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Sonne, wo warst du? Persönliche Lebensgeschichten niedergeschrieben von KursteilnehmerInnen des abc Lesen und Schreiben für Erwachsene

Sonne, wo warst du?

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Persönliche Lebensgeschichten niedergeschrieben von KursteilnehmerInnen des Basisbildungszentrums abc-Salzburg

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Page 1: Sonne, wo warst du?

Sonne, wo warst du?

Persönliche Lebensgeschichten niedergeschrieben

von KursteilnehmerInnen

des abc Lesen und Schreiben

für Erwachsene

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Inhalt Schulzeit Der Schein trügt (Angelika) 1 Endlich 9 Jahre abgesessen (Michael) 3 Als die Schule dunkel wurde (Günther) 4 Jugendzeit Nie wieder 15 (Maria) 6 Eine Geschichte über das schwierige Leben (Anton) 8 Ein Ereignis, das mein Leben verändert hat Meine Geschichte von meiner Krankheit (Nicole) 11 Mädchenhaus und du musst raus (Maria) 12 Mein erster Weg zum abc (Erich) 15 Lesen und Schreiben... Mein Erlebnis im Messezentrum (Adele) 16 Lesen und Schreiben ist wichtig, aber längst nicht alles auf der Welt (Angelika) 20 Appell an die Politiker (Anton) 22 Lesen und Schreiben.... (Nicole) 28 Lesen und Schreiben ist wichtig, aber längst nicht alles auf der Welt (Stefan) 29 Lesen und Schreiben ist wichtig! (Michael) 32 Die Stunde der Wahrheit (Nicole) 33

Anmerkung: Die Namen der KursteilnehmerInnen wurden von der Redaktion geändert.

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Der Schein trügt

Die Frau Direktor unserer Volksschule

war meine Lehrerin in der ersten Klasse.

Sie war eine große, korpulente Frau. Ihre

Haare immer perfekt frisiert und das

Gesicht geschminkt. Das Auftreten sehr

gepflegt und seriös, aber der Schein trog,

denn sie konnte sehr gemein sein.

Zum Beispiel mochte sie die Kinder

nicht, die sich schwer taten. Mich mochte

sie zum Glück trotzdem. Warum, weiß

ich nicht. Vielleicht weil ich sehr

zurückgezogen und ruhig war.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass sie

einmal den Willi an den Haaren und

Ohren gezogen hat, nur weil er etwas

nicht begriffen hatte.

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Sie schickte ihn dann weinend in den

Kindergarten.

Er schämte sich sehr über den Vorfall

und wir übrigen Kinder waren

schockiert.

Wann immer sie danach die Klasse

betrat, war Angst und Ruhe im

Klassenzimmer.

Angelika (29 Jahre)

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Endlich 9 Jahre abgesessen

Beim Lesen in der Schule hab ich mir immer

schwer getan. Das Ganze fing in der

Volksschule an, weil ich nie aufgepasst und

öfter den Unterricht ohne Erlaubnis

verlassen habe. Das war doch klar, dass

mich

das Schule Gehen nicht interessiert hat.

Schule kam mir vor, wie in Haft zu sein. Man

muss eine Zeit absitzen und ein paarmal

darf

man im Garten seine Runden drehen. Und

wenn man sich nicht korrekt benimmt, wird

der Aufenthalt verlängert.

Aber meine neun Jahre habe ich schnell

abgesessen.

Michael (16 Jahre)

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Als die Schule dunkel wurde

Ich ging in den Privatkindergarten Schwarzstraße, wo wir

Kinder sehr umsorgt wurden. Die Klosterschwestern, die

diesen Kindergarten führten, gingen auf die

Leistungsfähigkeit jedes Kindes ein und förderten uns

dementsprechend. Die Vorschule wurde sehr individuell

gestaltet. Es war niemals ein zu großer Leistungsdruck

gegeben. Außerdem war ich in die wunderschöne

Schwester Wilburgis unsterblich verliebt. Ich war im

Kindergarten regelrecht glücklich.

