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12 ZÜRICH UND REGION Montag, 17. September 2012 Nr. 216 Neuö Zürcör Zäitung KULINARISCHES ................................................................................. Gulasch und Co. im «St. Gotthard» urs. Das Zürcher Hotel St. Gotthard steckt mitten in ungarischen Wochen, in Kooperation mit dem berühmten Buda- pester Lokal Gundel. Zum Programm gehört ein Buffet (Fr. 60.– pro Person) mit Live-Musik im Lobby-Bistro, noch bis 22. 9. täglich um 18 h. Unser Besuch ergab eine kleine, aber recht feine Aus- wahl, wobei unser ungarischer Begleiter festhielt, in seiner Heimat könne man noch besser essen (Tel. 044 227 77 01). Cohibas und andere Kubaner urs. Zur «Noche Cubana» lädt die einst totgesagte und reanimierte Zür- cher Tina-Bar am 25. 9., 18–20 h. Ver- sprochen wird für Fr. 60.– pro Kopf kubanische Lebensfreude mit Rhyth- men, Drinks, Häppchen und «Live- Zigarren-Rollen» (Tel. 044 250 76 80). «Wehe dem Tier oder der Pflanze» Die Reisebriefe des Zürcher Botanikers Hans Schinz aus Deutsch-Südwestafrika Wie konnte Zürich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der führenden Zentren der afrikani- schen Botanik werden? Die kürz- lich veröffentlichten Reisebriefe des Botanikers Hans Schinz geben Aufschluss über ein Stück Zürcher Kolonialgeschichte. Jonathan Pärli «Wehe dem Thier oder der Pflanze, die in meine Nähe kommen, sie sind ver- loren.» So beschrieb der junge Botani- ker Hans Schinz im November 1884 sei- ner Mutter in Zürich den Sammeleifer, der ihn umtrieb, seit er im Gross-Nama- qualand, einer Region im heutigen Na- mibia, angekommen war. Der namibi- sche Historiker Dag Henrichsen hat die Reisebriefe, die Schinz aus Deutsch- Südwestafrika schrieb, ediert und kürz- lich als Buch herausgegeben. Die afrika- nische Korrespondenz des späteren Di- rektors des Botanischen Gartens Zürich und einflussreichen Professors zeigt be- sonders das Mit- und Nebeneinander von Wissenschaft und Kolonialismus, auch in der Schweiz. «Neue Botanik» in Berlin Schinz, 1858 in eine Zürcher Patrizier- familie geboren, lässt sich am Polytech- nikum zum Fachlehrer in Naturwissen- schaften ausbilden und promoviert 1883 an der Universität in Botanik. Während die botanische Lehre und Forschung an der UniversitätZürich zu dieser Zeit als veraltet gilt, ist Berlin neben Paris und London eines der europäische Zentren der «Neuen Botanik», die mehr sein will als gemeine Kräuterkunde. In Berlin, wo Schinz nach seiner Promovierung weiterstudiert, knüpft er über die Uni- versität entscheidende Kontakte: Durch den berühmten Afrika-Forscher Georg Schweinefurth, der am Berliner Botani- schen Garten tätig ist, lernt er den Bre- mer Kolonial-Unternehmer Adolf Lü- deritz kennen. Kurz darauf bricht der 26-jährige Zürcher Doktor 1884 als einer von drei Wissenschaftern der «Lü- deritz-Expedition» zu einer Schifffahrt auf, die ihn nach Kapstadt führt. Ursprünglich soll Schinz in Lüderitz’ Auftrag die lokale Pflanzenwelt und vor allem deren kommerzielle Verwertbar- keit erforschen. Bald aber löst er sich von der Expedition, die nicht recht vor- wärtskommt. Darauf unternimmt er sei- ne eigene, aus dem Familienerbe finan- zierte Forschungsreise. Diese führt ihn zunächst ins Gross-Namaqualand, wo er neben Pflanzen und Tieren auch Men- schen, die «Einheimischen», in den Blick und vor die Linse zu nehmen be- ginnt. In seinem Tagebuch notiert er unter anderem, wie ethnografische