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2 Praxis der Naturwissenschaften Praxis der Naturwissenschaften - Physik 43/4, 19 (1994) Sonnentaler - Abbilder der Sonne H. Joachim Schlichting Universität GH Essen Was der Mensch sieht, hängt sowohl davon ab, worauf er blickt, wie davon, worauf zu sehen ihn seine visuell- begriffliche Erfahrung gelehrt hat. Thomas S. Kuhn Übersehene Phänomene Dass die obige Einsicht Thomas S. Kuhns nicht nur die großen wissenschaftlichen sondern auch die kleinen alltäglichen Entdeckungen betrifft, wird mir immer wieder am Beispiel der Sonnentaler bewußt. Obwohl es kaum jemanden gibt, dessen Netzhäute nicht von diesen ovalen bis kreisförmigen Licht- flecken unterschiedlicher Größe, die sich bei Son- nenschein am Boden unterhalb des Blätterdachs von Bäumen bilden, getroffen worden wären, haben die wenigsten sie als solche gesehen. Jedenfalls ist ih- nen nichts aufgefallen, die Lichtflecken sind für sie zu keinem in irgendeiner Weise fragwürdigen Phä- nomen geworden (Abb. 1 u.2). Selbst wenn ich meinen Mitmenschen die runden Lichtflecken zeige, bleiben sie meist völlig unberührt. Auf meine Be- hauptung, bei den Flecken handele es sich um Ab- bilder der Sonne, reagieren sie in der Regel skep- tisch bis ungläubig. "Abbild der Sonne", das klingt insbesondere in den Ohren naturwissenschaftlich vorgebildeter Menschen fast wie "Zeichen der Göt- ter" und erinnert eher an mythisches Naturerleben als an rationale Naturerkenntnis. Eine halbwegs akzeptable Erklärung für die Licht- flecken ist in der Regel nicht zu erhalten. Man stellt sich vor, die Sonnenflecken würden durch Lichtöff- nungen im Blätterwerk der Bäume hervorgebracht. Die offensichtliche Diskrepanz zwischen der auf- fallend gleichmäßig gerundeten Form der Lichtflek- ken und der Unwahrscheinlichkeit, dass das Blät- terwerk zufällig solche Öffnungen bildet, wird nicht selten mit Verwischungen und Unschärfen aufgrund der Bewegung der Bäume wegdiskutiert. Wenn ich nicht selbst die Sonnentaler relativ spät und über Umwege "entdeckt" hätte, würde es mir vermutlich schwerfallen zu akzeptieren, mit welcher Hartnäk- kigkeit hier Dinge übersehen werden, die gewisser- maßen offen vor unseren Augen liegen. Sonnentaler in der Schule Manchmal "liegen" die Sonnentaler nicht nur unter Abb. 1: Auch an länglichen Löchern entstehen Sonneta- ler. Hier am Beispiel eines Palmwedels. Abb. 2: Sonnentaler, wie sie durch Jalousielöcher erzeugt werden. Abb. 3: Sonnentaler auf dem Waldboden

Sonnentaler - Abbilder der Sonne · 4 also gewissermaßen aus zahlreichen sich überlap-penden Bildern des dreieckigen Loches (schema-tisch dargestellt auf der rechten Seite von Abb

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Praxis der Naturwissenschaften Praxis der Naturwissenschaften - Physik 43/4, 19 (1994)

Sonnentaler - Abbilder der Sonne

H. Joachim Schlichting Universität GH Essen

Was der Mensch sieht, hängt sowohl davon ab, worauf er blickt, wie davon, worauf zu sehen

ihn seine visuell- begriffliche Erfahrung gelehrt hat.

