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PHYSIKDIDAKTIK | SCHULSEISMOMETER Seit 1994 betreibt das Monschauer St.-Michael- Gymnasium ein Schulseismometer, wissen- schaftlich begleitet von Geophysikern der Universität Stuttgart. Seitdem werten Schüler Erdbeben rund um den Globus aus und werden Zeugen dramatischer Ereignisse. I m Jahr 1994 gab es am Monschauer St.-Michael-Gymna- sium in der Eifel eine Projektwoche mit dem Thema „Lebendige Steine“. Für zwanzig Schüler und zwei Lehrer war dies Anstoß zum Bau eines eigenen Seismographen. Damit wollten sie in die Erde hinein „horchen“ und Erd- beben registrieren [1]. Die wissenschaftliche Patenschaft für dieses Projekt übernahm der Fachbereich Geophysik an der Universität Stuttgart. Im Januar 1995 gelang es dann, erstmals ein Fer- nost-Beben detailliert zu registrieren (Abbildung 1). Drei Schüler entschlossen sich zur Teilnahme am Wett- bewerb „Jugend forscht“. Sie bauten in einjähriger Arbeit die Station zu einer dreikomponentigen Schulerdbeben- warte mit digitaler Datenaufzeichnung und Fernabfrage aus und konstruierten einen transportablen Lehrseismogra- phen. Damit konnten sie erfolgreich und recht genau die Entfernung, Magnitude, Herdzeit und auch den Ort eines Erdbebens vor der Westküste Afrikas bestimmen. Beim Wett- bewerb wurden die Schüler Landessieger in Nordrhein- Westfalen und erreichten 1996 auf Bundesebene den zwei- ten Platz in der Sparte „Geo- und Raumwissenschaften“ [2]. Die Monschauer Seismik-AG betreibt ihre Erdbeben- warte durchaus mit gemischten Gefühlen. Spannender Arbeit mit einem Gerät, das nicht fühlbare Signale aus weit entfernten Regionen der Erde registriert, steht ein memento mori gegenüber: Die aufgezeichneten Signale können Bo- ten einer schlimmen Naturkatastrophe sein, die vielen Men- schen Not und Elend brachte. In einem Schaukasten infor- miert die Seismik-AG zu den Folgen großer Erdbeben wie zu dem 1995 in Kobe oder dem in Pakistan letztes Jahr. Dank Eltern-Engagement zeigt ein Sichtschrieb in einer Pau- senhalle auf einem Endlospapierband, was sich in den letz- ten 14 Tagen seismologisch getan hat. Besonders engagier- te Schüler und Ehemalige ließen zusammen mit dem Leh- rerkollegium die zweisprachige Seismik-Homepage der Schule entstehen (siehe „Internet“, S. 283). Seismologie Unsere Kenntnisse vom Aufbau des tiefen Erdinneren be- ruhen im Wesentlichen auf seismologischen Beobachtun- gen. Erdbebenwellen durchqueren auf ihrem Weg vom fernen Bebenherd zu den Stationen des weltweiten Seis- mographennetzes den ganzen Erdkörper, fast ohne Ener- gieverlust. Ihre Laufzeiten lassen sich auf Zehntelsekunden genau messen, wenn man Lage und Einsatzzeit des Herdes genau genug kennt. Dazu braucht man einige Registrier- stationen nahe am Herd. Man findet, dass die Laufzeit fast nur von der Epizentraldistanz und der Herdtiefe abhängt und nur wenig von der geographischen Lage des Ausbrei- tungswegs. Der Erdkörper als Ausbreitungsmedium ist also annähernd kugelsymmetrisch. Aus den gemessenen Laufzeiten lässt sich mit dem Her- glotz-Wiechert-Verfahren die für jede Tiefe charakteristische Wellengeschwindigkeit bestimmen,gleichzeitig ergibt sich die Geometrie der Wellenstrahlen im Erdkörper (Abbildung 2) [3]. Die heutige Forschung konzentriert sich auf die klei- nen Abweichungen von der Kugelsymmetrie, die gleichzei- tig Ursache und Folge der thermischen Konvektion im Erd- mantel sind. Ernst von Rebeur-Paschwitz hatte 1889 zufällig ent- deckt, dass es möglich ist, Signale von weit entfernten Erd- © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 6/2006 (37) | Phys. Unserer Zeit | 281 Schulseismometer Signale aus der Erde U LRICH A RNDT | S EBASTIAN S CHORK | E RHARD WIELANDT DOI: 10.1002/piuz.200601107 Stolze Landes- sieger und Zweite des bundesweiten Wettbewerbs von Jugend Forscht im Jahr 1996 (Geo- und Raumwissen- schaften): Sebastian Schork, Thomas Poschen und Bernd Naeth aus Monschau (v.l.n.r.).