Ge- genstände zu sammeln und wie Men- schen zu typisieren und zu vermessen seien. Für Letzteres spielt der Foto- apparat eine wichtige Rolle. Neben den Missionsstationen, die er besucht, und der Landschaft, die er durchreist, foto- grafiert Schinz vor allem auch die loka- len Bevölkerungen – «physiognomische Aufnahmen», wie er sie im Tagebuch nennt. Das imperiale Auftreten wird dem umtriebigen Wissenschafter in Olukonda beinahe zum Verhängnis: Zu- nächst macht er sich heimlich an einem Toten zu schaffen, um das Skelett seiner Sammlung einzuverleiben. Kurz darauf schlägt er Stücke einer heiligen Stätte aus Stein ab, um eine Probe mitzuneh- men. Der Ärger, den er damit auf sich zieht, lässt ihn die Region fluchtartig verlassen. «Man muss eben alles sam- meln», rechtfertigt er sich nach gelunge- ner Flucht gegenüber seiner Mutter. Im Februar 1887 kehrt Hans Schinz nach Zürich zurück. Im Gepäck hat er fünfzig Kisten, unzählige Pflanzenpro- ben und die Überzeugung, zwei Völker, die Ondonga und die Herero, anhand einiger Gegenstände «vollständig ge- sammelt» zu haben. Über den Ertrag seiner Reise kündigt er seiner Mutter schon im März 1886 an, dass er weder Gold noch Edelsteine nach Hause brin- ge. Ganz der Wissenschafter, lässt er sie wissen: «Für mich sind meine Sammlun- gen und Notizen mehr wert als jene.» Ein Schädel ergötzt die NZZ Die NZZ, die dem Heimkehrer am 4. Mai 1887 einen langen Artikel wid- met, sieht im Schädel aus Olukonda «eines der werthvollsten Stücke seiner Sammlung». Die Rettung des «Corpus Delicti» trotz höchster Gefahr beein- druckt die Zeitung: «Der Energie, dem Muthe und der Ausdauer unseren jun- gen Landsmannes» zolle man «hohe Bewunderung». Die NZZ befürchtet, die Ausbeute des helvetischen Afrika- reisenden werde «zum grossen Theile nach Berlin wandern». Bis auf die drei mitgebrachten Schädel materialisiert sich diese Erwartung nicht: Die Schinzschen Schätze bleiben in der Schweiz, wo sie dessen wissenschaft- liche Karriere befeuern: 1893 wird Schinz, inzwischen habilitiert, zum Di- rektor des Botanischen Gartens er- nannt; zwei Jahre später ernennt ihn die UniversitätZürich zum Professor für Systematische Botanik. Mit Schinz, schreibt Henrichsen, reihte sich Zürich in der afrikanischen Botanik in das erste Glied – neben die europäischen Kolonial-Metropolen Pa- ris, London und Berlin. Dag Henrichsen (Hg.): Hans Schinz. Bruchstücke. For- schungsreisen in Deutsch-Südwestafrika. Verlag Basler Afrika-Bibliografien 2012. 183 S., Fr. 25.–. ......................................................................................................................................................................... Nationales Archiv in Windhoek erhält 40 Fotos jap. Die Leitung des Völkerkunde- museums der Universität Zürich hat letzte Woche am Rande einer Museums- Konferenz in Windhoek dem Namibi- schen Nationalarchiv 40 digitale Kopien von Fotografien übergeben, die Hans Schinz von 1884 bis 1886 in der damali- gen Kolonie Deutsch-Südwestafrika ge- macht hatte. Die meisten der Fotogra- fien blieben unpubliziert und kamen erst im Zug der Recherchen für die derzei- tige Ausstellung des Völkerkundemuse- ums zu Hans Schinz und dessen Sammel- praxis zum Vorschein. Neben dem Völ- kerkundemuseum haben auch das Staatsarchiv Aargau sowie das Histori- sche und Völkerkunde-Museum St. Gal- len Originale von Schinz. Die Übergabe der Kopien ist im Sinn der Ethik-Richt- linien des