Sommer 2000 Krieg Im Altertum

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  • 5/17/2018 Sommer 2000 Krieg Im Altertum

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    S o n d e rd r u c l l a u s :Mili targeschicht l icheZeitschri f t59 (2000) Heft 2

    H e r a u s g e g e b e n vemM i l i t a r g e 5 c h i c h t l i c h e nF o r s c h u n g s a m t

    O l d e n b o u r g

    ISSN0026-3826

    Michael Sommer: Krieg im Altertum olssozioles HandelnJana Flemming: Der RAFBombenkrieggegen Deu~schlandim Meinungsbrld derbritischen Offentlichkeit von 1940 bis 1944RolfDieter Muller: SpeersRustungspolitikim Totalen Krieg. Zum Beitrag dermodernen Mititorgeschichte im Diskursmit der Sozio]- und WirtschaftsgeschichteWolfgang S&midt: Wehrzersetzungoder Fcrderunq der Wehrbereitschaft?Die Bundeswehr und der westdeutscheKrieqs- und Mititorfitm in den funfziger undsechziger JahrenAlexander Hirt: Die deutsche Truppenbetreuung im Zweiten Weltkrieg:Konzeption, Organisation und WirkungKerstin von Lingen: Konstruktion vonKriegserinnerung: Der ProzeBgegenGeneralfeldmarschall Albert Kesselringvor einem britischen Militargericht inVenedig (1947) und das Bild vom Kriegin Italien

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    AufsatzSi vis pacem,para bellum

    Michael SommerKrieg im Altertum als soziales Handeln"

    Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Die klassische Kriegs-definition von Clausewitz ist auch heute, im Zeitalter von Wasserstoffbombe und-Schnellen Eingreiftruppcn-, in aller Munde. Der politische Zweck als das ur-spriingliche Motiv! jeglicher Kriegfuhrung ist der Grundton, von dem her Clau-sewitz seine philosophisch-rnilitartheoretische Betrachtung entfaltet. Krieg ist,selbst dann, wenn er Eigendynamik entwickelt und sich von urspriinglichen Ziel-setzungen verselbstandigt, imrner nur Mittel, nie Zweck, ist ein Akt der Gewalt,urn den Gegner zur Erfullung unseres Willens zu zwingen".

    Entscheidend fur das Verstandnis seines Kriegsbegriffs ist Clausewitz' Poli-tikbegriff. Der konnte, bei einem preufsischen General der Reformara, tief inderAufklarung verwurzelt, nu~.iener der mit der Franzosischen Revolution anbre-chenden nationalstaatlichen Ara sein. Politische Subjekte waren Staaten vom Schla-ge der das curopaische System nach dem Wiener Kongref pragenden Grof5rnach-te England, Frankreich, Rufsland, Osterreich-Ungarn und Preufsen, -Absoluter-Krieg, wie Clausewitz ihn verstand, setzte aIle Register des neuzeitlichen, hoch-komplexen Staatsgefiiges voraus: kein Krieg ohne rationale administrative undrnilitarische Organisation, ohne ein Mindestmaf an abstraktem Staatsverstandnis,

    Ein wei teres kommt hinzu: Politisches Schliisselerlebnis des jungen Clausewitzwar fraglos die Franzosische Revolution und das Versagen des absolutistischenStaats im Angesicht der von republikanischem Eifer getriebenen Armeen. Die Re-volution hatte durch Politisierung der Massen auch die Kriegfuhrung zum Ge-genstand von Politik gemacht: Der Krieg war urplotzlich wieder eine Sache desVolkes geworden, und zwar eines Volkes von 30 Millionen, die sich alle als Staats-burger betrachteten". Clausewitz und seine Mitreformer standen vor dem Di-lemma, den Krieg zu politisieren, ohne damit die Saat der Revolution auch inDeutschland aufgehen zu lassen".

    Clausewitz' Antwort fiel, gemessen an den Herausforderungen des Zeitenwech-sels, durchaus konventionell aus: Er erhob die Wertbegriffe der militarischen Klasse- Pflichtgefuhl, Ehre, Aufopferung - zum politis chen Tugendkanon par excellenceund entband so den Soldaten von der Aufgabe politischer Reflexion. Nichtsdesto-

    Der Artikel ist zu Teilen aus einer am OrientaIischen Seminar der Universitat Freiburggehaltenen Seminarveranstaltung entstanden. Allen Teilnehmern sci an dieser Stelle furengagierte Mitarbei t gedankt. Zu danken habe ich ferner Dr. Dominik Bona tz, Prof. Ima-nuel Geiss, Dr. Ulrich Gotter und Prof. Marlies Heinz fur wertvolle Anregungen undKritik.Carl von Clausewitz, Vom Kriege, hrsg. von Wolfgang Pickert und Wilhelm Ritter vonSchramm, Reinbek 1963, S. 16. .Ebd., S. 13.Ebd., S. 209.VgL, zugleich als beste universalhistorische Studie zum Thema Krieg, John Keegan, A His-tory of Warfare, New York 1994, S. 17.

    Militargcschichtliche Zeitsrhrift 59 (2000), S.297-322 Mihtargeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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    298 MGZ 59 (2000) Michael Sommerweniger revolutionar war er in seiner Analyse: Kern Zeitgenosse hat so klar gesehen,daB die Revolutionskriege etwas qualitativ vollig Neues, eben auch eine Revolutionder Kriegfuhrung waren: "SO war also das kriegerische Element, von allen konven-tionellen Schranken befreit, mit seiner ganzen natiirlichen Kraft losgebrochen".Clausewitz' -absoluter: Krieg ist mithin ein Idealtypus, wie er im geistigen Kli-ma des nachrevolutionaren Europa in der Luft lag. AIle Kriege seither, vern grie-chis chen Unabhangigkeitskrieg bis zum Kosovo-Konflikt, kamen dem Typus mehroder weniger nahe; meist eher weniger, bedenkt man, wie hiiufig Konfrontationenals Stellvertreterkriege, lokal eng umgrenzte Konflikte und mehr symbolischesKraftemessen ausgetragen wurden. Gleichwohl: Die Moglichkeit des -absoluten-Kriegs, kulminierend inder le ve e e n m a ss e, stand seit der Franzosischen Revolutionals akute Drohung stets im Raum.Die Frage, die Clausewitz aufwirft, greift tiefer, als es vorderhand den Anschein hat.Sie beruhrt unmittelbar das Problem der Mobilisierung zum Krieg und damit das Ver-haltnis zwischen Krieg und Gesellschaft. Krieg war in 5000 J ahren bewufSter Mensch-heitsgeschichte stets gesellschaftliche Realitiit, war tiber lange Strecken gar eher Regeldenn Ausnahme. Max Webers treffende Charakterisierung der griechischen Polis alsKriegerzunfte" verdeutlicht den aufSerordentlich hohen 5tellenwert des kriegerischenKonflikts gerade fur antike Gesellschaften. Und niehts spiegelt diesen Sachverhalt bes-ser wider ali antike Texte selbst, von akkadischen KOnigsinschriften bis zu den Ge-schichtssehreibem der romischen Kaiserzeit. Die Gegenwart des Krieges und dienachhaltige Wirkung bewaffneter Konflikte inder gesamten Geschichte der alten Weltsind uniibersehbar". Dennoch: Uber den Krieg inder Antike wissen wir, wenn nichtwenig, so doch sehr viel weniger als uber viele andere Teile des damaligen Lebens.Wir wissen weniger, als wir wissen mufstenund - als wir wissen konnten",

    Die historisehe Omniprasenz des Krieges inAntike wie Moderne wirft schliefs-lich das anthropologisehe Grundproblem mensehlieher Gewaltneigung auf'. Die An-furopologie hat umfangreiches Material zum Thema Gewalt in -primitiven- Gesell-schaften beizusteuem. Rituelle Konfliktaustragung bei isoliert lebenden Amazonas-stammen und die endemisehe KriegfUhrung auf der Osterinsel'? sind nur zwei Bei-spiele, die dem Clausewitzschen Typus diametral entgegenstehen. Auch ohne

    Clausewitz, Yom Kriege (wie Amn. 1),5.210.Max Weber, Wirtschaft und Cesellschaft, GrundriE der verstehenden Soziologie, hrsg.von Johannes Winckelmann, 5. Aufl., Tiibingen 1972, S. 595.Franz Georg Maier, Neque quies gentium sine armis: Krieg undCesellschaft imAlter-tum, Opladen 1997, S. 27.Christian Meier, Die Rolle des Krieges im klassischen Athen, in: Historische Zeitschrift,251 (1990),5. 555.Vgl. aus Siehl der Verhaltensforschung Konrad Lorenz, Das sogenannte Bose. Zur Na-turgeschichte der Aggression, 21. Aufl., Miinchen 1998, bes. Kapitel13. Lorenz leitet dasmenschliche Aggressionspotential'dezidiert biologisch her. Contra: R.B. Ferguson, Ex-plaining War, in: The Anthropology of War, ed. by J. Haas, Cambridge 1990, S. 26-55;J.H. Goldstein, Beliefs about Human Aggression, in: Aggression and War, ed. byJ. Goebel and RA. Hinde, Cambridge 1989, S. 48-57.

    10 Vgl. zum Uberblick Keegan, History (wie Anm, 4), 5. 24-28, 84-115. Auf der Osterinselmimdete Nahrungsverknappung und soziale Desintegration (Zerfall der Stammeseinheit)offenbar in einen permanenten Kriegszustand mit stark ritualisierten Ziigen. Gewalt beiden Yanomamo imAmazonasgebietschlieiSt vier gleichfalls ritualhaft iiberformte Eska-lationsstufen ein: vom individuellen Ohrfeigenduell bis zu razzienartigcn Uberfallen aufNachbardorfer,

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    Krieg imAltertum als soziales Handeln 299politische, gar staatliche Organisation kann sich das Gewaltpotential von Gruppenkriegerisch entladen, unter Umstanden his zum kulturellen Zusammenbruch, wiedas Beispiel der Osterinselillustriert". Elemente solch -primitiver. Gewaltanwendungkonnten sehr wohl indie soziale Realitiit der Antike hineinragen: Institutionen wie derKrypteia, ritualisierter Menschenjagd imRahmen der militarischen Ausbildung jun-ger Manner in Sparta, und der ~ mit rationalen Mafsstaben nicht zu fassenden ~ Bru-tali tat der assyrischen Kriegfuhrung haftet inder Tat etwas Atavistisches an.Forscht man nach Motiven, will man wissen, was antike Gesellschaften zumKrieg und zu ihrer jespezifischen Kriegfuhrung veranlafste, fuhrt eine ~ politik-und ereignisgeschichtlich durchaus sinnvolle ~ objektivistische Kategorienbildung(etwa: Hegemonialkrieg, Niederhaltekrieg, Beutekrieg, Besitzkrieg, ideo-logischer Herrschaftskriegcv) nicht weiter. Interessant werden subjektiv wahrge-nommene Mobilisierungs- und Legimitatsgrtinde, die Behandlung des Kriegsthe-mas durch die Zeitgenossen. Es geht urn die alte, in ungezahlten Variationen irn-mer wieder aktuelle Frage, mit der praktisch alle menschlichen Gemeinschaftenkonfrontiert sind: Wie kann staatlich sanktioniertes Toten mit kulturellen, Gewaltbandigenden Normen in Einklang gebracht werden? Die Pulle der Zeugnisse, dieaus dem Altertum tiber Krieg auf uns gekommen ist, erleichtert den Zugang undmacht das Thema reizvoll fur vergleichende Analysen.

    Krieg ist, im Sinne Max Webers, .soziales Handeln-P par excellence, ist not-wendig am Verhalten anderer orientiert, Er unterliegt den ~ von Weber idealty-pisch definierten ~ unterschiedlichen Reflexionsniveaus entsprechenden Bestim-mungsgriinden sozialen Handelns: traditionalen, affektuellen, wert- und zweckra-tionalen". Nur das rein zweckrationale Handeln ist ausschliefslich an eigenen In-teressen orientiert und somit frei, AIle anderen Formen des Handelns sindbezogen auf eine wie auch immer als legitim empfundene Ordnung oder doch zu-mindest auf Brauch, Sitte oder Konvention, Eine als legitim anerkannte Ordnungsteigert naturgemafs die Chancer daf das Handeln an ihr orientiert wird, und zwaroft in sehr bedeutendem MaiSe15."Legitimitat einer Ordnung kann sich aus ganz unterschiedlichen Bestim-mungsgrundcn des Handelns speisen, innerlichen (gefuhlsmiifsige Hingabe, ethi-sche Uberzeugungen, Religion) wie aui5erlichen (Interessenlagen, Konvention,Recht). Die Unterscheidung leitet bereits uber zur bekannten Typologie der dreireinen Typen der 1egitimen Herrschaftc" (traditionale, charismatische,legale Herr-schaft) und damit zur Herrschaftssoziologie .. Da Krieg, zumal fur die kampfende Truppe, einerseits ein Risiko mit potentielltodlichem Ausgang, ein Vabanquespiel, andererseits die individuelle Gewinn-chance hochst zweifelhaft ist, wird im allgemeinen der Appell an das rationale,interessengeleitete Kalktil der Soldaten zur Mobilisierung nicht hinreichen. ZweiIntegrationsmechanismen bieten sich grundsatzlich an:

    11 Vgl. ebd., S. 24-28.12 N ach Maier, N eque quies (wie Anm, 7), passim.13 VgL Max Weber, Soziologische Grundbegriffe,5. Aufl., Tiibingen 1981, S. 41-43.14 Die Begriffe erklaren sich im wesentlichen selbst; Ubergange sind durchaus flieBend.Zur Erliiuterung ebd.15 Ebd., S. 55.16 Max Weber, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: Ders., Soziologie, Welt-geschichtliche Analysen, Politik, hrsg. von Joachim Winckelmann, Stuttgart 1956,S.151-166.

