethoden, die diese Komplexität der Rea-lität aus den Daten herauslesen. Denn vorab istdiese kaum bekannt.Genau für diese und andere zentrale Dechif-frier-Anforderungen der Unternehmensreali-tät ist die Neusrel-Analyse entwickelt worden.Ihr Ansatz wird in der Wissenschaft Univer-selle Strukturgleichungsmodellierung genanntund ist in der Unternehmenspraxis wegen sei-ner einmaligen Eigenschaften auf dem Vor-marsch. Anstatt stumpf wie ein Regressions-

Brett an der Realität abzuprallen, passt es sichsanft und wohlfühlend wie eine Kuscheldeckean die echte Welt an (siehe Abbildung 2rechts).

Den Erfolgscode des Fußballsdecodieren

Fußballspiele sind hochkomplexe Systeme.Schon Dietrich Dörner hatte in den 1980erJahren aufgezeigt, dass Menschen, wenn siekeine Hilfsmittel zur Hand haben, nur sehrschwer komplexe Systeme verstehen und nochweniger managen können. Das menschlicheHirn liebt zwar Ursache-Wirkungs-Beziehun-gen, ist aber selber aufgrund von statistischenUnzulänglichkeiten nicht in der Lage, dieseeinwandfrei zu bestimmen. Dies gilt auch fürExperten wie zum Beispiel Fußballtrainer. Oh-ne analytische Hilfsmittel bleibt im ungüns-tigsten Fall nur der Rückgriff auf Floskeln wie„tief stehen – hoch gewinnen“, „mehr überAußen spielen“ oder „über den Kampf ins Spielfinden“. Alles Heuristiken ohne strategisch-taktischen Mehrwert in den meisten Entschei-dungssituationen. Dies gilt, dank der stark zu-

nehmenden Masse an Daten pro Fußballspiel,umso mehr, je höher die Unübersichtlichkeitund damit Unsicherheit ist.Um den Sieg-und-Niederlagen-Code von Fuß-ballspielen zu dechiffrieren und diese erfolg-reich zu managen, haben die Success DriversGmbH und das Center for Sports Management(CSM) der Leibniz Universität Hannover in Zu-sammenarbeit die ScopeMatrix entwickelt, einAnalysewerkzeug zur fundierten Bestimmungvon Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen imFußball auf Basis statistischer Daten (sieheauch Abbildung 1). Die ScopeMatrix hilft hier-bei, die Analysen von Fußballspielen zu ob-jektivieren und die Ursachen für den Sieg oderdie Niederlage einer Mannschaft herauszufin-den. Diese Objektivierung ist der zentraleMehrwert des Analyseinstruments. Ohne diesebesteht die Gefahr, Diskussionen auf Stamm-tischniveau zu führen. Gerne werden dabeiZahlen verglichen, um die Ursache für den Er-folg bzw. Misserfolg zu identifizieren. WelcheMannschaft hat mehr Zweikämpfe gewonnen,wie viele Flanken wurden geschlagen und waswar die gesamte Laufdistanz. Bei derartigem

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38 Schwerpunkt Fishing the River of Information

Vorgehen entstehen schnell Scheinkorrelatio-nen, aus denen sich wiederum Fußballmythenfestsetzen können (zum Beispiel der Gefoultesoll nie selber den Strafstoß schießen).In der ScopeMatrix sind die auf dem Platzstattfindenden Aktionen und Interaktionenstatistisch als Einflussvariablen erfasst. Hier-zu gehören Aktionsparameter wie geschlageneFlanken, getretene Ecken oder schnelle Läufesowie Interaktionsparameter wie Fouls, Zwei-kämpfe oder Ballpässe. Insgesamt sind in deraktuellen ScopeMatrix pro Spiel rund 70 ag-gregierte Trackingparameter auf Mannschafts-niveau berücksichtigt, die auf Basis von mehrals 1.200 ball- und spielergebundenen Aktivi-