International Council of Mu- seums. Diese sehen vor, dass Museen mit den Herkunfts-Gesellschaften ihrer Ob- jekte kooperieren. Die Diskussion um die Rückgabe von Kulturgütern und menschlichen Überresten ist in den letz- ten Jahren verstärkt geführt worden: Letztes Jahr übergab die Berliner Cha- rit ´ efünf Schädel von Stammesangehöri- gen der Herero und Nama, die bei anti- kolonialen Aufständen getötet worden waren, an die namibische Regierung. Die Ausstellung «Man muss eben alles sammeln» ist bis am 3. März 2013 im Völkerkundemuseum zu sehen. LUNCH Burgfrieden Urs Bühler Bis vor kurzem gehörte die «Jägerburg» im Langstrassenquartier zu den Trutzburgen wider den Trend, uralte Quartierbeizen aufzuwerten. Nun ist der unscheinbaren Puppe ein prächtiger Schmetterling entschlüpft: An der De- cke prangen Stuckaturen wie frisch ge- backen, Wände erstrahlen in Ochsen- blutrot, der vormals verdeckte Buchen- boden ist freigelegt, und eine schlichte, luftige Möblierung trägt zur überaus freundlichen Wirkung des Raumes bei. Die Verwandlung, die sich am ur- sprünglichen Erscheinungsbild orien- tiert, verantworten Markus und Daniela Segmüller: Die Wirtsleute des edlen «Carlton» an der Bahnhofstrasse, die auch das «James Joyce Pub» sowie den «Adlisberg» betreiben und ihre Fühler zur entstehenden Europaallee ausstre- cken, erweitern ihr kleines Reich nun um eine Festung im Kreis 4. Sie waren vom neuen Besitzer des über hundertjährigen Eckhauses beim Helvetiaplatz angefragt worden, nachdem die vorherige Pächter- schaft Konkurs gegangen war, und muss- ten sich innert dreier Tage entscheiden. Nach der Renovation haben sie das Lokal diesen Monat wiedereröffnet, wo- bei ein kurzfristiger Führungswechsel für Unruhe sorgte. Bei unserem Besuch am Freitag ist noch die eine oder andere Improvisation wahrnehmbar, der Ge- samteindruck unter Gastgeberin Doris Kuntz aber tadellos. Von den Mittags- menus gefällt das perfekt glasig gebra- tene Filet vom Zander aus dem Boden- see mit aromatischen Tomaten, Oliven und Kapern, feinen Bratkartoffeln und Spinat (Fr. 21.50 mit Suppe/Salat). Der aus dem «Carlton» dislozierte Küchen- chef Keven Mattle setzt auf Gutbürger- liches, wobei auf der Karte hausgemach- te Pizokel (Fr. 29.–), aber auch kleine Speisen wie eine «Zürcher Weisswein- suppe» (Fr. 11.–) ins Auge springen. Das tut auch die ansprechende Weinaus- wahl, die nach Rebsorten geordnet ist. Die Abende können mangels schall- dämpfender Elemente laut werden, was Segmüller gemäss seiner Aussage be- wusst in Kauf nimmt: «Das soll ein Kom- munikationslokal sein.» Nun ja, so kann man’s auch formulieren. Des einen Freud ist des anderen Leid, auch ander- weitig: Die sogenannt Randständigen, die laut unserem Gewährsmann aus dem Quartier hier vorher verkehrten, dürf- ten den neuen «Burgfrieden» als faul empfinden, da sie ein Refugium verlie- ren. Immerhin: Ein Schild beim Eingang heisst willkommen «Aussersihler und Platzhirsche, Chreis-Cheibler und cooli Type, Büezer und grossi Tier, Gschäftli- macher und fuuli Sieche».Dürften sich damit nicht eigentlich fast alle angespro- chen fühlen? Wir taten es auf jeden Fall. Jägerburg, Molkenstrasse 20, 8004 Zürich, Tel. 043 322 04 34. Sa-Mittag und So geschlossen. Nicht nur die Fauna und die Flora, auch die Menschen inspizierte Schinz während seiner Reise ganz genau. STAATSARCHIV AARGAU Schinz, nach seiner Reise. STAATSARCHIV AARGAU Aktion gegen Diebe in und um S-Bahnen fsi. Die Kantonspolizei