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    300 MGZ 59 (2000) Michael Sommer1. Androhung oder Anwendung von Zwang: [ede Truppe kennt disziplinariseheMafsnahmen zur Durehsetzung des Gehorsams, Ahndung von FahnenfIuehtusw. Die Mittel sind aber nur dann wirksam, wenn eine Mehrheit oder mals-

    gebliche Minderheit hinter der Kriegfuhrung steht.2. Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Kriegszielen und einer als legitimanerkannten Ordnung: Die Mobilisierung wird optimiert, wenn die Kampfen-den uberzeugt sind, fur eine gute und gereehte - respektive: die eigene - Saeheihr Leben aufs Spiel zu setzen.[ede Kriegflihrung sollte uber Soldaten verfugen, die sich zu einem hohen Grad

    mit dem Krieg identifizieren. Krieg muf als im Sinn der legitimen Ordnung lie-gend akzeptiert werden, sei es dais die Ordnung den Krieg von sich aus als gutund gereeht erseheinen laBt, sei es daf propagandistiseh nachgeholfen wird. So istnieht immer leicht auszumachen, wieweit sich eine FUhrung eines N ormensystemsrein utilitaristisch nur als einer Ideologie bedient - oder ob Propaganda, In-szenierung und Ideologie lediglieh GraBen sind, die sieh ex post aus der no-mothetischen Perspektive des Historikers rekonstruieren lassen.Letztlieh fragt sieh, w ie die Ordnung garantiert wird (affektuell, religios, wert-rational, durch Konvention oder Recht), die den Bezugsrahmen zur Kriegfiihrungbildet. Da sie unmittelbar mit den Mobilisierungsmechanismen zusammenhangt,konnen diese umgekehrt wesentlieh zur Erhellung von Zusammenhangen des Ge-sellschaftssystems beitragen. 1st Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mit-teln, wie idealiter in der revolutionaren levee en masse, ist Mobilisierung vorwie-gend tiber rationale (zweck-, wertrationale) In tegrationsmuster zu leisten. Der Wil-le zum Krieg ist Produkt politischen Kalkiils (Zweckrationalitat) und normativerOrientierungen (Wertrationalitat), der kriegerische Genius vereint courage d 'e spr itund Geistesgegenwart mit PfIiehtgefiihl, Treue, Disziplin". Andere Einflufsgrofsen(etwa dieaffektuelle Bindung an einen Feldherrn - Napoleon) konnen dann zwaraueh eine Rolle spielen, aber doch eine untergeordnete. Dagegen treten soIche per-sonlichen Bindungen in Gesellschaften, die wesentlieh auf Gefolgschaftstreueberuhen (z.B, germanisehe Stamme der Volkerwanderungszeit) weitaus starkerhervor. In wieder anderen Fallen geben religios oder anders traditionell verwurzelteHandlungsmuster den Ausschlag (wie auf der Osterinsel, wo permanente Krieg-fiihrung bis zur volligen physischen Vernichtung des Gegners offenbar als N or-malzustand akzeptiert war", Krieg also. gleichsam zur kulturellen Identitat ge-horte).

    Im handlungstheoretischen Koordinatensystem lassen sich, wenn auch nichtimmer eindeutig, Motivationslagen der verschiedenen am Krieg beteiligten Crup-pen lokalisieren. Als dominante, sich erganzende Integrationsmechanismen tretenhervor: Mobilisierung kraft1. traditioneller Handlungsmuster (Brauch, Sitte, Ritus, Religion).2. affektueller Handlungsmuster (Geftihlsregungen, personale Bindungen),3. rationaler Handlungsmuster (Wirtschaft: Gewinnchancen, Politik).Die Beispiele von Assur, Athen und Rom, die, jedes auf seine Art, zu militarischenCrofsrnachten reiften, illustrieren, welch vielfaltige Moglichkeiten bereits pramo-demen Gesellschaften zur Kriegsmobilisierung und -legitimierung zur Verfiigungstanden.17 Vgl. Clausewitz, Vom Kriege (wie Anm. 1), S. 32-45.18 Vgl Keegan, History (wie Anm. 4), S.24--28.

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    Krieg im Altertum als soziales Handeln 301Handeln im Auf trag der Cotter: Krieg in AssyrienDas altorientalische GroBreieh der Assyrer, im folgenden kurz Assur genannt,kennzeichnete tiber mehr als ein Jahrtausend eine aufserordentliche innere undaulsere Dynamik. Die Assyrer unterwarfen sich, ausgehend vom Kerngebiet urndie Stadte Assur und Ninive am oberen Tigris, in drei Anlaufen!" zunachst dasnordliche Mesopotamien und expandierten in der Folge (ab ca. 859 v. Chr.) bis indas Gebiet des heutigen Iran im Osten und bis an die Mittelmeerkiiste, gar bisAgypten im Westen. Seinen Kulminationspunkt erreichte das territoriale Aus-greifen unter dem Konig Tiglatpilesar III. (744-727 v. Chr.), der erstmals direktenZugriff auf entfernte Gebiete Syriens und Palastinas suchte (vgl. Karte S. 303).Assur iiberzog die unterworfenen Territorien mit einem gestaffelten System von, Abhiingigkeiten und Tributleistungen. D t ; r Kontrolle diente ein ausgefeilterbiirokratiseher und militarischer Apparat. Ahnlich anderen Crofsreichen (Rom,Kalifat, Osmanisches Reich) geriet Assur mit wachsender Ausdehnung in einenTeufelskreis - Uberforderung der Ressourcen, Zwang zu weiterer Expansion, Uber-dehnung der Herrschaft -, der nach einer kurzen Phase der Agonie in die Zer-schlagung des Reiehes durch seine Nachbarn (Meder und Babylonier,606 v. Chr.) miindete.

    Zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit-" sehien eine ganze Gesellschaft ausge-riehtet auf Kriegfuhrung: Krieg sieherte die Existenz, den sozialen Zusamrnenhaltund war sehlieBlich wesentliche Grqndlage des assyrischen Normensystems. Undjeder Krieg zog unausweichlich neuen Krieg nach sieh. Darstellungen zeigen denassyrisehen Konig vorzugsweise als Feldherrn, Tributeintreiber oder, gleichsamals veralltaglichte Variante kriegerischer Bewahrung, bei der Jagd. UnverhohleneAggressivitiit ist auch ein Grundmotiv der assyrischen Texte". Geradezu geniiBlichwerden an Unterworfenen begangene Greueltaten geschildert, spricht aus jederZeile das BewulStsein assyrischer Uberlegenheit.

    19 Altassyrisches Reich (18. Jh. v, Chr.): Mittelassyrisches Reich (ca. 1363-1077 v. ChI.);Neuassyrisches Reich (ca. 950-{)06 v. Chr.), Ausgangsbedingung fur wiederholte grolsrau-mige Expansion war die strategische Lage Assurs am Handelsweg zwischen Mittel-meer/ Anatolien und Mesopotamien.20 Strukturell ahnlichc Ziige wie das Neuassyrische Reich weisen grundsatzlich auch dasAU- und Mittelassyrische Reich sowie bereits das noeh friihere Akkad-Reich mit Zen-trum in Sudmesopotamien irn 3. Jahrtausend auf. Auch hier konvergierten, durch Quel-len freilich nicht so gut belegt, Expansion, Herrschaft und Ideologie in ahnlich mark an-ter Weise. ZuAkkad: Mario Liverani, Akkad: The First World Empire. Structure, Ideo-logy, Traditions, Padova 1993-zi Hier an Editionen zu Rate gezogen (verwendete Abkiirzungen - aile Quellenverweise be-ziehen sich, wie in der Altertumswissenschaft ublich, auf Textparagraphen): Die In-schriften Asarhaddons Kdnigs von Assyrien. Archiv fur Orientforschung, Beih. 9, hrsg.von Riekele Borger, Graz 1956 (AfO 9); Eckart Frahm, Einleitung in die Sanherib-Inschriften. Archiv fur Orientforschung, Beih. 26, Wien 1997 (AfO 26); Assyrian Royal

    Inscriptions, 2 vols., ed. by Albert Kirk Grayson, Wiesbaden 1972-1976 (Grayson ARI);Assyrian Rulers of the Third and Second Millennia B.C., ed. by Albert Kirk Grayson,Toronto 1987 (RIMA 1); Neo-Assyrian Treaties and Loya1ity Oaths. State Archives ofAssyria, ed. by S. Parpola and K. Watanabe, Helsinki 1989 (SAA 2); H.W.F. Saggs, TheNimrud Letters, in: Iraq 17, S. 21-56 und 126-160 (Saggs Iraq); The Inscriptions of Tiglath-Pileser III, King of Assyria, ed. by Hayyim Tadmor, Jerusalem 1994 (Tadmor),

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    302 MGZ 59 (2000) Michael SommerBasis aller imperialen > Ideologic- der Assyrer - wie ubrigens der meisten fruhen

    Irnperien - war, wie der Assyriologe Mario Liverani iiberzeugend herausgearbei-tet hat, eine konsequent dualistische Weltbetrachtung: Hier die Assyrer, das assy-rische Land, die assyrischen Cotter, dart das Andere, Fremde, eine QueUe von Cha-os und Bedrohung+. Das Ungleichgewicht zwischen Hier und Dort, Zentrum undPeripherie gab den Assyrern jedes Recht Krieg zu fuhren und in der Wahl der Mit-tel mit aul3erster Brutalitat zu verfahren. Fiihrten sie Krieg, so geschah das unterder Agide der Cotter, vor allem des Reichsgottes Assur, der den Auf trag zurnKrieggab und die Kriegfiihrung sanktionierte-", Krieg griff so in die tiefsten Spharen derReligion, war -Cottesdienst., Dienst an den Cottern im wortwortlichen Sinn.

    Man kann, mit Liverani, die assyrische Herleitung des Kriegs aus der Religionals Ideologie auffassen und primar die funktionalen Aspekte hervorheben. Gewilldiente die Legitimation des Kriegs durch gottlichen Willen sozialer Kohasion undmobi1isierte Bevolkerungsgruppen zum Krieg, die kein -naturliches. Interesse dar-an haben konnten". Gewil3 war Krieg auch ein Mittel, das wirtschaftliche Uberle-ben Assurs sicherzustellen, und wurde, je langer die Expansion anhielt, immermehr zum Automatisrnus, aus dem auszuscheren unmoglich wurde. ,Kriegsideo-Iogie- war also sicher auch ein Imperativ, der sich aus politischen und wirtschaft-lichen Erfordernissen speiste - abet eben nicht fur die Zeitgenossen, die, vom Skla-venbis zum Konig selbst, nach den Kategorien des gegebenen Normensystems ur-teilten und handelterr". .

    Folgerichtig scheint in den Quellen immer wieder das Motiv der gerechten Ord-nung durch, die es auf Geheil3 der Cotter wiederherzustellen gilt. Krieg ist das al-leinige Mittel dazu. Tritt eine Storung der Ordnung ein, etwa durch Abfall eines Va-sallen, ist der assyrische Konig als Garant der Ordnung und gleiehsam Vertrau-ensmann der Cotter gefordert: Konig Assurbanipal (669-631 v. Chr.) briistet sich(AfO 9, 60 f.), ef habe Sidon, welches das [och meines Herrn Assur abgeschiittelthabe, wie ein Wasserschwall uberwaltigt und seine Mauern und Wohnstatten aus-gerissen und ins Meer geworfen. Seinen Konig Abdi-Milkutti, der sich vor mei-nen Waffen aufs hohe Meer gefliichtet hatte, holte ieh auf das Geheill meines Herrn

    22 Vgl. Mario Liverani, The Ideology of the Assyrian 'Empire, in: Power and Propaganda.A Symposium on Ancient Empires, ed. by Mogens Trolle Larsen, Kopenhagen 1979,S.297-317.

