46
Sonderdruck aus: Studien zur Geschichte des Mittelalters Jürgen Petersohn zum 65. Geburtstag Herausgegeben von Matthias Thumser, Annegret Wenz-Haubfleisch und Peter Wiegand 2000 Konrad Theiss Verlag Stuttgart

Studien zur Geschichte des Mittelalters - MGH-Bibliothek · 2009. 5. 27. · Francois BOVON u. Pierre GEOLIRAIN (1997) S. 107-116; ed. GIJSEL, Introduction, S. 59-67. Die älteste

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • Sonderdruck aus:

    Studien

    zur Geschichte des Mittelalters

    Jürgen Petersohn

    zum 65. Geburtstag

    Herausgegeben von Matthias Thumser, Annegret Wenz-Haubfleisch

    und Peter Wiegand

    2000

    Konrad Theiss Verlag Stuttgart

  • Inhalt

    Tabula gratulatoria ................................................................................................. IX

    Vorwort .................................................................................................................. XIII

    Abkürzungen und Siglen ..................................................................................... XV

    JOHANNES FRIED

    Römische Erinnerung. Zu den Anfängen und frühen Wirkungen des christlichen Rommythos .............................................................. 1

    IRMGARD FEES

    War Walahfrid Strabo der Lehrer und Erzieher Karls des Kahlen? ............... 42

    HANS K. SCHULZE

    Quedlinburger Urkundenstudien ........................................................................ 62

    PETER SCHREINER

    Ein neapolitanisches Testament und die byzantinische Kaisergeschichte .... 75

    RUDOLF SCHIEFFER

    Zum �Sutrilied" ......................................................................................................

    82

    WERNER GOEZ

    Canossa als deditio? ............................................................................................... 92

    ANNEGRET WENZ-HAUBFLEISCH

    Reliquientranslation und geistliches Beziehungsnetz. Die Übertragung des heiligen Modoald von Trier nach Helmarshausen (1107) ....................... 100

  • JOHANNES FRIED

    Römische Erinnerung Zu den Anfängen und frühen Wirkungen

    des christlichen Rommythos*

    Die große Marienkirche auf dem Esquilin zu Rom, sancta Maria adpraesepem, wie sie seit dem 7. Jahrhundert hieß, birgt mit ihren sechsunddreißig Mosaiken einen der kostbarsten Schätze der ewigen Stadt. Vollendet gemäß der musivi- schen Inschrift am Scheitel des Triumphbogens: XYSTUS EPISCOPUS PLEBI DEI un- ter dem Papst Sixtus lII. (432-40), begonnen vielleicht schon frühere, bieten sie das älteste erhaltene und vermutlich überhaupt das älteste Beispiel einer Bildin- szenierung des Alten Testaments an einer Kirchenwand: die Geschichte nämlich der Patriarchen, beginnend mit Abrahams Segnung durch Melchisedek, sowie der Taten von Moses und Josua bis zum Einzug des Volkes Israel in das Gelobte Landa. Die Szenen des heutigen Triumphbogens, einst die Apsisstirnwand der Kirche, vergegenwärtigen schließlich die Erfüllung der Abraham gegebenen Verheißung durch die Ankunft und Gegenwart des Messias in Gestalt des gött- lichen Kindes. Sie fügen - ahistorisch in vier Registern (I-1V) geordnet - nicht Episoden, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, aus der Kindheit Jesu hinzu, sondern die Sequenz der Erstoffenbarungen seiner Gottheit: I) der Ver- kündigung an Maria, der Zerstreuung von Josephs Verdacht, der Darstellung

    *) Für wertvolle Hinweise und Anregungen danke ich Wolfram Brandes, Frankfurt. 1) Zur Kirche: Richard KRAUrHEIMER/Spencer CORBE r/Wolfgang FRANKL, Corpus Basili-

    carum Christianarum Romae. The early Christian Basilicas of Rome (IV-IX Cent. ) 3 (1967). - Als neueren Gesamtüberblick vgL Guntram KOCH, Frühchristliche Kunst. Eine Einführung (1995); Richard KRAUrI-IEIMER, Rom. Schicksal einer Stadt 312-1308 (1987) S. 63 (Leo I. ).

    2) KRAUTHI]MER/CORBErr'/FRANIQ, Corpus Basilicarum 3 (wie Anm. 1) S. 56 (Kirchenbau:

    �behveen 400 and 430 or 440"; �Even the mosaic decoration may have been started before Six- tus III ascended to the See of Saint Peter"); KRAUTHHEIMER, Rom (wie Anm. 1) S. 58 (�in den zwanziger Jahren begonnen"). Zu der wohl definitiv nie zu klärenden Datierungsfrage der ältesten Bildzyklen römischer Kirchen vgL die folgende Anm., dazu die zusammenfassenden Hinweise bei Hugo BRANDENBURG, Roms frühchristliche Basiliken des 4. Jahrhunderts (1979) S. 33 und S. 151 (5. Jh.; Mitte S. Jh. ); Herbert L. KE5SLER, ti antica basilica di San Pietro come fonte e ispirazione per la decorazione delle chiese medievali, in: Fragments Picta. Affreschi e mosaici staccati del Medioevo romano. Musen Nazionale di Castel Sant'Angelo (1989) S. 45-64 mit Anm. 4, S. 62 (drittes Viertel 4. Jh. ); DERS., Old St. Peter's and Church Decoration in Medieval Latium, in: Italian Church Decoration of the Middle Ages and Early Renaissance, hg. v. William Tl oNZO (1989) S. 119-146; Wolfgang KENiP, Christliche Kunst. Ihre Anfänge - ihre Strukturen (1994) S. 298 Anm. 233.

    3) Marilyn Aronstam L. AVIN, The Place of Narrative Mural Decoration in Italian Churches 431-1600 (1990).

  • 2 Johannes Fried

    im Tempel, der Aufforderung zur Flucht nach Ägypten, II) der Anbetung der Magier, des Empfangs durch den ähnlich einem Kaiser gekleideten Dux Afro- disius von Sotinen in Ägypten, M) des den Kindermord befehlenden Herodes und schließlich der Magier vor Herodes; dazu IV) das Himmlische Jerusalem und Bethlehem, die Geburtsstätte des Herrn5. Als textliche Vorlage diente, so ergibt sich aus mancherlei Details, durchgehend eine Vorstufe des apokryphen Kindheits-Evangeliums nach Pseudo-Matthäus6. Dies zeitigt Konsequenzen sowohl für Akzeptanz und Textgeschichte des in seiner überlieferten Gestalt

    4) Die Identifikation der Szene ist unsicher, vgl. Beat BRINK, Die frühchristlichen Mosaiken in S. Maria Maggiore zu Rom (1975) hier S. 27-30. Schwierigkeiten bereiteten der Ornat des Afrodisius, der ihn begleitende Philosoph und das Fehlen jeder eindeutig auf PsMt verweisen- den Details. Doch bietet die bekannte Überlieferung keinen Ersatz für die Szene. Nicht weiter führt: Richard C. TRE(LER, The Journey of the Magi. Meanings in History of a Christian Story (1997). Die zwei Perlen der Agraffe weisen Afrodisius als �rex" aus, einem Kaiser gebühren drei Perlen; freundl. Hinweis von Maria R. -ALFÖI. Di, Frankfurt a. M.

    5) Die besten Abbildungen: Joseph WILPERT/Walter N. SCHUMAC-iEt, Die römischen Mosa- iken der kirchlichen Bauten vom IV. -XIII. Jahrhundert (1976) Taf. 28-72, dazu Johannes G. DECKERS, Der alttestamentliche Zyklus von S. Maria Maggiore in Rom (1976) S. 308-318; Die frühchristlichen und mittelalterlichen Mosaiken in Santa Maria Maggiore zu Rom, hg. v. Hein- rich KARPP (1966, benutzt in der Sonderausgabe des Vatikans); dazu BRINK, Mosaiken (wie Anm. 4) passim und bes. S. 9-35 zur Beschreibung der Szenen des Triumphbogens.

    6) Die durchgehende Textbasis des PsMt oder genauer seiner nicht erhaltenen spätantiken Vorstufe ergibt sich aus einer Reihe von Einzelszenen wie der Verkündigung und der Afrodi- sius-Episode sowie einiger weiterer Details, vgl. Heinrich KARPP, Kanonische und apokryphe Überlieferung im Triumphbogen-Zyklus von S. Maria Maggiore, ZKG 77 (1966) S. 62-80; an- ders die Übersicht bei DECKERS, Zyklus (wie Anm. 5) S. 317 (die Tafel). Es sind im einzelnen: 1) das Purpurwerk der Maria bei der Verkündigung (PsMt 8,5 und 9,1); 2) die durchgehende, durch die goldene Trabes gesicherte Darstellung der Maria als regina virginum gemäß PsMt 8,5; 3) das par turturum et duos pullbs columbarum (PsMt 15,1; 4) Simeons �Herbeieilen' (PsMt 15,2: festinans) an der Spitze der zwölf Männer (PsMt ursprünglicher Prolog. ostendens plenitudinem duodecim tribubus Israel] bei der Darstellung im Tempel; 5) das schon ältere Kind auf dem Thron bei der Verehrung durch die Magier (das den nur bei PsMt zwei- jähri gen Jesus-Knaben repräsentiert vgl. 16,1-2, trotz c. 16,2: sedentem in sinn matris, zur altersmäßigen Darstellung der Kinder vgl. den �Kindernord" im Herodes-Register); 6) die Anwesenheit Josephs bei der Huldigung der Magier (PsMt 16,2; die Joseph-Figur ist zwar nicht erhalten, aber doch auch nicht hinzuerfunden, vgl. WILPERT/SCHUHMACHER, Mosaiken [wie Anm. 5] S. 76); 7) die Flucht nach Ägypten mit dem Adventus bei Afrodisius (obwohl nach PsMt 24 Maria den Knaben ipsa in sinu suo portabat, zu A. vgl. Anm. 4). Schließlich entspricht mit zwei erklärbaren Ausnahmen 7) auch die Reihenfolge der Szenen dem PsMt; die beiden Ausnahmen sind die zweite Unterweisung Josephs mit der Aufforderung zur Flucht nach Ägypten (mit erkennbarer Zuordnung zu dieser im Register darunter) sowie die Magier vor Herodes (die dem Herodes- und keinem Christus-Register zugeordnet ist). Das in sinu matris könnte metonymisch als �im Schutz der Mutter" verstanden und inszeniert worden sein. Oder liegt Überarbeitung durch den frühmittelalterlichen Redaktor des PsMt vor? Das Fehlen der Geburt Christi" könnte gleichfalls auf die Frühstufe von PsMt weisen. Die übrigen Szenen

    fehlen bei PsMt nicht: Josephs erste Unterweisung durch den Engel (die zwar auch bei PsMt im Traum erfolgt doch im Mosaik Joseph offenbar beim Aufbruch darstellt und somit zwei Mo- mente in eins zusammenzieht: c. 11,1; der kurze Stab gehört zu PsMt); die zweite Unterweisung (c. 17,2); der (Befehl zum) Kindermord (c. 17,1); die Magier vor Herodes (c. 16,1). Vgl. noch Anm. 24.

  • Römische Erinnerung 3

    karolingischen Pseudoevangeliums7 als auch für die Exegese der Mosaiken; doch nur auf diese kann hier eingegangen werden.

    Die Mitte des Bogens überragt das Bild des apokalyptischen Thrones, die `Erozpaaia, dem, einzigartig und durchaus abweichend von der Apokalypse des Johannes (c. 4-5), die Kränze darbringenden Vier Wesen gemeinsam mit Petrus und Paulus huldigen. Die Bereitung des Thrones zitiert kaiserliche Triumphal- symbolik und korrespondiert durch die Gegenwart der Apostel mit der Er- scheinung Gottes unter Juden und Heiden. Auf dem Sitz ruhen die Insignien der Königsherrschaft Christi, das Gemmenkreuz des himmlischen Jerusalem, die edelsteingeschmückte Krone sowie die Rolle des apokalyptischen Buches mit den sieben Siegeln auf dem Suppedaneum9. Die Armknäufe des Thrones aber zieren Medaillons noch einmal mit den Köpfen St. Peters und St. Pauls: eine Eroiuaoia, wie sie eindringlicher nicht die herausragende Rolle der römischen Apostel beim Jüngsten Gericht und damit zugleich die Aufgabe Roms in der Heilsgeschichte vor Augen führen konnte. Diese Beobachtung soll im folgenden weiter vertieft werden.

