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Anpacken statt jammern Flüchtlinge Tausende Freiwillige bügeln die Fehler der Politik aus. Ob Ärzte, Lehrer oder' Rentner: Sie schaffen, was der Staat nur verspricht - eine Willkommenskultur. D ie Argumente waren ausgetauscht, beide Seiten empfanden Unbeha- gen, als Monika Maria Clouth das Wort ergriff und dem Bürgergespräch im Kölner Stadtteil Kalk eine überraschende Wende gab. Vertreter der Stadt hatten zu- vor erklärt, warum gerade hier 70 Asylbe- werber untergebracht werden sollen. Und manche Anwohner hatten protestiert: Kalk habe genügend eigene Probleme. Clouth aber stellte eine einfache, eine praktische Frage: "Was brauchen die Leute?" Clouth, 44, Projektmanagerin, erzählt,· derAbend im Bürgerhaus habe ihr die Au- gen geöffnet. Man dürfe nicht immer nur meckern und die Flüchtlinge ihrem Schick- sal überlassen, sagt sie, "Ich wollte ein Zei- chen setzen." Kurz nach dieser Sitzung im Sommer hat Clouth die Initiative "Miteinander Mensch sein" gegründet, um Asylbewer- bern die Ankunft in Kalk zu erleichtern. Sie kocht seither regelmäßig mit Flüchtlin- gen, sammelt Lebensmittel, Geschirr und Möbel für die neuen Nachbarn. Vor allem aber hört sie ihnen zu. Zwar beschäftige die Verwaltung eine Sozialarbeiterin in Kalk, doch diese müsse sich um mehrere Hundert Flüchtlinge kümmern, kritisiert Clouth. Am Mittwoch vergangener Woche kniet sie auf der Straße vor ihrer Wohnung und schraubt an einem von mehreren Fahr- rädern, die der Pfarrer aus der Nachbar- gemeinde für die Kinder im Flüchtlings- 'heim aufgetrieben hat. Drei Männer aus Syrien helfen ihr dabei. Clouth gestikuliert, ein Freund übersetzt für sie, denn wer , weiß schon, was Luftpumpe auf Arabisch heißt? ' Das Verhältnis zwischen den Anwohnern von Kalk und den Neuankömmlingen hat sich dank Clouths Einsatz verbessert. Meh- rere Dutzend Bürger engagieren sich inzwi- schen in ihrer Initiative. Ein Journalist aus Syrien, der lange Zeit für die Deutsche Wel- le gearbeitet hat, hilft den Flüchtlingen beim Übersetzen und Ausfüllen von Formularen. Der Hausmeister von gegenüber schwärmt: "Die neuen Nachbarn sind tipptopp." Die Kriege und Krisen im Nahen Osten und in afrikanischen Ländern haben dazu geführt, dass zurzeit so viele Menschen auf der Flucht sind wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. In Deutschland wer- den 2014 zum ersten Mal seit den Neunzi- gerjahren rund 200000 Menschen Asyl be- antragen. Gegen die Aufnahme von Flüchtlingen gibt es in Deutschland vielerorts Wider- stand, der je nach Ortschaft von Protest- briefen an die Politik bis zu rechten Kra- wallen reicht. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und die Amadeu Antonio Stif- tung haben von Januar bis September 2014 fast 200 Demonstrationen gegen Asylbe- werberheime gezählt und 50 gewalttätige Angriffe, davon 23 Brandanschläge. Fotos von Wachleuten, die in Burbach Flüchtlin- ge misshandelten, gingen um die Welt; sie ließen das Bild vom hässlichen Deutschen wieder aufleben. Doch es gibt auch die anderen, zu Tau- senden. Die Freiwilligen bügeln die Fehler der Politik aus. Sie packen an, statt zu jam- mern. Vom Schüler bis zum Rentner, quer durch die Republik. Ob aus christlicher Nächstenliebe, politischer Gesinnung, Mit- leid oder weil im eigenen Viertel Chaos herrscht. Berlin: Was fehlt, ist rot markiert Rainer Sbrzesny ist die Anspannung der vergangenen Wochen anzumerken. Die Ringe unter den Augen, der Kontrollblick aufs Handy, das hohe Tempo beim Reden. Der Berliner Jurist hat 34 Flüchtlinge im Studienhaus der Evangelischen Gemeinde am Weinberg in Berlin-Mitte unterge- bracht, wo er selbst den Kirchenrat leitet. Die Männer waren vor zwei Jahren ge- meinsam mit weiteren Demonstranten aus verschiedenen Bundesländern nach Berlin marschiert. Sie zelteten am Brandenburger Tor' und besetzten den Oranienplatz in Kreuzberg, um gegen die Bedingungen für Asylbewerber in Deutschland zu protes- tieren, gegen die Unferbringung in Lagern und das Verbot zu arbeiten oder den Land- kreis zu verlassen. Ihr Protest löste eine Debatte über das deutsche Asylsystem aus. Der Berliner Se- nat versprach, den Gefluchteten zu helfen, bereitete hinter den Kulissen jedoch, ihre Abschiebung vor. Einige Betroffene fan- den Zuflucht in Kirchen. Für Rainer Sbrzesny ist die Situation da- ;; durch doppelt kompliziert. Er koordiniert ~ die Hilfe vieler Freiwilliger aus der Evan- ~ gelischen Gemeinde. Aber er kann und ~ will den Schutzsuchenden nichts Falsches ~ versprechen oder Hoffnungen wecken, die : er nicht erfüllen kann. d Stattdessenlöst er praktische Probleme. ~ Er zahlt mithilfe von Spenden den Geflüch- * teten fünf Euro Taschengeld am Tag. Jeden ! Morgen um 9 Uhr öffnet sich die Tür zugv ~ Konvikt, dann werden Kisten mit Kleide. .. _ :;i und Essensspenden reingeschoben. Auf S der Website der Gemeinde ist eine Art Dis",,3 patcher-Liste verlinkt wie bei einem Lo 30 DER SPIEGEL 4312014

