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SWR2 MANUSKRIPT
SWR2 Musikstunde
„Claudio Monteverdi! Zum 450. Geburtstag!“
„Die letzten Leidenschaften“
Mit Sabine Weber
Sendung: 19. Mai 2017
Redaktion: Dr. Bettina Winkler
Produktion: SWR 2017
Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de
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SWR2 Musikstunde mit Sabine Weber 15. Mai – 19. Mai 2017
MONTEVERDI 5
Die letzten Leidenschaften
Ich bin Sabine Weber. Herzlich Willkommen zu unserer letzten Monteverdi-Folge – Il
Divino Claudio – Teil 5!
Titelmusik kurz (10.sec)
MODERATION
Sie haben diese Woche Einblicke in Claudio Monteverdis Frühwerk bekommen,
einen Blick auf sein Laboratorium der Madrigale geworfen, die Geburt seiner
Mantuaner Frühopern miterlebt und den Kirchenkomponisten kennen gelernt. Heute
erleben Sie den Vollender und dennoch Fortschrittlichen in seinem Spätwerk. Das
Madrigal hat sich aufgelöst in Bühnentheatralische Szenen. Wir hören heute den
Combattimento di Tanredi e Clorinda, eine einzigartig dramatische Erzähl-Szene aus
seinem letzten Madrigalbuch. Sie gilt als Brücke zu Monteverdis letzten
Opernschöpfungen. Zu Ritorno d'Ulisse in Patria und der Sex and crime-Oper
L'Incoronazione di Poppea.
Und wir beginnen mit dieser letzten, und der vielleicht amoralischsten Oper der
Frühgeschichte. Ihre Handlung ist geradezu unerhört: die machtgeile Kurtisane
Poppea setzt rücksichtslos auf ihre Reize, um Kaiserin in Rom zu werden. Und wenn
ihre Amme Arnalta warnt: vor dem unberechenbaren Verhalten der Despoten, denen
Liebe eine allenfalls höfische Spielart ist; oder vor Nero, der sie umbringen wird,
wenn er sie leid ist! … die Warnungen verhallen. Poppea liefert immer dieselbe
Entgegnung! Sie habe Roms Kaiser gewonnen! Denn Amor und Fortuna kämpften
für Sie!
die erste komische Travestierolle der Operngeschichte.
Aber erst einmal ist Poppea berauscht von ihrer Macht!
3
Musik 5.1
Speranza tu mi vai
Capella Mediterranea
ALPHA 249
6'50
Speranza tu mi vai, aus dem 1. Akt L'Incoronazione di Poppea von Claudio
Monteverdi. Poppea und ihre Amme Arnaltra – eine Tenor-Partie - lieferten sich
einen Schlagabtausch. Und wie plastisch und nachvollziehbar macht Monteverdi die
Auseinandersetzung! Zwischen besorgter Amme, auch wenn sie mit der männlichen
Besetzung eine komische Note hat, aber wir nehmen ihr die Besorgnis ab. Und auf
der anderen Seite die siegesgewisse Poppea, die sich frech auf der Höhe ihrer
Macht fühlt.
Mit diesem Duett eröffnet die Capella Mediterranea ihre neu-erschienene
Monteverdi-CD. Mit Francesca Aspromonte als Poppea und Emiliano Gonzalez-Toro
als Amme. Zum 450. Geburtstag Claudio Monteverdis gratuliert das französische
Ensemble unter der Leitung seines argentinischen Leiters und Gründers Leonardo
García Alarcón auf spezielle Art und Weise. „Monteverdis gesamtes Schaffen sei ein
Laboratorium für die Darstellung der menschlichen Leidenschaften. Und...“, so
García Alarcón, „vom Nachdenken über die menschliche Eitelkeit durchzogen.“
Szenen aus Monteverdis drei erhaltenen Opern und eine Auswahl von Madrigalen
ordnet er also nach den Todsünden. Naja... und nach ein paar scheinbaren
Tugenden.
Mit Anfang 70 kehrt ein alter Mann noch einmal auf die Opernbühne zurück.
