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AUSCHWITZ Die Geschichte des Vernichtungslagers Susanne Willems Text Frank und Fritz Schumann Fotos

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A U S C H W I T Z Die Geschichte des Vernichtungslagers

Susanne Willems Text Frank und Fritz Schumann Fotos

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Susanne Willems (Text): Jahrgang 1959, studierte Rechts-

und Geschichtswissenschaften in Freiburg und Bochum,

war Lehrbeauftragte an der Ruhr-Universität Bochum

und Leiterin der Informations- und Beratungsstelle für

NS-Verfolgte in Köln. Sie gehörte dem Vorstand der

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und der Stiftung für

die Internationale Jugendbegegnungsstätte Auschwitz

an und ist seit 2011 Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für

deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Hum-

boldt-Universität zu Berlin. Die Republik Polen ehrte sie

2005 mit dem Kavalierskreuz.

Frank Schumann (Fotos): Jahrgang 1951, absolvierte eine

Lehre als Spezialglasfacharbeiter, fuhr drei Jahre zur See

und studierte Journalistik an der Leipziger Universität.

Danach arbeitete er bei einer überregionalen Tageszei-

tung in Berlin, bis er 1991 den Verlag edition ost gründete.

Seither ist er als Verleger und Publizist tätig.

Fritz Schumann (Fotos): Jahrgang 1987, studiert seit 2011

an der Hochschule Hannover Fotojournalismus & Doku-

mentarfotografie. Er bereiste wiederholt Japan, 2013/14

absolvierte er ein Austauschsemester in Hiroshima.

Darüber publizierte er »No more Hiroshima« (edition ost,

2010), »Fukushima? War da mal was« (edition ost, 2012) und »Japan151«, (Conbook, 2013). Die Deutsche Presse-

agentur zeichnete ihn mit dem 1. Preis beim »dpa news

talent 2014« aus.

Ergänzungsfotos: Archiv Museum Auschwitz-Birkenau:

Seiten 13, 22, 56, 58, 59, 68, 69, 74, 78, 97, 128, 134, 135,

136, 137, 178, 192, 193, 194, 206, 218;

Bundesarchiv Berlin: Seite 215, 221;

Gabriele Senft: Seiten 1 – 6, 201

Danksagung: Verlag und Autorin danken für die freund-

liche Unterstützung insbesondere den früheren und heu-

tigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Staatlichen

Museum Auschwitz-Birkenau, dem Militärischen Archiv

in Prag und der Internationalen Jugendbegegnungsstätte

in Oswiecim.

Die Stadt Reinheim hat die Forschungsarbeit der Autorin

mit dem Robert-Goldmann-Stipendium gefördert.

ISBN 978-3-360-01866-3

© 2015 edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin

Konzept und Gestaltung: Buchgut, Berlin

Druck und Bindung: Salzland Druck, Staßfurt

Die Bücher der edition ost erscheinen in der

Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

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AUSCHWITZ 12 DIE ENTSTEHUNG DES LAGERS 20

DAS INTERESSENGEBIET 58 DIE INDUSTRIEANSIEDLUNG 68

ARBEIT UND VERNICHTUNG IM STAMMLAGER 90 MASSENVERNICHTUNG IM STAMMLAGER 104

DIE MASSENDEPORTATION 140EUROPÄISCHER JUDEN NACH AUSCHWITZ

DAS FRAUENLAGER 174

DIE ORGANISATION DER VERNICHTUNG 206DURCH ARBEIT

S INTI UND ROMA IN AUSCHWITZ-BIRKENAU 214

DIE BEFREIUNG 230 DAS MUSEUM AUSCHWITZ-BIRKENAU 236

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DIE ANFÄNGE DES STAMMLAGERS 32 DER AUFBAU DES STAMMLAGERS 48

DIE I . G . AUSCHWITZ 78 DER AUSBAU DES STAMMLAGERS 82

DAS LAGER DER SOWJETISCHEN 122KRIEGSGEFANGENEN IM STAMMLAGER

DER AUFBAU DES LAGERS IN B IRKENAU 134

VERELENDUNG UND MASSENVERNICHTUNG 192IN AUSCHWITZ-BIRKENAU

DER AUSBAU VON BIRKENAU 200

MASSENVERNICHTUNG UND SKLAVENHALTUNG 220 KONSPIRATION UND REVOLTE 224

ZEITTAFEL 244 ANMERKUNGEN 251

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Den Tag der Befreiung des Lagers Auschwitz haben die Vereinten Nationen zum Interna-tionalen Gedenktag erklärt und der Erinne-rung an die Opfer des Holocaust gewidmet.1