Eines Tages stand die Einschulung ins Haus. Ich fuhr mit

meiner Mutter in die Schule nach M., wo ich dem

Direktor vorgeführt wurde. Zu diesem Zweck mussten wir

eine düstere Treppe hinaufsteigen, die zu einem

dunklen Büro führte, wo ein schrecklich autoritärer Mann

saß.

Er befehligte meine Mutter und mich hinein. Er unterhielt sich mit

meiner Mutter über mich und befahl mir einen

Baum zeichnen.

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Während ich diesen Baum zeichnete, wurde ich

andauernd von ihm korrigiert, wie ein Baum auszusehen

habe. Als wir das Büro verließen, war mir bereits klar,

dass ich den Kindergarten nicht verlassen möchte.

Als die Schule begann, bekamen wir das Klassenzimmer

direkt neben dem dunklen Büro. Ich musste also jeden

Morgen die Mutprobe bestehen, über die schreckliche

Treppe an der monströsen Bürotüre vorbei, in das

Klassenzimmer zu gelangen, wo mich eine überaus

strenge Lehrerin erwartete. Das verleidete mir jegliche

Freude am Lernen.

Kürzlich begegnete ich dem damaligen Direktor am

Zebrasteifen und ich bekam einen Schweißausbruch vor

lauter Angst vor diesem alten Mann.

Günther (30 Jahre)

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Nie wieder 15

Das Kinderdorf verlässt man nach der Schule mit 15 Jahren. Ich machte aber noch ein freiwilliges Schuljahr, weil ich meinen Traumlehrer haben wollte. Ich hab ihn dann auch bekommen. Zu dieser Zeit wusste ich, dass nach der Schulzeit der Einzug ins Mädchenhaus bevorstehen würde. Die Leiterin und eine Betreuerin kamen mal vorbei, um mit uns über meine Zukunft zu reden. Danach stand sofort fest, dass ich nach Unken ins Schloss Oberrain kommen würde. Dort gibt es eine Berufsvorschulung für Sonderschüler und diejenigen, die nicht wissen was sie tun wollen.

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Ich hatte Angst vor all dem Neuen. Von nun an folgte ich nicht mehr. Traktierte im Kinderdorf meine Hausgeschwister, war frech und rebellisch. Nur in der Schule gings. Ich machte auch den Hauptschulabschluss in Form einer Externistenprüfung. Bis auf ein paar schöne Momente habe ich nur schlechte Erinnerungen. Schade, dass man solche Zeiten nicht einfach überspringen kann. Maria (30 Jahre)

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Eine Geschichte

über das schwierige Leben

Ich bin im Jahr 1954 geboren. Ich kann mich noch

an die erste und zweite Klasse erinnern. Ich hatte

Angst. Ich kam in die Sonderschule.

Meine Jugend war sehr schwer. Wir waren neun

Kinder und ich war der älteste Sohn. Ich hatte noch

zwei Brüder und sechs Schwestern. Da ich der

älteste Sohn war, hatte ich gewisse Aufgaben zu

erfüllen. Ich musste mit dem Vater Holz schneiden,

musste Holz hacken, Hasenfutter brocken, die

Hasen füttern und manches andere tun.

Im Sommer, wenn wir baden gingen, war die

Ausführung der Arbeiten nicht immer genau so wie

es mein Vater wollte. Wenn er von der Arbeit nach

Hause kam und betrunken war, war er oft sehr

böse. In den Schulferien ging ich Tennisball klauben

oder half in einer Gärtnerei. Es machte Spaß und

ich bekam auch Geld dafür. Ich kaufte mir eine

eigene Hose: Jeans. Als mein Vater diese enge

Hose sah, schnitt er sie ab.

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Es kam wieder einmal zum Streit zwischen Mutter

und Vater, der betrunken war. Ich kam damals

gerade von der Arbeit nach Hause und sagte:

„Vater, schlag nie mehr auf die Mutter und uns

ein!“ Es wurde leichter.