Spiegel 43/2014 über Willkommenskultur

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Warum schreiben linke Zeitungen solche gut recherchierten Artikel nicht? Dabei könnten hier noch eine Reihe von Willkommensinitiative aus Brandenburg angefügt werden: Hoyerswerda, Berlin-Westend, Berlin-Buch und nicht zuletzt Wandlitz und viele andere mehr. Die Essenz: die Gegner der Flüchtlinge sind die Bevölkerung-Minderheit. Und das Kunststück besteht darin, die Mehrheit zur Artikulation und zum vernetzten Arbeiten zu bewegen.

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Page 1: Spiegel 43/2014 über Willkommenskultur

Anpacken statt jammernFlüchtlinge Tausende Freiwillige bügeln die Fehler der Politik aus. Ob Ärzte, Lehrer oder'Rentner: Sie schaffen, was der Staat nur verspricht - eine Willkommenskultur.

Die Argumente waren ausgetauscht,beide Seiten empfanden Unbeha-gen, als Monika Maria Clouth das

Wort ergriff und dem Bürgergespräch imKölner Stadtteil Kalk eine überraschendeWende gab. Vertreter der Stadt hatten zu-vor erklärt, warum gerade hier 70 Asylbe-werber untergebracht werden sollen. Undmanche Anwohner hatten protestiert: Kalkhabe genügend eigene Probleme. Clouthaber stellte eine einfache, eine praktischeFrage: "Was brauchen die Leute?"

Clouth, 44, Projektmanagerin, erzählt,·derAbend im Bürgerhaus habe ihr die Au-gen geöffnet. Man dürfe nicht immer nurmeckern und die Flüchtlinge ihrem Schick-sal überlassen, sagt sie, "Ich wollte ein Zei-chen setzen."

Kurz nach dieser Sitzung im Sommerhat Clouth die Initiative "MiteinanderMensch sein" gegründet, um Asylbewer-bern die Ankunft in Kalk zu erleichtern.Sie kocht seither regelmäßig mit Flüchtlin-gen, sammelt Lebensmittel, Geschirr undMöbel für die neuen Nachbarn. Vor allemaber hört sie ihnen zu. Zwar beschäftigedie Verwaltung eine Sozialarbeiterin inKalk, doch diese müsse sich um mehrereHundert Flüchtlinge kümmern, kritisiertClouth.