Thomas S. Kuhn

Übersehene Phänomene

Dass die obige Einsicht Thomas S. Kuhns nicht nurdie großen wissenschaftlichen sondern auch diekleinen alltäglichen Entdeckungen betrifft, wird mirimmer wieder am Beispiel der Sonnentaler bewußt.Obwohl es kaum jemanden gibt, dessen Netzhäutenicht von diesen ovalen bis kreisförmigen Licht-flecken unterschiedlicher Größe, die sich bei Son-

nenschein am Boden unterhalb des Blätterdachs vonBäumen bilden, getroffen worden wären, haben diewenigsten sie als solche gesehen. Jedenfalls ist ih-nen nichts aufgefallen, die Lichtflecken sind für siezu keinem in irgendeiner Weise fragwürdigen Phä-nomen geworden (Abb. 1 u.2). Selbst wenn ichmeinen Mitmenschen die runden Lichtflecken zeige,bleiben sie meist völlig unberührt. Auf meine Be-hauptung, bei den Flecken handele es sich um Ab-bilder der Sonne, reagieren sie in der Regel skep-tisch bis ungläubig. "Abbild der Sonne", das klingtinsbesondere in den Ohren naturwissenschaftlichvorgebildeter Menschen fast wie "Zeichen der Göt-ter" und erinnert eher an mythisches Naturerlebenals an rationale Naturerkenntnis.

Eine halbwegs akzeptable Erklärung für die Licht-flecken ist in der Regel nicht zu erhalten. Man stellt

sich vor, die Sonnenflecken würden durch Lichtöff-nungen im Blätterwerk der Bäume hervorgebracht.Die offensichtliche Diskrepanz zwischen der auf-fallend gleichmäßig gerundeten Form der Lichtflek-ken und der Unwahrscheinlichkeit, dass das Blät-terwerk zufällig solche Öffnungen bildet, wird nichtselten mit Verwischungen und Unschärfen aufgrundder Bewegung der Bäume wegdiskutiert. Wenn ichnicht selbst die Sonnentaler relativ spät und überUmwege "entdeckt" hätte, würde es mir vermutlichschwerfallen zu akzeptieren, mit welcher Hartnäk-kigkeit hier Dinge übersehen werden, die gewisser-maßen offen vor unseren Augen liegen.

Sonnentaler in der Schule

Manchmal "liegen" die Sonnentaler nicht nur unter

Abb. 1: Auch an länglichen Löchern entstehen Sonneta-ler. Hier am Beispiel eines Palmwedels.

Abb. 2: Sonnentaler, wie sie durch Jalousielöcher erzeugtwerden.Abb. 3: Sonnentaler auf dem Waldboden

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dem Blätterdach der Bäume, sondern wie bestelltauf Tischen und Bänken im Klassenzimmer. Wennman nämlich bei starker Sonneneinstrahlung dieJalousien herunterzieht, kommt es vor, dass ganzePerlenketten ovaler Lichtflecken den abgedunkeltenRaum durchziehen (Abb. 3). Dies ist eine der bestenGelegenheiten, Schülerinnen und Schüler mit denSonnentalern vertraut zu machen, ohne auf bloßeAbbildungen in Form von Fotografien zurückgrei-fen oder das Phänomen in künstlichen Experimen-ten präparieren zu müssen.

Durch Jalousien gebildete Sonnentaler vereinigengewissermaßen das ursprüngliche Phänomen unddie Laborsituation. Einerseits sind sie Originale undentstehen mit jener Leichtigkeit und ßSelbstver-ständlichkeit wie sie für Naturphänomene typischsind. Andererseits kann das zufällige Arranßgement,das in diesem Fall die Sonnentaler entstehen läßt,ohne weiteres als exßperimenteller Aufbau geßnutztwerden, um das Phänomen messend zu erfassen undphysikalisch zu erschließen.

Eine Frage drängt sich sofort auf: Warum haben dieLichtflecken an der Wand oder auf dem Tisch diepräzise Form einer Ellipse? Mit einem Blatt Papier,das man senkrecht ins Lichtbündel hält (notfalls mitKreidestaub sichtbar gemacht), fängt man einenkreisrunden Fleck auf und erkennt, dass sich die El-lipsenform einem schrägen Anschnitt des Lichtbün-dels verdankt.