Signale aus der Erde: Schulseismometer

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Seit 1994 betreibt das Monschauer St.-Michael-Gymnasium ein Schulseismometer, wissen-schaftlich begleitet von Geophysikern derUniversität Stuttgart. Seitdem werten SchülerErdbeben rund um den Globus aus und werden Zeugen dramatischer Ereignisse.

Im Jahr 1994 gab es am Monschauer St.-Michael-Gymna-sium in der Eifel eine Projektwoche mit dem Thema

„Lebendige Steine“. Für zwanzig Schüler und zwei Lehrerwar dies Anstoß zum Bau eines eigenen Seismographen.Damit wollten sie in die Erde hinein „horchen“ und Erd-beben registrieren [1].

Die wissenschaftliche Patenschaft für dieses Projektübernahm der Fachbereich Geophysik an der UniversitätStuttgart. Im Januar 1995 gelang es dann, erstmals ein Fer-nost-Beben detailliert zu registrieren (Abbildung 1).

Drei Schüler entschlossen sich zur Teilnahme am Wett-bewerb „Jugend forscht“. Sie bauten in einjähriger Arbeitdie Station zu einer dreikomponentigen Schulerdbeben-warte mit digitaler Datenaufzeichnung und Fernabfrage ausund konstruierten einen transportablen Lehrseismogra-phen. Damit konnten sie erfolgreich und recht genau dieEntfernung, Magnitude, Herdzeit und auch den Ort einesErdbebens vor der Westküste Afrikas bestimmen. Beim Wett-bewerb wurden die Schüler Landessieger in Nordrhein-Westfalen und erreichten 1996 auf Bundesebene den zwei-ten Platz in der Sparte „Geo- und Raumwissenschaften“ [2].

Die Monschauer Seismik-AG betreibt ihre Erdbeben-warte durchaus mit gemischten Gefühlen. Spannender Arbeit mit einem Gerät, das nicht fühlbare Signale aus weitentfernten Regionen der Erde registriert, steht ein mementomori gegenüber: Die aufgezeichneten Signale können Bo-ten einer schlimmen Naturkatastrophe sein,die vielen Men-schen Not und Elend brachte. In einem Schaukasten infor-miert die Seismik-AG zu den Folgen großer Erdbeben wiezu dem 1995 in Kobe oder dem in Pakistan letztes Jahr.Dank Eltern-Engagement zeigt ein Sichtschrieb in einer Pau-senhalle auf einem Endlospapierband, was sich in den letz-ten 14 Tagen seismologisch getan hat. Besonders engagier-te Schüler und Ehemalige ließen zusammen mit dem Leh-rerkollegium die zweisprachige Seismik-Homepage derSchule entstehen (siehe „Internet“, S. 283).

SeismologieUnsere Kenntnisse vom Aufbau des tiefen Erdinneren be-ruhen im Wesentlichen auf seismologischen Beobachtun-gen. Erdbebenwellen durchqueren auf ihrem Weg vom fernen Bebenherd zu den Stationen des weltweiten Seis-mographennetzes den ganzen Erdkörper, fast ohne Ener-gieverlust. Ihre Laufzeiten lassen sich auf Zehntelsekunden genau messen, wenn man Lage und Einsatzzeit des Herdesgenau genug kennt. Dazu braucht man einige Registrier-stationen nahe am Herd. Man findet, dass die Laufzeit fastnur von der Epizentraldistanz und der Herdtiefe abhängtund nur wenig von der geographischen Lage des Ausbrei-tungswegs. Der Erdkörper als Ausbreitungsmedium ist alsoannähernd kugelsymmetrisch.

Aus den gemessenen Laufzeiten lässt sich mit dem Her-glotz-Wiechert-Verfahren die für jede Tiefe charakteristischeWellengeschwindigkeit bestimmen, gleichzeitig ergibt sichdie Geometrie der Wellenstrahlen im Erdkörper (Abbildung2) [3]. Die heutige Forschung konzentriert sich auf die klei-nen Abweichungen von der Kugelsymmetrie, die gleichzei-tig Ursache und Folge der thermischen Konvektion im Erd-mantel sind.