Am Mittwoch vergangener Woche knietsie auf der Straße vor ihrer Wohnung undschraubt an einem von mehreren Fahr-rädern, die der Pfarrer aus der Nachbar-gemeinde für die Kinder im Flüchtlings-

'heim aufgetrieben hat. Drei Männer ausSyrien helfen ihr dabei. Clouth gestikuliert,ein Freund übersetzt für sie, denn wer

, weiß schon, was Luftpumpe auf Arabischheißt? '

Das Verhältnis zwischen den Anwohnernvon Kalk und den Neuankömmlingen hatsich dank Clouths Einsatz verbessert. Meh-rere Dutzend Bürger engagieren sich inzwi-schen in ihrer Initiative. Ein Journalist ausSyrien, der lange Zeit für die Deutsche Wel-le gearbeitet hat, hilft den Flüchtlingen beimÜbersetzen und Ausfüllen von Formularen.Der Hausmeister von gegenüber schwärmt:"Die neuen Nachbarn sind tipptopp."

Die Kriege und Krisen im Nahen Ostenund in afrikanischen Ländern haben dazugeführt, dass zurzeit so viele Menschenauf der Flucht sind wie seit dem ZweitenWeltkrieg nicht mehr. In Deutschland wer-den 2014 zum ersten Mal seit den Neunzi-gerjahren rund 200000 Menschen Asyl be-antragen.

Gegen die Aufnahme von Flüchtlingengibt es in Deutschland vielerorts Wider-stand, der je nach Ortschaft von Protest-briefen an die Politik bis zu rechten Kra-wallen reicht. Die FlüchtlingsorganisationPro Asyl und die Amadeu Antonio Stif-tung haben von Januar bis September 2014fast 200 Demonstrationen gegen Asylbe-werberheime gezählt und 50 gewalttätigeAngriffe, davon 23 Brandanschläge. Fotosvon Wachleuten, die in Burbach Flüchtlin-ge misshandelten, gingen um die Welt; sieließen das Bild vom hässlichen Deutschenwieder aufleben.

Doch es gibt auch die anderen, zu Tau-senden. Die Freiwilligen bügeln die Fehlerder Politik aus. Sie packen an, statt zu jam-mern. Vom Schüler bis zum Rentner, querdurch die Republik. Ob aus christlicherNächstenliebe, politischer Gesinnung, Mit-leid oder weil im eigenen Viertel Chaosherrscht.

Berlin: Was fehlt, ist rot markiertRainer Sbrzesny ist die Anspannung dervergangenen Wochen anzumerken. DieRinge unter den Augen, der Kontrollblickaufs Handy, das hohe Tempo beim Reden.Der Berliner Jurist hat 34 Flüchtlinge imStudienhaus der Evangelischen Gemeindeam Weinberg in Berlin-Mitte unterge-bracht, wo er selbst den Kirchenrat leitet.

Die Männer waren vor zwei Jahren ge-meinsam mit weiteren Demonstranten ausverschiedenen Bundesländern nach Berlinmarschiert. Sie zelteten am BrandenburgerTor' und besetzten den Oranienplatz inKreuzberg, um gegen die Bedingungen fürAsylbewerber in Deutschland zu protes-tieren, gegen die Unferbringung in Lagernund das Verbot zu arbeiten oder den Land-kreis zu verlassen.

Ihr Protest löste eine Debatte über dasdeutsche Asylsystem aus. Der Berliner Se-nat versprach, den Gefluchteten zu helfen,bereitete hinter den Kulissen jedoch, ihreAbschiebung vor. Einige Betroffene fan-den Zuflucht in Kirchen.

Für Rainer Sbrzesny ist die Situation da- ;;;durch doppelt kompliziert. Er koordiniert ~die Hilfe vieler Freiwilliger aus der Evan- ~gelischen Gemeinde. Aber er kann und ~will den Schutzsuchenden nichts Falsches ~versprechen oder Hoffnungen wecken, die :er nicht erfüllen kann. d

Stattdessenlöst er praktische Probleme. ~Er zahlt mithilfe von Spenden den Geflüch- *teten fünf Euro Taschengeld am Tag. Jeden !Morgen um 9 Uhr öffnet sich die Tür zugv ~.Konvikt, dann werden Kisten mit Kleide. .._ :;iund Essensspenden reingeschoben. Auf Sder Website der Gemeinde ist eine Art Dis",,3~patcher-Liste verlinkt wie bei einem Lo

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Deutschland

'e:-- gistikunternehmen: Was fehlt, ist rot mar-kiert. Schwarz heißt erledigt. SbrzesnysUnterstütz er arbeiten in drei Schichtenund sind mit' einem Notfalltelefon ausge-stattet.