Inzwischen ist Monteverdi ein hochgeschätzter Kirchenmusiker. Ein Komponist in
Amt mit Würden. Monteverdi ist Kapellmeister von San Marco in Venedig. Und im
Jahr 1631 ist er sogar in den geistlichen Stand gewechselt und hat sich zum Priester
weihen lassen. Keiner seiner rund 130 erhaltenen Briefe gibt Auskunft, warum. Seine
letzten großen Werke entstehen jedenfalls nicht für die Kirche, sondern für die ersten
öffentlichen Opernhäuser Venedigs!
4
Im Teatro San Cassiano feiert Monteverdi die Gattenliebe. Mit Ritorno d'Ulisse in
Patria. Er greift die Geschichte der ewig auf Odysseus wartenden Penelope auf. Und
wieder ist er ein Neuerer. Er führt die erste komische Bufforolle in die
Operngeschichte ein. Zwei Jahre später in seinem Todesjahr 1643 geht
L'Incoronazione di Poppea über die Bühne von SS Giovanni e Paolo. Mit dem
unmoralischsten Kaiser der römischen Geschichte im Fokus. Nero und Poppea
verfolgen machtgeil ihre Interessen und leben exzessiv ihre Liebe aus. Erotik
knistert. Rücksichtslos werden Gegenspieler aus dem Weg geräumt. Sichtlich
geschockt stottert die verstoßene Kaiserin Ottavia ihr „Addio Roma“ im Finale.
Musik 5.2
Addio Roma
La Venexiana
GLOSSA GCD 920916
1'00
Xenia Meijer als rechtmäßige aber verstoßene Kaiserin Ottavia stöhnt – in einer
Aufnahme von L'Incoronazione die Poppea mit La Venexiana unter Claudio Cavina.
Übrigens können Sie nächsten Sonntag im Abendkonzert ab 20.03 Uhr eine
Gesamtaufnahme mit La Venexiana hören. Aufgenommen bei den Schwetzinger
SWR Festspielen, die dieses Jahr einen Monteverdi-Schwerpunkt gesetzt haben...
Das Unerhörte an dieser Sex and Crime Story ist, dass die Rücksichtslosigkeit ihr
Spiel auch noch mit liebreizenden Tönen gewinnt!
Nero und Poppea feiern ihre Liebe und natürlich die Krönung der neuen Kaiserin in
einem betörenden Schlussduett.
Musik 5.3
Pur ti miro
L'Arpeggiata
VIRGIN CLASSICS 5099923 61400
4'11
5
Pur ti miro, das Schluss-Duett aus L'Incoronazione di Poppea. Nuria Rial und
Philippe Jaroussky feiern die Liebe und ihren Triumph.
Die Echtheit dieses Schlussduetts ist angezweifelt worden. Es gibt zwei überlieferte
Poppea-Fassungen, eine neapolitanische und eine venezianische. Das Problem der
angedeuteten Instrumentierung, lässt sich schnell mit der Praxis der damaligen noch
kleinen Opernorchester erklären. Die ersten auf Streicher ausgerichteten
Opernorchester agierten flexibel und wussten, wie welche Stimme zu ergänzen
wären. Auch ein Jean Baptiste Lully hat noch viel später in Frankreich in der Regel
seine Opernpartituren nur mit ausgeführter oberster und unterster Stimme
hinterlassen.
Sollte dieses Schlussduett doch Monteverdis Schüler Francesco Cavalli komponiert
haben, Monteverdi ist dennoch mit seinem letzten Opernwerk einmal mehr ein
revolutionärer Neuerer. Die Götter und Mythenwelt hat er ad acta gelegt und
Menschen und Charaktere auf die Bühne zitiert. Seine Poppea ist das erste
Historien- oder Charakter-Drama der Operngeschichte!
Und auch hierin ist Monteverdi ganz konsequent wieder sein eigener Vollender.
Denn bereits seine ersten mythologischen Opern-Protagonisten hat er als Menschen
behandelt. „Arianna erschütterte, weil sie eine Frau war und Orpheus bewegte, weil
er ein Mann war! Die Musik konnte sie selbst darstellen!“ so hat das Monteverdi in
einem berühmten Brief einmal erklärt. vom Dezember 1616 an Alessandro Striggio,
der um die Vertonung eines Librettos bitte, das Monteverdi nicht vertonen will...
