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Station der Killerpflanzen

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 249

Station der Killerpflanzen

Sie suchen das Blaue System - einTransmitter bringt sie ins Reich der

Vergessenen

von Marianne Sydow

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn esmuß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feindesind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zuschaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, derenHabgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.

Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe undKristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindli-che Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran,den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fort-zusetzen.

Gegenwärtig ist Atlan allerdings nicht in der Lage, an diesem Kampf mitzuwirken,da er sowie ein paar Dutzend seiner Gefährten von der ISCHTAR im Bann Akon-Akons, des Psycho-Tyrannen, stehen, gegen dessen Befehle es keine Auflehnunggibt.

Akon-Akon, der mit Atlans und Fartuloons Hilfe den »Stab der Macht« in Besitznehmen konnte, treibt die von ihm beherrschte Gruppe immer weiter voran auf derSuche nach dem Blauen System, wo der Hypnosuggestor »sein« Volk zu finden er-wartet.

Ein erneuter Transmittersprung bringt Akon-Akon und Atlans Leute dabei zur STA-TION DER KILLERPFLANZEN …

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Die Hautpersonen des Romans:Akon-Akon - Der Willenstyrann führt seine Gruppe in die Station der Killerpflanzen.Atlan - Der Kristallprinz im Bann Akon-Akons.Fartuloon, Ra, Vorry und Karmina Arthamin - Atlans Gefährten.Gorkalon - Ein Opfer der Killerpflanzen.Heydra - Gefangene der »Blüte des Lebens«.

Prolog

Es war das zweihundertsiebenundvierzig-ste Erwachen. Heydra hatte mitgezählt undwar sich ziemlich sicher, daß diese Zahlstimmte.

Die Blüte öffnete sich, und nach der lan-gen Pause der Finsternis drangen die erstenEindrücke in ihr Bewußtsein. Zuerst war al-les verschwommen, alptraumhaft, durchsetztvon Halbträumen und den Schatten der Erin-nerungen. Dann wurde das Bild klarer.

Es hatte sich nichts verändert. Sie spürte,daß ein Teil des Köpers, in dem sie gefan-gen saß, in der Zwischenzeit getötet wordenwar – die Raubpflanzen mußten demnächstdezimiert werden, so ging es nicht weiter.Anfangs, als sie sich noch nicht an das Le-ben in einem offenen System gewöhnt hatte,waren solche Erkenntnisse schrecklich fürsie gewesen und hatten sie an den Rand desWahnsinns getrieben. Inzwischen akzeptier-te sie die relative Unsterblichkeit des pflanz-lichen Körpers ebenso wie die damit verbun-denen Besonderheiten.

Sie war uralt. Wie alt, vermochte sie nichtexakt zu bestimmen. Sie maß ihre Lebens-dauer nach Blütezeiten, und eine Bewußt-seinsdauer währte ungefähr sechzig großeZeiteinheiten. Was zwischen dem Ausstoßender Sporen und dem nächsten Erwachen lag,wußte sie nicht, aber es war ihr auch ziem-lich egal.

Es war bereits eine zeremonielle Hand-lung, als sie versuchte, den riesigen Pflan-zenkörper unter ihre Gewalt zu zwingen. Esgelang ihr nicht. Sie erwachte Jedesmal zuspät.

Die Blüte schwankte leicht und neigtesich dem Behälter zu. Die blauen, elegant

geschwungenen Blätter spiegelten sich imWasser. In der Mitte der Blütenschale leuch-teten die goldenen Filamente, an deren En-den sich im Lauf der nächsten Zeiteinheitendie dicken, hellroten Sporenballen bildensollten. Die Blüte war mit ihrem Aussehenzufrieden. Heydra empfand eine Art düstererHeiterkeit bei der Erkenntnis, daß das mon-ströse Wesen eitel war.

Sie konzentrierte sich auf andere Informa-tionsbahnen. Die vier halbverbrauchten Kör-per, mit denen die Saugfäden des Wurzelsy-stems in Verbindung standen, jagten ihrFurcht ein. Sie wurde an ihr eigenes Schick-sal erinnert. Immerhin waren die Körper einBeweis dafür, daß während der Ruheperiodejemand in die Station gekommen war. DiePflanzen hatten sie gefangen. Sie waren Op-fer. Aus ihnen gewann die Blüte Kraft, undHeydra wußte, daß damit für mehrere Blüte-zeiten jede Chance verloren war, doch nochdie Kontrolle zu übernehmen.

Einmal hatte es eine lange Hungerzeit ge-geben, und damals hätte sie es, fast ge-schafft. Es war – im Vergleich zu anderenSituationen – die angenehmste Zeit in dieserExistenz gewesen.

Manchmal fragte sie sich, warum nie-mand nach ihrem Verbleib forschte. Inzwi-schen mochte so viel Zeit vergangen sein,daß sich niemand mehr an sie erinnerte, aberwenigstens am Beginn des Unglücks hättedoch jemand kommen müssen …

Es kam aber keiner. Das Energiekomman-do schien jedes Interesse an der Station ver-loren zu haben.

Damals, als man sie als Wächterin hierhergeschickt hatte, war sie verzweifelt gewe-sen. Dann kam die Blume durch den Trans-mitter. Sie hatte nie erfahren, wer das Ge-wächs geschickt hatte. Auf jeden Fall stand

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es plötzlich da, eine hübsche Pflanze mit ei-ner wundervollen Blüte. Wenn man völligabgeschnitten von allen Dingen, die manliebt, mitten im Raum in einer übertechni-sierten Umgebung sitzt, passieren die selt-samsten Dinge. Heydra verliebte sich ineinen Traum, und die Blüte war das Symbolfür ihre Liebe.

Allmählich merkte sie, daß etwas mit derPflanze nicht stimmte. Die Blüte welktenicht. Heydra wurde alt. Der Transmitterstand nutzlos da, sie konnte ihn nicht bedie-nen, besaß nicht einmal die technischen Mit-tel, um eine Nachricht durch das Tor zuschleusen. Die Blume war so schön wie amersten Tag, die technische Umgebung verän-derte sich ohnehin nicht, nur Heydras Aus-sehen zeigte, wieviel Zeit verstrichen war.Sie saß die meiste Zeit neben der Blüte undstarrte auf den Punkt, an dem die leuchten-den Säulen des Transmitters sich aufbauensollten, um ihre Ablösung freizugeben.

Niemand kam.Und eines Tages vermochte sie nicht

mehr aufzustehen. Eine haarfeine Wurzelhatte sich um ihren Nacken geschlungen,während sie schlief. Die Pflanze hielt siefest. Die nächsten Wochen und Monate ver-brachte Heydra zwischen einem ständigwachsenden Gewirr von Ranken und Wur-zeln. Nach dem ersten Erschrecken kam dasAufbäumen gegen ein Schicksal, von demsie damals noch gar nicht wußte, wie ent-setzlich es tatsächlich war. Dann folgte diePhase tiefster Erschöpfung, schließlich gren-zenlose Apathie. Sie wünschte sich, wahn-sinnig zu werden, denn dann hätte sie ihreLage wenigstens nicht mehr so erbarmungs-los klar erkannt.

Der Alptraum nahm ein Ende, als dieSporenballen auseinanderplatzten und dieweißlichen Wolken sich verteilten. Die Kli-maanlage saugte sie auf und trug sie in alleRäume der Station. Heydra spürte die zu-nehmende Dunkelheit und bereitete sich aufein friedliches Ende vor.

Dann erwachte sie erneut und stellte fest,daß ihr Körper nicht mehr vorhanden war.

Sie war in den Körper der Pflanze überge-gangen. Eine neue Blüte hatte sich geöffnet.Heydra stellte fest, daß die Sporen an vielenStellen Nahrung gefunden hatten. Sie wußtezu wenig vom Metabolismus der Pflanze,aber sie nahm an, daß diese Gewächse sichnicht lange halten konnten. Es gab wenig or-ganische Materie in der Station. Eines Tagesmußte sie verbraucht sein.

Die nächste Sporenladung vergrößertenicht nur die Zahl der Pflanzen, sondernauch die der Arten. Mit wachsendem Entset-zen verfolgte Heydra, wie sich die Pflanzenüber die gesamte Station ausbreiteten. Sievermochte es nicht, irgendwelchen Einflußauf die Gewächse zu nehmen. Immerhin be-saß das Exemplar, in dem ihr Bewußtseinfestsaß, etwas Intelligenz. Die Blüte begriff,daß der Transmitter die einzige Verbindungzur Außenwelt darstellte, und daß von dorther ab und zu Nahrung in Form von Kon-trolleuren, Durchreisenden oder verirrtenWesen kam. Daher blieb die Kammer unge-schoren.

Heydra selbst war von der Pflanze keines-wegs aus selbstlosen Gründen aufgenommenworden. Die Station war unglaublich haltbargebaut, aber im Laufe der Zeit entstandendoch einige Fehlerquellen. Die Bedürfnisseder Pflanzen waren gering, im Vergleich zudenen, die andere Wesen stellten. Aber einoxydierender Kontakt in einem Meßgerät fürLuftfeuchtigkeit oder in einem Thermostatkonnte das Ende bedeuten.

Da Heydra in ihrer derzeitigen Daseins-form handlungsunfähig war, beschränktesich ihre Tätigkeit darauf, zu beobachtenund jede Unregelmäßigkeiten zu melden.Die Blüte sorgte dann dafür, daß die Gefahrbeseitigt wurde. Heydra war mit ihrer Auf-gabe und ihrem »Leben« an sich keineswegszufrieden. Sie sehnte sich nach dem Tod,aber die Pflanze erlaubte ihr nicht, zu ster-ben. Heydra wurde gebraucht.

Immerhin hatte sie ein paar Vorarbeitenleisten können, ohne daß die Blüte Verdachtschöpfte. So waren die Sicherheitsrobotereinsatzbereit gehalten worden. Sie hatten die

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Mittel, um die Blüte – und Heydras Bewußt-seinsinhalt – zu vernichten. Noch hatte sichkeine Gelegenheit ergeben, die Roboter zuaktivieren, aber Heydra hatte so lange ge-wartet, daß sie den Begriff »Ungeduld«kaum noch kannte.

Sie spürte eine Veränderung und öffneteihr Bewußtsein für die heranströmenden In-formationen. Sie erschrak.

Der Transmitter erwachte zu technischemLeben.

Das konnte nur bedeuten, daß jemand dieStation aufsuchen wollte. Heydra hätte vorAufregung gezittert, wäre ihr eigentlicherKörper noch vorhanden gewesen. Ein wach-samer Impuls der Blüte ließ sie die Gefahrerkennen. Sie zwang sich zur Ruhe.

Jetzt durfte sie keinen Fehler begehen. Ei-ne solche Chance kehrte vielleicht nie wie-der.

Bisher hatte der Transmitter aus unerfind-lichen Gründen nur dann Besucher ausgesto-ßen, wenn die Blüte schlief. Heydra hattedaher niemals Einfluß auf das Geschehennehmen können. Diesmal war sie wach. Siekonnte fast nichts tun, aber vielleicht reichtees doch, um diese unwürdige Existenz zubeenden …

1.

Die Schmerzen der Wiederverstofflichungtobten durch meinen Körper und hindertenmich daran, mich mit der Umgebung zu be-schäftigen, in der wir gelandet waren.

Sei zufrieden, meldete sich der Extrasinntrocken. Allein die Tatsache, daß duSchmerzen fühlen kannst, sollte dir eine Er-leichterung sein. Du existierst, und das istdie Hauptsache.

Der Logiksektor hatte recht, aber ichkonnte seinen Kommentar im Augenblicknicht würdigen. Mein rechtes Bein wolltesich allem Anschein nach selbständig ma-chen, denn es schlug in rasendem Tempo aufund nieder.

Ich brachte es fertig, mich halb aufzurich-ten. Das Bein hüpfte unverdrossen weiter.

Ich beugte mich vor, um es festzuhalten,aber da ich meinen Körper noch nicht vollbeherrschte, fiel die Bewegung zu ruckhaftaus. Das Bein änderte seine Taktik und bogsich im Kniegelenk durch. Im gleichen Mo-ment versagten meine Nackenmuskeln, undich fiel mit dem Kinn dem Knie genau ent-gegen. Das Ergebnis bestand darin, daß ichk.o. geschlagen wurde.

Einen Vorteil hatte dieses Ereignis: MeinBein kam zur Ruhe. Dafür zuckten jetzt mei-ne Arme.

Nur langsam wichen die Nebelschleiervor meinen Augen. Ich ignorierte die seltsa-men Aktivitäten meines Körpers und mu-sterte die Umgebung.

Wir lagen in einer riesigen Halle.Wir?Mühevoll verdrehte ich die Augen. Ich er-

kannte ein paar Meter weiter Fartuloon, derganz still dalag. Akon-Akon hockte bereitsauf dem Boden und drehte verwundert denKopf hin und her. Vorry kauerte mit einge-zogenem Kopf neben einer Gruppe von Ar-konidinnen, die auf dem Rücken lagen undwie hilflose Käfer mit allen Gliedmaßen zu-gleich zappelten. Auch Ra und Karmina Ar-thamin entdeckte ich und die anderen. Wirwaren vollzählig in dieser Halle versammelt.

Etwas war anders als sonst. Im Lauf derIrrfahrt, zu der Akon-Akon uns zwang, hatteich genug Erfahrungen mit Transmittern ge-sammelt, um zu wissen, daß etwas ganz undgar nicht in Ordnung war. Lag es daran, daßwir das Gerät an Bord des zerstörten Raum-schiffs benutzt hatten? Ich stellte Spekula-tionen darüber an, daß vielleicht die moder-nen Geräte der Akonen gewisse Unterschie-de zu denen in den uralten Stationen aufwie-sen. Dann schob ich diese Überlegungenbeiseite und konzentrierte mich auf das Ziel,meine Muskeln unter Kontrolle zu bringen.

Endlich gelang es mir, mich aufzurichten.Fartuloon kam ein paar Schritte entfernt tau-melnd auf die Beine. Akon-Akon stand re-gungslos in der Mitte der Halle und starrteden Kerlas-Stab an, als erwarte er von ihmeine Erklärung dafür, wo wir gelandet wa-

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ren.»Was hälst du davon?« fragte der Bauch-

aufschneider leise.Ich zuckte die Schultern.»Schwer zu sagen. Eigentlich ist es merk-

würdig, daß niemand nachsehen kommt, werdurch den Transmitter gekommen ist. Dasalles sieht aus, als würde es noch benutzt.«

»Bildschirme, die funktionieren, Beleuch-tung, sogar eine Klimaanlage – ich glaube,du hast recht. Wenigstens sind wir diesmalnicht in einem Trümmerhaufen gelandet.«

»Da du gerade die Belüftungsanlage er-wähnst – fällt dir nichts auf?«

Fartuloon nickte.»Ein eigenartiger Geruch«, stimmte er mir

zu. »Als gäbe es hier Unmengen von Blu-men.«

»Wir sind in einer in sich geschlossenenStation!« verkündete Akon-Akon, der denKerlas-Stab endlich sinken ließ.

Wir starrten ihn an. Nur allmählich däm-merte mir, was er meinte.

»Eine Raumstation?«»Ja. Es kann nicht anders sein. Die Anzei-

chen sind eindeutig. Das ist sehr günstig füruns. Stationen dieser Art gibt es meinesWissens nur in der Nähe des Verstecks, indas die Akonen sich zurückgezogen haben.«

»Dann sind wir also in der Nähe des Blau-en Systems«, nickte Fartuloon gelassen.»Allerdings habe ich das dumpfe Gefühl, alswäre es gar nicht so einfach, dorthin zu ge-langen. Mit dieser Station ist etwas nicht inOrdnung. Schaut euch doch die Bildschirmean!«

Inzwischen hatten auch die anderen sichvon dem schmerzhaften Schock der Wieder-verstofflichung erholt. Instinktiv blieben wirbeieinander. Die Halle war riesig. Von unse-rem Standort aus war deutlich zu erkennen,daß es an der Wand Bildschirme gab, dieeingeschaltet waren. Erst als wir näherka-men, entdeckten wir die anderen, die keineBilder lieferten. Und wir sahen noch etwas.

Die Wand bestand nicht aus glattem Me-tall, sondern war mit einem weichen Über-zug versehen.

»Absurd!« murmelte Fartuloon leise.»Was soll das nun wieder bedeuten?«

Auf den Schirmen zeichneten sich andereRäume der Station ab. Wir sahen in matt be-leuchtete Maschinenräume hinein, in Kon-trollzentren und Schaltstellen. Nirgends gabes eine Bewegung. Kein Akone war zu se-hen.

»Irgendwo müssen die Kerle dochstecken!« knurrte Ra.

»Die Station wurde mit Sicherheit schonvor langer Zeit aufgegeben!«, behaupteteAkon-Akon mit der ihm eigenen Arroganz.

»Das verstehe ich nicht«, meldete sichKarmina Arthamin. »Wenn dieser Transmit-ter tatsächlich in der Nähe des Blauen Sy-stems steht, dann sollte man doch anneh-men, daß seine Besitzer ihn im Auge behal-ten.«

»Das tun sie sicher auch. Deswegenbraucht aber niemand an Bord zu sein. Ver-mutlich gibt es eine Automatik.«

Akon-Akon sagte das so daher, als sprä-che er über das Wetter. Mich dagegen beun-ruhigte die Aussicht, daß unsere Ankunftvielleicht längst gemeldet worden war.

»Verflixt«, knurrte ein Mann, der näheran einen Bildschirm herangetreten war undsich mit der Hand an der Wand abstützenwollte.

Der plüschähnliche Belag änderte abruptseine Farbe. Aus dem dunklen, braunstichi-gen Grün wurde ein intensives Gelb.

Fartuloon schob den Arkoniden zur Seiteund berührte das weiche Zeug vorsichtig.Das Gelb wurde noch heller, aber sonst ge-schah nichts. Der Bauchaufschneider griffnach den weichen Fasern. Als er die Handzurückzog, tropfte Wasser auf den Boden.

»Pflanzen«, sagte er nachdenklich. »Soetwas wie Moos, nehme ich an.«

»Was hat das Zeug hier zu suchen?« frag-te Akon-Akon scharf.

»Ich habe es nicht hergebracht«, konterteFartuloon ärgerlich. »Schaut euch das an, eswächst auf dem blanken Metall!«

Er riß ein paar Fasern ab. Darunter glänz-te es silbrig. Der Moosbrocken platschte auf

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den Boden und versprühte Wassertropfen.Diese merkwürdige Wandverkleidung warmit Wasser gesättigt. Den hinter der Wandliegenden technischen Anlagen schien dasnichts auszumachen.

Ich streckte vorsichtig die Hand aus. So-bald ich bis auf etwa einen Meter an dasMoos herankam, wurde es hellgelb. Erstjetzt merkte ich, daß auch der braungrüneFarbton nicht dem normalen Aussehen derPflanzen entsprach.

»Sie fühlen unsere Nähe und reagierendarauf«, sagte ich. »Sehr bemerkenswertePflanzen, nicht wahr?«

Akon-Akon sah mich mißtrauisch an.»Was meinst du damit?«»Nun, Pflanzen sind zweckmäßig ent-

wickelte Lebewesen. Normalerweise sindsie vollauf damit beschäftigt, zu wachsenund ihre Art zu erhalten. Ihr morphologi-sches System ist nicht dazu geschaffen, In-telligenz zu entwickeln. Manchmal sieht esso aus, als hätten sie es trotzdem geschafft,aber bei näherem Hinsehen stellt sich her-aus, daß es sich um eine Instinkthandlunghandelt, die den materiellen Bedürfnissender Pflanze angepaßt ist. Welchen Grund hatdas Moos also, die Farbe zu ändern, wennwir uns ihm nähern? Es ist harmlos. Auffres-sen kann es uns nicht. Und das ist der einzi-ge Grund, den so ein Gewächs haben kann,um sich derartigen Anstrengungen zu unter-werfen.«

»Das Moos mag für uns harmlos sein«,stimmte Akon-Akon nach kurzem Zögernzu. »Seine Reaktion ist wahrscheinlich aufandere Lebewesen abgestimmt.«

»Welche?« fragte Ra trocken. »Insekten?Ich sehe keine.«

Der Junge von Perpandron winkte ab undunterbrach damit die Diskussion. Mir dage-gen ließ die Frage nach dem Sinn der Farb-änderung keine Ruhe. Den anderen ging esebenso. Trotz seines manchmal verblüffen-den Wissens war Akon-Akon uns auch jetztnoch in mancher Hinsicht unterlegen. SeineKenntnisse waren aufgepfropft und paßtenoftmals nicht zu den Realitäten der Gegen-

wart.»Wir suchen jetzt nach Kommunikations-

geräten!« ordnete Akon-Akon an. »Wirmüssen feststellen, ob die Station wirklichverlassen ist. Ich erwarte, daß niemand sichmehr hier aufhält, aber wir wollen sicherge-hen.«

Der hypnotische Einfluß, den der Jungeauf uns ausübte, war ungebrochen. Wir teil-ten uns in einzelne Gruppen auf und mach-ten uns an die Arbeit.

Ich richtete es so ein, daß ich und Fartu-loon zusammenblieben. Die nächste Gruppebestand aus Ra und Karmina Arthamin.Akon-Akon beteiligte sich auch an der Su-che, nur Vorry blieb im Mittelpunkt der Hal-le zurück. Er beobachtete mit seinen gelbenAugen aufmerksam alles, was es um ihn her-um gab. Den Strahler hielt er schußbereit.

»Diese Pflanzen gehen mir nicht aus demKopf«, murmelte der Bauchaufschneider,während wir die Bedienungselemente unterden Bildschirmen untersuchten. »Du kannstmich meinetwegen auslachen, aber ichfürchte, die Tatsache, daß das Moos ausge-rechnet hier, in der Empfangshalle, vorhan-den ist, hat eine sehr konkrete Bedeutung.«

»Es meldet uns an!«Fartuloon starrte mich entgeistert an.»Wie bist du darauf gekommen?«»Die Reaktion der Pflanzen ist sinnlos,

bezogen auf die Situation in dieser Halle. DaPflanzen nichts Sinnloses tun, muß es außer-halb der Halle etwas geben, das mit der Far-bänderung zu tun hat.«

»Genau. Nun müssen wir nur noch her-ausfinden, was draußen auf uns lauert. Die-ser Blumenduft macht mich ganz nervös.Verdammt, wenn das wirklich eine Raum-station ist …«

»Ich glaube nicht, daß Akon-Akon sichirrt.«

»Eben. Der Geruch paßt nicht hierher.«»Das Moos auch nicht«, murmelte ich.Schweigend überprüften wir jeden einzel-

nen Schalter. Wir stellten fest, daß alleÜbertragungswege funktionierten, die Bild-schirme hätten ausnahmslos hell sein müs-

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sen. Die Störung lag nicht in den Schaltun-gen, die sich hinter der Wand verbargen. Ir-gendwo in der Tiefe der Station waren be-stimmte Verbindungen unterbrochen wor-den.

»Zu den Räumen, die wir nicht einsehenkönnen, gehört die Hydroponik«, stellte Far-tuloon fest.

Er hatte sich an dieser Idee festgebissen.Eine pflanzliche Intelligenz – immerhin warich einer solchen Lebensform schon begeg-net. Die Sonnenpflanze … Aber das war imMikrokosmos gewesen, und außerdem lebtedieser seltsame Baum nicht in einer Raum-station.

Bei der Sonnenpflanze handelte es sichum keine echte Intelligenz, meldete sich dasExtrahirn sofort. Auf dem Sturmplanetenhatte sich ein Kollektivbewußtsein ent-wickelt, in dem die Pflanzen nur ein Faktorunter vielen waren.

Wenig später rief Akon-Akon uns zusam-men.

»Ich bin sicher, daß die Station verlassenwurde«, erklärte er. »Jetzt brauchen wir unsnur noch die Daten zu besorgen, die in denzentralen Speichern zweifellos vorhandensind.«

»Wir sollten vorerst noch abwarten«, mel-dete Fartuloon sich zu Wort, aber Akon-Akon wähnte sich seinem Ziel so nahe, daßer keine Minute mehr verlieren wollte. Erfunkelte den Bauchaufschneider zornig an,und gegen den Zwang, der von den großenroten Augen ausging, kam auch Fartuloonnicht an.

»Öffnet das Schott!« befahl er zwei Män-nern aus unserer Gruppe und deutete aufeinen Ausgang.

Schweigend machten die beiden Arkonidesich an die Arbeit. Das Schott reagierte zu-erst nicht auf ihre Bemühungen. Das Moossaß in allen Ritzen und verklebte sogar dieBedienungselemente. Akon-Akon wurde un-geduldig.

»Schneller!« hallte sein Befehl durch dieriesige Halle.

Die Männer warfen sich gegen das Schott,

rissen das Moos büschelweise von dem glat-ten Metall und hämmerten auf die Kontakt-stellen. Endlich rührte sich etwas. Ich hieltunwillkürlich den Atem an. Eine Ahnungsagte mir, daß im nächsten Moment etwasUnglaubliches geschehen mußte.

Plötzlich war das, was das Schott bishergehemmt hatte, überwunden. Die Mittelplat-te zischte in die Halterungen. Für einen Au-genblick sahen wir nur eine große, dunkleÖffnung. Dann löste die düstere Fläche sichauf und verwandelte sich in ein Gewirr vonÄsten.

Die beiden Arkoniden schrien entsetztauf. Lange Ranken schossen ihnen entgegen,besetzt mit scharfen Dornen. Gestank breite-te sich aus. Von winzigen, blattähnlichenAuswüchsen tropfte zäher Schleim auf denBoden.

Eine Ranke hatte den ersten Mann ge-packt. Mühelos durchdrangen die Dornenden Schutzanzug. Gleichzeitig legten sichgroße lappenförmige Gebilde um den Kopfdes Arkoniden. Die Schreie gingen in einemgrauenhaften Gurgeln unter.

»Schießt doch endlich!« schrie Akon-Akon wütend.

Der zweite Mann warf sich herum, als ei-ne Ranke seinen Kopf um Millimeter ver-fehlte. Er duckte sich unter einem zweitenPflanzenarm hinweg und versuchte, aus derReichweite der grauenhaften Gewächse zuentkommen. Es gelang ihm nicht. Er rutsch-te auf dem Schleim aus, und ehe er sich wie-der aufrappeln konnte, hatten meterlangeDornen ihn durchbohrt.

Wir waren wie gelähmt. Regungslos starr-ten wir auf die pflanzlichen Mörder, die ihrebeiden Opfer an sich rissen und in rasenderEile zurückwichen. Lautes Scharren undSchlurfen erklang, dann drangen erneutSchreie aus der Öffnung, die das Schott frei-gegeben hatte. Wir erwachten erst aus unse-rer Starre, als neue Äste erschienen und sichuns entgegenstreckten.

Sonnenheiße Energiestrahlen schlugenden Ästen entgegen. Fetter, schwarzerQualm stieg auf und verbarg die Killerpflan-

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zen vor unseren Blicken, aber wir feuertenimmer noch in diese Richtung, in der wirdiese unheimlichen Gegner wußten. Irgend-wo schaltete sich eine Absauganlage ein.Der Qualm wälzte sich einem Entlüftungs-schacht entgegen. Die Pflanzen schienennicht zu begreifen, daß sie gegen unsere Im-pulsstrahler nichts ausrichten konnten. Siedrängten immer wieder nach vorne und blie-ben als stinkende, verkohlte Überreste vordem Schott liegen.

»Wir müssen das Schott schließen!«keuchte Ra neben mir. »Die Biester gebennicht auf.«

Ich nickte ihm zu und folgte ihm, als erseitlich von der Gruppe weglief. Die Kon-trollen waren hinter einer Qualmwolke ver-borgen. Hinter uns brüllte Fartuloon Befeh-le, das Dröhnen und Fauchen der energeti-schen Entladungen hörte schlagartig auf. Inder plötzlichen Stille vernahmen wir über-deutlich das Scharren, mit dem sich jenseitsder Mauer aus Rauch und Gestank die Kil-lerpflanzen vorwärts schoben.