    Die generationenlangen Interpretationsbemühungen von Theologen, Kunst- historikern und Historikern scheinen den eben skizzierten theologischen Gehalt der Ikonenfolge von Langhaus und Triumphbogen im wesentlichen geklärt zu haben; gleichwohl bleibt manche Frage. Die Offenbarung der Göttlichkeit des Kindes steht im Mittelpunkt des Bildprogramms der einstigen Stirnwand. Doch warum des Kindes? Und welche Rolle spielte dabei die Mutter? Reagierte das Mosaik auf theologische Kontroversen? Mit welcher Botschaft? Die Gottesmut- terschaft Mariens, die das Konzil von Ephesos im Jahre 431 definitiv verkündete

    7) PsMt liegt in etwa 130 mittelalterlichen Handschriften vor; der Text jetzt: Libri de nativi- tate Mariae. Pseudo-Matthaei evangelium. Textus et commentarius. Cura Jan GIJSEL (Corpus

    Christianorum Series Apocryphorum 9,1997); zur Entstehung. Wilhelm SCHNEEMELCHEI, Neu-

    testamentliche Apokryphen 1 (61990) S. 364; Ecrits apocryphes chr6tiens 1, hg. v. Francois BOVON u. Pierre GEOLIRAIN (1997) S. 107-116; ed. GIJSEL, Introduction, S. 59-67. Die älteste Version des PsMt,,. vie sie wohl schon dem Mosaizisten vorlag, ist nur erschließbar; auch eine Redaktion des späten 6. oder 7. Jh. bleibt hypothetisch; die Handschriften setzen erst um 800

    ein; doch veränderte sich auch danach noch die Gestalt des apokryphen Evangeliums. Die

    Afrodisius-Szene begegnet aber in keinem anderen Kindheitsevangelium. Deshalb darf für

    PsMt eine Fassung bereits für das frühere 5. Jh. vorausgesetzt werden. - Benutzt wird für

    Pseudo-Jacobus (PsJc) die Ausgabe: Los Evangelios Apogrifos. Coleccion de textos griegos y latinos, version critics, estudios introductorios y commentos por Aurelio DE SANTn6 (DRERO (31979) S. 126-176.

    8) WILDERT/SCHUHACKER (wie Anm. 5) Taf. 68-70.

    9) Es handelt sich hier um das apokalyptische Buch, nicht um das inthronisierte Evangeli-

    um, das erstmals auf dem Konzil von Ephesos nachzuweisen ist: Nikolaus GUSSONE, Der Co- dex auf dem Thron. Zur Ehrung des Evangelienbuches in Liturgie und Zeremoniell, in: Wort

    und Buch in der Liturgie. Interdisziplinäre Beiträge zur Wirkmächtigkeit des Wortes und Zei-

    chenhaftigkeit des Buches, hg. v. Hanns Peter NEUHEUSER (1995) 5.191-231, hier bes. S. 200-201

    und S. 219-223; vor allem: Johannes HELMRATH, Die Inthronisation des Evangelienbuches auf Konzilien, ebd. S. 233-279, hier S. 250-251 (�Das Thronbild in Santa Maria Maggiore stellt, so wie es ist, nicht die Inthronisation des Evangeienbuches dart", S. 251). Zudem erwägt Helm-

    rath mit guten Gründen die Evangelien-Inthronisation schon während des 4. Jh.

  • 4 Johannes Fried

    und die zweifellos durch die Kindlichkeit des Erlösers eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde, habe indessen, so wird geltend gemacht, dem Mosaizisten wahr- scheinlich noch nicht die Hand geführt; jedenfalls sei darüber keine Gewißheit zu gewinnenlo.

    Die Betonung der Kindheit Gottes, die stete Gegenwart Mariens in allen imaginierten Episoden fügt sich theologisch zwar durchaus zur orthodoxen �Gottesgebärerin ` im Gegensatz zur nestorianischen �Christgebärerin". Sie könnte im Bildschmuck der ursprünglichen Apsis sogar mit einer neuen Bild- formel - wie etwa der �Maria Regina" - repräsentiert gewesen sein, die dann vielfältig aufgegriffen wurde11. Aber derartige Beobachtungen und Überlegun-

    gen erweisen das Mosaik der S. Maria Maggiore nicht als Reflex der Divergen- zen in der Ostkirche. Selbst Sixtus' Ill verlorene, doch abschriftlich überlieferte Widmungsinschrift scheint jede Festlegung zu vermeiden12. Oder hat man sie bisher nicht angemessen gedeutet? Sie spricht immerhin von der �Jungfrau

    Ma- ria", der �Gebärerin", genitrix, �durch die unser Heil geboren wurde", Te ... edita nostra salus �Heilsgebärerin" stellt zweifellos eine mögliche poetische Übersetzung des griechischen OcoröKoc dar13. Jedenfalls äußerte sich hier dersel- be Gedanke. Die These, daß in der ursprünglichen Apsis ein Bild der Maria Re- gina, von fünf Märtyrern und dem Stifterpapst begleitet, die Gläubigen emp- fing, gewinnt damit durchaus an Wahrscheinlichkeit Das alles sei zugestanden; und dennoch genügt es nicht zur abschließenden Deutung der Szenen des Tri- umphbogens. Weder die �Mutter des Herrn" noch die �Gottesgebärerin" hatte

    10) So z. B. Theodor KLAUSER, Rom und der Kult der Gottesmutter Maria, Jahrbuch für An- tike und Christentum 15 (1972) S. 125-135, hier S. 126-128; differenzierter BRENK, Mosaiken (wie Anm. 4) S. 47-49 (möglicher Reflex auf Ephesos, doch nicht zwingend nachzuweisen) und S. 50-52 (zu

    �Maria Regina'). BRENK (vgL S. 1-4) hat die Aussagekraft der Widmungsinschrift

    (die ursprünglich an der Westwand zu lesen war) herabgespielt; sie gibt mehr zu erkennen: VIRGO MARIA TIBI XYSTVS NOVA IECTA DICAVI

    DIGNA SALVIIFI RO MVNERA VENIRE1 VO TV GENPIRIX IGNARA V1RI TE DENIQUE FAETA

    VISCERIBUS SALVIS EDITA NOSTRA SALVS ECCETV1 TESTES V1EFJ SIBI PRAEMIA PORTANT

    SVB PEDIBVSQUE IACETPASSIO CVIQUE SVA FERRVM FLAMMA FERAE FLVVIVS SAEVVMQVE VENENVM

    TOT TAMEN HAS MORTIS VNA CORONA MANET Text nach: KRAUTREIMER/CORBEIT/FRANKE, Corpus Basilicarum 3 (wie Anm. 1) S. 5. Als Reak- tion auf Ephesos interpretiert bei Daniel Russo, Les representations mariales dans l'art d'Occi- dent. Essai sur la formation dune tradition iconographique, in: Marie. Le culte de la Vierge dens la societe m6di6vale (1996) S. 173-291, hier S. 193-197 (mit älterer Literatur). Doch weicht die Inschrift der Diskussion um Gottes- oder Christgebärerin aus.

    11) Dazu Ursula NILGEN, Maria Regina - Ein politischer Kultbildtypus?, Römisches Jahr- buch für Kunstgeschichte 19 (1981) S. 1-33, hier S. 16-20; zur Maria Regina schon BRENi ; Mosa- iken (wie Anm. 4) S. 50-52. Vgl. die folgende Anm.

    12) So jedenfalls nach der Deutung durch BRENK, Mosaiken (wie Anm. 4) S. 4. 13) Edem entspricht rmiezv. Weitere Wendungen der Inschrift heben die enge Bindung des

    �Heils" an die Mutterschaft Mariens hervor. salutifem ventre tuo - faeta - zumal- tui uteri als

    Bezeichnung der Leibesfrucht, des göttlichen Kindes.

  • Römische Erinnerung 5

    teil am Herodes-Register. Hier dominierte - unsichtbar, doch virtuell präsent - allein das göttliche Kind.

    Die Römer selbst drückten zudem andere Sorgen als der Theologendisput der Griechen. Auch sie schlugen sich in den Mosaiken des Triumphbogens der S. Maria Maggiore nieder. Die Einbindung der römischen Apostel in deren Heilslehre weist darauf hin. Ihnen nachspürend, erschließt sich ein neues Deu- tungskonzept für das ganze Bildprogramm14: Die Szenerie der Stirnwand ist nicht historisch-erzählend, sondern lehrend angelegt. Sie verkündet und be- zeugt im oberen Register die Gottessohnschaft Christi durch Juden (Maria und Joseph, der alte Simeon, die Prophetin Anna), im mittleren Register durch Hei- den (die Magier aus dem Orient sowie Afrodisius von Sotinen), im Scheitel des Bogens durch die Apostel Petrus und Paulus, sie widersteht drittens dem Wü- ten des Herodes, um schließlich im vierten Register das nahende himmlische Jerusalem durch die Gegenwärtigkeit Bethlehems zu gewährleisten. Die gesam- te Szenenfolge des Triumphbogens verheißt mit dem apokalyptischen Thron und dem Königtum Christi die Erlösung des neuen Gottesvolkes aus Juden und Heiden und warnt im unteren Bildregister vor der glaubenslosen Bosheit des Herodes, des unheilvollen Repräsentanten des alten Bundes, dessen Wüten sich gegen die Kinder des eigenen Volkes kehrte und gegen das Gotteskind macht- los war. Der apokalyptische Thron erscheint als die Kirche, die in den beiden Aposteln und ihrem Wirken unter Juden und Heiden besteht; die römische Kir- che ist damit als die universale Kirche schlechthin gewiesen. So offenbart die Bildfolge ein bildgewordenes Selbstzeugnis Roms, ja, wie zu zeigen ist, gerade- zu das Geburtsbild eines neuen, des christlichen Rommythos selbst. Seine Formulierung und Rezeption im früheren Mittelalter bis zur Jahrtausendwende sollen im folgenden betrachtet werden.

    Die figurenreichste und größte aller erhaltenen Szenen des Gotteshauses, Jesu Darbringung im Tempel, die Lukas erzählt (2,22-39), diene als Ausgangspunkt. Die `Y7ra7rävri1, wie das Fest der Begegnung in der griechischen Kirche heißt, der GtirursusDomrni, wie es bei den Lateinern genannt und das von ihnen heute als Reinigung Mariae oder Mariae Lichtmeß (2. Februar) begangen wird, verdient erhöhte Aufmerksamkeit. Es war ein junges Fest, im Occident kaum heimisch. Erstmals bezeugte es die Pilgerin Egeria, eine vornehme Dame aus dem Westen,

    vielleicht aus Galicien, die um 400 staunend davon aus Jerusalem berichtete15.

    14) Vor allem Andre GRABAR, L'empereur dans l'art byzantin (1936) S. 216-225; Jean GAGE, Le templum Urbis et les origins de l'idee de Renovatio, Annuaire de 1'Institut de Philologie et d'Histoire Orientales et Slaves. Melanges Franz Cumont 4 (1936) S. 151-187; grundlegend: BRENK, Mosaiken (wie Anm. 4) S. 41-47; DECKFT, Zyklus (wie Anm. 5); zuletzt KEMP, Christli- che Kunst (wie Anm. 2) 5.149-181. Oft übersehen ist: Ernst H. KANIDROWICZ, Puer exoriens On the Hypapante in the Mosaics of S. Maria Maggiore, in: DERS., Selected Studies (1965) S. 25- 36, deutsch: Über das Hypapante in den Mosaiken von S. Maria Maggiore, in. DERS., Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums (1998) S. 73-90 (zit. nach der engL Ausgabe).

    15) Itinerarium Egeriae c. 26, ed. Aet. FRANCESCH NI/R. WEBER, in: Itineraria et alia geogra- phica (CC 175,1965) S. 72; Egeria Itinerarium. Reisebericht. Mit Auszügen aus Petrus Diaconus

  • 6 Johannes Fried

    Ob es in Rom schon gefeiert wurde, ist ungewif316. Um so überraschender ist das Mosaik der S. Maria Maggiore. Es stellt die älteste bekannte Version des Themas dar und ist zugleich deren rätselhafteste17. Kein bekannter Text, auch kein apokryphes Kindheitsevangelium beschreibt, was hier zu sehen ist - soweit ein Betrachter des weitab, im Dämmerlicht gleich unter der Kirchendecke gele- genen Mosaiks ohne Zuflucht zu Feldstecher und Photographie überhaupt De- tails zu erkennen vermag.

    Die Szene ist einzigartig, ohne Parallelel8. Alle späteren Darbringungen im Tempel folgen einer anderen Komposition, die im orthodoxen Osten das Ge- schehen - ähnlich wie im Mosaik der S. Maria Maggiore - vor dem Tempeltor, im katholischen Westen gewöhnlich vor oder über dem Altar inszeniert19. Nach dem Zeugnis der Egeria wurde in Jerusalem das zugehörige Fest am vierzigsten Tag nach Epiphanias, damals dem Tag der Geburt und der ersten Offenbarung der Gottheit Christi an die Heiden durch das Aufleuchten des Sterns, mithin am 14. Februar, mit einer Prozession begangen20. Dieser Occursus Domini war trotz seines Anlasses gerade kein Marienfest; auch Egeria beschrieb ihn nicht als ein solches, vielmehr als Herrenfest Die Prozession führte zur Anastasis, der Grab- und Auferstehungskirche.