Claudio Monteverdi, Briefe, Pieper Bereits in den für das höfische Mantua
komponierten Frühopern ist es Monteverdi um das elementare Urerlebnis des „Rein-
Menschlichen“ gegangen. Um eine Begriffskategorie von Richard Wagner fallen zu
lassen, den die Monteverdiforschung auch schon kühn „als letzten Schüler
Monteverdis bezeichnet hat!“ Hans Ferdinand Redlich, Der erste Opernkomponist...
Monteverdi hat jedenfalls auch die zweite Opernrevolution nicht verpasst. Die, die die
Oper aus den exklusiven Höfen in die ersten öffentlichen Opernhäuser trägt.
Und auch den ersten Buffo-Typen liefert Monteverdi der venezianischen Oper. Mit
seiner ungefähr zwei Jahre vor seiner Poppea aufgeführten Oper Il Ritorno d'Ulisse
in Patria.
Bei dem fresssüchtigen Typen namens Iro, den Sie gleich hören, könnte man fast an
Falstaff denken ...
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Musik 5.4
Capella Mediterranea
Pastor d'armenti può
ALPHA 249
2'13
„Großer Fresser, renn zum Esstisch“, ruft Mathias Vidal als Schweinehirt Eumete
dem Fesssack Iro, alias Emiliano Gonzalez-Toro zu. In der Buffo-Szene aus dem 2.
Akt Il Ritorno d'Ulisse in Patria von Claudio Monteverdi. Nachzuhören auf der CD I 7
Peccati Capitali, die die Capella Mediterranea unter Leonardo García Alarcón zum
450. Geburtstag Monteverdis herausgebracht hat. …
Alle theatralen Bühnenwerke Monteverdis zwischen den beiden späten Opern und
Monteverdis Frühoper Orfeo sind verloren. Von der Oper Arianna haben wir nur das
Lamento. Nur Titel von Bühnenwerken, die Monteverdi an den Höfen Mantuas und in
den Palästen Venedigs in der Zwischenzeit erprobt hat, sind bekannt. Beim Sacco di
Mantova 1630 ist die Gonzaga Bibliothek verbrannt. Habsburgische Truppen haben
nach dem Verlöschen der Gonzaga-Linie ihren Erbanspruch durch Eleonora
Gonzaga, jüngste Tochter Vincenzos, die mit Kaiser Ferdinand II verheiratet war,
aufs fürchterlichste für die Monteverdi-Sache durchgesetzt. Es gibt zwar die
Hoffnung, dass irgendwo in den Vatikanischen Bibliotheks-Katakomben vielleicht das
ein oder andere überlieferte Exemplar doch überlebt hat, ohne Deckblatt vielleicht
und daher nur schwer auffindbar. Aber wie Monteverdi diese neue Dramatik
entwickelt hat, wissen wir nicht.
Sein Madrigal-Laboratorium ist allerdings durchgängig besetzt. Und das beweist,
dass Monteverdi die Obsession, Affekte und Leidenschaft auszulösen, nie
aufgegeben und unbeirrbar immer weiter verfolgt hat. Die seconda pratica, das
Cantar rappresentativo, ist seine Wahrheit geblieben. Und dafür entwickelt er sogar
einen neuen Prototypen. Der findet sich im letzten Madrigalbuch von 1638. Der
Combattimento di Tancredi e Clorinda aus seinem 8. Buch Madrigali guerrieri ed
amorosi.
In der zweiten SWR2 Musikstunde haben wir eines der ersten Madrigale vorgestellt,
auf Verse Torquato Tassos aus dessen Epos Das befreites Jerusalem. Und Sie
erinnern sich vielleicht, der erregte Stil hat sich da schon Bahn gebrochen! Und die
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Szene von dem frühen Madrigal Là trà il sangue scheint dieselbe wie jetzt.
Monteverdi hat in seinem 3. Madrigalbuch die beiden Protagonisten nur namenlos in
den Kampf geschickt. Die Sarazenenkriegerin Clorinda und den Kreuzritter Tancredi.