Ra gab mir ein Zeichen. Ich nickte undschloß den Helm des Schutzanzugs. Wäh-rend der Barbar die Umgebung im Auge be-hielt, rannte ich auf die Stelle zu, an der ichdie Kontrollen vermutete. Es wurde einWettlauf mit dem Tod.

Eine dicke Rußschicht bedeckte den Bo-den, verkohlte Pflanzenteile lagen dazwi-schen. An einigen Stellen züngelten blaueund grüne Flammen auf. Ich konnte kaumzwei Meter weit sehen. Hinter mir tastete Rasich vorwärts, nach allen Seiten sichernd.Trotz unserer Wachsamkeit tauchten aus denRauchschwaden zwei Pflanzenarme in be-ängstigender Nähe auf, schlugen nach unsund spritzten mit zähem Schleim um sich.Ra erledigte die vorderste Ranke, die zweiterückte blitzschnell nach, kroch über diebrennenden Überreste ihres Artgenossen undzielte mit ihren scharfen Dornen nach mir.

Ich warf mich nach hinten und ver-schwand in einer Wolke von aufstäubendemRuß. Ra stieß einen wütenden Schrei aus, et-was berührte mein linkes Bein, dann war es,

als wäre ich in einem Hochofen gelandet.Blendende Helligkeit umgab mich, das klei-ne Klimagerät im Anzuginnern wimmerteauf. Trotzdem wurde es ungemütlich heißfür mich.

Aus den zusammenfallenden Flammentauchte Ras grimmiges Gesicht auf. Wortlosreichte er mir die Hand und zog mich hoch.Ich sah hinter seinem Kopf eine Bewegungund schoß aus der Hüfte heraus auf dasnächste Ungeheuer. Ra grinste. Seine Augenfunkelten hinter dem Klarsichthelm. DerKerl schien selbst an diesem Kampf nochseinen Spaß zu haben!

Das Schott! erinnerte mich das Extrahirnüberflüssigerweise an den Sinn unseres Un-ternehmens.

Von hinten hörte ich polternde Schritte,ab und zu röhrte ein Strahler auf. Wir konn-ten die Wand noch nicht sehen. Der Qualmverbarg alles, was auch nur zwei Schritteentfernt lag. Diesmal blieben wir dicht ne-beneinander. Wir brauchten uns nicht langeabzusprechen. Jeder übernahm seinen Teilder Beobachtung. Noch zweimal tauchtenRanken vor uns auf. Es war offensichtlich,daß Hitze und Qualm die Pflanzenbehinder-ten, aber leider machten sie ihnen nicht ge-nug zu schaffen, um sie von ihrer Mordlustabzulenken.

»Das übernehme ich!« sagte ich, als end-lich das graue Metall vor uns auftauchte.

Während Ra mir den Rücken freihielt,leuchtete ich die Wand ab. Ich konzentriertemich völlig auf meine Arbeit, denn auf dendunkelhäutigen Mann von einem unbekann-ten Planeten konnte ich mich verlassen.Durch das Dröhnen der energetischen Entla-dungen, das Prasseln der Flammen und dasScharren und Kratzen der beharrlich vor-dringenden Mordpflanzen tastete ich michdem Schott entgegen. Als ich endlich durchden Rauch hindurch das schwache Glimmenwinziger Kontrollampen sah, warf ich michvorwärts, entdeckte die Kontaktplatte undschlug mit der geballten Faust dagegen.

»Zurück!« brüllte Ra.Ich ließ mich nach hinten kippen und roll-

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te mich über die Schultern ab. Als ich michaufrichtete, kratzte an der Stelle, an der ichgerade noch gestanden hatte, ein Bündel vonmeterlangen Stacheln über den Boden.Einen Lidschlag später löste das Gebildesich in Rauch und Flammen auf.

»Das Schott …« keuchte ich.»Es schließt sich«, versicherte Ra.Unheimliches Knirschen bekräftigte seine

Behauptung. Die Pflanzen schienen zu wis-sen, daß sie nur noch Sekunden zur Verfü-gung hatten, um an ihre Beute heranzukom-men. Wir flohen entsetzt vor den Massenvon Stacheln und klebrigen Blättern, diedurch das bereits halb geschlossene Schotthereinkatapultiert wurden.

Als wir für Fartuloon und die anderenwieder sichtbar wurden, ließen wir uns ein-fach fallen. Die Strahler brüllten auf undvernichteten alles, was außer uns noch ausden Rauchschwaden zu entkommen ver-suchte.

Als die Sicht frei war, sahen wir dasSchott. Die Wand ringsherum war ge-schwärzt und von glasigen Schmelzspurenzernarbt. Etliche Bildschirme waren zerstörtworden. Eingeklemmte Pflanzenteile hingenin den Fugen und zappelten wild. Von Ekelerfüllt, vernichteten wir die letzten Ranken.

*

Heydra wand sich verzweifelt unter denschmerzhaften Impulsen, die den Pflanzen-körper durchfluteten und auch vor ihrem ge-fangenen Bewußtsein nicht haltmachten.Dennoch empfand sie wilden Triumph. Dererste Schlag gegen die Eindringlinge warmißlungen. Die Diener der Blüte hatten ver-sagt. Heydra hatte viel von ihrem Wissenverloren, aber sie glaubte sich an Waffen zuerinnern, die denen der Fremden ähnlich wa-ren. Sie wußte, daß mit solchen Mitteln dieEntscheidung nicht herbeigeführt werdenkonnte, aber wenigstens ließen sich damitdie Voraussetzungen für die Zerstörung derBlüte schaffen.

Wie konnte sie den Fremden helfen?

Sie mußten in die Zentrale der Station ge-führt werden. Nur dort gab es eine Möglich-keit, die Roboter zu aktivieren.

Heydra verzweifelte fast an der Tatsache,daß sie absolut hilflos war. Ihre Kontrolleüber die Pflanze hatte sich in den letztenBlütenperioden weiter verringert, so daß sienun tatsächlich nur noch eine Gefangenewar, die tatenlos allem zusehen mußte. Sieentsann sich, daß sie anfangs wenigstens abund zu eine Ranke, ein Blatt oder ein Wur-zelorgan nach ihren Vorstellungen hatte diri-gieren können. Warum gelang ihr das nichtauch jetzt?

Sie erschrak, als die den drängenden Im-puls vernahm. Die Pflanze wollte mit ihr inVerbindung treten!

Hastig öffnete sie ihr Bewußtsein.Die Kommunikation beruhte nicht auf der

Basis formulierter Begriffe. Ein Informati-onsleiter nahm einen Teil von Heydras Be-wußtsein auf. Sie gelangte an die Stelle, ander das Problem vorlag. Ein Bildschirm. Erwar leer.

Heydra verbarg ihren Triumph. Das wardie Chance.

Sie übernahm den bereitgestellten Wur-zelfaden und dirigierte ihn über das Schalt-feld. Die Informationseinheit hielt sich zu-rück. Das Bewußtsein der Pflanze war inviele feine Äste aufgespalten. Diese Infor-mationseinheit gehörte nicht einmal zu demHauptkörper, der die Blüte trug. Das relativdumme Pflanzenwesen, daß sich hier seinesAuftrags entledigte, verstand von dem, wasHeydra tat, überhaupt nichts. Sie hatte freieHand.

Der geschmeidige Wurzelfaden glitt überdie Kontakte. Zwei kleine, quadratischePlatten wurden heruntergedrückt. Die einesorgte dafür, daß der Bildschirm sich erhell-te und das Innere der Ankunftshalle zeigte.Heydra musterte mit den photosensitivenZellen der Wurzelhaube das Ausmaß derZerstörung. Bedauernd stellte sie fest, daßauch die Fremden zwei Opfer zu beklagenhatte. Fünfunddreißig Empfangssymbolehatte der Transmitter abgegeben, aber nur

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dreiunddreißig Wesen hielten sich in derZentrale auf. Heydra war seltsam berührtvon diesem Bild. Es waren Frauen bei derGruppe. Die Fremden gehörten nicht zumVolk der Akonen, sahen ihnen jedoch sehrähnlich.

Bisher hatten die Fremden noch nicht be-merkt, daß ein Bildschirm sich eingeschaltethatte, der mit der Zentrale verbunden war.Heydra hätte sich gerne Gewißheit darüberverschafft, daß diese Leute die richtigenSchlüsse zogen, aber die Informationseinheitwurde unruhig. Sie durfte keinen Verdachterregen. Hastig zog sie sich entlang der or-ganischen Verbindung in den Körper derBlüte zurück.

Lange Zeit verhielt sie sich still. Dannstreckte sie behutsam einen Gedankenfühleraus und zapfte einen anderen Informations-leiter an.

Die Blüte war in höchstem Maße erregt.So viele Opfer waren noch nie in die Stationgekommen. Heydra stellte fest, daß denFremden ein harter Kampf bevorstand. DieBlüte war fest entschlossen, alle Kräfte indiese Schlacht zu werfen. Ein anderes Pro-blem bildeten die Raubpflanzen, die ihrer-seits auf Beute erpicht waren. Auch siestammten von der ersten Blüte ab, hattensich aber im Lauf der Zeit anders entwickeltund die Kommunikationen abgebrochen.Außer ihnen gab es noch andere Splitter-gruppen von Pflanzen, die eigene Ziele ver-folgten. Es war zu befürchten, daß sie sichunter dem Druck der Nahrungsbeschaffungden Raubpflanzen anschlossen.

Heydra konnte sich nicht daran erinnern,die Station jemals von solch hektischer Akti-vität erfüllt gesehen zu haben. Sämtliche In-formationsleiter arbeiteten. Flüssigkeit undNährstoffe wurden mit überhöhter Ge-schwindigkeit durch das Versorgungssystemgepumpt. Monströse Blätter riegelten ganzeTeile der Station hermetisch gegen alle Ein-dringlinge ab. Gleichzeitig erfolgte der ersteAngriff der Raubpflanzen. Die Schlacht be-gann.

2.

Akon-Akon wirkte einigermaßen verwirrt.Auf Ereignisse dieser Art war er nicht vor-bereitet.

»Was sind das für Pflanzen?« fragte er.»Warum greifen sie uns an?«

»Das ist doch offensichtlich«, knurrte Far-tuloon und streichelte gedankenverloren denGriff seines Schwertes. »Sie wollen unsfressen. Wenn das hier wirklich eine Stationim Weltraum ist, dürfte ihre Gier verständ-lich sein. In einem geschlossenen Systemmüssen zwangsläufig Nahrungsproblemeentstehen.«

»Aber woher kommen sie?«Fartuloon zuckte die Schultern.»In allen Raumstationen gibt es normaler-

weise Hydroponikanlagen. Nachdem dieAkonen sich zurückgezogen haben, sind diePflanzen wahrscheinlich aus den Tanks aus-gezogen. Wir wissen nicht, was im einzel-nen vorgefallen ist.«

»In Hydroponiktanks züchtete man dochkeine fleischfressenden Pflanzen!«

»Natürlich nicht. Es muß zu Mutationengekommen sein. Dafür gibt es viele mögli-che Ursachen, Strahlungseinbrüche zumBeispiel schadhafte Stellen im Versorgungs-system, durch die Schadstoffe in die Tanksgelangten. Wir werden es wohl kaum her-ausbringen. Allerdings scheint eines festzu-stehen: Die Pflanzen beherrschen große Tei-le der Station. Und sie machen Jagd aufuns.«

»Wir müssen in die Zentrale!«»Wir werden es versuchen«, versicherte

Fartuloon erstaunlich ruhig. »Aber ein Spa-ziergang wird es nicht werden. Warum müs-sen wir eigentlich dorthin?«

»Der Transmitter muß justiert werden.Mein Kerlas-Stab hilft mir da auch nichtweiter. Ich brauche die genauen Daten, umeine Verbindung zwischen diesem Transmit-ter und einer Gegenstation im Blauen Sy-stem zu schaffen.«

Die Gründe dafür, daß Akon-Akon mit

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solcher Beharrlichkeit einen Weg in dasVersteck der Akonen suchte, waren uns be-kannt. Sie hatten ihn – noch vor seiner Ge-burt – auf ein bestimmtes Ziel program-miert. Er wollte mehr darüber erfahren,mehr auch über sich selbst. Aber so ver-ständlich die Motive des Jungen auch seinmochten – seine Ziele stimmten nicht mitunseren Absichten überein. Etliche To-desopfer hatte diese Hetzjagd bereits geko-stet. Jeder Schritt brachte uns weiter von denBrennpunkten dessen fort, was im GroßenImperium geschah. Es hatte keinen Sinn,sich gegen Akon-Akon aufzulehnen. Er be-herrschte uns völlig. Allerdings hatte sichseine Haltung uns gegenüber doch schon et-was gewandelt. Er betrachtete uns nichtmehr nur als Sklaven. Daher war es wenig-stens möglich, ab und zu Bedenken zu äu-ßern.

»Die Großtransmitter stehen untereinan-der in Verbindung«, murmelte Fartuloon.»Das hat jedenfalls die Erfahrung gezeigt.Warum versuchen wir es nicht woanders?«

Akon-Akon antwortete nicht. In seinemhageren Gesicht arbeitete es. Für einen Au-genblick hatte ich Hoffnung, daß er auf denVorschlag eingehen würde. Ich hatte michgeirrt.

»Es gibt noch zwei Ausgänge«, stellte erfest. »Wir versuchen es dort. Diesmal sindwir gewarnt. Wir werden die Pflanzen zu-rückschlagen.«

Als wir das nächste Schott erreichten,schob sich Vorry neben mich.

»Laß mich das machen«, sagte er. »Anmir werden sich die Biester die Zähne aus-beißen. Ich werde sie mit Wonne zer-drücken!«

Ich grinste. Der Magnetier blickte michmißtrauisch an.

»Traust du mir das etwa nicht zu?« erkun-digte er sich empört. »Mit dem bißchenGrünzeug werde ich spielend fertig!«

»Natürlich«, nickte ich und sah die ande-ren fragend an. Akon-Akon gab demschwarzen Tonnenwesen einen Wink.

Während Vorry auf seinen vier Füßen

vorwärts stampfte, zogen wir uns ein Stückzurück. Die Waffen hielten wir schußbereit.Wir rechneten mit allem möglichen.

Lautlos bildete sich eine Öffnung. Vorrysprang kampfbereit vor und spähte um dieEcke.

»Nichts!« knarrte er enttäuscht.Der Gang war matt erleuchtet. An den

Wänden wuchsen einzelne Moospolster. DerBoden war mit zerfallenen Pflanzenteilenbedeckt, in dem kleine Gruppen niedrigerGewächse standen. Keine Spur von den Un-geheuern mit den meterlangen Dornen.

»Wollen wir es bei dem zweiten Schottauch noch probieren?« fragte Vorry eifrig,aber Akon-Akon wehrte ab.

»Besser können wir es gar nicht treffen.Vorwärts!«

Die kleinen Pflanzen mit ihren dickflei-schigen Blättern reagierten auf unsere Annä-herung mit Flucht. Sie zogen die kurzen,dicken Wurzeln aus der Humusschicht undkrochen davon. Dunkle Seitengänge nahmensie auf. Das Moos dagegen änderte lediglichseine Farbe.

Ich leuchtete in einen Seitengang hinein.Auch hier war der Boden mit Zerfallsstoffenbedeckt. Die Pflanzen drängten sich an denWänden. Es schien, als hätten sie Angst.

Wir schritten zügig voran. An unsererUmgebung änderte sich nichts. Ich hieltAusschau nach eventuellen Deckungsmög-lichkeiten, denn ich rechnete jeden Augen-blick damit, daß ein neuer Angriff erfolgte.Es gab in regelmäßigen Abständen Türen.Versuchshalber berührte ich eine Kontakt-scheibe. Die Tür ächzte und quietschte, öff-nete sich dann jedoch und gab den Blick ineinen leeren, dunklen Raum frei. Alle Ein-richtungsgegenstände, die sich einmal darinbefunden hatten, waren zerfallen. Aus einerdicken Staubschicht ragten dünne Metalltei-le auf. Sie sahen wie Gerippe aus. Ich konn-te nicht erkennen, welchen Zweck sie ein-mal erfüllt hatten. Pflanzen gab es in diesemRaum nicht.

Hastig eilte ich weiter, um den Anschlußan die Gruppe nicht zu verlieren.

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Vorry ging noch immer an der Spitze.Hinter ihm kamen vier Männer, dann Akon-Akon, darauf der Rest der Gruppe. Fartu-loon, Ra, Karmina Arthamin und ich bilde-ten den Abschluß. Vorry ersetzte, was dieKampfkraft betraf, ein gutes Dutzend erfah-rener Männer. Der Überfall kam so plötz-lich, daß niemand Zeit bekam, sich auf dienahende Gefahr vorzubereiten.

Es knallte weiter vorne – ein dumpfes,merkwürdiges Geräusch. Wir blieben sofortstehen. Ein dichter Nebel wallte auf.

»Sporenkapseln!« röhrte Vorry los. »Siesind geplatzt. Ich konnte sie für einen Au-genblick sehen.«

»Wir gehen weiter!« sagte Akon-Akonhart.

Gegen unseren Willen taten wir einigeSchritte nach vorne. Diese Sporenwolkengefielen mir gar nicht. Sie verdeckten unsdie Sicht, und einem Gegner boten sie gutenSchutz.

»Pflanzen!« brüllte Vorry. »Direkt voruns!«

Bei dem letzten Wort preschte er bereitsden Angreifern entgegen. Die Sporenwolkenrissen für einen Augenblick auseinander.Monströse Gestalten wurden sichtbar, knor-rige Gewächse mit langen, peitschenförmi-gen Ästen und Leibern, die wie Knäuel vonineinander verschlungenen Schlangenleibernaussahen. Sie bewegten sich scheinbar unbe-holfen vorwärts. Die langen, staksigen Lauf-wurzeln zogen tiefe Furchen in den weichenHumus.

Der Magnetier schlug wie ein Geschoß indie Reihen der Angreifer. Ein halbes Dut-zend Pflanzen wurde zur Seite gewirbelt.Zwei dieser laufenden Bäume fielen zwi-schen ihre Artgenossen, krachten zu Bodenund blieben mit hilflos zuckenden Wurzelnliegen. Lange Äste schnellten vor, ein schril-les Geräusch ließ uns die Haare zu Bergestehen. Aus den Ästen ragten unzählige spit-ze, schräg nach hinten gerichtete Dornenhervor. Die mörderischen Pflanzen benutz-ten diese Waffen als Sägen und teilten blitz-schnell die wehrlosen Artgenossen auseinan-

der. Während sich einige Bäume um die zer-fetzte Beute stritten, rückten die anderenvor.

Vorry war in seinem Element. Seiner ge-panzerten Haut konnten die Dornen nichtsanhaben. Er setzte das volle Gewicht seinesKörpers ein, unterlief die peitschenden Ästeund zerfetzte die Stämme mit den bloßenHänden. Aber die Angreifer waren zu zahl-reich. Der Lärm machte eine Verständigungunmöglich. Die ersten Bäume hatten uns fasterreicht, als Vorry sich endlich besann. Aufseinen vier kurzen, ungemein starken Beinenstürmte er zurück und warf sich auf diePflanzen, deren Äste nach uns griffen. Erzerriß die vordersten Gegner, dann wich erzur Seite aus und gab uns damit endlich Ge-legenheit, die Waffen einzusetzen.

Wir merkten sehr schnell, daß unsereStrahler in dieser Situation nur bedingt ver-wendbar waren.

Der erste Glutstrahl zerriß eine Mord-pflanze. Gleichzeitig entzündeten sich dieschwebenden Sporen. Die staubtrockenenPartikel lösten eine Explosion aus, die unszu Boden warf. Eine Glutwelle raste überuns hinweg. Ich hörte Schreie, Vorrys wü-tendes Gebrüll, dann knarrte es neben mir.

In einem Reflex rollte ich mich zur Seite.Ein Gewirr von zuckenden Laufwurzeln ge-riet in mein Blickfeld. Ich zog den Impuls-strahler, aber im gleichen Moment knattertees, und neue Sporenwolken breiteten sichaus. Ich wagte es nicht, unter diesen Um-ständen einen Schuß abzugeben, sondernkroch hastig von der umgestürzten Pflanzeweg.

Wir waren eingeschlossen.Unbemerkt hatten sich Dutzende von beu-

tegierigen Pflanzen in unseren Rücken ge-schoben. Wahrscheinlich hatten sie einender unbeleuchteten Seitengänge benutzt,aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Siestaksten heran, schlugen mit ihren Zweigenum sich und erzeugten dabei ein hohles Pfei-fen. Vor uns war die Front der mörderischenBäume vorübergehend durcheinandergera-ten. Die Hitze gefiel ihnen gar nicht. Einige

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waren angesengt worden und standen mithängenden Zweigen regungslos herum. Siewurden die Opfer ihrer Artgenossen, unddas brachte weitere Verwirrung in die Rei-hen der Gegner. Aber im Schutz der Sporenformierten sie sich neu.

Akon-Akon stand dieser Situation hilflosgegenüber. Aus großen Augen starrte er diePflanzen an.

»Nicht schießen!« schrie Ra mit über-schnappender Stimme.

Ich wirbelte herum und sah eine Frau, diemit dem Strahler auf einen Baum zielte, des-sen Zweige nur noch einen knappen Metervon ihr entfernt waren. Die Arkonidin warstarr vor Entsetzen. Ihr Finger krümmte sich– sie hatte den Ruf des Barbaren gar nichtwahrgenommen.

Ein langer Sprung brachte mich in die Ge-fahrenzone. Ich bekam das Handgelenk derArkonidin zu packen, und es gelang mir, denSicherungshebel der Waffe herumzulegen –genau in dem Moment, in dem sie den Ab-zug betätigte. Sie wehrte sich gegen mich.Die Zweige peitschten heran. Ich ließ micheinfach nach hinten fallen und riß die Fraumit mir. Wir rollten über die Humusschicht,wenige Zentimeter von den Dornen entfernt,die den fauligen Bodenbelag aufrissen.

Noch immer hielt die Arkonidin denStrahler umklammert. Verzweifelt versuchteich, ihr die Waffe zu entwinden, aber Furchtund Entsetzen trübten ihren Verstand undverliehen ihr unheimliche Kräfte. Die Spo-ren wogten um uns herum, setzten sich inMund, Nase und Augen, drangen in dieLuftwege ein und riefen Hustenkrämpfe her-vor.

Der Schutzhelm!Der gute Rat des Extrahirns kam um eini-

ges zu spät. Erstens war mein Gesicht be-reits völlig verklebt, zweitens hatte ich ge-nug zu tun, die Arkonidin daran zu hindern,den Schuß auszulösen, der für uns alleschlimme Folgen haben mußte. Die Sekun-den dehnten sich zu Ewigkeiten aus, meineWelt schmolz zusammen auf wenige MeterRaum, der erfüllt war von ätzendem Staub,

stinkenden Pflanzenteilen, herabsausendenÄsten und aufwirbelndem Ruß.

Plötzlich blitzte etwas am Rand meinesGesichtskreises. Eine wuchtige Gestaltdrang in meine kleine Welt vor, die Klingeeines Schwertes zischte durch die Luft –Fartuloon war da.

Mit dem Skarg schlug er drei oder vierÄste ab. Sie fielen zu Boden, versuchtenschlangengleich davonzukriechen, bliebenaber nach wenigen Sekunden liegen. DieMordpflanzen registrierten Gegenwehr undhielten inne. Für einen Augenblick konnteich mich auf die Waffe in der Hand der Ar-konidin konzentrieren. Ich gewann endlichdiesen sinnlosen Kampf. Wenigstens dieseGefahr war gebannt.

Aber auch der Bauchaufschneider konntenicht mehr tun, als uns eine kurze Atempau-se zu verschaffen. Schritt für Schritt zogenwir uns zurück.

»Es ist sinnlos«, keuchte Fartuloon.»Gegen diese Massen von Pflanzen kommenwir nicht an.«

»Zur Wand«, brachte ich hustend hervor.»Wir müssen eine Tür finden!«

Schemenhaft tauchten die anderen ausdem Nebel der Sporen auf. Vorry wütetenoch immer wie ein Berserker, aber für jedePflanze, die er zerstörte, tauchten fünf neueGegner auf. Ein grauenhafter Schrei ließmich herumfahren. Die Arkonidin, die icheben noch neben mir gesehen hatte, hing inden Ästen eines Baumes. Blut färbte an un-zähligen Stellen ihre Kombination, diescharfen Dornen zerrissen sie bei lebendi-gem Leibe. Ich wollte vorspringen, aber Far-tuloon hielt mich fest. Resignierend senkteich den Kopf. Hier kam jede Hilfe zu spät.Nur langsam wich die Betäubung von uns.Der unerwartete, erbarmungslose Kampf derPflanzen hatte uns überrascht und vorüber-gehend in unserer Entscheidungsfähigkeitgehemmt. Jetzt kam wieder Ordnung in un-sere Gruppe.

»Die nächste Tür ist dort drüben!« sagteich. Fartuloon nickte grimmig und schlugmit dem Schwert nach einem dornenbesetz-

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ten Ast.»Alles zu mir!« brüllte er mit der Stimm-

gewalt einer Sirene. »Vorry –, sichere dielinke Flanke. Wir ziehen uns zurück!«

Ra tauchte neben mir auf, grinste flüchtigund hob die rechte Hand. Ein langes Messerblitzte auf. Es war eine ziemlich erbärmlicheWaffe, im Vergleich zu dem, was die Pflan-zen zu bieten hatten, aber immer noch besserals die bloße Hand. Fartuloon hieb mitwuchtigen Schlägen auf die nachdringendenÄste ein und brüllte dabei zwei Männer an,die wie die Ölgötzen dastanden. Ich verließmich darauf, daß mir der Rücken freigehal-ten wurde, und trieb die Leute vor mir erbar-mungslos an. Die Wand war erstaunlicher-weise frei. Das Moos wechselte hektischvon einer Farbe in die andere.

»Ihr beiden – helft mir!«Zwei Männer rissen das Moos von den

Wänden und suchten nach der Kontaktschei-be für die Tür, die sich undeutlich abzeich-nete. Endlich fand einer von ihnen die richti-ge Stelle. Er schlug auf die quadratischePlatte – die Tür rührte sich nicht. Gemein-sam stemmten wir uns gegen die Metallplat-te, aber der Eingang blieb verschlossen.

Von rechts drangen die Pflanzen nun auchentlang der Wand vor. Wir wichen zur ande-ren Seite hin aus, wo Vorry dafür sorgte, daßder Vormarsch der Bäume immer wieder insStocken geriet. Der Rest der Gruppe hattesich eng zusammengedrückt und blieb hinteruns. Die nächste Tür tauchte auf. Wieder be-gann die Suche nach dem Kontakt, der unterder Moosschicht verborgen lag.

Als die Tür sich mit leisem Knirschen zuöffnen begann, brach einer der Bäume aufFartuloons Seite durch. Schreiend lief allesauseinander. Ich spürte einen scharfenSchmerz in der rechten Schulter, dann warder wachsame Magnetier zur Stelle. DieMordpflanze wankte unter dem Ansturm desschweren Körpers. Vorry schob sich zwi-schen den Laufwurzeln und drückte das Ge-wächs auf die Front der anderen Bäume zu.

Die Tür war offen. Als einer der erstenzog Akon-Akon sich in den dahinterliegen-

den Raum zurück. Der große Teil der Frauenfolgte ihm. Dann sah es aus, als sollten wirvon gänzlich unerwarteter Seite Hilfe erhal-ten.

Eine andere Pflanzenart griff in denKampf ein. Sie ähnelte der Sorte, die wir inder Transmitterhalle kennengelernt hatten,aber sie stürzte sich mit erstaunlicher Wild-heit auf die mörderischen Bäume. Ein Arko-nide, der keine zwei Schritte neben mir war,brüllte begeistert, als die Ranken, zwei dreiBäume ergriffen und zerfetzten. Ich schrieeine Warnung, aber es war zu spät. Ein an-derer Baum packte den Mann und riß ihnmit sich fort, ehe ich auch nur die Chancehatte, dem armen Kerl zu helfen.