täten berechnet werden. Als Datenbasis flos-sen 298 Spiele und damit 97,4 Prozent allerPartien der 1. Bundesligasaison 2011/2012 hi-nein (bei 8 Spielen standen keine Daten zurVerfügung). Als Erfolgsgrößen gehen die Heim-und Gast-Tore in die ScopeMatrix ein.Künstliche Neuronale Netze (KNN) sind alsAnalyseverfahren unter Rückgriff auf die Soft-ware Neusrel zum Einsatz gekommen, auf-grund deren besonders hohen Leistungsfähig-keit, komplexe Datensätze mit einer Vielzahlan potentiellen Nichtlinearitäten untersuchenzu können. Des Weiteren ist Neusrel in derLage, unbekannte Datenmuster und Interakti-onseffekte zwischen einzelnen Parametern zu

identifizieren. Im Detail wurde ein universellerStrukturmodellierungsansatz (USM, universalstructure modeling) verfolgt, mit einem Bay-es’schen Neuronalen Netz (BNN) als univer-selle Schätzmethode.

Trefferquoten der ScopeMatrix

Vom analytischen Elfmeterpunkt aus betrach-tet erzielt die ScopeMatrix eine sehr zufrieden-stellende Treffergenauigkeit mit einem R2 (Be-stimmtheitsmaß) von 0,60. Insgesamt konn-ten 23 Aktivitätsparameter festgestellt wer-den, die einen signifikanten Einfluss auf denSpielausgang haben. Die durchschnittlichenTotaleffekte (average simulated effects, totaleffects) sind in Abbildung 3 dargestellt. Diehohe Präzision und Generalisierbarkeit derScopeMatrix wurde anhand der letzten beidenBundesligasaisons überprüft. Hier ergibt sicheine empirische Treffergenauigkeit (a poste-riori Vorhersage ob Sieg, Unentschieden oderNiederlage) von 60,78 Prozent für die Saison2012/2013 und von 66,78 Prozent für die Sai-son 2013/2014.Die Betrachtung in Abbildung 3 erfolgt hier ausder Sicht der Heimmannschaft (Heimwert rela-tiv zum Gastwert). Den stärksten Einfluss aufeinen Heimsieg haben demnach Torschüsse in-nerhalb des Strafraums, mittlere Spieler-Lauf-geschwindigkeit sowie Anzahl an schnellenLäufen. Während bei den beiden erstgenann-ten Parametern ein Übergewicht in den Kenn-zahlen des Heimteams für einen Heimsiegspricht, ist es beim letztgenannten Parameterandersrum. Hier zeigt die scheinbare Über-legenheit bei diesem Laufparameter eher eineHeimniederlage an. Dies könnte derart erklärtwerden, dass die Heimmannschaft zu vieleKonter und damit potentielle Torchancen desGastteams zugelassen hat, die durch schnelleLäufe in der Rückwärtsbewegung versuchtworden sind einzufangen.Die Wirkungen sind aber nicht nur linear, di-rekt und unabhängig voneinander, sondern vorallem nichtlinear und interaktiv, der Natur desFußballs entsprechend. Ausgewählte Effektesind in Abbildung 4 dargestellt. So können wirin unseren analysierten Daten erkennen, dassangekommene Pässe zu mehr Ballkontakteführt, diese wiederum mehr Flanken vonrechts nach sich ziehen, was ein mehr an Eckenrechts erzeugt und letzten Endes in einer höhe-ren Anzahl an Torchancen durch ein plus anTorschüsse innerhalb des Strafraums resul-tiert. Außerdem führt bspw. eine höhere mitt-lere Spieler-Laufgeschwindigkeit zwar nichtdirekt zu mehr angekommene Pässe und damitindirekt über die vorher beschriebene Wir-kungskette zu mehr Strafraumtorschüssen, da-für aber direkt zu einer positiveren Tordiffe-

Abbildung 4: Fußballdechiffrierung – Ausgewählte Wirkungszusammenhänge undInteraktionseffekte

© Buckler/Schmidt/Limbach/Haase; planung & analyse 4/14

Abbildung 3: Übersicht der „11 Feld- plus 3 Ersatzspieler“-(Top 14)-Erfolgs-parameter im Fußball

© Buckler/Schmidt/Limbach/Haase; planung & analyse 4/14

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3Literatur

Biermann, C. (2009): Die Fußball-Matrix:Auf der Suche nach dem perfekten Spiel.Kiepenheuer & Witsch, Köln.