Warum weisen die Lichtbündel einen kreisförmigenQuerschnitt auf? Weil die Löcher in der Jalousie,durch die das Sonnenlicht hindurchdringt, kreisrundsind? So direkt wird die Beziehung zwischen Loch-form und Lichtbündelform in der Regel zwar nichtgesehen, insbesondere dann nicht, wenn man sichmit bloßem Auge davon überzeugen kann, dass dieForm der Jalousielöcher weit davon entfernt ist,rund zu sein und vielmehr längliche Rechtecke dar-stellen. Aber dass die Lochform entscheidend ist,wird allgemein unterstellt. Mögliche Kanten undEcken werden durch Unschärfen wegdiskutiert, wieman sie manchmal auch bei Schattenphänomenenvorzufinden glaubt. Erstaunlicherweise wird häufigdie Diskrepanz zwischen dieser mit ungefähren Ef-fekten argumentierenden Erklärungsweise und derperfekten Kreisform der Lichtflecken nicht gesehen.

Erst wenn man mit einem Blatt Papier vom Jalou-sieloch beginnend dem Lichtbündel nachfährt undfür jedermann erkennbar macht, dass zunächst einrechteckiger Querschnitt abgebildet wird, der dannimmer unschärfer werdend schließlich in die Kreis-form übergeht, wird einerseits klar, dass die Quer-schnittsform des Lichtbündels mit zunehmendemAbstand vom Entstehungsort verschwimmt und an-dererseits aber auch, dass die eher intuitiv als auf-grund präziser physikalischer Überlegungen geäu-

ßerten Vermutungen der Schülerinnen und Schülergar nicht so abwegig waren.

Abrastern einer Kerzenflamme

Wie kommt es zu dieser Änderung der Quer-schnittsform des Lichtbündels? Um diese Frage zubeantworten, kann es sinnvoll sein, sich vorzustel-len oder wirklich auszuprobieren, wie sich der An-blick beispielsweise einer Kerzenflamme durch eindreieckiges Loch eines Pappkartons ändert, wennman kurz hinter dem Loch oder weiter entferntsteht.

Direkt hinter dem Loch sieht man die Flamme imdreieckigen Rahmen des Loches. Bewegt man sichnun durch das Loch blickend nach oben, so wandertdie Flamme nach unten bis sie die untere Begren-zung des Loches "überquert" und aus dem Sichtfeldverschwindet. Entsprechendes beobachtet man,wenn man sich nach unten, nach rechts oder nachlinks bewegt. Auf diese Weise tasten unsere Augeneine dreieckige Ebene ab, von der aus die Kerzen-flamme gesehen werden kann. Bringt man in dieseEbene eine Mattscheibe, auf der alle Punkte derEbene simultan präsent sind, so wird ein dreieckigesFeld ausgeleuchtet. Das helle Bild des Loches be-steht so gesehen aus zahlreichen sich überlappendenBildern der Kerzenflamme (schematisch dargestelltauf der linken Seite von Abb.4).

Blickt man hingegen aus größerer Entfernung durchdas Loch, so erscheint es vollständig von derFlamme ausgeleuchtet. Man bekommt nur einenkleinen Ausschnitt der Flamme zu sehen und mußden Kopf ein ganzes Stück hinuntenbewegen, um sovon schräg unten die Flammenspitze sehen zu kön-nen. Eine Bewegung des Kopfes nach links führtauf entsprechende Weise zum rechten Rand, eineBewegung nach rechts zum linken und eine Bewe-gung nach oben zum unteren Rand der Flamme. Aufdiese Weise kann durch Kopfbewegungen ein ver-kehrtes Bild der Flamme abgetastet werden, das aufeiner Mattscheibe tatsächlich erscheint. Das aufdem Kopf stehende Bild der Kerzenflamme besteht

Abb. 4: Das Bild des Loches besteht aus vielen Bildernder Flamme (links). Das Bild der Flamme besteht ausvielen Bildern des Loches (rechts).

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also gewissermaßen aus zahlreichen sich überlap-penden Bildern des dreieckigen Loches (schema-tisch dargestellt auf der rechten Seite von Abb. 4).