Ernst von Rebeur-Paschwitz hatte 1889 zufällig ent-deckt, dass es möglich ist, Signale von weit entfernten Erd-

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Schulseismometer

Signale aus der ErdeULRICH ARNDT | SEBASTIAN SCHORK | ERHARD WIELANDT

DOI: 10.1002/piuz.200601107

Stolze Landes-sieger und Zweitedes bundesweitenWettbewerbs vonJugend Forscht imJahr 1996 (Geo-und Raumwissen-schaften): Sebastian Schork,Thomas Poschenund Bernd Naeth aus Monschau(v.l.n.r.).

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beben zu empfangen. Mit der Erfindung brauchbarer Seis-mographen wurde klar, dass Erdbeben zwei verschiedeneArten elastischer Wellen abstrahlen,die Longitudinalwellen(P-Wellen) und die Transversalwellen (S-Wellen). TypischeAusbreitungsgeschwindigkeiten in der Erdkruste sind 6 km/s für P-Wellen und 3,5 km/s für S-Wellen. Im unterenErdmantel laufen sie etwa doppelt so schnell [4].

An der Erdoberfläche gibt es weitere Lösungen der Wel-lengleichung,die Oberflächenwellen. Auch hier gibt es zweiWellenarten: Diese Rayleigh- und Love-Wellen unterschei-den sich durch ihre Polarisation. Ihre Ausbreitungsge-schwindigkeit ist etwas geringer als die der S-Wellen. Die P-Wellen kommen also zuerst an, aber die S-Wellen sind ge-wöhnlich stärker. Noch stärker sind die danach eintreffen-den Oberflächenwellen. So hat man eine Chance, auch dieEinsätze der S- und Oberflächenwellen im Seismogrammmit dem Auge zu erkennen (Abbildung 1).

Kompliziert wird das Lesen des Seismogramms,weil dieankommenden Signale nicht mehr so impulsartig kurz sind,wie sie am Erdbebenherd entstehen. Durch vielfache Bre-chung und Reflexion im inhomogenen Erdkörper verwan-deln sie sich unterwegs in lange, unregelmäßige Wellenzü-ge. Deren Bestandteile lassen sich im Einzelseismogrammkaum noch trennen. Günstiger wird die Situation, wennman alle drei räumlichen Komponenten der Bewegung re-

gistriert. Dann kann man die verschiedenen Wellenarten anihrer Polarisation unterscheiden.

Aus der Laufzeitdifferenz zwischen P- und S-Welle kannman, wenn sie klar ablesbar ist, ohne Zuhilfenahme weite-rer Beobachtungen den Abstand der Registrierstation vomBebenherd bestimmen. Eine detaillierte Beschreibung desVerfahrens geben wir in „Bau und Betrieb eines Schulseis-mometers“ auf www.phiuz.de (Download unter „SpecialFeatures/Zusatzmaterial zu den Heften“). Wenn man die Po-larisationsrichtung der P-Welle genau genug ablesen kann,kennt man zumindest in der Horizontalen die Ankunfts-richtung der Welle. Damit kann man mit sphärischer Tri-gonometrie das Epizentrum lokalisieren, also den herd-nächsten Punkt an der Erdoberfläche. Einfacher geht dieEpizentrums-Bestimmung mit einem Stationsnetz. Dannkann man aus den Differenzen der P-Wellen-Einsatzzeiten anden Stationen direkt die räumliche Ankunftsrichtung be-rechnen. Diese verrät gleichzeitig die Herddistanz. Dazumuss man „nur“ den Strahl der P-Welle durchs Erdinnerezurückverfolgen (Abbildung 2), bis er wieder an die Ober-fläche kommt. Da die Strahlen nahe der Oberfläche rechtsteil verlaufen,verursacht die Unkenntnis der Herdtiefe kei-nen großen Fehler. Deren Bestimmung ist schwieriger: Siegelingt aus größerer Entfernung nur,wenn man Wellen iden-

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Vergleich eines der ersten Seismogramme des Schulseismographen (oben) mit einer professionellen Aufzeichnung des Institutsfür Geophysik in Stuttgart (unten), Zeitangabe in MEZ. Es zeigt ein Beben der Stärke 7 vor der Ostküste des Nordteils derjapanischen Insel Hondschu, wenige Tage vor dem großen Beben in Kobe am 17. Januar 1995.

