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Stefanie Rogoll Auszeit Der Coach

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Stefanie Rogoll

AuszeitDer

Coach

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Stefanie Rogoll

AuszeitDer

Coach

agenda VerlagMünster

2015

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

© 2015 agenda Verlag GmbH & Co. KGDrubbel 4, D-48143 MünsterTel. +49-(0)251-799610, Fax +49-(0)[email protected], www.agenda.de

Umschlagbild: „Tomboy Shoes“, Istockphoto, Getty Ust._Nr. IE9988348JBilder im Text: © Giraphics / Fotolia.com

Umschlaggestaltung: Stefanie Rogoll

Druck und Bindung: MCP, Marki, Polen

ISBN: 978-3-89688-541-8

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I n h a lt

„Wie g e h t ` s? “ – „Mus s j a . . . “ 7

Ka mpfb ereit? 18

„Wenn i c h ein ma l re i c h wä r. . . “ 24

Ha rt im Nehmen 30

Ausz eiten sc h a ffen – I n se ln der Erh o lun g 44

E in Ta g fü r mi c h 4 9

Wandern h eiß t h eute „Trekk in g “ 67

In 8 m2 um d i e Welt – w i e vi e l Luxus b r auc h en w ir w irk l i c h? 80

Outdoo r-Tra in in g – aus dem Fitnes s-Stud i o in d i e Natu r 89

Dein Weg . . . 96

L iter atu rverz ei c hn i s 98

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„Wi e g e h t ` s? “ – „Mus s j a . . . “

Unser Jahr hat 365 Tage, der Tag 24 Stunden – nach wie vor. Und trotzdem haben wir das Gefühl, dass die Zeit nicht reicht, um alles an Eindrücken, Informationen, Aufgaben und Themen bewältigen und verarbeiten zu können. Wie oft schauen wir täglich auf unser Handy, nur um zu prüfen, ob E-Mails eingegangen sind, ein Facebook-Freund einen mei-ner Beiträge gelikt oder mich eine Nachricht auf WhatsApp erreicht hat? Wir wollen nichts verpassen, alles mitbekom-men und überall dabei sein. Wie panisch reagieren wir, wenn wir unterwegs nur noch wenig Akku haben, kein WLAN be-kommen oder der Empfang gestört ist? Herzklopfen, Unru-he, Panik machen sich breit. Wie haben wir nur gelebt, bevor dieses unverzichtbare Gerät unser Leben bestimmt hat? De-finitiv entspannter.

Unsere Zeit ist Beschleunigung, Geschwindigkeit, Energie. Wir gehen nach vorn, sind proaktiv, ideenreich, kreativ, sportlich, fit, dynamisch und erfolgreich. Wir wollen nichts verpassen, viel erleben, etwas zu erzählen haben. „Man lebt nur einmal!“, heißt es. Bedeutet Erfüllung, möglichst viel in möglichst wenig Zeit erlebt zu haben? Die Informationsflut sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich ist so groß, dass sie trotz des Zeitgewinns durch das IT-Zeitalter nicht zu bewältigen ist.

Warum laufen wir unser Leben in so einer Geschwindigkeit? Ist das Stehenbleiben Stillstand? Wenn wir kurz Atem holen, überholen uns die anderen. Sind wir dann auf der Strecke geblieben? Ist die Geschwindigkeit im Job eine Flucht nach vorn aus Angst vor dem Stillstand oder davor überholt zu werden? Wären wir glücklicher und erfüllter, wenn wir noch mehr Themen in weniger Zeit verarbeiten könnten? Wenn

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wir mehr Urlaub hätten zum Reisen, mehr Zeit zum Lesen, mehr Volumen zum schnelleren Surfen, mehr Geld für mehr Luxus, mehr Leben als eins, was würden wir anders machen? Wären wir fitter, erholter, gebildeter und – vor allem – wären wir gesünder und entspannter?Ich befürchte nein.