und die Trans- portpolizei der SBB haben in der Nacht auf Sonntag im Zürcher Hauptbahnhof und in S-Bahnen eine gezielte Aktion gegen Taschendiebstähle durchgeführt. Dabei wurden laut einer Mitteilung während mehrerer Stunden Personen kontrolliert, die scheinbar ziellos im Bahnhof umherstreiften oder Züge be- stiegen und nach potenziellen Opfern Ausschau hielten. Die Ermittler sahen mehrmals, wie Verdächtige sich schla- fenden oder betrunkenen Bahnpassa- gieren näherten, sich neben diese setz- ten und nach Beobachtern Ausschau hielten, um die Opfer im geeigneten Moment zu bestehlen zu versuchen. Rund 15 Verdächtige wurden kon- trolliert. 10 Männer aus Algerien, Ma- rokko oder Tunesien im Alter zwischen 18 und 44 Jahren wurden wegen dringen- den Tatverdachts festgenommen. 9 von ihnen sind Asylbewerber, einer hält sich illegal in der Schweiz auf, die meisten sind einschlägig polizeilich bekannt. Die Polizisten stellten mögliches Diebesgut wie Mobiltelefone, Kosmetika und eine Umhängetasche sicher. Die Herkunft der Gegenstände wird nun abgeklärt. Kundgebung mit wenig Reibungen «Marsch für s Läbe» in Zürich fsi. Eine Kundgebung christlicher Ab- treibungsgegner in Zürich ist am Sams- tagnachmittag relativ reibungslos über die Bühne gegangen. Zum «Marsch für sLäbe 2012» aufgerufen hatten frei- kirchliche und konservative evangeli- sche und katholische Gruppen sowie die Eidgenössische Demokratische Union. Teilnehmende aus der ganzen Schweiz und dem Ausland – etwa eine 50-köpfige Gruppe aus Polen – wollten laut einem Communiqu ´ e an die Einführung der Fristenlösung vor zehn Jahren und de- ren «zahlreiche Opfer» erinnern. Nach einer Stunde mit Reden auf dem Müns- terhof zogen sie durch die Innenstadt. Vorne trug eine grössere Gruppe weisse Kreuze und Kindersärge, und es waren Slogans zu lesen wie «Switzerland pro- tect children», «Läbe, Familie, Liebi». Gegendemonstranten begleiteten den von Polizisten in Kampfmontur ab- geschirmten Zug mit lauten Parolen, Punk-Musik, Hupen, Sirenen und Trans- parenten mit Aufschriften wie «Aufklä- rung statt Verklärung». Da und dort kam es zu kleinen Reibereien und Rempe- leien zwischen Angehörigen der beiden Lager. Alles in allem aber verlief der An- lass ruhig, die mit einem Grossaufgebot anwesende Polizei hatte die Lage im Griff. Im Vorjahr, als die Kundgebung auf dem weniger leicht abzuschirmen- den Helvetiaplatz abgehalten worden war, hatte sie die Teilnehmer mit Was- serwerfern und Tränengas gegen An- griffe Linksautonomer schützen müssen. Die Organisatoren schrieben am Samstagabend in einer Mitteilung von gegen 2000 Teilnehmern und erklärten, weitere Aktionen sowie einen «Marsch» im kommenden Jahr zu planen. IN KÜRZE ................................................................................. Dieselöl in Zürichsee ausgelaufen urs. Am Sonntagmittag ist der Zürich- see zwischen dem Kibag-Hafen Bäch und Pfäffikon (SZ) durch ausgelaufenes Dieselöl stark verschmutzt worden. Einsatzkräfte waren am Abend noch mit dem Binden des Öls auf einer Flä- che von mehreren Hektaren beschäftigt, wie die Kantonspolizei Schwyz mitteilt. Sie sucht Hinweise auf die unbekannten Verursacher (Tel.041 819 29 29). E-Bike-Fahrer verletzt aufgefunden fsi. Passanten haben am Samstag früh um 3 Uhr in Höri einen schwer verletzt auf der Strasse liegenden E-Bike-Fahrer gefunden. Er hatte laut Polizeimeldung keinen Helm getragen und blutete stark am Kopf. Zeugen werden gesucht.

