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Suhrkamp Verlag Leseprobe Staab, Philipp Digitaler Kapitalismus Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit © Suhrkamp Verlag edition suhrkamp 978-3-518-07515-9

Sonderdruck · Ökonomie des Postfordismus in seinem Begriff aufge-hobenwerdenkönnen.LeanProduction,Globalisierung ... zerne des kommerziellen Internets chinesischer Prägung, Baidu,AlibabaundTencent(BAT)–habensichnationale

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Suhrkamp VerlagLeseprobe

Staab, PhilippDigitaler Kapitalismus

Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit

© Suhrkamp Verlagedition suhrkamp

978-3-518-07515-9

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Sonderdruckedition suhrkamp

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Philipp Staab

Digitaler KapitalismusMarkt und Herrschaft

in der Ökonomie der Unknappheit

Suhrkamp

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Erste Auflage edition suhrkamp

SonderdruckOriginalausgabe

© Suhrkamp Verlag Berlin Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,WaldbüttelbrunnDruck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Umschlag gestaltet nach einem Konzeptvon Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

Printed in GermanyISBN ----

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Inhalt

. Einleitung: Nach dem Neoliberalismus

Schumpeter im Internet – Märkte in Privatbesitz

. Die Wurzeln des digitalen Kapitalismus

Innovation gesucht – Das ordnungspolitischeElement des investiven Staates

Ökonomische Makrotrends und der investive Staat

. Finanzkapitalismus online

Ökonomien der Unknappheit und die Propheten desPostkapitalismus – Finanzialisierung undDigitalisierung: Aus demselben Holz geschnitzt

Das Erbe der Krise und die Krise als Erbe –

Finanzkapitalismus online

. Ein System proprietärer Märkte

Politische Ökonomie der Digitalisierung – DieVermachtung des Internets

Warum proprietäre Märkte? – Proprietäre Märkteverstehen

. Arbeit im digitalen Kapitalismus

Informations- und Leistungskontrolle – einseitigeTransparenz – Zugangs- und Preiskontrolle –einseitige Rechte

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. Privatisierter Merkantilismus, Ungleichheit undKonflikt

Privatisierter Merkantilismus – Digitale Quellensozialer Ungleichheit

Der blockierte soziale Konflikt

. Schluss: Kann es einen digitalen Kapitalismuseuropäischer Prägung geben?

Die rauchenden Ruinen des Neoliberalismus –

Lebenschancen als Services

Der digitale Kapitalismus chinesischer Prägung –

Eine digitale Gesellschaft der Anrechte

Literaturverzeichnis

Anhang

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»Wir schmieden dauernd zu viele Pläneund denken dauernd zu wenig nach.«

Schumpeter []

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. Einleitung:Nach dem Neoliberalismus

Manche Büchermüssenmehr als einmal geschriebenwer-den. Als ich vor Jahren begann, mich mit dem digitalenKapitalismus als bedeutendemKonzept zumVerständnisunserer Gegenwart zu beschäftigen, war mir schnell klar,dass dessen Kern in Prozessen der Konzentration ökono-mischer Macht zu suchen sein würde.Wer in etwa meinAlter hat und um das Jahr begann, sich intensivermit der Entwicklung des kommerziellen Internets zu be-fassen, für den erschienen Debatten der neunziger undfrühen nuller Jahre, in denen über die Dezentralität undHerrschaftsfreiheit des Internets diskutiert worden war,wie aus der Welt gefallen. Man brauchte nur sein Smart-phone in die Hand zu nehmen, um zu merken, dass dasInternet nicht nur durch und durch kommerzialisiertwar, sondern auch von einer sehr kleinen Zahl sehr gro-ßer Unternehmen dominiert wurde.Etwa zu dem Zeitpunkt, als ich über den digitalen Ka-

pitalismus zu schreiben begann, veröffentlichte der ame-rikanische Wirtschafts- und Technikhistoriker Dan Schil-ler sein zweites großes Buch zu diesem Thema ().Schiller hatte den Begriff des digitalen Kapitalismus imJahr als Erster ins Feld geführt, um Entwicklungeninnerhalb der globalen politischenÖkonomie auf den Be-griff zu bringen. Für ihn bildet die Diffusion digitalerTechnologien in allen Teilen der Wirtschaft einen Meta-