An jenem 27. Januar 1945 erreichten die sowjetischen Truppen der 1. Ukrainischen Front das Terrain des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Mehr als 7.000 Gefangene, unter ihnen mehrere hun-dert Kinder, verdanken ihre Rettung der vorgezogenen Offensive der Roten Armee, die das oberschlesische Industrierevier von der deutschen Kriegswirtschaft ab-schnitt. In den Kämpfen um die Befreiung der Stadt Oświęcim verloren 231 Rotar-misten ihr Leben, 66 fielen auf Auschwitzer Lagergelände. _ Bei der Räumung der Auschwitzer Lager

hatte die SS die marschunfähigen Gefan-genen zurückgelassen. Nach dem Abzug der SS-Wachposten blieben sie von pa-trouillierender SS und von marodierender Wehrmacht bedroht. Und es trafen Spezial-kommandos der SS ein, die Gefangene ko-lonnenweise aus den Lagern zur Exekution führten. Diesen systematischen Massakern fielen noch 700 Menschen zum Opfer. Erst am 25. Januar gaben die Mordkommandos auf, um sich eilends nach Westen abzusetzen. Nachdem die SS große Teile der Lagerakten vernichtet und mehrere Magazinbaracken mit der den Deportierten geraubten Habe in Brand gesetzt hatte, sprengte sie in der Nacht zum 26. Januar auch das letzte funk-tionsfähige Krematorium in Birkenau.

AUSCHWITZ

_ »Unseren Augen bot sich ein schreckli-ches Bild: eine riesige Anzahl von Baracken […] auf den Pritschen lagen Menschen […] Skelette schon, mit Haut überzogen und abwesendem Blick. Es war schwer, sie ins Leben zurückzuholen«, erinnerte sich Jahr-zehnte später Alexander Woronzow, einer der Rotarmisten, die die Befreiung des La-gers filmisch dokumentierten.2 Etwa 600 Leichen wurden auf dem Lagergelände geborgen; mehr als zweihundert der aus-gezehrten Menschen verstarben in den Tagen nach der Befreiung. Tage und Wo-chen dauerte die Verlegung der von Hunger,

Krankheit, Frost und Erschöpfung gezeich-neten Menschen aus den Barackenlagern von Birkenau und Monowitz in die im eins-tigen Stammlager Auschwitz hergerichteten Krankenstationen. Wochen und Monate be-durften Überlebende der Obhut von Ärzten, Pflegern und freiwilligen Helfern aus den Reihen des sowjetischen Militärs, des Pol-nischen Roten Kreuzes und der befreiten Mitgefangenen. _ Etwa 58.000 Gefangene hatte die SS am

18. Januar 1945 aus den drei Auschwitzer Lagern und deren entfernteren Außen-lagern auf die Todesmärsche getrieben.

Ausschnitt aus dem Operationsplan der

1. Ukrainischen Front zur Befreiung von

Oswiecim. Rechts oben: Erste Bilder aus dem

Stammlager mit befreiten Häftlingskindern

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Unterwegs liquidierte sie 9.000, möglicher-weise 15.000 der Geschundenen, wenn diese das Tempo nicht halten konnten oder zu fliehen versuchten. Etwa 40.000 Überle-bende erreichten die Lager von Groß-Rosen, Buchenwald, Mittelbau-Dora, Mauthausen, Ravensbrück, Sachsenhausen, Dachau, Flos-senbürg, Neuengamme, Bergen-Belsen und Theresienstadt und waren dort weiterhin dem Mordregime der SS ausgesetzt. Etwa 130.000 Auschwitzer Gefangene hatte die SS bereits im Laufe des Jahrs 1944 aus dem Stammlager und aus Birkenau zur Sklaven-arbeit in andere Konzentrationslager und deren Außenlager abgegeben. _ Von Mai 1940 bis Januar 1945 de-

portierten deutsche Behörden und Besat-zungsorgane 1,3 Millionen Menschen nach Auschwitz. Diese Mindestzahl ließ sich erst nach Jahrzehnten der historischen For-schung Anfang der 1990er Jahre rekon s-truieren und belegen.3