ST AA TSARCHIV AARGAU ÇW ehe dem Ti er oder der PflanzeÈ

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Page 1: ST AA TSARCHIV AARGAU ÇW ehe dem Ti er oder der PflanzeÈ

12 ZÜRICH UND REGION Montag, 17. September 2012 ! Nr. 216Neuö Zürcör Zäitung

KULINARISCHES.. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .

Gulasch und Co. im «St. Gotthard»urs. ! Das Zürcher Hotel St. Gotthardsteckt mitten in ungarischen Wochen, inKooperation mit dem berühmten Buda-pester Lokal Gundel. Zum Programmgehört ein Buffet (Fr. 60.– pro Person)mit Live-Musik im Lobby-Bistro, nochbis 22. 9. täglich um 18 h. Unser Besuchergab eine kleine, aber recht feine Aus-wahl, wobei unser ungarischer Begleiterfesthielt, in seiner Heimat könne mannoch besser essen (Tel. 044 227 77 01).

Cohibas und andere Kubanerurs. ! Zur «Noche Cubana» lädt dieeinst totgesagte und reanimierte Zür-cher Tina-Bar am 25. 9., 18–20 h. Ver-sprochen wird für Fr. 60.– pro Kopfkubanische Lebensfreude mit Rhyth-men, Drinks, Häppchen und «Live-Zigarren-Rollen» (Tel. 044 250 76 80).

«Wehe dem Tier oder der Pflanze»Die Reisebriefe des Zürcher Botanikers Hans Schinz aus Deutsch-Südwestafrika

Wie konnte Zürich Ende des19. Jahrhunderts zu einem derführenden Zentren der afrikani-schen Botanik werden? Die kürz-lich veröffentlichten Reisebriefedes Botanikers Hans Schinzgeben Aufschluss über ein StückZürcher Kolonialgeschichte.

Jonathan Pärli

«Wehe dem Thier oder der Pflanze, diein meine Nähe kommen, sie sind ver-loren.» So beschrieb der junge Botani-ker Hans Schinz im November 1884 sei-ner Mutter in Zürich den Sammeleifer,der ihn umtrieb, seit er im Gross-Nama-qualand, einer Region im heutigen Na-mibia, angekommen war. Der namibi-sche Historiker Dag Henrichsen hat dieReisebriefe, die Schinz aus Deutsch-Südwestafrika schrieb, ediert und kürz-lich als Buch herausgegeben. Die afrika-nische Korrespondenz des späteren Di-rektors des BotanischenGartens Zürichund einflussreichen Professors zeigt be-sonders das Mit- und Nebeneinandervon Wissenschaft und Kolonialismus,auch in der Schweiz.

«Neue Botanik» in BerlinSchinz, 1858 in eine Zürcher Patrizier-familie geboren, lässt sich am Polytech-nikum zum Fachlehrer in Naturwissen-schaften ausbilden und promoviert 1883an der Universität in Botanik. Währenddie botanische Lehre und Forschung ander Universität Zürich zu dieser Zeit alsveraltet gilt, ist Berlin neben Paris undLondon eines der europäische Zentrender «Neuen Botanik», die mehr sein willals gemeine Kräuterkunde. In Berlin,wo Schinz nach seiner Promovierungweiterstudiert, knüpft er über die Uni-

versität entscheidende Kontakte: Durchden berühmten Afrika-Forscher GeorgSchweinefurth, der am Berliner Botani-schen Garten tätig ist, lernt er den Bre-mer Kolonial-Unternehmer Adolf Lü-deritz kennen. Kurz darauf bricht der26-jährige Zürcher Doktor 1884 alseiner von drei Wissenschaftern der «Lü-deritz-Expedition» zu einer Schifffahrtauf, die ihn nach Kapstadt führt.

