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(Aus dem Unfallkrankenhaus Wien. [Loiter: Primarius Dr. Lorenz B6hler.]) Spontanruptur des langen Bicepskopfes. Von -t.o9 Dr. ]~Iax Sl~mund. (Einqegangen am 26. Januar 1930.) Ia Bruns Beitrag Band 147 (1929) wurde ein F~ll einer operativ behan- delten Ruptur des langen Bicepskopfes beschrieben und wegen der Seltenheit dieser Verletzung als Unfallsfolge erscheint eine kurze Erw~hnung eines weiteren Falles gerechtfertigt. Im hies{gen Untallkrankenh~us wurde innerhalb des 4j~hrigen Bestandes mit Ausnahme einer doppelseiCigcn, langsam eingetretenen Spontanruptur bei einem /~lteren Mann, die als Nebenbefund erhoben wurde, erst kiirzlich der erste Fall beobachtet und operiert. Krankengeschiehte. Der 68j~hrige F.T., friiher Schuhmacher, jetzt H.A., der anamnestisch bereits seit seinem 19. Lebensjahr an 5Iuskelrheumatismus, besonders im linken Schultergelenk, leidet, wollte am 4.10.29 beim Streichen eincr auf Schienen laufenden, etwa 100 kg schweren Aufzugsfiihrung, deren Umkippen mit gebeugtem, leicht supiniertem rechten Unterarm vcrhiiten; dabei spfirte er pl6tzlich im rechten Oberarm im Bereieh des Bicepsbauches einen heftigen Schmerz un4 hatte gleiehzei~ig da,s Gefilhl, als ob Strieke im A_rra abreil]en und in der Richtung gegen den Unterarm schnellen wiirden. Am N~chmit~ag des 4. 10.29 bemerkte Patient, der weitergearbeitet hat.re, im Bereich clef rechten Oberarmmitte eine bauchige, kugelige MuskelvorwSlbung, die ihm aber keine son4erlichen Beschwerden ~rer.. ursachte. Er bekam bei gewissen Bewegungen nut 6fters ein krampfartiges Gefiihl. Am 7.10. suchte er den Kassenarzt auf, der ihn darm am 12.10. ins Unfallkranken.haus /iber- wies. Als Befund wurde erhoben: bei herabh~ngendem Oberarm ein schlaffer Wulst im distalen Drittel, der bei Beugung und Supination des Unterarmes sti~rker hervortritt. Schmerzen im Schulter und Handgelenk. kein BluterguB, kraftlose, langsame ]:leugung bei Supination des Vorderarmes, bei supiniertem gestrecktem Unterarm ist je4e Arbeits- leistung der Extremitat aufgehoben. ROntgenologisch sieht man rosenkranzartige Atff- lagerungcn an beiden Oristae tuberculi maj. et rain. Deutlich sichtbare arthritische Zacken im Acromioklaviculargelenk. Die am 14. 10. vorgenommene Operation zeig~ naeh Durch- trennung der Fascie die zu einer Schlinge aufgerollt.e Bicepssehne yon einem diianen HP~ut- chen bedeckt. Das En4e ist so abgeschlow als ob sehon eine alte Narbe vorhanden ws 1gach Abtrennung eines etwa 3 cm langen Stiickes, welches normalerweise noch dureh das Gelenk zieht, wird der dist~le Sehnenstumpf bei gebeugtem Ellbogen an das o.bere Ende des kurzen Bicepskopfes und Coracobrachialis angenaht (Primarius Dr. BShler). Weiterbehandlung: Abductionsschiene, aktive Bewegungsiibungen, Diathermie. Am 18. 1.30 wurde Patient auf eigenes Verlangen in :Lrbeit entlassen. Endbefund wie folgt: Druckschmerzhaftigkeit im Sulcus intertubercularis, noch leichte kugelige Fore des Biceps- bauches und bedeutend schlaffere Kontraktion gegeniiber links. ]3ewegungen im Schulter- gelenk bis auf leiehte Einschr/~nkung der Armhebung in den letzten Phasen aktiv frei. Bei Beugung, speziell in Supinationsstellung, bekomznt Patient jedesmal krampfartige

Spontanruptur des langen Bicepskopfes

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Page 1: Spontanruptur des langen Bicepskopfes

(Aus dem Unfallkrankenhaus Wien. [Loiter: Primarius Dr. Lorenz B6hler.])