_ Nach Auschwitz deportiert wurden 137.000 seit Kriegsbeginn verhaftete Polen, 300.000 polnische Juden und zuletzt 13.000 polnische Zivilisten jeden Alters, die die SS ab August 1944 aus dem aufständi-schen Warschau in die Konzentrationslager verschleppte. _ Annähernd 25.000 nichtpolnische Gefan-

gene aus allen europäischen Ländern wurden wegen ihres Widerstands oder wegen des Partisanenkampfs im deutschen Machtbe-reich nach Auschwitz deportiert, darunter mehr als 5.000 belorussische Männer, Frauen und Kinder. _ Auschwitz war eine der Stätten des Völ-

kermords an den rassistisch verfolgten Sinti und Roma, von denen 23.000, die meisten aus Deutschland und Österreich, nach Auschwitz deportiert wurden. _ Von den 15.000 sowjetischen Kriegsge-

fangenen in Auschwitz, die die Wehrmacht ab Juli 1941 der SS auslieferte, gehörten 1.500 am 2. und 16. September 1941 zu den frühesten Opfern der Massentötung durch das Giftgas Zyklon B.

_ Ab März 1942 ließ die SS Juden zu Hunderten, Tausenden, Zehntausenden und Hunderttausenden aus dem deut-schen Machtbereich nach Auschwitz depor-tieren, insgesamt etwa 1,1 Millionen Men-schen, unter ihnen wahrscheinlich 216.000 Kinder und Jugendliche. Sie stammten aus der Tschechoslowakei, Frankreich, Polen, Holland, Belgien, Jugoslawien, Österreich, Deutschland, Norwegen, Griechenland, Ita-lien und Ungarn. _ Diejenigen, die die Befreiung Europas

von Faschismus und Krieg im Mai 1945 er-lebten, haben als Zeugen der Verbrechen die Erinnerung an Auschwitz in aller Welt verbreitet. _ Oświęcim, die 1939 etwa 14.000, mehr-

heitlich jüdische Einwohner zählende Klein-stadt, hatten die Deutschen wie in öster-reichischer Zeit in Auschwitz umbenannt und korrupten deutschen Amtskommissaren und Bürgermeistern unterstellt. Geschäf-temacher aus Deutschland und aus Osteu-ropa umgesiedelte Deutsche übernahmen die großen und kleinen Unternehmen der Bürger Oświęcims. Die deutsche Herrschaft beendete in der Geschichte der Stadt die Zeit gelungener religiöser Koexistenz in Oświęcim und die in Jahrzehnten des poli-tischen und sozialen Pluralismus gewach-sene Gemeinsamkeit der katholischen und jüdischen Bevölkerung in der kommunalen Selbstverwaltung. In fast fünfeinhalb Jahren der Okkupation überzogen Deutsche die Stadt und deren dörfliche Umgebung mit gigantischen Industrieansiedlungen und landwirtschaftlichen Versuchsgütern. Wo zuvor die Menschen von der Arbeit in we-nigen Fabriken, dem Handel und von ihren

Landwirtschaften gelebt hatten, platzierten sich deutsche Industriebetriebe, für deren Bedarf deutsche Behörden die einheimi-schen Polen und ein Heer von Zwangsarbei-tern, Kriegsgefangenen und Sklavenarbei-tern aus ganz Europa herbeischafften. Die Gesamtzahl übertraf im Sommer 1944 die einstige städtische Bevölkerungszahl um ein Zehnfaches. _ Ab 1942 baute die SS das Lager Au-

schwitz so aus, dass Vernichtungsstätte und Konzentrationslager kombiniert wurden. Wie Chełmno, Bełżec, Sobibór und Treblinka war Auschwitz einer der Orte des Völker-mords an den europäischen Juden. Von den annähernd sechs Millionen unter deutscher Herrschaft ermordeten europäischen Juden ist mindestens eine Million in Auschwitz umgekommen: Fast 900.000 Deportierte wurden als nicht zum Arbeitseinsatz taug-lich sofort in den Gaskammern vernichtet. Wer die Selektion in Auschwitz zunächst überlebte, teilte das Los der Feinde der deut-schen Okkupation, Männer, Frauen und Jugendlichen, die die Nazis aus ganz Europa in die Konzentrationslager verschleppten: den Rest ihres Lebens unter unsäglichen Bedingungen als Arbeitssklaven für die deut-sche Kriegswirtschaft zu fristen.