    Die Imagination der S. Maria Maggiore verkündete denn auch mehr und an- deres als den gesetzestreuen Gang einer frommen jüdischen Frau zum Tempel,

    um die rituelle Reinigung zu vollziehen, die der Evangelist erwähnte (vgl. Lc 2,22; bzw. PsMt 15,1). Sie inszenierte das Verlassen des Tempels durch die Re-

    präsentanten des Alten Bundes und die Epiphanie des Pantokrators in seinem Heiligtum; sie imaginierte damit den Wandel, die Erneuerung des Bundes, die Verchristlichung des Tempels. Das ins Bild gebrachte Geschehen, also die Be-

    gegnung des göttlichen Knaben mit dem alten Simeon, dem verhießen worden war, den Tod nicht zu schmecken, er habe denn den Messias, Oi stus domini,

    geschaut, und der nun im Kinde den Weltheiland adoriert, dieses Geschehen

    spielt - wie die Arkadenreihe zeigt - innerhalb des jerusalemitanischen Tem-

    pels, dessen Fassade auf der rechten Seite die Szene begrenzt. Von dort zieht, ernst und feierlich, eine Gruppe von zwölf bärtigen Männern aus, deren elf

    De locis sanctis, Die heiligen Städten, übers. u. eingeleitet v. Georg RöWEKAMP (Fontes Christi- ani 20,1995) S. 242, dazu S. 86-87; zur Person ebd. S. 21.

    16) Vgl. unten S. 25-27. 17) WILPERT/SCHUMACHER (wie Anm. 5) Taf. 54-57. 18) Die Lit. ist überreich; grundlegend ist BRENK, Mosaiken (wie Anm. 4); wichtige Beob-

    achtungen verdanke ich KEMP, Christliche Kunst (wie Anm. 2) S. 149-181; doch greife ich re- gelmäßig auch auf KANTOROWICZ, Puerexoriens (wie Anm. 14) zurück.

    19) Dorothy C. SHORR, The iconographic development of the Presentation in the Temple, The Art Bulletin 28 (1946) S. 17-32, hier S. 17-19, vgl, aber ebd. Anm. 20.

    20) Wie oben Anm. 15. - Das Fest wurde also zunächst nicht am 2. Februar gefeiert; erst später wurde auch in der Ostkirche der Geburtstag des Herrn vom Erscheinungstag getrennt und auf den 25. Dezember vorverlegt; die Darstellung im Tempel erfolgte dann am vierzigsten Tag nach Weihnachten. VgL zusammenfassend: Manfred CLAUSÖ, Mithras und Christus, HZ 243 (1986) S. 265-285, hier S. 276-279.

  • Römische Erinnerung 7

    Kleidung, Bart- und Haartracht als jüdische Priester ausweist und deren zwölf- ter, ihr Anführer, Tunica und Pallium trägt und Simeon selbst ist, der in lebhaf-

    ter Bewegung seine verhüllten Hände dem Kinde entgegenstreckt, um es zu empfangen und zu verehren. �Herr, nun

    lässest du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden,

    und zum Preis deines Volkes Israel" (Lc 2,29-31; vgl. PsMt 15,2). Die Zwölf zie- hen einer Gruppe von sieben Gestalten entgegen, mit dem göttlichen Kind in der Mitte, drei Engeln, Jesu himmlischer Garde21, zwei Menschen zu seinen Seiten: Maria nämlich, die wie eine �femina clarissima" oder eine

    kaiserliche Prinzessin gekleidete jungfräuliche Mutter des Heilands, und Joseph; bei dem Nährvater steht schließlich eine weitere weibliche Gestalt, in das purpurne Ma-

    phorion gehüllt, die gewöhnlich für die Prophetin Anna gehalten wird (vgl. Lc 2,36-8; vgl. PsMt 15,3), die aber, wie ich meine und worauf ich besonderes Ge-

    wicht lege, besser oder zumindest zugleich als die Ecclesia ex circumcisione zu deuten ist22.

    Joseph nämlich, der weder bei Lukas noch bei Ps. -Matthäus mit jener Anna irgendetwas, nicht das Geringste, zu schaffen hatte, schließt mit der Frau, so ergibt der an eine eherechtliche dextrarum iunctio gemahnende Gestus der Hände, einen Bund23. Die Verchristlichung der Szene ist wenigstens für die by-

    zantinische Zeit gesichert: An die Stelle der Juno pronuba, der römisch-heidni- schen Stifterin des Ehebundes, war Christus selbst getreten24. Im römischen

    21) VgL SHORR, Iconographic development (wie Anm. 19) S. 20. 22) Die Frauengestalt wurde bislang, soweit ich sehe: durchweg, a 11 ein für die Pro-

    phetin Anna gehalten, die im Anschluß an den alten Simeon das göttliche Kind adorierte. Vgl.

    u. a. GRABAR, L'empereur (wie Anm. 14) S. 216; SHORR, Iconographic development (wie Anm. 19) S. 20; KANIDROWICZ Puer exoriens (wie Anm. 14) S. 25-26; BREN , Mosaiken (wie Anm. 4) S. 20-22; KEMP, Christliche Kunst (wie Anm. 2) S. 173. Doch fehlt Anna wiederholt: SHORR (wie Anm. 19) S. 26.

    23) Der �Joseph" dieser Szene hat andere Bart- und Haartracht (die jener der Priester gleicht)

    als der �Joseph" der Weisungs- und der Affrodisius-Szenen, doch jeweils gleiche Tunica und

    Mantel Man darf deshalb vermutlich aber in der den Bund schließenden Gestalt keine andere Person erkennen. Oder sollte mit jener Gestalt nicht Joseph gemeint sein, sondern der Repräsentant jener �Alten"

    (senores), mithin der Bund aller Lebensalter und beider Geschlech- ter angesprochen sein, von denen Ambrosius zur Lukasstelle spricht (Expositio in Evangelii

    sec. Lucam, 11,58, MIGNE PL 15, Sp. 1573B)? Non solum ab angelis etprophetis, a pastoribus et parentibus, sed edam asenioribus... Omnis aetas, et uterque Sexus...

    24) VgL den byzantinischen Hochzeitsgürtel des 6. /7. Jh. in der Sammlung Dumbarton Oaks (acc. no. 37.33); dazu Jutta-Annette BRUHN, Coins and Costume in Late Antiquity (1993) S. 50-51. Eine weitere Verchristlichung der �dextrarum iunctio" unter Christi Schutz zeigt

    das Medaillon im Katalog. Rom und Byzanz. Archäologische Kostbarkeiten aus Bayern, hg. v. Ludwig WAMSER u. Gisela ZAHU-IAAS (1998) S. 207-211 Nr. 308 (frühes 6. /7. Jh. ). Das Stück

    verdient deshalb besondere Beachtung, weil sein Revers Maria Verkündigung, Heimsuchung, Geburt, dazu die Heilung der verdorrten Hand der Hebamme zeigt; zudem spinnt die Ver- kündigungs-Maria den (Purpur-)Faden. Die letzten beiden Details verbinden die Szenen also mit PsML Ein ähnliches Ensemble könnte auch dem Mosaizisten von S. Maria Maggiore vor

  • 8 Johannes Fried

    Abb. 1: Rom S. Maria Maggiore, Triumphbogen. Der neue Bund (nach H. KARPP, wie Annen 5).

    Augen gestanden haben. - Weitere Beispiele vgL bei Christopher WALTER, The Dextrarum Junctio of Leptis Magna in relationship of the iconography of marriage, Antiquites africaines 14 (1979); habe ich nicht gesehen.

  • Römische Erinnerung 9

    Mosaik heiligte ein Engel statt der Göttin den Bund; er ist wiederum durch die Handgeste als Segenspender ausgewiesen. In ihr wird man keinesfalls einen bedeutungsleeren �Kunstgriff", �eine reine Kompositionsformel", wie Beat Break meinte25, erkennen dürfen. Die Ehesymbolik, die Mystik von Braut und Bräutigam durchdringen und formen die Vorstellungen von der Kirche von Anbeginn an und immer wieder aufs neue. Jauchze Sion! Siehe, dein Bräutigam kommt.

    Der Aufbau der ganzen Szene rückt den hier geschlossenen Bund vielmehr in den Brennpunkt des Geschehens selbst, das so gut ein Auszug wie ein Einzug ist. Die den Bund manifestierenden Hände liegen genau über dem Schnittpunkt der Diagonalen der 'Ymordvnt, Szene, im Zentrum also der gesamten Bildinsze- nierung. Diese Mitte wird später in der westlichen Tradition der von seiner Mutter dem alten Simeon übergebene Jesusknabe einnehmen. Das alles weist dem hier inszenierten Bund eine Geltung zu, die von der Prophetin allein nicht ausgehen konnte. Der Kommende und die Ausziehenden begegnen einander gleichsam an dieser Stelle, mit dieser Geste, in dem hier geschlossenen Bund. So gesehen, handelt der Mann, Joseph, stellvertretend für den göttlichen Knaben, zu dem er zurückschaut, und die purpurgewandete Frau, Anna, oder wer im- mer sie sei, stellvertretend für die, die ihr folgen, Simeon und die Tempelprie- ster.

    Spätantike und mittelalterliche Exegeten von Ambrosius und Beda Venerabi- lis an haben sich gerne und wiederholt der zugehörigen Lukasperikope zuge- wandt. Simeon und Anna galten bei ihnen, z. B. bei Beda und später in der Glossa ordinaria zur Lukasstelle, gemeinsam als die fidelis synagoga26; von Si-

    meon allein sagt die Glosse: figura estprophetarum, von Anna: figura est eccle- sie7. Simeon repräsentierte also die Propheten, war deren letzter; Anna aber die (Juden-)Kirche. In der Tat, die Prophetin offenbarte schon bei Ps: Matthäus das tiefste Geheimnis der Kirche, indem sie das Kind adorierte: �in

    ihm ist die Erlö-

    sung der Welt', redemtio saeculi"8: der Knabe als Erlöser. Die Szenerie ist damit

    eindeutig: Joseph schließt, im Blick auf das göttliche Kind und stellvertretend für den göttlichen Sohn, unter dem Schutz des �Engels

    des Bundes" den neuen Bund mit der Ecrlesia excircumcisione Jener Engel des Bundes war ein direktes Zitat aus dem Propheten Malachias, dessen liturgische Lectio das'Yirairävnj-Fest bestimmte29. Die korrespondierende Ecrlesia exgentibus, auch sie mit dem Pur-

    purmaphorion bekleidet, thront an angemessenem Ort, bei der Anbetung der

    25) BRE NIc Mosaiken (wie Anm. 4) S. 21. 26) Nach Beda, In Lucam I, MIGNE PL 92, Sp. 347, freilich erst von der Glosse so expliziert.

    Glossa ordinaria: Biblia Latina cum glossa ordinaria. Facsimile Reprint of the Editio Princeps Adolph Rusch of Straßburg 1480/814 (1992) zur Stelle (S. 147) v° Beda. Im folgenden nur zit. mit GL ord.

    27) GL ord., 5.147 vo Sy neon 28) PsMt15,3, letzter Satz 29) Vgl- unten S. 27.

  • 10 Johannes Fried

    Abb. 2: Rom. S. Maria Maggiore, Triumphbogen. Der alte Simeon (nach H. KARpp, wie Anm. 5).

  • Römische Erinnerung 11

    Könige, im folgenden Register der Heidenkirche, zur Linken des Pantokrator- Kindes, das heilige Buch in Händen.

    Es ist freilich unschwer zu erkennen und die ikonographische Gestaltung der Simeon-Figur, die an Petrus erinnert, unterstreicht es, daß die von Simeon ge- führten Zwölf nicht nur die Stämme Israels, sondern auch die von Simon-Petrus

    geführten Apostel evozierten. Simeons Prophetie, die letzte des Alten Bundes,

    weist direkt auf das Petrus-Bekenntnis voraus, das Erstbekenntnis der Kirche:

    �Du bist der Gesalbte, des lebendigen Gottes Sohn", Tu es Ch ristus, fi-

    1iusDei vivi (Mt 16,16), das seither in Rom immer häufiger zitiert wurde30. Der Ps. -Matthäus-Text, der dem Mosaik vermutlich zugrundeliegt, spielt noch deutlicher als die Lukas-Perikope darauf an. Denn in ihm ward Simeon die gött- liche Antwort: Er werde den Tod nicht schauen, nisi videret Christum fi 1iumDei in carne (PsMt 15,2). Und sein Zeugnis lautete hier: Visitavit Deusp1. ebemsuam, implevit Dominus promissionem suam, worauf dann der schon zitierte Lukas Text seines Bekenntnisses folgt: �Herr, nun

    ]ässest du deinen Diener im Frieden ...

    " Das für den römischen Primat bedeutsame Petrus-Bekenntnis und die päpstliche Widmung der Mosaiken an die Plebs Dei finden sich in nächster Nachbarschaft zu Simeons Prophetie31. Erneuerung und Verjüngung vollziehen sich im Bild geradezu an der einen Person, ohne wei- teres erkennbar je nach dem Standpunkt, den der Betrachter sich anschickte ein- zunehmen: Der letzte der Propheten wurde der erste der Apostel, der �Letzte" zum �Ersten".

    Doch das rätselhafteste Detail stellt die Vergegenwärtigung der Dea Roma im Giebel des Tempels dar, der ja der jerusalemitanische sein soll; erstaunlich je- denfalls so lange, als die Giebelfigur als Zitat des römischen Venus-Roma-Tem-

    pels mit dem Bild der Göttin im Giebel angesehen wird, dessen Kenntnis seit hadrianischer Zeit Münzbilder, im späteren 4. Jahrhundert auch Kontorniaten

    verbreitet hatten32. Entsprechend hatten Andre Grabar und Jean Gage und ih-

    nen folgend auch Ernst H. Kantorowicz die Figur und den ihr zugehörigen Tempel gedeutet und beide als Zeichen der Ewigkeit Roms und seiner immer-

    währenden Erneuerungskraft interpretiert, als Symbol des saeculum novum, das für Rom mit der Millenniumsfeier des Jahres 248 angebrochen sei und das

    nun die Kirche für sich in Anspruch nähme; als Symbol der heilsgeschichtlichen

    30) Vgl. das frühe, erste (? ) Zeugnis Leos I. in Sermo IV, 2, MIGNE PL 54, Sp. 15OB: prim us est in doming confessione, qui primus estin apostolica dignitate.