    23 Vgl. Busteny Oded, War, Peace and Empire. Justifications for War in Assyrian Royal In-scriptions, Wiesbaden 1992, 13 f.24 Liverani, Ideology (wie Anm. 22), S. 298: Idcology has thus the function of facilitatingthe action, of overcoming the resistance; inthe case of imperialism it has the aim of brin-ging about the exploitation of man by man, byproviding the motivation to receive thesituation of inequality as -right- I...I .25 Zum wichtigen Aspekt der Genese politischer Theologien jetzt Jan Assmann, Herr-schaft und Heil. Politische Theologie in Altagypten, Israel undEuropa. Miinchen, Wien2000. Assrnann fiihrt die Religionen Altrncsopotamicns und Agyptens unter dem Ru-brurn .primara Religionen

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    Krieg im Altertum als soziales Handeln 3 0 3Assur wie einen Fisch aus dem Meere heraus und schlug ihm den Kopf ab, Diedurch Abdi-Milkuttis Abfall gestorte Ordnungbrachte Assurbanipal als Werkzeugder Cotter wieder ins Lot. Chiffre fur die gerechte Ordnung ist immer wieder das[och des Reichsgotts Assur, dem sich zu entziehen die entschiedene militarischeIntervention des Konigs provozieren mufs.Ausd~ht1~ngd e s Ne~assyrlsch~n'Heieh~l i l i w m B 5 ~ v . ; C l 1 r ; : " J . . .~ _ r - . . _ -

    So sind Verweigerung von Tributen, Bruch des Loyalitatseids und Versagen derHeeresfolge, indem sie die sakrale Ordnung treffen, Angriffe auf die Cotter, Der Ko-nig, oberster Diener der Cotter und zugleich ihr Reprasentant bei den Sterblichen,hat unverziiglich tatig zu werden. Das dualistische Prinzip kennt nur Freund oderFeind, Vasall oder Gegner: Ir n Frernden konnte man nichts als den Vasallen erblicken,der sich der Ordnung einzugliedern hatte. Konig Salmanassar II. eroberte Urartu,denn der Gott Assur gab mir Szepter, Waffe und Stab, urn tiber die Schwarzhaup-tigen zu herrschen, und gewahrte mir die wahre Krone der Herrschaft; zu dieserZeit, dem Jahr meiner Thronbesteigung, rebellierte das Land Urartu gegen mich(RIMA 1, 183, 22-28). Urartu, ein ab dem 9. [ahrhundert in der heutigen Siidosttur-kei expandierender Staat, hatte zuvor auBerhalb des assyrischen Machtbereichs 'ge-legen, aber ASSUISOrdnung war nicht an ein Territorium gebunden. Sie war uni-versal, als Weltherrschaft konzipiert: Derassyrische Konig war der Konig der Ce-samtheit der ganzen Welt, unter Einschlufs aller Fursten, der die Unbeugsamen sichverbeugen laBt, der tiber alle Volker herrscht (Grayson ARI 2,540). Jeder gewon-nene Krieg brachte die Welt der universalen gerechten Ordnung ein Stuck naher,

    Doeh konnte sich das Prinzip gottlieher Sendung unvermittelt auch naeh innen,gegen den Konig selbst wenden: dann namlich, wenn er offensichtlich nichtmehr im Einklang mitder gerechten Ordnung agierte. Der Usurpator Sargon II.

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    304 MGZ 59 (2000) Michael Sommer(721-705 v.Chr.) begriindete seine Erhebung gegen Salmanassar V (726-721 v.Chr.)mit den Siinden des Vorgangers gegen den Gott Assur und seine Stadt (Saggs, Iraq,37,15). Der Wille der Cotter konnte so auch als Legitimierung des Biirgerkriegs her-halten, bei der vergleiehsweise starken Verwurzelung des dynastisehen Prinzips dieeinzige Moglichkeit fur Usurpatoren, gegen einen regierenden Herrseher zu mobi-lisieren.

    Der feste Glaube an m a n ife st d e stin y Assurs und besonders seiner Militarrnachtbewies tiber die Jahrhunderte ein aufserordentliches Beharrungsvermogen undiiberdauerte auch die versehiedenen Zasuren und Krisen. Die aggressiv-kriegeri-sehe Theologie bildete gerade einen soliden Grundstoek kollektiver Identitat, ent-standen offenbar in der Fruhphase Assurs als eines bedrohten Mittelstaats an dernordlichen Peripherie Mesopotamiens. So klingen immer wieder dieselben Recht-fertigungsmotive fur Krieg an: Schon Samsi-Adad C Zeitgenosse Hammurabisvon Babylon (18. [h.), pragte fur das Altassyrische Reich die Formel, unter demKommando des Gottes Assur in den Kriegzu ziehen (Grayson ARI 1, 125,157).Da15die eigentliehe Kommandogewalt beim Reichsgott liegt, durchzieht die as-syrischen Texte wie ein roter Faden. Sukzessive nimmt Assur Ziige eines Kriegs-gottes an, so die Bedeutung des Krieges im expandierenden GroBreieh unter-streichend'",

    1stalso die religiose Herleitung kriegerischer Gewalt einerseits ein Moment derStarke assyrischer Politik, sozeigen sieh doeh aueh unverkennbar Sehwachstellen,die sich zwangslaufig aus der Starre der legitim en Ordnung ergaben. Die Kon-taktaufnahme zu Fremden setzte einen Automatismus in Gang, der bei der aufsen-politischen Intransigenz Assurs alternativlos war: StieB man auf bislang unbe-kannte Gruppen, so Iiefsen sie sieh nur als Untertanen, Vasallen, in die assyrischeHerrschaftskonzeption integrieren. Besseres Kennenlernen, zumal dann,wenn dieFremden keine Neigung zeigten, sich dem assyrischen Druck zu beugen, erfor-derte Intensivierung der Herrsehaft und starkere Durehdringung: Assur misehtesich in die Thronfolge ein und etablierte Marionettenherrscher. In letzter Konse-quenz folgte der Ubergang zu direkter Herrschaft durch Provinzialisierung der be-treffenden Gebiete.

    Man kann das Vorgehen als planvolles, schrittweises Ubergehen zu immer ra-tionaleren, wirtschaftlicher und politischer Vernunft gehorchenden, Herrsehafts-methoden interpretieren'", doeh fiihrte gerade das unbeirrte Festhalten an demeinmal eingeschlagenen Weg, das sieh oft rationalen Erklarungsversuchen ent-zieht, geradewegs in den Untergang. Auf lange Sieht fur Assur besonders ver-heerend, weil aIle okonomischen und demographischen Ressourcen iiberfordernd.wirkte sieh die assyrische Westexpansion aus, an der sieh der Primat der Reli-

    26 Vgl. Wolfgang Rollig, Assur - Geillel der Volker. Zur Typologie aggressiver Cesellschaften.'in: Saeculum, 37 (1986), S. 116-128. Rolligs Darlegungen sind deshalb problema tisch,weil nicht zwischen subjektiven und objektiven, ex post ermittelten, Kriegsmotivatio-nen unterschieden wird: Geltungsstreben des Konigs und okonomische Erfordernissestehen gleichberechtigt neb en der religiosen Dimension. Unerwiihnt bleibt, daE alle an-deren Elemente (Prestige, Tribute, Beute) stets auf den religiosen Sinnrahmen bezogensind. Plausibler, da konsequent .nomothetisch: der Versuch Liveranis (siehe Anm. 24),zwischen ideologischem Uberbau und okonomischer Basis zu trennen.

    27 Vgl, Mario Liverani, Antico Oriente. Storia. Societa. Economia, Bari 1988, S. 792-802.Ahnlich die Interpretation von Roland Lamprichs, Die Westexpansion des neuassyri-schen Reiches. Eine Strukturanalyse, Neukirchen-Vluyn 1995.

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    Krieg im Altertum als soziales Handeln 305gion fur den assyrisehen -Imperialismus. exemplariseh verdeutlichen HifSt:In dasnaeh dem Ende der bronzezeitliehen Palastzentren (urn 1200 v. Chr.) entstehendeMaehtvakuum an der Levante (gemeint ist die Kiistenregion der heutigen StaatenSyrien, Libanon und Israel) stiefs Assur zuerst unter Tiglatpilesar 1 . (urn 11OD) vor.Erstmals traten die Assyrer mit den Fiirsten der politiseh fragmentierten phoni-kisehen Stadte (Sidon, Byblos, Arados) in Kontakt, von denen sie Tribut erhiel-ten (Grayson ARI 2, LXXXVII, passim). Die Formulierung (Tribut) deutet be-reits auf die Unfiihigkeit der Assyrer, AuiSenbeziehungen anders als asymmetrisehwahrzunehmen. Dem VorstofS Tiglatpilesars I. folgte keine regulare Herrsehaftiiber den Westeni vielmehr handelte es sieh nur urn ein razzienartiges Uberfall-unternehmen, das aber die geographisehe Kenntnis des Westens erheblich ver-besserte.Eine wirkliche Konfrontation ereignete sich erstmals bei Qarqar in Syrien, wosich eine syrisch-aramaische Fiirstenallianz einer zweitenWelle assyrischer Ex-pansionsbestrebungen in der Region entgegenstellte und unterlag (853). UnterAdad-Nirari III. (810-783) intensivierte Assyrien sein Engagement in Syrien er-neut, schwachte die Regionalmaeht Aram-Damaskus und maehte sieh die Naeh-barstaaten, darunter Israel, tributpfliehtig. Eine dramatische Wende in der assyri-schen Westpolitik trat erst unter Tiglatpilesar III. (745-727) ein: Assur annektiertedas Reich Urartu (742), intervenierte in einem Thronfolgestreit inSamaria (743-740)/eroberte die syrischen Kleinstaaten Arpad, Unqi (740) und Ulluba (738) und un-terdriickte, nach eigenem Bekunden, eine Rebellion in Syrien mit Zentrum Aram-Damaskus (738-731). Wenig spater inthronisierte wohl noeh Tiglatpilesar einenMarionettenherrseher im phi:inikisehen Tyros (ca. 727).

    Tiglatpilesar begrundet seine militarischenUnternehrnungen inder klassischenDiktion assyriseher Annalistik: Sie planten Ubles, sprachen aufriihrerisch gegenAssyrien und begingen ununterbrochen [Liicke]. (Tadmor 113/21). Dennoch ist sichder Konig des Neuartigen seiner ausgreifenden Eroberungspolitik bewuJSt: Er ha-be Volker unterworfen, welche die Konige, meine Vorganger, nicht besiegt ha-ben (ebd., 113/17). Der Vorstofs zu neuen Grenzen setzt einen Automatismus vonKonflikt und Eroberung in Gang: Uassurme von Tabal [Tubal in Kappadokien]fi.ihrte sich auf, als ware er gleichen Ranges mit Assyrien und erschien nicht vor mir.[ . . . J Hulli, einen Cerneinen, setzte ich auf seinen Thron. (Tadmor 171/ 14 f.). Essind die Cotter, deren Ordnung Asymmetrie zwischen Assur und den Fremdenzwingend vorschreibt. Tiglatpilesar, dessen Taten [die Cotter] lieben und dessenPriesterschaft sie ersehnten (ebd., 113/ 13), band die Volker unter das loch Assurs,meines Herrn (ebd., 45,11). Assur, der oberste Gott setzte ihn [TiglatpilesarJ uber[Lucke] und setzte ihn ein, urn die Widerspenstigen zu zerschmettern: (ebd., 97/~. .

    Der Dbergang von indirekter zu direkter Herrschaft, der sieh imWesten unterTiglatpilesar III. zu vollziehen begann, erscheint so weniger als Teil einer militari-schen und politis chen Konzeptiori denn als Imperativ der gerechten Ordnung: As-sur muls, auf Geheill der Cotter, expandieren und zugleieh imeigenen MachtbereichHerrsehaft intensivieren. Jeder Furst, jeder Konig/ der nicht ins Schema pafst, weiler noeh zuviel Autonomie besitzt, ist ein -Rebell-: einer, der nicht das [och tragt,Die Unduldsamkeit dem Fremden gegenti.ber, tief in der Semantik assyrischerKriegstheologie verwurzelt, treibt die assyrische Politik zuletzt in die Sackgasse, jasie schliefst die Formulierung einer eigentlichen Strategic, die Moglichkeit flexiblenReagierens, grundsatzlich aus. Assur kann nur agieren, niemals reagieren.

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    306 MGZ 59 (2000) Michael SommerDie assyrische Kriegfuhrung im Westen unter Tiglatpilesars Nachfolgern ziel-te namentlich auf die Kontrolle der phonikischen Kustenstadte, allen voran Ty-ros, der Metropole des mediterranen Fernhandels, fur Assur QueUe unentbehr-

    licher Rohstoffe und Prestigeguter, Bis dato hatte eine Art symbiotischer Balan-ce zwischen assyrischer Militar- und phonikischer Wirtschaftsmacht die Versor-gung des GrofSreichs sichergestellt. Nunmehr, nach Einverleibung des syrischenBinnenlands, treten auch die Phoniker als diejenigen entgegen, die sich dem Jochnicht beugen (z.B, AfO 26, T 10, 26-30). Sie, als nun neue Peripherie Assurs, mus-sen zur Rason gebracht worden: Nachdem Tiglatpilesar noeh 727 die Autonomiedes -Konigreichs der Sidonier- (Tyros) anerkannt hatte, belagerten seine Nach-folger Salmanassar V und Sargon II. die Stadt (ca. 724-720), blieben indes man-gels Flotte erfolglos. So kam es offenbarneuerlich zu einem Arrangement, bisSanherib, der Sohn Sargons (704-681), abermals massiv Druck auf Tyros ausiibte:Luli, den Konig von Sidon, warfen die Furchtbarkeit und der Schreckensglanzmeiner Herrschaft nieder, und er floh in die Ferne mitten auf das Meer. [...] Ich setz-te Tubalu auf den fur ihn vorgesehenen Konigsthron tiber sie [".J (AfO 26, T 4,32-35).Sanheribs Handeln war alternativlos, denn er war der grofSeKonig, der mach-tige KOnig, Konig der Gesamtheit, Konig von Assyrien, Konig ohnegleichen, der(immerfort) betende Hirte, der die groBen Cotter furchtet, [...] der Reif, der die Wi-derspenstigen umspannt, derjenige, der die Feinde niederblitzt. (ebd., T 4,1-3).Das Eintreten fur die gerechte Ordnung, das [och, trieb Assur in einen Krieg,den es, ungeachtet seiner erdruckenden militarischen Uberlegenheit, auf Dauernicht gewinnen konnte. Die Unfahigkeit, die tyrische Thalassokratie mit den Mit-teln klassischer assyriseher Belagerungstechnik niederzuringen=, notigte Assurschliefslich sogar einen regelrechten > Vertrag: mit Konig Baal ab (ca. 676), der denPh6nikern ausdrucklich das Recht auf freien Handel zuerkannte, ihn rnithin zu ei-ner Art .Partner- erhob (SAA 2, 5) - ein nach assyrischen Begriffen geradezu un-geheuerlieher Vorgang. .