Schleim triefende Blätter fingen die peit-schenförmigen Äste ab. Der Baum, der sichmit seiner Beute davonmachen wollte,stemmte sich gegen das Hindernis, aber sei-ne Kräfte schwanden zusehends. Die Um-klammerung der Dornen löste sich, der Kör-per des Arkoniden glitt an dem knotigenStamm entlang zu Boden. Deutlich erkannteich, daß der Mann noch lebte. Ich sprangvor, um ihn aus dem Gefahrenbereich zuziehen. Ein herabklatschendes Blatt ver-sperrte mir den Weg. Ich wich hastig aus,und dann sah ich ein anderes Blatt, das denMann hoch in die Luft schwang und ihnzwischen die langsam zurückweichendenMordbäume schleuderte.

Bis auf Vorry, Ra, Fartuloon und michwaren jetzt alle Überlebenden in Sicherheit.Auch wir wichen immer weiter zurück, undendlich erreichten wir die Tür. Vorry hieltWache, und mit seinen kräftigen Armen finger den letzten Pflanzenarm ab, der sich nochzu uns hereinschieben wollte. Dann warendlich Ruhe, Draußen tobten die Pflanzen,aber zwischen ihnen und uns befand sich ei-ne stabile Wand.

Ein schneller Rundblick zeigte uns, daßwir in einen Schaltraum geraten waren.Pflanzen gab es hier nicht. Ehe wir uns ge-nauer umsahen, brauchten wir eine kurze Er-holungspause. Wieder hatte es Opfer gege-ben. Jetzt gingen bereits vier Tote auf das

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Konto der Pflanzen. Das Schicksal einesweiteren Mannes warf einige Rätsel auf.

Ra behauptete, die Pflanzen hätten diesenArkoniden – er hieß Gorkalon – verschleppt.Er hatte beobachtet, wie eines der klebrigenBlätter den Mann eingehüllt hatte. Die dazu-gehörige Ranke zog sich daraufhin zurück.Ra war fest davon überzeugt, daß Gorkalonzu diesem Zeitpunkt noch gelebt hatte.

Wir waren der totalen Erschöpfung nahe.Selbst das Getöse, das die Pflanzen vor derTür vollführten, ließ uns kalt. Wir sankenauf den kalten Boden und warteten, bis un-sere Kräfte zurückkehrten.

3.

Etwas später hielten wir Kriegsrat ab. Wir– das waren jetzt noch siebzehn Frauen,zwölf Männer und ein schwarzes Tonnen-wesen, von dem niemand weiß, woher esstammte.

»Ich gehe hinaus und zerdrücke sie alle!«schlug Vorry vor. »Wenn die Luft rein ist,hole ich euch ab!«

Er blickte erwartungsvoll in die Runde.»Du bleibst hier!« befahl Fartuloon.Der Magnetier zog schmollend den Kopf

ein. Akon-Akon dagegen betrachtete dasschwarze Geschöpf nachdenklich.

»Ich halte die Idee für gut«, sagte er.»Wir haben keine Chance«, knurrte der

Bauchaufschneider.»Wenn wir ungeschoren in die Transmit-

terhalle zurückkehren können, haben wirmehr Glück als Verstand. Gegen diesePflanzen gibt es keine wirksame Verteidi-gung – jedenfalls mit den uns zur Verfügungstehenden Mitteln. Uns bleibt nur der Wegzurück. Der Transmitter ist betriebsfähig,die Flucht aus der Station ist also durchausmöglich.«

»Nein!«»Warum nicht?«»Ich bin meinem Ziel schon zu nahe«,

sagte der Junge von Perpandron hart. »Ichgebe nicht auf. Diese Gewächse werdenmich nicht daran hindern, das Versteck mei-

ner Väter zu finden. Der Schlüssel befindetsich hier, in greifbarer Nähe!«

»Sollen wir noch mehr Leute verlieren?«fragte ich ärgerlich.

Akon-Akon richtete sich auf und blickteuns herrisch an.

»Wir bleiben hier. Nach einer kurzen Rastwerden wir einen Ausbruch versuchen. Undwir werden siegen!«

»Verdammter Narr!« murmelte Ra.Ein Geräusch ließ mich zusammen-

zucken. Ich blickte nach oben und sah, wiesich eine Luke in der Decke des Raumes bil-dete. Während ich noch darüber nachdachte,welche Teufelei die Pflanzen nun wiederausgeheckt haben mochten, tauchte einkopfgroßer, runder Gegenstand in der Öff-nung auf.

»Schutzhelme schließen!« befahl Fartu-loon scharf.

Das ballförmige Gebilde fiel herab. Diebeiden Männer, zwischen denen es auf-schlug, brachten sich mit riesigen Sprüngenin Sicherheit. Die Kugel zerplatzte und ver-sprühte eine helle Flüssigkeit. Ich bekamnoch einen Hauch des stechenden Geruchsin die Nase, dann atmete ich die saubereLuft des Versorgungssystems. Aber welcheWirkung die Flüssigkeit hatte, erkannte ichtrotzdem schnell genug. Wo das Zeug orga-nische Materie berührte, schäumte es auf.Ein Konzentratriegel, der zufällig liegen ge-blieben war, verwandelte sich in eine bla-senwerfende Masse.

Zum Glück war niemand direkt getroffenworden. Dem Material, aus dem unsere An-züge bestanden, konnte die ätzende Flüssig-keit nichts anhaben, aber wir durften uns aufdiesen schützenden Faktor nicht zu fest ver-lassen. Infolge der zahlreichen Unannehm-lichkeiten, die die Suche nach dem Versteckder Akonen bisher mit sich gebracht hatte,waren auch unsere Schutzanzüge nicht mehrgerade neuwertig.

Bei dieser Gelegenheit erinnerte ich michdaran, daß eine der dornigen Ranken michan der Schulter gestreift hatte. Seltsamerwei-se spürte ich die Wunde kaum, und da jetzt

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offensichtlich nicht der geeignete Zeitpunktwar, sich mit derartigen Kleinigkeiten abzu-geben, kümmerte ich mich nicht weiter dar-um. Das war ein Fehler, wie sich gleich dar-auf zeigen sollte.

Die Kugel mit ihrem gefährlichen Inhaltbildete den Auftakt zu einer weiteren An-strengung der Pflanzen, uns in ihre Gewaltzu bringen.

In unablässiger Folge polterten aus immerneuen Öffnungen die verschiedenartigstenGegenstände in unser Versteck. Fast allezerplatzten, sobald sie den Boden berührten,und entließen dabei Flüssigkeiten, schleimi-ge Substanzen oder Wolken von feinemStaub, Sporen vermutlich. Andere schienenauf den ersten Blick harmlos zu sein, einfachnur leere Schalen.

Nach dem ersten Schrecken eröffnetenwir die Schlacht unsererseits damit, daß einTeil der Waffen sich auf die Geschosse rich-tete und sie mit gezielten Schüssen mög-lichst noch vor dem Aufprall vernichteten.Unsere zweite Aufgabe bestand darin, dieÖffnungen zu verschließen, denn die Pflan-zen verfügten über nahezu unbegrenzteMengen an diesen Kapseln.

Wir mußten vorsichtig sein. Der Schal-traum war ziemlich groß, aber die Luft heiz-te sich schnell auf. Wir mußten mit allemrechnen – auch damit, daß die Pflanzen dieKlimaanlage lahmlegten. Zum Glück warVorry bei uns. Ihm konnten die teuflischenMixturen aus der Giftküche dieser aggressi-ven Gewächse nichts anhaben – wenigstenssah es so aus. Er war überall zur Stelle, woAngehörige unserer Gruppe in Bedrängnisgerieten.

»Wir nehmen die Luke da oben!« schrieFartuloon mir zu. Ich nickte und richtete denStrahler auf das Ziel. Aber plötzlich ver-schwamm die Umgebung vor meinen Au-gen. Alle Umrisse verzerrten sich, als würdeich durch eine Schicht sehr heißer Luftblicken. Das Ganze dauerte nur Sekunden,dann glitten die Konturen an ihren altenPlatz zurück. Ich fing Fartuloons fragendenBlick auf und konzentrierte mich auf meine

Aufgabe.Die Luke, die wir uns ausgesucht hatten,

war noch geschlossen, aber sie vibrierte, alswürden ständig harte Gegenstände darauffallen. Die Energiestrahlen aus unseren Waf-fen schmolzen die Ränder der Klappe undverschweißten sie mit der Decke.

Wieder verwischten sich die Bilder vormeinen Augen. Ich verlor die Orientierung.Der Boden unter meinen Füßen bewegtesich in langen Wellen.

Als ich wieder klar sehen konnte, hatteFartuloon mich am Arm gepackt.

»Was ist los?« fragte er.»Keine Ah …«, brachte ich noch hervor,

dann warf etwas mich in die Höhe und ließmich gleich darauf fallen.

Ich landete in einer Pfütze von blauenSchleim. Ich konnte sehen und hören, michjedoch nicht zielbewußt bewegen. Der Zu-stand, in dem ich mich befand, ähnelte dem,den ein Paralyseschuß auslöste.

Der blaue Schleim reagierte auf meineAnwesenheit. Er zog sich um mich herumzusammen und wallte an meinem Körperhoch. Ich wußte, daß ich unbedingt etwasunternehmen mußte. Der Schleim wolltemich einschließen. Ich spürte den Griff derWaffe noch in meiner rechten Hand, abermeine Finger gehorchten mir nicht.

Wo blieb Fartuloon? Warum half er mirnicht?

Ich schwebte in einem halb traumhaftenZustand. Die Gestalten der anderen, die aufder Flucht vor neuen Geschossen davonha-steten, sich hinter Instrumentenblöcke duck-ten und das Feuer eröffneten, waren groteskverzerrt. Mal waren sie dünn wie Striche,dann wieder ähnelten sie Kugeln, die ausein-anderzufließen drohten.

Irgendwann wich das Bewußtsein der dro-henden Gefahr einer stillen Belustigung. Einungewöhnlich breiter Schatten glitt auf michzu, hielt schwappend und glucksend dichtvor mir an und gab höchst merkwürdige Ge-räusche von sich. Ich kicherte leise.

Der Schatten bewegte sich unruhig. Eindünner Auswuchs streckte sich schwankend

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nach mir aus, eine riesige Hand berührtemich. Gleichzeitig zischte etwas neben mei-nem Kopf. Ich kicherte wieder – und imnächsten Augenblick standen mir die Haarezu Berge.

Abrupt hatte sich die Szene gewandelt.Ich sah dicht vor meinen Augen eine dünneSchicht von dem blauen Schleim. Dahinterhockte Fartuloon. Vorry preschte heran.

Ein Nervengift! meldete sich mit schmerz-hafter Intensität das Extrahirn. Fartuloon hatdie Sauerstoffzufuhr erhöht, aber die neutra-lisierende Wirkung wird nicht lange anhal-ten. Im Nackenteil des Anzugs ist eine un-dichte Stelle. Von dort aus dringt das Gas inden Helm ein.

»Schon gut«, murmelte ich. »Deshalbbrauchst du nicht so zu schreien.«

»Atlan!«Ich versuchte, Fartuloon einen verweisen-

den Blick zuzuwerfen, aber ich war mirnicht sicher, ob meine Gesichtsmuskeln mirgehorchten. Es schien nicht so, denn derBauchaufschneider starrte mich angstvollan.

»Ich hole ihn heraus!«Das war Vorry. Warum mußten nur alle

so laut schreien?Vorrys schwarze Hände griffen nach mir.

Ich wurde hochgerissen und stand für einenMoment taumelnd da, dann gaben meineKnie nach. Fartuloon fing mich auf.

»Dieser verdammte Schleim!« keuchte er.»Wie kriegen wir den ab?«

Ich war nicht in der Lage, mich zu diesemProblem zu äußern. Ich merkte, wie die Um-risse der Gefährten wieder zu verschwim-men drohten. Offensichtlich floß das blaueZeug von selbst ab, denn die Öffnung imNacken mußte jetzt wieder frei sein. Das be-täubende Gas drang in den Helm. Wenn ichmich nur verständlich hätte machen können!

Vorry und Fartuloon unterhielten sichkurz, aber jetzt war auch mein Gehör so an-gegriffen, daß ich kein Wort verstand. DerMagnetier packte mich erneut, legte michüber seine Schultern und schleppte mich inden fragwürdigen Schutz eines Schaltblocks.

Inzwischen hatte sich die Lage stabilisiert.Nur noch wenige Öffnungen boten den

Geschossen der Pflanzen die Möglichkeit,zu uns vorzudringen. Auch sie schlossensich langsam. Wenige Meter neben mir zerr-te ein Arkonide an der Verkleidung einesGeräts. Er riß eine Platte aus Metallplastikab und hastete damit im Zickzack davon.Die Platte wurde ihm abgenommen, undwährend er zu dem Aggregat zurückeilte,drückten andere die Platte gegen eine Öff-nung. Von innen leisteten die nachdringen-den Pflanzenteile erbitterten Widerstand.Trotzdem wurde auch dieser Gefahrenherdendlich beseitigt. Nur noch vereinzelt röhrteein Schuß.

Das alles nahm ich zwar nur verschwom-men wahr, aber seit ich wieder am Bodenlag, verschlechterte sich mein Zustand we-nigstens nicht.

»Keine Angst«, sprach Fartuloon aufmich ein. »Wir schaffen es schon. Vorry hatdeine Beine fast frei. Leider ist er der einzi-ge, der sich an das Zeug heranwagen darf.«

In meinem Nacken kribbelte es. Ich konn-te noch immer nicht sprechen. Deutlichspürte ich, daß etwas meine Haut berührte.Vorry befreite meine Beine von dem blauenSchleim – woher hätte der Magnetier wissensollen, daß die Gefahr an einem ganz ande-ren Punkt lag?

Fartuloon blieb bei mir und beobachtetemich besorgt. Ab und zu stellte er Fragen.Nur sehr langsam kam ihm der Gedanke,daß der Schleim alleine mir nicht so sehr zuschaffen machen konnte.

»Hast du Schmerzen?«Ich schloß mühsam die Augen und öffnete

sie wieder. Zweimal, das bedeutete »Nein.«»Ist es der Schleim, der dich betäubte?«Ratlos sah er mich an, nachdem ich auch

diese Frage verneinend beantwortet hatte.Dann endlich hatte er die richtige Idee.

»Gas?«Ich blinzelte einmal.»Wo dringt es ein?«Eine solche Frage ließ sich nicht durch

Augenbewegungen beantworten. Ich strapa-

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zierte meine Stimmbänder, aber nur ein hei-seres Gurgeln drang aus meinem Mund. ImAugenblick konnte ich zwar einigermaßenklar denken, aber die Kontrolle über meinenKörper entglitt mir immer stärker.

Fartuloon richtete sich auf, gab Vorryeinen hastigen Wink und deutete auf meineSchulter.

»Da sind Blutspuren«, stellte er fest.»Dreh ihn um. Wir müssen das Loch im An-zug finden!«

Inzwischen waren fast alle noch so winzi-gen Öffnungen in den Wänden abgedichtetworden. Die auf dem Boden zerplatztenKapseln hatten ihre Aufgabe erfüllt – zuweiteren Aktionen taugten sie offensichtlichnicht. Einige Frauen und Männer begannenbereits mit den Aufräumungsarbeiten, indemsie die Überreste der pflanzlichen Geschossein einer Ecke zusammenschoben. Anderewaren auf uns aufmerksam geworden undversammelten sich um uns. Auch Akon-Akon kam herbei.

»Verdammt!« murmelte Fartuloon, als derJunge von Perpandron gerade wenige Schrit-te entfernt stehenblieb. »Vorry!«

Wenn das Tonnenwesen es wollte, konn-ten seine Pranken erstaunlich sanft zugrei-fen. Ich merkte, daß er meinen Nacken be-rührte, und dann durchraste eine Weile vonSchmerzen meinen Körper. Eisige Kältestrahlte von meinem Genick aus und breitetesich über den ganzen Rücken aus. Ich hörteStimmengewirr, aber ich verstand kein ein-ziges Wort.

Mir schien es, als wäre eine Ewigkeit ver-gangen, bis ich endlich wieder halbwegs beiSinnen war. Die Schulter tat mir zwar immernoch weh, aber es ließ sich ertragen. Kühle,frische Luft zischte in meinen Helm. Ichschlug die Augen auf.

»Glück gehabt«, kommentierte derBauchaufschneider trocken.

»Warum hast du mir nicht schon früherBescheid gesagt?«

Ich verzog das Gesicht und richtete michmühsam auf.

»Der Anzug ist wieder in Ordnung«, fuhr

Fartuloon fort. »Von dir selbst läßt sich dasnicht sagen. Ich habe getan, was ich konnte,aber die Wirkung dieses Giftes läßt sichnicht so schnell beseitigen.«

Das merkte ich auch. Ich kämpfte gegenein starkes Schwindelgefühl an. Übelkeitstieg in mir hoch.

»Wir müssen umkehren«, wandte derBauchaufschneider sich an Akon-Akon. »Eshat keinen Sinn. Wir sind alle erschöpft, unddie letzten Tage waren von so vielen Kämp-fen erfüllt, daß wir sie kaum noch zählenkönnen. Sei vernünftig!«

Der Junge musterte ihn kühl.»Im Augenblick ist es ruhig«, stellte er

fest. »Ein neuer Angriff der Pflanzen istnicht zu befürchten. Dieser Raum ist abgesi-chert. Nichts hinderte uns daran, eine Rasteinzulegen. Aber anschließend gehen wirweiter. Unser Ziel ist die Zentrale dieser Sta-tion. Sobald wir sie erreicht haben, steht un-serem Rückzug nichts mehr im Wege.«

Fartuloons Augen funkelten gefährlich.Ra, der neben dem Bauchaufschneiderstand, räusperte sich vernehmlich.

»Gib es auf«, empfahl er Fartuloon. »Duweißt doch, daß du ihn nicht umstimmenkannst!«

Akon-Akon wandte sich schweigend ab,setzte sich neben ein Aggregat und beobach-tete von dort aus seine »Untertanen«.

»Also gut«, knurrte Fartuloon wütend.»Es läßt sich nicht ändern. Wir müssen indie Zentrale. Deswegen brauchen wir abernicht geschlossen durch die Station zu mar-schieren.«

»Wollen Sie einen Stoßtrupp los-schicken?« erkundigte sich Karmina Artha-min ungläubig. »Die Pflanzen sind in derÜbermacht. Eine noch kleinere Gruppe wäreihnen hoffnungslos unterlegen.«

»Nicht, wenn ich dabei bin!« warf Vorryein.

»Er wird dich nicht gehen lassen«, stellteRa fest und sah zu Akon-Akon hinüber.

Der Junge saß regungslos wie eine Statueauf seinem Platz. Nur seine Augen bewegtensich. Von den Strapazen der langen Suche

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war ihm nichts anzusehen. Mir war es im-mer wieder ein Rätsel, woher er diese un-glaubliche Energie nahm. In seiner niemalsnachlassenden Wachsamkeit wirkte Akon-Akon unmenschlich, fast roboterhaft.

Allmählich erholte ich mich. Das giftigeGas wurde zum Glück in meinem Körperrasch abgebaut.

»Ich fürchte, Ra hat recht«, mischte ichmich in die Diskussion. »Aber trotzdem istdie Idee gut. Erstens sind zwei oder dreiMänner weniger aufzuspüren, zweitens ha-ben wir vorhin gesehen, wie sehr sich in ei-ner solchen Umgebung die Leute gegensei-tig behindern. Sobald ich mich erholt habe,werden wir aufbrechen.«

»Wir?«»Fartuloon, Ra und ich«, bestimmte ich.

»Wir sind gut aufeinander eingespielt. Keineandere Gruppe dürfte eine ähnlich großeChance haben.«

»Du vergißt, daß du verwundet bist«, sag-te Fartuloon streng. »Es kommt gar nicht inFrage …«

»Mir geht es wieder gut«, unterbrach ichihn unwillig.

Ab und zu ging es mir auf die Nerven,wenn er versuchte, mich von gefahrvollenUnternehmungen fernzuhalten.

Karmina Arthamin setzte zum Sprechenan, und ich ahnte, was sie sagen wollte. Sieals Sonnenträgerin hielt es selbstverständlichfür ihre Pflicht, uns zu begleiten. Ich wußte,daß sie uns eine große Hilfe wäre, dennochhielt ich es für besser, wenn sie hier in die-sem Schaltraum blieb.

»Sie übernehmen für die Zeit unserer Ab-wesenheit das Kommando«, wandte ichmich daher rasch an sie.

»Akon-Akon …«»Der Junge weiß zweifellos genau, was er

will«, unterbrach ich sie. »Aber es gibt Si-tuationen, in denen er hilflos ist. Er hat zuwenig praktische Erfahrungen. Das wissenSie inzwischen. Ehe er sich auf die verän-derte Lage einstellt, vergeht zu viel Zeit.«

Fartuloon erhob sich schnaufend.»Ich werde mit ihm sprechen«, murmelte

er. »Hoffentlich läßt er uns gehen …«Er kam nur wenige Schritte weit, dann

gellte von dem Türschott her ein lauterSchrei. Wir fuhren herum.

»Gorkalon ist draußen!« brüllte ein Mannfassungslos. »Er hat eine Botschaft für uns!«

4.

Heydra hatte den Kampf um die Beute in-direkt miterlebt, und weil die Blüte sich aufdie Ereignisse stärker als gewöhnlich kon-zentrieren mußte, gelang es ihr sogar, bis anden Tatort vorzudringen. Ein Teil ihres Be-wußtseins floß in die Informationskanäle ei-ner Kampfranke und nistete sich dort ein.

Sie stellte fest, daß die Eindringlinge sichauf dem Weg zur Zentrale befanden. Daskonnte bedeuten, daß sie Heydras Zeichenverstanden hatten. Aber ebenso gut mochtees auch sein, daß sie zufällig diese Richtungeingeschlagen hatten oder daß sie ganz an-dere Ziele verfolgten.

Die Raubpflanzen kämpften mit er-schreckender Wildheit um die Beute. Wäh-rend der letzten Ruhezeit mußten sie sichvermehrt haben, denn es tauchten sehr vielevon ihnen auf. Außerdem hatten sie tatsäch-lich Verbündete gefunden. Die Befürchtung,sie hätten sich mit den anderen freien Vege-tationsformen zusammengetan, wurde zurGewißheit, als die Sporenkapseln der Mas-kenflechten genau im richtigen Moment zer-barsten. Heydra wunderte sich über die ge-schickte Strategie der Raubpflanzen. Siemußten erkannt haben, daß die eingedrunge-nen Wesenheiten ein völlig anderes Körper-system hatten und dementsprechend durchden Sporennebel behindert wurden.

Das offene System der Pflanzen konntemit Hindernissen dieser Art leichter fertigwerden, als der zu Änderungen nicht befä-higte Körper von Intelligenzen, die auf tieri-scher Basis entstanden waren. Pflanzen wa-ren dezentralisierte Lebensformen. Vor sehrlanger Zeit hatte Heydra gelernt, daß alleindeswegen eine Pflanze keine echte Intelli-genz entwickeln könne. Inzwischen wußte

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sie es besser, aber auch sie hatte niemalsherausgefunden, warum die Blüte eine Aus-nahme bildete. Auch sie besaß kein Nerven-zentrum, keine festen Sinnesorgane, keinefestgelegten Körperformen. Die Blüte selbstübernahm für den Zeitraum, in dem Heydrabewußt zu existieren vermochte, eine Rolle,die dem Gehirn eines Humanoiden ähnelte.An den körperlichen Besonderheiten dieserDaseinsform änderte sich jedoch nichts.

Photosensitive Zellen konnten überall ent-stehen, wo eine Notwendigkeit für ihr Vor-handensein vorlag. Der Sporennebel behin-derte weder die Raubpflanzen, noch dieKampfranken. Sie modifizierten neue Zel-len, die sich den veränderten Bedingungenanpaßten, schickten lange, mit diesen Sin-neszellen ausgerüstete Fortsätze aus und ge-wannen so ein genaues Bild der Lage.

Mehrere Kampfranken wurden angegrif-fen und zum Teil vernichtet. Auch das waretwas, was die Pflanzen den Eindringlingenvoraus hatten. Die Vernichtung einzelnerOrgane blieb ohne Wirkung auf den Ge-samtkörper. Zwar leiteten die Informations-kanäle Impulse weiter, die von den Leidender Ranken berichteten, aber die Einheit derPflanze litt deswegen keine Schmerzen. Dieeinzige Reaktion bestand darin, daß die an-deren Ranken noch energischer vordrangen.Ein Mensch, der einen Arm oder ein Beinverliert, ist vorübergehend hilflos. Selbstwenn er einen Teil seiner Bewegungsfreiheitbehält, kann er damit nicht viel anfangen.Sein Gehirn wird durch die Schmerzen inseiner Funktion gestört. Eine Pflanze, dieüber eine solche Ansammlung empfindlich-ster Nervenzellen nicht verfügt, ist dement-sprechend auch fähig, Verletzungen zu igno-rieren.

Das alles ging Heydra durch den Sinn,während sie die Bemühungen der Blüte ver-folgte, die angreifenden Gegner von derBeute wegzudrängen.

Für einen Augenblick dachte sie daran,wie viele Vorteile ihr dieser riesenhafte Kör-per bieten konnte. Sie könnte – wenn sie dieKontrolle gewann – nicht nur diese Station

beherrschen. Aber das waren Wunschträu-me.

Sie schrak zusammen, als sie merkte, daßeine Ranke einen der Eindringlinge gepackthatte. Das Geschehen spielte sich nur weni-ge Meter von ihr entfernt ab, aber sie sahkeine Möglichkeit, zugunsten des Fremdeneinzugreifen. Sie hätte durch den gesamtenRankenkörper zurückweichen müssen, bissie eine Verbindung zu dem benachbartenArm bekam.

Zu ihrem Erstaunen schleuderte die Ran-ke den Mann jedoch von sich, den Raub-pflanzen direkt entgegen. Heydra wußtenicht, was sie davon halten sollte. Die Blütedurfte es sich nicht erlauben, auf Nahrung zuverzichten.

Sie beschloß, sich wieder vollständig aneinen Ort zurückzuziehen, von dem aus sieeinen besseren Überblick hatte. Obwohl siesich im Lauf der langen Gefangenschaft einegroße Geschicklichkeit darin erworben hat-te, sich in dieser Weise zu bewegen, kam sienur mühsam voran. Das gesamte Systemwar in Aufruhr geraten. Endlich erreichte siejenen Ort, an dem ein Teil ihres Bewußt-seins festgehalten wurde. Die Blüte gestatte-te ihr nur in seltenen Ausnahmefällen, sichvollständig den Informationsbahnen zu über-lassen. Es war eine Vorsichtsmaßnahme.Heydra hätte vielleicht eine Kampfranke un-ter ihre Kontrolle bringen und die Blüte da-mit bedrohen können.

Ein System von Informationsbahnen lagganz in der Nähe. Heydra hatte in geduldigerKleinarbeit Zellen dahingehend beeinflußt,daß sie ihr Bewußtsein ständig mit Neuig-keiten versorgten.

Sie erkannte zweierlei.Erstens war die Blüte mißtrauisch gewor-

den. Bisher waren die Raubpflanzen zwarlästig geworden, hatten aber niemals eineernsthafte Konkurrenz dargestellt. Das lag inerster Linie an Heydra. Sie lieferte – bewußtoder unbewußt – die Daten, auf die sich dieBlüte in ihrer Strategie stützte, wenn es galt,Opfer zu überwältigen. Die freien Pflanzenbesaßen weder die Intelligenz, noch die

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Phantasie, die nötig war, sich in die fremdenKörper hineinzuversetzen. Genau das wardiesmal geschehen. Die Blüte schwankte inihrer Meinung. Es mochte sein, daß währendder letzten Ruheperioden die Raubpflanzenselbst noch stärker mutiert waren. Oder siehatten ein Opfer gefangen und benutzten esin ähnlicher Weise, wie die Blüte es mitHeydra tat. Die dritte Möglichkeit war Ver-rat.