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tifizieren kann, die direkt über dem Herd an der Erdober-fläche reflektiert wurden.

Allerdings ist die Vorstellung, dass sich die seismischeWelle geradlinig auf einem „Strahl“ von der Quelle zumEmpfänger bewegt,eine Vereinfachung. Sie versagt bei Wel-lenlängen von mehreren 100 km, wie sie nach starken Erd-beben beobachtet werden. Solche Kompressionswellenwerden um den fast 7000 km großen flüssigen Erdkern her-um gebeugt.

Was beim Erdbeben in der Bruchzone passiert, kannman sich nur schwer anschaulich vorstellen. Meist handeltes sich um einen Scherbruch. Bei ihm verschiebt sich dasGestein entlang einer meistens schon vorhandenen Bruch-fläche gegeneinander. Der Bruch breitet sich von einemPunkt ausgehend mit endlicher Geschwindigkeit aus, dieetwas kleiner ist als die S-Wellen-Geschwindigkeit. Er kannbei großen Beben eine Minute und länger dauern und Hun-derte von Kilometern lang werden. Es gibt bislang keineMöglichkeit, den Zeitpunkt oder die Größe eines solchenBruchs vorherzusagen. Unter Geowissenschaftlern ist esumstritten, ob das prinzipiell überhaupt möglich ist.

Für die Stärke eines Bebenherds – seine Magnitude –sind verschiedene Maße entwickelt worden, die alle nurTeilaspekte beschreiben. Am populärsten ist die Richter-Skala. Sie wird aus dem Ausschlag des historischen, heutemeist digital simulierten Wood-Anderson-Seismographen un-ter Berücksichtigung der Herddistanz bestimmt. Der Zeh-nerlogarithmus des maximalen Lichtzeigerausschlags eines100 km vom Herd aufgestellten Seismographen, gemessenin Mikrometern,ergibt die Richter-Magnitude. Da der Wood-Anderson-Seismograph eine 2800-fache Vergrößerung hat-te, kann man aus der Magnitude auf die Größe der lokalenBodenbewegung zurückschließen. Aber: Schäden entste-hen nicht durch die Verschiebung des Bodens, sonderndurch seine Beschleunigung oder Verformung. Die Energieder seismischen Welle hängt dagegen von der Verschie-bungsgeschwindigkeit ab. Über die Vorgänge am Herd sagtkeine dieser Größen viel aus. Auf der Bruchfläche selbst istder Endwert der Bodenverschiebung maßgeblich, nicht ihrSchwingungsanteil. Die Abstrahlung vom Herd hat zudemeine ausgeprägte Richtcharakteristik, an verschiedenen Sta-tionen liest man deshalb selten die gleiche Magnitude ab.Alle diese Faktoren machen die exakte Angabe der „Stärke“eines Erdbebens zu einer komplizierten Angelegenheit.

Die unterschiedlichen Magnitudenmaße bieten übrigenseine Möglichkeit, zwischen Erdbeben und anderen Quellenseismischer Signale, etwa Kernwaffentests, zu unterschei-den. Alle Magnituden sind nämlich an die Richter-Magnitu-de angepasst und ergeben bei Erdbeben ähnliche Werte wiediese. Tritt eine größere Diskrepanz auf, so hat man es miteinem ungewöhnlichen Ereignis zu tun. Bei Kernwaffen-tests ist die Magnitude der Oberflächenwellen deutlich zuklein. Die Richtcharakteristik des Herds und die Dauer desBruchvorgangs sind weitere Unterscheidungskriterien: Ex-plosionen strahlen im Gegensatz zu Erdbeben nach allenRichtungen eine Verdichtungswelle ab, erzeugen kaum

Scherwellen, und die Wellenformen sind einfacher und kürzer als bei Beben.

SeismographenPrinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, seismische Wellenmit Messgeräten zu erfassen. Man misst entweder die Be-schleunigung des Bodens oder seine Deformation. DenSchwingweg oder die Schwinggeschwindigkeit kann mannicht direkt messen: Dazu fehlt der in absoluter Ruhe be-findliche Bezugspunkt, der „archimedische Punkt“. Seis-mologen verschaffen sich Ersatz, indem sie eine Masse aneiner Pendelstange oder einer Feder aufhängen. Dank ihrerTrägheit bleibt sie dann bei einem Erdbeben wenigstensfür eine gewisse Zeit in Ruhe. In Verfolgung dieses Prinzips gelangt man zum „Inertialseismographen“ (siehe „Bau undBetrieb eines Schulseismometers“ auf www.phiuz.de).