    Die assyrische Westpolitik scheiterte letztlich im Konflikt zwischen normati-ven Vorgaben der Kriegstheologie, manifest im [och des Reiehsgottes, und fak-tischen okonomischen und sozialen Bediirfnissen des Reiehs und seiner Eliten, de-ren Kohasion mafSgeblich auf fortwahrendem Umlauf von Luxus- und Presti-gegiitern beruhte, den wiederum nur die Phoniker als .Funktionsethnie- sicher-stellen konnten. Die inkonsistente Politik gegenuber den phonikischen Stadtenbraehte diesen fur Assur unentbehrlichen Warenstrom zeitweise zum Versiegen.Die Begrundung des Kriegs als gottlich legitimierten Handelns konfrontierte des-halb die Assyrer, je langer die Expansion andauerte, mit Widerspruchen, die siehaus dem Fundus vorgegebener Handlungssehemata nicht Iosen lieJ3en.Assur wur-de so letztlich, mit der mafslosen Uberdehnung seiner Ressourcen, zum Opfer ge-rade.jener Triebkraft, die zuvor seinen Aufstieg aus kleinen Anfangen ermoglichthatte.

    28 Wahrend der Belagerung durch Sargon II. (ca. 720) meldete der assyrische Befehls-haber vor Orr dem Konig: Alle Kais sind vall von Leuten. Seine Untertanen [des Ko-nigs von Tyros], die darauf sind, betreten und verlassen die Lagerhiiuser, geben und .nehmen im Tauschhandel.isteigen das Libanongebirge hcrauf und herab, das Tyrosgegeniiberliegt, wie sie belieben, und sie haben Holz herabgeiihrt [...l (SaggsIraq 2715).

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    Krieg im Altertum als soziales Handeln 3 07Krieg als politisches Handeln im klassischen Athen

    Krieg gehort gleich mehrfach in die Reihe sinnstiftender Strukturelernente der grie-chischen Polisgesellschaft. Nicht nur leitete die Polis, der Personalverband des grie-chischen Stadtstaats, ihre Existenzberechtigung zurn wesentlichen aus ihrer Schutz-funktion als Verteidigungsgemeinschaft ab; auch der Einzelne begrlindete mit sei-nem Status als Krieger, zunachst als aristokratischer Einzelkampfer, dann als Ho-plif", seinen Anspruch auf politische Teilhabe. Offenbar grundversc;hieden vonAssur war die Verankerung des Kriegs in der griechischen Gesellschaft.

    Wesentlich ist zuerst, daB, in deutlichem Gegensatz zu Assur und den rneistenGesellschaften des Orients, in der Polis die Entscheidung uber Krieg oder Friedenbei den Kriegfuhrenden selbst lag, nicht erst mit der attischen Dernokratie, son-dern schon fruh, mit der Konstituierung der Polis als Gemeinschaft der Kampfen-den. -Staatstragend- waren von jeher alle Wehrfahigen, wie weit auch immer die-ser Kreis gezogen sein mochte'". Die soziale Kohasion der Polis, anfangs aulseror-dentlich schwach ausgepragt, erwuchs erst allrnahlich aus der schrittweisen Uber-windung internet Antagonismen.

    Ein grieehisches Spezifikum liegt weiter darin, daf man jenseits der Polisgren-zen weniger dem Fremden als dem eigenen Spiegelbild begegnete: Das Verhaltnisvon Identitat und Alteritat war, im politisch fragmentierten, kulturell aber weit-gehend homogenen Horizont Grieehenlands, ein entsehieden anderes als im Ori-ent, wo man sieh von potentiell feindseligen Fremden umgeben sah, Es gab ver-schiedene Bezugsgrofsen fur Identitat, fluktuierend zwischen dem Mikrokosmos desOikOS31 und del' Gemeinschaft aller Hellenen. Ein dualistisches Freund-Feind-Sche-rna wie in Assur konnte so innerhalb Grieehenlands in der eindeutigen orientali-schen Form gar nicht erst aufkornmen'", die Wahrnehrnung des Nachbarn warvonBeginn an komplexer, vielschichtiger.

    Das heiist nicht etwa, daf Feindseligkeiten unter Griechen weniger heftig, sel-tener oder gar -zivilisierter. ausgetragen worden waren - gewachsene Erbfeind-

    2~ Hopliten waren die seit dem 7. J ahrhundert als Schwerbewaffnete in Schlachtreihen (Pha-lanx) kampfenden grundbesitzendcn Burgersoldaten, die sich die entsprechende Aus-rustung leisten konnten. Bis zur demokratischen Offmmg der Polis im 5. Jahrhundert, alsdie maritime Expansion Athens die Heranziehung auch der unteren, grundbesitzlosenZensusklasse (Theten) zum Kriegsdienst in der Flotte erforderte, waren allein die Ho-pliten wehr- und damit politisch regimentsfahig. Der Ubergang zur Hoplitenphalanxmarkiert die zweite Stufe politischer Vergemeinschaftung in der Polis (nach dcr Aristo-kratcnpolis im 8. [ahrhundertl.

    30 Vgl. auch Aristoteles, Politik 7, 1329a: Denn wer ubcr die Waffen Herr ist, ist auch Herrdariiber, daB die Verfassung bestehen bleibt oder nicht. Also wird die Verfassung diesepolitis chen Aufgaben denselben ubergeben I...J . (Ubers, Cigon).31 Der Oikos (wortlich: -Haus.) war die wirtschaftlich idealiter autarke, landwirtschaftlichcHausgemeinschaft, bestehend aus dem Oikosherrn, seiner Familie und Sklaven. Der Oi-kos blieb auch nach weitreichenden wirtschaftlichen Veriinderungen in der klassischenPolis (Expansion von Handel und Gewerbe, ab ca. 500 v, Chr.) wirtschaftliche Grund-

    einheit und ideeller Bezugspunkt.32 Gleichwohl war die universelle Polarisierung zwischen Freund (pMos) und Feind (xenos)auch in Griechenland fest verwurzelt. Nur liefen die Spannungslinien anders: Del' nochFremdere (die Parser) konnte ohne weiteres Bundnispartner gegen den Fremden (Athen)sein, Die fremde Polis war ala Biindnispartncr gegen den Gegner im internen Konflikt

    (stasis) stets gesucht und wi1lkommen.

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    308 MGZ 59 (2000) Michael Sommerschaften zwischen Poleis (Sparta und Argos, Theben und Athen), stetig virulenteKonfliktherde und oft uber nichtige Anlasse ausbrechende Konfrontationen kun-den vom Gegenteil. Angesichts dessen, daf das kIassische Athen in zwei von dreiJahren Krieg fuhrte, Ii:i.Btsich, zumindest fur bestimmte Phasen der griechischenGeschichte, sehr wohl von einer guerre endemique-c" sprechen.

    Die Griinde fur die Verbreitung kriegerischer Konflikte sind so vieIschichtigwie die politische Geschichte des antiken Griechenland selbst. lmmer wieder wirdmit Recht auf die Wettbewerbsethik, das -Agonale- (griech. ag6n - WettkampD, ver-wiesen, das den Umgang der Griechen miteinander auf allen Ebenen pragte34 undKonflikten im Innern wie nach augen nachhaltig Vorschub leistete. Es lieB sich auchins Negative wenden: Cekrankte Ehrsucht verlangte naeh Rache, einem weiterenelementaren Bestandteil griechischer Mentalitat". Rache war stets legitimer Kriegs-grund, noch Philipp II. und Alexander der GroBe propagierten ihren Persienkriegals .panhellenischen Rachefeldzug-, Zum Wettbewerb urn Rang und Prestige tratdas Konkurrieren urn Ressourcen, besonders urn Ackerflache, Vieh und Wasser,knappen Gutem im Naturraum Griechenland. Bereits der erste historisch Iafsbarebewaffnete Konflikt zwischen zwei Poleis, der Krieg zwischen Chalkis und Ere-tria auf Euboa (ca. 700-650 v. Chr.), entbrannte urn die fruchtbare LelantinischeEbene (Strabon, Geographie 10, I, 12). Karl Marx sieht im Krieg des Alterturns diegro:l5eGesamtaufgabe, die grofse gemeinschaftliche Arbeit, die erheischt ist, sei esurn die objektiven Bedingungen des lebendigen Daseins zu okkupieren, sei es urndie Okkupation derselben zu beschirtzen und zu verewigenc".

    AIle Motive, agonales Sieh-messen-wollen, Rache- und Beutefeldzug, treten be-reits in Epos und frillier Dichtung deutlich zutage. Die gesarnte Ilias handelt imSpan-nungsfeld von verletztem Ehrgefuhl (time) und Satisfaktion. Der Krieg ist die Rachedes Menelaos fur den Raub der Helena, Achill racht sieh fur die ehrabschneidendeWegnahme der Gefangenen Briseis durch Fernbleiben vom Kampf. In seinen Ju-genderinnerungen schildert Nestor einen Konflikt zwischen Pylos (Stadt auf der sud-westliehen Peloponnes) und Elis (Stamm auf der nordwestlichen Peloponnes):zu den Zeiten, als wir die Fehde mit Elis erhoben wegen des Rinderraubes [...J .

    Reichliche Beute trieben wir dort aus dem Felde zusammen, funfzig Herdenvon Rindern und ebenso viele von Schafen, Schweinehaufen so viel und schwei-fende Herden von Ziegen; auch an braunlichen Rossen gewannen wir hun-dertundfiinfzig, Stuten aIle, darunter viele mit Fohlen am Enter, AIle triebenwir jetzt hinein zur neleischen Pylos, nachts an die Feste gelangend, und herz-lieh freute sieh Neleus [...J . (Homer, llias 11, 671-385).

    33 Andre Bernand, Cuerre et violence dans la Grece antique, Paris 1999, S. 214. Noeh dra-stischer Jean-Pierre Vernant, Introduction, in: Problemes de la guerre en Crece ancienne,ed. par Jean-Pierre Vernant, Paris 1999, S. 13: "La paix, ou plutot le treves, s'inscrivant com-me les temps morts dans la trame toujours renouee des conflits. Contra Meier, Rolle desKrieges (wie Anm. 8),8. 561 f.,mit Verweis auf klare zeitliche und saisonale Beschran-kung des Krieges und die rituelle Markierung von Anfang und Ende (eine Unterbre-chung dessert, was die Regel war, namlich des Friedens.).34 Vgl. etwa Elke Stein- Holkcskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum grie-

    chischen Adel in archaischer und klassischer Zeit, Stuttgart 1989, S. 120; Hans-JoachimGehrke, Jenseits von Athen und Sparta. Das Dritte Criechenland und seine Staatenwelt,Miinchen 1986, S. 51.J5 Vgl. Hans-Joachim Gehrke, Die Griechen und die Rache. Ein Versuch in historischer Psy-chologie, in: Saeculum, 38 (1987), S. 121-149. ..36 Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Okonomie, in: Ders. und Friedrich En-gels, Werke, Bd 42, Berlin 1983, S. 386.

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    Krieg im Altertum als soziales Handeln 309Hier iiberkreuzen sich Rache- und Beutegedanke; der Gesichtsverlust ob des Rin-derraubes wird ebenso graB gewesen sein wie der okonomische Schaden - beidesverlangte nach Ausgleich und machte den Krieg unvermeidlich. Beutekriege inForm razzienartiger Vorstofie gehorten, wie praktisch uberall in segrnentaren Ge-sellsehaften, zum Alltag im Zeitalter des aristokratischen Einzelkampfers, Darananderte sich auch mit dem Obergang zur Hoplitenphalanx zunachst wenig: Kalli-nos von Ephesos, in dieser Umbruchphase (urn 650) schreibender Dichter und Ari-stokrat, benennt die Verteidigung von Haus und Hof als legitimen Fehdegrund:Ehrenvoll (7LfLi jEV) ist's ja und glanzend (& :YAa6v) zugleieh fiir den Mann, wenner streitetum sein Land, seine Sohn' und sein ehelich Weib gegen die Feinde! (Kal-linos, 1West, 6-8, Obers. Latacz).