Jetzt baut sie Monteverdi zu einer tragischen Geschichte aus, zu einem erregten,
fast 20 minütigen Vortrag mit Erzähler und Szenenanweisungen. Sie lieben sich,
treffen tragischer Weise in Rüstung unerkannt aufeinander, Tancredi bringt seine
Clorinda um, die sich im Sterben schnell noch taufen lässt, damit es ein
Wiedersehen im Paradies gibt. „Lieber Leser“, erklärt Monteverdi im Vorwort zu
diesem 8. Madrigalbuch, „ich habe erwogen, dass sich unsere Leidenschaften oder
Gemütsbewegungen in folgenden drei Grundaffekten ausdrücken: in Zorn, Mäßigung
und Demut oder Flehen, wie dies die besten Philosophen bestätigen. Und wie es die
Musik mit den drei Bezeichnungen concitato, molle und temperato deutlich macht.
Aber Ich kenne aus keiner früheren Kompositionen ein Beispiel für die erregte Art...“-
„concitato genere...“ so der originale Begriff, den Monteverdi hier prägt. Und was er
damit meint, entwickelt Monteverdi in seinem Combattimento. Laut
Szenenanweisung soll Tancredi sogar mit einem Steckenpferd herein reiten! Und
diese Art von Theater ist ernst gemeint. Sie dürfen sich das jetzt nicht wie
Neapolitanisches Straßentheater, sondern als noble Veranstaltung in einem
venezianischen Palast vorstellen. Ein Cuntastorie – ein singend-rezitierender
Erzähler - lässt spielen. Hinhören sollten Sie unbedingt auf das, was Monteverdi mit
der erregten Art meint. Instrumente sind natürlich beteiligt. Bei dieser Tonmalerei im
emotionalen Ausnahmezustand!
Musik 5.5
Combattimento di Tancredi e Clorinda
Concerto Vocale
HMC 901736.37
17'44
“Ich gehe in Frieden! Die letzten Worte der Clorinda. Und der Himmel hat sich mit
sanftem Streicherklang ihr geöffnet. So endet der Combattimento di Tancredi e
Clorinda von Claudio Monteverdi. Wir hörten Salomé Haller, als Clorinda, Kobie van
Rensburg als Tancredi, und Victor Torres als Testo, als Erzähler. Begleitet von
Concerto Vocale unter René Jacobs. Uraufgeführt wurde diese, sagen wir Szene mit
8
Erzähler, Monteverdi nennt sie ein opusculo in genere rapprestentativo - im
venezianischen Palazzo Mozzenigo 1624. Das erzählt Monteverdi im Vorwort zu
seinem 8. Madrigalbuch. Das illustre Publikum sei begeistert gewesen. Gerührt zu
Tränen. Und er, Monteverdi, ist froh, dass ihm die Darstellung des Zorns gelungen
sei, den er fortan weiter zu erforschen gedenke, für die Kirche wie die Kammer. Das
ist aufschlussreich. Monteverdi hat in Bezug auf seine seconda pratica keinen
Unterschied zwischen geistlicher und weltlicher Musik gemacht.
1638 hat Monteverdi sein achtes Madrigalbuch herausgegeben. Es ist das letzte, das
er veröffentlicht. Aber noch Jahrzehnte nach Monteverdis Tod veröffentlichen
Herausgeber Madrigale. Die kursierten wohl.
An einem 29. November 1643 stirbt Claudio Monteverdi in Venedig als ein
hochberühmter Komponist. Zwei Totenfeiern werden ihm zu Ehren gehalten. Die
erste hat das Ausmaß eines Staatsbegräbnisses. Bei der zweiten wird er in der
Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari beigesetzt. Die Grabplatte auf dem Boden
kann leicht übersehen werden. Bei einem Venedigbesuch letztes Jahr bin ich zufällig
in die Frari hinein und habe genauso zufällig auf der Platte gestanden und mich
unglaublich erschrocken bei der Vorstellung, dass unter meinen Füßen der große
Monteverdi ruht!