Zum erstenmal erkannte Heydra, daß dieBlüte weniger über sie wußte, als sie immerangenommen hatte. Das Gewächs dachte al-len Ernstes, Heydra selbst könne ohne ihrWissen eine Verbindung zu den Raubpflan-zen hergestellt haben. Heydra war darübersehr überrascht. Sie hatte sich oft gefragt,was die Blüte – beziehungsweise das dortwohnende Bewußtsein – während der Ruhe-zeiten tat. Sie hatte angenommen, daß diePflanze auch dann aktiv blieb, wenn sieselbst von der Dunkelheit aufgesogen wur-de. Offensichtlich war das nicht der Fall. ImGegenteil, die Pflanze hatte den Verdacht,daß Heydra wach blieb und die Ruhezeitenfür ihre eigenen Zwecke nutzte.

Die zweite Information resultierte aus die-sem Mißtrauen. Es ging nicht mehr nur umNahrungsprobleme. Die Blüte wollte dieEindringlinge lebend in ihre Gewalt bringen.Zumindest einer von ihnen sollte HeydrasSchicksal teilen und gleichzeitig ihr Kerker-meister werden. Die Argumente der Blütewaren gar nicht übel. Sie konnte etwas bie-ten, von dem sie über Heydra erfahren hatte,daß es für Wesen wie diese Fremden vonungeheurer Bedeutung war: relative Un-sterblichkeit. Sie war sogar bereit, dem neuübernommenen Bewußtsein mehr Machtund Selbständigkeit zuzugestehen, als sie esjemals Heydra gegenüber getan hatte.

Das alles war für Heydra sehr verwirrend.Sie stellte fest, daß es Veränderungen gebenwürde. Ihre Hoffnung, die Fremden würdensich gegen die Blüte wenden, zerrann, als siedie fremden Impulse spürte.

Ihre erste Reaktion war, dem Fremden zuHilfe zu eilen. Vielleicht ließ sich noch et-

was retten. Die Blüte mußte diesen Körperüberwältigt haben, denn freiwillig war derEindringling sicher nicht mit diesem mon-strösen Wesen in Kontakt getreten. Sie warfihre gesamte Energie gegen die Wand ihresGefängnisses. Die seltsam strukturiertenZellen, an die der große Teil ihres Bewußt-seins gebunden war, fingen den Angriff mü-helos ab. Enttäuscht stellte sie fest, daß sichnichts änderte. Nur die Zugänge zu den In-formationsbahnen blieben frei, und nach ei-nigem Zögern schickte sie einen Gedanken-fühler aus.

Der Fremde war noch nicht integriert.Dieser Vorgang kostete Zeit und mußtesorgfältig vorbereitet werden. Aber die Blütestand in direktem Kontakt mit ihrem Opfer.Heydra verfolgte den lautlosen Dialog, dersich zwischen dem Fremden – er bezeichne-te sich selbst als Arkonide und nannte sichGorkalon – und der Blüte entspann. Schonnach kurzer Zeit floh sie entsetzt.

Die Rechnung der Blüte schien aufzuge-hen. Gorkalon leistete nur wenig Wider-stand. Das Angebot, sich unsterblich ma-chen zu lassen, blendete ihn.

Heydra zog sich niedergeschlagen zurück.Sie verstand den Fremden nicht. Auch wennGorkalon ahnungslos war, mußte sein Ver-stand ihm doch sagen, daß er sich nicht soeinfach dieser Pflanze ausliefern durfte. Au-ßerdem ging es nicht nur um ihn. DieserMann wollte seine Artgenossen verraten. Erhatte sich bereiterklärt, die Verhandlungenzu führen. Falls die Fremden sich nicht da-von überzeugen ließen daß eine Integrationin das pflanzliche System ein wünschens-wertes Ziel war, mußte zwangsläufig einAngriff nicht überstehen würden.

Sie hatte den Schock über das VerhaltenGorkalons noch nicht überwunden, als dieBlüte zu einem neuen Schlag ausholte.

Der Pflanzenkörper gab die Einheit, dieohnehin nur in besonderen Fällen bestandauf. Bis auf einige Kampfranken, die derBlüte notfalls zur Verteidigung dienen soll-ten, wurden alle autarken Organe aus demInformationsnetz entlassen.

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Heydra erkannte sehr schnell, warum dergewaltige Körper es in dieser Situation vor-zog, sich in zahlreiche einzelne Pflanzen zuteilen. Gorkalon selbst hatte den Anstoß da-zu gegeben. Seine Kameraden sollten einmöglichst günstiges Bild von der Blüte ge-winnen. Ein monströses Gebilde, das nahezudie ganze Station ausfüllte, hätte sie auf je-den Fall abgestoßen.

Natürlich hatte die Blüte dafür gesorgt,daß die nun auf sich selbst angewiesenen»Ableger« auch weiterhin das große Zielverfolgten. Das vielfach ineinander ver-flochtene Wurzelsystem sorgte außerdemdafür, daß die Verbindungen niemals ganzunterbrochen wurden.

Gorkalon blieb in Kontakt mit der Blüte.Eine Ranke, die fast ausschließlich dem In-formationsaustausch diente, begleitete ihn,als er sich auf den Weg machte.

*

Akon-Akon war aufgesprungen und eiltezur Tür. Wir folgten ihm beinahe willenlos.Erst eine Warnung des Logiksektors ließmich die Gefahr erkennen, die wir durch un-ser Verhalten provozierten.

Neben mir trottete der Magnetier. AuchVorry vermochte nichts zu tun, was gegenAkon-Akon gerichtet war, aber leichter alsalle anderen konnte er innerhalb der uns ein-gegebenen Grenzen selbständig handeln.

»Es könnte eine Falle sein«, sagte ich.»Paß auf, was hinter uns geschieht.«

»Immer die Kleinen!« nörgelte das Ton-nenwesen, aber er meinte es nicht ernst. Alswir die Tür erreicht hatten, war er der einzi-ge, der nicht Akon-Akons Beispiel folgteund gebannt den Eingang anstarrte.

»Öffnet die Tür!« befahl der Junge denbeiden Männern, die die Wache übernom-men hatten.

»Wir sollten uns zuerst anhören, was Gor-kalon uns zu sagen hat!« schlug Fartuloonhastig vor.

Akon-Akon zögerte.»Es ist vielleicht nur ein Trick«, fuhr der

Bauchaufschneider fort. »Sie wollen uns da-zu bringen, daß wir die Tür öffnen.«

Draußen war es still. Das vielfältige Ra-scheln und Kratzen, das die Pflanzen verur-sacht hatten, war verstummt. Kein Lautdrang zu uns herein. Diese Ruhe wirkte nochunheimlicher und drohender als vorher dasRumoren der merkwürdigen Gewächse.

Endlich nickte Akon-Akon langsam.»Ich bringe eine Botschaft für euch!« er-

tönte Gorkalons Stimme. Der Mann sprachlangsam, in monotonem Tonfall, als wäre erin Trance. »Meldet euch!«

Akon-Akon gab Fartuloon zu verstehen,daß er die Verhandlung übernehmen sollte.

»Wir hören dich, Gorkalon«, sagte derBauchaufschneider laut. »Was ist passiert?Wir wissen, daß die Pflanzen dich entführthaben. Brauchst du Hilfe?«

»Die Blüte des Lebens schickt mich zueuch«, verkündete Gorkalon, ohne auf dieFragen einzugehen. »Die Raubpflanzen, vondenen ihr angegriffen wurdet, bilden keineGefahr mehr. Sie haben sich zurückgezogen,als die Diener der Blüte zu euren Gunsten inden Kampf eingriffen. Die Blüte des Lebenshat euch einen Vorschlag zu machen.«

»Der Kerl ist übergeschnappt!« knurrteRa. »Glaubt er im Ernst, wir würden einerblutgierigen Pflanze freiwillig einen Besuchabstatten?«

Fartuloon brachte ihn mit einer unwilligenHandbewegung zum Schweigen.

»Wer ist diese Blüte?« fragte er.»Sie ist die Herrin über alle lebenden We-

sen in dieser Station«, erklärte Gorkalongleichgültig.

»Und was will sie von uns?«»Das weiß ich nicht. Ihr sollt zwei Ge-

sandte auswählen, die mich begleiten. Ichwerde euch zu der Blüte führen. Dann kannsie selbst euch erklären, worum es geht.«

»Hör mal, Gorkalon, diese verdammtenPflanzen haben uns eine Menge Ärger ge-macht. In diesem Raum sind wir vorerst si-cher. Wir werden diese Sicherheit nicht aufsSpiel setzen. Wenn die Blüte, von der duständig sprichst, wirklich die Herrin in die-

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ser Station ist, dann steckt sie auch mit denPflanzen unter einer Decke, die uns ange-griffen haben. Wir liefern uns nicht freiwil-lig ans Messer. Wenn diese Pflanze uns um-bringen will, soll sie es versuchen.

Aber warne sie, denn wir werden unserLeben teuer verkaufen!«

Für eine Weile blieb es still, dann meldeteGorkalon sich wieder.

»Du irrst dich. Die Blüte des Lebens istzwar die Herrin der Station, aber es gibtPflanzen, die gegen sie rebellieren. Sie wa-ren es, die euch angegriffen haben. Die Blü-te dagegen hat euch geholfen. Sie will nochmehr für euch tun und dafür sorgen, daß ihreuer Ziel erreicht.«

Wieder schwieg Gorkalon. Es schien, alsmüsse er sich die Antwort auf FartuloonsFrage erst besorgen.

»Sie verlangt nichts. Sie bittet nur darum,zwei von euch sehen und mit euch sprechenzu dürfen.«

»Das ist kein zu hoher Preis«, mischteAkon-Akon sich ein. »Wir werden diese Bit-te erfüllen!«

Ich starrte den Jungen entgeistert an. Hat-te er wirklich die Absicht, auf diesen irrsin-nigen Vorschlag einzugehen?

Fartuloon explodierte fast.»Das ist doch Selbstmord! Diese Pflanze

hat Gorkalon zu ihrem Werkzeug gemacht.Das beweist deutlich genug, welche Absich-ten sie hat. Und wie sollte dieses Gewächsuns wohl helfen?«

»Das weiß ich nicht«, gab Akon-Akonungerührt zurück. »Aber es wäre unvernünf-tig, diese Gelegenheit verstreichen zu lassen.Allein die Tatsache, daß die Pflanze – fallses eine ist – Gorkalon als Verbindungsmannbenutzt, zeigt, daß sie intelligent ist. Außer-dem kennt sie diese Station besser als wir.Du und Atlan – ihr werdet Gorkalon beglei-ten!«

Fartuloon legte die Hand auf das Skarg.Am liebsten hätte er sich auf Akon-Akongestürzt. Die Augen des Jungen loderten auf.

»Öffnet die Tür!« herrschte er die beidenWachen neben dem Schott an.

Draußen warteten die Pflanzen. Sie bilde-ten ein dichtes Spalier, aber sie rührten sichnicht. Direkt vor der Tür stand Gorkalon. Ersah grauenhaft aus. Der hintere Teil seinesSchutzhelms war von einer grauen Masseausgefüllt, die sich eng an den Schädel desArkoniden drückte. Aus dem Helm herausragte ein graugrüner, etwa handgelenkdickerPflanzenarm, der sich durch den ganzenGang erstreckte und weiter hinten zwischenden vielen Gewächsen verschwand. Das Ge-sicht des Mannes war grau und verfallen, dieAugen traten weit hervor. Nicht der leisesteSchimmer einer Erkenntnis war in ihnen zuentdecken.

Meine Hoffnung, der entsetzliche An-blick, den Gorkalon bot, würde Akon-Akonzur Vernunft bringen, erfüllte sich nicht.

»Geht!« befahl er schroff.Gegen unseren Willen setzten wir uns in

Bewegung.Deutlich hörbar schloß sich hinter uns das

Schott. Vor uns lag der hell erleuchteteGang, dessen Wände hinter den verschlun-genen Leibern der merkwürdigen Pflanzenverborgen blieben. Ab und zu raschelte es inden lebenden Mauern. Ranken tasteten vor-sichtig aus dem Dickicht heraus, zogen sichhastig zurück und verschwanden hinterschwankenden Blättern.

Instinktiv tastete ich nach der Waffe inmeinem Gürtel.

Sinnlos, kommentierte das Extrahirn.Falls diese Gewächse angreifen, seid ihr al-le beide verloren. Die Übermacht ist zugroß.

Das stimmte zwar, aber ich ließ die Handtrotzdem auf dem Kolben der Waffe liegen.Es beruhigte mich ein wenig.

Schweigend ging Gorkalon voran. SeineBewegungen waren automatenhaft undschlecht koordiniert. Der Pflanzenarm ragteaus dem hinteren Teil des Schutzhelms,schlang sich über die Schulter des Arkoni-den bis zum Gürtel hinab und erstreckte sichvon da scheinbar unendlich weit in die Stati-on hinein. Wie eine Nabelschnur verband sieden Arkoniden mit der geheimnisvollen

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»Blüte des Lebens«, die irgendwo vor unsauf uns wartete.

*

Der Weg war lang, aber nicht beschwer-lich im eigentlichen Sinne. Unter unserenFüßen federte die weiche Humusschicht. DiePflanzen behinderten uns nicht, im Gegen-teil, sobald wir uns näherten, zogen sie sichzurück und gaben eine Gasse frei.

Ab und zu wechselten Fartuloon und ichein paar Bemerkungen, aber meistens stapf-ten wir schweigend dem Mann nach, den einschreckliches Schicksal zum Anhängsel ei-ner Pflanze gemacht hatte.

Anfangs hatten wir noch manchmal neu-gierige Blicke auf die Gewächse geworfen,denn sie unterschieden sich von denen, diewir in der Station vorher angetroffen hatten.Sie waren ziemlich groß, und bis auf dieTatsache, daß sie sich bewegen konnten,wirkten sie beinahe normal. Wir sahenStämme, Zweige und Blätter, aber keineBlüten. Alles wirkte ein bißchen fremdartig,aber keineswegs gefährlich. Hätten wir nichtgewußt, über welche Waffen diese Pflanzenverfügten, so hätten wir sie wahrscheinlichkaum beachtet. Wir blieben wachsam, hiel-ten die Helme geschlossen und die Waffengriffbereit, aber vorerst herrschte Waffen-stillstand.

Dann tauchten jene Ranken mit denschleimigen Blättern auf, die wir bereitskannten. Sie hingen regungslos dicht unterDecke.

»Aha«, murmelte Fartuloon vor sich hin.»Wo die Wächter lauern, kann die Blütenicht mehr fern sein.«

Gorkalon schritt ungerührt unter den ge-fährlichen Blättern hindurch. Eine schleimi-ge Ranke tastete kurz über seinen Rücken,schnellte in das Dickicht zurück und tauchteweiter vorne wieder auf. Das pflanzlicheGebilde mußte ein Signal gegeben haben.Die Ranken, die uns die Sicht versperrten,zogen sich zurück.

Vor uns lag eine riesige Halle. Mehrere

Kunstsonnen verbreiteten angenehmes,leicht gelblich gefärbtes Licht. An einigenStellen glänzten kleine Wasserflächen, sonstwaren Boden und Wände völlig von Pflan-zen bedeckt.

Von der Öffnung, in der wir standen,führte ein schmaler Weg bis zum geometri-schen Mittelpunkt der Halle. Und dort war-tete die »Blüte des Lebens«.

Sie war sehr groß. Die leuchtend blauenBlütenblätter bildeten eine schön geschwun-gene Schale, in deren Mittelpunkt goldeneFäden schimmerten. Die Blume schwankteleicht auf ihren dünnen, elastischen Stengel.

Auf meinem Rücken bildete sich eineGänsehaut. In einer unangenehmen Visionsah ich die Blüte als das riesige Maul einesgigantischen Systems von Körpern, in demalle Pflanzen in dieser unwirklichen Umge-bung zu einer Einheit verbunden waren.

»Kommt!«Die monotone Stimme Gorkalons ließ

mich zusammenzucken. Ich warf Fartulooneinen kurzen Blick zu. Sein Gesicht war dü-ster, aber in seinen gelben Augen funkeltees. Er nickte mir zu und schlug leicht auf dasSkarg.

Der Weg war mit Moos bedeckt. Wir wa-teten durch einen knöcheltiefen Teppich ausfeinen Pflanzenfasern, die bei jedem Schrittdie Farbe änderten. Rund um unsere Füßebildete sich immer neu ein grell leuchtenderFleck, als folge uns ein unsichtbarer Schein-werfer. Neben uns raschelten Blätter, beug-ten sich zierliche Zweige vor, als wollten sieuns neugierig betrachten.

Gorkalons seltsame Nabelschnur endetein einem Tank der ehemaligen Hydroponik,zu Füßen der Blüte, die sich leicht verneigte,als wolle sie uns begrüßen. Das Gewächswar selbst auf den ersten Blick ungewöhn-lich. Der dünne Stengel ragte glatt und kahlaus dem Wasser heraus. Weder Blätter nochWurzeln waren zu sehen. Vorsichtig näher-ten wir uns dem Tank, der von dunkelgrü-nem Moos umwuchert wurde und wie einThron wirkte.

»Die Blüte des Lebens heißt euch will-

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kommen«, begann Gorkalon leiernd. »Ihrseid dem Boten gefolgt. Das ist ein Beweisdafür, daß ihr zur Zusammenarbeit bereitseid. Vernehmt nun das Angebot, das dieBlüte euch im Namen aller anderen leben-den Wesen dieses Station macht.«

Wir verständigten uns mit einem raschenBlick. Es war klar, daß Gorkalon nur wie-dergab, was die Pflanze ausdrücken wollte.Natürlich konnten wir hier, mitten zwischenden Gegnern, keine Entscheidung treffen,aber wir waren entschlossen, so viele Infor-mationen zu sammeln, wie es nur ging.

Als Gorkalon weitersprach, näherte ichmich vorsichtig dem Tank. Ich wollte wis-sen, wie es unter der Wasseroberfläche aus-sah. Fartuloon blieb stehen.

»Das Leben in dieser Station ist eine. Ein-heit«, sagte Gorkalon. »Kein Teil kann sichaus dem Ganzen lösen. Was stirbt, wirddurch den ewigen Kreislauf wieder zum Le-ben erweckt. Nichts ist überflüssig, nichtsunwichtig. Aber wie in eurem Organismusgibt es Teile, die von besonderer Bedeutungsind und sich nicht ersetzen lassen. Ich bindie Blüte, die höchste Konzentration vonBewußtsein innerhalb des Ganzen. Ich bineinzigartig, denn es gibt niemanden, der mirgleicht. Mein Leben währt ewig. Diese Ge-stalt zerfällt, nachdem sie ihren Dienst fürden Fortbestand des Ganzen erfüllt hat. Ausden Überresten erwachse ich neu und unver-ändert.«

Ich hatte den Rand des Wasserbehälterserreicht. Nichts hinderte mich daran, michvorzubeugen und nach unten zu schauen.

Im klaren Wasser bildeten zahllose weiß-liche Fäden ein dichtes Gespinst. Aus die-sem Nest ragte der Blütenstiel hervor. Ande-re Fäden führten von dem Nest weg an denRand des Tanks, ragten aus dem Wasser her-aus und verschwanden unter dem dichtenMoos.

»Die Einheit ist riesig«, hörte ich Gorka-lons monotonen Vortrag. »So riesig, daß sievielen Bewußtseinsballungen meiner ArtRaum bieten könnte. Aber diese Ballungenentstehen nicht spontan, sondern durch die

Integration körperlicher Hüllen, die ein Be-wußtsein umschließen. Der Bote hat den er-sten Schritt getan. Indem er seine unvoll-kommene Körperlichkeit zum Nutzen derEinheit aufgibt, erringt sein Bewußtsein dieUnsterblichkeit.«

Der Pflanzenarm, über den der Arkonidemit der Blüte verbunden war, verschwand aneiner Stelle zwischen den weißen Fäden, ander sich mehrere dunkle Schatten abzeichne-ten. Obwohl das, was wir gehört hatten, ei-gentlich ausreichte, wollte ich absolute Ge-wißheit haben.

Bleib stehen, du Narr! warnte das Extra-hirn. Der Beweis dafür, daß die Blüte lügt,wird sich auch anders erbringen lassen.

Dessen war ich mir nicht so sicher. Vorallen Dingen erschien es mir sehr fraglich,ob Akon-Akon geduldig genug war, um dieSuche nach einem anderen Beweis abzuwar-ten.

Der Junge, sagte das Extrahirn spöttisch,mag dir manchmal als ziemlich überspannterscheinen, aber er ist zweifellos im Vollbe-sitz seiner geistigen Kräfte. Nie und nimmerwürde er sich freiwillig zu Kompost machenlassen!

Trotzdem – ich wollte sicher gehen. Ichkannte das Risiko, aber auch die Blüte muß-te wissen, wie leicht man sie überführenkonnte. Wenn sie dennoch keine Anstaltentraf, mich am weiteren Vordringen zu hin-dern, dann konnte das verschiedene Gründehaben. Wahrscheinlich glaubte sie, die Un-sterblichkeit alleine wäre als Köder ver-lockend genug.

Hatte Gorkalon sich tatsächlich aus freienStücken entschieden?

»Wir – das heißt, die konzentrierte Bal-lung aller hier vorhandenen Bewußtseine –bitten euch, euren Artgenossen unser Ange-bot zu übermitteln. Jeder von euch kann dieUnsterblichkeit erlangen, indem er seinenKörper in den Dienst des Ganzen stellt.«

Ich war nahe genug. Die weißen Fädenbewegten sich leicht, schoben sich manch-mal fast ganz von den Körpern herunter. Esmußte sich um Akonen handeln. Jedenfalls

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konnte ich mir nicht vorstellen, wie Angehö-rige eines anderen Volkes durch den Trans-mitter hätten gelangen sollen. Uns war esnur gelungen, weil Akon-Akon und seinKerlas-Stab den Weg geebnet hatten.

Es waren vier Körper – falls man sie nochso bezeichnen konnte. Ich kannte die Freß-geschwindigkeit der Blüte nicht, daher ver-mochte ich es nicht, den Zeitpunkt auch nurannähernd zu bestimmen, an dem diese Op-fer der Pflanze in die Falle gegangen waren.Verwesungserscheinungen waren nicht zuerkennen, obwohl die Körper bis zur Un-kenntlichkeit verquollen waren. Ich wußte,daß die meisten fleischfressenden Pflanzenmit den Verdauungssäften auch konservie-rende Stoffe in die Körper ihrer Opfer prak-tizierten. Pflanzen sind in ihren Reaktionensehr langsam – die Gefahr, daß eine mühsamergatterte Beute verdarb, ehe sie absorbiertwerden konnte, zwang sie zu diesem Verhal-ten.

»Was geschieht, wenn Angehörige unse-rer Gruppe sich weigern, zu dir zu kom-men?« fragte Fartuloon hinter mir.

»Das wäre dumm und unlogisch«, gabGorkalon monoton zurück. »Ihr befindeteuch in der Station und seid somit bereits indas System einbezogen. Ihr könnt kämpfen,könnt Teile von mir töten, aber damit ver-nichtet, ihr nichts, denn ihre Überreste wer-den erneut absorbiert und damit dem Kreis-lauf zugeführt. Ich weiß, daß eure Lebens-spanne lächerlich kurz ist. Die Wahrschein-lichkeit, daß ihr dem vielfältigen Leben derStation so lange trotzen könnt, ist gering.Aber auch wenn ihr es schafft, könnt ihr esnicht verhindern, daß eure Körper schließ-lich doch der Gemeinschaft dienen. Dann al-lerdings ist euer Bewußtsein verloren. Ihrhabt nichts zu verlieren, wenn ihr euch er-gebt – weigert ihr euch, dann werdet ihr dasewige Leben eben nicht erreichen.«

Ich gab Fartuloon unauffällig ein Zeichen.Jetzt wußte ich, warum mir der Blick auf

die Körper im Bassin nicht verweigert wor-den war. Das bot der Blüte immer eine Gele-genheit, sich herauszureden. Es wäre gefähr-

lich gewesen, sie zu reizen.»Wir überbringen die Botschaft«, ver-

sprach der Bauchaufschneider.»Der Bote wird euch den Weg zeigen«,

versprach die Blüte durch Gorkalons Mund.»Wenn ihr euch entschieden habt, dann sagtes den Pflanzen, die draußen vor der Tür aufeuch warten. Sie werden mich benachrichti-gen.«

»Wieviel …«, begann ich, aber Fartuloongab mir einen derben Rippenstoß. Ich klapp-te den Mund wieder zu. Eigentlich hatte ichfragen wollen, wie groß die Frist war, diedie Blüte uns ließ. Jetzt fiel mir selbst auf,daß es besser war, diesen Punkt vorläufignicht zu berühren. In der Station gab es kei-ne Tag- und Nachtzeiten. Sicher existiertennoch Zeitmesser, aber diese dürften für diePflanzen bedeutungslos sein. Nach einigerZeit mußte die Blüte ungeduldig werden.Bis dahin jedoch hatten wir freie Hand.

Gorkalon wartete einige Minuten. Als ichden begonnenen Satz dann immer noch nichtfortsetzte, drehte er sich schweigend um undmarschierte davon.

Ich hatte den Eindruck, als ließen die üb-rigen Gewächse uns nur ungern aus ihrerReichweite entkommen. Je näher wir demSchaltraum kamen, desto häufiger versperr-ten klebrige Zweige uns den Weg. EinigeMale mußte Gorkalon umkehren und uns be-freien. Zwischen ihm und uns hatten sichblitzschnell lebende Hindernisse aufgebaut.Sobald der Arkonide sich gegen die Pflan-zen stellte, wichen sie ängstlich zurück.

»Ich werde kommen, wenn ihr mich ruft«,sagte er monoton, als wir die Tür erreichten.

Wir berichteten ausführlich, was wir inder Halle der Blüte erlebt hatten und wie esum das großzügige Angebot bestellt war.Akon-Akon mußte einsehen, daß er sich ge-irrt hatte. Ehe er selbst zu einer Entschei-dung darüber gelangen konnte, wie es nunweitergehen sollte, brachte Fartuloon seinenPlan vor.

»Gut«, nickte der Junge sofort. »Ihr beidewerdet auch diese Aufgabe übernehmen.Am besten macht ihr euch sofort auf den

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Weg. Wer weiß, wie lange wir vor denPflanzen Ruhe haben.«

5.

Der Schaltraum, in dem wir uns verbarri-kadiert hatten, besaß nur den einen Ausgang,und den durften wir nicht benutzen. Nach-dem Akon-Akon geraume Zeit mit dem Ker-las-Stab herumhantiert hatte, behauptete er,die Zentrale läge schräg unter uns. Er erteilteuns umgehend den Befehl, uns mit denStrahlern ein Loch in den Boden zu schnei-den.

Uns blieb nichts anderes übrig, als dieseAnweisung zu befolgen.

Zum Glück war Karmina Arthamin gei-stesgegenwärtig genug, um Akon-Akonrechtzeitig auf einen schwerwiegenden Feh-ler aufmerksam zu machen. Daraufhin über-nahmen zwei andere Männer unsere Arbeit,und während sich die Energiestrahlen durchden grauen Bodenbelag fraßen, erklärte derJunge uns Punkt für Punkt, wonach wir ei-gentlich zu suchen hätten und wie es mög-lich war, an die gewünschten Daten, heran-zukommen. Solcherart vorbereitet, traten wiran das kreisrunde Loch im Boden, um dienächste Wegstrecke in Angriff zu nehmen.

Unter uns lag eine Maschinenhalle. Esroch nach Ozon und allerlei anderen Dingen.Eine Anzahl von Geräten schienen zu arbei-ten, jedenfalls sahen wir vereinzelte Kon-trollampen aufleuchten. Bis auf ein kaumwahrnehmbares Summen war es still dortunten. Von Pflanzen oder den von ihnen ein-gesetzten Waffen gab es keine Spur.

Vorsichtig ließen wir uns nach unten sin-ken, drehten uns dabei langsam um unsereAchse und beobachteten aus der Höhe auchdie Stellen der Halle, die im Schatten derMaschinenblöcke lagen.