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trend, der ab den sechziger Jahren mit der Restrukturie-rung des Kapitalismus nach dessen fordistischer Expan-sionsphase zusammenfällt. Der digitale Kapitalismus, soSchiller, sei in Bezug auf dieGrößenordnung derDiagno-se und deren empirische Relevanz vergleichbar mit demindustriellen Kapitalismus, dessen Expansionsphase vomspäten . Jahrhundert bis in die sechziger Jahre gereichthabe (: ). Danach seien die Basistechnologien allerbedeutenden Innovationen digitaler Natur gewesen. Nichtmehr die mechanischen Muskeln der industriellen Pro-duktion, sondern die digitalen Netze der Informations-undKommunikationstechnologien seien ins Zentrumka-pitalistischer Reorganisation gerückt.In seinem ersten Buch aus dem Jahr befasste sich

Schiller vor allem mit der globalen Expansion des Infor-mations- und Kommunikationstechnologie-Sektors. SeinZiel war es nachzuweisen, dass dieser ab den sechzigerJahren das entscheidende Vehikel für die Verteidigungund den Ausbau US-amerikanischer Hegemonie gewesenist. Durch das Setzen technischer Standards, die Errich-tung der entscheidenden Infrastrukturen und die folgen-de Expansion der US-amerikanischen Kulturindustriehätten die USA ihre während des Kalten Kriegs systema-tisch bedrohte Vormachtstellung innerhalb ihrer geopo-litischen Einflusssphäre gesichert. Die Leitunternehmendieser langen Epoche waren zunächst Telekommunika-tionsunternehmen wie AT&T, die Filmindustrie und inden neunziger Jahren dann das Duo aus Microsoft undIntel (»Wintel«, das Kofferwort steht für mit Windowsbetriebene Personal Computer mit Intel-Prozessoren).

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Die argumentative Grundfigur Schillers lautet, dass die-seUnternehmen in zweifacherHinsicht die weltweiteHe-gemonie der USA gestützt hätten: Erstens belegten ihreErfolge, dass amerikanische Unternehmen die entschei-denden Wachstumsmärkte des Postfordismus dominier-ten, was – ohne dass Schiller dies für näher begründungs-bedürftig hält – der geopolitischen Vormachtstellung derUSA zugearbeitet habe. Zweitens – hier ist Schiller ganzSohn seines Vaters, des legendären Medienkritikers Her-bert Schiller, der in den Medien das zentrale Instrumentder Legitimierung des militärisch-industriellen Komple-xes seiner Zeit sah (Schiller ; ) – hätten Informa-tions- und Kommunikationstechnologien (IKT) dieWeltmit amerikanischen Medienproduktionen überschwemmt,damit die US-Lebensweise globalisiert und im Bereichder Kulturindustrie deren Hegemonie festgeschrieben.In seinem zweiten Buch zum digitalen Kapitalismus ar-

gumentiert Schiller dann noch wesentlich breiter: Nunmöchte er zeigen, dass andere Diagnosen zur politischenÖkonomie des Postfordismus in seinem Begriff aufge-hoben werden können. Lean Production, Globalisierungoder derAufstieg des Finanzmarktes – alles basiere auf di-gitalen Technologien, weshalb der Kapitalismus auch jen-seits der IKT-Branchen immer digitaler geworden sei(: ). Es ist die Diffusion bestimmter Technologienin alle Arbeits- und Lebensbereiche, die den Kapitalismusin diesem Bild digital macht.

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Tautologische Metapher oderanalytische Kategorie?