Immer mehr Menschen formulieren ihre aktuelle Situation als „ausgebrannt sein“. Sie fühlen sich müde, schlaflos, kraft-los, motivationslos. Der Berg ist nicht zu bewältigen; egal, wie schnell ich bin, egal, wie strukturiert ich arbeite. Engage-ment im Job wird nicht gesehen, nicht gelobt und Innovation ist nicht gewünscht. Das Gefühl, dass ich nichts ändern kann, nichts bewege, entsteht. Freizeit, die der Regeneration dient, ist Arbeit. Unser Alltag wird geprägt durch den E-Mail-Check nach Feierabend, das Abendessen am PC und die ständige Erreichbarkeit, auch im Urlaub. Durch diese Überforderung und Kraftlosigkeit besitzen wir keine Motivation mehr zu Sport, zu Aktivitäten oder dazu gesund zu kochen. Wir ar-beiten schnell, leben schnell, schlafen kurz oder schlecht und sehen kein Entkommen mehr aus dieser Spirale. Wo soll das hinführen?

Wie bewege ich mich in meiner Umwelt? Mit dem Blick auf mein Handy gerichtet, stehe ich am Bahnhof und sehe nicht, dass die ältere Dame Hilfe mit ihrem Koffer brauchen könn-te. Eine Gruppe Jugendlicher sitzt zusammen. Jeder starrt auf sein Handy und tippt in Lichtgeschwindigkeit. Die Kopf-hörer sind am Handy, die Umwelt ist ausgeschlossen und die Entspannung kommt aus der Dose. Der Tag rauscht an mir vorbei, mit ihm Gerüche, Menschenmassen, Krach und Stim-men. Wer stehen bleibt, wird angerempelt, mitgeschoben.

In Gedanken träume ich mich fort auf meine Auszeit-Insel. Ich habe ein Bild vor Augen, lächle vor mich hin, mein Atem wird ruhiger, ich entspanne.

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Was bedeutet Berufstätigkeit heute? Alles. Wir lernen in der Schule, um einen guten Ausbildungsplatz zu bekommen, ge-hen studieren, um uns mehr Möglichkeiten zu erschließen. Wir sprechen diverse Sprachen, damit wir internationaler agieren können und beherrschen umfangreiche EDV-Pro-gramme, um mit der Konkurrenz mithalten zu können. Wir besuchen regelmäßig Fortbildungen, um in der Gehaltsskala hochzuklettern. Mehr Geld, mehr Anerkennung, mehr Erho-lung?

Laut Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), das sich mit Arbeits-schutz, Unfallverhütung und sicherheitstechnischen Er-kenntnissen befasst, waren die Standards nie optimaler. Höhenverstellbare Schreibtische, Stehpulte, Gymnastikbälle, Ruheräume, ergonomisch geformte Stühle für bandschei-bengeschädigte Mitarbeiter, Klimaanlage, Lärmschutzwän-de in Großraumbüros und vieles mehr bieten den Mitarbei-tern ideale Rahmenbedingungen. Gesundheitsmanagement heute umfasst Mitarbeiterbefragungen zu unterschiedlichen Gesundheitsfaktoren, betriebliche Gesundheitszirkel, Ge-fährdungsbeurteilungen / Gefährdungsanalysen des Ar-beitsplatzes und zahlreiche Angebote für Mitarbeiter wie Rückenkurse, Gesundheitstage oder Entspannungskurse.

Wie wichtig ist unser Beruf für unser Gefühlsleben? Wie wichtig sind Arbeitskollegen, eine regelmäßige Tagesstruk-tur, soziale Kontakte, Austausch, Kommunikation, Inter-aktion, Diskussionen, Erfolge und Niederlagen im Beruf? Wir verbringen mindestens 40 Stunden pro Woche im Ar-beitsleben, nochmal durchschnittlich fünf bis zehn Stunden auf dem Weg dorthin oder zurück. Fahre ich mit dem PKW, welche Versicherung ist die richtige? Gibt es einen Stau? Ist mein TÜV noch gültig? Fahre ich mit der Bahn? Gibt es Ver-spätungen? Schaffe ich es rechtzeitig zur Telefonkonferenz mit New York? Wie viel Zeit meines Lebens dreht sich um meinen Beruf und um die Vor- und Nachbereitung? Wie lan-

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ge am Abend drehen sich meine Gedanken noch um diver-se Projektthemen, die mich heute beschäftigt haben? Zur Sicherheit schaue ich später noch mal in die E-Mails, denn sicher ist sicher. Demnächst steht eine Beförderung an, und das Rennen zwischen mir und dem Müller ist hauchdünn. Da kann ich mir keine Schwäche leisten. Ich schlafe nicht ein, liege noch lange wach, die Räder drehen sich, das Kopfkino läuft. Ich kann nicht abschalten, komme nicht runter.