    Bel der herrschenden Ethik bedarf es fur den Einzelnen zum Ergreifen der Waf-fen nUTgewisser -auslosender Reize Es gilt das Recht. des Starkeren: jeder stehtfiir sich, wirtschaftliche Interessen, die time seiner selbst - oder aber der philo i -ein. Wer sich nicht verteidigen kann, geht zurn Besitz auch der Ehre verlustig. Ehr-los ist auch, wer den Freund im Stich laBt. Konflikt entsteht so mit der Selbstver-stiindlichkeit eines mafiosen Bandenkriegs im Zeichen der vendetta - Auge urn Au-ge, als fortwiihrende Reziprozitiit insolidarischer Hilfe und im Antun von Leid".Daran anderte auch, bei aller sonstigen Bedeutung, die Entstehung einer breite-ren, zunehmend institutionalisierten und verrechtlichten Solidargemeinschaft, derPolis, nichts Wesentliches, blieb sie doch latent durchzogen von Spannungslinien,die sich haufig im Bilrgerkrieg (stasis) entluden. Nach aufsen blieben die zwi-schenstaatlichen Beziehungen, ungeachtet aller Versuche, hier vertragliche Regu-lative zu schaffen, faktiseh ein rechtsfreier RauID, in dem die Spielregeln von Pre-stige und time unverandert fortgalten.Etwa eine Generation nach Kallinos dichtet der Spartaner Tyrtaios, bezeich-nenderweise zur Zeit des Zweiten Messenischen Kriegs (ca. 620-600 v. Chr.), indem die Spartaner die Naehbarlandschaft Messenien unter groBten Anstrengun-gen endgiiltig unterwarfen und deren Bevolkerung zu Leibeigenen machten: totsein namlich ist schon, wenn man vorn bei den Ersten gefallen als braver Mannurn seine Vaterstadt im Kampf. (Tyrtaios, 10 West, 1 f., Ubers, Latacz), Das Ster-ben als Hoplit fur die und in der Gerneinschaft, versehen mit der Gloriole von SiiJ5e.und Unverganglichkeit, erhielt seinen unverriickbaren Platz in der Polis-Ethik".Gerade in der Todesbegegnung, im Trotz der Todesbereitschaft und im Rauschdes Oberlebens39 schuf sich die werdende Polis-Gesellschaft eine stabilisierendesoziale Klammer. Zu den primar affektuellen Motivationskategorien der Friihzeit(time, Rache, Solidaritat aus Freundschaft) trat so, an der Schwelle zum 6. [ahr-hundert, der iiberwiegend wertrational verankerte Glaube an den Eigenwert desGemeinwesens, das den Einsatz des eigenen Lebens verlohnte.

    Namentlich die Athener experimentierten mit der neuen, aber weiterhinprekaren Polis-Ethik in einem Prozefs des trial and erro r in einzigartiger Weise undbrachten so schlielslich die Demokratie hervor. Der auf Ausgleich bedachte Ce-setzgebungsversuch des athenischen Staatsmanns Solon (594/93 v. Chr.) scheiter-te noch an der Umiberwindbarkeit aristokratischer Wettbewerbsethik. Auch dieTyrannis des Peisistratos und seiner Sohne Hipparch und Hippias (561-510 v. Chr.)37 Gehrke, Rache (wie Anm, 35t S. 130-133, spricht von Erwiderungsmoral.38 Vgl. Stein-Holkaskamp, Adelskultur (wie Anm. 34), S. 124 f.39 Walter Burkert, Homo necans, Berlin 1972, S. 59.

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    310 MGZ 59 (2000) Michael Sommerkonnte die Spannungen nur voriibergehend einfrieren, wirkte sieh aber im Ergeb-nis gemeinschaftsstiftend aus. Erst der Zug, der mit den Reformen des Kleisthenes(509-507) nach der Uberwindung der Tyrannis ins Rollen gebraeht war/ der vonChristian Meier so bezeiehnete Trend zur Isonomie, zur Gleiehgesetzliehkeit,setzte jene Dynamik frei, welche die Athener praktiseh tiber Naeht zu Herren derAgiUs machte. Wie war das moglich?Die Athener waren stark geworden. Das biirgerliehe Recht des freien Wortes

    fur alle ist eben in jeder Hinsicht, wie es sieh zeigt, etwas Wertvolles. Denn alsdie Athener von Tyrannen beherrseht wurden, waren sie keinern einzigen ih-rer Nachbarn im Kriege iiberlegen; jetzt aber, wo sie frei von Tyrannen waren,standen sie weitaus an der Spitze. Daraus ersieht man, daB sie als Untertanen,wo sie sich fur ihren Gebieter miihten, sieh absichtlich feige und trage zeigten,wahrend jetzt nach ihrer Befreiung ein jeder eifrig fur sich seIber schaffte.(Herodot, Historien 5, 78/ Ubers. Feix),Herodots seheinbar einfaehe Erklarung fur den Wandel trifft den Kern: Seit Kleis the-nes und mehr noch seit dem Sieg uber die Perser verkrnipfte jeder Burger sein in-

    dividuelles Interesse aufs engste mit der Polis/ aueh und gerade mit den Friichtenvon deren Siegen40 Militarischer Erfolg der Gemeinschaft lief sieh unmittelbar inWohlstand, ja: Macht des Einzelnen ummunzen, Athen besetzte, zum ersten Mal506 naeh einem Sieg tiber das nahe Chalkis, dessen Landereien und siedelte dort4000 Militarkolonisten (Kleruchen) an (Herodot, Historien 5, 77). Nicht der Kriegurn Beute ist revolutionar, sondern die Tatsache, daf die Profiteure der Schicht derkleinen und mittleren Bauern - der -Vielen: - entstammen.

    Hier liegt der Schliissel zum Verstandnis der, fur griechische Verhaltnisse, uner-horten Expansivkraft des demokratischen Athen. Paradoxerweise brachte, wie esHerodot formuliert, gerade die Vereinzelung der Interessen den Durehbruch zuihrer Bundelung - und damit die M6glichkeit politischen Handelns der Polis alsganzer. Politisches Handeln par excellence ist der Krieg, die -Arbeit- des Hoplitenin der Phalanx wie des Theten, des grundbesitzlosen Lohnempfangers, in der Flot-te41 . Entsprechend verlieB die Kriegfiihrung die konventionellen Bahnen des Kraf-te-Messens. Sollte Krieg die Lebenssituation des attischen Demos wirklich ver-bessern, mufsten seine Resultate von Dauer sein, mufste Athen eine hegemonialeStellung anstreben, wie es sie mit der Erriehtung des Seebundes erreiehte.

    Kein Konflikt veranschaulicht diese Entwicklung besser als der Peloponnesi-sehe Krieg, zugleieh Hohe- und Sch1uBpunkt des attischen Seereichs. Die rivali-

    40 Vgl. Peter Spahn, Individualisierung und politisches BewuEtsein im archaischen Grie-chenland, in: Anfimge politischen Denkens in der Antike. Die nahostlichen Kulturen unddie Griechen, hrsg. von Kurt Raaflaub, Munchen 1993, S. 362.41 Das ist es, was Jean-Pierre Vernant, Introduction (wie Anm, 33), S. 33, mit der Bemer-kung, der Krieg sei. das Politische selbst, mcint [La guerre n' est pas seulement soumi-se a 1acite, au service de 1apolitique; elle est le politique lui-meme; elle s'identHique avecla cite, puisque I'agent guerrier coincide avec le citoyen, qu'il se manifeste comme guer-rier en tant qu'il est un agent politique ayant pouvoir de regIer, it part egale, les affaires

    communes du groupe.), Christian Meiers Kritik daran - Meier, Rolle des Krieges (wieAnm. 8), S. 561: Vor allem ist es doch wohl grotesk, den Krieg mit dem Politischen zuidentifizieren. - geht ins Leere, unabhangig davon, daf Biirgerschaft und Armee un-terschiedlich strukturiert waren und in Krieg und Frieden je unterschiedliche Hand-lungsnormen vorwaIteten. Entscheidend ist die Identitat der lnteressen von Burger undKrieger und die Tatsache, daE die Entscheidung zum Krieg den politischen Willen der)Vielen ( artikuliert.

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    Krieg im Altertum als soziales Handeln 311sierenden GroBmiichte Sparta und Athen mit ihren jeweiligen Biindnissystemen(Peloponnesischer Bund bzw, Delisch-Attischer Seebund) karnpften mit Unter-brechungen nahezu dreif5ig Jahre urn die innergriechische Hegemonie (431-404v. Chr.), Geradezu ein Manifest des politis chen Krieges ist die erste Rede des atheni-schen Staatsmannes Perikles'? in Thukydides' Geschichte des PeloponnesischenKrieges, gehalten vor der Volksversammlung unmittelbar vor Kriegsausbruch:Krieg ist, Ausdruck des Konnens-Bewufstseins (Christian Meier) der Athener,rational bis ins Detail planbar, die Konfrontation mit Sparta unausweichlich (Thuky-dides I, 140), Perikles' Ziel ist von langfristiger, strategischer Natur: Es schiektsichfur euch, die angesehene SteHung, die unsere Stadt als gebietende Macht ge-nielst und auf die ihr stolz seid wie kein andres Yolk, aufrechtzuerhalten und kei-ne Muhe deswegen zu scheuen, so Thukydides (2,63) in der dritten Perikles-Re-de (Obers. Horneffer), Urn nichts Geringeres als den Seebund, Grundlage von WohI-stand und Machtstellung Athens, geht es. Zu seiner Sicherung bedarf es der stra-tegischen Konsequenz eines Perikles, unter Hintanstellung aller kurzfristigenBediirfnisse und Gefiihlsregungen: ))Wirmiissen unsere personlichen Leiden ver-schmerzen und uns fur die Rettung des Ganzen einsetzen. (Thukydides 2, 61),Die Rede ist ein einziger Appell an den Durchhaltewillen der Athener, bei denenin sehwieriger Lage (Verheerungen Attikas durch die Peloponnesier; Widen derPest in der von Fliichtlingen dieht bevolkerten Stadt) Widerstand gegen das stra-tegisehe Kalkiil des Perikles aufkeimt.

    DaB es Perikles gleich zweimal (Thukydides 1,145; 2,64) gelingt, die Mehrheitder Volksversammlung auf seine Seite zu ziehen, ist keineswegs selbstverstand-lieh. Immerhin setzte sein Kriegsplan eine Einsicht in die Zusammenhange derGraBen Politik, speziell die Grundlagen des Seebunds, voraus, wie man sie demathenischen Hopliten oder Theten kaum zutrauen mag. So grenzt es art ein Wun-der, dafl die Mehrheit den unbequemen Weg, den Perikles zu unterbreiten hatte,einem schnellen Ausgleich mit Sparta vorzog, Naturlich beherrschte Perikles vir-tuos die Klaviatur des Wertekanons der Polis, der sich seit Tyrtaios kaum wesent-lich verandert hatte. AHeMotive klingen lehrbuchhaft in der wiederum von Peri-

    , kles gehaltenen Gefallenenrede (Thukydides 2, 35-46) an: Verkliirung des Hel-dentods und Hingabe fur die Vaterstadt; Rache an den Feinden; Gerechtigkeit;sehlieBlich: ag6n. All das sind sehwerlieh Hinzusetzungen durch Thukydides. Dochware der Appell an die Tugend (arete) vermutlich ungehort verhallt, hatte Periklesseinen Zuhorern nieht klargemacht, daf es urn alles oder nichts ging, urn die )Ty-rannis (Thukydides 2, 63), jene Hegemonie also, die Athen mit dem Seebund er-richtet hatte und von der die Athener, gerade die Armeren, so gut lebten.

    Uberhaupt ist frappierend, mit welch unverfrorener Offenheit die Hegemonieder Athener, inbester machiavellistischer Manier, mit dem Recht des Starkeren be-grundet wird, Eine attische Gesandtschaft konstatiert imwiderspenstigen Melosschnorkellos: Wir wissen doeh beide nur zu gut, daB es bei Verhandlungen nur42 Perikles (ca. 495--429v.Chr.) schuf sieh im Rahmen der attischen Demokratie eine fast mon-archische SteHung (461 v. Chr.}, In einer Serie von Kriegen, u.a. gegen Sparta und Per-

    sien (bis 449, 446/45 v, Chr.), setzte er die Anerkennung der attischen Seeherrschaft in derAgais durch. Den urspriinglich als Defensivbundnis gegen Persien gebildeten AttischenSeebund fonnte er zum Herrschaftsinstrurnent Athens tiber seine Bundesgenossen urn,Perikles hielt die Auseinandersetzung mit Sparta urn die Hegemonie in Griechenlandfur unvermeidlieh und drangte Athen in den Peloponnesischen Krieg (431-404 v, Chr,mit Unterbrechungen), Vgl. Charlotte Schubert, Perikles, Darmstadt 1994.