Für Leser von Schiller wird dabei allerdings immer schwie-riger zu erkennen, was eigentlich den Kern dieser ver-meintlich neuen Form des Kapitalismus ausmacht: Wel-chen analytischen Wert für eine Theorie der politischenÖkonomie und Gesellschaft hat beispielsweise der Um-stand, dass heutzutage Chips in Autos stecken, ebensowie in den Maschinen, die die Autos bauen, dass am Fi-nanzmarkt Algorithmen große Bedeutung haben, ebensowie in Computerspielen, dass immer mehr Menschen anComputern arbeitenundWaschmaschinen sich neuerdingsmit dem Internet verbinden können? Als Historiker istfür Schiller diese Frage vielleicht nicht entscheidend. Erfolgt einfach den Linien, die ihn aus demTelekommunika-tionsbereich im Lauf der Zeit in beinahe alle TeilbereichevonWirtschaft undGesellschaft geführt haben.Analytischmanövriert sich Schiller mit dieser Prozessorientierungnicht nur in eine »nominalistische Sackgasse«, wodurchdie Verbindung der von ihm beschriebenen Ereignissezu einer strukturellen Veränderung des Kapitalismus un-klar bleibt (Pace : ). Der analytische Gehalt vonSchillers Konzept erscheint am Ende auch tautologisch:Das Digitale am digitalen Kapitalismus ist die digitaleTechnologie.1

Ähnlich verhält es sich Jonathan Pace zufolge mit dem Begriff des»informational capitalism«, wie er prominent etwa von ChristianFuchs () vertreten wird. Auch hier werde mit der neuen Rolleder Information für den Kapitalismus nur gezeigt, dass sich an des-

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Als Soziologe war dies für mich unbefriedigend. An ei-ner Theorie der Gesellschaft interessiert, stellt die Ver-breitung digitaler Technologien in den meisten Arbeits-und Lebensbereichen für mich keinen relevanten Faktordar, solange damit keine Hypothese darüber verbundenist, welche Logik der Ordnung von Wirtschaft und wel-che Effekte für Gesellschaft damit impliziert sind. Michinteressiert kein metaphorischer Begriff des digitalen Ka-pitalismus, wie er seit Beginn meiner Arbeit zum The-ma auch in Deutschland immer populärer geworden ist.»Computer sind überall«,2 ist keine analytische Aussage,die zur Bestimmung einer spezifischen Form des Wirt-schaftens führt – auch wenn es natürlich stimmt.Schillers Diagnose einer historischen Entwicklung, in

deren Verlauf eine zunächst recht konzentrierte Keimzel-le aus technologisch ambitionierten Unternehmen im Te-lekommunikationsbereich systematisch wächst und ex-pandiert, während später die digitalen Technologien zurbasalen Infrastruktur hoch entwickelter Volkswirtschaf-ten werden, ist schwer zu widersprechen. Sie zu widerle-gen, ist auch gar nicht mein Ziel. Eher scheint es mir so,

sen Grundstruktur nichts verändere: »Fuchs landet in derselben lo-gischen Sackgasse wie Schiller, wenn auch auf anderemWeg.WennInformationstechnologie die Produktivkräfte nicht verändert hat,wozu brauchtman dannüberhaupt das strukturelle Konzept des in-formationellen Kapitalismus?Warum nicht einfach über informati-sierte Produktion, informatisierteGüter und informatisierteArbeitsprechen?« (Pace : )

So, leicht verkürzt der erste Teil von Robert Solows () berühm-tem Zitat zum Produktivitätsparadox der Computerisierung.Voll-ständig lautet der Satz: »You can see the computer age everywherebut in the productivity statistics.«

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dass wir uns seit einigen Jahren in einer Entwicklungs-phase befinden, in der nach der Diffusion digitaler Tech-nologien in alle Lebensbereiche eine neue Konzentrationökonomischer Macht zu beobachten ist. Das Gravita-tionszentrum dieser Veränderungen ist dabei nicht so dif-fus, wie man meinen könnte, wenn man sich vor allemdarauf kapriziert, dass Computer heute eben allgegen-wärtig sind. Es liegt im kommerziellen Internet, dessenLeitunternehmen zu den entscheidenden Schnittstellenfür immer mehr ökonomische Prozesse geworden sindund ohne das die omnipräsenten Computer nur einfacheRechenmaschinen wären.Will man diese Konzentrations-bewegung in ihrer Entstehung, Reproduktion und in ih-ren Effekten soziologisch verstehen, muss man fragen,was ihren eigentlichen Kern ausmacht. Stellt man die Fra-ge in dieser Form, opfert man die deskriptive Breite undPräzision der Geschichtswissenschaft der analytischenSchärfe einer theoretisch ambitionierten Soziologie. Manist dann auf der Suche nach einem analytischen Begriffdes digitalen Kapitalismus.In diesem Sinn versuche ich hier einerseits, Schillers