Was geschieht im Schlaf? Im Tiefschlaf werden Erinnerun-gen an Fakten und Ereignisse gefestigt. Im Schlaf erholen wir uns nicht nur aktiv, sondern unser Gehirn arbeitet auf Hochtouren, Gelerntes wird vom Kurzzeit- in das Langzeit-gedächtnis übertragen, Gelerntes wird vertieft. Im Schlaf ar-beitet der Körper im Reparaturmodus, tankt Energie auf und kräftigt das Immunsystem.

Stress führt häufig zu Schlafstörungen, diese zu weiterem Stress durch Übermüdung. Die Aufgaben sind noch schwie-riger zu bewältigen. Die Spirale dreht sich schneller.

Im Schlaf flackere ich zwischen Tiefschlafphasen und REM-Phasen (Rapid Eye Movement) hin und her und laufe mit dem Müller um die Wette, komme aber nicht vom Fleck, obwohl ich alles gebe. Schweißnass werde ich wach und gehe zum Kühlschrank: Frustessen. Ich bin hellwach. Und in drei Stunden klingelt der Wecker.

Zu Beginn einer REM-Phase wird die Atmung unregelmäßig, Puls und Blutdruck können kurzfristig schwanken. Schlaf ist kein monotoner Zustand, sondern ein, im ständigen Wechsel zwischen leichtem und tieferem Schlaf befindlicher, aktiver Prozess. Während des Träumens verarbeitet das Gehirn die Geschehnisse des Tages, Erlerntes wird gefestigt und in lang-fristige Gedächtnisinhalte überführt. Dadurch werden Spei-cher frei, die am nächsten Tag wieder benötigt werden.

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Werden sie nachts nicht geleert, kann das die Leistungsfä-higkeit des Gehirnes am darauffolgenden Tag möglicherwei-se verringern. Entdeckt wurde der REM-Schlaf schon vor über 60 Jahren, doch immer noch ist nicht ganz klar, wozu er wirklich dient. Eine Hypothese geht davon aus, dass er im Laufe der Entwicklungsgeschichte zusammen mit der Höherentwicklung kognitiver Leistungen entstand, um die Leistungsfähigkeit des Gehirns zu verbessern. Tatsächlich zeigen alle bisher untersuchten Säugetierarten und auch Vö-gel während des Schlafes REM-Phasen.

Das Schlafverhalten der deutschen Bevölkerung hat Prof. Dr. Uta Meier untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass 20 % aller Deutschen angeben, schlecht zu schlafen. Das heißt im schlafmedizinischen Sinne unter Einschlaf- und Durchschlafproblemen zu leiden. Die nachgewiesene Evidenz zwischen Lebensstil und Schlafqualität sowie schicht-, bil-dungs-, geschlechts- und altersspezifische Varianzen von Ein- und Durchschlafproblemen geben aufschlussreiche Hinweise für passgerechte und differenzierte Ansätze von Prävention und Therapie. Fehlt der Schlaf, funktioniert der Mensch nicht mehr. Das wissen Millionen Menschen in Deutschland nur zu genau. Nach Erkenntnissen der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin leiden rund 7,4 Millionen Bundesbürger an wiederkehrenden Schlafstörungen.

Sie können nicht durchschlafen, fühlen sich tagsüber matt und sind kaum leistungsfähig. Wahrscheinlich quälen Schlaf-probleme sogar noch weit mehr Deutsche: Nach der aktu-ellen „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ zeichnen Forscher des Robert-Koch-Instituts das Bild einer übermüdeten Nation. Die Berliner Forscher haben 18- bis 79-Jährige befragt und medizinisch untersucht. Dazu sagten knapp 70 % der Befragten aus, dass sie mehr als dreimal in der Woche nur schlecht einschlafen oder nicht richtig durch-schlafen könnten.

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Hochgerechnet bedeutet das, dass über 50 Millionen Deut-sche mit ihrem Schlaf unzufrieden sind.