Als zweite Möglichkeit kann man die Verschiebung ei-ner Bodenmarke gegenüber einer zweiten solchen Marke,also die Bodendeformation,messen. Anschaulich kann mansich vorstellen, dass die zweite Marke weiter vom Beben-herd entfernt ist und die seismische Welle die zweite Mar-ke noch nicht erreicht hat: Dann bekäme man für kurzeZeit eine unverzerrte Aufzeichnung der Bewegung der ers-ten Marke. Dieser Seismographentyp heißt auf gut Deng-lisch „Strainseismograph“.Bei ihm kommt es auf dasVerhältnis des Markenab-stands zur Wellenlängean. Abstände von einigenzehn bis hundert Meternsind üblich. Weil das im-mer noch wenig im Ver-gleich zur Wellenlängeist, sind Strainseismogra-phen normalerweise we-niger empfindlich als

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I N T E R N E T |Schulseismograph St.-Michael-Gymnasium Monschauwww.mgm.monschau.de/seismic

Institut für Geophysik der Universität Stuttgartwww.geophys.uni-stuttgart.de

Geoforschungszentrum Potsdamwww.gfz-potsdam.de

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Verlauf der P-Wellenstrahlen im Erdkörper. Die Strahlen werden an der Grenze zum flüssigen äußeren Kern und an der Grenze zum festen inneren Kern gebrochenoder reflektiert.

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Inertialseismographen. Sie werden deshalb nur für spezi-elle Fragestellungen eingesetzt.

In der horizontalen Richtung ist es einfacher als in derVertikalrichtung, eine seismische Masse von der Boden-bewegung zu entkoppeln. Man könnte sie zum Beispiel aufeinen leichtgängigen Rollwagen legen. Empfindliche Seis-mographen müssen allerdings möglichst ohne Haftreibungkonstruiert sein,denn diese würde bei schwachen Signalen

die Bewegung blockieren. Man ver-meidet dies durch den Einsatz von Bie-gegelenken anstelle von Spitzen- oderKugellagern. Der Preis ist allerdings ei-ne unerwünschte Rückstellkraft. Miteinem kleinen Trick kompensiert mansie, indem man die Bewegung der Mas-se nicht genau horizontal-geradliniganlegt. Stattdessen sinkt sie bei einemAusschlag ein wenig ab und nutzt sodie Schwerkraft als Unterstützung(Astasierung). Abbildung 3 zeigt sche-matisch drei mögliche geometrischeAnordnungen. Bei 3a und 3c bewegtsich die Masse auf einer geringfügignach oben oder unten gekrümmtenBahn, je nachdem ob die Rückstell-kraft der Gelenke und Hilfsfedern er-höht oder kompensiert werden soll.

Dieser mechanische Empfänger istnach wie vor der kritische Teil jedesSeismographen, alles Weitere wirdelektronisch erledigt. Die Bewegungder seismischen Masse gegen das Ge-stell – eigentlich umgekehrt des Ge-stells gegen die Masse – wird entwe-der über eine Kapazitätsänderung zwi-schen Kondensatorplatten gemessenoder mit einer Induktionsspule. Ver-suchsweise wurden auch schon Inter-ferometer benutzt. Empfindliche Seis-mographen können Bodenbewegun-

gen nachweisen, die mit einem Pikometer hundertmalkleiner als ein Wasserstoffatom sind.

Der LehrseismographDer Lehrseismograph ist ein reibungsarmes, stark ge-dämpftes, langperiodisches Horizontalpendel mit elektro-dynamischem Sensor, nachgeschaltetem Verstärker-Filter-Modul und einer Aufzeichnungseinheit. Wichtig ist die guteAnkopplung an den Untergrund: Das Seismometer steht –unter einer Styropor-Haube von Luftzirkulation abgeschirmt– mit seinem Rahmen auf dem Fundament des Schulkel-lers. Dieses ist auf anstehendem Gestein (Rheinisches Schie-fergebirge) gegründet und erlaubt so auch das Erfassen vonNahbeben.