»Nichts«, stellte Fartuloon fest. In seinerStimme schwang keine Spur von Erleichte-rung mit, denn der verheißungsvolle Auftaktzu unserem Vorstoß hatte wenig zu sagen.

Über uns wurde die die herausgeschnitte-ne Platte wieder über die Öffnung gelegt

und provisorisch befestigt. Wir landeten ne-beneinander auf der flachen Oberseite einerMaschine, deren Verwendungszweck unsbekannt war. Unter unseren Füßen leuchte-ten farbige Schnörkel und geometrische Fi-guren. Verzierungen? Ich vermochte es mirnicht vorzustellen. Schließlich waren dieAkonen, denen dise Station einst gehört hat-te, das Stammvolk der Arkoniden, und ichnahm an, daß sie ein entsprechend nüchter-nes Verhältnis zur Technik hatten.

»Wir sollten uns diese Geräte näher anse-hen«, bemerkte Fartuloon. »Da die Pflanzendiese Halle nicht besiedelt haben, müssendie Maschinen wohl wichtig für sie sein.Vielleicht können wir ihnen von hier aus ge-nug Schaden zufügen, um sie zu verwirren.«

Ich verzog ärgerlich das Gesicht. Der Ge-danke war gut. Es gab nur ein Hindernis:Akon-Akon hatte uns einen festen Auftraggegeben. Die Erforschung dieser Maschinengehörte nicht dazu und bedeutete daher Zeit-verschwendung.

»Schon gut«, murmelte der Bauchauf-schneider. »Ich habe bereits gemerkt, daßdieses Vorhaben nicht durchführbar ist. Obes etwas hilft, wenn wir den Jungen überFunk benachrichtigen?«

»Bestimmt nicht«, erwiderte ich bitter.»Ihm kann es doch ziemlich gleichgültigsein, ob wir ein paar Schwierigkeiten mehroder weniger haben. Hauptsache, wir brin-gen ihm die Daten. Ich bin gespannt, ob wirdiesen Burschen jemals wieder abschüttelnkönnen.«

»Wir werden es mit Sicherheit schaffen –allerdings nicht, bevor wir das Blaue Systemerreicht haben. Und dann tauchen neueSchwierigkeiten auf. Die Akonen werdenuns nicht gerade per Eilboten nach Kraumonschicken!«

Wir hatten ein Schott entdeckt, das unge-fähr in der Richtung lag, in der Akon-Akondie Zentrale vermutete.

»Orbanaschol dürfte die Ruhe genießen«,seufzte ich resignierend, während wir unsmit dem Öffnungsmechanismus befaßten.

»Immerhin hat er den Magnortöter am

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Hals«, grinste Fartuloon böse. »Und derdürfte deinen netten Onkel noch vor einigeProbleme stellen.«

»Uns aber auch!«Wir hatten schließlich in der seltsamen

Station diesem unheimlichen Wesen ver-sprochen, ihm eines Tages zu helfen – wannimmer er diese Hilfe in Anspruch nahm.Wenn ich mir überlegte, über welche MachtKlinsanthor verfügte und welche merkwür-digen Fähigkeiten er besaß, dann fragte ichmich wirklich, was ausgerechnet wir für ihntun sollten.

Das Schott wich widerwillig zurück. Wirspähten um die Ecke, die Strahler in derHand, aber auch in dem nächsten Raumblieb es ruhig. Eine weitere Halle lag voruns. Sie war nur schwach erleuchtet. An denWänden gab es riesige Bildschirme, die aberaußer Betrieb waren. Darunter ragten Kon-solen mit Kontrollelementen hervor.

Im ersten Moment zuckte die wilde Hoff-nung in mir auf, das Ziel bereits erreicht zuhaben. Dann zuckte ein Lichtstrahl auf. Far-tuloon leuchtete mit seiner Lampe in dieHalle hinein. Vielleicht hatte man von hieraus früher einmal einen Teil der Station kon-trollieren können – jetzt waren diese Gerätenur noch Schrott.

Die unteren Abdeckungen der Konsolenwaren entfernt worden und lagen zu unor-dentlichen Stapeln aufgeschichtet in einerEcke. Verschiedenfarbige Kabelstränge hin-gen wie die Gedärme eines merkwürdigenRiesentieres aus der Unterseite des langenGeräteblocks hervor. Der Lichtkegel zeigtedie fingerdicken Risse in den Bildschirmen.Überall lag Staub.

»Wir müssen tiefer in die Station hinein.«Ich zeigte auf den Boden.»Und wenn darunter die Pflanzen ste-

hen?« fragte ich.Fartuloon zuckte die Schultern und suchte

den Boden ab. Mit den Füßen scharrte erverbogene Metallstücke zur Seite. DichteStaubwolken wirbelten hoch. Brummendtauchte er daraus hervor und wandte sich ei-ner anderen Stelle zu. Auch ich bemühte

mich, eine Luke zu finden, die uns den Wegin die Tiefe erleichtern sollte. Wir waren sobeschäftigt, daß ich erst nach geraumer Zeitauf das leichte Scharren aufmerksam wurde.

Fartuloon blieb abrupt stehen, als ich ihmdas Zeichen dafür gab, daß ich etwas be-merkt hatte.

»Die Pflanzen?« murmelte er.Das Scharren wurde deutlicher. Es kam

von unten. Langsam näherte es sich undhielt direkt unter unseren Füßen an.

Geräuschlos schlichen wir ein Stück wei-ter. Als wir stehenblieben, war auch dasScharren wieder da. Es kroch heran und ver-stummte, als es unter uns angelangt war.

»Na gut«, knurrte Fartuloon. »Lassen wirsie nicht lange warten. Ausweichen hat jetztwohl keinen Sinn mehr.«

Wir richteten die Strahler auf den Boden.Die Energiestrahlen verbrannten den Staubund fraßen sich durch die dicke metallischeSchicht, die uns von unseren Gegnern trenn-ten. Das Scharren kehrte nicht zurück. DiePflanzen warteten geduldig auf unser Er-scheinen, obwohl es dort unten inzwischenungemütlich heiß geworden sein mußte.

*

Heydras Enttäuschung wuchs, als sie dieDelegation der Fremden sah. Wollten dieseArkoniden tatsächlich den Vorschlag derBlüte annehmen?

Aufmerksam verfolgte sie das Gespräch,das über Gorkalon abgewickelt wurde. Siemerkte, daß die beiden Abgesandten miß-trauisch waren. Die Blüte machte verschie-dene Fehler, die nur deshalb entstanden,weil sie diesmal nicht Heydras Hilfe in An-spruch nahm. Das Gewächs verließ sich völ-lig auf Gorkalon. Der Arkonide schien kei-nen Widerstand mehr zu leisten. Heydra be-dauerte es, daß sie zum Bewußtsein diesesMannes keinen Zugang fand. Die Blüte hattediesen Weg versperrt.

Sie mußte etwas unternehmen.Die Blüte versprach den Fremden die Un-

sterblichkeit. Das bedeutete für Heydra je-

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doch auch, daß sie in Zukunft noch wenigerEinfluß auf das Geschehen nehmen konnte.Ihre Situation wurde durch die Aufnahmeanderer Bewußtseine in das System keines-wegs verbessert. Die Arkoniden kanntensich in der Station nur mangelhaft aus. Dashieß, daß die Kontrollaufgaben weiterhinHeydra überlassen blieben.

Wieder streckte sie einen Gedankenfühleraus, und diesmal hatte sie Glück.

Die Blüte konzentrierte sich so stark aufdas Gespräch, daß sie ihre eigenen Informa-tionskanäle nicht völlig unter Verschluß hal-ten konnte.

Heydra erschrak, als die das Spiel derBlüte durchschaute. Die Fremden sollten be-trogen werden. Nur ein oder zwei von ihnenbrachten die Voraussetzungen dafür mit,nach der Beseitigung ihres Körpers weiterzu existieren. Allerdings nicht als Bewußt-seinsballungen, die der Blüte ebenbürtig wa-ren, sondern als Gefangene, wie es mit Hey-dra geschehen war. Alle anderen hatten le-diglich einen materiellen Wert – sie würdenjene Form von Nahrung liefern, ohne die dieBlüte auf lange Sicht nicht leben konnte.

Das Schicksal der Fremden berührte Hey-dra kaum. Sie hatte diese Vorgänge – be-wußt oder unbewußt – schon zu oft erlebt.Aber der Schock darüber, daß die Blüte mitihrer List gleichzeitig die Erlösung des ge-fangenen Bewußtseins verhinderte, gabHeydra ungeahnte Kräfte.

Im selben Augenblick, in dem die Blütedie Verbindung zu den anderen Teilen ihresSystems öffnete, huschte Heydra an einemInformationskanal entlang davon.

Falls die Blüte etwas gemerkt hatte, soreagierte sie zu spät. Sie gab an alle Pflan-zen, die mit ihr in Verbindung standen, dieAnweisung durch, die Fremden ungehindertin ihr Versteck zurückkehren zu lassen. Au-ßerdem mußte sie Gorkalon kontrollierenund die nahezu selbständig handelndenKampfranken überwachen. So geschah es,daß Heydra tatsächlich entkam.

Diesmal gab es keine Rückversicherung.Der Teil ihres Bewußtseins, den sie notge-

drungen in ihrem Gefängnis zurückgelassenhatte, war für sie verloren. Auch die Blütewürde wenig damit anfangen können.

Sie raste durch zahlreiche Pflanzenorga-ne, huschte durch Wurzeln, Ranken, Stäm-me und Blätter und spürte plötzlich die Be-rührung durch etwas Fremdartiges.

Vorsichtig hielt sie an.Mordlust, Hunger, Furcht …Die Impulse trafen sie wie Schläge.Sie hatte einen Körper erreicht, der nicht

in das weitverzweigte Gefüge der Pflanzen-leiber gehörte, die der Blüte untergeordnetwaren.

Nur allmählich gelang es ihr, die negati-ven Impulse abzudrängen. Sie kapselte sichein und wartete, bis ihre Kräfte zurückkehr-ten. Unendlich vorsichtig tasteten ihre Ge-danken sich vor. Sie fand eine Ansammlungphotosensitiver Zellen und baute den Kon-takt auf.

Das Bild war undeutlich und fremdartig.Heydra erkannte, daß sie in einer Raubpflan-ze gelandet war. Es mußte während einesAngriffs geschehen sein.

Deutlich fühlte sie jetzt die Wut ihresWirtes. Ein Teil der wehrhaften Äste warden Kampfranken bereits zum Opfer gefal-len. Rechts und links zuckten die zerfetztenLeiber anderer Raubbäume am Boden. DieKampfranken drangen unaufhaltsam vor.Heydra wußte, daß ihr Schicksal besiegeltwar, wenn sie es nicht schaffte, ihren Wirt inSicherheit zu bringen.

Der mörderische Baum verfügte über eineeigene Intelligenz. Er gehorchte den ver-schiedenen Impulsen, die er mit seinen Sin-neszellen aufnahm. Seine Handlungen wa-ren schlecht koordiniert, da immer wiedereinander widersprechende Reize aufeinandertrafen. Flucht – die Kampf ranken warensehr nahe. Angriff – reiche Beute lockte.

Das Ergebnis war Stillstand. Ein Teil derLaufwurzeln bemühte sich, der drohendenGefahr auszuweichen, die anderen stemmtenden schweren Körper in die entgegengesetz-te Richtung.

Heydras Entsetzen über das Chaos, von

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dem die Reaktionen des schweren Pflanzen-körpers überflutet wurden, teilte sich demBaum mit. Für eine kurze Zeitspanne standder Baum zitternd vor den Kampfranken, diedie Chance zu begreifen schienen – sie for-mierten sich geschickt zum Angriff. Aberdann gelang es Heydra, den Raubbaum unterihre Kontrolle zu zwingen.

Die wurzelähnlichen Lauforgane trugendiese Pflanze erstaunlich schnell vorwärts,sobald sie einheitliche Reizimpulse erhiel-ten. Gleichzeitig ließ Heydra einen stachel-besetzten Ast auf die Untertanen der Blütenlos. Der Ast schwang heftig auf und ab. Vor-sichtig unterbrach sie einige Saftbahnen,veranlaßte eine Zellenschicht am Ansatz-punkt des Astes zur Bildung einer dünnen,brüchigen Korkschicht. Einen anderen, dün-neren Ast benutzte sie, um den entscheiden-den Schlag zu führen. Als das lange, stache-lige Gebilde nach oben schlug, löste sich dieletzte Verbindung zum Körper des Baumes.Als unheilvolles Geschoß raste der Ast mit-ten in die Reihen der Kampf ranken hinein.

Mit höchster Geschwindigkeit ließ Hey-dra jetzt den Baum tiefer in den Gang hin-einstelzen. Die Kampfranken waren ziem-lich durcheinandergeraten. Bei dem Ver-such, dem stacheligen Geschoß auszuwei-chen, hatten sie sich ineinander verhakt. Dieklebrige Schleimschicht auf ihren Blättern,sonst eine ihrer besten Waffen, erwies sichnun als Nachteil. Natürlich würden sich dieRanken rasch voneinander lösen – auch siekonnten überflüssig gewordene Teile jeder-zeit abstoßen. Aber ohne zielstrebige Kon-trolle, wie Heydra sie ausübte, dauerte derVorgang doch um einiges länger.

Der Baum eilte vorwärts, und Heydralockerte ihre Kontrollen. In diesem Teil derStation kannte sie sich kaum aus. Der Baumschien ein bestimmtes Ziel zu haben. Sienutzte die Ruhepause, um über ihr weiteresVorgehen nachzudenken.

Sie hatte nichts gewonnen.Sobald die Blüte feststellte, daß Heydra

entkommen war, würde sie ihre Kampf ran-ken ausschicken. Bisher hatten die Raub-

pflanzen nur deshalb überlebt, weil die Blüteselbst kein Interesse daran hatte, sie auszu-rotten. Diese unabhängigen Gewächse bilde-ten ein Nahrungspotential, um das die Blütesich kaum zu kümmern brauchte. In Notzei-ten dezimierte sie die Bäume nach bestenKräften. War genug Nahrung vorhanden,dann ließ sie die Bäume sich vermehren.

Diesmal würde es eine gnadenlose Jagdgeben. Früher oder später mußte Heydrasamt ihrem Wirt wieder in den Kontrollbe-reich der Pflanze gelangen. Ihrem Bewußt-sein konnten die giftigen Schleimabsonde-rungen und sonstigen Waffen nichts anha-ben. Die Blüte konnte sie mühelos absorbie-ren und erneut in ihr Gefängnis abdrängen.

Wie immer Heydra es auch drehte – dieErlösung lag nach wie vor in weiter Ferne.Denn auch dann, wenn dieser Baum von sei-nen Artgenossen zerfetzt wurde, blieb dasBewußtsein erhalten und wechselte lediglichden Wirt.

Nur eines hatte sich geändert: es gab inder Station unabhängige Wesen, und dieseEindringlinge vermochten all die Dinge zutun, zu denen ein pflanzlicher Körper ebennicht fähig war.

Sie mußte die Fremden aufsuchen.Der Baum wechselte in eine tiefere Ebene

hinunter. Die Beleuchtung war hier sehrschwach. Überall gab es Spuren von Zerfallund Zerstörungen. Dies war das Revier derKampfpflanzen und selbständigen Einheiten.Nach ihren Raubzügen flohen sie hierher,um in Ruhe ihre Beute zu verarbeiten.

Noch tiefer lag die Zentrale. Die Blütehatte darauf verzichtet, diesen hochtechni-sierten Raum zu erobern. Die Kontrolle warihr ohnehin sicher. Es ließ sich jedoch nichtvorhersagen, wie sich eine intensive Besie-delung auf die technischen Einrichtungenauswirkte. Die Geräte waren zu wichtig, umsie einer Gefahr auszusetzen. Selbst dieRaubpflanzen hatten das erkannt und akzep-tierten das Tabu.

Die Fremden mußten irgendwo in diesemBereich auftauchen, falls sie nicht wider-spruchslos auf die Vorschläge der Blüte ein-

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gingen. Heydra weigerte sich, daran zu glau-ben. Die Pflanze durfte diesmal einfachnicht siegen.

Sie forschte ihren Wirt aus und stelltefest, daß der Baum jede Beute auf weite Ent-fernung ausmachen konnte. Sofort hielt siedas Gewächs an und konzentrierte sich aufdas betreffende Sinneszentrum. Zu ihrerÜberraschung waren die Bäume sogar höherorganisiert als die Blüte. Die Notwendigkeit,unter ständiger Bedrohung der Beute nachja-gen zu müssen, schien ein Stimulans für dieBildung echter Nervenzentren zu sein. Hey-dra überlegte befremdet, daß die Bäume tat-sächlich eine Chance hatten, einmal zu intel-ligenten Wesen zu werden, denen diepflanzliche Herkunft kaum noch anzumer-ken war.

Sie spürte die Impulse auf. Die Fremdenbefanden sich schräg über ihr. Es waren vie-le verschiedene Zeichen. Also hielten sichdie Arkoniden immer noch in dem Schal-traum auf. Das war schlecht. Sie mußte, umzu ihnen zu gelangen, in den oberen Gangzurückkehren und geriet damit in den Herr-schaftsbereich der Blüte.

Dann erkannte sie, daß sie sich hatte täu-schen lassen. Es gab noch eine zweite Im-pulskette. Die Gruppe hatte sich geteilt.Zwei Arkoniden drangen in die Zentrale vor.Sie befanden sich jetzt eine Ebene höher, garnicht weit von Heydras Wirt entfernt.

Hastig folgte sie der Spur der Impulse, bissie direkt unter den Fremden angelangt war.Der schwere Baum ließ sich nicht geräusch-los durch den Gang steuern. Die Decke warziemlich niedrig, so daß die obersten Zweigedaran entlangschabten. Die Fremden wurdenaufmerksam, aber Heydra hoffte, daß sich ir-gendwie mit ihnen verständigen konnte.

Es wurde wärmer. Über ihr bildete sichein glühender Fleck. Automatisch dirigiertesie ihren Wirt ein Stück zur Seite. Tropfenvon geschmolzenem Metall fielen herab.Heydra zwang den Baum mühsam zur Ruhe.Gespannt wartete sie auf das Zusammentref-fen mit den beiden Fremden.

*

Das Loch im Boden war groß genug. Wirbehielten die Öffnung im Auge, aber keinePflanze zeigte sich dort. Langsam nur kühltedas Material ab. Vorsichtig beugten wir unsvor und spähten nach unten. Wir sahen denriesigen Baum zur gleichen Zeit und spran-gen zurück.

»Er steht genau richtig«, knurrte Fartu-loon. »Was machen wir jetzt?«

Der Baum hatte sich so plaziert, daß wirihm fast nichts anhaben konnten. Sobald wiruns weit genug vorwagten, um einen geziel-ten Schuß anbringen zu können, befandenwir uns andererseits auch in der direktenReichweite der stachelbewehrten Äste.

Ich sah nachdenklich auf den Impulsstrah-ler hinab. Der Griff fühlte sich ungemütlichheiß an.

»Eine zweite Öffnung können wir unsnicht schaffen«, kommentierte Fartuloon,der meinen Blick richtig gedeutet hatte.»Wir werden es weiter hinten noch einmalversuchen. Es gibt noch mehrere Ausgänge– irgendwie werden wir diesem Baum schonentwischen.«

»Dafür warten dann andere Gewächsedieser Art auf uns. Wir müssen nach unten.Es ist nur ein Baum. Wenn wir nicht einmalmit ihm alleine fertig werden, haben wir ge-gen eine ganze Gruppe erst recht keineChance.«

»Also gut«, nickte Fartuloon. »Versuchenwir es.«

Der Baum stand immer noch an derselbenStelle. Seine Äste hingen scheinbar kraftlosherab. Eigentlich sah er gar nicht so aus, alswarte er voller Mordgier auf uns.

Ich musterte das Gewächs mißtrauisch,während ich mich in Schußposition schob.Der Baum rührte sich nicht. Das Ganze kammir merkwürdig vor. Die Pflanze hatte unsaufgespürt, und die massive Trennwand hat-te sie dabei nicht behindert. Der Baum hatteuns mühelos folgen können, obwohl wir beiunserem Stellungswechsel kaum ein Ge-

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räusch verursacht hatten. Es war also anzu-nehmen, daß der Baum uns auch jetzt beob-achten konnte.

Warum unternahm er dann nichts?Neben mir hob Fartuloon den Strahler.»Warte!« flüsterte ich.»Was …?«»Achte auf die Spitze des vordersten

Zweiges«, unterbrach ich ihn. »Er verfärbtsich!«

Der Bauchaufschneider sah mich an, alsfürchte er um meinen Verstand, dann zuckteer die Schultern.

Der Zweig wurde smaragdgrün, danngelb. Dieselbe Farbe, die das Moos ange-nommen hatte. Wir warteten schweigend.Zögernd verschwand das Gelb. Die Zweig-spitze wurde wieder grün.

»Willst du warten, bis der Bursche seineFreunde herbeigerufen hat?« fragte Fartu-loon ungeduldig.

Der Zweig wurde blau.Ich nickte nachdenklich.»Erinnerst du dich daran, welche Farben

die Kontrollampen in dem akonischenRaumschiff hatten?«

»Warte mal, gelb bedeutete doch Gefahr,nicht wahr?«

»Genau. Und blau stand für ›alles in Ord-nung‹, die Blüte hat eine uns unbekannteZahl von Opfern absorbiert. Meistens dürftees sich um Akonen gehandelt haben.«

»Du meinst, das Ding da unten könnte einUntertan dieses Monstrumssein?«

»Auf keinen Fall. Dieser Baum geht eige-ne Wege. Ich überlege mir nur folgendes:Die Blüte mag erstaunliche Fähigkeiten ha-ben, aber allzu viel Phantasie traue ich ihrnicht zu. Die Geschichte mit der Unsterb-lichkeit und den weiter existierenden Be-wußtseinen kann sie sich einfach nicht aus-gedacht haben.«

»Mit anderen Worten: Du glaubst, ein sol-ches Bewußtsein würde in dem Baum dortunten stecken.«

»Ist das so unwahrscheinlich?«»Unter normalen Umständen wäre ich

versucht, diese Idee für totalen Wahnsinn zu

halten. Aber in dieser Station scheint nichtsunmöglich zu sein. Trotzdem baut sich deineTheorie auf einer beängstigenden Zahl vonVermutungen auf.«

Er beobachtete den Baum, der sich nichtvon der Stelle rührte. Die Zweigspitze warimmer noch blau.

»Wir versuchen es«, entschied er. »Dasändert nichts daran, daß wir den Baum alspotentiellen Gegner ansehen und deshalb au-ßerordentlich vorsichtig sein müssen. Fallsdas Bewußtsein eines Akonen in dieserPflanze wohnt, dann ist möglicherweise dieKontrolle nicht immer einwandfrei.«

Dieses Problem hatte ich bereits erkannt.Es erschien mir als nebensächlich im Ver-gleich zu einer anderen Frage.

Wie verständigt man sich mit einemBaum?

6.

Heydra war erleichtert darüber, daß dieFremden das Zeichen bemerkt und verstan-den hatten. Damit waren zwar noch längstnicht alle Hürden überwunden, aber wenig-stens bestand nicht mehr die Gefahr, daßdiese Arkoniden den Baum angriffen. In die-sem Falle wäre die Kontrolle, die sie überdas Gewächs ausübte, sofort erloschen. Ob-wohl sie die Raubpflanze recht gut be-herrschte, gab es unüberwindliche Schran-ken für sie. Eine davon war der Selbsterhal-tungstrieb, der bei diesem Baum erstaunlichgut ausgeprägt war.

Die beiden Fremden schwebten durch dasLoch in der Decke und landeten weich aufdem Boden des Korridors. Sie achteten dar-auf, daß zwischen ihnen und den Ästen desBaumes eine ausreichende Entfernung lag.Die Zellen, mit deren Hilfe Heydra sah,übermittelten inzwischen ein besseres,schärferes Bild der Umgebung. Sie hattensich den Anforderungen des fremden Be-wußtseins bereits zum Teil angepaßt.

Dennoch war es für Heydra schwierig,dieses Bild richtig zu deuten. Der letzte di-rekte Kontakt mit ihresgleichen lag so weit

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zurück, daß sie vieles vergessen hatte. Diebeiden voneinander zu unterscheiden, warnoch einigermaßen leicht, denn der eine trugeinen langen, glänzenden Stachel in derHand, der andere hingegen eines jener Roh-re, von denen Heydra wußte, daß man mitihnen Energiestrahlen abschießen konnte.Das Mienenspiel der Fremden dagegen ver-mochte sie nicht zu entschlüsseln.

Sie wartete geduldig darauf, daß die Ar-koniden etwas unternahmen, was zu einerVerständigung führte. Das vage Wissen umkomplizierte Geräte, die eine solche Aufga-be erleichterten, ließ sie auf eine schnelleLösung des Problems hoffen. Erst nach einerWeile wurde sie mißtrauisch. Die Fremdenstanden untätig da, dann plötzlich zogen siesich zurück. Sie entfernten sich immer wei-ter von dem Baum. Und sie gingen in diefalsche Richtung.

*

»Gib es auf«, knurrte Fartuloon. »Vondiesem Baum erhalten wir ganz sicher keineguten Ratschläge. Du hast dich geirrt.«

»Nein. Ich bin sicher, daß dies kein ge-wöhnlicher Baum ist. Es kann auch kein Zu-fall sein, daß er sich still verhält. Wir müs-sen Geduld haben.«

»Wir dürfen keine Zeit verschwenden.«»Wenn es uns gelingt, Kontakt zu dem

Baum aufzunehmen, werden wir den Zeit-verlust ausgleichen.«

Wenn! betonte mein Extrahirn skeptisch.Das Problem ist doch offensichtlich. DerBaum – wenn er ein akonisches Bewußtseinenthält – kann sich euch nicht mitteilen. Diezum Sprechen notwendigen Organe fehlenihm. Alle anderen Verständigungsmethodenfallen aus. Sie scheitern entweder an der äu-ßeren Gestalt des Baumes oder sie sind füreuch unverständlich, weil sie auf einer ande-ren Sprache basieren.

Der Baum stand uns im Weg. Er versperr-te den Gang in der Richtung, in der die Zen-trale liegen sollte. Es wäre zu gefährlich ge-wesen, wenn wir versuchten, uns an ihm

vorbeizudrängen. Das brachte mich auf eineIdee.

»Komm!«Fartuloon mußte allmählich wirklich an

meinem Verstand zweifeln. Ich zog ihn mitmir. Wir entfernten uns von dem Baum. ImHalbdunkel sahen wir weiter vorne eineRampe, die nach oben führte, direkt in denHerrschaftsbereich der Blüte. Es gab auchhier Türen, die in Nebenräume führten, abersie interessierten mich im Augenblick nicht.

Der Baum mußte jetzt zeigen, auf welcherSeite er stand. Handelt er im Auftrag derBlüte, so konnte ihm unser Verhalten nurrecht sein. Traf dagegen meine Meinung zu,so war er gezwungen, uns aufzuhalten.

Wir gingen langsam, denn schnelle Reak-tionen durften wir von dem Gewächs wohlnicht erwarten. Wir hatten die Rampe fasterreicht, da bewegte sich der Baum.

»Vorsicht«, murmelte Fartuloon. »Ergreift an!«

»Unsinn!«Ich deutete auf den Zweig, der nun wieder

gelb wurde. Der Baum stakste heran. Dieknorrigen Laufwurzeln scharrten über denBoden. Das ganze Gebilde wackelte beäng-stigend, hielt aber mühelos das Gleichge-wicht. Einige Meter von uns entfernt hielt eran. Der gelbe Zweig deutete einwandfrei anuns vorbei auf die Rampe.