Ursprünglich soll Schinz in Lüderitz’Auftrag die lokale Pflanzenwelt und vor

allem deren kommerzielle Verwertbar-keit erforschen. Bald aber löst er sichvon der Expedition, die nicht recht vor-wärtskommt. Darauf unternimmt er sei-ne eigene, aus dem Familienerbe finan-zierte Forschungsreise. Diese führt ihnzunächst ins Gross-Namaqualand, wo erneben Pflanzen und Tieren auch Men-schen, die «Einheimischen», in denBlick und vor die Linse zu nehmen be-ginnt. In seinem Tagebuch notiert erunter anderem, wie ethnografische Ge-genstände zu sammeln und wie Men-schen zu typisieren und zu vermessen

seien. Für Letzteres spielt der Foto-apparat eine wichtige Rolle. Neben denMissionsstationen, die er besucht, undder Landschaft, die er durchreist, foto-grafiert Schinz vor allem auch die loka-len Bevölkerungen – «physiognomischeAufnahmen», wie er sie im Tagebuchnennt. Das imperiale Auftreten wirddem umtriebigen Wissenschafter inOlukonda beinahe zumVerhängnis: Zu-nächst macht er sich heimlich an einemToten zu schaffen, um das Skelett seinerSammlung einzuverleiben. Kurz daraufschlägt er Stücke einer heiligen Stätteaus Stein ab, um eine Probe mitzuneh-men. Der Ärger, den er damit auf sichzieht, lässt ihn die Region fluchtartigverlassen. «Man muss eben alles sam-meln», rechtfertigt er sich nach gelunge-ner Flucht gegenüber seiner Mutter.

Im Februar 1887 kehrt Hans Schinznach Zürich zurück. Im Gepäck hat erfünfzig Kisten, unzählige Pflanzenpro-ben und die Überzeugung, zwei Völker,die Ondonga und die Herero, anhandeiniger Gegenstände «vollständig ge-sammelt» zu haben. Über den Ertragseiner Reise kündigt er seiner Mutterschon im März 1886 an, dass er wederGold noch Edelsteine nach Hause brin-ge. Ganz der Wissenschafter, lässt er siewissen: «Für mich sind meine Sammlun-gen und Notizen mehr wert als jene.»

Ein Schädel ergötzt die NZZDie NZZ, die dem Heimkehrer am4. Mai 1887 einen langen Artikel wid-met, sieht im Schädel aus Olukonda«eines der werthvollsten Stücke seinerSammlung». Die Rettung des «CorpusDelicti» trotz höchster Gefahr beein-druckt die Zeitung: «Der Energie, demMuthe und der Ausdauer unseren jun-gen Landsmannes» zolle man «hoheBewunderung». Die NZZ befürchtet,die Ausbeute des helvetischen Afrika-reisenden werde «zum grossen Theilenach Berlin wandern». Bis auf die dreimitgebrachten Schädel materialisiertsich diese Erwartung nicht: DieSchinzschen Schätze bleiben in derSchweiz, wo sie dessen wissenschaft-liche Karriere befeuern: 1893 wirdSchinz, inzwischen habilitiert, zum Di-rektor des Botanischen Gartens er-nannt; zwei Jahre später ernennt ihn dieUniversität Zürich zum Professor fürSystematische Botanik.

Mit Schinz, schreibt Henrichsen,reihte sich Zürich in der afrikanischenBotanik in das erste Glied – neben dieeuropäischen Kolonial-Metropolen Pa-ris, London und Berlin.

Dag Henrichsen (Hg.): Hans Schinz. Bruchstücke. For-schungsreisen in Deutsch-Südwestafrika. Verlag BaslerAfrika-Bibliografien 2012. 183 S., Fr. 25.–.

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Nationales Archiv in Windhoek erhält 40 Fotosjap. ! Die Leitung des Völkerkunde-museums der Universität Zürich hatletzte Woche am Rande einer Museums-Konferenz in Windhoek dem Namibi-schen Nationalarchiv 40 digitale Kopienvon Fotografien übergeben, die HansSchinz von 1884 bis 1886 in der damali-gen Kolonie Deutsch-Südwestafrika ge-macht hatte. Die meisten der Fotogra-fien blieben unpubliziert und kamen erstim Zug der Recherchen für die derzei-tige Ausstellung des Völkerkundemuse-ums zuHans Schinz und dessen Sammel-praxis zum Vorschein. Neben dem Völ-kerkundemuseum haben auch dasStaatsarchiv Aargau sowie das Histori-sche und Völkerkunde-Museum St. Gal-

len Originale von Schinz. Die Übergabeder Kopien ist im Sinn der Ethik-Richt-linien des International Council of Mu-seums. Diese sehen vor, dassMuseenmitden Herkunfts-Gesellschaften ihrer Ob-jekte kooperieren. Die Diskussion umdie Rückgabe von Kulturgütern undmenschlichen Überresten ist in den letz-ten Jahren verstärkt geführt worden:Letztes Jahr übergab die Berliner Cha-rite fünf Schädel von Stammesangehöri-gen der Herero und Nama, die bei anti-kolonialen Aufständen getötet wordenwaren, an die namibische Regierung.