Mit 16 Jahren bekam ich mein Zeugnis und zwei

Tage später ging ich in die Arbeit. Mit 17 Jahren

nahm ich mir ein Zimmer und mit 20 Jahren lernte

ich meine geliebte und geschätzte Freundin und

spätere Frau kennen. Da kam ein großes Problem

auf mich zu.

Ich kann nicht richtig schreiben. Wie bring ich das

meiner Freundin bei? Ich hatte große Sorge. Aber

meine Freundin hielt zu mir und ich habe ihr meine

ganze Geschichte erzählt. Sie war sprachlos, aber sie

hielt zu mir. Wir bauten uns ein Eigenheim!

Der Leidensweg ging weiter. Die Firma machte

mich zum Vorarbeiter. Ich sollte den Arbeitsbericht

schreiben. Der zuständige Kontrolleur wollte mir den

Baubericht ansagen. Ich fing zu zittern an. Die

Hände waren nass. Er brach das Gespräch ab und

fuhr mit dem Auto nach Hause. Ich kündigte den

Arbeitsplatz und hatte bald eine neue Arbeit.

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Als mein Kind in die Schule kam, traute ich mich

nicht zu helfen, denn ich hatte Angst, ich würde

ihm nur etwas Verkehrtes beibringen. Es war sehr

schwer, aber meine Frau konnte ihm helfen wie es

für eine Familie sein soll. Unser Kind hat einen Beruf

erlernt und ich bin auch stolz auf ihn.

Eines Tages sah ich im Fernsehen ein Gespräch

über Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung.

Mein Herz schlug hoch. Es gab eine Frau, die ein

großes Problem in Österreich aufgriff. Es gibt sehr

viele Leute, die eine Rechtschreibschwäche

haben. Sie bot einen Kurs an. Der nennt sich abc in

Salzburg. Die Hände waren nass. Ich suchte einen Stift,

um die Telefonnummer aufzuschreiben.

Anton (45 Jahre)

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Meine Geschichte von meiner Krankheit

Vor zwei Jahren haben die Ärzte Krebs bei mir festgestellt. Das war ein harter Schlag

für mich und meine Familie. Und ein harter Weg.

Ich lag fünf Wochen im Krankenhaus und hab hinterher eine Chemotherapie

bekommen. Es war ein schreckliches halbes Jahr und manchmal habe ich

geglaubt, dass ich es nicht aushalte. Aber man ist doch sehr stark, wenn es um sein

Leben geht. Ich habe eineinhalb Jahre nicht mehr gearbeitet und fühlte mich

nicht so richtig wohl. Seit ich wieder arbeite, geht’s mir wieder gut. Ich muss

halt alle zwei Monate zum Arzt zur Kontrolle, aber das mach ich gern. Man

muss das Leben nicht gleich aufgeben, wenn das Schicksal es mal nicht so gut

meint.

Nicole (49 Jahre)

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Mädchenhaus und du musst raus

1986 mein Einzug ins Mädchenhaus. Ein Mädchenhaus ist ein Haus, in das Mädchen mit 15 Jahren nach dem Kinderdorf hinkommen, bis sie volljährig sind. In dieser Zeit beginnen manche eine Lehre, gehen in die Arbeit oder machen eine Schule fertig. Nach alledem mussten wir im Heim die Wäsche selber waschen, putzen und am Sonntag kochen. Ich fühlte mich wie ein Kind. So wurden wir einerseits behandelt, andererseits wie Erwachsene. Zum Arbeiten, Putzen, Kochen und Wäsche Waschen waren wir alt genug. Aber um am Wochenende allein zu Hause bleiben zu dürfen, dafür waren wir selbstverständlich zu jung – und das im Alter von 15 bis 18 Jahren!