»Er warnt uns«, stellte ich fest.»Vielleicht will er auch nur verhindern,

daß andere Pflanzen uns auffressen. Beson-ders kräftig sieht er nicht aus. Wir werdenihm sicher schmecken.«

Ich hörte gar nicht hin. Langsam schrittich auf dem Baum zu. Fartuloon blieb einigeSchritte hinter mir. Er traute dem Friedennicht. Ich konnte es ihm nicht verdenken.Das Gewächs war um die vier Meter hochund füllte den Gang vor uns aus. Die schar-fen Stacheln glänzten, wenn sie ins Licht ge-rieten. Der bloße Gedanke, dieses monströseGeschöpf könnte ein akonisches Bewußtseinin sich bergen, war ungeheuerlich. Allein dieTatsache, daß es sich zu bewegen verstand,war erschreckend genug.

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Nur noch ein halber Meter trennte michvon dem Zweig. Ich blieb stehen. Jetzt warder Baum wieder an der Reihe.

Der Zweig bog sich durch, krümmte sich,bis er in die entgegengesetzte Richtung zeig-te. Die Spitze verfärbte sich blau.

»Genau dahin wollen wir«, sagte ich lang-sam. Immerhin war es doch möglich, daßdas Bewußtsein in diesem Baum mich ver-stand.

Wort für Wort, lästerte das Extrahirn. Ar-konidisch hat es in der Fernschule gelernt.

»Unser Ziel ist die Zentrale«, fuhr ich un-gerührt fort. »Wir brauchen bestimmte Da-ten, um den Transmitter aktivieren zu kön-nen.«

Der Baum schwankte, als hätte ein starkerWindstoß ihn getroffen. Die Äste gerietendurcheinander, und die Laufwurzeln kratz-ten hektisch den Boden auf.

»Achtung!«Ich hörte Fartuloons Ruf und ließ mich

fallen. Im letzten Augenblick rollte ich michaus der Gefahrenzone. Aus den Augenwin-keln sah ich den Bauchaufschneider, der aufden sich windenden Baum zielte.

»Nicht schießen!«Fartuloon zögerte. Ich rannte auf ihn zu.

Hinter mir klang das hohle Pfeifen auf, mitdem die Bäume ihre Angriffe begleiteten.Dann plötzlich wurde es ruhig. Die Zweigekehrten in ihre normale Haltung zurück. DerBaum verharrte noch einige Sekunden re-gungslos, dann setzte er sich in Bewegung.Er stakste langsam in die Richtung auf dieZentrale davon.

»Das war knapp«, murmelte Fartuloon er-leichtert. »Bist du nun endlich geheilt?«

»Ich hätte den Transmitter nicht erwähnendürfen«, sagte ich bitter. »Aber vielleicht istdoch noch nicht alles verloren.«

Wir folgten dem Baum, aber das Gewächskam so langsam voran, daß es uns behinder-te. Nach kurzem Zögern beschlossen wir,ihn zu umgehen. Wir öffneten eine Tür undfanden dahinter eine leere Halle, in der esaußer Staub und ein paar Scherben nichtsgab.

Schweigend setzten wir unseren Weg fort,durch andere Räume und Gänge. Zwei- oderdreimal mußten wir uns gewaltsam einenDurchgang schaffen. Unaufhaltsam nähertenwir uns unserem Ziel. Keine einzige Pflanzeließ sich sehen.

»Merkwürdig«, sagte Fartuloon, als wirwieder einmal in einen Gang traten. »DieseGegend ist wie ausgestorben.«

»Sei froh, daß es endlich vorwärts geht.Man könnte meinen, du sehnst dich nachdiesen Gewächsen.«

»Das nicht. Aber diese Ruhe ist mir un-heimlich.«

*

Heydra hörte die Fremden sprechen.Wenn sie sich völlig auf diese Sätze konzen-trierte, konnte sie wenigstens den Sinn ver-stehen. Die Sprache der Arkoniden ähneltder, die sie selbst gesprochen hatte, ehe siein die Gewalt der Blüte geriet.

Zum erstenmal erkannte sie, daß es Zu-sammenhänge gab. Sie erinnerte sich ver-schwommen an alte Geschichten, an einVolk, das sich gegen die Akonen gestelltund sie besiegt hatte. Es hieß, daß diesesVolk sich mit unheimlichen Kräften verbün-det hatte, mit Wesen von so ungeheurerMacht, daß den Akonen nur die Flucht blieb.

Eigentlich gab es nicht mehr viele Dinge,die Heydra an ihr Volk fesselten. Akonenwaren es gewesen, die sie in diese Stationgeschickt und dann vergessen hatten. Ihnenverdankte sie indirekt ihr schrecklichesSchicksal. Dennoch erschrak sie bei demGedanken, daß diese Arkoniden nur dieVorboten eines großen Unheils seien, dasdem Blauen System drohte. Was sollten siein dieser Station? Sie waren gewiß nicht zu-fällig gekommen. Heydra erinnerte sich nunauch wieder an den Auftrag, den sie zu er-füllen hatte.

Sie war die Wächterin.Die Station stand nicht weit vom Blauen

System entfernt. Sie gehörte zu einem Ringvon Großtransmittern, über die man früher

Station der Killerpflanzen 35

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einen großen Teil des Handels abgewickelthatte. Später, als die Akonen sich immermehr in ihrer eigenen Welt isolierten, wur-den die Stationen nutzlos. Dennoch dachteman nicht daran, sie zu demontieren odergar zu vernichten. Immerhin bestand aberdie Gefahr, daß andere Völker über dieTransmitter in das Blaue System eindrangen.Darum schickte man in jede Station einenWächter.

Sie hatte niemals Gelegenheit gehabt, ih-rem Auftrag gerecht zu werden. Niemandwar durch den Transmitter gekommen – nie-mand außer der Pflanze.

Es war ein Schock, als sie die Wahrheiterkannte.

Sie hatte versagt.Den einzigen Eindringling hatte sie nicht

vernichtet oder verjagt, sondern ihn aufge-nommen und dem Gewächs damit die Mög-lichkeit gegeben, die Station zu erobern.

Nun kamen die Arkoniden. Vielleicht hat-te sie eine Gelegenheit, ihren Fehler gutzu-machen. Ihre eigentlichen Probleme warenfast vergessen. Sie überlegte verzweifelt,was sie gegen die Fremden ausrichten könn-te. Den Baum zu einem überraschenden An-griff zu veranlassen, hatte wenig Sinn. Mitihren Waffen konnten sie diesen Pflanzen-körper vernichten. Außerdem ging es nichtnur um diese beiden Männer.

Die ganze Gruppe mußte sterben. Heydradurfte kein Risiko eingehen. Selbst die Mög-lichkeit, daß einer von ihnen in der Blüteweiterexistierte, mußte ausgeschlossen wer-den. Es war wichtig, jede Spur zu verwi-schen. Falls dieser ersten Gruppe weitereArkoniden folgten, durften sie keinen Hin-weis mehr finden.

In diesem Augenblick sprach der Fremdesie an. Sie hatte gar nicht gemerkt, daß derblaue Zweig immer, noch die Richtung an-gab.

Die Worte »Transmitter« und»aktivieren« verstand sie deutlich. Ihreschlimmsten Vorstellungen schienen sich zubestätigen.

Ihre panische Furcht übertrug sich auf den

Baum. Sie verlor für kurze Zeit jede Kon-trolle. Als sie sich wieder gefangen hatte,standen die beiden Männer wieder in derNähe der Rampe. Sie hielten die Waffen inder Hand, aber sie benutzten sie nicht.

Heydra hatte Angst. Dennoch zwang siesich dazu, nur an ihre Aufgabe zu denken.Plötzlich sah sie alles in einem anderenLicht. Sicher war auch die Pflanze ein Geg-ner Akons. Das Gewächs war nur deshalbauf die Station isoliert geblieben, weil Hey-dra den Transmitter nicht mehr bedienenkonnte. Sie kam zu dem Schluß, daß dieseStation für das Blaue System zu einer sogroßen Gefahr geworden war, daß es nurnoch einen Ausweg gab: die totale Vernich-tung.

In der Zentrale gab es Schalter, mit denendie Anlagen zur Energieerzeugung bedientwurden. Es hatte auch einmal eine Selbst-vernichtungsschaltung gegeben, aber Heydrawußte nicht mehr genau, wo die richtigenKontakte lagen. Außerdem bezweifelte sie,daß diese komplizierte Apparatur überhauptnoch funktionierte. Sie mußte es auf jedenFall versuchen. Letzter Ausweg war, denTransmitter abzuschalten.

Vorsichtig zog Heydra sich zurück.Die Arkoniden folgten ihr nicht.Während sie den schwerfälligen Baum

voransteuerte, dachte sie immer wieder überalles nach. Sie wußte, daß die Schwierigkei-ten beinahe unüberwindlich waren. Aber siemußte es schaffen. Wenn die Station explo-dierte, hatte auch ihr alptraumhaftes Lebenendlich ein Ende.

7.

Es blieb beängstigend still. Unsere Schrit-te hallten von den Wänden wider. Sie warenein gespenstisches Echo, das uns verfolgte.

Der Boden unter unseren Füßen war hartund glatt. Die Humusschicht war längst ver-schwunden. Es gab nicht einmal Staub. DieZentrale lag ganz in der Nähe. Es mußtenoch ein paar Maschinen geben, Roboter,die diesen Teil der Station überwachten und

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säuberten.Wir hatten von Akon-Akon die Anwei-

sung bekommen, nur in den dringendstenFällen die Funkgeräte zu benutzen. Die Un-gewißheit darüber, was inzwischen imSchaltraum geschehen sein mochte, be-drückte uns.

Der Gang erweiterte sich und mündetetrichterförmig auf einen breiten Korridor.Dem Ausgang gegenüber lag eine fugenloseWand. Wir befanden uns jetzt in dem ring-förmigen Gang, der die Zentrale umgab. Un-glücklicherweise waren wir an einer Stelleherausgekommen, an der es kein Schott gab,durch das wir unser Ziel endlich erreichenkonnten.

Aufmerksam sahen wir uns um. Der Kor-ridor war deutlich gekrümmt. In der Deckeeingelassene Leuchtplatten spendeten ange-nehmes, schwach gelbliches Licht. Der Bo-den spiegelte förmlich. Es gab keine Anzei-chen von Verfall, aber auch keine Spuren,die auf die Anwesenheit von Pflanzen hin-deuteten.

»Wir bleiben zusammen«, entschied Far-tuloon trotzdem. »Nach rechts?« Ich nickteknapp.

Wir bemühten uns, leise aufzutreten, ob-wohl hier keine Gefahr zu lauern schien. DieBegegnung mit dem seltsamen Baum hatteuns verunsichert. Es wollte uns nicht rechteinleuchten, daß gerade hier, an der wichtig-sten Stelle der Station, absolute Ruhe herr-schen sollte.

Vor uns tauchte ein Schott auf. Es war un-getarnt. Die Kontaktscheiben leuchtetenschwach. Zögernd streckte ich die Handnach ihnen aus.

»Augenblick«, flüsterte Fartuloon hastig.»Ich fürchte, da ist uns jemand zuvorgekom-men.«

Er deutete auf einen Fleck in der Mitte derMetallplatte.

Ich tippte mit dem Finger darauf – undspürte Feuchtigkeit. Vorsichtig öffnete ichfür einen Augenblick den Schutzhelm undschnupperte. Ein schwach säuerlicher Ge-ruch hing in der Luft. Fartuloon hatte sich

unterdessen gebückt und etwas vom Bodenaufgehoben.

Es war ein Stück von einem Stachel.»Das kann nur unser spezieller Freund ge-

wesen sein«, kommentierte der Bauchauf-schneider. »Anscheinend hattest du dochrecht. Es kann sich nicht um eine normalePflanze handeln, denn die hätte wohl kaumso umsichtig gehandelt.«

»Vielleicht. Aber selbst wenn der Baumhier war, kann er das Schott nicht geöffnethaben.«

»Warum nicht?«Ich deutete auf die Schalter.»Es sind Wärmekontakte«, sagte ich.»Du vergißt die speziellen Fähigkeiten

unseres Freundes. Wenn er die Farbe einesZweiges willkürlich verändern kann, wird erauch Wärme erzeugen können.«

Ich runzelte ärgerlich die Stirn. FartuloonsErwiderung hatte mich im gleichen Augen-blick erreicht wie der Kommentar des Extra-hirns.

Die Pflanze steckte also mit größterWahrscheinlichkeit in der Zentrale. Die dortvorhandenen technischen Einrichtungen ver-boten es von selbst, daß wir blindlings feuer-ten, sobald das Schott sich geöffnet hatte.Dieses verflixte Gewächs wußte das mit Si-cherheit auch und würde die entsprechendeStrategie verfolgen.

»Wir locken sie heraus«, bestimmte Far-tuloon schließlich. »Hier im Gang könnenwir sie einschließen und relativ gefahrlos au-ßer Gefecht setzen.«

Als das Schott sich mit leisem Zischenöffnete, wichen wir vorsichtig ein Stück zu-rück. Wir sahen nur einen geringen Teil desdahinter liegenden Raumes. Kaltes, blauesLicht fiel auf Bildschirme und Kontrollen.Der Baum zeigte sich nicht, aber das unver-kennbare Scharren der Laufwurzeln verrietuns, daß er es tatsächlich geschafft hatte, indie Zentrale einzudringen.

Leider tat der Baum, als wären wir garnicht vorhanden. Ich hatte gehofft, das Ge-wächs würde sich umgehend auf uns stür-zen. Statt dessen entfernte sich das Scharren

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sogar. Für einen Moment tauchte ein Astüber einer Konsole auf der gegenüberliegen-de Seite des Raumes auf. Die scharfen Sta-cheln kratzten über eine Reihe von empfind-lichen Kontakten. Bei dem Gedanken an dieSchäden, die dieses Biest anrichten mochte,stieg kalte Wut in mir auf.

Gleichzeitig erkannte ich den Sinn, dersich hinter dem Verhalten des Baumes ver-barg.

Das in ihm wohnende Bewußtsein handel-te nicht aus dem Motiv heraus, uns einfachnur in seine Gewalt zu bringen. Ich hätte denTransmitter wirklich nicht erwähnen sollen.Offensichtlich bemühte das fremdartige Et-was sich, uns ein für allemal den Rückwegabzuschneiden. Welchen Grund es dafür hat-te, wußte ich nicht. Es war mir auch reich-lich egal. Ich hatte auf keinen Fall die Ab-sicht, in dieser Station des Wahnsinns meinLeben zu beenden.

Wir schlichen zum Rand der Öffnung.Der Baum stand rechts von uns und beschäf-tigte sich eingehend mit den zahlreichenKontrollelementen. Dünne, bleiche Faserntasteten über die Konsolen. Die wehrhaftenÄste hoben sich leicht, machten jedoch nichtden Eindruck, als sollten sie auf uns herab-sausen. Der Baum verließ sich darauf, daßwir die Geräte nicht beschädigen wollten.

Fartuloon stieß mich an. Er deutete aufdas Skarg, dann auf den Ausgang. Ich nickteund schob mich entlang der Wand nachlinks in die Zentrale.

Auf Leute, die ihn nicht kannten, wirkteder Bauchaufschneider wie ein behäbigerNichtstuer fortgeschrittenen Alters, der in-folge eines genußreichen Lebens Fett ange-setzt hatte. Sein verbeulter Harnisch, vondem er sich nur unter extremen Bedingun-gen schweren Herzens trennte, sowie dasseltsame Schwert, das er stets mit sich führ-te, machten ihn zu einer skurrilen, in denAugen Außenstehender oft sogar lächerli-chen Gestalt. Von der angeblichen Schwer-fälligkeit, die er bei passenden Gelegenhei-ten oft und gerne zur Schau stellte, war jetztallerdings nichts vorhanden.

Mit katzenhafter Behendigkeit sprang ervor. Die Bewegung, mit der er das Schwertdurch die Luft sausen ließ, war so schnell,daß man sie kaum wahrnehmen konnte. Dieglänzende Klinge durchschnitt den vorder-sten Ast so mühelos, als handele es sich umeinen dünnen Grashalm. Der abgetrennteTeil des Pflanzenarms hatte den Boden nochnicht berührt, da befand Fartuloon sich be-reits wieder in sicherer Entfernung.

Zum erstenmal reagierte der Baum aufunsere Anwesenheit. Zahlreiche Äste ruck-ten herum und drehten sich in die Richtungdes Angreifers. Aus dem Aststumpf sickerteeine grünliche Flüssigkeit. Ein tiefer Sitzen-der Zweig tastete aufgeregt über die Wunde.Die Laufwurzeln zuckten unruhig.

Aber noch immer waren die faserigenAuswüchse bei der Arbeit, untersuchten dieverschiedenen Schaltungen, drückten ab undzu auf Kontaktplatten.

»Na warte!« hörte ich Fartuloon knurren.Auch sein zweiter Angriff war erfolg-

reich. Zwar zuckten ihm zwei Äste abweh-rend entgegen, aber die Reaktionen des Bau-mes waren zu langsam. Als sie das Ziel hät-ten erreichen müssen, war Fartuloon längstaußer Reichweite. Dafür hatte die Pflanzeeinen weiteren Ast eingebüßt.

Endlich schien in dem vertrackten Ge-wächs die Überzeugung zu wachsen, daßihm hier ein ernsthafter Gegner begegnetwar. Der Baum zog die Fasern ein und hobdie Äste. Fartuloon beobachtete jede Bewe-gung.

Urplötzlich raste der Baum auf denBauchaufschneider zu. Das wohlbekanntePfeifen ertönte. Mit erstaunlicher Geschwin-digkeit kratzten und trommelten die ge-krümmten Laufwurzeln über den glatten Bo-den. Gleichzeitig wirbelten die Äste durchdie Luft.

Fartuloon brachte sich mit einem weitenSatz in Sicherheit. Der Baum hielt für einenMoment verwirrt inne, als er feststellte, daßsein Gegner das Schott ansteuerte. Dannsiegte jedoch die Wut über die Vorsicht, unddie Pflanze folgte dem Bauchaufschneider

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unter wildem Pfeifen auf den Korridor hin-aus.

Kaum hatte der Baum das Schott passiert,da folgte ich ihm auch schon. Die hinterstenÄste waren kaum drei Schritte von mir ent-fernt. Fartuloon führte einen wahren Kriegs-tanz auf, wedelte mit dem Skarg herum undbrüllte dem Baum wilde Beschimpfungenentgegen. Ich drückte mich eng an dieWand. Noch war die Gefahr nicht gebannt.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis dasGewächs sich zu einem Entschluß durch-rang. Ich zweifelte nicht daran, daß irr die-sem alptraumhaften Wesen ein schwererKampf ausgefochten wurde. Das fremde Be-wußtsein mußte unser Spiel längst durch-schaut haben. Aber der Baum selbst warenderart intellektuelle Überlegungen vermut-lich zu fremd. Er sah einen Gegner vor sich,spürte die Verletzungen, die das Schwertihm zugefügt hatte und kannte nur einenWunsch: Dieses hüpfende Individuum vorihm zu vernichten.

Der Baum blieb Sieger in diesem unglei-chen Kampf.

Die Wurzeln gerieten in Bewegung. Ichhechtete zur Seite und schlug auf die Kon-taktplatte. Das Schott schloß sich.

Zweifellos hatte die Pflanze – oder das inihr wohnende Bewußtsein – diesen Schach-zug bemerkt, aber der Baum war jetzt nichtmehr aufzuhalten. Fartuloon hatte keine Mü-he, den Gegner immer weiter zu locken.Wenig später hörte ich seinen Schrei.

»Jetzt!«Ich riß den Impulsstrahler hoch. Fartuloon

sprang in die halbdunkle Öffnung eines Kor-ridors. Der Baum begriff, daß er in eine Fal-le gelaufen war. Blitzschnell dirigierte ereinen Teil der Äste in meine Richtung. Abernoch ehe er diese Bewegung beendet hatte,zersprang ein Teil des Stammes in der Glut-bahn des Energiestrahls.

Die riesige Pflanze schwankte. SämtlicheÄste und Wurzeln gerieten in Bewegung.Bevor ich einen zweiten Schuß abgebenkonnte, hatte der Baum den Korridor er-reicht.

»Vorsicht!« schrie ich. »Das Biestkommt!«

Dann raste der schwer verletzte Baum mitknackenden Wurzeln in den Gang hinein.Infernalisches Pfeifen ließ meine Trommel-felle klirren. Ich wagte es nicht, einen Schußabzugeben, denn die Gefahr war zu groß,daß ich dabei Fartuloon traf.

Darauf kommt es jetzt auch nicht mehran, bemerkte das Extrahirn kaltschnäuzig.

Ich biß die Zähne zusammen.Wut, Angst und Furcht verliehen dem

Baum ungeahnte Kräfte. Trotz der riesigenWunde wurde er immer schneller. Ich stol-perte ihm nach. Diesem rasenden Ungeheuerhatte auch Fartuloon nichts entgegenzuset-zen. Hoffentlich fand der Bauchaufschneiderrechtzeitig einen anderen Seitengang, damitich freie Schußbahn bekam.

»Du rennst in die falsche Richtung!«grollte eine mißmutige Stimme neben mir.»Willst du die Blüte besuchen, oder was istmit dir los?«

Ich starrte Fartuloon entgeistert an.»Der Baum …«, begann ich, aber der

Bauchaufschneider stieß lediglich ein ver-ächtliches Schnaufen aus.

»Dem ist der Schrecken ganz schön in dieWurzeln gefahren«, kommentierte er undklopfte ein paar Rußflocken von seinemBrustpanzer. »Der Kerl hat mich glatt über-sehen. Ich glaube nicht, daß er uns noch ein-mal belästigt. Komm, wir sollten sehen, daßwir endlich die Daten bekommen!«

*

Obwohl es in der Zentrale still und fried-lich war, blieben wir sehr wachsam. Wirhatten den heimtückischen Überfall imSchaltraum noch nicht vergessen. Es gab inden Wänden unzählige Luken und Klappen,Lüftungsgitter und ähnliche Öffnungen.

Akon-Akon hatte uns genaue Anweisun-gen gegeben. Seitdem wir wußten, was dieAkonen mit ihm angestellt hatten, akzeptier-ten wir die Tatsache, daß er ein vorprogram-miertes Wissen über die Technologie dieses

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Volkes besaß. Er hatte jedoch mit einiger Si-cherheit noch niemals in einer solchen Stati-on gestanden. Darum waren wir verblüfft,daß seine Angaben auf den Zentimeter ge-nau mit der Wirklichkeit übereinstimmten.Wir fanden die von ihm bezeichneten Geräteauf Anhieb.

Als Fartuloon sich anschickte, den Haupt-schalter zu betätigen, über den wir an dieDatenspeicher der Positronik herankommenwollten, rechneten wir mit sofortigen Ab-wehrmaßnahmen. Um den Rückzug zu si-chern, stellte ich mich in die Schottöffnung.Nervös beobachtete ich die Wände.

Es geschah nichts.Die Akonen schienen sich sehr sicher zu

fühlen. Vielleicht hatte es ursprünglich eineReihe von Fallen im äußeren Bereich derStation gegeben, die durch das Wirken derPflanzen ausgefallen waren – wobei die Ge-wächse den Verlust mühelos ausglichen. Inder Zentrale jedenfalls blieb es ruhig. Es gabkeine verborgenen Waffen, die das Feuerauf uns eröffneten, und es kamen auch keineRoboter herbeigestampft.

Das Schaltpult war so schmal, daß wir unsgegenseitig nur behindert hätten. Darum un-tersuchte ich den Raum, während Fartuloonsich an die Arbeit machte.

Aus irgendeinem Grund gab es hier keinePflanzen. Nicht einmal das sonst allgegen-wärtige Moos war vorhanden. Die techni-schen Einrichtungen waren nahezu völlig er-halten, selbst die Spuren des Baumes warenrelativ gering.

Die vielfältige Vegetation in den äußerenBereichen der Station konnte nicht innerhalbvon ein paar Jahrzehnten entstanden sein.Vor Jahrhunderten, vielleicht sogar Jahrtau-senden mußten die Akonen sich zurückgezo-gen haben. Das bedeutete, daß jemand sichin der Zwischenzeit darum gekümmert hatte,diese Zentrale funktionsfähig zu erhalten.Ich sah darin eine Bestätigung für meineTheorie, daß die Blüte wenigstens ein akoni-sches Bewußtsein eingefangen hatte.

Die Blüte!Wir befanden uns an dem strategisch

wichtigsten Punkt der Station. Es mußtedoch eine Möglichkeit gehen, das Gewächsvon hier aus zu vernichten oder wenigstensfür eine Weile außer Gefecht zu setzen! Beider jetzigen Lage mußten wir damit rechnen,auf massiven Widerstand zu stoßen, sobaldwir in Richtung auf die Transmitterkammervordrangen. Die Pflanzen würden mit allenMitteln um ihre Beute kämpfen.

Die Blüte weiß nichts von diesem Ausweg,meldete sich das Extrahirn plötzlich.

Ich runzelte erstaunt die Stirn. Wir warendurch den Transmitter gekommen, und dieBlüte mußte das wissen.

Natürlich weiß sie es, stimmte der Logik-sektor zu. Aber sie ahnt nicht, daß der Wegauch umkehrbar ist. Erinnere dich an das,was sie euch über Gorkalon mitteilte.

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen.Mein Respekt vor dem merkwürdigen Ge-

wächs sank gewaltig. Der erste Fehlermochte noch verzeihlich erscheinen. Sie hat-te uns erklärt, die einzige Bewußtseinsbal-lung darzustellen. Und sie hatte behauptet,nach unserer Integrierung in das pflanzlicheSystem würden wir ihr ebenbürtig sein. Siehatte dabei übersehen, daß wir zwangsläufigVerdacht schöpfen mußten, weil wir ebenkeine zweite Blüte zu Gesicht bekamen. Dievier Akonen, die dem Gewächs auf denLeim gegangen waren, konnten nicht seitder Entstehung der Blüte in dem Tank lie-gen. Also war anzunehmen, daß die Planzenim Lauf der Zeit eine ganze Reihe von We-sen eingefangen und verdaut hatten. Wir wa-ren fest davon überzeugt gewesen, daß dieganze Geschichte mit der Unsterblichkeit ei-ne große Lüge war.

Inzwischen glaubte ich nicht mehr so si-cher daran. Aber ich nahm an, daß die Blütenur unter ganz besonderen Bedingungen dasBewußtsein einer Beute erhalten konnte.

Immerhin war mir schon damals rätselhaftgewesen, warum das Gewächs mit solcherSicherheit annahm, wir würden uns ihm frü-her oder später ergeben. Natürlich hatte dieBlüte eine Reihe von Möglichkeiten, uns amVerlassen der Station zu hindern, aber es

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schien mir als sehr arrogant von einer Pflan-ze, wenn sie nicht mit massivem Widerstandrechnete.

Jetzt erkannte ich den schwachen Punkt.Aufmerksam betrachtete ich die Bild-

schirme. Einige waren eingeschaltet. Im Ge-gensatz zu denen in der Transmitterhallezeigten sie auch Räume, in denen die Pflan-zen herrschten. Die Hydroponik war nichtdabei.

Dank der Erklärungen, die Akon-Akonuns mit auf den Weg gegeben hatte, fand ichmich in den fremdartigen Bezeichnungenneben den Schaltelementen einigermaßengut zurecht. Ich entdeckte das Hauptschalt-pult, setzte den dazugehörigen Bildschirm inBetrieb und betrachtet nachdenklich dasSymbol, das darauf erschien.

Vorsichtig begann ich zu experimentie-ren. Mit Hilfe des Logiksektors entwickelteich allmählich ein System, das mir weiter-half. Und gerade als Fartuloon ein zufriede-nes Knurren ausstieß, erschien auf demBildschirm eine verzwickte Graphik: EinÜbersichtsplan der gesamten Station.

»Ich habe die Daten«, brummte derBauchaufschneider neben mir. »Laß dieSpielereien und komm endlich. UnsereFreunde dürften schon ungeduldig auf unswarten.«

Ich erklärte ihm, was ich vorhatte, undselbst sein skeptischer Kommentar konntemich nicht von meinem Plan abbringen.