Die Ausstellung «Man muss eben alles sammeln» istbis am 3. März 2013 im Völkerkundemuseum zu sehen.

LUNCH

Burgfrieden

UrsBühler !Bis vor kurzemgehörte die«Jägerburg» im Langstrassenquartier zudenTrutzburgenwider denTrend, uralteQuartierbeizen aufzuwerten. Nun istder unscheinbaren Puppe ein prächtigerSchmetterling entschlüpft: An der De-cke prangen Stuckaturen wie frisch ge-backen, Wände erstrahlen in Ochsen-blutrot, der vormals verdeckte Buchen-boden ist freigelegt, und eine schlichte,luftige Möblierung trägt zur überausfreundlichen Wirkung des Raumes bei.

Die Verwandlung, die sich am ur-sprünglichen Erscheinungsbild orien-tiert, verantworten Markus und DanielaSegmüller: Die Wirtsleute des edlen«Carlton» an der Bahnhofstrasse, dieauch das «James Joyce Pub» sowie den«Adlisberg» betreiben und ihre Fühlerzur entstehenden Europaallee ausstre-cken, erweitern ihr kleinesReich nun umeine Festung im Kreis 4. Sie waren vomneuenBesitzer des über hundertjährigenEckhauses beim Helvetiaplatz angefragtworden, nachdemdie vorherige Pächter-schaft Konkurs gegangenwar, undmuss-ten sich innert dreier Tage entscheiden.

Nach der Renovation haben sie dasLokal diesenMonat wiedereröffnet, wo-bei ein kurzfristiger Führungswechselfür Unruhe sorgte. Bei unserem Besucham Freitag ist noch die eine oder andereImprovisation wahrnehmbar, der Ge-samteindruck unter Gastgeberin DorisKuntz aber tadellos. Von den Mittags-menus gefällt das perfekt glasig gebra-tene Filet vom Zander aus dem Boden-see mit aromatischen Tomaten, Olivenund Kapern, feinen Bratkartoffeln undSpinat (Fr. 21.50 mit Suppe/Salat). Deraus dem «Carlton» dislozierte Küchen-chef Keven Mattle setzt auf Gutbürger-liches, wobei auf der Karte hausgemach-te Pizokel (Fr. 29.–), aber auch kleineSpeisen wie eine «Zürcher Weisswein-suppe» (Fr. 11.–) ins Auge springen. Dastut auch die ansprechende Weinaus-wahl, die nach Rebsorten geordnet ist.

Die Abende können mangels schall-dämpfender Elemente laut werden, wasSegmüller gemäss seiner Aussage be-wusst in Kauf nimmt: «Das soll einKom-munikationslokal sein.» Nun ja, so kannman’s auch formulieren. Des einenFreud ist des anderen Leid, auch ander-weitig: Die sogenannt Randständigen,die laut unseremGewährsmann aus demQuartier hier vorher verkehrten, dürf-ten den neuen «Burgfrieden» als faulempfinden, da sie ein Refugium verlie-ren. Immerhin: Ein Schild beimEingangheisst willkommen «Aussersihler undPlatzhirsche, Chreis-Cheibler und cooliType, Büezer und grossi Tier, Gschäftli-macher und fuuli Sieche». Dürften sichdamit nicht eigentlich fast alle angespro-chen fühlen?Wir taten es auf jeden Fall.

Jägerburg, Molkenstrasse 20, 8004 Zürich, Tel.043 322 04 34. Sa-Mittag und So geschlossen.