Buch ein drittes Mal zu schreiben, da empirische Verän-derungen im Gegenstandsbereich dies nötig machen undda auch ich an einer umfassenden Diagnose zur Digi-talisierung der Ökonomie interessiert bin. Andererseitsschreibe ich auch ein vollkommen neues Buch, da dieZielrichtung meiner Arbeit sich nicht wie bei Schiller aufdie empirische Breite des Phänomens, sondern auf dessenanalytischen Kern richtet.Worin besteht nun dieser Kern und was unterscheidet

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die Gegenwart von der Situation, die Dan Schiller beimVerfassen seiner beiden Bücher vor Augen hatte?

Keine Einheit von Staat und Kapital

Zentrale Basisannahmen Schillers, die vor nicht allzu lan-ger Zeit noch plausibel gewesen seinmögen, sind ausmei-ner Sicht in jüngerer Vergangenheit fragwürdig gewor-den. Die wirtschaftliche Hegemonie der USA ist seitgeraumer Zeit – selbst in ihren ehemaligen Einflusssphä-ren – keineswegs mehr unangefochten. Insbesondere derAufstieg Chinas wird landläufig als zentraler Faktor fürden relativen Machtverlust der USA angeführt. Dies giltinsbesondere für den IKT-Sektor und das kommerzielleInternet, also die Leitsektoren der Digitalisierung. So do-minieren auf demGebiet derHardware-Produktion chine-sischeUnternehmennicht nur den eigenen Binnenmarktsowie zunehmend die Märkte wichtiger Schwellenländersowohl auf der Ebene konsumentenorientierter Unter-haltungselektronik als auch im Bereich der digitalen In-frastrukturen (Glasfaserkabel, Funknetze etc.) (vgl. Srivas-tava ; Kharpal ; Iyengar ; Chen, L. b).Auch die Hardware namhafter amerikanischer Herstellerwird heute zum allergrößten Teil von Kontraktfirmen inChina (die berühmteste ist wohl der taiwanesische Kon-zern Foxconn) hergestellt (vgl. Duhigg/Bradsher ;Barboza ) –was freilich nicht heißt, dass der Löwen-anteil der Wertschöpfungsdividenden in China verbliebe.Hinzu kommt, dass den großen amerikanischen Internet-

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unternehmen der chinesische Markt praktisch verschlos-sen ist. Durch eine Mischung aus wirtschaftlichem Pro-tektionismus und gezielter staatlicher Förderung digitalerSchlüsselunternehmen – insbesondere der drei Leitkon-zerne des kommerziellen Internets chinesischer Prägung,Baidu, Alibaba und Tencent (BAT) – haben sich nationaleKonglomerate gebildet, die es mittlerweile auch auf dievorderenRänge derRankings der wertvollstenUnterneh-men der Welt schaffen. So ist beispielsweise Tencent alserstes chinesisches Internetunternehmen in den erlauch-ten Club der Konzerne mit einer Marktbewertung vonüber Milliarden US-Dollar aufgestiegen (Staab/Bu-tollo ; Perez ).Der investive Staat, der diesen Aufstieg möglich mach-

te, hat zugleich durch diverse quasiprotektionistischeMaß-nahmen denHandlungsspielraumwestlicher Internetkon-zerne inChina deutlich eingeschränkt: Google verließ denchinesischen Markt im Jahr , vorgeblich wegen Zen-survorgaben, die das Unternehmen nicht mehr zu erfül-len bereit war – und hadert seither mit einer möglichenRückkehr sowie der Frage, wie die dafür notwendigenZugeständnisse mit dem Selbstverständnis vieler Google-Mitarbeiter in Einklang zu bringen wären. Facebookwurde im Anschluss an Unruhen in der ProvinzXinjiang mit der Begründung gesperrt, es habe den dortprotestierenden Uiguren als Infrastruktur für deren Kom-munikation gedient3 – ein Vorwurf, der sich heute fastüberall zu wiederholen scheint, wo unerwünschter Pro-

Die Proteste hatten sich an einem Konflikt in einer Fabrik entzün-det, bei dem zwei Uiguren gestorben waren.