    31) Zur Nähe des Mosaiks zu PsMt vgL auch unten S. 23-26. Daß die �Stifterinschrift" mit der Plebs Deigleichfalls Nähe zu PsMt aufweist, wurde bisher nicht beachtet.

    32) Zu den Kontorniaten: Andreas u. Elisabeth ALFÖLDY, Die Kontomiaten-Medaillons 1: Katalog, 2" Text (Deutsches Archäologisches Institut, Antike Münzen und geschnittene Steine VI, 1-2,1976-90); Brigitte KLIDt, Roma auf Kontomiaten, in: Spätantike und frühes Christen- tum. Ausstellung im Liebighaus Museum alter Plastik: Frankfurt am Main (1983) S. 70-74 (Katalog); nicht gesehen habe ich bislang Peter Franz MITTAG, Alte Köpfe in neuen Händen. Urheber und Funktion der Kontomiaten. Versuch einer historischen Deutung (Diss. Freiburg 1996).

  • 12 Johannes Fried

    Abb. 3: Rom. S. Maria Maggiore, Triumphbogen. Roma im Giebel des Tempels (nach WILDERT/SCHUMACHER, wie Anm. 5).

  • Römische Erinnerung 13

    Abb. 4: Roma im Tempel. Kontorniat (nach Ausstellungskatalog Spätantike und frühes Christentum, wie Anm. 32).

  • 14 Johannes Fried

    Abb. 5: Opferszene. Kontorniat (nach Ausstellungskatalog Spätantike und frühes Chri- stentum, wie Anm. 32).

  • Römische Erinnerung 15

    Rolle Roms. Der jüdische Tempel sei so mit dem Templum Urbis verschmol- zen; die zwölf jüdischen Priester, die dem Jesusknaben entgegeneilten, sahen sich in die Duodecemviri urbisRomaeverwandelt, das Priesterkolleg des Temp- ]um Urhis, dessen Haupt der Kaiser war, und das auf den Gedenkmünzen des Jahres 248 vor dem Tempel opferte. Die Präsenz der Göttin ließ, so schloß man, die alten Kulte in die Verehrung des Weltheilands münden. �Ein Saeculum No- vum war angebrochen", so resümierte Kantorowicz, �aber es war identisch mit der Heraufkunft Christi, dem ein petrusähnlicher hl. Simeon entgegeneilt, und es war Simeon, der durch seinen ocrursus die Einheit und Eintracht des Tem- pels zu Jerusalem und des templum Urbis sichtbar machte, von Jerusalem und Rom, von sich selbst und dem hl. Petrus, von christlichen und römischen Prie- stern, dem Neuen und dem Alten Testament, dem alten und dem neuen Zeital- ter". Kantorowicz wies ferner darauf hin, daß die hier formulierte, ins Christli- che gewendete Erneuerungsidee von der griechischen Liturgie der 'Y7ra7rävcq be- stimmt war, wie es in der Tat ja auch die östliche Ikonographie des Themas er- warten läßt. Diese Liturgie läßt �den

    Alten der Tage" ('o 7razcuöS 'rjpepcäv), der Moses am Sinai das Gesetz übergeben habe, in dem heiligen Kinde wiedergebo- ren sein, das Simeon verehrte. Auch sonst war die Vorstellung von dem puer-se- nex, dem 7razöapzoyepcvv, dem dreialtrigen Christus vertraut, der zugleich 7ralatös rc v 't epan; mannhafter Xptardsund jugendlicher 'Eppavov, war; dies alles aber übertrug die weitverbreitete vor- und außerchristliche Vorstellung von der ewi- gen Verjüngung der uralten Götter auf die neue Religion. Keine Mariologie, vielmehr eine Erneuerungs- und Verjüngungstheologie bestimmte die Szenen- folge des Triumphbogens der S. Maria Maggiore.

    In der Tat, die biblische Glossa ordinaria wird später die Begegnung des Greises mit dem Kinde in der Nachfolge der spätantiken und frühmittelalter- lichen Lukas-Exegese33, zumal Bedas, in die Worte kleiden: �Die alte

    Welt emp- fing die Unschuld christlicher Kindheit, auf daß sie erneuert werde wie der Ad- ler"36. Die folgende Anbetung der Magier, auch sie durch das einsame Kind auf dem Thron mit seinen Attributen - dem Nimbus, Kreuz über der Stirn, dem Rede-, Segens- und Majestätsgestus, der himmlischen Engelgarde und der be- gleitenden Repräsentantin der Heidenkirche - einzigartig unter allen Dreikö- nigsbildern, bestätigt Kantorowicz Deutung aufs neue: Es ist die Epiphanie des puer exoriens, welche die alten Kulte immer wieder zelebriert hatten und die nun in der Kirche erfolgte.

    Einwände gegen diese Deutung erhob, ohne Berücksichtigung von Kantoro- wicz' Studie, vor allem Beat Brenk. Ein Zitat des Templum Urbis läge nicht vor,

    33) GAGE; Templum urbis (wie Anm. 14) 5.161-165,176-180; vgL KANTOROWICZ, Puer exo- riens (wie Anm. 14) S. 26-27.

    34) KAwIORowºCZ, Puerexoriens (wie Anm. 14) S. 27. 35) VgL z. B. die Silvesterlegende: Text noch immer. Boninus MoMBRnUS, Sanctuarium seu

    Vitae Sanctonun 2 (1910) S. 508-531, hier S. 521-522- 36) Acripit edam seniormundus innocentam chiistiane infantie, ut renovetur sicut aquila.

    GL ord., S. 147 v0 Etipse accepit

  • 16 Johannes Fried

    Roma aeterna sei ebensowenig appliziert wie ein heidnisches Priesterkollegium.

    �Es handelt sich ganz eindeutig um jüdische Priester"37. Die Dea Roma des Mo- saiks werde allein als diejenige geschildert, �welche die christliche Heilsge- schichte ermöglicht", als Sinnbild der PaxRomana und gemäß Lc 2,1 als Anspie- lung auf den augusteischen Census zur Zeit von Christi Geburt Römische Weltge- schichte und christliche Heilsgeschichte seien hier zur Deckung gebracht Das Mosaik illustriere damit �einen religiös-politischen Gedanken des Orosius"38. Diese Deutung reicht indessen nicht zu. Römische Theologen wußten durch- aus, daß die jerusalemitanische Tempelpriesterschaft die Königswürde Christi zu keiner Zeit anerkannt hatte. Weder Lukas noch Ps: Matthäus deuteten der-

    artiges auch nur im entferntesten an. Die Priester und Schriftgelehrten, die nun in S. Maria Maggiore dem Knaben entgegenzogen, durften in keinem buchstäb- lichen Sinn verstanden werden. So überlagert auf jeden Fall eine zweite Bedeu- tungsebene die Tempelszene. Sie zu erkennen, weist die Dea Roma den Weg. Brenk stützte zudem seine Kritik an Grabar, die seiner Interpretation zugrunde liegt, lediglich auf die beigebrachten Münz zeugnisse des 3. Jahrhunderts; sie datierten zu früh, als daß sie zur Deutung der Mosaiken herangezogen werden dürften. Brenk überging die die Münzen zitierenden Kontorniaten des späten 4.,

    vielleicht noch des frühen 5. Jahrhunderts, die ja unmittelbar in die pagane Ari-

    stokratie der Stadt Rom mit ihrem lebendigen Erinnerungsschatz wiesen. Diese Pseudomünzen und Propagandagaben reichten zeitlich nahe an das'Y7rwr6vnl- Mosaik heran, bezeugten somit Kenntnis und Bewunderung für die früheren Gepräge noch zu so später Zeit und dürften bei Entstehung des Mosaiks um 430 (oder früher, wenn wir R. Krautheimer folgen39) durchaus bekannt gewesen sein. Auch die Opferszene vor der Tempelfassade, die ursprünglich zur Millen-

    narfeier des Jahres 248 gehörte, wurde - erinnert präsent - von jenen Kontornia- ten in mehreren Reprisen aufgegriffen40: Die fraglichen Stücke zeigten auf dem Revers den Venus-Roma-Tempel: URBS ROMA r"IFrERNA (zu ca. 356-394 datiert). Das Templum Urbis und das Opfer für die Dea Roma verkündeten aufs neue

    37) BRENK, Mosaiken (wie Anm. 4) S. 21-24; S. 23 (�jüdische Priester"). Brenk folgte: Maria- Barbara VON SIRITZKY, Zur Interpretation der Darstellung Jesu im Tempel im Triumphbogen von Santa Maria Maggiore, Römische Quartalschrift 75 (1980) S. 133-145, hier S. 139 f. - Gu- drun BüHL, Constantinopolis und Roma. Stadtpersonifikationen der Spätantike (Akanthus Crescens 3,1995) S. 288-296 läßt Roma des

    �imperialen Aspekts" der Darbringungsszene wegen gegenwärtig sein, �um Christus als den königlichen Gottessohn auszuzeichnen" (S. 295). Doch sehe ich nicht, wie der Bambino und die Giebelfigur des Mosaiks in einer Avers und Revers einer Münze vergleichbaren Weise zusammengebracht werden könnten. Die Roma des Mosaiks gehört zum Tempel; sie muß von ihm her verstanden werden. Auch die Brenk'sche Census-Deutung verträgt sich nicht mit der Zuordnung der Roma zum Tempel.

    38) BRFNK, Mosaiken (wie Anm. 4) S. 22. 39) Zur Datierung vgL oben Anm. 2. - Zu den mit den Datierungsfragen eng verknüpften

    Interpretationsfragen (vor oder nach dem Konzil von Ephesos 431; Reflex der dort verkündeten neuen Marien-Theologie oder nicht) vgl. oben S. 3 f. und unten S. 27.

    40) A. /E. ALFöLDY, Kontorniat-Medaillons 1(wie Anm. 32) Nr. 99-100 S. 163 (mit Abb. Tafel 113,7-9 und 167,1-3); KLEER.. in: Spätantike und frühes Christentum (wie Anm. 32) Nr. 90 mit Abb. S. 488.

  • Römische Erinnerung 17

    die Ewigkeit Roms, der Stadt'über den sieben Hügeln, die durch die heidni- schen Kulte gewährleistet sei. Sie frischten das Gedächtnis auf und appellierten an die Erneuerungskraft der alten Götter.

    Andere Prägungen vergegenwärtigten die Dea Roma innerhalb oder außer- halb eines Tempels, auch auf den Hügeln thronend, und zweifellos dürften noch weitere Bildnisse derselben vor Augen getreten sein41. Der Roma-Kult war zu- dem eng mit dem Kult der Magna Mater Idea verbunden, und dieser flackerte gerade während des frühen 5. Jahrhunderts ein letztes Mal in Rom auf. In un- mittelbarer Nachbarschaft der zu errichtenden Marienkirche lag eine Luperkali- enkapelle, bei deren Zeremonien die Große Mutter vom Ida-Gebirge eine wich- tige Rolle spielte42. Wie hätte unter diesen Umständen in den Jahren eines letz- ten Aufflammen stadtrömischen Heidentums angesichts der Zusammenfüh- rung der beiden Zeichen �Tempel" und �Roma"

    die Assoziation von Templum Urbis und Dea Roma-Kult vermieden werden können? Mit ihr meldete sich un- übersehbar die Roma aetema zurück. Selbst die heidnische Opferszene vor dem Tempel sah sich im 'Y2rcaravn1-Mosaik ins Christliche gewendet - streng die Lectio des Tages, Malachias 3,1-5, befolgend: �Sie werden dem Herrn Opfer bringen in Gerechtigkeit; und es wird dem Herrn wohlgefallen das Opfer Judas und Jerusalems wie vormals und vor langen Jahren".

    Der Goteneinfall von 408/10 mußte die Erinnerung an die heidnische Vorzeit weiter aktualisieren. Selbst der Kaiser des Westens, Honorius, griff damals, in den spannungsreichen und gefährlichen-Tagen, auf Münzen die heidnische Bildformel der thronenden Roma auf: GLORIA ROMANORUM43. Unkenntnis ist den Mosaizisten von S. Maria Maggiore jedenfalls nicht zu attestieren. Ganz im Gegenteil: Ihr Werk evozierte den heidnischen Tempel, die zugehörige Göttin und die Ewigkeit Roms und sollte es tun. Sie verwiesen somit auch, trotz der Jerusalem evozierenden Ikonographie, auf das Kollegium jener Priesterschaft, der Duodecemviri vrbis Romaei4, an deren Spitze einst der Kaiser gestanden hatte und die nun das römische Tempiwn urbis verließen, um den �unbekann- ten Gott", den alleinig wahren Gott, den Erlöser und Pantokrator zu empfangen.