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betriebene Expansion des Lagers machte Auschwitz nach der Zahl der deportierten, ermordeten, gefangenen und abermals in andere KZ transferierten Menschen zum größten der nationalsozia listischen Kon-zentrations- und Vernichtungslager. Das ungeheuerliche Geschehen von Auschwitz haben Nachgeborene immer wieder von Neuem an dem von ihnen begehbaren Ort und durch die an einem Menschen verübten Verbrechen zu begreifen versucht.

solche ersetzt, die per Bahn im Lager neu angekommen waren. Es war ein genau ausgearbeitetes System, ein schreckli-ches laufendes Band des Todes. Die einen wurden umgebracht, um durch andere er-setzt zu werden, die dann an der Reihe waren, durch rücksichtslose Ausbeutung zu Krankheit und Erschöpfung gebracht zu werden und dann schickte man sie wie die anderen in die Gaskammern.« 4

_ Die Entwicklung des Lagers Auschwitz von einem Ort der Internierung, Folter und Vernichtung polnischer politischer Ge-fangener zu einem Ort der Versklavung und Vernichtung sowjetischer Kriegsge-fangener, der Sinti und Roma und einer Million Juden war bei der Errichtung des Konzentrationslagers im Mai 1940 nicht geplant. Die SS orientierte ihre Entschei-dungen über die Funktion und den Ausbau dieses Lager in den folgenden Jahren nicht nur an den eigenen politischen und ökono-mischen Optionen, sondern auch an den Interessen ihrer mächtigen Partner: zu-erst der I. G. Farbenindustrie AG, dann der Wehrmacht und schließlich des Rüstungs-ministeriums. Die von der SS Hand in Hand mit Interessenten aus Staat und Wirtschaft

_ Zwischen Juni 1940 und Januar 1945 re-gistrierte die SS in Auschwitz 400.000 Men-schen als Gefangene, fast 270.000 Männer und seit März 1942 mehr als 130.000 Frauen. In den Auschwitzer Lagern wurden etwa 200.000 der registrierten Gefangenen syste-matisch vernichtet. Mindestens 1,1 Millionen Menschen sind in dem deutschen Konzen-trations- und Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden. _ Die sowjetische Kommission, die ge-

meinsam mit polnischen Experten und Überlebenden des Lagers unmittelbar nach der Befreiung die in Auschwitz be-gangenen Verbrechen dokumentierte, be-richtete dem Internationalen Militärge-richtshof in Nürnberg, dass die Lager von Auschwitz dazu bestimmt waren, dau-ernd etwa 200.000 Menschen gefangen zu halten, um diese durch in höchstem Maße entkräftende Zwangsarbeit auszubeuten. »Die Menschen, die diese Arbeiten ver-richten mussten, wurden in einen Zustand völliger Erschöpfung gebracht und dann als nutzlos umgebracht. Jede Woche trafen deutsche Ärzte eine ›Auswahl‹, als deren Ergebnis alle Kranken in den Gaskammern umgebracht wurden. Diese wurden durch

Die Kamera, mit der die Aufnahmen nach der

Befreiung von Auschwitz-Birkenau gedreht

wurden. Sie ist in der russischen Länder-

ausstellung zu sehen. Film und Fotos werden

dort ebenfalls gezeigt. Im Stammlager gibt

es acht nationale Expositionen, ein Block ist

den Sinti und Roma gewidmet

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Oswiecim ist über 800 Jahre alt. Fünf Jahre deutsche Besatzung machten Auschwiz – gleich Hiroshima oder Verdun – zum Namen für Massenmord und Menschenvernichtung. Die über 40.000 Einwohner zählende Stadt trägt ein modernes europäisches Gewand; doch die Mensch leben auch außerhalb der Museumsstätten mit den Spuren der Naziherrschaft