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test stattfindet oder tatsächlich Lynchmobs Selbstjustizüben (Leisegang ). Apple und Amazon wiederumsind inChina vertreten, dasmit seinen ,Milliarden Ein-wohnern den größten Binnenmarkt der Welt bildet, aller-dings ist ihr Marktanteil geradezu marginal im Vergleichzu ihrer Position in anderenWeltregionen.WährendApp-les Iphone Ende weltweit einen Anteil von , Pro-zent am Smartphone-Markt hatte, lag er in China geradeeinmal bei der Hälfte (IDC a, b). Zudem mussApple die Daten seiner chinesischen Nutzer in lokalenDatenzentren speichern, wo sie tendenziell dem Zugriffdes chinesischen Staates zugänglich sind (Mozur/Waka-bayashi/Wingfield ; Pham ). Amazon ist nochweiter abgeschlagen: Während Alibaba (, Prozent)und JD.com (, Prozent) Prozent des E-Commer-ce-Markts unter sich aufteilen, hatte Amazon einengeradezu lächerlich kleinen Marktanteil von , Prozent(Brandt ). Im Zuge ihrer Expansionsbestrebungensind die chinesischen Internetkonzerne zudem auch in-ternational vielerorts zu direkten Konkurrenten der west-lichen Technologieunternehmen geworden. In Indien lie-fern sichAmazonundAlibaba beispielsweise seit geraumerZeit einen erbitterten Preiskampf um den E-Commerce-Markt. In Brasilien stehen sich die Ride-Hailing-Plattfor-men4 Uber und Didi Chuxing indirekt5 gegenüber – und

Als »Ride-Hailing« bezeichnet man die Vermittlung von Personen-beförderungsdiensten durch digitale Plattformen – also per Appvermittelte Fahrten jenseits der institutionellen Regularien des offi-ziellen Taximarkts.

Didi hält große Anteile an der im Land führenden Plattform .

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dies, obwohl Uber nach jahrelangem Preiskampf und an-schließender Einigung direkt an Didi beteiligt ist.6

Analytisch wichtiger in Bezug auf Fragen einer US-amerikanischen Hegemonie, wie Schiller sie postuliert,ist es freilich zu verstehen, welche strukturierten Interes-sen hinter demAufstieg regionaler Leitunternehmen undSchlüsselindustrien stehen. Schillers These von der Absi-cherung wirtschaftlicher und kultureller Hegemonie imdigitalen Kapitalismus impliziert eine gewisse Einheitvon Staat und Wirtschaft auf den betreffenden Feldern:Nur wenn Leitunternehmen den Interessen eines spezifi-schen Staates zuarbeiten (und umgekehrt), kann dies des-sen hegemoniale Stellung befördern. Was für die Ge-schichte des IKT-Sektors wahr ist – ich werde inKapitel ausführlich darauf zu sprechen kommen –, stimmt so fürdie Gegenwart nicht mehr ohne Weiteres. Der investiveStaat ist heute in den etablierten Feldern der digitalenÖkonomie – insbesondere im kommerziellen Internet –längst nicht mehr die entscheidende Kapitalquelle. Dasprivate Risikokapital, das das Wachstum und die globa-le Expansion der Internetkonzerne stützt, ist wiederumeine politisch nur sehr schwer und indirekt steuerbareRessource.Während etwa Staatsfonds Kredite für Schlüs-selindustrien oderKapital für Forschungmit strategischempolitischem Interesse vergeben können, ist Risikokapitalnur in sehr geringemAusmaß politisch kontrollierbar. Soüberrascht es nicht, dass praktisch alle führenden chine-sischen Digitalunternehmen zu großen Teilen im Besitz

Uber überschrieb Didi das Geschäft in China und erhielt dafür An-teile am chinesischen Unternehmen.