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    312 MGZ 59 (2000) Michael Sommerdann Gerechtigkeit gibt, wenn beide unter dem gleichen Zwange stehen, dafdagegen die Uberlegenen unternelunen, was moglich ist, und die Sehwachen esihnen zugestehen. (Thukydides 5, 89). Das Ausschopfen der Moglichkeiten, welchedie Hegemonie bot, trug wesentlieh bei ztir Eigendynamik, die der Krieg, geradedurch die Unversohnlichkeit der Athener, gewann. Hiiufig waren es okonomischeVerheiBungen, die den Kampfesmut anstachelten=', bisweilen auch die Lust an derMacht, wie imFall von Melos, das sein Festhalten an der Neutralitat bitter bezahlte(Thukydides 5,116).Doeh gab es noch andere, elementarere Motive, den Krieg zu verlangern und al-le Gelegenheiten zu seiner Beendigung ungenutzt verstreichen zu lassen. Immerwieder in entscheidenden Phasen verschrankte sich der Krieg mit der athenisehenInnenpolitik und bot Raum fill die Entfaltung von Demagogen, die, von der Welleder Kriegsbegeisterung getragen, diese zugleich immer wieder neu aufpeitschten.Praktisch aIle athenischen Staatsmanner der Kriegszeit ~ Kleon, Hyperbolos, Alki-biades, Peisandros, auch Perikles ~ waren als Politiker Ceschopfe des Krieges, ver-banden ihr politisehes Schicksal mit ihm. Sie machten sieh mit ihrer popularen Kriegs-politik zu Sklaven des Herrn Demos, wie der Komodlendichter Aristophanes inden Rittern fonnuliert, und sehufen sieh zugleieh unerhorte politisehe Spielraume,

    Die politisehe Satire des Aristophanes fiihrt mitten in die politisehen Gra-benksrnpfe im Athen des ersten Kriegsjahrzehnts. Der Kriegspolitiker Kleon (gest.422 v. Chr.) ist nach Perikles' Tod Athens starker Mann, gegen ihn richtet sieh diePolemik der Komodie, Stets dienstbereit und sich anheischig maehend, dem -'-grei-senhaft vertrottelten - Herrn Demos Honig urn den Bart zu sehmieren, hat der Pa-phlagonier, hinter dem sieh Kleon verbirgt, das Gesetz des Handelns an sieh ge-rissen. Er ist urn keinen Betrug, keine Sehurkerei verlegen, urn sieh dem Yolk im-mer aufs neue als Fuhrer anzudienen, und hat eine Interessenkoalition mit derDreiobolenzunft (Aristophanes, Ritter 255), den staatlieh besoldeten Richtern,gesehmiedet: In Arkadien wird funf Obolen einst beziehen der Demos, wenn erstandhaft bleibt. (ebd., 798 f.) - der Paphlagonier-Kleon spielt, gleich Perikles alsguter Sozialimperialist, genau auf die Zusammenhiinge zwischen De-facto-Ali-mentierung von Burgersoldaten und Polisfunktionstragern und hegemonialerMachtstellung Athens an und kann sich immer wieder auf seinen Erfolg bei Pylosberufen, wo Athen spartanisehe Elitesoldaten festhiilt. Das ist Grund genug zumWeiterkiimpfen, allen spartanisehen Friedensfiihlern zum Trotz.Dem Paphlagonier erwachst in einem zweiten Demagogen, dem Wmsthand-ler ein ebenbiirtiger Widerpart. Er verheifst dem Demos all das, worauf er in lan-gen Kriegsjahren verziehten mufste:Doch zieht er [der Demos] einst wieder aufs Land und wohnt bei den Seinen

    im Frieden und frischt siehAn Weizengraupen den Mut wieder auf, und trinkt er irnMost sich verniinftig,Dann wird er erkennen, welch kostliches Gut mit dem Solddienst du ihm ver-dorben;Dann kommt er, ein grimmiger Bauer, zur Stadt und wirft an den Kopf dir dieSteine.

    43 Nach Thukydides 6,24 brachen die Athener voll Vorfreude auf die spaterso schmach-voll gescheiterte Sizilische Expedition (415-413 v. Chr.) auf: Der gro15eHaufe und dereinfache Soldat aber dachten fur den Augenblick an das Geld und fur die Zukunft anden Machtgewinn, der auf ewige Zeiten Lohnung verhiefs.

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    Krieg im Alterturn als soziales Handeln 313Das weifst du, Betruger, und deinethalb nur verriickst du den Kopf ihm mitTraumen!(ebd., 805~809, Ubers, Seeger).

    Der Wursthandler ist in der Wahl seiner Mittel nicht weniger zimperlich als derPaphIagonier, den er verleumdet und bestiehlt, urn fun beim Demos auszustechen.Aber er hat eine politische Alternative anzubieten und findet auf der Pnyx, dem Ortder Volksversammlung, Gehor. Schliefilich sind da noch die Hinterrnanner desWursthandlers, der Chor der Ritter, Sie, die jungen Aristokraten, stehen fur dentraditionellen Wertekanon der Polis, in dem die pleonexia, das Mehr-haben-wollen,als Kriegsmotiv keinen Platz hat: "Wir aber sind bereit, auch ohne Sold, wackerfur die Stadt zu streitenund die Cotter unsres Volks. (ebd., 576 f.).

    In der Komodie tragt der Wursthandler den Sieg davon und kann am Ende so-gar die vom Paphlagonier versteckt gehaltenen Friedensnymphen einziehen lassen.Die politische Alternative hat das Gefallen des nun junggekochten, wieder aufdie Werte der Vater eingeschworenen Herrn Demos gefunden. Aller Skepsis des Ari-stophanes zum Trotz ~ er steIlt der politischen Urteilskraft des Demos nieht gera-de ein Glanzzeugnis aus" ~ist die Entscheidung tiber Krieg und Frieden eine emi-nent politische. Der Demos entscheidet, ebenso egoistisch wie rational, danach,wer ihm das bessere Essen vorsetzt ~ erst kommt das Fressen, dann die Moral, somag man mit Brecht konstatieren. Die Frage ist, ob er nicht gerade damit seine po-litische Reife unter Beweis gestellt hat.Die Vereinzelung der Interessen (wie Herodot sie schildert) und die Ablosungsinnstiftender normativer Grundmuster des Handelns durch wesentlich zweckra-tiona I bestimmtes, rein machtpolitisches Agieren (so Iiefse sieh hinzufugen) machteKrieg und Frieden zum Gegenstand politischer Entscheidung, ja zum -Politischen.selbst. Traditionelle Herleitungen von Kriegsgriinden nahmen sich da wie leere Phra-sen aus45. Es ist Sache einer eher konservativen Gruppe von Intellektuellen, die Bur-ger mit der Tradition, dem nomos , zu konfrontierenund das Gewinnstreben, dieEhrsucht, zu geiBeIn. Nie zuvor hatte Krieg soviel Offentliehkeit, hatte seinen Sitzmitten im Leben der Agora, der Pnyx und des Theaters. Krieg erhielt darriit auchzum ersten und fur lange letzten Mal jene spezifische, von Clausewitz gemeinte Be-deutung, war als -absoluter Krieg' die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.44 Aristophanes, Ritter 191~193: Regieren ist kein Ding fur Leute von Charakter und Er-

    ziehung! Niedertrachtig, unwissend mug man seinl Und, ebd., 214-219: Du hackstund nihrst den Plunder durcheinander, hofierst dern Yolk und streichst ihm siifseWort-chen wie ein Ragout urns Maul; du hast ja, was ein Demagog nur immer braucht: dieschonste Brullstnnme, bist in Lump von Haus aus, Kramer, kurzum - ein ganzer Staats-mann."

    45 Rache: "Wohlan, ich schwore Krieg den Peloponnesiern, fill ewige Zeit, ich will sie schii-digen zu Land und zu Wasser, bis ich sie vernichtet. (DeI Feldherr Lamachos inAri-stophanes, Aehamer 620-622); Bundnistreue: "Was fiir einen verniinftigen Crundkonn-ten wir daher fur uns selbst anfiihren und was fiir eine Entschuldigung, unseren Ver-bundcten druben [den Bewohnern von Segesta auf Sizilien] nicht zu heIfen? Wir sinddazu verpflichtet, da ein Eid uns binder, und diirfen nichts dagegen einwenden, dafs je-ne niehts fur uns tun. Nicht damit sie Truppen hierherschicken, haben wir sie an unsherangezogen, sondern lim unsere dortigen Feinde zu beunruhigen und zu verhindern,daB sie uns hier uberfallen. (Alkibiades in Thukydides 6, 18);Recht und Gerechtigkeit:Darum, Lakedamonier, tretet ein fiir die Gesetze der Hellenen, die diese [die Athener]ubertreten haben; sorget, dag wir ungerecht Cekrankten den gerechten Dank erhaltenfur unsere bereitwilligen Freundsehaftstaten [...1 . (Die thebanisehe Gesandtsehaft inSparta in Thukydides 3, 67).

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    314 MGZ 59 (2000) Michael SommerKrieg und soziale Bindungen in Rom: Das Beispiel der spaten RepublikDie romische Sozialverfassung hat sowohl in ihrer (uns erreichbaren) Fruhzeitwie spaterhin ein Element in ungleich starkerer Ausbildung entwickelt, welchesin den hellenischen Stadtstaaten keineswegs gefehlt hat, dort aber schon in derFruhzeit, vollends aber in den Demokratien, weit zurtickgetreten war:' die feuda-le Kuentei", Wirklich ist die Intensitat, mit der Nah- und Treueverhaltnisse-x'",necessitudines, neben der ciieniela noch ein ganzes Biindel weiterer reziproker Soli-darverhaltnisse", dem gesellschaftlichen Miteinander der Republik ihren Stempelaufsetzten, ein romisches Proprium.

    Faktisch zementierte fides (Treue) zwischen patronus und c lien s, pa tr onu s undlibertus (Frcigelassenem), amicus und amicus die exklusive Monopoistellung derromischen Aristokratie, der Nobilitiit: Die romische Republik war eine sozialeOligarchiev". Unweigerlich wirkte die Klientel, praktisch von den friihesten An-fangen an, auch in die Organisation des Militarwesens hinein, indem Patrone ihreKlienten als Truppenteile rnobilisierten'", Die Kontinuitat klientelarer Bindungenzwischen Truppe und Feldherr, die in der spaten Republik erst voll zur GeHungkam, konstituierte eine grundsatzliche Differenz zur Entwicklung in Griechenland,dessen Poleis seit Einfuhrung der Hoplitenphalanx tiber geschlossene, homogeneHeeresverbande geboten, die ihrer Vater stadt, ausschliefslich und unmittelbar, ver-pflichtet Waren. Dabei weist die Entwicklung von Militiirwesen und politischerOrganisation in Hellas und Rom durchaus gewichtige Parallelen auf: Hi!.wie dortwar die Stadtgemeinde primar Kriegerzunft, hier wie dort lieJs der Ubergangzur Phalanx soziale Konflikte aufbrechen, in deren Gefolge alte Aristokratien dieMacht mit neuen Eliten teilen mufsten?'.

    Anders als in Griechenland vollzogen diese Eliten jedoch die AbschlieEung zueiner neuen Oligarchic, wozu das Gewicht der sozialen Nahverhiiltnisse das Sei-ne beitrug. So hielt die Nobilitat auch auBenpolitisch die Zugel unangefochten inder Hand. Wenn auch vermutlich nicht Initiatoren=, so doch mindestens Organi-46 Max Weber, Agrarverhaltnisse imAlterturn

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    Krieg imAltertum als soziales Handeln 315satoren und in jedem Fall Hauptprofiteure der Expansion, erlangten die ri:imisehennobi les mit dem waehsenden Imperium einen betrachtlichen Macht- und Prestige-gewinn. Der Aufstieg des Stadtstaats zur Weltmaeht gab Einzelpersonlichkeitenbisher nieht gekannte Profilierungsmoglichkeiten und iiberforderte zugleieh her-gebraehte Institutionen wie Humanressoureen. Versehiedene Problemstrange bun-delten sieh im spaten 2. Jahrhundert v. Chr. brennglasartig und sturzten die respubl ica in ihre hundertjahrige, zuletzt letale Krise:1. Im Zeichen waehsender militarischer Herausforderungen bei gleichzeitiger Pro-letarisierung der Bauernschaft litt die Armee unter einem chronis chen Rekru-tierungsengpa13, dem die Nobilitat dureh fortwahrende Senkung des Zensusder (untersten wehrfahigen) fiinften Klasse zu entrinnen suchte'",2. Mit der Expansion zerbrach, nicht zuletzt unter dem Einflufi des Hellenismus'",der bis dato eisern gewahrte Konsens innerhalb der romischenFuhrungsschicht.