    41) Wahrscheinlich war auch die �Dea Barberini" - eine Venus oder Roma - aus dem La-

    teranpalast der Fausts (Spätantike und frühes Christentum [wie Anm. 32] Nr. 91 S. 489-490) in der Entstehungszeit der Mosaiken bekannt; sie könnte eine gemalte Kopie des hadrianischen Kultbildes sein

    42) Zum Wiedererstarken heidnischer Kulte im Zusammenhang mit dem Goteneinfall von 410 vgL Herbert BWcH, The Pagan Revival in the West at the End of the Fourth Century, in: The Conflict behveen Paganism and Christianity in the Fourth Century, Essays ed. by Amoldo MOMIGUANO (21970) S. 193-218; vgl. auch Thomas F. MAThE

  • 18 Johannes Fried

    Im früheren 5. Jahrhundert war freilich die Dea Roma keineswegs mehr die

    einzig mögliche Deutung jener thronenden Roma-Gestalt. Längst hatte die Alle- gorie sich des Kultbildes bemächtigt, es entgöttlicht und entzaubert und gleich anderen Stadt- und Provinzallegorien für Christen erträglich gemacht. Neben die Göttin war die Tyche Roms, die Roma felix, die pure Stadtallegorie getreten, die zugleich Inbegriff des Reiches war und deren Bild zu besitzen auch Christen nicht zu scheuen brauchten45. Auch der Christ Honorius hat zweifellos erwartet, daß sein Münzbild in dieser Weise gedeutet würde. So gesehen, zierte keine heidnische Gottheit das Giebelfeld des Tempels von Jerusalem, vielmehr ein kultfernes Symbol. Gleichwohl war es brisant; denn die bewußt altertümlichen Kontorniaten-Bilder hatten eben gerade die große heidnische Vergangenheit Roms wieder heraufbeschworen und �Ewigkeit"

    blieb auch der �glücklichen Roma" vermählt. Die Allegorie forderte nicht minder als die Göttin jeden Be- trachter zur Deutung heraus, die je nach gewählter Perspektive keineswegs die

    nämliche blieb, die einander aber ergänzten und überlagerten und wechselseitig durchdrangen, sobald der Betrachter sich nur ein wenig durch die Zeiten be- wegte.

    Die, Entstehung der Mosaiken ist von ihrem zeitgeschichtlichen Kontext nicht zu trennen, auf den sie reagierten und auf den sie einwirkten. Noch war die Eingabe auf Wiedererrichtung des Victoria Altars im Senat nicht vergessen, die Symmachus im Jahre 384 an den Kaiser Valentinian adressiert hatte; noch flak- kerten allenthalben, gerade unter dem Adel der Stadt, ihren Philosophen und Rednern heidnische Restaurationshoffnungen auf; noch bangten Christen um ihren Triumph und spitzten die Federn zu apologetischen Traktaten; noch wa- ren Eintracht und Einheit des Volkes durch die konkurrierenden Religionen bedroht, als die Eroberung der Stadt durch gotische Barbaren die mißachteten Götter gegen das christliche Volk aufzurufen schien und Furcht und Mutlosig- keit dasselbe überfielen. Auch Christen waren erschüttert: �Das Gespenst des Todes stolzierte vor uns allen" (so der Britannier Pelagius, der damals in Rom lehrte)46. �Was bleibt heil, wenn Rom zugrundegeht?

    " So der hl. Hieronymus im fernen Palästina47. In seinem Daniel-Kommentar erneuerte er die eschatolo- gische Deutung des römischen Imperiums. Das Ende der Geschichte? Bald schon, bald!

    Rom aber wehrte sich. Nicht nur, daß der Marionetten-Kaiser Attalus, ein Heide, den der Gotenkönig Alarich, ein arianischer Christ, eingesetzt hatte,

    45) Der früheste datierte Codex mit ganzseitigen Illustrationen, der Kalender des Filocalus aus dem Jahr 354 p. C., wurde für den Christen Valentinus angefertigt und bringt u. a. eine Personifikation der thronenden ROAtA mit Helm, Lanze in der linken, Victoria-gekrönter Sphaira in der rechten Hand, vgl. Kurt WErIZMANN, Spätantike und frühchristliche Buchmale-

    rei (1977) S. 9 und S. 11 Abb. V; zu den Roma-Darstellungen der Zeit: BUHL� Constantinopolis und Roma (wie Anm. 37) S. 80-106 zum Kalender von 354.

    46) Zit nach Peter BROWN, Der heilige Augustinus. Lehrer der Kirche und Erneuerer der Geistesgeschichte (1973) S. 252 (zuerst engt 1967).

    47) Hieronymus, Ep. 123,16: quid saluum est, si Roma peril?, Sancti Eusebii Hieronymi Epi-

    stolae, Pars III, ed. Isidor HILBERG (CSEL 56,1,21991) S. 94,5-6.

  • Römische Erinnerung 19

    Münzen mit dem Bild der Dea Roma in Umlauf brachte48; auch die Literaten spitzten neuerlich die Feder, um beschwörend die Ewigkeit Roms zu besingen. Herausgegriffen sei das Beispiel des Rutilius Claudius Namatianus, der in der Beschreibung seiner Reise von Rom auf die Familiengüter bei Toulouse, die im Jahre 417 die Goten bedrohten, seinen Sorgen unter dem feinsinnig doppeldeu- tigen Titel De reditu suo Ausdruck verlieh Rückkehr nach Aquitanien. Rück- kehr auch zur Götterverehrung der Ahnen als Heilmittel gegen den Nieder- gang? Rutilius entstammte dem Kreis der Symmachi, war hoher Beamter, magi- ster offi'ciorum, praefectus urbis, und nicht zuletzt (heimlicher) Anhänger heid- nischer Kultur. Literarisch machte sich Vergils und Ovids Einfluß geltend und mit ihnen die älteste römische Renovatio-Ideologie: Rom ist ihm die herrlichste Königin ihrer Welt: Regina tui pulcherrima mundr,, ist Mutter der Menschen und Götter, genitrix hominurr;, genitrixque deorunv durch die Tempel dem Himmel nahe: non procul a caelo per tua templa sumus (v. 49-50). Nichts könne Roms Ehre seinem Herzen entreißen Obruerint citius scelerata oblivia solem // quam tuus e nostro Corde recedathonos (v. 53-4). Stadt und Erdkreis seien eins; der ganze Erdkreis durch Rom zur Urbs geworden: �Zur Stadt hast du werden lassen, was früher Erdkreis war", Urbem fecrstr, quod prius orbis erat (v. 66). Namatians Hymnus gipfelte in dem altrömischen Glaubenssatz ordo renascen- di est crescere posse malis, �Das Gesetz

    der Wiedergeburt ist, am Unglück zu wachsen" (v. 140). An Wiedergeburt zu gemahnen schien um so dringlicher vonnöten, als tatsächlich Gefahr drohte - weniger von siegreichen Barbaren als vielmehr durch ein besiegtes Volk, das sich als Sieger gebärde: �Ach, hätten Pompeiud Kriege und Titus' Befehle niemals Judäa besiegt. Schon ausgelöscht, greift die Seuche noch immer um sich und das besiegte Volk bedrängt seine Be- sieger", atque utinam numquam Iudaea subacta fuisset// Pompeii bellis impe- riisque Titi. // latius excisae pestis contagia serpunt // victoresque suos na do vlcta premit (v. 395-8). Die verräterischen Verse zielten schwerlich gegen die Israeliten, vielmehr gegen die Christen, die mit den Juden in eins gesetzt wur- den.

    Zumal des hi. Augustinus Apologie des Christentums, De civitate Dei, rüttel- te die Gemüter auf, seine Schrift schleuderte das schärfste Verdikt gegen den Rommythos, das bislang formuliert worden war. Der Afrikaner zeichnete ein überaus düsteres Bild. Rom eine Räuberbande, daemonicola civitas49; Rom gar eins mit Babel? Sie ist �die Mutter aller

    Bösen", hatte Augustin schon im Psal-

    48) Carlo BERTE 1, Visual Images of the Town in Late Antiquity and the Early Middle Ages, in The Idea and Ideal of the Town Between Late Antiquity and the Early Middle Ages, hg. v. G. P. BROGIOIA u. Bryan WnRE)TERK S (The Transformation of the Roman World 4,1999) S. 127-146, hier S. 139; vgL auch S. 137 Anm. 32 , it is in any case an unavoidable conclusion that the mosaicist wanted to imprint a strong Roman connotation on the temple of Jerusalem".

    49) De civ. Dei 2,29 (CCSL 47, S. 65, u. ö. ); vgL Walter REHM, Der Untergang Roms im abend- ländischen Denken (Das Erbe der Alten 18,1930, unv. Nachdr. 1966) S. 22 ff. - Vgl. auch De civ. Dei 19,21: Quis enim ad hunc locum per supetiores huius opens libms pervenit, qui dubitare

    adhuc possit, malls et impuris daemonibus servisse Romanas, nisi vel nunium stolidus, vel impudentssime contentiosus?

  • 20 Johannes Fried

    menkommentar geschrieben, �die Stadt, die Babel heißt. Sie ist die Gemein-

    schaft aller Schlechten vom Osten bis zum Westen. Sie hält die irdische Herr- schaft. Nach dieser Stadt wird ein Reich genannt, das ihr nuil altem seht und dahinsiechen"50. Auch die trostreiche Deutung eines friedensstiftenden Rom demontierte der Bischof von Hippo. Moralisch verworfen, verbrecherisch und diabolisch erschien die urbs aetema. Brudermord, List, Betrug, Krieg und Ge- walt, superbia und eine alles durchdringende Ruhm- und Herrschsucht, libido dominandi, die, für wie tugendreich ihre Helden auch galten, stets ihre Tugend zersetzte51, sie alle hätten die Stadt auf ewig von der Gemeinde Gottes ge- trennt52. Ein ganz heruntergekommenes, sittenloses, strafwürdiges Gemeinwe- sen - gerade so, wie es Cicero und Sallust gesehen hatten. Augustin erwartete von einem christlichen Rom kein Heil; die Civitas Dei bedurfte ihrer ebensowe- nig oder ebensosehr wie jeder anderen Stadt und jedes anderen Reiches. Roms Äternitätsanspruch war in den Augen dieses Mannes aus der Provinz, der ver- geblich dort, in Rom, Karriere zu machen begehrt hatte, lächerlich und gottlos; sein Ende - und jedes irdische Reich ende, wann immer Gott es gefalle - heilsge- schichtlich ohne Belang. Augustins Werk verbreitete sich rasch und tat seine Wirkung. Es brachte keine Erneuerung; es überließ die Stadt vielmehr einem elenden Dahinaltern in all seiner Häßlichkeit, ihrem Ende entgegen.

    Rom wehrte sich auch jetzt. Kirchen wurden errichtet, eine größer, prunk- voller, überwältigender als die andere, im Stil einer wiederauflebenden Klassik: S. Sabina, S. Maria Maggiore, S. Stefano Rotondo, SS. Giovanni e Paolo, das La- teranbaptisterium. Augustins Ausfälle schmeckten den Römern ebensowenig wie des Namatianus nostalgisch gefährlich die Götter beschwörenden Verse. Gleichwohl klangen mit Namatians Hymnus und Augustins Invektiven die bei- den Grundmotive der Romidee an, die noch in Mittelalter und Reformation fortwirkten: Die Idee der Erneuerung und die Idee der Dekadenz Roms54. Der Augustiner-Eremit Luther kannte das romfeindliche Hauptwerk seines Patrons nur zu gut. Bereits Orosius, Augustins Schüler, widersetzte sich dem düsteren Bild, das sein Lehrer entworfen hatte. Trotzig verteidigte er das alte Konzept: Roms Weltherrschaft war ihm Mittel, Zweck und Ziel göttlicher Heilsökonomie zur Verchristlichung der Welt, �damit die Jünger ... als römische Bürger unter römischen Bürgern in sicherer Freiheit allen Völkern die Gaben des Heils offen- baren können" (Hist. VI, 1,8). Diese Haltung herrschte bald unangefochten, trotz

    50) Enarr. in Psalmos 26,18, MIGNE PL 36, Sp. 208. 51) De Civ. Dei 1, proL, CCSL 47,5.1; 1,30 S. 31; 3,14 S. 77; u. ö. 52) So mit Franz Georg MAIER, Augustin und das antike Rom (1955) trotz der gegenteiligen

    Auffassung von Johannes S11 AUS, Augustins Sorge um die �regeneratio imperii', HJb 73 (1954)

    S. 36-60, wieder in REFS., Regeneratio Imperii. Aufsätze über Roms Kaisertum und Reich im Spiegel der heidnischen und christlichen Publizistik (1972) S. 271-295 und Francois PASCHOUD, Roma Aeterna. Etudes sur le patriotisme Romain dans 1'Occident satin a l'6poque des grandes invasions (1967).

    53) Vgl. De civ. Dei 2,18-21. 54) Manfred FUHRMANN, Die Romidee der Spätantike, HZ 207 (1968) S. 529-561, hier S. 535.

  • Römische Erinnerung 21

    Augustin. �Rom" aber war hier das Reich, der orbis. Die eponyme Stadt am Ti- ber hinter den aurelianischen Mauern verblaßte daneben. Das war wiederum nicht in römischem Sinne, wie die Neubauten bewiesen.