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Ich wollte am Wochenende auch den Hausschlüssel, so wie die 18-Jährigen, musste aber warten. Das hat mir gar nicht gefallen, so habe ich eben rebelliert. Ich habe mit den anderen Mädchen die Erzieher geärgert. An einem Sonntag machten einige einen Spaziergang. Die Mädchen, die nicht mitgehen wollten, mussten trotzdem raus aus dem Haus. Da stieg ich eben bei meinem Fenster wieder ein. Meine Minderjährigkeit wurde verlängert, weil sie mich noch nicht für erwachsen genug hielten, um auszuziehen. Das hinderte sie aber nicht daran, mich noch vor meinem 21. Lebensjahr rauszuhauen. Ich habe mich öfter selbst verletzt, in den Arm geschnitten. Darum trag ich jetzt immer Hemden.

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Von November 1987 bis Februar 1990 waren auch Selbstmordversuche darunter. So etwas konnten sie nicht gebrauchen, da sie ja so gute Erzieher sind. Deshalb kam sogar die Fürsorge. Wir haben einige andere Heime angeschaut, von denen mir keins gefallen hat. Am Schluss holten sie mich sogar von der Arbeit und sagten zum Chef, ich käme nie wieder. Das war ein Irrtum. Im Bus taten sie die Kindersicherung rein. Doch bei einer roten Ampel machte ich das Fenster auf und war weg. Am nächsten Tag ging ich wieder zur Arbeit. Der Andi, ein Angestellter hat mir dann geholfen. Sonst wäre mein Leben anders verlaufen. Ich bin glücklich, dass er mir geholfen hat. So schwierig fand ich mich gar nicht, dass sie mich zuerst verminderjährigen mussten um mich dann doch vor meinem 21. Lebensjahr rauszuhauen.

Maria (30 Jahre)

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Mein erster Weg zum abc

In der ersten Klasse wusste ich schon, dass ich mir

beim Lesen und Schreiben schwer tat. Ich musste

die erste Klasse wiederholen und auch die zweite.

Dann kam ich in die Sonderschule.

Mit 15 Jahren arbeitete ich schon, hatte nichts

gelernt. Ich konnte auch keinen Führerschein

machen. Immer mehr wuchs die Angst in mir. Dann

habe ich mit dem Alkohol Kontakt gehabt. Es

wurde immer mehr und das Leben wurde immer

schwieriger. Ich habe immer viele Ausreden

gebraucht.

Ich arbeite in einer Gießerei. Es weiß nur der

Betriebsrat, dass ich nicht lesen und schreiben

kann. Eines Tages kam er zu mir und sagte, dass es

eine Schule gibt, in der ich Lesen und Schreiben

lernen kann. Mir wurde heiß und kalt. Ich hatte

große Angst. Am nächsten Tag fuhr er mit mir nach

Salzburg. Wir wurden sehr herzlich aufgenommen.

Ich möchte mich sehr bemühen, dass ich das Lesen

und Schreiben lerne, um im Leben leichter

zurechtzukommen, keine Angst mehr zu haben.

Erich (43 Jahre)

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Mein Erlebnis im Messezentrum

Vor vierzehn Tagen bin ich kurz

entschlossen ins Messezentrum

gefahren.

Die Abteilung Gesundheit war

gleich rechts hinter der Kassa.

Dort wurde mein Blutdruck und

mein Blutzucker gemessen. Zum

ersten Mal in meinem Leben

wurden auch meine Fettwerte

gemessen. Die sind super! Der Arzt

hat mir gesagt: „Machen Sie nur so

weiter!“ Als dies beendet war,

ging ich in der Messehalle weiter.