»Wir verlieren zuviel Zeit«, sagte er.»Diese Anlagen sind fremdartiger, als ichauf den ersten Blick gedacht hätte. Viel-leicht findest du den richtigen Schalter inwenigen Sekunden – aber es kann auch Tagedauern, bis du Erfolg hast.«

Ich gab ihm recht und schaltete weiter.Die graphischen Darstellungen wechsel-

ten in schneller Folge. Obwohl ich nur einenwinzigen Teil dieser Station gesehen hatte,konnte ich mit Hilfe des Extrahirns einengroben Plan erstellen. Ich wußte also wenig-stens ungefähr, an welcher Stelle ich suchenmußte.

Fartuloon brummte mißmutig vor sich

hin, aber allmählich beruhigte er sich.Endlich erschien ein Bild, das in einigen

Punkten mit meinen Vorstellungen überein-stimmte. Es gab eine Möglichkeit, schnellund sicher nachzuprüfen, ob ich den richti-gen Sektor erwischt hatte. Zu jedem Raumund jedem Gang gehörten Zahlenkombina-tionen. Ich prägte mir einige davon ein undbegab mich zu einem anderen Bildschirm.

Die erste Kombination ließ die Transmit-terhalle auf dem Schirm erscheinen. Dienächste Zahlenreihe – nichts. Die quadrati-sche Fläche blieb dunkel. Die betroffeneOptik hätte den Gang zeigen müssen, in demwir auf die Raubpflanzen gestoßen waren.Ich nahm an, daß die empfindlichen Aufnah-megeräte von dem Moos überwuchert wor-den waren und schaltete weiter.

»Glück gehabt!« kommentierte Fartuloon.Ich warf ihm einen strafenden Blick zu.

Eigentlich hätte er wissen müssen, daß Er-folge dieser Art nicht durch Glück, sonderndurch klare Überlegungen zustande kamen.

Der Bildschirm zeigte den Schalraum, indem die anderen sich verbarrikadiert hatten.Die Übertragung war einwandfrei. Das Auf-nahmegerät mußte sich ungefähr in der Mit-te der Decke befinden. Wir konnten aus die-sem Blickwinkel nur wenige der Gefährtenidentifizieren, aber wir waren froh darüber,daß »oben« alles in Ordnung war. Der Waf-fenstillstand zwischen uns und der Blütedauerte offensichtlich noch an. Die Ver-lockung, auch eine akustische Verbindungherzustellen, war groß, aber wir verzichtetendann doch auf einen solchen Versuch. Dietechnischen Schwierigkeiten waren gering,aber wir fürchteten, die Pflanzen könnten imletzten Moment erfahren, daß wir keines-wegs so ergeben auf unser Ende warteten.

Eine halbe Minute später sahen wir direktin die Hydroponikhalle hinein. Auch hierwar die Optik an der Decke angebracht. Esgab sicher noch andere Aufnahmegeräte, diedie Halle aus einem günstigeren Blickwinkelzeigten, aber wir suchten nicht mehr nachihnen. Wir sahen auch so genug.

Das Bild war gestochen scharf. Die blaue

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Blüte leuchtete über dem glitzernden Wassereines Tanks. Auf dem Moosweg bewegtesich Gorkalon dem Mittelpunkt der Halleentgegen.

»Vielleicht soll er nur Bericht erstatten«,murmelte Fartuloon unsicher.

Er wußte genau, daß das nicht stimmte.Gorkalon war nach wie vor durch einenPflanzenarm mit der Blüte verbunden. Wirwußten, daß diese Ranke dem Informations-austausch diente. Es spielte keine Rolle,welche Entfernung zwischen dem Arkoni-den und dem mörderischen Gewächs lag.

Vor der moosüberwucherten Umrandungdes Tanks hielt Gorkalon an. Entsetzt beob-achteten wir, wie er sich mit langsamen, un-beholfenen Bewegungen aus seinem Schutz-anzug schälte und anschließend auch dieBordkombination und die Unterkleidung ab-legte. Erst jetzt erkannten wir, daß die Pflan-ze sich nicht nur an seinem Kopf zu schaffengemacht hatte. Überall an seinem Körper en-deten Fasern, die von dem grauen Gewebe-klumpen um seinen Hinterkopf ausgingen.

»Wie lange wollen wir uns das noch mitansehen?« fragte Fartuloon rauh, als Gorka-lon sich am Rand des Tanks emporzog.

Ich preßte die Lippen zusammen. Der Ar-konide glitt in das Wasser hinein. Die wei-ßen Fäden erwarteten ihn schon. Sie zogenihn in das Gespinst hinein. Ein Schwall vonLuftblasen zerwühlte die Oberfläche derkleinen Wasserfläche.

Ich eilte zum Hauptpult zurück.Fester denn je zuvor war ich entschlossen,

dieses verdammte Gewächs auszulöschen.Es ging mir gar nicht mehr nur darum, daßwir schnell und bequem die Transmitterhalleerreichten. Ich wollte diesem grauenhaftenTreiben ein für allemal ein Ende setzen.

Rings um die Hydroponik gab es eine Un-zahl von kleineren Räumen. Die Zahlen-kombinationen sagten wenig darüber aus,was dort zu finden war. Es blieb mir keineandere Wahl, als systematisch alle Möglich-keiten durchzuprobieren.

Wir teilten die nähere Umgebung der Hy-droponik in zwei Bereiche auf. In den Ta-

schen unserer Kombinationen fanden sichverschiedenfarbige Fettstifte. Wir hatten kei-nerlei Skrupel, dem Hauptbildschirm aufdiese Weise zu verschandeln. Die Verbin-dung zur Halle ließen wir bestehen. Auf ei-nem anderen Schirm blendeten wir denSchaltraum ein. So war es möglich, uns je-derzeit durch einen kurzen Blick über wich-tige Ereignisse zu informieren.

Nach einem schnell aufgestellten Plangingen wir die einzelnen Räume durch.

Hydroponische Anlagen gehören zu denEinrichtungen, die jedes raumfahrende Volkbeinahe zwangsläufig früher oder später er-finden muß. Gleichzeitig bieten sie phanta-siebegabten Technikern die wenigsten An-griffspunkte. Es hat wenig Sinn, Anlagen zuverfeinern, bei denen diese Verfeinerungglatte Verschwendung ist. Meistens genügteein kurzer Blick, um uns über die Bedeutungeines Raumes zu informieren. Die Arbeitwurde rasch eintönig. Blick auf den Haupt-schirm, Zahlen einprägen, Tasten betätigen.Auf dem kleineren Schirm tauchen Pump-stationen, Regenerationsstürme, Verteiler-zentralen und ähnliches auf. Die entspre-chenden Symbole neben die Zahlenkombi-nation auf dem Hauptschirm schreiben, neueNummer einprägen …

Schon nach kurzer Zeit zeichnete sich eindeutliches Schema ab.

»Wir haben nicht viel Spielraum«, stellteFartuloon bedächtig fest. »Das System istnarrensicher. Kein Wunder, denn sonst wärees längst zusammengebrochen. Bestenfallsgelingt es uns, die Wasserversorgung durch-einanderzubringen. Aber auch dabei könnenwir nur für vorübergehende Störungen sor-gen. Es sei denn, wir dringen in die Räumeein.«

»Die Pflanzen werden uns mit offenenArmen empfangen.«

Die Umgebung der Hydroponik war dichtbesiedelt. Viele Räume boten mit ihrerfeuchten Luft den Pflanzen geradezu idealeLebensbedingungen. Die Hypothese von ei-nem eingefangenen akonischen Bewußtseinwar inzwischen zur Gewißheit geworden.

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Die Sonnenlampen, die selbst die Pumpsta-tionen in helles Licht tauchten, konnten nurnachträglich dort installiert worden sein.Licht und Wasser – mehr schienen diePflanzen nicht zu brauchen. Sie wuchsenhemmungslos an glatten Metallwänden,überkruste ten Rohre und saßen sogar an denAußenflächen der Heizelemente. Eine zen-trale Lenkung der Gewächse ließ sich daranerkennen, daß wichtige Schaltstellen ausge-spart blieben.

»Eine Möglichkeit hast du vergessen«,sagte ich. »Wir können uns immer noch alsBrandstifter betätigen. Die Speicher nebenden Regenerationskammern enthalten eineAnzahl von brennbaren Stoffen. Wir brau-chen nur den Schaltplan anzufordern und füreinen Kurzschluß an der richtigen Stellen zusorgen.«

»Zu viel Aufwand für zu geringe Wir-kung«, knurrte Fartuloon. »Wo es brennbareStoffe gibt, existieren auch Löschroboter.«

Er ruckte hoch und starrte mich an.»Das ist es«, nickte ich zufrieden, denn

auch ich wußte jetzt, wie wir die Blüte desLebens vernichten konnten.

Wie auf ein Signal hin wandten wir unsbeide dem Bildschirm zu, auf dem nach wievor das Bild der Hydroponik stand.

»Warte nur«, murmelte der Bauchauf-schneider grimmig. »Jetzt geht es dir an denKragen.«

Im selben Moment brach in der Nähe ei-nes Eingangs die Hölle los. Etwas drang mitwilder Entschlossenheit in die Halle der Blü-te ein.

Erschrocken sahen wir auf den zweitenSchirm. Akon-Akon und die anderen lang-weilten sich in ihrem Schaltraum. Sie hattenmit den Ereignissen in der Hydroponiknichts zu tun.

Pflanzenteile flogen durch die Luft, man-che so hoch, daß sie fast das Aufnahmegeräterreichten. Die ganze Halle geriet in Auf-ruhr. Die Blüte wackelte beängstigend.

Und dann sahen wir den Störenfried.Es war derselbe Baum, den wir aus der

Zentrale vertrieben hatten. Durch die ver-

sengte Stelle an seinem Stamm war er leichtzu erkennen. Er arbeitete sich in Richtungauf die Blüte vor, und es schien, als könnenichts und niemand ihn aufhalten. Aller-dings griffen die großen Ranken nicht in denKampf ein, und allmählich leisteten auch diekleineren Gewächse kaum noch Widerstand.

Der Baum blieb vor der Blüte stehen. Einfarbloser Pflanzenarm wuchs aus dem Tankheraus und berührte den Stamm. Innerhalbvon Sekunden schrumpfte das wehrhafteGewächs zu einem Haufen schlaffer Ästeund Zerbröckelnder Stamm teile zusammen.

Wir sahen uns stumm an.Das Bewußtsein des Akonen – soviel

stand für uns fest – war in die Blüte zurück-gekehrt. Dieses Biest von einer Pflanze warsomit auch darüber informiert, daß wir denTransmitter für die Flucht zu benutzen ge-dachten.

8.

Die Räume, in denen sich die Roboteraufhielten, fanden wir schnell. Die Maschi-nen waren desaktiviert, aber sonst in ein-wandfreier Verfassung. Die Schwierigkeitenfingen an, als wir sie auf die Pflanzen in derHydroponik hetzen wollten.

Wir waren naiv genug, um es zunächstauf dem direkten Weg zu versuchen: Wirteilten dem Positronengehirn mit, daß sichzahlreiche organische Wesen widerrechtlichin der Station aufhielten. Als zentralenStützpunkt des Gegners nannten wir die Hy-droponik.

Fartuloon wollte eben den Befehl erteilen,die Eindringlinge zu vernichten und in die-sem Zusammenhang auf die Roboter hin-weisen, als unerwartet ein Lautsprecher zuarbeiten begann.

»Information wird als falsch erkannt undzurückgewiesen.«

Ende der Durchsage.»Da haben wir den Salat!« schimpfte der

Bauchaufschneider. »Die Pflanzen habenvorgesorgt. Die Positronik findet es ganzrichtig, daß sie sich in der Station ausbrei-

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ten. Hoffentlich haben wir das Gehirn nichtsogar darauf gebracht, uns als Feinde einzu-stufen.«

Da auch jetzt keine verborgenen Waffenauftauchten, schied diese Gefahr wohl aus.

»Was machen wir jetzt?«»Wir müssen das Gehirn umgehen«, sagte

ich. »Für die Löscheinheiten existiert eineautarke Kommandozentrale. Ich glaubenicht, daß sie auch mit den Pflanzen verbün-det ist.«

»Dafür kann sie nur handeln, wenn kon-krete Meßdaten vorliegen. Wo nehmen wirdie hier?«

Er erwartete keine Antwort auf diese Fra-ge, denn im Grunde genommen stand längstfest, was wir unternehmen mußten. Es gabnur diese eine Möglichkeit.

Fieberhaft machten wir uns an die Arbeit,forderten neue Pläne an, die wir seltsamer-weise auch erhielten, und werfen immerwieder besorgte Blicke auf die beiden Bild-schirme. Noch blieb alles ruhig.

Endlich hatten wir den wunden Punkt imÜberwachungsnetz gefunden. Die Komman-doeinheit, durch die die Roboter in Marschgesetzt wurden, verfügte zwar über ein eige-nes Meßsystem, aber auch das Positronenge-hirn konnte ihm Daten liefern, und diese wa-ren auf jeden Fall Vorrangig. Gab die Po-sitronik also Alarm, dann mußte die Kom-mandoeinheit ihre eigenen Ergebnissezwangsläufig mißachten.

Natürlich dachte die Positronik nicht imentferntesten daran, zu unseren Gunsten ein-zugreifen, aber dem ließ sich abhelfen. Frag-lich war nur, welche Folgen für uns darausentstanden. Bis jetzt hatte das Gehirn unsereAnwesenheit ignoriert – schon das war rät-selhaft und grenzte an ein Wunder. Wennwir jetzt in die Schaltkreise eindrangen,mußte diese Gleichgültigkeit stark ins Wan-ken kommen.

Wir hatten wenig Zeit, uns über diesenPunkt den Kopf zu zerbrechen.

In der Hydroponik gerieten ganze Teileder Wände in Bewegung. Die mörderischenRanken lösten sich aus dem Gewimmel der

anderen Pflanzen und wanderten dem Aus-gang entgegen.

Der Aufmarsch der grünen Armee gingruhig und geordnet vor sich. Über ihr Zielgab es keinen Zweifel.

Diesmal nahm ich den Platz vor demSchaltpult ein.

Während die Ranken wie seltsame Wür-mer in den Gang krochen, stellte ich in allerEile ein Programm zusammen, das dieLöschroboter zu sofortigem Eingreifen ver-führen mußte. Ich begann mit leichtem Tem-peraturanstieg im Mittelpunkt der Halle, derrasch bedrohliche Formen annahm. Wäh-rend ich rund um die Blüte ein fröhlich lo-derndes Feuer simulierte, drang durch dasgeöffnete Schott wütendes Pfeifen. Fartulo-ons Strahler röhrte auf. Ich ließ neue Brand-herde entstehen, die sich nach allen Richtun-gen weiterfraßen, fügte einige kleinere Ex-plosionen im Rohrsystem hinzu und über-zeugte mich mit einem Seitenblick davon,daß die Kommandoeinheit den Köder aufge-nommen hatte.

Die Löschroboter, seltsam verdrehte Me-tallungeheuer mit zahllosen Armen undklumpenförmigen Körpern, rasten aus ihrenKammern. Leider wimmelte es auch in ihrerUmgebung von wild gewordenen Pflanzen.Ich sah mich gezwungen, den Brand schleu-nigst auch auf die Zugänge zur Hydroponikauszudehnen.

Der Erfolg war atemberaubend.Die Roboter spritzten mit Chemikalien

um sich, die den sonst so zähen Gewächsenschlecht bekamen. Sie sanken augenblick-lich in sich zusammen. Geistesgegenwärtigveränderte ich die Daten, und die Roboterkamen zu dem Schluß, daß schon im erstenAnlauf die Flammen in den Gängen zu ei-nem umfassenden Schwellbrand zusammen-gesunken waren. Mit solchen Kleinigkeitenwurden sie spielend fertig. In chemische Ne-bel gehüllt, eilten sie weiter, und hinter ih-nen blieb ein dicker Brei von zerfressenenund zermalmten Pflanzenteilen zurück.

Unterdessen feuerte Fartuloon fast unun-terbrochen durch das offene Schott. Das

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Prasseln von Flammen, vermischt mit demDröhnen der energetischen Entladungen unddem wütenden Heulen der angreifendenPflanzen, erweckte in mir das Gefühl, alswäre auch die von mir simulierte Katastro-phe die reine Wirklichkeit. Die lange aufge-speicherte Spannung, die Wut auf die mör-derischen Gewächse, entlud sich in einemwahren Rausch der Zerstörung.

Die Roboter waren meine Werkzeuge. Ichlockte sie immer weiter vorwärts, und wo siein Aktion traten, sanken die grünen Mauernzu Boden. Der erste Trupp drang in die Hy-droponik ein und schuf eine breite Gassezwischen den Pflanzen, die überhaupt nichtbegriffen, was geschah. Anstatt zu fliehen,was ihnen immerhin in begrenztem Rahmenmöglich war, warfen sie sich dem Feind ent-gegen. Die Roboter nahmen ihre Gegner garnicht wahr. Für sie existierten nur die Tem-peraturwerte, die ich ihnen zuspielte.

»Verdammtes Grünzeug!« brüllte Fartu-loon unbeherrscht.

Ich erwachte kurzfristig aus meinemRausch und erschrak. Überall an den Wän-den der Zentrale flogen Klappen und Lüf-tungsgitter aus ihren Fassungen. GraugrüneArme drangen aus den Öffnungen, Kapselnmit übelriechendem Schleim knallten wieBomben auf die Schaltpulte. Mit einemschnellen Griff schloß ich den Schutzhelm.Der Bauchaufschneider betätigte einen Kon-takt. Das Schott zischte in seine Halterungenund klemmte ein Bündel stacheliger Äste ab.

»Wir haben es gleich geschafft!« rief ichihm zu. »Gib mir noch ein paar Sekunden!«

Er nahm sich gar nicht erst die Zeit für ei-ne Antwort, sondern eröffnete das Feuer.

Jetzt ließ ich die Temperaturen allgemeinabsinken. Nur um die Blüte herum existiertenoch ein angeblicher Brandherd. Die Robo-ter reagierten prompt. Sie stellten die chemi-schen Berieselung ein und gruben sich sturdurch wahre Berge von Gewächsen demTank entgegen. Die Blüte zuckte hysterisch.Sie peitschte so heftig hin und her, daß ichbereits meinte, sie würde sich von ihremStengel lösen.

Die Schaumstrahlen brachen über sie her-ein. Die zarte, blaue Schale schmolz zu ei-nem unförmigen grauen Klumpen, der sichnoch für einen Augenblick auf dem zierli-chen Stiel hielt. Dann klatschten die Überre-ste der Blüte des Lebens in das klare Was-ser.

Im selben Moment war es schlagartig stillum mich herum. Aus den Öffnungen in denWänden hingen schlaffe Pflanzenarme. Sieschaukelten langsam hin und her. Wir starr-ten sie wie hypnotisiert an.

Die Ruhe währte nur wenige Sekunden.Dann schrillte der Alarm durch die Gängerund um die Zentrale. Unheilvolles Dröhnenund Stampfen erklang. Die Lampen auf denKonsolen flackerten wild.

Fartuloon hämmerte wütend mit der Faustgegen die Kontaktplatte. Das Schott rührtesich nicht. Wir waren eingeschlossen.

Rechts vom Hauptpult klappte der untereTeil der Wand auseinander. Zwei halbkugel-förmige Dinger rollten auf uns zu. Wirblickten genau in die flimmernden Abstrahl-öffnungen der entsicherten Waffen. Unterdiesen Umständen war jeder Versuch vonGegenwehr gleichbedeutend mit Selbst-mord. Resignierend ließen wir die Arme sin-ken.

»Zwei nicht autorisierte Organismen be-drohen die Station«, plärrte ein übersteuerterLautsprecher. »Sie sind sofort aus der Näheder Zentral zu entfernen.«

Die Halbkugeln hielten direkt vor uns an.Ohne die Waffen zu senken, streckten siemetallische Tentakel nach uns aus. Den im-mer noch schwankenden Pflanzenteilen anden Wänden schenkten sie keine Beachtung.Uns dagegen packten sie mit stählernemGriff, hoben uns hoch und rollten vor dasSchott. Als die Öffnung breit genug war,ging es zuerst auf den ringförmigen Korri-dor, dann in einen schwach beleuchtetenSeitengang hinein.

»Wo bringen die uns hin?« keuchte ich,während ich mich verzweifelt wand, um denharten Klauen zu entkommen. Der Roboterrollte stur weiter und packte noch fester zu.

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»Zum Konverter«, lautete Fartuloons Ant-wort. »Oder kannst du dir eine bessere Ver-wendung für zwei Eindringlinge wie unsvorstellen?«

*

Die Wachen vor der Tür meldeten ver-stärkte Aktivitäten der Pflanzen, die bis da-hin geduldig auf das Erscheinen ihrer Opfergewartet hatten. Akon-Akon befahl den bei-den Männern, sich sofort in den Schaltraumzurückzuziehen. Das Kommando kam kei-nen Augenblick zu früh, denn die Tür warkaum wieder geschlossen, da krachten vonaußen die ersten Äste dagegen.

Die Tür bebte und ächzte, und es war ab-zusehen, daß sie dem wütenden Anprallnicht mehr lange standhalten konnte. Da esunmöglich war, sie noch besser zu verram-meln, als es ohnehin schon gesehen war,blieb nur die Flucht.

»Wir müssen in die Maschinenhalle unteruns«, stellte Ra betont ruhig fest.

»Damit helfen wir auch Atlan und Fartu-loon«, stimmte Vorry zu und lief bereits zudem nur provisorisch verschlossenen Lochim Boden. Ein großer Teil der Arkonidenfolgte ihm. Das Tonnenwesen streckte dieArme aus, um das Hindernis zu beseitigen,da ertönte hinter ihm die Stimme des Jun-gen.

»Halt!«Vorry blieb so plötzlich stehen, daß zwei

andere Arkoniden gegen seinen gepanzertenRücken prallten.

»Wir bleiben hier!«»Was soll der Unsinn!« fauchte Karmina

Arthamin wütend. »Die Tür …«Sie verstummte, als ein Blick aus den ro-

ten Augen sie traf.Akon-Akon stand hochaufgerichtet vor ei-

nem halb demontierten Maschinenblock. Ei-ne unheimliche Kraft ging von ihm aus, diejeden in ihren Bann zog. Die Arkoniden, Raund sogar Vorry standen wie erstarrt um ihnherum.

Langsam und feierlich hob Akon-Akon

den Kerlas-Stab.»Die Unruhe der Pflanzen ist von kurzer

Dauer«, verkündete er. »Wir haben nichts zubefürchten.«

Niemand glaubte ihm. Aber das ändertenichts daran, daß Akon-Akons Willenskraftübermächtig war. Regungslos warteten sie.

Das Rumoren der Pflanzen wurde lauter.An den Wänden schabten harte Gegenständeentlang. Lautes Pfeifen und seltsame Schreieließen den unfreiwilligen Gefolgsleuten desJungen das Mark in den Knochen gefrieren.Irgendwo in den Tiefen der Station knatter-ten zahlreiche kleinere Explosionen. DerBoden der Schaltstelle zitterte leicht. Dannwurde der Kampflärm schwächer. Das weitentfernte Rumpeln blieb.

Akon-Akon senkte den Kerlas-Stab undmusterte mit kalten Blicken seine»Untertanen«.

Er hatte wieder einmal recht behalten.In das allgemeine Aufatmen mischte sich

das Krachen der Tür. Die schwere Metall-platte kippte langsam in den Raum.

*

Der Weg zum Konverter war länger, alsich angenommen hatte. Inzwischen mochtefast eine halbe Stunde vergangen sein. DieRoboter rollten unentwegt vorwärts, immertiefer in die vielfach verzweigten Gänge hin-ein. Wir hatten nicht die leiseste Ahnung,wo wir uns eigentlich befanden. Die Korri-dore in diesem Bereich sahen alle gleich aus.Pflanzen begegneten wir nicht.

Allmählich kam mir das Verhalten derRoboter merkwürdig vor. In derart weitläufi-gen Anlagen mußte es doch Transportbändergeben, auf die sie uns hätten verfrachtenkönnen.

Solange die harten Klauen uns festhielten,hatten wir keine Chance. So gesehen erschi-en mir die Bekanntschaft mit einem Trans-portband als erstrebenswertes Ziel. Jeden-falls war es immer noch besser, als wenn dieverflixten Halbkugeln uns direkt in einenFüllschacht warfen.

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Wenn ich mir den Kopf verrenkte, konnteich Fartuloon sehen, der ein kurzes Stückvor mir durch den Gang getragen wurde.Anfangs hatte der Bauchaufschneider ver-zweifelte Bemühungen unternommen, ansein Schwert zu kommen. Das Skarg hatteallerlei seltsame Eigenschaften. Es konnteStrukturlücken in Schutzschirmen schaffen,aber auch Energie einfangen und gezieltwieder abgeben. Gewiß hätten wir damitauch etwas gegen die Roboter ausrichtenkönnen. Die Halbkugeln schöpften jedochschon bei der ersten Bewegung Verdacht.Fartuloon gab es auf.

Die Maschinen rollten in einen; kreisför-migen Raum und krochen zielsicher einesteile Rampe empor. Ein schneckenförmiggewundener Korridor folgte. Das Geräuschder Gleisketten veränderte sich. Unter mirentdeckte ich die weiche, dunkle Humus-schicht, die typisch für die von den Pflanzenbesiedelten Sektoren war.

»Ich habe es schon bemerkt!« rief Fartu-loon, als ich ihn auf die Neuigkeit aufmerk-sam machte. »Vielleicht stecken sie mit derBlüte des Lebens unter einer Decke. Wirwaren schließlich als Opfer ausersehen.«

»Da werden unsere Freunde aber eine her-be Enttäuschung erleben. Die Blüte existiertnicht mehr.«

Fartuloon schwieg, und die Roboter sahenkeine Veranlassung, uns über ihre Ziele auf-zuklären.

Wir bogen in einen breiten Korridor ein,der hell erleuchtet war. Weit vor uns beweg-te sich etwas. Die Roboter stutzten, bliebenstehen und fuhren eine Anzahl dünner Me-tallfäden aus.

Die Pflanzen kamen näher. Sie kämpftenmit wilder Entschlossenheit gegeneinander.Jeder schien jeden für eine gute Beute zuhalten. Zwei Bäume, die sich gegenseitigzerfleischten, wurden an den Wurzeln be-reits von zahlreichen kleineren Pflanzen an-geknabbert, die ihrerseits von schlangenför-migen Ranken umklammert und aufgelöstwurden.

Das Gewimmel war bis auf wenige Meter

an uns herangekommen. Die Roboter stan-den immer noch still. Wenn sie uns wenig-stens losgelassen hätten! Wir hingen hilfloswie lebende Köder in den metallischen Fes-seln.

Ein lautes Zischen übertönte das Kratzenund Scharren der Lauf wurzeln. Grauer Ne-bel wirbelte jenseits der erbittert kämpfen-den Pflanzen auf. Zum Glück waren unsereSchutzhelme geschlossen.

Als die Wolken von Schaum und feinver-sprühten Chemikalien sich lichteten, erkann-ten wir die Schemen zweier Löschroboter,die sich eiligst entfernten. Die ineinanderverbissenen Pflanzen waren zu einer grauenMasse geworden, die an den Robotern hoch-spritzte, als die Maschinen sich vorwärtswühlten.

Es sah ganz danach aus, als hätte die Ver-nichtung der Blüte für alle anderen Pflanzenin der Station weitreichende Folgen. Als be-sonders gutes Zeichen empfand ich es, daßdie Roboter sich jetzt eindeutig gegen dieGewächse stellten.

Unsere Wächter schlichen jetzt förmlichdurch die Gänge.

Es mochte Zufall sein, daß die Halbku-geln sich nun ganz deutlich in jene Richtungbewegten, in der der Schaltraum liegenmußte. Aber ich glaubte nicht recht an einensolchen Zufall. Die Gänge sahen fremd aus,weil die Pflanzen verschwunden waren.Überall gab es die gräßlichen Spuren, die dieLöschroboter hinterlassen hatten. Ich fragtemich allen Ernstes, ob ich das Recht gehabthatte, die gesamte pflanzliche Bevölkerungin eine solche Gefahr zu bringen.