Bis zum Schluss ist er unerbittlich fortschrittlich geblieben. Den „Schöpfer der Neuen
Musik“ hat einer der ersten Monteverdi-Biografen Leo Schrade ihn betitelt. Und
dennoch ist er im Konzertbetrieb in Vergessenheit geraten. Mit seinen Madrigalen
hat er feine vokale Kunstformen für die Höfe entwickelt. Bereits mit den ersten
öffentlichen Konzertsälen wird aber auf große Dimensionen gesetzt. Orchestermusik!
Instrumentalmusik hat Monteverdi bis auf seine kleinen Operneinlagen nicht
komponiert. Und auch wenn Monteverdi mit seinen letzten Opern den Sprung in die
Öffentlichkeit mitvollzogen hat, im 18. Jahrhundert sind sie praktisch vergessen. Am
Beginn des 19. Jahrhunderts werden sie von Komponisten bearbeitet. Orfeo 1904
von Vincent d'Indy in Paris, und von Ottorino Respighi 1934 für Rom mit
unvorstellbarem Nachwagnerischem Bombast. Carl Orff hat den Orfeo sogar dreimal
bearbeitet. Luigi Dalla Piccola den Ulisse, Ernst Krenek die Poppea. Freilich waren
diese Aufführungen weit entfernt vom Original, wie Paul Hindemith anlässlich seines
„Orfeo-Rekonstruktionsversuches“ 1954 in Wien seinem Publikum erklärt.
9
Musik 5.6
Hindemith, Ansage
MUSIC&ARTS CD-1237
„Man hat die Oper zurecht gemacht für moderne Bedingungen, hat ein modernes
Orchester drunter gesetzt. Und hat um es krass auszudrücken die Oper verfälscht.
Wir wollen heute Abend versuchen, die Oper unter den ursprünglichen Bedingungen
aufzuführen. Natürlich haben die Sänger damals gesungen wie unsere Sänger auch.
Vielleicht stilistisch verschieden, aber Soprane waren immer Soprane und Bässe
immer Bässe. … Aber das Orchester war ein anderes Orchester. Hier die kleine
Orgel, vielleicht spielen Sie mal ein paar töne … (spielt)
Sie werden gleich hören, wie weit Paul Hindemiths Monteverdi-Experiment von
heutigen Klangergebnissen entfernt ist. Dennoch, Mitglieder der Wiener Sinfoniker
spielten auf teilweise eigenhändig nachgebauten historischen Instrumenten.
Hier das Apollo-Finale aus Orfeo ...
Musik 5.7
Ausschnitt aus Finale Orfeo
Wiener Sinfoniker
MUSIC&ARTS CD-1237
1'05
Gino Sinimberghi, Orfeo, und Waldemar Kmentt, als Apollo, in der Apotheose des
Apolls, aus dem Finale von Monteverdis Orfeo. Selbst für modern ausgebildete
Sänger nicht leicht, diese Monteverdische „Vor-Belcanto Virtuosität“! Begleitet haben
die Wiener Sinfoniker, die hier zum ersten Mal auf historischen Instrumenten einen
Originalklang versucht haben. Im Juni 1954 unter der Anleitung von Paul Hindemith.
Damit dürfte Hindemith ein Platz als Großvater der aufführungspraktischen
Monteverdi Renaissance sicher sein. Die Aufnahme ist unter schlechten
Bedingungen entstanden. Sie ist dennoch ein wertvolles Dokument. Denn zu hören
ist der Unterschied zum Standard der heutigen Aufführungspraxis. Diesbezüglich war
Hindemiths Rekonstruktion allerdings ein entscheidendes Moment. Im Orchester hat
ein junger Cellist namens Nikolaus Harnoncourt gesessen hat. Für ihn ist diese
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Hindemith-Aufführung eine Initialzündung gewesen. Sie habe ihn „wie ein Blitzschlag
getroffen“.
Als Harnoncourt mit Regisseur Jean-Pierre Ponnelle 30 Jahre später seinen
Monteverdi-Zyklus in Zürich herausbringt, hält die Musiktheaterwelt tatsächlich den
Atem an. Monteverdis Mantua ersteht auf der Bühne. Der Chor steht als höfische
Gesellschaft von Vincenzo Gonzaga auf den Ballustraden. Und in dieser 'Bühne auf
der Bühne' steht ein strahlender Orfeo. Für den sensationellen Orfeo-Darsteller
Philippe Huttenlocher, einen Bariton, wird Orfeos Tenor-Partie sogar transponiert.
