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Sprachenschutz

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„Sprachenschutz“

Konrad Ehlich (Berlin) 1. Der Ausdruck „Sprachenschutz“ ruft vielfältige und zweideutige Assoziationen auf. Einerseits benennt er einen Umgang mit Sprache, der Ausdruck von Sprachbewusstheit und Engagement ist; andererseits lässt er allzu leicht an Maßnahmen denken, die gerade mit Blick auf die Sprache, das Medium des freien Austauschs von Gedanken und der Kommunikation, am allerwenigsten am Platz sind. Ich verwende ihn daher in Anführungszeichen. 2. In Zeiten der vielfältigen Sprachbegegnungen – Zeiten also, in denen wir leben – ist es durchaus erforderlich, den sprachlichen Grundkonsens in der Gesellschaft explizit zu machen. Dieser Grundkonsens war beim Schaffen unseres Grundgesetzes so selbstverständlich, dass man darüber gar nicht weiter nachzudenken brauchte: Selbstverständlich war dieses Grundgesetz in deutscher Sprache geschrieben, und selbstverständlich ist dieses Grundgesetz bis heute auf deutsch gültig. Aber die sprachliche Situation ändert sich: Diskussionen über diese Sprache „Deutsch“, das Bewusstmachen ihres Stellenwertes für das Land, das explizite Formulieren ihrer Bedeutung, die Notwendigkeit für dies alles ergibt sich in einer Welt, in der die selbstverständlichen nationalsprachlichen Grenzen und die stillschweigenden Voraussetzungen, die damit verbunden sind, eben nicht mehr so stillschweigend gelten. Über diese Fragen muss ernsthaft nachgedacht werden. 3. Andere Fragen stellen sich beim Versuch, durch gesetzliche Bestimmungen die deutsche Sprache zu schützen – zu schützen vor wem? Davor zum Beispiel, dass Sprecher und Sprecherinnen der deutschen Sprache mit anderen Sprachen freundlich umgehen? Dass sie sich vielfältig bereichern lassen durch Ausdrücke aus anderen Sprachen? Darum kann es wohl kaum gehen. Freilich – man kann alles zur Absurdität treiben. Im 17. Jahrhundert finden sich deutsche Texte, die vor Gallizismen, vor Übernahmen aus dem damals modischen Französisch, nur so strotzen. Heute ist das Englische der Lieferant zur Befriedigung ähnlicher Bedürfnisse. Manche Sprecher und Sprecherinnen meinen, sie müssten ihre Weltläufigkeit durch solchen Sprachballast unter Beweis stellen. Derartige Selbstdarstellungen kann man durch ein Gesetz kaum verbieten. Es wird Menschen schwerlich daran hindern, sich einer eigenartigen, einer allzu oft am Rand des Lächerlichen tänzelnden Mischsprache zu bedienen. Mehr als ein Sprachenschutzgesetz hilft da vielleicht manchmal ein lautes Gelächter als Antwort. Derartiger Sprachmissbrauch sollte aber nicht dazu verleiten, ein wichtiges Merkmal der deutschen Sprache aufzugeben, die – wie Theodor W. Adorno es sagte – „Wörter aus der Fremde“ gern aufgenommen hat, um die eigenen Horizonte zu erweitern. Hier, wie so oft, liegt das Entscheidende im richtigen Maß. 4. Auch am französischen Beispiel sehen wir, dass gesetzliche Sprachschutz-Maßnahmen nur sehr bedingt greifen. Andere Aspekte sind für die Weiterentwicklung von Sprache, für ihren guten Gebrauch, für die Achtung der Sprecher und Sprecherinnen vor ihrer Sprache wichtiger. Sprachloyalität kann kaum durch Gesetze erzwungen werden.

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Sprachloyalität bildet sich durch die Attraktivität der Sprache selbst aus. Dass Deutsch eine solche attraktive Sprache ist, zeigt nicht nur ihr Gebrauch in vielfältigen ästhetischen und praktischen Zusammenhängen; das zeigen vielmehr auch die vielen Menschen in aller Welt, die diese Sprache lernen, die sie zu einem Gegenstand intensiver Beschäftigung machen und die sie gerne nutzen. Weltweit wird das Deutsche gelernt und vermittelt, also als etwas Attraktives wahrgenommen. 5. Sprachloyalität bildet sich vor allem aus durch die Sprachsensibilität der Sprechenden. Hier waren manche überrascht, wie groß diese Sprachsensibilität tatsächlich ist, wie sensibel und voller Sympathie für ihre Sprache Bürger und Bürgerinnen dieses Landes (und anderer Länder, die das Deutsche als Sprache nutzen) reagieren, wenn zum Beispiel plötzlich, wie im Zusammenhang der Rechtschreibdiskussion geschehen, Veränderungen ins Werk gesetzt werden sollten, die die breite Masse der Schreibenden berühren. Wie stark diese Reaktionen waren und sind, hat wohl selbst die Initiatoren der Veränderungen überrascht. Sprachsensibilität besteht vielfältig; sie besteht auch an unerwarteten Stellen, zum Beispiel in der Jugendsprache: Da gehen junge Menschen produktiv, kreativ und spielerisch mit Sprache um – und strafen die allgemeinen Verfallsszenarien Lügen. 6. Sprachloyalität kann sich durch öffentliche Aufmerksamkeit ausbilden. Hier hatten wir in der Bundesrepublik lange Jahre ein Defizit. Wie intensiv geht zum Beispiel die Presse, gehen Fernsehen und Radio auf Sprache, auf Sprachfragen ein? Im Vergleich zu anderen, benachbarten Ländern war dies alles kaum ein Thema – bis sich nun die Situation drastisch ändert. Ein Sprachberater einer Zeitschrift zum Beispiel füllt mit Sprachthemen Säle, die sonst der Popmusik vorbehalten sind. Die öffentliche Aufmerksamkeit in Bezug auf die Sprache ist deutlich größer geworden. 7. Allerdings, und auch darüber muss man reden, sind wir in unserem Land als ganzem in Bezug auf die Belange der Sprache in einer nicht ganz einfachen Situation. Diese Situation ist das Ergebnis einer rechtlichen Struktur, die viele Vorteile gerade auch für die Kultur bietet und zu deren Reichtum in unserem Land wesentlich beiträgt: Ich rede vom Föderalismus. Dieser Föderalismus bedeutet für die Sprache als „Teil“ der Kultur, dass die öffentliche Aufmerksamkeit eigentlich bei sechzehn Ländern liegen müsste. Ich verwende den Konjunktiv und unterstreiche ihn zweimal. In der Realität wissen diese Länder nämlich offenbar gar nicht, dass sie als sechzehn selbständige staatliche Einheiten eine Verantwortung für die deutsche Sprache haben. Im Gesamtstaat sieht sich natürlich auch niemand als wirklich zuständig – abgesehen zum Glück von der Außenpolitik: zum Glück zum Beispiel in Bezug auf die Arbeit des Goethe-Institutes und anderer Mittlerorganisationen. Doch im Inland fällt Sprache leicht durch die Maschen des Netzes von Zuständigkeiten. An dieser Stelle müssen wir öffentlich weiter über neue Strukturen nachdenken, dass wir nicht auf Grund eines so vorteilhaften Systems, wie es der Förderalismus im Prinzip und in vielen Zusammenhängen darstellt, wichtige Belange der Sprache aus den Augen verlieren. 8. Sprachloyalität kann durch gute Sprachausbildung und Sprachbildung entstehen. In den Schulen wird eine Menge in Bezug auf die deutsche Sprache getan; manchmal allerdings so vorsichtig, dass vielleicht gar eine Art Angst bei den jungen Sprechenden entsteht. Das kann nicht