Die Ursachen sind nicht individuell, sondern gesellschaftlich begründet: zu viel Stress, ständige Erreichbarkeit, Schichtar-beit. Die Arbeitswelt dringt immer stärker ins Private – und wirkt sich dadurch auch negativ auf die Schlafqualität aus. Nach einem anstrengenden Arbeitstag sitzen viele am Fei-erabend wieder vor dem Rechner. Zudem steigt die Zahl der Schichtarbeiter. Ob im Krankenhaus, bei der Feuerwehr, in der Reinigungsbranche oder im Transportgewerbe, viele Men-schen arbeiten dann, wenn eigentlich Zeit zum Schlafen ist.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind allein sechs Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig im Schicht-dienst tätig und die Zahl steigt. Tatsächlich hat Kunstlicht längst den Einfluss des natürlichen Lichts auf den biologischen Rhyth-mus des Menschen verdrängt und ist nicht nur bei Schichtar-beitern zum dominanten Taktgeber für die innere Uhr gewor-den. Diese „Lichtverschmutzung“ hat Folgen für die Gesundheit, wie Experten kürzlich auf der Konferenz „Künstliches Licht bei Nacht – Artificial Light at Night“ in Berlin diskutierten.

Ausreichend Schlaf ist lebenswichtig, betont der Schlaffor-scher Jürgen Zulley. „Er ermöglicht dem Organismus die Aktivierung von Erholungsfunktionen.“ Aber das Schlafbe-dürfnis könne individuell schwanken. „So benötigt der eine nur fünf Stunden Schlaf, der andere zehn Stunden, um sich ausgeschlafen zu fühlen. Beides ist völlig normal, der eine ist Kurzschläfer, der andere Langschläfer“, erklärt der Exper-te. Wenn aber das individuelle Schlafbedürfnis nicht gestillt wird, gerät der Stoffwechsel des Menschen durcheinander.Dunkle Kapitel der Geschichte belegen die schwerwiegen-den Folgen der fehlenden nächtlichen Erholung. Werden Menschen für einen längeren Zeitraum am Schlaf gehindert, werden sie nicht nur körperlich schwer krank, sondern ihr

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Wille wird gebrochen und sie beginnen zu halluzinieren. Das wussten schon die Römer, die „Tormentum Vigilae“, die Mar-ter des Wachseins, einsetzten, um von Gefangenen Informa-tionen zu erpressen. Auch im Mittelalter wurde Schlafentzug als Folter angewandt, um Geständnisse zu erzwingen.

Der russische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn schildert in seinem Werk „Archipel Gulag“ Schlafentzug als eine Foltermethode in stalinisti-schen Strafgefangenenlagern. Auch die USA sollen die Tortur, Berichten zufolge, noch vor wenigen Jahren in ihrem Häft-lingslager in Guantánamo eingesetzt haben.

Winston Churchill, einer der berühmtesten Anhänger des Mit-tagsschlafes, hat einmal gesagt:„Zwischen Mittagessen und Abendessen muss man schlafen, und zwar keine halben Sachen. Ziehen Sie ihre Kleider aus und legen sich ins Bett – und denken Sie bloß nicht, dass Sie weniger Arbeit schaffen, wenn Sie am Tage schlafen. Das ist eine dumme Idee von Leuten ohne Vor-stellungsvermögen. Sie werden sogar mehr bewerkstelligen!“.

Wir leben nach einer inneren, biologischen Uhr, deren Ti-cken die Wissenschaft erst Jahrzehnte später vernahm und zu einem eigenen Forschungsgebiet ernannte: der Chrono-biologie. Und diese bestätigt, was Churchill und 50 % der Weltbevölkerung schon lange wissen und aktiv praktizieren. Wir folgen einem biologischen Rhythmus, der die gesamte Leistungskurve des Tages bestimmt. Das berüchtigte „Mit-tagstief“ ist nichts anderes als eine innere Uhr, die nach einer zweiten, kurzen Schlafphase verlangt – dem altbekannten Mittagsschlaf. Also was tun? Sollen wir die innere Uhr wahr-nehmen oder ignorieren?

Die Folgen von Missachtung sind mangelnde Produktivität, Unausgeglichenheit, Konzentrations- und Kreativitätsver-lust, gesteigerte Stresshormon-Produktion sowie erhöhte

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Unfallgefahr. Wir könnten somit das Mittagstief als Sprung-brett für mehr Energie nutzen.