    Die Stadt selbst, das christliche Rom, rüstete zur Wiedergeburt. Da bot die 'YTrwravnj und überhaupt das Bildprogramm der Apsisstirnwand der großen Marienkirche Gelegenheit, die christlich gewendete Geschichtsdeutung der Römer in Szene zu setzen. Sie mußte dazu erfunden werden. Das Ergebnis war eine einzige Absage an Augustin; und auch Orosius genügte nun nicht. Die rö- mische Deutung griff vor beide zurück, auf heidnische und christliche Explika- tionen des Ewigkeits- und Erneuerungsmythos, die sie im Bildgeschehen einan- der überformte. Das ganze Panorama der Roma aetema wurde in der Folge mit dem Bild der'Yirwrävrq für das christliche, apostolische, universalkirchliche Rom in Anspruch genommen, ganz so wie es die heidnische Tradition seit den Zeiten des Augustus fortgebildet hatte55. Der Appell an sie war stets ein Zeichen einer aktuellen Erschütterung; gegen die Not wurde der Mythos geformt und be- schwvoren. So war es, als Augustus die Wunden des Bürgerkrieges und der rö- mischen Revolution zu heilen trachtete und die Wendung Urbs aeterna erstmals ihre Dienste leistete (Tibull 115.2356). So blieb es, als das Christentum das Hei- dentum in die Defensive drängte und die Goten Rom tiefe Wunden schlugen. So verhielt es sich bereits, als Symmachus die Dea Roma Hilfe heischend sich an den christlichen Kaiser hatte wenden lassen; und so sollte es bleiben, als Ambro- sius und Prudentius im Kampf gegen Symmachus der entgöttlichenden Ad- aption des Mythos durch das Christentum die Feder liehen57.

    Die Theologen der'Y7rawri vni-, Szene von S. Maria Maggiore, hinter denen als führender Kopf bereits der künftige Papst Leo der Große vermutet werden darf, griffen darauf zurück. Sie betonten mit den beiden christlichen Autoren die Lern-, Besserungs- und Wandlungsfähigkeit der Roma, ihre Erneuerungskraft.

    �Hochbetagt", so hatte schon Ambrosius Roma Symmachus antworten lassen,

    �erröte ich nicht, mich mit dem ganzen Erdkreis zu bekehren. Fürwahr, für kein

    Alter ist zu lernen zu spät. Erröten sollte das Alter, das sich nicht mehr bessern kann.

    ... Es ist keine Schande, zum Besseren überzutreten. Allein, ich hatte mit

    55) Edward Kennard RAND, The Building of Eternal Rome (1943); FUHRMANN, Romidee (wie Anm. 54) passim; wichtig ist, worauf Fuhrmann verweist, daß nämlich die Romidee der römischen Kaiserzeit national und �imperialistisch", jene der Spätantike übernational und �zivilisatorisch" war. Weitere Lit. zum Thema Rom-Renovatio in der Spätantike vgl. KEMP, Christliche Kunst (wie Anm. 2) S. 301 Anm. 296; zur Transformation der heidnischen in die christliche Welt: Glenn BowERSOCtc, Hellenism in Late Antiquity (1990). Nicht mehr berück- sichtigt werden konnte: Heiden und Christen im 5. Jahrhundert, hg. v. J. VAN OOORT u. D. WYRNSA (Studien der Patristischen Arbeitsgemeinschaft 5,1998), darin bes. Hans Armin GÄRTNER, Der Fall Roms. Literarische Verarbeitung bei Heiden und Christen, 5.160-179.

    56) Vgl. RAND, Eternal Rome (wie Anm. 55) S. 254 Anm. 8. 57) Charles P[Em, Concordia Apostolonun et renovatio Urbis (Culte des martyres et pro-

    pagande pontificale), Melanges d'arch6ologie et d'histoire 73 (1961) S. 275-322; DERS., Roma christiana, 2 Bde. (Bibliotheque de 1'$cole francaise dAthene et de Rome 224,1976); PASCHOUD, Roma Aeterna (wie Anm. 52); Christian GNILKA, Prudentius über die Statue der Victoria im Senat, FmSt 25 (1991) 5.1-44.

  • 22 Johannes Fried

    den Barbaren gemein, daß ich Gott nicht kannte. " Nun aber solle sie der Schöp- fergott das Geheimnis des Himmels lehren. �Von Gottes

    Mund haben wir ge- lernt; ... aus Gottes Weisheit und

    Wahrheit selbst haben wir erkannt"m. Die den Prophezeihungen lauschende, von Gottes Mund lernende, sich bekehrende Roma im Giebel des Tempels? Die discipula veritatrsb9? Noch weiter ging Pru- dentius. Rom, so hieß es, habe das Recht geschaffen, das allen Menschen Frieden zu genießen gestatte und dem Kommen Christi den Weg ebnete60. Auch einsti- ger Kraft beraubt, altere sie nicht, Jahrhunderte gingen spurlos an ihr vorüber61.

    �Gegrüßt, ihr erhabenen Fürsten', so jubelte Roma, �du edles Geschlecht des

    unbesiegten Princeps, unter dem ich, wiedergeboren, alles Elend des Alters ablegte und mein Haar wieder blond werden sah. Alles Sterbliche be- droht das Alter. Mir aber bereitet die endlose Folge der Tage eineande- re Ewigkeit (mihilonga dies aliud parit aevum), mir, die ich, lange lebend, das Ende zu verachten lernte"62. Dann, an den Kaiser gewandt:

    �Lebendiger Ruhm gebührt dir, Kaiser, nach lebendigem Preis der Tugend,

    nach unsterblicher Zier sollst du trachten. Herrscher der Welt wirst du mit Chri- stus vereint sein in Ewigkeit , unter dessen Führung

    du mein Reich zum Himmel führst"63. Wiedergeboren als Christin, die der christliche Fürst zum Himmelreich führt - so dachte die bekehrte Roma.

    Rom war ewig, die Uralte wiedergeboren, denn sie hörte die Botschaft und glaubte. Ihr Kaiser diente dem Sohn des lebendigen Gottes, an dessen Apostel Paulus und Petrus Prudentius ausdrücklich zu Beginn der beiden Bücher gegen Symmachus erinnerte. So gestärkt, stellte Roma sich der heroischen Vergangen- heit und Ewigkeit unter heidnischen Kaisern, der bedrängenden Tradition. Ihre Ewigkeit selbst hatte sich gewandelt. War sie in früherer Zeit statisch, trotz aller Wiedergeburt die ewige Wiederkehr der gleichen Gottheit, so war sie nun dy-

    namisch, profectusin melius, Bekehrung aus innerster Wandlung. Das `Yrrarrävrrj- Mosaik griff den Gedanken fortwährender Erneuerung, sich wandelnder Ewig- keit und Wiedergeburt auf und machte ihn sichtbar. Es erweist sich geradezu als ein Muster römischer Erinnerungskunst in Zeiten äußerster Bedrohung mit Hilfe des christlich überformten Mythos und mit den Mitteln des Bildes.

    Hier gab es kein heidnisch jüdisch-christliches Entweder-Oder; hier war alles Wandel wie seit Anbeginn der Welt, �profectus in melius": �Es verwandelt sich die Jugend der Welt wie die Jugend aller Dinge, damit das Alter ehrwürdig weißhaarigen Glaubens folge ", 54. So hatte Ambrosius geschrieben. Hier war alles

    58) Ambrosius ep. 18 §7 und 8, ed. Richard Kww, Certamen de ara Victoriae. Der Streit um den Victoriaaltar. Die dritte Relatio des Symmachus und die Briefe 17,18 und 57 des Mailänder Bischofs Ambrosius. Einführung, Text, Übersetzung und Erläuterungen (1972) S. 134-136.

    59) Leo I. Sermo 82, In Natali apostoloium Petri et Pauli, MIGNE PL 54, Sp. 422. 60) Contra Symmachum II, 578 ff., bes. 620 ff. 61) C. Symm. II, 640-641. 62) C. Symm. II, 655-665. 63) C. Symm. II, 756-759. 64) Ep. 18 § 28, ed. KLEIN (wie Anm. 58) S. 150. VgL dort auch § 29: �Die Gnade

    der Kirche ist ein Weinberg, dessen Früchte seit Anfang der Welt in den Heiligen reiften, sich aber erst im

  • Römische Erinnerung 23

    Erneuerung aus der Verehrung Christi, wie es dem alten Simeon verhießen war und sich in Simon-Petrus erfüllte. Die Szene illuminierte durch sich überla- gernde Evokationen jüdischer und römischer Vergangenheiten diese Erneue- rung, Verjüngung und Wiedergeburt als christliche Kirche: von Simeon und dem Alten Bund zu Simon-Petrus und der Kirche, von der Dea Roma zur Roma i2&, von den Duodecemviri urbis Romaezu den Aposteln und damit vom Kai- ser, dem Princeps, als dem Haupt jenes Priesterkollegs zum Princeps aposto- lorun4 dem virtuellen Kaiser Roms und himmlischen Heros erneuerter Ewig- keit, dem Fürsten des neuen Reiches: totius ecclesiae princeps, so Leo d. Gr. über den Apostel6. Das monarchische Petrus-Attribut Princeps apostolorum begeg- nete, sehe ich recht, eben jetzt, im Jahre 416, in einem Schreiben Papst Innocent' L zum ersten Mal in der Geschichte der römischen Kirche66. Das ̀ YTraoravrq-Mo- saik spiegelte diesen Gedanken und setzte ihn ins Bild.

    Die neue Ewigkeit erforderte eine neue Vergangenheit. Auch dazu äußerten sich, in Bildsprache übertragen, die Mosaiken der S. Maria Maggiore. Sie führ- ten die Geschichte von Abraham und Moses her und griffen auf eine Tradition zurück, die sich mit dem romuleischen Rom zu messen vermochte und eine tri- umphale Zukunft verhieß. Ihr hatte der heidnische Mythos mit seiner leer und unglaubwürdig gewordenen Ewigkeitsphrase schlechthin nichts zur Seite zu stellen. Augustinus hatte sich bereits dieses Mittels der Konfrontation Roms mit Israel bedient, um mit dem höheren Alter Israels vor Rom die Abwertung, ja, Leugnung römischer �Ewigkeit" zu untermauern. Rom griff nun gleichfalls da- nach, doch mit dem entgegengesetzten Ziel der Erneuerung über alle römisch- irdische Herrlichkeit hinaus. Die römische Vergangenheit bekam einen neuen Sinn und eine neue Gestalt. Sie wurde überwölbt und überformt und gipfelte fortan im Prinzipat des Apostelfürsten. Jetzt entstanden allenthalben die großen alt- und neutestamentlichen Bildzyklen an den Kirchenwänden, auf den Türen von S. Sabina und andernorts. Im Orient war dergleichen bislang nicht üblich gewesen trotz mancherlei Vorstufen dort: Ist es zu gewagt, diese Neuerung mit Roms Erneuerung in den Jahrzehnten um 400 ursächlich in Zusammenhang zu bringen67?

    Den traditionsbewußten, ahnenstolzen und geschichtskundigen Römern mußte der erinnernde Glaube an ihre große Vergangenheit im Schutze heidni-

    scher Gottheiten entrissen werden, ohne ihr Selbstgefühl zu schmälern. Deshalb bedurfte es eines Ersatzes, einer neuen Geschichte, einer Erneuerung, die nicht bloß einer ruhmvollen, doch versunkenen Größe gedachte, vielmehr leuchtende Zukunft verhieß. Die Mosaiken hatten die Christen Roms, die Plebs Dei, über

    jüngsten Zeitalter unter die Völker verbreiten. So können alle erfahren, daß der Glaube an Chri- stus nicht rohe Seelen ergreift, ... daß

    die Wahrheit vielmehr nach Austreibung früheren Irr- glaubens triumphiert. "

    65) Sermo IV, 4, MIGNE PL 54, Sp. 152. 66) Zuvor allerdings: Prudentius, Peristephanon II, 459-460: Petrus und Paulus: duo apo-

    stolorum prindpes Papst Innocenz 1., ep. 25 an den Bischof Decentius von Gubbio. 67) Zu den Datierungsproblemen vgl. oben Anm. 1.

  • 24 Johannes Fried

    ihre neue Vergangenheit und damit ihre Gegenwart und Zukunft zu unterwei- sen. Den Weg, der zu gehen war, dürfte abermals die Liturgie gewiesen haben. Nach dem Armenischen Lektionar, das die Leseordnung der Kirche von Jerusa- lem im frühen 5. Jahrhundert repräsentiert und hier wohl auch für das grie- chisch geprägte Rom in Anspruch genommen werden darf, wurde am 'Y7rarr6v- vj-Fest Gal 3,24-9 gelesen68: �Denn

    wir sind alle Gottes Kinder durch den Glau- ben in Christus Jesus. - Hier ist kein Jude noch Grieche, kein Knecht noch Freier, nicht Mann noch Weib. Ihr alle seid eins in Christus Jesus. So ihr aber Christi seid, so seid ihr Abrahams Samen und Erben nach der Verheißung" (v. 26; 28- 9). Die Perikope ließ sich durchaus in römischem Sinn interpretieren: die Römer die Erben des erwählten Volkes. Papst Leo der Große machte sich tatsächlich zu ihrem Anwalt.