Dieser Versuch läßt sich mit anderen Lochformenwiederholen. Das Ergebnis bleibt dasselbe. In hin-reichender Entfernung von einem kleinen Loch er-scheint unabhängig von der Form des Loches einAbbild des (leuchtenden) Objekts.

Phasenübergang zwischen Loch und Flamme

Zwischen diesen beiden Extremen treten fließendeÜbergänge, hybride Gebilde zwischen Loch- undFlammenform auf. Hält man eine Mattscheibe inden Strahlengang und nähert sich damit dem Loch,so deformiert sich die zunächst deutlich zu erken-nende Flammenform bis plötzlich die Lochform zuerkennen ist. Entfernt man die Mattscheibe wiederallmähliche vom Loch, so deformiert sich das loch-förmige Abbild und "springt" schließlich in dieFlammenform um. Interessant ist, dass die Schüle-rinnen und Schüler das Loch auch noch an Stellenzu erkennen vermeinen, an denen bei der umge-kehrten Bewegung noch der Eindruck der Flammen-form vorherrschte und vice versa. Es ist also einedeutliche Hysteresis in der Wahrnehmung festzu-stellen, die den Gestaltwechsel von der Loch- zurFlammenform als eine Art Phasenübergang 1. Art inder Wahrnehmung ausweist.

Sonnenhalbmond

Die Versuche mit der Kerzenflamme machen ver-ständlich, dass man in größerer Entfernung von ei-nem rechteckigen Loch in der Jalousie ein Abbildder Sonne, in der Nähe eines solchen Loches einAbbild des Loches sieht. Daher sind auch die Licht-kringel unter dem dichten Blätterdach sonnenbe-schienener Bäume Abbilder der Sonne. Im Unter-schied zu den laborähnlichen linear aufgereihtenLichtflecken eines jalousieverdunkelten Raumes,diedie identischen Abstände zwischen den Löchern dertechnisch gefertigten Jalousien reflektieren, erschei-nen die Sonnentaler in der Natur ihren statistischverteilten und in unterschiedlicher Höhe gelegenenEntstehungslöchern entsprechend in der Regel inwahllosem Durcheinander verschiedener Größe undmit den geometrischen Abbildern der größerer Lö-cher im Geäst vermengt. Indem die windbewegtenÄste zuweilen zu einer periodischen Veränderungder Lochgröße führen, kann man die Sonnentalermanchmal im Rhytmus dieser Veränderungen zwi-schen Entstehen und Vergehen "hin- und herpen-deln" sehen.

Bei der Untersuchung von jalousielocherzeugtenSonnentalern im Klassenraum an einem nicht ganzwolkenlosen Tag erlebte die Klasse rein zufällig,

wie die Sonnentaler im Rhythmus der die Sonneverdeckenden und wieder freigebenden Wolkenverschwanden und wieder erschienen. In dieser Si-tuation trat plötzlich ein zunächst sehr merkwürdigerscheinendes Phänomen auf. Nicht kreisrundeSonnentaler schmückten Tische und Wände sondernhalbmondartige Gebilde. Nicht nur die Schülerinnenund Schüler wurden dadurch verunsichert. EinBlick aus dem Fenster brachte Aufklärung: Die un-tere Hälfte der Sonne war von einer scharf be-grenzten Wolke abgedeckt.

Vom Sonnentaler zur Lochkamera

Interessant ist in diesem Zusammenhang die auch inanderen Situationen zu machende Erfahrung, dassdurch einen Symmetriebruch, wie hier durch denÜbergang von der vollen zur halben Kreisscheibe,zusätzliche Informationen zu Tage gefördert werdenkann. Die Halbsonnentaler auf den Tischen standennämlich im Vergleich zum Urbild der Sonne aufdem Kopf und wiesen auf den Mechanismus eineroptischen Abbildung hin, wie man ihn beispielswei-se von Sammellinsen her kennt. Dieser Sachverhalterwies sich als hilfreich bei der Aufklärung desPhänomens im Unterricht.