Flucht, Vertreibung, Migration aus Notoder Hoffnung sind auch im satten und si-cheren Deutschland noch immer Teil deskollektiven Gedächtnisses. Die Kinder desZweiten Weltkriegs sind jetzt im Renten-aIter, in vielen deutschen Familien gehörenihre Geschichten und Traumata zum Erbe.Der hohe Anteil von Rentnern unter denHelfern hat nicht nur damit zu tun, dasssie mehr Zeit haben: Sie haben direkt oderindirekt selbst die Erfahrung gemacht, wases bedeutet, um eine Tasse Milch oder war-me Schuhe zu betteln. Sie wissen, warumdas Recht auf Asyl ins Grundgesetz -ge-schrieben wurde. Und jene Partei, die heu-te gern vor einem vermeintlichen Asyl-missbrauch warnt, warb nach dem Kriegnoch mit folgendem Slogan: "Helft denFlüchtlingen. Wählt CDU."

Die Bundesregierung und die Länderhaben es versäumt, Unterkünfte für dieFlüchtlinge bereitzustellen. Im Eilverfah-ren werden nun Menschen in Containergepfercht und in Militärbaracken. In etli-chen Heimen herrscht Chaos.

Sbrzesny sagt, der Einsatz für' Flüchtlin-ge sei ein Gebot der Nächstenliebe: "Men-schen in Not brauchen erste Hilfe, ein Ob-dach." So einfach ist das. Und so schwer.

München: Sprechstunde am FeierabendMichael Osang steuert seinen Geländewa-gen durch das Tor der Münchner Bayern-kaserne. Der Kinderarzt parkt vor dem,Pförtnerhaus des Erstaufnahmelagers fürFlüchtlinge, bahnt sich den Weg durch ei-nen Pulk von Menschen in Richtung Be-handlungszimmer. Kinder schreien, Frau-en wiegen Babys im Arm.

Bereits im Sommer 2013 warnten So-zialarbeiter der Inneren Mission Mün-chen die bayerische Staatsregierung voreiner Überfüllung des Lagers. Flüchtlingewurden in Garagen und Werkstätten aufdem Gelände untergebracht. Diesen Mo-nat schließlich brach der Betrieb in derBayernkaserne zusammen. Eine Einrich-tung, die für 1300 Asylsuchende geplantwar, musste 2500 beherbergen. EtlicheFlüchtlinge waren gezwungen, im Freienzu -schlafen - manche ohne Decke. Mün-chens Oberbürgermeister Dieter Reiter(SPD) sprach von "menschenunwürdigenBedingungen". Seither gilt die Bayernka-serne als Symbol für das Versagen derdeutschen, Politik im Umgang mit Flücht-lingen.

; Der Raum, in dem Osang seit fünf Mo-•....naten Kinder behandelt, ist Untersuchungs-: zimmer und Vorratslager zugleich. Unter.einem Tisch stehen Kartons mit Socken,.Strarnplern, Decken. Daneben stapeln sich

Schachteln mit Milchpulver und Babybrei.Spenden von Bekannten.

Ein junger Mann aus Afghanistan betrittdas Zimmer. Er hat ein Baby auf dem Arm."War das Kind schon einmal beim Arzt?",fragt Osang. "Ja, vor fünf Monaten", sagtder Vater. "Seitdem sind wir auf derFlucht." Osang impft den Jungen gegenTetanus, Kinderlähmung, Keuchhusten."Ich versuche, den Kindern eine angemes-sene Vorsorge zu bieten", sagt er. "Abermeist bleibt nur Zeit für das Nötigste."