Spontanruptur des langen Bicepskopfes. Von

-t.o9 Dr. ]~Iax Sl~mund.

(Einqegangen am 26. Januar 1930.)

I a Bruns Beitrag Band 147 (1929) wurde ein F~ll einer operat iv behan- del ten R u p t u r des langen Bicepskopfes beschrieben und wegen der Sel tenheit dieser Verletzung als Unfallsfolge erscheint eine kurze Erw~hnung eines weiteren Falles gerechtfertigt. I m hies{gen Unta l lkrankenh~us wurde innerha lb des 4j~hrigen Bestandes mit Ausnahme einer doppelseiCigcn, langsam eingetre tenen Spon tan rup tu r bei einem /~lteren Mann, die als Nebenbefund erhoben wurde, erst kiirzlich der erste Fal l beobachtet und operiert.

K r a n k e n g e s c h i e h t e .

Der 68j~hrige F.T., friiher Schuhmacher, jetzt H.A., der anamnestisch bereits seit seinem 19. Lebensjahr an 5Iuskelrheumatismus, besonders im linken Schultergelenk, leidet, wollte am 4.10.29 beim Streichen eincr auf Schienen laufenden, etwa 100 kg schweren Aufzugsfiihrung, deren Umkippen mit gebeugtem, leicht supiniertem rechten Unterarm vcrhiiten; dabei spfirte er pl6tzlich im rechten Oberarm im Bereieh des Bicepsbauches einen heftigen Schmerz un4 hatte gleiehzei~ig da,s Gefilhl, als ob Strieke im A_rra abreil]en und in der Richtung gegen den Unterarm schnellen wiirden. Am N~chmit~ag des 4. 10.29 bemerkte Patient, der weitergearbeitet hat.re, im Bereich clef rechten Oberarmmitte eine bauchige, kugelige MuskelvorwSlbung, die ihm aber keine son4erlichen Beschwerden ~rer.. ursachte. Er bekam bei gewissen Bewegungen nut 6fters ein krampfartiges Gefiihl. Am 7.10. suchte er den Kassenarzt auf, der ihn darm am 12.10. ins Unfallkranken.haus /iber- wies. Als Befund wurde erhoben: bei herabh~ngendem Oberarm ein schlaffer Wulst im distalen Drittel, der bei Beugung und Supination des Unterarmes sti~rker hervortritt. Schmerzen im Schulter und Handgelenk. kein BluterguB, kraftlose, langsame ]:leugung bei Supination des Vorderarmes, bei supiniertem gestrecktem Unterarm ist je4e Arbeits- leistung der Extremitat aufgehoben. ROntgenologisch sieht man rosenkranzartige Atff- lagerungcn an beiden Oristae tuberculi maj. et rain. Deutlich sichtbare arthritische Zacken im Acromioklaviculargelenk. Die am 14. 10. vorgenommene Operation zeig~ naeh Durch- trennung der Fascie die zu einer Schlinge aufgerollt.e Bicepssehne yon einem diianen HP~ut- chen bedeckt. Das En4e ist so abgeschlow als ob sehon eine alte Narbe vorhanden ws 1gach Abtrennung eines etwa 3 cm langen Stiickes, welches normalerweise noch dureh das Gelenk zieht, wird der dist~le Sehnenstumpf bei gebeugtem Ellbogen an das o.bere Ende des kurzen Bicepskopfes und Coracobrachialis angenaht (Primarius Dr. BShler). Weiterbehandlung: Abductionsschiene, aktive Bewegungsiibungen, Diathermie. Am 18. 1.30 wurde Patient auf eigenes Verlangen in :Lrbeit entlassen. Endbefund wie folgt: Druckschmerzhaftigkeit im Sulcus intertubercularis, noch leichte kugelige Fore des Biceps- bauches und bedeutend schlaffere Kontraktion gegeniiber links. ]3ewegungen im Schulter- gelenk bis auf leiehte Einschr/~nkung der Armhebung in den letzten Phasen aktiv frei. Bei Beugung, speziell in Supinationsstellung, bekomznt Patient jedesmal krampfartige

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542 Max Sigmund:

Sehmerzen im Bieepsb.r die nine sts Kraftentfaltung verhlndern. Kraft der :Beugung im rechten L'nterarm verh~ltnism~Big gut, aber in Supinationsstelhmg bedeutend verlang- saint. Bei gestrccktem und supiniertem Unt.er,~rm vermag Patient 2--3 kg, JaOchstens bis zu 500 zu heben. Ein geiben im Schultergelenk bei akgiven und passiven ]3ewcgtmgen besteht genau so win bei der Aufnahme amch jetzt. Schmerzen im gadioulnargelenk, Ell- bogengelenk mad Schulterge[enk rheum~isch arthritischer Art. Ijn~allreitte ftir 1/o gahr 250,/0 . ffir ein weiteres Jahr 100/0.