Ansonsten lassen sich halbmondartige oder gar si-chelförmige (Abb. 5) Sonnentaler nur bei den selte-nen Gelegenheiten einer Sonnenfinsternis beobach-ten. Dieses Phänomen ist den Menschen schon seit

Abb. 5: Sichelmondartige Sonnentaler im Schattenbe-reich eines Zweiges bei einer Sonnenfinsternis.

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langem bekannt. In einem Bericht von Alhazenheißt es:

"Das Bild der Sonne zur Zeit der Verfinsterung,falls sie nicht eine totale ist, zeigt, wenn ihr Lichtaus einem engen runden Loche austritt und zu einerdem Loch gegenüberliegenden Ebene gelangt, dieGestalt der Mondsichel... Das Bild der Sonne zeigtdiese Form nur dann, wenn das Loch sehr eng ist"(Abb. 6) [1].

Sonnentaler werden bereits von Aristoteles in denProblemata erwähnt und als optischer Abbildungs-vorgangs durch eine enge Öffnung dargestellt.

Die Erkenntnis, dass die Sonne sich in Form derSonnentaler gewissermaßen selbst zeichnet, hat zu-sammen mit der Entdeckung der Zentralperspektivein der Kunst zu Apparaten geführt, mit der in einernur mit einem kleinen Loch versehenen dunklenKammer, einer camera obscura, Bilder der Außen-welt gezeichnet wurden. Mit der Entdeckung licht-empfindlicher Substanzen war es dann nur noch einSchritt zur Entwicklung der Lochkamera, die nichtnur bis weit in unser Jahrhundert hinein benutztwurde, sondern darüberhinaus als Ausgangspunktfür alle optischen und nichtoptischen Aufzeich-nungsgeräte angesehen werden kann.

Indem die Sonne sich in Form der Sonnentalerselbst zeichnet, hat sie der Menschheit den Weg insMedienzeitalter gewiesen.

Größe der Sonne

Bei der Untersuchung der jalousielocherzeugtenSonnentaler blieb den Schülerinnen und Schülernnicht verborgen, dass die Abbilder umso größerwerden, je weiter die Projektionsfläche vom Lochentfernt ist. Da lag die Frage nahe, in welchemMaßstab sich die Sonne zeichnet. Mit Hilfe desStrahlensatzes wurde aus dem Abstand l des Son-

nentalers vom Loch und dem Radius r des Sonnen-talers den Radius R der Sonne abgeschätzt. Dabeiwurde Abstand der Sonne von der Erde (genauer:vom Loch) L als bekannt vorausgesetzt. Da derQuotient l/r gleich dem Quotienten L/R sein muß,ergibt sich für den Sonnenradius:

R = r L/l.

Ein Blick ins Lexikon ließ erkennen, dass die sogemachten Abschätzungen überraschend gute Er-gebnisse erbrachten.

Während der Messung, bei der eine improvisierteProjektionswand senkrecht in den Sonnenstrahl ge-stellt und der Sonnentaler sorgfältig mit einem Blei-stift abgezeichnet wurde, zeigte sich übrigens, dassdie Mühe beim Zeichnen sich dann nicht lohnte,wenn man sich zuviel Zeit dafür nahm. Denn dieSonne wanderte zur Überraschung der Schülerinnenund Schüler ziemlich schnell aus der zeichnerischenUmrandung heraus. Sie ließen es sich nehmen, dieZeit festzustellen, die der Sonnentaler benötigte, umgerade aus seinem Kreis herauszuwandern, also sichgerade um eine Strecke vom eigenen Durchmesserfortzubewegen. Sie betrug ziemlich genau 2 Minu-ten. Aus diesem Ergebnis lassen sich eine Reiheweiterer Rückschlüssen auf das Verhalten der Son-ne ziehen, was hier aber nicht weiter untersuchtwurde [2].