Meine Gedanken schwirrten wild durch-einander. Jeder Knochen in meinem Körperschmerzte. Die Roboter gingen nicht geradesanft mit ihren Gefangenen um. Außerdemlastete ein unangenehmer, dumpfer Druckauf meinem Hinterkopf. Die Ereignisse beidem heimtückischen Überfall der Pflanzenlagen so weit zurück, daß ich mich kaumnoch daran erinnerte. Die Folgen allerdingsmachten sich jetzt verstärkt bemerkbar.

Urplötzlich hielten die Halbkugeln an.

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Vor uns lag eine mit grauem Schleim ver-schmierte Wand, in der sich undeutlich dieUmrisse einer Tür abzeichneten.

Der Roboter, der Fartuloon in seine Obhutgenommen hatte, fuhr zwei dicke Tentakelaus und stemmte sie gegen den Eingang.

Die Tür gab ein häßliches Knirschen vonsich, platzte aus den Fugen und fiel nach in-nen. Die Halbkugeln paßten nicht durch dieÖffnung. Sie schoben uns mit ihren beliebigverformbaren Armen in den Schaltraum undließen uns ohne weitere Umstände fallen.

Ich starrte in die total verblüfften Gesich-ter, erblickte Akon-Akon mit seinem Kerlas-Stab und schloß die Augen. Im Halbschlafhörte ich noch ein paar Sekunden lang dieBefehle des Jungen, der mich zum Aufste-hen bewegen wollte. Diesmal konnte miraber der hypnotische Zwang nichts anhaben.Mein Körper streikte einfach.

9-Heydra war in maßlosem Entsetzen ge-flohen. Die Chance hatte sie verspielt. Siehatte ihre eigenen Fähigkeiten überschätzt.Nicht eine Schaltung hatte sie zustande ge-bracht. Und dann kamen die Fremden undschossen auf sie. Damit hätte sie rechnenmüssen, aber es war trotzdem ein Schock.Der Baum hatte die Kontrolle übernommenund war davongestürmt.

Nur langsam gewann sie die Kontrolle zu-rück. Noch gab sie sich nicht geschlagen.Die Kräfte des Baumes reichten nicht aus,um gegen die Waffen der Fremden anzu-kämpfen. Verbindung mit anderen Bäumenaufzunehmen, hätte zu viel Zeit gekostet undversprach darüber hinaus wenig Erfolg.

Es gab jedoch jemanden in der Station,der ebenfalls alles daransetzen mußte, dieFremden an der Flucht zu hindern. Die Zieleder Blüte waren nicht nach Heydras Ge-schmack, und auch die Aussicht darauf, wei-tere unzählige Zeiteinheiten als Gefangeneder Pflanze zu verbringen, wirkte wenig an-ziehend. Aber das war jetzt nebensächlich.

Der Baum lehnte sich gegen sie auf, alssie ihn in die Richtung zur Hydroponik diri-gierte. Er spürte die Nähe der Kampf ran-ken.

Kurz darauf kam es zur ersten Begeg-nung.

Als die schleimigen Blätter den Gang ab-rupt verschlossen, durchfluteten chaotischeImpulse den Körper der rebellischen Pflan-ze. Flucht – aber Heydra handelte diesmalschnell und umsichtig. Sie blockierte dieVerbindungen zu einem Teil der Laufwur-zeln. Die Ranken warteten.

Heydra überlegte verwirrt, was sie tunsollte. Etwas hatte sich geändert. Sie war inihrem Plan davon ausgegangen, daß dieRanken kompromißlos angriffen. In diesemFalle wäre sie über die nächstbeste Informa-tionseinheit auf dem schnellsten Wege in dieBlüte vorgedrungen.

Vorsichtig streckte sie den Ranken einenAst entgegen. Keine Reaktion. Sie zwangdie widerstrebenden Wurzeln zur Bewe-gung. Der von einer großen, versengtenWunde gezeichnete Baum schwankte unbe-holfen vorwärts, stelzte unter den erstenAusläufern der Kampfgewächse hindurchund erreichte die schleimigen Blätter.

Die Sperre öffnete sich!Während sie den Baum weiterstaksen

ließ, überlegte Heydra fieberhaft, was das al-les zu bedeuten haben mochte. Erwartete dieBlüte einen Baum? Wollte sie am Endeeinen Pakt mit den Raubpflanzen schließen?

Aber das war absurd. Selbst die Bäumemit ihrer schwachentwickelten Halbintelli-genz mußten wissen, daß die Blüte nur ansich selbst interessiert war. Außerdem warendie Fluchtreflexe durch generationenlangeFeindschaft so ausgeprägt, daß die Bäumesich der Hydroponik gar nicht nähern konn-ten. Das bekam Heydra deutlich genug zuspüren.

Oder die Blüte rechnete damit, daß nurein Baum, in dem das geflohene Bewußtseinsich festgesetzt hatte, sich in die Nähe derRanken wagte.

Natürlich. Das mußte es sein!Ihre Zuversicht wuchs. Das übertrug sich

auch auf den Baum, der spürbar schnellerausschritt.

Dennoch gab es einen Zusammenstoß. Sie

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durchquerten gerade das offene Schott derHydroponik – die Mechanismen warenschon vor langer Zeit ausgefallen, so daß dasTor sich gar nicht mehr schließen ließ – datastete ein dünner Zweig nach einer Wurzelder Raubpflanze. Das kleine Gewächs hattekeine bösen Absichten, aber der Gegen-schlag des Baumes erfolgte so schnell, daßHeydra nichts mehr dagegen unternehmenkonnte.

Der Baum tobte mit urweltlicher Kraft da-von. Zum Glück hielt er die Richtung ein.Heydra stellte fest, daß die Blüte bemühtwar, jeden Konflikt zu vermeiden. Keinesder angegriffenen Gewächse wehrte sich, al-le bemühten sich nach besten Kräften, derRaubpflanze auszuweichen.

Kurz vor der moosbedeckten Fläche, inderen Mitte sich die Blüte erhob, hielt derBaum erschöpft an. Auch die Kräfte einerPflanze sind nicht unbegrenzt. Die dünneKorkschicht über der Wunde war abgeblät-tert. Heydra kümmerte sich nicht mehr dar-um. Bisher hatte sie die Zellen in diesemGebiet unter ständiger Kontrolle gehalten,die Saftbahnen abgeschnürt – jetzt tropfte ei-ne dicke Flüssigkeit am Stamm des Baumesherab. Es war gleichgültig, denn das Endewar für dieses Gewächs ohnehin gekommen.

Sie schaffte es noch, den Baum bis vorden Tank zu treiben. Das kostete den Baumdie letzten Reserven. Seine Instinkte, soferndieses Wort im Zusammenhang mit einerPflanze zu gebrauchen waren, rieten zurFlucht, aber die Kraft reichte nicht einmalmehr aus, um Heydras Kontrolle zu erschüt-tern.

Eine Zeitlang rührte sich nichts. Dannwuchs ein Wurzelfaden aus dem Moos derTankumrandung.

Heydra wartete nicht länger. Sie gab dieKontrolle über den Baum auf – das Gewächswar inzwischen ohnehin zu keiner Bewe-gung mehr fähig. Sie fädelte sich in die In-formationsbahn ein, sobald der Kontakt her-gestellt war.

Der Dialog zwischen der Blüte und Hey-dra war kurz und intensiv. Gorkalon war in-

zwischen in die Einheit aufgenommen wor-den, und die Pflanze war ungeheuer stark.Gleichzeitig erfuhr auch ihre Intelligenz eineAnhebung. Heydra hatte keine Schwierig-keiten, der Blüte die Gefahr zu erklären. So-fort wurden Gegenschläge vorbereitet.

Mit atemberaubender Geschwindigkeitwucherten dünne Ranken in schon seit lan-gem erkundete Rohre, Schächte und sonstigeVerbindungen hinein. Sie sollten die Frem-den in der Zentrale ausschalten, ehe sie neu-es Unheil stiften konnten. Die anderen Op-fer, die sich noch immer im Schaltraum auf-hielten, konnte man später noch herausho-len. Die Blüte akzeptierte Heydras Warnun-gen. Das akonische Bewußtsein hatte vonder Zweiwegfunktion des Transmitters vor-her nichts erwähnt. Die Aussicht, die lebens-wichtigen Organismen auf diesem Wege zuverlieren, ließ die Blüte mit besonderer Här-te vorgehen.

Und dann kam das große Unglück.Heydra empfing wirre Impulse, die von

einer Gefahr berichteten. Genaues war nichtzu erfahren, aber das geheimnisvolle Etwasrückte schnell und zielsicher auf die Hydro-ponik zu. Die Ranken erreichten die Zentra-le, und auch sie trafen auf Gegenwehr.

Unterdessen nahm das Ausmaß der Zer-störung im Bereich der Hydroponik sprung-haft zu. Heydra versuchte verzweifelt, dieBlüte auf dieses neue Unheil hinzuweisen.Das Gewächs jedoch konzentrierte sich völ-lig auf die Schlacht um den technischen Mit-telpunkt der Station.

Erst als die ersten Roboter in die Hydro-ponik eindrangen, durchschaute Heydra denPlan der Arkoniden.

Es war der reine Hohn. Eben diese Robo-ter hatte sie ohne direkte Anweisungen derBlüte funktionsfähig erhalten lassen. Wielange hatte sie auf eine Gelegenheit gewar-tet, die diese Maschinen zum Einsatz brach-te!

Sie gab ihre Bemühungen auf. WelchenSinn hatte es denn auch, die Blüte zu war-nen? Den schaumsprühenden Ungeheuerngegenüber waren die Pflanzen wehrlos.

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Zum Glück war Heydra noch immer rela-tiv frei. Die sich überstürzenden Ereignissehatten den pflanzlichen Intellekt davon ab-gehalten, sich ausführlich mit dem geflohe-nen Bewußtsein zu beschäftigen. Heydrazog sich zurück. Als sie das Wurzelgespinstdurchdrang, spürte sie etwas Fremdes, vondem sie magisch angezogen wurde. Sie folg-te dem lautlosen Ruf und landete im Körperdes Arkoniden.

Im gleichen Augenblick starb die Blüte.

*

Erst jetzt begriff Heydra in voller Konse-quenz, welche Bedeutung dieses Gewächsfür die Pflanzenwelt in der Station gehabthatte. Obwohl sie seit unvorstellbar langerZeit in diesem weitverzweigten System vonLeben gehaust hatte, waren ihre Vorstellun-gen von der Macht der Blüte völlig unzurei-chend.

Das gesamte System brach zusammen.Die einzelnen pflanzlichen Individuen,

die bis zu diesem Zeitpunkt nur der Gemein-schaft gedient hatten, sahen sich plötzlich inder Lage, ihren eigenen Bedürfnissen nach-zugehen. Ohne den alles umfassenden Ein-fluß der Blüte waren alle diese Gewächsenichts weiter als eben Pflanzen. Sie hattenniemals echte Intelligenz entwickelt. Einwilder Kampf entbrannte, an dem sich auchdie Überreste des Wurzelgespinstes beteilig-te.

Im ersten Moment war Heydra vor Entset-zen handlungsunfähig. Dann erkannte sie ih-re Chance.

Der Körper des Arkoniden war von un-zähligen Saugfäden durchzogen, die Hey-dras überraschendem Angriff sofort unterla-gen. Mit ihrer Hilfe wurden die von außenvordringenden anderen Wurzeln vertrieben.Als ihre Position einigermaßen gesichertwar, untersuchte Heydra den Körper Gorka-lons. Sie stellte fest, daß der Arkonide ihrfür eine kurze Zeitspanne als Wirt dienenkonnte. Sein Gehirn war zwar fast völligzerstört, aber mit Hilfe der feinverzweigten

Saugfäden konnte sie die wichtigsten Ner-venverbindungen imitieren und den Körperbeweglich erhallten.

Als sie ihr Werk beendet hatte, war siesehr zufrieden mit sich. Zwar mußte sie sichmit einigen Mängeln abfinden, aber daranwar sie gewöhnt. Als Gorkalon mit ungelen-ken Bewegungen aus dem Tank stieg, war erim medizinischen Sinn eine Leiche. SeinHerz stand still, seine Lungen arbeitetennicht mehr. Das Gehirn war praktisch nichtmehr vorhanden.

Aber in ihm wohnte ein Bewußtsein, dasmittels seiner pflanzlichen Untertanen denTorso des Arkoniden erbarmungslos vor-wärts trieb. Durch die starren Augen erspäh-te Heydra den Strahler, der vor dem Tankliegen geblieben war. Sie schickte sensitiveZellen in die starren Finger der rechtenHand und genoß das Gefühl der Macht, alsdie Waffe aufgehoben wurde.

Dann machte sie sich auf den Weg zurTransmitterhalle. Sie würde dort auf die Ar-koniden lauern. Wenn sie die Station verlas-sen wollten, würde eine ihrer eigenen Waf-fen sie vernichten.

*

Zu Akon-Akons unangenehmsten Eigen-schaften zählte das Desinteresse, das ermenschlichen Regungen aller Art entgegen-brachte. Die Gefährten erwarteten von unsnatürlich einen ausführlichen Bericht. Siewollten wissen, warum die Pflanzen so ab-rupt ihr Verhalten geändert hatten, was sichin der Zentrale abgespielt hatte, und welcheSchwierigkeiten wir auf unserem Weg ange-troffen hatten.

Akon-Akon schnitt all diese Fragen miteiner herrischen Handbewegung ab.

»Habt ihr die Daten?«Nur das war für ihn wichtig.»Alles vorhanden«, nickte Fartuloon und

zog einen stabilen Streifen Folie aus einerTasche. Der Junge nahm ihm das kostbareDing ab, warf einen Blick darauf und be-trachtete dann seinen Kerlas-Stab.

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»Wir haben es geschafft!« stieß er hervor.Für einen Augenblick zerbrach die Maskeder Unnahbarkeit. Unbändige Freude ließsein Gesicht wie das eines Fremden erschei-nen.

»Wir?« murmelte der Bauchaufschneidermißmutig.

»Mit diesen Daten werden wir in dasBlaue System eindringen«, verkündeteAkon-Akon unbeeindruckt. »Die lange Su-che hat sich gelohnt.«

Er machte auf dem Absatz kehrt und gingzur Tür. Wir folgten ihm wie eine Herde gutabgerichteter Tiere. Erst die deutlichen Spu-ren der Pflanzen auf dem Gang brachten denJungen halbwegs auf den Boden der Tatsa-chen zurück. Er verzichtete schweren Her-zens darauf, wie ein Herrscher mit Gefolgeauf die Transmitterhalle zuzuschreiten, son-dern gestattete uns, eine zweckmäßigereMarschordnung einzunehmen.

Auch diesmal übernahm Vorry die Spitze,und Ra ging am Schluß. Fartuloon mußteneben Akon-Akon bleiben.

Wir begegneten nur wenigen Pflanzen. Je-der Zusammenhalt zwischen den Gewächsenschien verlorengegangen zu sein. Sie ver-folgten ihre eigenen Wege. Um uns küm-merten sie sich kaum. Nur einmal raste einerder mörderischen Bäume aus einem Seiten-gang. Der Magnetier nahm die Herausforde-rung mit einem unternehmungslustigenKnurren auf. Er kam nur bis auf wenige Me-ter an die Pflanze heran, dann zog der Baumsich hastig zurück.

»Das soll verstehen, wer will!« brummteVorry enttäuscht. »Erst veranstalten sie einewilde Jagd auf uns, und jetzt rennen sie da-von.«

»Vielleicht haben sie herausgefunden, daßdu ungenießbar bist«, murmelte Fartuloon.

Vorry sah sich kurz um. Ich rechneteschon damit, wieder einmal ein bissigesWortgefecht zwischen den beiden zu erle-ben, aber dann drang ein lautes Fauchen ausdem Gang, in dem der Baum verschwundenwar.

»Das war ein Impulsstrahler«, stellte Ra

gelassen fest.Wir verteilten uns links und rechts vom

Eingang. Der Gang war schwach erhellt.Nur wenige Leuchtplatten brannten noch.Etwa fünfzig Meter entfernt lagen die glim-menden Überreste des Baumes. Von demje-nigen, der den Schuß abgegeben hatte, warnichts zu sehen.

»Wer kann das gewesen sein?« fragteAkon-Akon unsicher.

»Wir haben einige Waffen verloren«,stellte Fartuloon fest. »Die Pflanzen hattenreichlich Gelegenheit, uns zu beobachtenund den Umgang mit den Strahlern zu ler-nen.«

»Aber die Pflanzen haben offensichtlichihre Intelligenz eingebüßt«, wandte der Jun-ge ein.

Ich sah den Bauchaufschneider an, und ernickte langsam.

»Das akonische Bewußtsein! Irgendwiehat es die Katastrophe überstanden.«

Er berichtete kurz von unserer Begegnungmit dem merkwürdigen Baum und denSchlußfolgerungen, zu denen wir gelangtwaren. Akon-Akon hörte schweigend zu. Ergab nicht zu erkennen, ob er dieser Ge-schichte irgendeine Bedeutung zumaß. AlsFartuloon schwieg, stand der Junge auf, hobden Kerlas-Stab und betrachtete das seltsa-me Instrument aufmerksam.

»Wir gehen weiter«, verkündete er nachwenigen Sekunden.

Er verriet uns nicht, was er mit Hilfe desStabes festgestellt hatte, aber ich merkte,daß er unruhig wurde. Er trieb uns zur Eilean.

Schweigend hasteten wir durch den Gang.Ab und zu hörten wir Geräusche. In der Fer-ne rumpelten Roboter durch die Station. Ex-plosionen erschütterten die riesige Ansamm-lung von Kammern und Hallen. In den Sei-tengängen knisterten und raschelten kleinePflanzen.

Wir erreichten das Schott und öffneten es.Unwillkürlich atmeten wir auf, als wir end-lich in der Transmitterhalle standen. Wir sa-hen nichts, was auf eine Gefahr hindeutete.

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Alles war genauso, wie wir es in der Erinne-rung hatten. Selbst die verkohlten Überresteder Ranken lagen noch vor dem vonSchmelzspuren verunzierten Schott.

»Wir müssen dort hinüber«, sagte Akon-Akon und deutete auf einen Punkt am entge-gengesetzten Ende der Halle.

Wir fühlten uns unbehaglich, als wir denriesigen, deckungsfreien Raum durchschrit-ten. Immer wieder sah ich mich um. Ichspürte förmlich die Gefahr, die auf uns lau-erte, aber ich sah nichts. Den anderen erginges ähnlich.

Vor einem Schaltpult blieb Akon-Akonstehen. Er zog die Folie hervor und hantiertemit seinem Kerlas-Stab. Die Daten alleinehätten uns nichts genützt. Nur mit Hilfe die-ses Instruments konnte der Junge den Trans-mitter aktivieren.

Akon-Akon drückte ein paar Schalter.Lampen leuchteten auf, und der Junge nicktezufrieden. Er streckte die Hand mit der Folieaus, um den Streifen in einen Schlitz zustecken, da geschah es.

Direkt neben dem Pult wich ein Teil derWandverkleidung zur Seite. Ein grellerEnergiestrahl fuhr fauchend aus der Öffnungund brannte eine lange, glühende Furche inden Bodenbelag. Zwei Arkonidinnen, die inder Schußbahn standen, starben, ehe sie dieGefahr erkannt hatten.

*

Ich hörte das leise Knarren und hechtetenach vorne. Als der Schuß dröhnte, hatte ichAkon-Akon erreicht. Ich riß ihn zu Bodenund zog ihn in die spärliche Deckung unter-halb eines Schaltpults. In diesem Augen-blick spielte es keine Rolle, ob Akon-Akonmir sympathisch war oder nicht. Ohne ihnhatten wir keine Chance, diese Station je-mals zu verlassen, denn wir konnten denTransmitter nicht bedienen.

Erleichtert sah ich, daß auch die anderenschnell genug reagierten. Bis auf die beidenFrauen brachten sich alle mit schnellenSprüngen in Sicherheit. Trotzdem war die

Gefahr noch lange nicht gebannt.Wir wußten nicht, wer oder was sich in

der Öffnung verbarg, aber der Gegner wardeutlich im Vorteil. Er konnte in aller Ruheabwarten, bis wir ihm in die Schußbahn lie-fen. Und genau das mußten wir zwangsläu-fig tun, sobald wir einen neuen Versuch un-ternahmen, den Transmitter zu aktivieren.

Ich hörte Akon-Akons leise, gleichmäßigeAtemzüge hinter min.

»Wir müssen den Burschen heraus-locken«, sagte er leise. »Los, worauf wartestdu?«

Bleib liegen, du Narr!»Geh!«Auch das Extrahirn konnte mich vor

Akon-Akon nicht schützen. Obwohl ich ver-zweifelt gegen den hypnotischen Einfluß an-kämpfte, erhob ich mich und trat von demSchaltpult weg.

»Atlan!«Fartuloons gellender Schrei ließ mich

kurz zögern. Die Öffnung in der Wand lagzwei Schritte von mir entfernt.

Ein Energiestrahl zischte so nahe an mirvorbei, daß ich meine Haare knistern hörte.Ich zuckte instinktiv zurück. Wie von selbstruckte mein Strahler hoch. Undeutlich er-kannte ich einen dunklen Schemen, der anmir vorbeiraste, direkt in die Öffnung hin-ein.

Und dann sah ich Gorkalon.Der Arkonide taumelte direkt auf mich

zu. In seinen weit aufgerissenen Augen lagüberhaupt kein Ausdruck. Es war, als würdeein Toter mich anstarren. Aber Gorkalon be-wegte sich. Er schritt ruckhaft vorwärts. Dierechte Hand mit dem Strahler deutete in dieHalle hinein.

»Zur Seite!« knurrte eine Stimme, und icherkannte Vorry, der hinter dem Arkonidenkauerte und zum Sprung ansetzte. Mein Ge-hirn war wie in dicke Watte gepackt. Akon-Akons Befehl beherrschte mich völlig. Den-noch brachte ich es fertig, wenigstens ste-henzubleiben. Gorkalon marschierte wie einRoboter an mir vorbei. Er schien mich garnicht zu bemerken. Erst als er schon fast

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vorbei war, drehte er ruckweise den Kopf.Seine starren Augen richteten sich auf mich.

Ich starrte zurück. Akon-Akons Befehlhinderte mich daran, irgend etwas zu meinerVerteidigung zu unternehmen.

Die Waffe richtete sich auf mich. Über-deutlich sah ich die dürren, bleichen Finger,die sich um den Griff des Strahlers krampf-ten. Dann gab es einen dumpfen Aufprall,und Gorkalon fiel zu Boden.

In meinem Gehirn rastete etwas mit bei-nahe hörbarem Klicken ein.

Der Befehl des Jungen war erfüllt, derGegner aus seinem Versteck gelockt. End-lich war ich wieder Herr über mich selbst.

Vorry hatte den Arkoniden im Sprungumgeworfen und sich dann rasch zur Seitegerollt. Er wollte sich eben wieder auf Gor-kalon stürzen. Dabei wurde ihm die Sichtauf den Strahler durch den entstellten Kör-per des Mannes verdeckt. Gorkalons Fingertasteten sich an den Auslöser heran. Es schi-en diesen Mann nicht zu kümmern, daß einTeil der Energie ihn selbst an der Hüfte tref-fen mußte. Es genügte ihm, daß gleichzeitigVorry und das Schaltpult für den Transmit-ter vernichtet werden sollten. Er war nurnicht schnell genug. Mein Schuß traf ihn.

Jeder normale Arkonide wäre tot gewe-sen. Aber Gorkalon war nicht mehr normal.

Der rechte Arm existierte noch, ein Teilder Schulter und die Hand mit der Waffeebenfalls. Durch den aus nächster Nähe ab-gefeuerten Energiestrahl war die Stellungder Hand verändert worden. Der Finger be-rührte den Kontakt, und der Schuß röhrtedurch die Halle. Der Rückstoß trieb den vomKörper getrennten Arm auf die Schaltpultezu.

Das alles geschah so schnell, daß keinervon uns begriff, was eigentlich los war. Erstim letzten Augenblick gewann ich meineFassung zurück. Ich war den ÜberrestenGorkalons am nächsten. Beinahe automa-tisch stellte ich die Bündelung des Strahlsein und schoß.

Ich traf genau den Handrücken. Die Fin-ger lösten sich von der Waffe. Der Impuls-

strahler blieb ein paar Zentimeter von demPult entfernt liegen. Entsetzt sah ich, daßzwei Finger über den Boden krochen. Dannwaren die anderen bei mir. Dünne Glutstrah-len zuckten auf und vernichteten die letztenÜberreste Gorkalons.

Niemand sprach, als es endlich vorbeiwar.

Während Akon-Akon die nötigen Schal-tungen vornahm, versuchte ich zu begreifen,was mit Gorkalon geschehen war.

Eine echte Erklärung für alle Einzelheitenfand ich nicht. Ich nahm an, daß das von derBlüte des Lebens eingefangene Bewußtseinden Körper des Arkoniden übernommen hat-te. Warum aber selbst die kleinsten Teileseines Körpers noch zu eigenen Bewegun-gen fähig waren, ließ sich nicht so leichtverstehen.

So grauenvoll der Kampf aber auch gewe-sen war, eines erschien mir als sicher: Nichtwir hatten Gorkalon getötet. Er war gestor-ben, als er in die Gewalt der Blüte geratenwar.

Die Vorbereitungen waren abgeschlossen.Akon-Akon hantierte mit dem Kerlas-Stab.Vor uns bildeten sich leuchtende Säulen,zwischen denen absolute Dunkelheit lastete.Der Junge hob die Hand. Willenlos tratenwir vor und überließen uns dieser Dunkel-heit. Mein letzter bewußter Gedanke galt derFrage, welche Schrecken jenseits dieserschwarzen Mauer auf uns warten mochten.Schlimmer konnte es kaum noch werden!

Dann erfaßte mich das Nichts und rißmich mit sich fort.

*Epilog

Als Gorkalon starb, erkannte Heydra, daßsie sich während unvorstellbar langer Zeiteiner Illusion hingegeben hatte. Sie hattesich gewünscht, sterben zu dürfen. Nun wares soweit – und sie kämpfte verzweifelt umein Leben, daß diese Bezeichnung kaumnoch verdiente.

Die Enttäuschung darüber, daß sie die

Station der Killerpflanzen 53

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Fremden nicht hatte vernichten können,wich der Angst. Es war völlig, unwesentlich,ob die Arkoniden das Blaue System erreich-ten oder nicht. Sie hätte sich in diese Dingeniemals einmischen sollen. Sie bedauerte na-hezu alles, was sie getan hatte. Sie wollte le-ben.

Die Arkoniden vernichteten alles, wasvon Gorkalon übriggeblieben war. Heydrafühlte sich nackt und schutzlos. Nur ein win-ziger Gewebeklumpen bot ihr noch Halt. Siewußte nicht, was geschehen würde, wennauch dieses Teilchen vernichtet wurde. Selt-samerweise hatte sie immer geglaubt, es wä-re gleichbedeutend mit dem absoluten Ende,wenn ihr Trägerkörper starb. Es schien, alshätte sie sich geirrt.

Die merkwürdigsten Gedanken tauchtenin ihr auf, während sie – in vielleicht ein-hundert Zellen organischer Materie einge-schlossen – wartete.

Sie verlor jedes Zeitgefühl. Es mochten

Ewigkeiten vergangen sein, vielleicht aberauch nur Sekunden, dann tastete ein Moos-faden über die vertrocknete Substanz.

Heydra wechselte in den anderen Orga-nismus über. Innerhalb kurzer Zeit ändertedas Moos seine Form. Eine hohe, schlankePflanze bildete sich, an deren Spitze eineblaue Blüte schwankte. In den seltenen kla-ren Momenten erkannte Heydra genau, daßsie dem Wahnsinn verfallen war. Dennochpostierte sie ihren neuen Körper vor demTransmitter. Ab und zu entließ sie Wolkenvon farblosen Sporen, die irgendwo in denTiefen der Station verschwanden. Irgend-wann mußte der Transmitter aktiviert wer-den. Sie stand davor und wartete auf ein Op-fer.

ENDE

E N D E

54 Marianne Sydow