Und der Unterweltfährmann in aufgepludertem Ponelle-Barock steigt wie eine
Arcimboldo-Groteske aus einem Nebel-Spinnweben-Gruselkabinett auf, und erteilt
Orfeo, mächtig ausholend mit einem Knochenruder, erst einmal eine Abfuhr:
Musik 5.8
O tu ch'inanzi morte, Anfang Sinfonia
Concentus musicus Wien, Nikolaus Simkowsky, Caronte
WARNER CLASSIC 825646314829
1'45; 0'37
… und Spinnwebengestalten, die Schatten der Unterwelt werden auf der Züricher
Bühne lebendig.
Aber was für ein klanglicher Kosmos hat sich damals mit Harnoncourt-Ponelles Orfeo
für die Musikwelt geöffnet? Der Unterweltsfährman Caronte brummte zu einem
inzwischen herrlich schnatternden Regal (einer kleinen Orgel mit Zungenregister).
Chitarronen kannte Hindemith noch nicht, aber ihre langen Lautenhälse sind in
Zürich zu sehen. Auch Zinken, die wie Zinken aussehen aber wie Trompeten klingen.
Dazu: gereifte Barockposaunen-Rekonstruktionen.
Das Züricher Poppea-Orchester - schon merklich in Richtung modernes
Streicherorchester mutiert - wird ebenso gefeiert. Der Monteverdi-Ring von 1977, mit
Ritorno d'Ulisse vollendet, wird zur Legende. Und Wagnersängerinnen wie Ortrun
Wenkel als Penelope oder die Neue-Musikspezialistin Cathy Berberian als Ottavia
tragen zum internationalen Renommee bei. Dieser Ring wird zum klanglichen
Maßstab aller weitere Aufführungen.
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Allerdings etablieren konnte sich Claudio Monteverdi in unseren Opernhäusern bis
auf den heutigen Tag nicht. Auch wenn die Institution des Musiktheaters sich längst
die Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis zunutze macht. Aber wo
sind die Monteverdi-Opern zum 450. Jubiläum? In der Lyoner Oper, im Rahmen des
dortigen Osterfestivals, ist dieses Jahr die Poppea-Inszenierung von Klaus Michael
Grüber vom Festival in Aix-en-provence von 1999 wieder rekonstruiert worden.
Festivals haben Claudio Monteverdis 450. Geburtstag also nicht vergessen. Die
Salzburger Festspiele bringen im Juli einen Monteverdi-Ring unter der Leitung von
John Eliot Gardiner heraus.
Bei den Innsbrucker Festwochen zeigt Intendant und Alte Musikspezialist Alessandro
De Marchi Il Ritorno d'Ulisse in Patria.
Und unsere Schwetzingen SWR Festspiele haben alle drei Opern halb szenisch mit
La Venexiana präsentiert und auch aufgenommen. Den Orfeo haben wir am 14. Mai
ausgestrahlt. Die Poppea können sie kommenden Sonntag in SWR2, und am 28.
Mai den Ulisse nachhören.
Hoffen wir auf Anstöße aus dem Jubiläumsjahr, die in den folgenden Jahren Früchte
tragen wird.
Musik 5.9
Moresca
Concentus Musicus Wien
WARNER CLASSIC 825646314829
0'51
Die Schluss-Moresca aus Claudio Monteverdis Orfeo. Nocheinmal mit dem
Concentus Musicus Wien unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt.
Ich hoffe, Sie haben diese Woche einen nachhaltigen Eindruck von Monteverdis
aufregender Klanglandschaft gewonnen. Sie sind informiert über einige
Einspielungen. Übrigens ist Harnoncourt-Ponelles Züricher Orfeo auf Youtube
nachzuschauen. Immer noch beeindruckend.
Das Skript zu dieser wie den vorausgehenden Sendungen können Sie sich aus dem
Netz herunterladen. Die Folgen sind eine Woche lang nachzuhören auf der
Musikstundenseite unter swr.de.
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Ich bin sw
und wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende und noch viele aufregende
Begegnungen mit Claudio Monteverdis Musik.