Da ist mir noch ein Standl mit

bunten Biolikör- und Schnaps-

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flaschen aufgefallen. Ich

betrachtete diese Flaschen und

dabei fiel mein Blick auf ein Blatt

mit Blumen, die ich bis auf eine

alle kenne. Der Herr kam zu mir

und fragte, ob ich die Blumen

kenne und ich möchte doch die

Namen dazuschreiben. Ich

begann beim Löwenzahn und

blieb dabei stecken. Im wahrsten

Sinn des Wortes beim w vom

Löwenzahn – und beim

Weiterüberlegen des Wortes

Löwenzahn stellte sich die Frage,

ob mit „h“ oder ohne. Und indem

ich das nicht wusste, hab ich

aufgegeben zu schreiben.

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Der Herr hat dann noch gesagt,

das sei nicht wichtig, wie ich’s

schreib. Dennoch half es mir nicht,

denn beim nächsten Bild, dem

Vierklee war genau dasselbe

Problem. Ich hab dann ganz

aufgegeben und hab’ ihm gesagt,

dass ich so spät dran bin

und noch zur Reiseabteilung will.

Mit dieser Begründung bin ich von

ihm weg. Das Blatt hab ich aber

mitgenommen, denn ich wollte

nicht, dass es von ihm gelesen

wird.

Ich hatte wohl den Mut zu

beginnen, aber ich habe gemerkt:

Es geht noch nicht.

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Page 22: Sonne, wo warst du?

Es überkam mich wieder die

Unsicherheit des Schreibens. Mir ist

heiß geworden. Ich hab mich

einigermaßen aus der Schlinge

gezogen, bin weggegangen und

hab einfach abgeschaltet.

In der Tourismusabteilung hab ich

noch einige Reiseprospekte mit

schönen Aufnahmen gesammelt,

weil ich die so gern anschau und

auch so gerne reise. Und dann fuhr

ich mit meinen Prospekten und

Gesundheitswerten nach

Hause.

Adele (64 Jahre)

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Lesen und Schreiben ist wichtig,

aber längst nicht alles auf der Welt

Dieser Satz ärgert mich, weil so etwas nur

jemand sagen kann, der selbst mit dem

Schreiben keine Probleme hat.

Für mich war es sehr lebensbestimmend und

hatte einen hohen Stellenwert. Habe mich so

hineingesteigert, dass ich mich dumm und

minderwertig gefühlt habe. Ganz zu

schweigen von der Angst, etwas schreiben zu

müssen. So richtig Angst mit Schweiß und

was sonst noch dazu gehört. Auch sich

gewisse Arbeiten nicht zuzumuten, sich nicht

bewerben auf Grund der schlechten

Rechtschreibung, Angst ausgelacht zu werden.

Hinzu kommt noch die Sorge, dass es meinem

Sohn gleich gehen könnte.

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Ich setzte ihn oft unter Druck. Das ging leider

auch oft nach hinten los und belastete ihn sehr.

Das war für mich sehr schlimm, aber erst recht

ein Ansporn etwas dagegen zu tun.

Zum Glück habe ich erfahren, dass es „Lesen

und Schreiben für Erwachsene“ gibt. Jetzt

geht es mir schon viel besser, habe auch

gelernt mit dem Problem umzugehen und dazu

zu stehen. Es ist ein sehr großer Druck weg.

Angelika (29 Jahre)

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Page 25: Sonne, wo warst du?

Appell an die Politiker

Manche haben Schwierigkeiten in

der Jugendzeit, teils gibt es

Familienprobleme, teils

Desinteresse im Umfeld.

Weil man ein Kind ist, hat man

andere Interessen, macht in der

Schule kleine Streiche. Es

kümmert sich keiner um das

Kind, keiner legt ihm nahe, was

am Lernen alles dranhängt.

Das ganze Lebensglück, die

Lebensqualität und die

Gesundheit hängt daran. Wenn

man Probleme mit dem Lesen und

Schreiben hat zieht man sich

zurück. Man fühlt sich

beobachtet. Man muss vieles

entbehren: Bücher, geistige

Beschäftigung.

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Page 26: Sonne, wo warst du?

Man kann Fahrpläne nicht

entziffern und kann viele

Formulare nicht ausfüllen. Die

Hände fangen an zu zittern, sie

werden nass und man ist nicht

fähig zu schreiben.