Der Mediziner, der für die FDP im Be-zirksausschuss Schwabing-Freimann sitzt,hatte im Winter erstmals von den drama-tischen Zuständen im Lager gehört. ImMai besuchte er die Kaserne - und war er-schüttert: überfüllte Zimmer, 30 Menschen

und mehr, Stockbetten, kein Raum für Pri-vatsphäre. Er fragte die Flüchtlinge, wersich um die Kinder kümmere. Sie antwor-teten: niemand.

Osang telefonierte mit der Verwaltungund bekam einen Raum zugesagt, zwarnur mündlich, aber immerhin. Drei Tage.später kaufte er einen großen Rollkoffer,packte Stethoskop, Spatel, Ohrtrichter ein,nahm eine Babywaage und Medikamente_aus seinem Vorratsschrank, Impfstoff. Erorganisierte ein gebrauchtes Ultraschallge-rät. Und fuhr mit einer Arzthelferin in dieBayernkaserne. Am ersten Abend behan-delte er zehn Familien.

Seitdem ist er viermal die Woche dort -in der Mittagspause, am Feierabend. DieSchlange vor seinem Behandlungszimmer

DERSPIEGEL43/2014 31

Dr. Christiane Strerath sorgt dafür, dass gute Ideen nichtunter den Tisch fallen - sondern haften bleiben. Als Post-it"Erfinder hat 3M gerne die Probleme von Kunden auf demZettel. Noch lieber haben wir aber die passende Lösungparat Darum können unsere Forscher und Entwickler15% ihrer Arbeitszeit frei nutzen - egal wie. Wichtig ist,was dabei rauskommt: bisher über 25.000 Patente .

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wird immer länger, teilweise stehen jetztbis zu 100 Familien vor seiner Tür.

An diesem Abend wird Osang 32 Kinderbehandeln, sie haben Erkältungen, Krätze,Herpes, sie kommen aus Eritrea, Syrien,Ghana. Osang versucht immer wieder, aufEnglisch mit den Eltern zu reden. Wenndas nicht klappt, öffnet er den Google-Übersetzer, gibt "Impfung" oder "Apothe-ke" ein, lässt es auf Arabisch übersetzen.

Ein Vater erzählt ihm, wie schlimm sieuntergebracht seien, mit 100 Leuten in ei-nem Raum. Ein anderer Vater fragt nachWindeln. "Die gibt es bei der Essensaus-gabe" , sagt Osang. Und Babybrei? "Auchdort. Aber Moment." Er kramt in einemKarton und reicht sechs Gläser "Früchte-allerlei mit Vollkorn", für die ersten Tage."Mehr kann ich leider nicht tun", sagtOsang.

Die Not der Flüchtlinge in der Bayern-kaserne hat eine große Spendenbereit-schaft bei den Münchner Bürgern ausge-löst. Kleider, Decken, Spielsachen werdenzur Inneren Mission gebracht und müssensortiert werden. Eine Gruppe Ehrenamtli-cher organisiert Eintrittskarten für Fußball-spiele, Theater und Musikabende.

Günther Bauer, Vorstand der InnerenMission München, sagt, die Politiker hättenes. vertrödelt, Hilfskräfte einzustellen.Ohne die Arbeit von Ehrenamtlichen wäredie Versorgung der Flüchtlinge längst voll-ends kollabiert.

Kriftel: Am Anfang ist das WortMan muss sich nur einmal überwinden,dachte Barbara Tambour, 44, als sie EndeAugust auf dem Weg nach Hause an derneuen Flüchtlingsunterkunft im hessischenKriftel vorbeikam. Die ersten Bewohnerwaren dort gerade eingezogen. "Ich habein unserem Garten eine Sonnenblume ab-geschnitten, bin damit zurückgekommenund habe an der Tür geklopft", sagt sie.

Zakariye Mohamed Ahmed war über-rascht. "Das haben wir noch nicht erlebt",

sagt der zs-jährige Somalier. Kriftel, einekleine Gemeinde bei Frankfurt am Main,ist für ihn und seine Familie bereits das vier-te Flüchtlingsheim in Deutschland; bisherhatte er nur mit Beamten und Sozialarbei-tern zu tun. Nachbarn, gewöhnliche Bürgerhaben noch nie das Wort an ihn gerichtet.