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der Sinn der Sprachausbildung sein. Sprachausbildung heißt, dass die nächste Generation in die Lage versetzt wird, in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sich tatsächlich vollgültig in eine Demokratie einzubringen, die von der Fähigkeit und Möglichkeit des sprachlichen Sicheinbringens lebt. Gerade auch mit Blick auf die großen Teile unserer Bevölkerung, besonders der jungen Bevölkerung, die aus anderen Sprachwelten kommen, wird es zu einer zentralen Aufgabe werden, die Sprachausbildung zu intensivieren und zu verbessern. Nach zwanzig Jahren Pause und Schweigen seit den achtziger Jahren ist jetzt wieder eine öffentliche Diskussion in Gang gekommen, und ich hoffe, dass sie diesmal länger anhält als damals und dass sie tatsächlich positive Folgen zeitigt. 9. Sprachloyalität kann ausgebildet werden und bildet sich aus durch Förderung der Sprachkultur. Wir haben am Beispiel der populären Kultur beobachten können, wie eine starke öffentliche Bewusstheit, etwa in den Medien, zu einer neuen Kreativität geführt hat, die man lange überhaupt nicht für möglich gehalten hat. Förderung der Sprachkultur ist auch eine öffentliche Aufgabe. Sie ist zugleich etwas, das auf eine weite, gut funktionierende Praxis in den Verlagen, in den Medien, in der öffentlichen Diskussion zurückgreifen kann. Sie lässt sich weiterentwickeln und ausbauen. Öffentliche Aufgabe und private Aktivität bilden eine Partnerschaft, die schon seit langem funktioniert. 10. Vor allem aber werden die beiden Punkte Sprachausbildung und Sprachbildung natürlich im europäischen Rahmen zu einer ganz neuen Aufgabe. An dieser Stelle fehlen uns bisher offensichtlich die zündenden neuen Konzepte (die „Visionen“) in Bezug darauf, wie dieses Europa seine Mehrsprachigkeit wirklich entwickeln kann. Der Sprache, die die meisten Sprecher innerhalb der Europäischen Union aufweist, dem Deutschen, kommt dabei eine ganz spezifische Aufgabe zu. Europa wird (neben Indien) einer der globalen Räume sein, in denen eine neue, eine entwickelte mehrsprachige Kultur für die Zukunft heranreifen kann. 11. Gefahren für die Zukunft der deutschen Sprache gehen vor allem vom „Domänenverlust“ aus, davon, dass ganze Bereiche wie die Wissenschaft oder die Wirtschaft fast nur noch in einer anderen Sprache betrieben werden. Wir erleben solche Verluste gegenwärtig in Bezug auf beide Bereiche, die Wissenschafts- wie die Wirtschaftskommunikation. Dieser Kongress hat einiges dazu beigetragen, gerade dieses Problem des potentiellen – und zum Teil bereits realen – Domänenverlustes öffentlich zu thematisieren. Ich hoffe, dass es gelingen wird, hier zu produktiven Lösungen zu kommen. Diesem Verlust kann durch öffentliche Förderung und durch politische Repräsentanz der Sprachenfrage begegnet werden. Beides sind Aspekte, die weitere und stärkere Aktivitäten in der nahen Zukunft erfordern. 12. Ein Ausgang aus dem selbstverschuldeten Wahrnehmungsverlust für Sprache gerade im europäischen Kontext ist dringend erfordert. Initiativen, die von diesem Kongress ausgehen, (wie zum Beispiel die Initiative zur Gründung eines „Hauses der deutschen Sprache“) sind wichtige Beiträge dazu. Eine entwickelte europäische Mehrsprachigkeit wird neue Perspektiven eröffnen – auch für das Deutsche. Unterstützen wir alles, was dieser europäischen Mehrsprachigkeit dienlich ist.

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Vielen Dank.