Meine Erfahrung ist, dass einem

am Amt schon geholfen wird,

wenn man darum bittet. Aber

diese Bitte schmerzt.

Das erste große Problem gibt

es, wenn man eine Frau kennen

lernt. Die kann lesen und

schreiben. Was ist, wenn sie es

merkt? Wie sag ich es ihr?

Viele verschweigen deshalb ihr

Problem.

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Das zweite Problem gibt es,

wenn man eine Familie gründen

will und dem eigenen Kind das

alles ersparen will. Man hat so

Angst dem Kind beim Lernen zu

helfen. Man möchte helfen, kann

aber nicht. Das tut so weh im

Herzen. Man denkt so nach. Man

hat Angst dem Kind etwas

Falsches zu sagen.

Wenn das Kind dann schreiben

kann und Respekt vor dem Vater

haben soll, hat man Angst, dass

das Kind redet und irgendwer

davon erfährt. Man bekommt

Schweißausbrüche und Gefühle,

die man nicht beschreiben kann.

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Page 28: Sonne, wo warst du?

Ich finde, dass die Politiker

als Volksvertreter gefordert

sind, das Problem aufzugreifen,

weil es totgeschwiegen wird.

Die Betroffenen hüllen sich in

den Deckmantel des Schweigens

aus Schamgefühl und der Angst

verspottet zu werden.

Als ich im Fernsehen gehört

habe, dass es das abc gibt, bin

ich schnell gerannt und hab

einen Schreiber gesucht. Zuerst

hab ich keinen gefunden.

Hoffentlich verpass ich die

Telefonnummer nicht! Dann hab

ich einen gefunden, meine Hände

waren ganz nass und ich hab die

Nummer aufgeschrieben. Ich

wurde auf eine Warteliste

gesetzt.

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Page 29: Sonne, wo warst du?

Womöglich komm ich in den Kurs

gar nicht hinein? Dann hab ich

einen Anruf bekommen, dass ich

aufgenommen bin. Alleine das

war schon eine Erleichterung.

Es ist auch gut, dass eine

Psychologin da ist. Man will

auch einmal reden.

Ich habe vorher auch schon

einmal einen Kurs gemacht. Sie

haben ganz von vorne mit dem

ABC angefangen. Dort hab ich

keinen Weg zum Lernen gefunden.

In Salzburg habe ich die Hilfe

gefunden, die ich gesucht habe.

Da gibt es eine Frau, die das

Problem aufgreift und sie muss

kämpfen, damit Geld zur

Verfügung gestellt wird.

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Page 30: Sonne, wo warst du?

Man ist kein Almosenempfänger .

Wer es in der Kindheit schwer

hatte, muss die Möglichkeit

bekommen ein lebenswürdiges

Leben ohne seelischen Druck zu

leben. Wer Hilfe sucht und von

ganzem Herzen lernen will, soll

Hilfe kriegen.

Anton (45 Jahre)

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Lesen und Schreiben....

Froh stimmt mich der Gedanke, dass ich schon ein bisschen schreiben kann. Ich bin stolz auf mich, dass ich den Weg zum abc gefunden habe. Früher, wenn ich an das Schreiben denken musste, dann ist mir ganz anders geworden. Ich fühlte mich so minderwertig. Ich finde, ohne Schreiben ist man nur ein halber Mensch. Nicole (49 Jahre)

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Lesen und Schreiben ist wichtig, aber längst nicht alles auf der Welt!