Der Rahmen besteht aus spannungsfrei verschraubtenRechteck-Alu-Profilen aus dem Fensterbau (Abbildung 4).

Der würfelförmige Pendelkörper ist aus Beton gegossen.Das nach dem Gartentor-Prinzip montierte Pendel ist anfünf Stahldrähten so aufgehängt, dass nur noch ein Frei-heitsgrad für die Bewegung übrig bleibt. Ein extrem kleinerTeil der Gewichtskraft des Pendelkörpers wirkt als rück-treibende Kraft (Astasierung). Als Sensor wird ein Perma-nentmagnet-Spule-System verwendet,das als Dynamo wirkt.Damit das Pendel nach einer Anregung rasch in seine Ru-helage zurückkehrt und nicht in mechanische Resonanz ge-raten kann, ist es mithilfe des Wirbelstromeffekts nahe demaperiodischen Grenzfall schwach gedämpft. Die Dämpfungkann bequem durch einen parallel zur Induktionsspule geschalteten Widerstand eingestellt werden. Der dadurchbedingte Signalverlust wird durch einen Verstärker aus-geglichen.

Das Seismometer ist gut 70 cm hoch,80 cm lang,40 cmbreit und wiegt etwa 20 kg. Eine genauere Beschreibung derKonstruktion und des Auswerteverfahrens geben wir in„Bau und Betrieb eines Schulseismometers“ auf www.phiuz.de.

Die SeismographenstationUm den Ort eines Erdbebenherdes näher bestimmen zukönnen, konstruierte die Jugend-forscht-Gruppe ein sta-tionäres Nord-Süd- und ein stationäres Ost-West-Seismome-ter. Jedes registrierte Seismogramm erlaubt zunächst,neben der Herdzeit-Bestimmung auch die Ermittlung derHerdentfernung D (Kreis K1 auf dem Globus um die Stati-on mit Radius D). Beide Seismometer-Registrierungen zu-sammen schränken die Lage des Epizentrums auf zwei mög-liche Orte auf der Erdoberfläche ein, weil sie einen Groß-kreis K2 auf der Erde definieren, der K1 in zwei Punktenschneidet. Bewegt sich die Erde an der Station zum Beispielvon Südwest nach Nordost, dann gibt es dafür zwei mög-liche Ursachen. Entweder wurde die Station von einerDruckwelle erfasst, die von einem Erdbebenherd kommt,der in Bezug auf die Station im Südwesten liegt,oder ein imNordosten liegender Herd hat eine Sogwelle ausgesendetund dadurch die Station von Südwesten nach Nordostenbewegt. Ein Vertikalseismograph entscheidet, weil er an-zeigt, ob eine Druck- oder eine Sogwelle vorgelegen hat.

Die Jugend-forscht-Gruppe wollte die registrierten Da-ten lückenlos zusammen mit den Signalen eines DCF-Zeit-zeichen-Empfängers („Funkuhr“) aufzeichnen und archi-vieren. Dabei boten sich zwei Möglichkeiten an, entwederdie Aufzeichnung auf einem Endlospapierschrieb oder diedigitale Erfassung und Speicherung auf einem Massen-speichermedium.

Die Papiermethode hat den Vorteil der Anschaulichkeit.Man erkennt sofort, ob ein seismisches Signal registriertwurde. Für den von uns verwendeten Sichtschrieb wird dasAnalogsignal der Verstärker- und Filtereinheit zu einem sehrlangsam ansteigenden Rampensignal und den Zeitmarken-impulsen addiert. Das resultierende Signal wird in einenFlachbettschreiber gespeist. Mit zwei Farben und versetz-ten Spuren ist eine Registrierung von 14 Tagen auf etwa fünf

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a)

b)

c)

Drei Möglich-keiten, eine seis-mische Masseohne horizontaleRückstellkraftaufzuhängen: a) das Gartentor-Pendel, b) dasinvertierte Pendel,c) das gefaltetePendel.

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Metern Papierband möglich. Der Unterhalt eines jahrelangdauerbetriebenen Laborschreibers ist allerdings nicht billig(Wartung, Papier, Stifte). Längere Seismogramme müssenzur Auswertung stückweise photokopiert und zusammen-geklebt werden.