    Die Roma-Allegorie im Tempelgiebel - in dem zuerst zu lesenden Register der Apsis-Stirnwand - evozierte Roms friedenstiftende Notwendigkeit und Werkzeughaftigkeit im Dienste des einen, allmächtigen Gottes und der Aus- breitung des christlichen Glaubens. Mehr noch. Roma war selbst zum Glauben bekehrt, ihr Prince psverließ den heidnischen Tempel und huldigte Gott. Roma selbst, nicht Göttin, vielmehr Inbegriff gottgefälliger Größe, versöhnte die Rö- mer mit ihrer ungewohnten Vergangenheit gemäß den Worten des Apostels und des Ambrosiasters69 die Leo L predigend aufgriff70: �Abraham wurde

    der Stammvater a 11 er Völker, und in seinem Samen wurde der We1t der ver- heißene Segen zuteil. Nicht nur jene haben als Israeliten zu gelten, die es mit Fleisch und Blut sind, sondern a 11 e an Kindes Statt Angenommenen gelan- gen in den Besitz des für die Kinder des Glaubens bestimmten Erbteils". Von Abraham führte der Weg zu Moses, einem Moses freilich, der wiederum die Züge Petri trägt und damit die Lehre verkündete, die eben gerade Papst Inno- cenz formulierte hatte, als er in Moses den Typus des gesetzgebenden Nachfol- gers Petri erkannten.

    Die Adaptation der jüdischen Tradition an die römische verlieh dem christ- lichen Rom eine so lange, jahrtausendealte und so sichtbar präsente Vorge- schichte, wie sie das heidnische zu besitzen vorgab, von Romulus und der Lupa an, ja, eine noch viel längere und gesegnetere. Hier wurde die Historisierung der Glaubensbotschaft zur Legitimation der Abkehr von den alten Traditionen vollbracht. Moses und Simeon, Juden und Heiden, Alter und Neuer Bund, Ge-

    68) Vgl. RöWEKAMP, Einleitung zu Itinerarium Egeriae (wie Anm. 15) S. 87 mit Anm. 310. 69) BRENK, Mosaiken (wie Anm. 4) S. 36. 70) Sermo 26,2, MIGNE PL 54, Sp. 213; vgl. KEMP, Christliche Kunst (wie Anm. 2) S. 168. 71) Vgl. Erich CASPAR, Geschichte des Papsttums von den Anfängen bis zur Höhe der

    Weltherrschaft 1(1930) S. 306-310. - Der Mosaikzyklus scheint zwar die zentrale Gesetzgebung des Volkes Israel am Berge Sinai auszusparen, doch wäre die Schlußszene des Moseszyklus mit der Imagination vom �Liede

    des Moses' ikonographisch durchaus ein geeigneter Ersatz, wenn sie nicht, was im Blick auf Prosper von Aquitanien möglich erscheint überhaupt die verlorene erste Szene spiegelte, in der die Gesetzgeberschaft des Moses auf dem Sinai dargestellt gewesen sein könnte; vgl. dazu BRENK, Mosaiken (wie Anm. 4) S. 119; zum Zyklus insgesamt: DECKERS, Zyklus (wie Anm. 5) passim, zum �Lied des Mose" S. 222-224.

  • Römische Erinnerung 25

    setzgeber und Apostelfürst - alles fügte sich hier zu dem einen Mythos der Er- neuerung Roms als römische Kirche. Die Elemente, aus denen dieser neue Rommythos gefügt wurde, fanden sich in mancherlei Weise vorgeformt; jetzt wurden sie vereinigt, erstmals sichtbar in S. Maria Maggiore. Roms Göttlichkeit und Ewigkeit schuf dafür das Fundament. Die urchristliche Auseinanderset- zung zwischen Judenchristen und Heidenchristen um die Gültigkeit des Geset- zes und seine Aufhebung durch Christus72 war im Bild der zwiefach gegründe- ten Kirche präsent, die Gegnerschaft zu den Juden neu pointiert. Beide Apostel hatten mit ihrem Tod in Rom diesen Bund besiegelt; ihr gemeinsamer Kult dort erinnerte daran und erneuerte ihn unablässig. Hinzu traten der Fischer Petrus als neuer Princeps sowie sein Nachfolger, der Papst, als neuer Moses. Roms Kir- chen vergegenwärtigten darüber hinaus die Gedächtnisorte des Herrn: S. Maria Maggiore, d. K sancta Maria adpraesepem, wie sie zunächst genannt wurde, die Grotte von Bethlehem, S. Croce Golgatha, S. Anastasia die Anastasis; die La- terankirche galt als Nachfolger des salomonischen Tempels73. Das Stationswe- sen, noch heute im Missale Romanum festgehalten, übertrug das Herrengeden- ken von Jerusalem nach Rom. Der Fels, auf dem die Kirche gegründet war, er- hob sich fortan über der Confessio b. Petri der �ewigen Stadt", nicht mehr nur über dem Golgatha-Felsen oder über dem Felsen des Tempelberges von Jerusa- lem. Endlich darf die einladende Geste der neuen Kirchenbauten nicht überse- hen werden, die zum Betreten aufforderte und ein erneuernder Klassizismus umwarb74. Diese Kirchen zeigten ihre Pracht nicht wie die heidnischen Tempel nur nach außen, entfalteten vielmehr gerade im Innern den vollsten Glanz der Religion, der liturgisch zelebrierten und bildhaft vergegenwärtigten Gemein- schaft der Plebs Dei; des römischen Israel, mit Gott73.

    Die mythische Erneuerung wirkte fort, zumal in Rom selbst, obwohl der Tri- umphbogen von S. Maria Maggiore keine Nachahmung fand. Die Entwicklung ist am deutlichsten in der Liturgie zu fassen, die zwischen dem 5. und B. Jahr- hundert Gestalt und Dauer gewann. Ihre Entfaltung kann hier indessen nur ge- streift werden. Die wichtigsten Etappen ihrer Geschichte korrespondieren ein- drucksvoll erst mit den Erfolgen der Kirche, dann mit den Bedrohungen Roms durch Gefahren von außen; und sie gaben den Blick frei auf eine zunehmende Einbindung der Urbs in den christlichen Kult. Die Christen griffen dazu nicht

    72) Zusammenfassend: Rudolf SMEND/ Ulrich Luz, Gesetz (1981). 73) Vgl. Ferdinand GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter 1, hg. v. Walde-

    mar KEMPF (1978) S. 42; Peter Cornelius CLAUSSEN, Magistri doctissimi Romani. Die römischen Marmorkünstler des Mittelalters (Corpus Cosmatorum 1,1987) S. 25; Ingo HERKLOT4 Der mit- telalterliche Fassadenportikus der Lateranbasilil: a und seine Mosaiken Kunst und Propaganda am Ende des 12. Jahrhunderts, Römisches Jb. der Bibliotheca Hertziana 25 (1989) S. 25-95, hier S. 73 f.; Nikolaus GussoNF, Thron und Inthronisation des Papstes. Von den Anfängen bis zum 12. Jahrhundert. Zur Beziehung zwischen Herrschaftszeichen und bildhaften Begriffen, Recht und Liturgie im christlichen Verständnis von Wort und Wirklichkeit (Bonner historische For- schungen 41,1978) S. 254-

    74) KRAInHEiMER, Rom (wie Anm. 1) S. 50 ff. 75) BRANDENBURG, Roms frühchristliche Basiliken (wvie Anm. 2) S. 37.

  • 26 Johannes Fried

    zuletzt das ältere, heidnische Prozessionswesen auf. Hier diene die 'Y7rawrävrq als Beispiel für diesen Prozeß. Das Fest wurde zu Jerusalem im -ausgehenden 4. Jahrhundert begangen. Vergleichsweise spät scheint es nach Rom gelangt zu sein; wann genau und unter welchen Umständen seine Einführung sich vollzog, ist unbekannt76. Seine namengebende Lichterprozession - �Mariae Lichtmeß" - ist in der Urbs erst am Ende des 7. Jahrhunderts bezeugt Doch glaubte wenig später Beda Venerabilis, daß das Fest als christliches Gegenstück zu den heidni- schen Lustrationsfeiern eingeführt worden sei, also der Amburvalien, vielleicht auch der Luperkalien des Februar77. Es könnte also schon des längeren in Rom begangen worden sein, ohne daß die spärlichen liturgischen Quellen es regi- strierten. *Die Festelemente folgten den Vorgaben des im'Y7ra7rävrq-Mosaik faß- baren christlichen Rommythos. Der Zeitpunkt des Festes, der vom mosaischen Gesetz bestimmt war, paßte einigermaßen; die Lichter koinzidierten mit heid- nisch-römischen Bräuchen78.

    Es ist ein freudiges Fest, selbst wenn der Tag, der 2 Februar, in die Zeit nach dem Sonntag Septuagesirna fällt, mit dem die Vorfastenzeit beginnt. Die Kirche zelebrierte es mit einer ihrer feierlichsten Prozessionen. Ihre Coiecta erfolgte bei S. Adriano, also an der alten Senatskurie, dem Zentrum, der heidnischen Urbs, was in dieser Weise frühestens im 7. Jahrhundert eingeführt worden sein kann

    und tatsächlich erst von Papst Sergius (687-701) für die vier großen Marienfeste verfügt wurde79. Gleichwohl erinnert der Ort der Versammlung an die Roma- Allegorie auf dem Triumphbogen von S. Maria Maggiore. Bild- und Symbol- sprache lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Auch der Gedanke der Erneuerung fand sich expliziert. Denn die Lectio des Tages ist nach wie vor Malachias entnommen (3,1-5), dem letzten kanonischen Buch des Alten Testa- ments, und gilt - wie am ersten Advent - als Verheißung der Ankunft Christi:

    76) Zum ursprünglichen Festtag 14. Februar statt 2. Februar vgl. oben Anm. 20. Weiter. EISENHOFER, Grundriß, S. 150; nach Antoine CHAVASSE, La liturgie de la ville de Rome du Ve au VIIIe si@cle. Une liturgie conditionee par l'organisation de la vie urbaine et extra muivs (Studia Anselmiana 112; Analecta Liturgica 18,1993) S. 181,211,223 erscheint das Fest seit der 1. Hälfte des 7. Jh. in der römischen Liturgie. In S. Maria Maggiore war der 'Ymurkvvj, was möglicher- weise für die Datierungsfragen ihrer Rezeption bedeutsam ist, das größte Mosaik gewidmet. Es erscheint hier ja noch in der östlichen Ikonographie und wahrscheinlich auch vor der Umdatie- rung des Festes vom 14. zum 2. Februar, gleichwohl reflektiert das Mosaik die Kindgeburt des Alten der Tage.

    77) Liber Pontificalis, Vita Sergii c. 15, ed. FoRCHIEW/S7ICXLER 2, S. 256-257; zur Lichter- prozession: Beda, De Temporum ratione liber c. 12, Bedae Venerabilis Opera VI, 2 (CCSL 1238, 1977) S. 323; vgl. Amalar, De eccL off. 3,46; zur Ordnung des Festes: Ordo Romanus XX, ed. ANDRIEUX, Les Ordines Romani 3, S. 235-236. Vgl. auch Fedor SCHNEIDER, Rom und Romge- danke im Mittelalter. Die geistigen Grundlagen der Renaissance (1926) S. 28 und 62-

    78) Das 'YYroarävrry-Fest wurde spätestens Ende des 4. Jh. in Jerusalem gefeiert, reagiert somit nicht auf stadtrömische Feste. Wohl aber kann seine Einführung und Ausgestaltung in Rom zur Verdrängung dieser Feste intendiert gewesen sein, vgl. SHORE, Iconographic development (wie Anm. 19) S. 17-18.

    79) Zur Einführung der Collecta: Johann Peter KIRSCH, Die Stationskirchen des Missale Romanum (Ecclesia Orans 19,1926) bes. S. 12 f.: allgemein erst in der Zeit vor 600 eingeführt, ob früher bleibt Vermutung (S. 14).

  • Römische Erinnerung 27

    �Siehe ich will meinen Engel senden, der vor mir her den Weg bereiten soll.

    Und alsbald wird kommen zu seinem Tempel der Herr, den ihr suchet; und der Engel des Bundes (angelus testarnenti), des ihr begehrt, siehe, er kommt. ... Er wird sitzen und schmelzen und das Silber reinigen; er wird die Kinder Levi reinigen und läutern wie Gold und Silber. Dann werden sie dem Herrn Opfer bringen in Gerechtigkeit; und es wird dem Herrn wohlgefallen das Opfer Judas und Jerusalems wie vormals und vor langen Jahren"

    Verhießen wird mit dem Kommen des Herrn die Läuterung des Gottesvol- kes, die Erneuerung, neuer Bund ist Diese Verheißung hatte der Mosaikenzyk- lus der S. Maria Maggiore längst ins Bild umgesetzt; das 'YYrwrävnj-Bild zeigte das Kommen des Herrn zu seinem Tempel, den Engel des Bundes, den neuen Bund, dessen die Plebs Del begehrt Die Gläubigen hatten fortan nur den Kopf

    zu heben, um es zu sehen. Das Evangelium des Tages ist Lukas 2,22-32, dessen letzte Worte: �denn es

    haben meine Augen dein Heil geschaut,... ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preise deines Volkes Israel (ad ... gloriam plebis tuae Israel)", als plebi Del in Xystus Widmungsinschrift des Mosaiks der S. Maria Maggiore wiederbegegneten. Die Perikope klärt mithin nicht nur die

    Frage, durch wen die von Malachias verhießene Läuterung geschieht. Die

    'YYrwravrq ist vor allem das Fest dieser Verwandlung des Volkes des Alten Bun- des in das Volk des Neuen Bundes durch die Verehrung des Weltheilands, durch den Abschluß des Bundes gemeinsam mit Joseph, durch das Opfer ge- meinsam mit Simeon, der schon auf Simon-Petrus verweist. Das römische Volk handelte dabei aktiv, insofern es sich an der Lichtprozession von der einstigen Senatskurie zur römischen Geburtskirche des Herrn beteiligte. Es war das Fest der Erneuerung und Verjüngung Roms schlechthin.