    Einzelne Angehorige der Nobilitat verweigerten sich dem unbedingte Unter-ordnung unter die Standessolidaritat erfordernden aristokratisehen Kommentund profilierten sich als eharismatische Fuhrungspersonlichkeiten,3. Die politische Geometrie zwischen Rom, Bundesgenossen und Klientelstaaten

    geriet unter dem Druck fortschreitender Ausbeutung der Peripherie durch dasZentrum aus den Fugen: Konflikte, kulminierend im inneritalisehen Bundes-genossenkrieg (91-88 v. Chr.) und einer Reihe von Sklavenaufstanden, derenberiihmtester der des Spartaeus (73-71 v, Chr.) war, hauften sich. Die Ver-wandlung von indirekter in direkte Herrsehaft (Umwandlung von Klientel-staaten in Provinzen) verscharfte zusatzlich das Problem der vorn aristokrati-schen Kollektiv nieht mehr kontrollierbaren nobiles, da nun noeh mehr Magistrate(Prokonsuln, Propratoren) in der Provinzverwaltung auf Posten gelangten, dieSpielraum zu Profilierung und Maehtzuwaehs boten".Damit war nun jene Konstellation geschaffen, die das Szenario fur den Untergang

    der Republik und den schlie13liehen Aufstieg der Monarchie abgab. Die zerrisseneGesellsehaft trug ihre Ordnung, die r es p u bli ca , in einer rund hundert Jahre wahren-den Folgevon Biirgerkriegen 033-30 v. Chr.) zu Grabe. Ungeachtet der umfas-senden Transformation der romischen Gesellsehaft, die aus der Expansion erwuchs,hatten aber die sozialen Nahverhiiltnisse, die necess i tudines , ihre fundamentale Be-deutung gewahrt. Sie, einstmals der soziale Kitt namentlich der Nobilitat, wan-delten sich unter den ganz anderen Bedingungen der spaten Republik freilieh insGegenteil und wurden zum zersetzenden Spaltpilz= und Menetekel der r es p ub li-ca - bis hin zum kollektiven Selbstmord der herrschenden Klasse-r".

    Die Imperiale Expansion Roms veranderte das Aufgabenspektrum desMilitarsvon Grund auf: Statt einer auf sporadische Kriege auf italischem Boden einge-

    53 50 bahnte sich gleichsam schleichend die Heeresreform des Marius bereits im Vorfelddurch sukzessi ve Proletansierung der Annee an. Vgl. Emilio Gabba, Esercito e societa nel-la tarda repubblica romana, Firenze 1973, S. 1-30.54 Vgl. Gelzer, Nobilitat (wie Anm. 47), S. 132-134; zu den politischen Spielregcln in derhellenistischen Staatenwelt: Hans-Joachim Gehrke, Der siegreiche Konig. Uberlegungen

    zur Hellenistischen Monarchic. in: Archiv fiir Kulturgeschichte, 64 (1982), 5.247-277.55 Vgl. Bleicken, Romische Republik (wie Anm. 52), S. 184..56 Vgl. mit speziellem Bezug zum Klientelwesen: Christian Meier, Res publica amissa, Frank-furt a.M. ]980, S. 30.57 Ulrich Cotter, Der Diktator ist tot! Politik in Rom zwischen den Iden des Marz und derBegrundung des Zweiten Triumvirats, Stuttgart 1996, 5.9.

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    316 MGZ 59 (2000) Michael Sommerrichteten Biirgermiliz war zu Grenzverteidigung und Beherrschung weiter Rau-me ein professionalisiertes Heer aus langerdienenden Soldaten vonnoten'" - einErfordernis, dem die marianische Reform Rechnung trug. Manus" war zugleichProtagonist eines neuen Feldherrentypus: Da die politische Entwicklung auch demBefehlshaber Spezialisierung abverlangte, war der Magistrat, der neben dem po~litischen Amt auch das Feldherrenamt versah, zum Anachronismus geworden.Vielmehr wurde jetzt umgekehrt militarische Tiichtigkeit, zumal unter den Be-dingungen der Biirgerkriege, zur conditio sine qua non jeder politis chen Karriere.

    Die Militarisierung der Politiks'" hatte notwendig ihre Kehrseite in der Poli-tisierung des Militars. Die aus den Reihen der proletarii rekrutierten langerdienen-den Soldaten verbanden mit ihrem Dienst konkrete individuelle Interessen. Sie er-warteten, darin gleichsam Vertragspartner des Feldherrn, als Abfindung die seitMarius obligatorische Landzuweisung, die dann wiederurn das Treueverhaltnis indie Zukunft verlangerte'". Aus dem Interessengleichklang erwuchs rasch eine be-sondere Bindung zwischen-Feldherr und Truppe, die sich fugenlos in das Schemareziproker Sozialbeziehungen einfugte: Charisma des erfolgreichen Feldherrn undErwartungshaltung dcr Soldaten wurden so gleiehsam in die traditionell-romischeForm der clientela gegossen, die dann die hergebrachte Bindung der Soldaten an dier e s p u bl ic a mehr und mehr iiberlagerte. DieHauptakteure der Biirgerkriegszeit - im,wesentlichen Marins, Sulla, Pompeius, Caesar, Marcus Antonius und Octavian -haben es virtuos verstanden, sieh dieses Instruments fur ihre politischen Ambi-tionen zu bedienen.

    Im [ahr 88 spitzte sieh in Rom vor dem Hintergrund einer gefahrlichen mi-litarischen Krise, der Offensive Mithradates' VI. in Kleinasien, die innenpoliti-sehe Situation drama tisch zu. Mithradates .herrschte zwar nur tiber den ver-gleichsweise unbedeutenden Kleinstaat Pontos an der anatolischen Schwarz-meerkiiste, wurde aber, die innere Zerrissenheit der romischen Aristokratie aus-nutzend, zu einer ernsthaften Bedrohung der ostlichen Provinzen Roms. DerVolkstribun Sulpicius Rufus, ein Parteiganger des Marius, beantragte ein Bun-del von Gesetzen, die allesamt den Zweck verfolgten, die Machtbalance zu denAnhangern der Popularcn zu verlagem'", Auf Initiative des amtierenden Kon-S A Vgl. Gabba, Esercito (wie Anm. 53), S. 54.59 Gaius Manus (ca. 157-86 v. Chr.), der aus dem italischen Ritterstand stammte. war der

    pragende Politiker Roms in den Krisenjahrenzwischen den Reformen der Gracchen (133,123 v.Chr.) und der Diktatur Sullas (82-79 v. Chr.), Konsul der Jahre 107,105-100 und 86,wehrte er die germanischen Kimbern und Teutonen ab (104--101 v. Chr.), reorganisiertedas romische Heer durch Aufnahme grundbesitzloser Lohnempfanger (proletarii) undsicdelte, gegen den Widerstand der Nobilitat, seine Veteranen auf Staatsland (ager pu-blicus) an. Marius war fuhrender Exponent der Popularen (i-Volkspartai). Vgl. RichardJ . Evans, Gaius Marius: A Political biography, Pretoria 1994.60 Vgl. Bleicken, Romische Republik (wie Anm. 52), S. 70 f.,1 Vgl. Elisabeth Erdmann, Die Rolle des Heeres in der Zeit von Marius bis Caesar. Mi-Iitarische und politische Probleme einer Berufsarmee, Neustadt an der Aiseh 1972, 5.104.Uberdies erleichterte eine erfolgreiche Veteranenansiedlung weitere Rekrutierungen underhohte das Prestige des Feldherrn.62 Sulpicius Rufus beantragte (1.) die Streichung von Senatoren, die mehr als 2000 DenareSchuld en hatten, von der Senatorenliste, (2.) den Riickruf der durch die lex Varia exi-lierten Personen, (3,) diegleichmafiige Verteilung der Neubi.irger und Freigelassenen aufaile Tribus und (4.) die Ubertragung des Oberbefehls gegen Mithradates von Sulla, demKonsul des [ahres 88, auf Marius. Das Paket zielte klar auf Sulla, dessen politischer Sterngerade im Steigen begriffen war. Vgl. Karl Christ, Krise und Untergang der romischenRepublik, 2. Aufl., Darmstadt 1984, 5.186-189.

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    Krieg im AItertum als soziales Handeln 317suls Sulla=' sistierten die Konsuln unter einem Vorwand durch Verhangung desiusiitium alle laufenden Staatsgeschafte, woraufhin Sulpicius Rufus - regelwidrig- dennoch die Volksversammlung einberief und Sulla im aufbrechenden Tumultzur Aufhebung des iuetiiium zwang. Wiihrend Sulla zu seinen bei Nola stehen-den und auf die Einschiffung nach Asien wartenden Truppen eilte, lieB SulpiciusRufus seine Antrage die Volksversamrniung passieren: Marius wurde per Plebiszitzum Oberbefehlshaber gegen Mithradates ernannt, Militartribunen nach Nola inMarsch gesetzt, welche das Heer ubernehmen und dem Marius zufuhren soll-ten. (Plutarch, Sulla 8).

    Sullas Reaktion traf seine Gegner vollig unvorbereitet und war nach romischenMaisstaben unerhort: Nicht nur widersetzte er sich dem Plebiszit, weigerte sich,das Kommando abzugeben und stachelte die Soidaten an, die Tribunen aus Romzu steinigen (Plutarch, Marius 35, 4), er brachte sein Heer- mi:iglicherweise durchgezieltes Streuen von Latrinengeruchten+ - auch soweit, daf es selbst den Marschauf Rom forderte. Ungeheuerlich war Sullas Vorgehen, weil er erstmals r6mischeBurger inden Krieg gegen romische Burger trieb, weil seiner Offensive die rituel-le Weihe des b ellu m iu s tu n t fehite und vor allem weil er mit der Uberschreitungdes Rubicon, des Grenzflusses zwischen der Provinz Gallia Cisalpina und dem deiure entmilitarisierten Italien, und der miiitarischen Einnahme Roms ein weiteressakralrechtliches Verbot verietzte.Nicht nur physisch hatte Sulla den Rubicon uberschritten. Deutlicher als alleseine Vorganger demonstrierte der nachmalige Diktator, der zumindest nach aufsenantrat, die re s publ ica vor ihren Feinden zu retten=, daf er als Feldherr wie politi-scher Fuhrer seine Legitimitat nicht mehr aus der gesatzten (und religii:is veran-kerten) Ordnung bezog, sondern aus dem Charisma des Truppenfuhrers und der- emotionalen wie materiellen - Bindung der Soldaten an seine Person. Mit ande-ren Worten: Das Klientelverhaltnis zwischen Imperator und mili tes iiberlagerte impolitis chen Raum der spaten Republik allmahlich, seit Sulla eruptiv, die iibrigenNah- und Treueverhaltnisse ebenso wie die durch Recht undMagistraturen abge-steckte legale Ordnung. Die Protagonisten des Ersten Trium'virats (60 v. Chr.) undder nachfolgenden Auseinandersetzungen (49-45 v. Chr.), Pompeius und Caesar,darin Sullas Meisterschuler, ubertrafen ihr Vorbildnoch und perfektionierten dieemotionale Anbindung der Soidaten bis hin zu quasi-religioser Selbststilisierung'".

    63 Lucius Cornelius Sulla (138-78 v. Chr.) kampfte unter Marius im [ugurthinischen Krieg(105 v. Chr.) und gegen die Kimbern und Teutonen (104-101 v. Chr.). Als Konsul undOberbefehlshaher gegen Mithradates (88 v. Chr.) wurde er zum fuhrenden Kopf der Op-timaten (Senatspartei). Gegen die Mariusanhiinger fiihrte er zweimal Truppen gegenRom (1. und 2. Marsch auf Rom, 88, B2v. Chr.), Als Diktator initiierte er eine restau-rative Verfassungsreform mit dem Ziel, die Republik zu stabilisieren, Vgl. Wolfram Letz-ner, Lucius Cornelius Sulla. Versuch einer Biographie, Munster 2000.Ii4 Die SoIdaten furchteten, daf Marius mit anderen Truppen inden Gewinn verheifsendenKrieg gegen Mithradates ziehen konnte. Vgl. Erdmann, Rolle des Heeres (wie Anm. 61),S. 87. Vgl. auchAppian, bellum civile 57,250-252.65 Also die formal korrekte Kriegser kliirung nach dem i u s f et ia l e und das Vorliegen einer iusta

    c au sa b elli. Vgl. zum bellum iustumMichaela Kostial, Kriegerisches Rom? Zur Frage vonUnvermeidbarkeit und Norrnalitat militarischer Konflikte inder romischen Politik, Stutt-gart 1995, S. 54.66 Zu den Motiven Sullas vgl. Bleicken, Romische Republik (wie Anm. 52), S. 216-219.67 So schon mit Recht Michael Rostovtzeff, Geschichte der Alten Welt, Be l 2, Leipzig 1942,S.208.

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    318 MGZ 59 (2000) Michael SommerDie elementare Bedeutung des personlichen Treueverhaltnisses zwischen Feld-herr und Truppe stellten abermals die auf die Iden des Marz, Caesars Ermordung

    (15. Marz 44 v. Chr.), folgenden Ereignisse unter Beweis - nun inallen Spielartenund mit fur die Republik verheerender Wirkung. Der schwergewichtigste und hei-kelste Tell aus Caesars gewaltiger Erbmasse waren jene aktiven Heeresverbande undVeteranen, seine commil i tones, die mit dem Diktator durch dick und dunn gegan-gen waren und sich davon die tiblichen materiellen Vorteile der Veteranenversor-gung versprachen. Caesars Heeresklientel, unversehens ihres Patrons beraubt unddamit kopf- und fuhrerlos geworden, war gleichwohl der wichtigste Machtfaktorim wechselvollen Chaos, das zum Prinzipat Octavians, des nachmaligen Augu-stus, uberleitete'".