3Ieist kommV es wohl zu einem AbriB im Sulcus intertubercularis und nicht zu einem direkten AusriB, letzterer erfolgt scheinbar nut in jugendlichem Alter, deml Sch i i l l e r schreibt: ,,Ein besonderer kleiner Knocheltkern ent- wickelt sich aa d.er Ursprungsstelle des langen Bicepskopfes, oberhalb der Cavitas glenoidalis. Bei foreierter Beugung katm derselbe dureh die Ursprungs- sehne des Caput longum bicipit, abgerissen werden, wobei die Gelenkh6hle erbffnet wird." Der Anatomic des langen Bicepskopfes w~re noch hinzuzufiigen, dab die innerhalb der Schultergelenkskapsel verlaufende Sehne an ihrem Austrit t in einer 2--5 cm langen Seheide (Vagina mucos~ intertub.), die gesehlossen endet und auf die Sehne iiberspringt, verl~uft. Nun sind gerade Schleimbeutel und Sehnenseheiden arthritischen Erkrankungert besonders ausgesetzt.

]!'unktionell erscheint als Hauptbeuger und Supinator das Caput breve, whhrend das Caput longmn neben dieser Funktion infolge seiner Zweigelenkig- keit auch ein bedeutender Synergist der Armtaeber ist.

-~_tiologisch sind diese sot. spontaner~ Sehnenrupturen des langen Biceps- kopfes den patho]ogisehen Knoehenfrakturen vergleichbar, genau so wie im Alter dutch Stoffwechselveritnderungen die Knoehen sprbde werden, geschieht es auch mit den Sehnen, am h/~ufigsten mit der langen Bicepssehne, direkt oder indirekt, in der Hauptsache durch Alterserkr~nkungen, win Gefb,[3degeneration oder arthritische Prozesse. Aber aueh Tabes, Syringomyelie tutd 5hnliche Erkrankungen vermbgen einen abnormen Zustand der Sehne herbeizufilhren. DaB nieht der Unfall als solcher das aussehlaggebende ist, beweist, dab die Gewalteinwirkung meist in keinem Verhbltnis zur annehmbaren Festigkeit der Sehne steht. Tgtigkeiten, win Werfen nines tteuseiles, Tragen oder Auf- laden geringer Lasten, irgendeine Supinationsabwehrbewegung ftihrell bei ~lteren :Lenten zwisehen dem 4:0. bis 70. Lebel~sjahr, seltener bei solchen im 3. Lebens- jahrzchnt zur Sehnenzel~eiBung. Si~mtliche Patienten zeigen sehon ktirzere oder l~ngere Zeit nachweisbare arthri t ische Verb~ndertmgen mit wechselnden Be- schwerden. In gewisscr Hinsicht charakteristisch ist auch, dab die wenigsten der Patienten sofort nach dem Unfall den Arzt aufsuehen, sondern moist erst nach einigen Tagen oder noch spgter. Anamnestisch stehen die arthritisch- rheumatisehen Beschwerden im Vordergrund.

Die :Diagnose ist abgesehen yon den beschwerdefrei verlaufenden, lang- samen Sehnendurchseheuerungen, die oft rmr als Nebenbefund erhoben werden, durch das Abweichen des sehlaffen, kugekigen 5{uskclbauches von tier N-ormal- late gegen die Ellbeuge, das in :Knguelform manehmal durehtastbare, abge- rissene Sehnenende und durch das H u e t e r s e h e Zeichen: Herabsetzung der Beugungsfb~higkei~ des Unterarmes bei Supination und Alffhebung der Arbeits- leistung bei gestrecktem, supiniertem Arm, meist sichergestellt. Genauere diagnostische Details l~ssen sich allerdings erst durch die operative Inspektion feststellen.