Wer einen kurzen Erholungsschlaf hält – auch als „Power-nap“ bekannt – steigert seine Lebensqualität und Leistungs-fähigkeit. Gedächtnis, Kreativität und Konzentration werden verbessert und physiologische Stressreaktionen abgebaut.

Die US-amerikanische NASA belegte in einer Studie, dass nach einem kurzen Mittagsschlaf die Aufmerksamkeit um 100 % ansteigt. Das Powernapping ist daher nichts anderes als ein natürliches „Aufputschmittel“, denn der regenerative, 20-minütige Kurzschlaf hat nur positive Nebenwirkungen und ist nachweisbar wirksam.

Höhere Lebensqualität, sorgsamer Umgang mit den eigenen Energieressourcen im Arbeitsalltag – dieses Thema hat sich u.a. die Firma napshell zu Nutzen gemacht und beliefert mit seiner Manufaktur am Hauptstandort Stuttgart High Tech Entspannungsmöbel im Luxussegment weltweit.

Unser Beruf ist alles für uns. Berufliche Anerkennung, Lob und Erfolg stehen in vielen persönlichen Rankings noch vor der Familie und sogar der Gesundheit. Arbeit ist Sicherheit sowohl in finanzieller als auch in emotionaler Hinsicht. Ein voller Terminkalender gibt mir das Gefühl, dass ich wichtig bin. Mittagspausen werden gestrichen, um noch mehr Ter-minanfragen unterzubringen. Ich komme morgen extra eine Stunde früher, da ich in dieser Zeit, bevor das Büro voller wird, in Ruhe arbeiten kann. Später kommt man ja zu nichts mehr. Das Telefon klingelt im 5-Minuten-Takt, Kollegen kom-men vorbei, irgendjemand hat immer etwas zu erzählen. Laute Telefongespräche, das Radio des Kollegen dudelt. Ich drehe noch mal durch. Die Blume, die mir die Kollegen zum Geburtstag geschenkt haben, hängt braun und traurig vor sich hin. Sie sieht so aus, wie ich mich fühle.

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Ich weiß, dass ich zu wenig trinke, aber es hilft ja nichts. Mein Kopf pocht schon wieder, dabei ist es gerade erst 10.00 Uhr. Der Weg zur Apotheke, um neue Schmerztabletten zu holen, ist der einzige Luftzug, den ich heute bekomme und ein schlechtes Gewissen habe ich auch noch, also laufe ich schnell noch über die rote Ampel.

„Ich bin dann mal offline“, sagen immer mehr deutsche User und buchen sich, und das muss man sich ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen, für teures Geld in handyfreie Wo-chenendcamps ein.

Ich bin nicht in der Lage für mich zu entscheiden, von Freitag bis Sonntag Zeit ohne Handy, Smartphone, Tablet oder Com-puter zu verbringen. Deshalb gebe ich diese Verantwortung weiter und erst nach der Abgabe aller WLAN-fähigen Geräte beim Check-in und dem absoluten Verbot, diese Geräte zu benutzen, bin ich in der Lage, bewusst herunterzufahren, ein Buch zu lesen, am Lagerfeuer zu singen und zu entspannen.

Die Amerikaner praktizieren Digital Detox Retreats, bei de-nen ich an Trekkingtouren, Yogakursen, Meditationen, Kanu-fahrten, Kochkursen etc. teilnehmen kann. Um den Verzicht auch visuell deutlich zu machen, werden die Geräte gerne vor allen Teilnehmern eingesammelt und symbolisch in ei-ner Kiste mit schwerer Kette verschlossen und im Boden vergraben. Die Feedbacks der Teilnehmer fallen oft ähnlich aus. Wir hätten verlernt, uns aktiv zu beschäftigen sowie die vielen kleinen Dinge, wie ausgedehnte Spaziergänge, Ge-spräche, mit Genuss zu kochen und ein gutes Buch zu lesen zu genießen. Zu schnell ist der Fernseher angeschaltet, der PC, die E-Mails gecheckt, das Handy zur Hand und das Sofa die Tagesendstation. Auch ist das „Zur-Ruhe-Kommen“ als sehr viel wichtiger formuliert worden als der Handyentzug.