    Dennoch oder gerade deshalb fällt auf, daß die Ikonographie der Mosaiken in der S. Maria Maggiore mit ihnen bereits endete, ohne weiterzuwirken. Trotz

    ihres herausragenden Ortes und des frühen Zeitpunktes, zu dem sie realisiert wurden, die ihnen beide eine große Wirkung hätten garantieren können, wurde weder die'YYnaravnj noch die Anbetung der Magier noch die Aphrodisius-Szene je wieder vergleichbar oder überhaupt gestaltet Waren sie optisch zu unschein- bar, um befruchten zu können80? Ihre Evangelienbasis zu apokryph? War das

    theologische Programm dieser Ikonenwand obsolet geworden? Vertrug es sich nicht oder zu wenig mit der spirituellen �Reform"-Idee,

    die Augustin im An-

    schluß an Paulus entwarf und die auch Papst Leo befolgte: das Programm der

    Umformung des Menschen nämlich durch die Gnade Christisl? Fehlte (vor dem

    Konzil von Ephesos im Jahre 431) der Marienkult? War das Ganze nur ein Ex-

    80) Mittelalterliche Rombesucher erwähnten sie ebensowenig wie der Liber Pontificalis, was freilich wenig besagt, da auch sonst nahezu kein Bildschmuck der Kirchen erwähnt wurde. Allein im Kontext des Bilderstreites achteten karolingische Theologen gelegentlich auch auf die bemalten Kirchenwände.

    81) Es fand - wohl unter Leo - auch in die Meß-Oration Eingang: Deus quihumanae sub- stantiae dignitatem mirabilitercondidisti etm irabi1iusreformasti. Vgl. Ger- hard LADNER, Die mittelalterliche Reform-Idee und ihr Verhältnis zur Idee der Renaissance, MIÖG 60 (1952) S. 31-59, hier S. 41-48, bes. S. 47.

  • 28 Johannes Fried

    periment, ein überholter Versuch, ein vorsichtig tastender Übergang? Nur in dem einen weltgeschichtlichen Augenblick möglich, als die religiösen Kräfte des Heidentums sich ein letztes Mal aufbäumten? Wie auch immer: Kein puer ex- oriens wird in Zukunft mehr erscheinen, sondern die Madonna mit Kind; die künftige Erneuerung der alternden Welt wird eschatologische Züge tragen und nicht die verjüngende Kindgeburt des �Alten der Tage" erfahren; keine Verei- nigung der beiden Kirchen wird mehr zu sehen sein, der Ecclesia ex circumcisi- one und der Ecclesia exgentibus, wohl aber wird sich ein spezifisch christlicher Antisemitismus artikulieren82; kein Neuer Bund, sondern das Krippenbild; und keine thronende Roma mehr, die bald früher, bald später völlig aus dem Ge- sichtsfeld verschwinden wird. Ja, die'Yrrairavni, das Herrenfest, Occursus Do- mini, ward zu einem Marienfest, �Mariae Lichtmeß". Die dogmatische Entwicklung der Kirche wirkte ganz offenkundig auf den christlichen Rommythos zurück Allein die Ewigkeit durfte bleiben; sie aber wurde seit Leo dem Großen durch die Präsenz des Apostelfürsten und des Völ- kerapostels in Rom gewährleistet und damit substantiell verwandelt. Der neue Rommythos durchdrang die ganze Stadt und formte sie um. Eine neuartige Sa- kralität zog in sie ein. Die Konstantinslegende beispielsweise, die Geschichte

    von des Kaisers Heilung und vom Drachen unter dem Kapitol, und mit ihr der kräftig ausschlagende Keim, der im B. Jahrhundert das berüchtigte Constitutum Constantini hervorbrachte, trat nun als ein Medium des Mythos hervor8. Auch diese Entwicklung kann hier nur flüchtig angedeutet werden, ohne sie zu vertie- fen. Betroffen war vor allem die Liturgie, wovon gleich mehr zu sagen sein wird. Der Osterzyklus wurde ausgestaltet; die Grundlegung der römischen Sta- tionsgottesdienste erfolgte, die in neuartiger Weise die einzelnen Quartiere zu- sammenschlossen und über die Zeiten der Stadt ein neues Antlitz gaben. Kir-

    chenbauten, Mosaikschmuck, Gesänge und Prozessionen aber waren sichtbare, hörbare, tätige, Straßen füllende, Räume belebende, jubelnde Erneuerung der

    erschöpften Stadt.

    82) Vgl. z. B. die Silvesterlegende: MoMBRCnus, Sanctuarium (wie Anm. 35) hier S. 515 und 517-522.

    83) Immerhin wurde die Laterankirche zur legitimen Nachfolgerin des salomonischen Tempels. Die einschlägige, erst im 13. Jh. aufgezeichnete Legende, deren Entstehungszeit un- bekannt ist, will wissen, daß Konstantin ihr den Tempelschatz zugewiesen habe, den Titus im Jahre 70 dem Templum Pacis übergeben hatte und den tatsächlich im Jahre 455 der Wandalen- könig Geiserich nach Afrika entführte, wo sich seine Spur verliert Doch die mittelalterlichen Kanoniker vom Lateran reüssierten mit ihrer Geschichte nicht Sie war die Reprise eines über- holten Konzepts.

    84) MOMBRI11US, Sanctuarium (wie Anm. 35) S. 508-531. Dazu: Raymond-Joseph LOENERTL 0. P., Actus Sylvestri. Genese d'une Legende, Revue d'histoire ecclesiastique 70 (1975) S. 426- 439; Wilhelm POHLKAMP, Tradition und Topographie: Papst Silvester I. (314-335) und der Dra- che vom Forum Romanum, Römische Quartalschrift 78 (1983) S. 1-100; DERB., Kaiser Konstan- tin, der heidnische und der christliche Kult in den Actus Silvestri, FmSt 18 (1984) S. 357-400; DERS., Constitutum Constantin(wie unten Anm. 97). Die Datierung der Actus Silvestri in das späte 4. Jh. durch Pohikamp scheint mir nicht gesichert zu sein.

  • Römische Erinnerung 29

    Doch die schlimmsten Gefahren standen Rom noch bevor; auf ihren Mythos warfen sie düstere Schatten. Das 6. Jahrhundert brachte erst mit seinen Goten- und dann den Langobardenkriegen den tiefsten Einschnitt in die städtische Ge- schichte. Jetzt verschwand der Senat, die heidnische Aristokratie, hörten die Spiele für immer auf (die letzten hatte Theoderich ausgerichtet), schrumpfte der

    �Abitato", erfolgte die Enttabuisierung der bislang scheu gemiedenen Kultorte

    des heidnischen Rom und schob sich als erste Kirche S. Maria Antiqua in den Forums-Bereich hinein, in dem der Mythos seit alters wurzelte und wo noch im Jahre 608 eine Säule zu Ehren des Kaisers Phokas errichtet worden war, eine überholte Geste. Auch S. Maria Maggiore kam an den äußersten Rand des Abi- tato zu liegen. Selbst die Natur verschwor sich gegen die Stadt. Der Tiber trat über die Ufer und richtete größeres Unheil an als alle Feinde zuvor. Die Kunde davon drang bis zu Gregor von Tours, der jenes katastrophalen Hochwassers des Jahres 589 gedachte, das die belebten Straßen und Plätze von einst mit Schlamm überzog (Hist. X, 1).

    Eine triste Stimmung machte sich breit; Endzeiterwartungen stiegen wieder auf, denen sich auch Papst Gregor der Große nicht verschloß. Vergänglichkeits-

    und �Vanitas"Töne erklangen, die fortan geradezu ein Gegenmotiv zum Ewig-

    keitsmotiv des Rommythos darstellten. In seiner �Leichenrede am Grabe Roms", dieser

    �Dithyrambe des Schmerzes" (F. Gregorovius), verlieh ihnen der Papst

    bleibenden Ausdruck85. Die Urbs �entvölkert", die Herrin

    �niedergebeugt vom Schutt der Ruinen"; �die

    Schwungfedern ausgefallen", ohne Hoffnung auf Er- neuerung. Doch: �Wer

    Gott liebt, soll über der Welt Ende jauchzen'86. Wie sollte da der Mythos der Ewigkeit bestehen?

    �Du warst allzu schön", seufzte nostal- gisch im 10. Jahrhundert ein Dichter; auch das klang fort87. Die Christen plün- derten die antiken Monumente und ließen die Zentren der heidnischen Stadt allmählich verfallen; sie entfernten Säulen, Kapitelle, den Marmor nicht bloß,

    um ihre Kirchen zu schmücken, sondern um sie zu Kalk zu zermahlen und zu brennenSB. Keine vom Mythos implantierte Scheu wehrte ihnen mehr. Das Templum Urbis war bald nicht mehr tabu. Seine Bleiziegel dienten bereits im 7. Jahrhundert dazu, das Dach St. Peters zu decken; dann lehnte sich S. Maria Nova (S. Francesca Romana) an den Kultort der alten Stadtgöttin an. Das war Renovation im wörtlichsten Sinn; statt Venus und Roma: Maria. Für die Urbs

    war es die wirkliche Scheide zwischen Antike und Frühmittelalter.

    85) Homilia in Ezech. 11,6, M1GNE PL 76, Sp. 998-1012, bes. Sp. 1010 = ed. Marcus ADRIAEN (CSEL 142) S. 295-313 (S. 310-311); GREGOROVIUS, Rom 1 (wie Anm. 73) S. 254 und S. 257 ff.; Michael SEmIIIAYER, Rom und Romgedanke im Mittelalter, Saeculum 7 (1956) S. 395-412; Walther REHM, Europäische Romdichtung (21960) S. 35-37.

    86) Das letzte Zitat aus Homilia in evang. I, 1, MIGNE PL 76, Sp. 1079B. 87) Benedikt vom Monte Soratte, Chronicon, ed. Giuseppe ZuccHErn (Fonti per la storia

    d'Italia 55,1920) S. 186; vgL SE tDLhtAYER, Rom und Romgedanke (wie Anm. 85) S. 397 f. 88) Michael GREENHALGH, The Survival of Roman Antiquities in the Middle Ages (1989);

    dazu: Arnold ESCH.. Nachleben der Antike und Bevölkerungsvermehrung. QFIAB 70 (1990) S. 556-572; vgL auch Richard KRAU1HEIMER, SL Peter's and Medieval Rome (1985); Lucille DE LACHENAL, Spolia. Uso e reimpiego dell'antico dal III al XIV secolo (1995).

  • 30 Johannes Fried

    Das 7. Jahrhundert, das in Italien die Langobarden beherrschten, bemächtigte sich vollends der bislang gemiedenen Tempel und Traditionsräume des Hei- dentums und vollendete die liturgische Durchdringung der Stadt durch das dichte Netz der Stationskirchen, Kollekten, Prozessionen, liturgischen Feiern im Festkreis des Jahres; auch der Disabitato blieb nicht ausgespart. Es war die Zeit der Ordines Romani89, der ersten Wunderbilder, jener Lukas-Madonna der S. Maria Rotonda, jener Salus Populi Romani in S. Maria Maggiore oder jener �un- gemalteri" Christusikone der �Santa Sanctorum"90. Die sieben kirchlichen Regi- onen der Stadt wurden für den päpstlichen Hebdomadardienst herangezogen91. Der Lateranpalast sah sich zur Residenz des Papstes gemacht92. Die �ewige Stadt" wurde byzantinische Provinz; allein die in den Bildern erinnerte Gegenwart des Heils und der Mythos bewahrten sie vor völliger Verprovinzia- lisierung. Sie aber artikulierten sich jetzt vornehmlich in der Liturgie.

    Hingewiesen sei allein auf die Prozession zu Mariae Himmelfahrt, quando tabula portatur, das Christusbild der �Sancta Sanctorum" nämlich. Sie

    dürfte um 700 oder kurz zuvor eingeführt worden sein. Die Prozession begann beim Lateran, strebte dem Forum zu, während die Ikone auf den Stufen von S. Maria Nova abgesetzt wurde, beim alten Venus und Roma-Tempel, um ihr - so jeden- falls im 12. Jahrhundert - die Füße zu waschen, wobei das Volk auf die Knie sank; weiter wurde sie nach S. Adriano getragen, wo, bei der einstigen Senats- kurie, wiederum die eigentliche Collecta erfolgte, um sie von dort zur S. Maria Maggiore zu geleiten, in ihrem Beisein die Messe zu zelebrieren und das Bildnis endlich zurück in den Lateran