Nicht nur die Fauna und die Flora, auch die Menschen inspizierte Schinz während seiner Reise ganz genau. STAATSARCHIV AARGAU

Schinz, nach seiner Reise. STAATSARCHIV AARGAU

Aktion gegen Diebein und um S-Bahnenfsi. ! Die Kantonspolizei und die Trans-portpolizei der SBB haben in der Nachtauf Sonntag im Zürcher Hauptbahnhofund in S-Bahnen eine gezielte Aktiongegen Taschendiebstähle durchgeführt.Dabei wurden laut einer Mitteilungwährend mehrerer Stunden Personenkontrolliert, die scheinbar ziellos imBahnhof umherstreiften oder Züge be-stiegen und nach potenziellen OpfernAusschau hielten. Die Ermittler sahenmehrmals, wie Verdächtige sich schla-fenden oder betrunkenen Bahnpassa-gieren näherten, sich neben diese setz-ten und nach Beobachtern Ausschauhielten, um die Opfer im geeignetenMoment zu bestehlen zu versuchen.

Rund 15 Verdächtige wurden kon-trolliert. 10 Männer aus Algerien, Ma-rokko oder Tunesien im Alter zwischen18 und 44 Jahrenwurdenwegen dringen-den Tatverdachts festgenommen. 9 vonihnen sind Asylbewerber, einer hält sichillegal in der Schweiz auf, die meistensind einschlägig polizeilich bekannt. DiePolizisten stellten mögliches Diebesgutwie Mobiltelefone, Kosmetika und eineUmhängetasche sicher. Die Herkunftder Gegenstände wird nun abgeklärt.

Kundgebungmit wenig Reibungen«Marsch für s Läbe» in Zürich

fsi. ! Eine Kundgebung christlicher Ab-treibungsgegner in Zürich ist am Sams-tagnachmittag relativ reibungslos überdie Bühne gegangen. Zum «Marsch fürs Läbe 2012» aufgerufen hatten frei-kirchliche und konservative evangeli-sche und katholischeGruppen sowie dieEidgenössische Demokratische Union.Teilnehmende aus der ganzen Schweizund demAusland – etwa eine 50-köpfigeGruppe aus Polen – wollten laut einemCommunique an die Einführung derFristenlösung vor zehn Jahren und de-ren «zahlreiche Opfer» erinnern. Nacheiner Stunde mit Reden auf dem Müns-terhof zogen sie durch die Innenstadt.Vorne trug eine grössere Gruppe weisseKreuze und Kindersärge, und es warenSlogans zu lesen wie «Switzerland pro-tect children», «Läbe, Familie, Liebi».

Gegendemonstranten begleitetenden von Polizisten in Kampfmontur ab-geschirmten Zug mit lauten Parolen,Punk-Musik, Hupen, Sirenen und Trans-parenten mit Aufschriften wie «Aufklä-rung statt Verklärung». Da und dort kames zu kleinen Reibereien und Rempe-leien zwischen Angehörigen der beidenLager.Alles in allemaber verlief derAn-lass ruhig, die mit einem Grossaufgebotanwesende Polizei hatte die Lage imGriff. Im Vorjahr, als die Kundgebungauf dem weniger leicht abzuschirmen-den Helvetiaplatz abgehalten wordenwar, hatte sie die Teilnehmer mit Was-serwerfern und Tränengas gegen An-griffe Linksautonomer schützenmüssen.

Die Organisatoren schrieben amSamstagabend in einer Mitteilung vongegen 2000 Teilnehmern und erklärten,weitere Aktionen sowie einen «Marsch»im kommenden Jahr zu planen.

IN KÜRZE.. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .

Dieselöl in Zürichsee ausgelaufenurs. !AmSonntagmittag ist der Zürich-see zwischen dem Kibag-Hafen Bächund Pfäffikon (SZ) durch ausgelaufenesDieselöl stark verschmutzt worden.Einsatzkräfte waren am Abend nochmit dem Binden des Öls auf einer Flä-che vonmehrerenHektaren beschäftigt,wie die Kantonspolizei Schwyz mitteilt.Sie sucht Hinweise auf die unbekanntenVerursacher (Tel. 041 819 29 29).

E-Bike-Fahrer verletzt aufgefundenfsi. ! Passanten haben am Samstag frühum 3 Uhr in Höri einen schwer verletztauf der Strasse liegenden E-Bike-Fahrergefunden. Er hatte laut Polizeimeldungkeinen Helm getragen und blutete starkam Kopf. Zeugen werden gesucht.