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Die Villa von Lagerkommandant Rudolf Höß an der Mauer zum Stammlager, heute wieder privates Wohnhaus

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Hier, am Damm der Soła, standen Baracken, in denen das Leder aus dem Lager – Schuhe, Koffer, Mäntel – verwertet wurde

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Barackenreste auf Stadtbrachen und in Gärten

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stehenden Truppen. Die polnische Armee kapitulierte nicht gegenüber den deutschen Invasoren. Allein deshalb war die Errich-tung des deutschen Okkupationsregimes einschließlich der Annexion von Teilen des polnischen Staatsgebiets – wie per se der An-griffskrieg – völkerrechtswidrig. Entgegen der damaligen Behauptung des Auswär-tigen Amts existierte der polnische Staat fort, seine Regierung handelte im Exil, wo sich auch die polnische Armee neu formierte, und im Widerstand gegen die Besatzungs-macht nahmen Menschen aus allen Kreisen der polnischen Bevölkerung den Kampf um die Befreiung ihres Landes auf. Der Krieg, den Deutschland seit dem 1. September 1939 gegen Polen führte, endete erst mit der be-dingungslosen Kapitulation des deutschen Militärs am 8. Mai 1945. _ Die deutschen Invasoren überzogen das

Land mit beispiellosem Terror: Die Luftwaffe zerbombte insgesamt 159 Städte und Ort-schaften, sie bombardierte Flüchtlingstrecks, und das Heer setzte 55 Städte und 476 Dörfer in Brand. Die Zahl der durch diese Kriegfüh-rung im September 1939 umgekommenen

Wehrmacht erobert. In Oświęcim waren am ersten und zweiten Tag des Kriegs die Ka-serne in Zasole, der Bahnhof, die Altstadt mit einer Schule und dem Gymnasium Ziele des Bombardements und des Gewehrfeuers aus der Luft; mehrere Soldaten, ein Eisenbahner, zwei ältere Frauen und ein Junge wurden getötet, ein Mädchen wurde schwer verletzt. In Panik machten sich die Bewohner auf die Flucht; die Evakuierung der Stadt begann. Am 3. September verteidigten Einheiten der polnischen Armee die Stadt westlich der Soła bei Rajsko, auf dem Rückzug sprengten sie die Brücke zur Altstadt, etwa hundert Polen waren gefallen. Die Wehrmacht eta-blierte sich in Oświęcim, trieb alle Juden auf dem Marktplatz zusammen, ermordete acht Bürger, und nahm Geistliche und ka-tholische Stadträte in Geiselhaft. Bis Mo-natsende verteidigten die polnische Armee und die Warschauer Bevölkerung ihre vom 4. bis 6. bombardierte und seit dem 9. Sep-tember belagerte Hauptstadt. _ Die Kampfhandlungen beendete das

polnische Militär durch die jeweilige Über-gabe seiner in militärisch aussichtsloser Lage

Die Errichtung des KZ Auschwitz war eine Folge des im April 1939 beschlossenen An-griffskriegs gegen Polen. Dessen Entfesse-lung, urteilten die Richter im Nürnberger Prozess, sei das schwerste internationale Verbrechen, das im Unterschied zu den an-deren Kriegsverbrechen das akkumulierte Übel all jener in sich trägt.5 Als Kriegsan-lass dienten angeblich von Polen ausgehende, tatsächlich von deutscher Seite inszenierte Anschläge auf deutsche Personen und Ein-richtungen im Grenzbereich. Am 22. August 1939 hatte Hitler den Oberbefehlshabern der Wehrmacht angekündigt, er werde »den propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaub-haft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht. Bei Beginn und Führung des Krieges kommt es nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg.«6

_ Am 1. September 1939, es sollte in Polen der erste Schultag sein, flog die deutsche Luftwaffe Bombenangriffe gegen 64 pol-nische Städte und Ortschaften, in wenigen Tagen waren weite Teile des Landes von der