Viele Menschen haben mir viele Jahre eingetrichtert, wie wichtig Lesen und Schreiben ist. Das „Eintrichtern“ geschah natürlich auf verschiedene Weise. Je nach Temperament und Einstellung meiner Eltern, Großeltern und Lehrer übten sie geduldig, liebevoll, konsequent, aber auch weniger verständig, nörgelnd und abwertend, mittels aller möglichen und unmöglichen Methoden mit mir, um besagte Fähigkeiten zu lernen. Bis heute habe ich natürlich kein Argument gefunden, auf das ich mich stützen könnte, um zu sagen: „Alles Schmarren, das brauch ich nicht!“ Ich muss gestehen, dass Lesen und Schreiben doch einiges leichter macht, vorausgesetzt, dass ich auf dieser Welt leben will, in diesem Land, mit diesen Menschen, mit diesen Notwendigkeiten.

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Wenn ich also nicht Robinson auf einer leeren Insel sein will, muss ich mich darauf einlassen. Im Beruf (Metall) muss ich Anleitungen und Erklärungen lesen und verstehen können und wenn ich einen Abschluss machen will, stehen wohl noch einige Kurse ins Haus. Den Führerschein zu machen, werde ich nicht verzichten. Im Allgemeinen will ich natürlich auch nicht abseits unsere Informationsgesellschaft stehen. Zeitungen zu lesen ist noch immer nicht meine Stärke, aber es kommt schon noch! Sie merken schon: Ein wenig belastet ist diese Seite meines Lebens schon, aber es gibt ja auch noch andere. Und da behaupte ich nun lautstark: Diese sind genau so wichtig. Zum Glück habe ich erkannt, dass ich viele lebenswichtige Fähigkeiten doch habe, die ich brauche.

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Mit Menschen zu reden, zum Beispiel, geht recht gut. (Das hab ich sogar bei den Lehrern eingesetzt, sonst hätte es noch viel schlimmer ausgeschaut.) Ich genieße es sehr, mit Freunden fortzugehen, Spaß zu haben, Fröhliches und Ernsthaftes zu besprechen. Seit einem Jahr habe ich auch eine Sportart entdeckt, die mich sehr reizt. Ich bin durch einen Arbeitskollegen zum Klettern gekommen. Du kannst dabei so toll abschalten, du denkst an nichts anderes, du musst dich nur darauf konzentrieren, auf dich und den Partner natürlich auch. Die Natur und die berge haben dadurch einen großen Stellenwert im Leben bekommen. Ich glaube nicht, dass ich gefährdet bin, auf Drogen und Alkohol hereinzufallen. Sport und Freunde sind für mich das wichtigste Lebenselixier. Manchmal sage ich das auch anderen und versuche sie zu überzeugen. Stefan (20 Jahr)

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Lesen und Schreiben ist wichtig!

Der Satz „Lesen und Schreiben ist

wichtig!“ ist schon ein guter Satz, aber

für mich war das auch nicht alles.

Seinen Spaß soll man ja auch haben. Und

ich wollte den Spaß.

Ich bereue es kein bisschen, dass

Schule für mich nicht wichtig war.

Nachlernen kann man alles, wenn man

nur will. Aber seine Jugend bekommt

man nie wieder zurück.

Michael (16 Jahre)

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Die Stunde der Wahrheit Am letzten Mittwoch habe ich mit meinen Freundinnen Karten gespielt. Ich habe ein, zwei Gläser Wein getrunken und als wir uns so unterhielten, kam auf einmal die

Sprache aufs Schreiben. Mir war ganz flau im Magen. Ich fasste mich ans Herz und gab mir einen Ruck. Ich erzählte ihnen, dass ich nicht schreiben kann. Die Monika konnte es gar nicht glauben. Sie sagte, wenn man lesen kann, kann man auch schreiben. Und alle bewunderten, dass ich

noch das Schreiben lerne. Nun ist es mit den Ausreden vorbei und ich bin sehr erleichtert. Das ist meine Geschichte von der Stunde der Wahrheit. Nicole (49 Jahre)

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Impressum: Herausgeber: Verein abc - Lesen und Schreiben für Erwachsene

Auerspergstraße 15, 5020 Salzburg Tel. 0699-10 10 20 20

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Für den Inhalt verantwortlich: Brigitte Bauer Preis: € 4.- (ATS 55,04)