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Spontanruptur des langen Bieepskopfes. 543

l~Sntgenologiseh lassen sieh in den meisten Fhllen an dem in st~rkster Aul]enrotation attfgenommenen Htuneruskopf am Sulcus intertubereularis resp. an der~ Cristae tuberculi maj. e~ min. versehiedenartig gestaltete Auflagerungen, eventuell aueh eine Attfhellung der Kopfkappe feststellen, oft aber ist ein ent- fernteres Gelenk wie das Aeromioctavikulargelenk starker arthritiseh ver- 5mdert. Aber selbst bei r6ntgenologiseh negativen F~llen 15,13t sieh kliniseh fast immer arthritisehes Reiben im Sehultergelenk nachweisen.

Als Therapie ist die Operation zu empfehlen, wenn sie auch nut in Aus- nahmsfi~tlen normale anatomisehe Verh~ltnisse herzustellen vermag, denn eine Gelenkser6ffnung bei sehon bestehenden arthritisehen Ver~nderungen sueht man zu vermeiden. Dureh Verpflanzung des distalen Sehnenstumpfes auf den kurzen Bieepskopf erreicht man flit den l~agen Kopf nut die Funktion, die der kurze leistet, also h6ehstens eine VerstS~rkung der kurzen Bieepskopfwirkung. Ob die Sehaffung eines neuen Insertionsptmktes dureh Fixation am unteren Ausgang des Suleus intertubereularis (wie sie bei langsamer Sehnendureh- seheuerung als Selbstheilung dutch Verwaehsung am Suleusbodea eintritt) in bezug auf die Bildung neuer arthritiseher Ver~nderungen weniger yon Vorteil ist, mag dahin gestellt bleiben~ jedenfalls muB aueh diese Methode auf die Herstellung der Zweigelenkigkeit der Sehne verziehten, wenn sie aueh den anatomisehen Verh~ltnissen am n'gehsten komm~. Auf keinen Fall d~rf zu fang &~uernde Fixation angewendet werden, wegen der Gefahr der Sehulter- eontraetur.

Prognostiseh kann jedenfalls dutch Operation eine gewisse Besserung erwartet werden, wean aueh die Arthritis als Grundiibel weiterhin besteht.

Ats Unfall wird die Spont~nruptur, sofern sie bei der Arbeit erfolgt, genau so gewertet werden mtissen, wie Spontanfrakturen, Distorsionen arthritisch vergnderte Gelenke usw. Die Aufrollung des abgerissenen Sehnenendes als unfallsmSBige ZerreiBung anzusehen oder dadurch extra- und intrakapsuI'&re l%isse uaterseheiden zu wollen, erseheint wenig stiehhaltig. Auffallend ist das Fehlea der langen Bieepssehnenverletzung bei Sportsleuten und als Unfall ist es aueh meist mehr ein ,,Verhebea". L i n n i g er hat in seiner Gutaehtert~tigkeit etwa 100 Sehnenrupturen meis~ der langert Bicepssehne gefunden, die gr6Bten- teils dem Patienten unbekamlt waren. Die Liste der Bieepsrupturen yon Loos bis 1902 um_faBt 66 Fglle, im weiteren IehI~ eine ~613ere Zusammenstelhmg yon F~tlen.

Jedenfalls kommt die Spontanrup~ur der langen Bieepssehne nut im h6heren Alter, bei arthritisehen Gelenksvergnderungen, meist bei gew6hnlicher Arbeit, ohne besonders auIfalleade Symptome und Besehwerden zu verursaehen, dureh eine geringfiigige Bieepsinnervation zustande.

L i t e r~ur . 1. Rosenburg: Zur Frage der Behandhmg und Entstehung der m~bcutanen Biceps-

sehnenruptur. Dtsch. Z. Chit. 174, H 5/6 (1922). - - 2. Ewald: BicepsriB und UnfMl. 5ifineh. med. Wschr. 1927, Nr 52, 2214. - - 3. Ledderhose: Rup~ur des Biceps brachii. Dtsch. Z. Chit. 101, 126 (1909}. - - 4. Linniger: Zur Frage des typ~sehen Bicepsrisses. Mschr. U~allheflk. 10/11 (1910). - - 5. S t o t z e: Klinik und Theraple der Bicepsrisse. Bruns' Beitr. 145, 513.