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ausländischer Kapitaleigner sind7 (Jia ) und dass dasVolumen US-amerikanischen Risikokapitals, das in chine-sische Unternehmen investiert wird, kontinuierlich steigt.8

Zeitgleich untersagt die Regierung in Washington imNamen der nationalen Sicherheit bestimmte Investitio-nen und Akquisitionen chinesischer Unternehmen in denUSA.9 Mit anderenWorten: Es gibt keine alles umfassen-de Einheit von Staat und Kapital, keinen »Stamokap .«(Lovink ),10 die es Ersterem ermöglichte, seine natio-

Alibaba beispielsweise befindet sich zu rund Prozent im Besitzdes japanischenUnternehmens Softbank,mit dem ichmichweiterunten ausführlich befassen werde.Weitere Prozent hält Yahoo.Die amerikanische Bank JP Morgan Chase hält rund sechs Pro-zent der Anteile von Tencent, weitere Prozent hält der südafri-kanischenMedienkonzernNaspers. Die wichtigsten chinesischenInternetunternehmen sind zudem fast alle im amerikanischenNasdaq gelistet, ihre Börsengänge wurden allesamt von westli-chen Banken betreut (Jia ).

So erreichten die Investitionen in chinesische Unternehmen, andenen mindestens ein US-amerikanischer Investor beteiligt war,mit ,Milliarden US-Dollar ein Zehnjahreshoch ( be-liefen sie sich noch auf eine Milliarde US-Dollar) (Klein ).

Als eine Übernahme des US-Chipherstellers Qualcommdurch den in Singapur ansässigen Konkurrenten Broadcom an-stand, legte Präsident Donald Trump sein Veto ein. Begründetwurde dies mit der Befürchtung, durch diesen Deal könntenSchlüsseltechnologien unter chinesische Kontrolle geraten. Derbis heute schwelende Konflikt um den Netzwerkausrüster Hua-wei ist ein weiteres Beispiel für diese neue Strategie angesichtseiner zunehmend angespannten geopolitischen Situation (vgl. Arm-bruster ).

Mit diesem Begriff bezeichnet Geert Lovink den digitalen Kapita-lismus in Anspielung auf das seiner Ansicht nach für das kommer-zielle Internet typische Verschmelzen überwachungsstaatlicherund kapitalistischer Interessen. Lovink rekurriert damit auf eineklassische, im marxistisch-leninistischen Lager des . Jahrhun-

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nalen Interessen im globalen Maßstab auf dem Rückenprivaten Risikokapitals durchzusetzen. Die Sache ist kom-plizierter, und es sieht inmeinenAugen eher so aus, als seider Staat im Grunde der große Verlierer des digitalen Ka-pitalismus. Das unleugbare Zusammengehen der Schlüs-selunternehmen der Digitalisierung mit dem nationalenSicherheitsstaat und dessen Entwicklung zu einer Kon-trollinstanz imZeichen der allgegenwärtigen Terrorismus-abwehr sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass derStaat das wirtschaftspolitische Heft des Handelns in dengegenwärtigen Leitbranchen der Digitalisierung längstaus der Hand gegeben hat.Wir haben es (genau deswe-gen) einstweilen eben nicht mit digitaler Hegemonie zutun, sondernmit digitalemKapitalismus – auchwenn hierebenfalls das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Konzentration durch Diffusion

Im Grunde stellt es sich so dar, dass aus der Diffusion di-gitaler Technologien in alle Arbeits-,Wirtschafts- und Le-bensbereiche eben gerade keine Dezentralisierung oderDemokratisierung ökonomischer oder politischer Machtresultiert, sondern deren Konzentration. Im konsumen-tenzentrierten kommerziellen Internet kontrolliert einesehr kleine Zahl sehr großer Unternehmen den Zugangzu Gütern, Dienstleistungen und Infrastruktur. Die gro-

derts verbreitete These, laut welcher der imperialistische Staat mitden dominanten Kapitalinteressen verschmelzen werde.