Angenehmer ist der Umgang mit digitalen Aufzeich-nungen, die sich kopieren und papierlos übertragen lassen.Dafür ist dieses Verfahren technisch aufwändiger, und dasentstehende Archiv muss immer wieder auf aktuell verfüg-bare Medien überspielt werden. Diese Technik wurde rea-lisiert und im Laufe der Jahre mehrfach modernisiert. In-zwischen können die Daten auf der Seismik-Homepage ab-gerufen werden. Die Mitglieder der AG können sogar überModem per Fernabfrage die Pendelsignale live verfolgen,Hall-Spannungswerte zur Kontrolle der Pendelposition imMagneten ablesen und die Pendel mittels eines Relais aus-lenken.

Bei Schülerinnen und Schülern weckt ein Seismographvon sich aus Interesse. Er erlaubt einen ganz konkreten Ein-stieg in die Unterrichtseinheiten Elektrik sowie Schwin-gungen und Wellen. Die Arbeit mit ihm motiviert zu einerintensiven Auseinandersetzung mit schwierigen physikali-schen und technischen Fragen. Weil Seismologie immer eine emotionale Komponente hat, werden auch Schüleraußerhalb des Fachunterrichts angesprochen, die der Phy-sik eher kritisch gegenüberstehen: Die NaturkatastropheErdbeben zeigt, wie verletzlich Menschen in einer hoch-technisierten Welt sind.

ZusammenfassungSeit 1994 betreibt das Monschauer St.-Michael-Gymnasiumein Schulseismometer, wissenschaftlich begleitet von Geo-physikern der Universität Stuttgart. Seitdem werten SchülerErdbeben rund um den Globus aus und werden Zeugen dra-matischer Ereignisse. Mit der Konstruktion wurden dreiSchüler 1996 Landessieger und Bundeszweite bei JugendForscht, in der Sparte Geo- und Raumwissenschaften. Heutebetreut eine 20-köpfige Seismik-AG die Station.

StichworteSeismometer, Schulseismometer, Erdbeben, Physikunter-richt, Jugend Forscht.

Literatur[1] B.A. Bolt, Erdbeben. Schlüssel zur Geodynamik, Spektrum Verlag,

Heidelberg 1995.[2] Phys. Bl. 11999966, 52, 1208.[3] B.R. Julian, D.L. Anderson, Bull. Seism. Soc. Amer. 11996688,, 58, 329.[4] R. Kind, X. Yuan, Physik in unserer Zeit 22000033, 34 (5), 213.

Die AutorenUlrich Arndt, geb. 1949, Studium der Physik,Mathematik und Philosophie (höheres Lehramt) ander RWTH Aachen, dort 1975 Staatsexamen. Seit1978 Lehrer am Städt. St.-Michael-Gymnasium in Monschau. Betreuung mehrerer Jugend-forscht-Gruppen und einer Seismik-AG.

Sebastian Schork, geb. 1976. Studierte nach derTeilnahme bei Jugend Forscht Elektrotechnik an derRWTH in Aachen mit Abschluss Diplom-Ingenieur2005. Seitdem bei der Firma skytron-energy inBerlin.

Erhard Wielandt, geb. 1940. Studium der Physik inTübingen und Berlin, Promotion 1972 am Geo-physikalischen Institut der Uni Karlsruhe. Danach am Institut für Geophysik der ETH Zürich. Ab 1988 Professor für Geophysik an der UniStuttgart. Seit 2005 pensioniert.

Anschrift

StD Ulrich Arndt, Städt. St.-Michael-Gymnasium,Walter-Scheibler-Str. 51, 52156 Monschau.

[email protected]@[email protected]

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B E S T E L LU N G D E R BAUA N L E I T U N G |Interessierte Leser können eine ausführliche Bauanleitung beiuns bestellen. Bitte schicken Sie Ihre schriftliche Anfrage mit einem ausreichend frankierten A5-Rück-Umschlag und einerCD-Hülle an unsere Adresse (siehe „Die Autoren“.)

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Konstruktionszeichnung des Lehrseismographen. Die seitlichen Diagonalstrebensind weggelassen. Die Pendelstange ist vorne an drei kurzen Stahldrähten (Tetra-eder) befestigt, die zusammen wie ein Kugelgelenk wirken. Die Masse aus Zementhängt an zwei schrägen, oberhalb des Gelenks zusammenlaufenden Drähten. Eine flache Kupferdrahtspule im Feld eines Magneten setzt die Pendelbewegung inein elektrisches Signal um.