Barbara Tambour organisierte eine Heb-amme für Ahmeds hochschwangere Frauund einen Rollkoffer für den Aufenthaltin der Entbindungsstation. Nach der Ge-burt einer Tochter half sie im Umgang mitdem örtlichen Standesamt, das den Vor-namen Zakaria nicht akzeptieren wollte.

"Willkommen in Kriftel" nennen Tam-bour und die anderen Helfer ihre infor-melle Unterstützergruppe. Ein "TeamSprache" gibt mehrmals pro WocheDeutschunterricht, das "Team Fahrten undBegleitung" organisiert den Transport zuÄrzten und Behörden - oder auch zu einerehrenamtlichen Tafel im Nachbarort. "Un-ser Ziel ist, jeden Flüchtling, der hier an-kommt, persönlich zu begrüßen und ihmdas Gefühl zu geben, dass er willkommenist", sagt Tambour.

Doch nicht überall werden die Helferfür ihr Engagement geschätzt. In manchenGegenden schlägt Menschen, die sich fürAsylsuchende einsetzen, Ablehnung ent-gegen, manchmal Hass.

Rausch bestreitet nicht, aus finanziellerNot auf die Ausschreibung des Landkreisesreagiert zu haben. Seinem Hotel fehltenseit einiger Zeit die Gäste. Doch sein En-gagement für Flüchtlinge, das bestätigenOrganisationen vor Ort, ist vorbildlich.

Rausch tut weit mehr für die Asylbewer-ber als von der Regierung vorgegeben. Erbegleitet die Flüchtlinge auf Ämter undzum Arzt, erledigt Papierkram, schlichtetbei Streitigkeiten. In der Lobby des Hotelshängt eine mehrsprachige Einladung fürFührungen im Stadtmuseum aus. Jede Wo-che unterrichten Bürger von der Initiative.Bautzen bleibt bunt" in einem Konferenz-raum des Hotels Flüchtlinge in Deutsch.

Manja Richter, 32, Sozialarbeiterin aneiner Realschule, hat die Initiative vor ei-nemJahr gegründet. Sie sagt, sie sei ent-setzt über die Proteste der Bürger gegendie rieuen Einwohner. Im Sommer hättensich beinahe jeden Tag Neonazis vor demHotel zusammengerottet. Sie brüllten: "IhrDrecksasylanten! Wir schneiden euch denKopf ab!" Hassbriefe an sie seien mit "HeilHitler" unterzeichnet gewesen.

Im September hat Richter gemeinsammit Hotelier Rausch ein Willkommensfestfür die Asylbewerber im Spreehotel aus-gerichtet. Die Flüchtlinge kochten Gerichteaus ihren Heimatländern, Bautzener Bür- ;ger brachten Kuchen und Kartoffelsalat @mit. Sorbische Rapper traten auf, der Ober- :bürgermeister hielt eine Rede. Manja Rich- ~ter hat trotzdem nicht öffentlich für das ~Fest geworben. Sie hatte Angst, Neonazis !könnten die Gäste überfallen. ~

Ihr Engagement setzt sie trotz der An- dfeindungen fort. Inzwischen hat ihre Ini- @tiative rund drei Dutzend Mitglieder. "Die eiFlüchtlinge sollen das Gefühl haben, dass ~sie in Bautzen erwünscht sind", sagt Rich- ~ter, "dass die Rechten nicht für die Mehr-liheit der Menschen in der Stadt sprechen. "''!l

Matthias Bartseh, Markus Deggerich; ~Conny Neumann, Christopher Piltz, ~Maximilian Popp, Barbara Schmid ~

Bautzen: Hilfe beim PapierkramPeter Rausch, 56, erzählt, er werde in Baut-zen auf der Straße von Fremden angepö-belt, Passanten spuckten vor ihm auf denBoden, zeigten ihm den Mittelfinger, inmehreren Läden sei ihm Hausverbot erteiltworden.

Rausch hat sein "Spreehotel" am Randder sächsischen Stadt für Flüchtlinge ge-öffnet. 150 Asylbewerber leben dort. Zweibis drei Menschen teilen sich ein Zimmer.Rausch erhält vom Landkreis für jeden Be-wohner 13 Euro am Tag. Der Hotelier habeFremde angeschleppt, um Geld zu verdienen,so sehen es manche Bürger in Bautzen.

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