Die Schülerinnen und Schüler waren überrascht undfasziniert von der Möglichkeit, ziemlich genaueAussagen über unser unvorstellbar weit entferntesZentralgestirn machen zu können, ohne das Klas-senzimmer zu verlassen.

Künstliche "Sonnentaler"

Besonders beeindruckt zeigen sich die Schülerinnenund Schüler, wenn sie die Form von "Sonnentalern"selbst bestimmen können. Dies ist auf einfacheWeise möglich, wenn man die dazu nötige entspre-chend geformte Lichtquelle mit Hilfe eines Diapro-jektors herstellt. Dazu schneidet man in ein StückPappe die Form der Lichtquelle, also beispielsweiseeinen Stern ("Sterntaler"), ein Dreieck, ein Kreuzu.ä., klebt die Öffnung mit mattem Papier (z.B.Butterbrotpapier) ab und rahmt es mit einem Di-arahmen. Steckt man dieses "Dia" in einen Diapro-jektor, dessen Objektiv man zuvor entfernt hat, undläßt das so erzeugte Lichtbündel durch eine Papp-wand mit kleinen möglichst auffällig geformten Lö-chern fallen, so entdeckt man auf einer dahinter an-gebrachten Leinwand, Abbilder der durch das "Dia"repräsentierten Lichtquelle in einer durch die Lö-cher vorgegebenen Verteilung.

Abb. 6: Beobachtung des Abbilds der Sonnensichel beider Sonnenfinsternis im Januar 1544 mit einer CameraObscura. Diese Darstellung von Reinerus Frisius gilt alsdie erste Veröffentlichung einer Camera Obscura.

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Besonders eindrucksvoll, ja geradezu unwirklich er-scheint die Projektion, wenn man statt der durchlö-cherten Pappwand eine blattreiche Pflanze in denStrahlengang stellt. Der Schatten der Pflanze er-scheint dann beispielsweise mit hellen Kreuzen oderHalbmonden durchsetzt. Der merkwürdige Ein-druck, den eine solche Projektion hervorruft, beruhtvor allem auf der Tatsache, dass man sich an diemehr rundlichen Sonnentaler unter Blätterdächerngewöhnt hat und diesen Anblick als normal empfin-det, ohne sich jeweils darüber im klaren zu sein,dass man es hier mit "Sonnenrundungen" und - ta-lern zu tun hat.

Gibt es auch Mondtaler?

Diese Frage einer Schülerin lag geradezu auf derHand, als wir uns mit halbmondartigen Sonnenta-lern befaßten. Dazu ist zu sagen, dass, was der Son-ne recht ist, dem Mond billig sein sollte. In der Tatist es nur der enorme Intensitätsunterschied zwi-schen dem direkten und dem vom Mond reflektier-

ten Sonnenlicht, der die "Mondtaler" so unauffälligmacht. Bei sorgfältiger Beobachtung kann man je-doch beispielsweise an hinter Büschen gelegenenweißen Hauswänden Abbilder des Mondes entdek-ken. Dieses ist natürlich am eindrucksvollsten, wennes sich um "Halbmondtaler" handelt. Marcel Pagnolberichtet in "Marcel - eine Kindheit in der Pro-vence" davon: "Ein schmaler Mondstrahl, der durchdas Loch im Fensterladen schimmerte, ließ dasWasserglas auf meinem Nachttisch blinken. DasLoch war rund, der Strahl war flach (wie die Mond-sichel, HJS). Ich nahm mir vor, meinen Vater nachder Ursache des Phänomens zu fragen".

Literatur

[1] Alhazen: Über die Gestalt der Finsterniß. Zitiertnach: Busch, B.: Belichtete Welt. München: Hanser1989.

[2] Langkavel, A.: Astronomie live im Klassen-zimmer. MNU 44/7, 412 (1991)

Abb. 7: Dreieckige Abbilder eines entsprechenden Vor-bildes im Schattenbereich einer blätterreichen Pflanze.Auffallend ist hier insbesondere, daß auch die Schatten-bilder die dreieckige Form des Vorbildes annehmen.