Buckler, F. (2014): Das Ende der Kenn-zahlen-Illusion: Mehr Marge, mehr Absatz,mehr Effizienz durch einen digitalen Spür-hund. Monsenstein und Vannerdat, Münster.

Dörner, D. (1992): Die Logik des Misslingens:Strategisches Denken in komplexen Situatio-nen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg.

renz aus Sicht des Heimteams. Eine Dominanzan angekommenen Pässe ist wiederum beein-flusst durch eine höhere Anzahl an Sprintläu-fen bei gleichzeitig einer geringeren Anzahl anschnellen Läufen.Derartige Analysen erklären, warum beispiels-weise FC Bayern München mit seinem Tiki-Ta-ka-Spiel gegen Gegner wie FC Augsburg oderBorussia Dortmund in der Saison 2013/2014verloren hat. Beide Mannschaften waren in die-sen Partien besser in den Laufparametern, ins-besondere mittlere Laufgeschwindigkeit (bei-spielsweise BVB mit 7km/h zu 6,4km/h) undAnzahl an Sprints (bspw. FCA mit 212 zu 188),wenngleich die sonstigen Tiki-Taka-Parameterfür den FCB sprachen mit einem Ballbesitz vonrund 65 Prozent oder einer Passquote von rund85 Prozent in beiden Spielen. Die Niederlagendes FCB lagen also nicht direkt an dem Tiki-Taka-System wie von den Experten gern be-hauptet, sondern daran, dass der BVB und derFCA sich auf eine der wenigen Möglichkeitenkonzentriert haben, die dominante Spielanlagedes FCB auszugleichen, in diesem Fall durchspezifische Laufarbeit. Im DFB-Pokalfinale hat

der FCB gegen den BVB seine strategisch-takti-sche Ausrichtung etwas angepasst und vor al-lem in die Laufarbeit investiert (eindrucksvollaufgezeigt durch den Wadenkrampflauf vonThomas Müller zum 0:2 Endstand für den FCB).Damit fand das Tiki-Taka wieder zu seiner altenStärke zurück und der FCB konnte das Pokal-finale souverän gewinnen.

So werden Unternehmen zumWeltmeister

„Wir ertrinken in Daten und dürsten nach Wis-sen“. Die Erkenntnis verinnerlicht zu haben,dass Daten und Fakten in roher Form kaumWert besitzen, sondern durch Data Mining-Techniken wie KNN (Künstliche neuronale Net-ze) veredelt werden müssen, ist in diesem Jahr-tausend ein entscheidender Unternehmens-vorteil im Denken und Handeln. Wer auf sei-nem Wettbewerbs-Spielfeld dominieren will,ob nun im Sport oder in der Wirtschaft, mussder Kennzahlen-Illusion im Management denKampf ansagen. Hunderte von Beispiele – egalob im Marketing oder im Fußball – zeigen: DieDechiffrierung der Big Data Enigma ist möglich

und erlaubt eine neue Form der Effektivität –ein echtes Evidence-based Management.Daher sind wir überzeugt, dass schon zurnächsten Weltmeisterschaft der Spruch vonGary Lineker erweitert werden wird: „Ein Spieldauert 90 Minuten. Und am Ende gewinnt dasTeam mit dem besseren Analytiker an der Sei-tenlinie.“ – Bleibt zu hoffen, dass dies dieDeutschen sein werden. 7

Die Autoren danken Evmorfia Karampourniotifür ihre tatkräftige Unterstützung bei der Da-tenerhebung und -aufbereitung.