DIE ENTSTEHUNG DES LAGERS

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Recht galt in den annektierten Gebieten allerdings nur, soweit dieses ausdrücklich eingeführt wurde. Und die zunächst nur Danzig und das polnische Oberschlesien ein-beziehende, ansonsten weiterhin entlang der bisherigen Reichsgrenze beibehaltene Poli-zeigrenze verhinderte, dass Deutsche sich unkontrolliert in die annektierten Gebiete begaben und Polen sich illegal im Gebiet des sogenannten Altreichs aufhielten. Geschlos-sene Grenzen hatte auch das übrige, nicht in das Deutsche Reich eingegliederte Ok-kupationsgebiet, das als sogenanntes Gene-ralgouvernement deutscher Verwaltung un-terstand. Eingeteilt in die Distrikte Krakau, Radom, Lublin und Warschau, hatte es die Funktion eines Polen-Reservats, in dem die ansässige und die aus den annektierten Ge-bieten abzuschiebende polnische und jüdi-sche Bevölkerung verelenden sollte.

deutschen, russischen und österreichischen Monarchien befreiten polnischen Republik. Den Kommandeuren seiner Einsatzgruppen sagte RSHA-Chef Reinhard Heydrich im Sep-tember 1939 die Übernahme von 20.000 zu Verhaftenden in die Konzentrationslager im Reichsgebiet zu, und zwar der politisch füh-renden Vertreter des polnischen Volks aus den zur Annexion vorgesehenen Gebieten Polens. Andere Träger und einflussreiche Vermittler polnischer Kultur und nationalen Bewusstseins – namentlich Lehrer, Geist-liche, Gutsbesitzer und Offiziere – waren zu-nächst in provisorischen Lagern im künftigen Grenzgebiet zu konzentrieren, um dann in das übrige Okkupationsgebiet abgeschoben zu werden. _ Die Entscheidung für die Errichtung des

KZ Auschwitz fiel erst, nachdem am 26. Ok-tober 1939 die deutschen Verwaltungen eta-bliert waren, welche das besetzte polnische Staatsgebiet den wirtschaftlichen deutschen Kriegszielen entsprechend zergliederten: Die als neue Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland und als Erweiterungen der Provinzen Ostpreußen und Schlesien annek-tierten Gebiete waren die landwirtschaftlich und industriell höchstentwickelten Gebiete Polens und sollten germanisiert werden. Die Reichsgrenze wurde nach Osten verschoben, die polnische Währung außer Kraft gesetzt und im dadurch erweiterten deutschen Bin-nenmarkt Zollfreiheit hergestellt. Deutsches

Zivilisten scheint nie ermittelt worden zu sein. Die Verluste des polnischen Militärs werden mit 70.000 toten und 133.000 ver-wundeten Soldaten beziffert. Zur polnischen Erfahrung terroristischer deutscher Herr-schaft gehören neben willkürlichen Ver-haftungen und Geiselmorden auch die vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zum pro-pagandistischen Nachweis angeblich polni-schen Terrors gegen Deutsche gesteuerte Diversantentätigkeit und die Morde des im September von einheimischen Deutschen gebildeten Selbstschutzes. Insgesamt mas-sakrierten Deutsche zu Beginn des Kriegs etwa 50.000 Polen.7 _ Die deutsche Regierung führte den Krieg

gegen Polen mit dem Ziel, den polnischen Staat zu vernichten, um sich den wirtschaft-lichen Reichtum des Landes und die Arbeits-kraft der polnischen Bevölkerung dauerhaft anzueignen. Deshalb plante sie die Ausrot-tung der politischen, intellektuellen und geistlichen Führungsschicht des polnischen Volks. Bei Verhaftungsaktionen griffen die deutschen Polizeiorgane auf vorgefertigte Listen zurück, darunter ein vor Kriegsbe-ginn in Berlin erstelltes Sonderfahndungs-buch mit den Namen von 61.000 Polen. Zu den Gesuchten zählten auch die früheren Aktivisten der schlesischen Aufstände, des Kampfes um die Zugehörigkeit des oberschle-sischen Industriereviers zu der am 11. No-vember 1918 aus der Fremdherrschaft der

Die Brücke über die Soła. Zwischen Schloss

und Kirche Mariä Himmelfahrt befi ndet sich

die Chevra Lomdei Mischnayot Synagoge,

die einzige, die die Nazibesatzung überstand.

Links: Auf dem Markt in der Altstadt erinnern

Fotos an die Zeit vor dem Krieg

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