    Die politischen Akteure - neben Marcus Antonius, dem profiliertesten Generalunter Caesar, und Octavian, Caesars GroBneffen, Adoptivsohn und testarnentari-schem Erben, wesentlich auch die Vertreter des Senats und die Caesarmorder -standen praktisch von der Stunde an, als Caesar in der Kurie verblutete, im fort-wahrenden Wettbewerb urn die Gunst der Legionen. Noch am 15.Marz organi-sierten Lepidus, ein weiterer General des toten Diktators, und Antonius Soldatenund Veteranen Caesars (Appian, bellum civile 2, 118) und schufen so ein Fait ac-compli: Bine Politik gegen sie war inRom vorerst nicht moglich, die Caesarmor-der waren von Beginn an praktisch isoliert. So war es dem amtierenden KonsulAntonius ein leichtes, die in der Senatssitzung vom 17. Marz beantragte Annul-lierung von Caesars Mafinahmen zu vereiteln (ebd., 129). Die fur sie ungiinstige po-litische Grundstimmung in der Hauptstadt zwang die Attentaternoch am selbenTag in ein Arrangement mit den Caesarianern (u.a. ebd., 142). Antoniusals unbe-strittener Kopf der Caesarpartei konnte in diesem Stadium der Entwicklung prak-tisch frei schalten und walten": Wer, wenn nicht der Konsul, der dem Diktator dieTotenrede hielt und dessen hinterlassene - in Wahrheit von Antonius gefalschten- a cta C ae sa ris, ein Gesetzespaket mit Verfugungen uber die Veteranenansiedlung,durch den Senat peitschte, sollte die Interessen der Soldaten imSinne Caesars wir-kungsvoll vertreten? Wer konnte bei der Truppe auf ein vergleichbares Prestigebauen?

    Die fur Antonius so au.Berordentlich komfortable Lage anderte mit einem Schlagdas unvermittelte Auftreten des damals gerade 18jahrigen Octavian, der urn den26./27. Marz'" in Brundisium eintraf. Ungeachtet seiner Jugend liefen dem unver-zuglich nordwarts vorruckenden Caesarerben die entlang der Via Appia angesie-delten Veteranen des Diktators in Scharen zu (Appian, bellum civile 3 , 1 1 f.). DasCharisma von Caesars Sohn kam dem von Caesars Gefahrten und bewahrtem Ge-neral, Antonius, bei den Soldaten zumindest gleich. Seine Rechnung, die Karte deremotionalen Bindung der Soldaten an Caesars Namen zu spiel en, ging auf".

    68 Die folgenden Ausfiihrungen basieren zum wesentlichen auf: Cotter, Diktator (wieAnm. 57).Darin auch der Hergang der Ereignisse in Einzelheiten.69 Vgl. ebd., S. 63.70 Vgl. ebd., 5.59.71 Appian, bellum civile 3,11: Die dortigen Truppen kamen ihm entgegen und entbotenihmals dem Sohne Caesars freundlichen Willkomm; dadurch ermutigt, brachte er einOpfer dar und nahm sogleich den Nahmen Caesar an; es ist namlich romische Sitte, dafsdie adoptierten Sohne sich den Namen ihrer Adoptivvii.ter beilegen. Octavius aber leg-te sich nieht allein diesen Namen zu, sondern ii.nderte auch vollig seinen eigenen und

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    Krieg linAltertum als soziales Handeln 319Oetavian konnte sieh als glaubwurdiger Richer seines Adoptivvaters stilisieren.Antonius geriet damit in Zugzwang: Er war genotigt, sein bisheriges Lavieren zwi-schen radikalen Caesarianern und Caesarmordern aufzugeben und Farbe zu be-kennen. Wollte er die Heeresklientel des Ermordeten nieht kampflos Octavian uber-lassen, mufSte er, dessen Untatigkeit die Soldaten beklagten (ebd., 12), sieh dieRache-Parole seinerseits auf die Fahnen schreiben. Urn verlorenes Terrain zuruck-zugewinnen, lief er - regelwidrig ohne Promulgation (vorherige offentliche Be-kanntmaehung) und gegen die Auspizien'? - ein eigenes Gesetz zur Veteranenan-siedlung (le x A nto nia C orn elia d e c olo niis a gr os d ed uc en dis ) von der Volksversamm-lung beschliefsen, urn sich so als eigentlieher Anwalt der Veteranen zu profilieren(Cicero, Philippicae 5,9 , ) 7 3 . Antonius dirigierte selbst die Ansiedlung der Vetera-nen in Campanien und bereiste, Oetavian auf dem Fufse folgend, die Region, umm6gliehst viele Kolonien Caesars auf seine Seite zu ziehen. Er umgab sieh mit ei-ner Leibwache aus evocat i (wiedereinberufenen Veteranen), um in Rom Starke zudemonstrieren (Appian, bellum civile 3, 5).Der Anfangserfolg des jungen, aber ungeheuer geschickt agierenden Octavianoffenbart, wie es um das Verhaltnis zwischen Militar und Politik in den spaten Jah-ren der Republik stand: Ganz unten auf der Skala wirksamer Legitimitiitsgriindedes Feldherrn rangierte die Bekleidung einer Magistratur. Antonius bemuhte sichgar nicht erst, die aucioriias des Konsuls herauszukehren, urn Boden in den cam-panischen coloniae gutzumaehen. Ganz pragmatisch warb er durch ein spontan inSzene gesetztes Leistungspaket zur Veteranenversorgung urn die Gunst von Caesarseinstiger Heeresk1ientel. Als noeh erfolgreicher indes erwies sieh die Rezeptur, nachder Octavian um die Sympathie der Soldaten buhlte: AIs Sohn ihres Patrons undgleiehsam neuer Caesar, der aIle Rachegeluste glaubhaft verk6rperte, wurde erauch emotional zum Erben des Diktators und fur die Soldaten zur Projektions-flache ihrer Hoffnungen und Erwartungen.Die ernotionale Bindung der Soldaten an Caesars Adoptivsohn, die weit tiberdessen unmittelbaren Anhang hinausreichte, geh6rte fraglos zu den Schhisselele-menten, die der Krise bis zur Konstituierung des Zweiten Triumvirats (43 v. Chr.),dem neben Octavian und Antonius als dritter und weitgehend ohnmiiehtiger Part-ner Lepidusangeh6rte, ihr Geprage gaben. Sie beraubte zunachst Antonius einesGutteils seines politisehen Handlungsspielraums: Ende [uli 44 mulste er lin Streitum das Erbe Caesars einlenken und den definitiven Bruch mit den Caesarm6rdernvollziehen. Andernfalls drohte er jeden Kredit bei seinen Soldaten zu verspie-

    seinen Vatersnamen, indem er sieh als Caesar, Caesars Sohn, an Stelle von Octavius, Sohndes Octavius, bezeichnete; und so hielt er es weiterhin. Alsbald stromten bei ihm als demSohne Caesars in dichten Scharen und von allen Seitenher Manner zusammen, teils ausFreundschaft fur Caesar, teils Freigelassene und Sklaven von ihm und mit ihnen zu-sammen andere Soldaten, die entweder Versorgungsgiiter und Geld zur Armee in Ma-kedonien odcr andere Gelder und Tribute von sonstigen Provinzen nach Brundisium be-fordern sollten.

    72 Vgl. Gotter, Diktator (wie Anm. 57), S. 63.73 Cicero, Philippicae (Reden gegen Marcus Antonius) 5,10: quibus d e c au sis ca s leg es qu asM. A nto niu s iu lisse d ic itu r a mn es c en seo p er vim et c on tra a usp ic ia la ta s isqu e leg ib us p op ulu mn on te ne ri (Deshalb glaube ich, dals die Gesetze, die, wie man sagt, M. Antonius erlas-

    sen hat, ausnahmslos gegen die Auspizien erlassen sind und durch diese Gesetze das. Yolk nicht gebunden ist.),

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    320 MGZ 59 (2000) Michael Sommerlen'", DaB freilich auch Antonius mit Erfolg das Prestige eines Generals des groBenCaesar in die Waagschale werfen konnte, bewies der gescheiterte Versuch Octavi-ans im November 44, aus der fur die Soldaten in Szene gesetzten Allianz auszu-scheren: Sobald Octavian gegen Antonius auf Eskalation drangte, Iiefen ihm sei-nerseits die Soldaten davon". Die Truppe riickte nicht von ihrer Forderung nachEinheit der caesarianischen Fuhrer ab - mochte diese auch langst Makulatur sein.In den folgenden, von einzelnen Friedensperioden unterbrochenen Auseinan-dersetzungen zwischen Antonius und Octavian kamen immer wieder dieselbenGrundmuster der Kriegspolitik zur Geltung: Erfolg eines Protagonisten be-maf sich wesentlich indessen Fahigkeit, Truppen, moglichst die besonders schlag-kraftigen Veteranenverbande, dauerhaft an seine Person binden zu konnen, So warder eingeschlagene politisch-ideologische Kurs nie Selbstzweck. Allianzen wur-den geschmiedet und gebrochen, Treuebekundungen abgegeben und widerrufen,politische Programme inszeniert und bekampft, UrnCaesars HeeresklienteI gIaub-haft den Eindruck zu verrnitteln, ihre materiellen Interessen und emotionalen Er-wartungen seien bei den jeweiligen Fiihrern am besten aufgehoben. Die Aktionendes Antonius, Octavians, ja selbst der Caesarmorder und der Senatspartei urn Ci-cero, bewegten sich durchweg in dieser Norm. Dafs Octavian schliefslich nach derSchlacht vonActium (31 v. Chr.) als Sieger aus dem Ring stieg, lag an seiner uber-legenen propagandistischen Inszenierung, mit der er die eigenen Leistungen her-ausstellte und zugleich den in Agypten residierenden Marcus Antonius als orien-talischen Despoten diffamierte, ebenso wie an dem Prestige, das er sich als erfolg-reicher und glaubwurdiger Fursorger der Veteranen erwarb.Der Prinzipat, gleichsam als Militarmonarchie aus der Burgerkriegsara her-ausgewachsen, wandelte sichunter Octavians Fiihrung, der energisch den Kon-sens mit neuen und alten Eliten suchte und fand, unter formaler Beibehaltung desrepublikanischen Rahmens, schrittweise in eine legitime Ordnung, so dag er selbstin seinen re s ge stae (Tatenbericht) verkimden konnte: rem p ubIiea m a d om ina tio ne fac-iio nis o pp re ssa m in lib er ta te m v in dic av i (xich gab dem Staatswesen, das dUTChdie Ce-waltherrschaft einer politischen Machtgruppe unterdriickt wurde, die Freiheit wie-der. (Monumentum Ancyranum I, Ubers. Giebel). Gleichwohl blieb die Drohungder Remilitarisierung latent stets im Raum stehen. Die Nachfolgekrisen der Jahre68/69 und 193, die das Imperium jeweils an den Rand des Zusammenbruchsmanovrierten, sowie schlieBlich die Dauerkrise des Prinzipats in der Soldatenkai-serzeit (ab 235) machten das unmitsverstandlich deutlich.74 Appian, bellum civile 3, 29: Daraufhin erschollen nun aus allen Kehlen immer wiederoffen Aufschreie gegen Antonius. Als de! sich Octaviangegeniibcr zu noch harterenDrohungen hinreil5en liel5 und die Kunde davon in die Offentlichkeit drang, steigertesich noch die allgemeine Erbitterung gegen ihn, und die Tribunen der Leibgarde des An-tonius, die unter dem alteren Caesar gedient ha tten und damals die besondere Gunst ih-res Herrn genossen, drangen darauf, dafs Antonius seine Angriffe einscelle: sie taten diesum ihrer selbst und urn Antonius' willen, da er doch Caesars Fe1dziige mitgemacht undaus seinen Handen die augenblickliche, so gliinzende 5tellung empfangen habe.75 Appian, bellum civile 3, 42: [Die Soldaten] waren [...] uber die feindseligen Erkliirungen

    [Octavians, d. V . I gegen Antonius, wen einstigen General und derzeitigen Konsul, ernport.und so forderten die einen, nach Hause entlassen zu werden, urn sich auszurusten [...J ,wahrend die anderen den wahren Grund sogar etwas herausliefsen. Den Ausschlag durf-te weniger gegeben haben, dafs Antonius amtierender Konsul war, sondern vielrnehr dieTatsache, daf die Soldaten die Einheit der caesarianischen Partei bedroht sahen. Mit ganziihnlichen Problemen hatte deshalb auch Antonius zu kampfcn, dem ebenfalls die 501-daten davonliefen. Vgl. Appian, bellum civile 3, 44; Cassius Dio 45,12,2.

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    Krieg illAltertum als soziales Handeln 321Fazit

    Krieg im Altertum war in aller Regel nicht Fortsetzung der Politik mit anderen Mit-teln, jedenfalls dann nicht, wenn man fiir -Politil den MaBstab Clausewitz' an-legt und das Politische als autonomes Teilsystem einer komplexen Gesellschaft be-greift. Was der Anthropologe Karl Polanyi mit viel Plausibilitat fur die Wirtschaftvormoderner Gesellschaften postuliert hat - Einbettung-." der Okonomie in do-minante soziale Strukturmuster - gilt mutatis mutandis auch fiir Krieg. Krieg-fiihrung gehorchte allenthalben Imperativen, die aufierhalb strikter politischer undmilitarischer Ratio verankert lagen.Ihren spezifisehen Imperativ bezogen die Assyrer aus einer aggressiv-expan-sionistischen Kriegstheologie, deren Grundlagen und Drspriinge zwar historisch-rational herzuleiten sind, sieh den Akteuren aber versehlossen. Wiewoh