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Michael Bos und Wilhelm Fleischhacker Sydnone und Sydnonimine Chemie und Pharmakologie Etwa zwei Drittel aller pharmazeutischen Wirkstoffe weisen in ihrem Molekul zumin- dest einen heterocyclischen Ring auf. Es ist daher nicht iiberraschend, daB die Suche nach ncuen und immer exotischeren hctero- cyclischcn Systemcn von der Hoffnung sti- muliert wird, auf dicsc Weisc zu neuartigen Pharmaka zu gelangcn. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, daR Dcrivate des Sydnons (l), das schon nahezu 50 Jahre bekannt ist, erst seit etwa 15 Jahren auch als Arzneistoffe mehr Beachtung finden und daB erst ein Syd- nonimin-Derivat, das Molidomin, in allge- meiner arzneilicher Verwendung steht. Ein mesoionischer Fiinfring-Heteroaromat Sydnone (1) stellen innere Anhydride von N- substituiertem N-Nitroso-glycin dar, welche 1935 von Earl und Mackney an der Universi- tat Sydney erstmals synthetisiert und nach ihrem Entdeckungsort benannt wurden [ 11. Die N-Nitroso-glycine konnen durch Alky- lierung eines primaren Amins mit Chlores- sigsaure und Nitrosierung des sekundaren Amins gewonnen werden Bei den Sydnonen handelt es sich um meso- Pharmazie in unserer Zeit / 13. Jahrg. 1984 / Nr. 2 0 Verlag Chemie GmbH, 0-6940 Weinheim, 1984 0048-3664/84/0203-00~1 $ 02.150/0 ionische 1,2,3-Oxadiazole, deren elektroni- scher Zustand sich nur durch zwitterionische Grenzformeln beschreiben IaBt. Die Reso- nanzhybride dipolaren und tetrapolarcn Charakters wurden von Baker und Ollis vor- geschlagcn [2] (Forrnelbild 1). Die Charakterisierung des Hybrids und die Beschreibung der Sydnonstrukturen durch eine einzige kovalente Formel wird durch das Symbol@ crmoglicht, das auf die Anwesen- heit mobiler n-Elektronen hinweist. Im Syd- nonring befinden sich insgesamt 7e0 in den +-Orbitalen der 5 Atome, aus denen der Hcterocyclus aufgebaut ist. Durch Paarung eines dieser Elektronen mit einem Elektron des exocyclischen Sauerstoffatoms kann im Ring ein x-Elektronensextett aufgebaut wer- den, wodurch das Ringsystcm aromatischen Charakter erhalt. Physikochemische Untersuchungen wurden zur Bestatigung der angenommenen mesoio- nischen Struktur herangezogen. Sydnone weisen ein Dipolmoment von p = 6.5 auf [3-71. Das N-3 Atom tragt einc hohc positive Ladungsdichte als Gegenpol zur ne- gativen Ladung des cxocyclischen 0-Atoms. Das UV-Spektrum zeigt cin dcm Sydnonring zugeordnetes langwelliges Maximum bei 290-295 nm mit einer Intensitat von E = 8000 [8]. Die Lagc und die Intensitat der Bande gcltcn als Beweis fur die aromatische Natur des Ringsystems. 51

Sydnone und Sydnonimine Chemie und Pharmakologie

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Michael Bos und Wilhelm Fleischhacker Sydnone und Sydnonimine Chemie und Pharmakologie

Etwa zwei Drittel aller pharmazeutischen Wirkstoffe weisen in ihrem Molekul zumin- dest einen heterocyclischen Ring auf. Es ist daher nicht iiberraschend, daB die Suche nach ncuen und immer exotischeren hctero- cyclischcn Systemcn von der Hoffnung sti- muliert wird, auf dicsc Weisc zu neuartigen Pharmaka zu gelangcn. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, daR Dcrivate des Sydnons (l), das schon nahezu 50 Jahre bekannt ist, erst seit etwa 15 Jahren auch als Arzneistoffe mehr Beachtung finden und daB erst ein Syd- nonimin-Derivat, das Molidomin, in allge- meiner arzneilicher Verwendung steht.

Ein mesoionischer Fiinfring-Heteroaromat

Sydnone (1) stellen innere Anhydride von N- substituiertem N-Nitroso-glycin dar, welche 1935 von Earl und Mackney an der Universi- tat Sydney erstmals synthetisiert und nach ihrem Entdeckungsort benannt wurden [ 11. Die N-Nitroso-glycine konnen durch Alky- lierung eines primaren Amins mit Chlores- sigsaure und Nitrosierung des sekundaren Amins gewonnen werden

Bei den Sydnonen handelt es sich um meso-

Pharmazie in unserer Zeit / 13. Jahrg. 1984 / Nr. 2 0 Verlag Chemie GmbH, 0-6940 Weinheim, 1984 0048-3664/84/0203-00~1 $ 02.150/0

ionische 1,2,3-Oxadiazole, deren elektroni- scher Zustand sich nur durch zwitterionische Grenzformeln beschreiben IaBt. Die Reso- nanzhybride dipolaren und tetrapolarcn Charakters wurden von Baker und Ollis vor- geschlagcn [2] (Forrnelbild 1).

Die Charakterisierung des Hybrids und die Beschreibung der Sydnonstrukturen durch eine einzige kovalente Formel wird durch das Symbol@ crmoglicht, das auf die Anwesen- heit mobiler n-Elektronen hinweist. Im Syd- nonring befinden sich insgesamt 7e0 in den +-Orbitalen der 5 Atome, aus denen der Hcterocyclus aufgebaut ist. Durch Paarung eines dieser Elektronen mit einem Elektron des exocyclischen Sauerstoffatoms kann im Ring ein x-Elektronensextett aufgebaut wer- den, wodurch das Ringsystcm aromatischen Charakter erhalt.

Physikochemische Untersuchungen wurden zur Bestatigung der angenommenen mesoio- nischen Struktur herangezogen.

Sydnone weisen ein Dipolmoment von p = 6.5 auf [3-71. Das N-3 Atom tragt einc hohc positive Ladungsdichte als Gegenpol zur ne- gativen Ladung des cxocyclischen 0-Atoms.

Das UV-Spektrum zeigt cin dcm Sydnonring zugeordnetes langwelliges Maximum bei 290-295 nm mit einer Intensitat von E = 8000 [8]. Die Lagc und die Intensitat der Bande gcltcn als Beweis fur die aromatische Natur des Ringsystems.

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Oberraschenderweise zeigt die Rontgen- strukturanalyse, da% die exocyclische CO- Bindung mit einer Lange von 1.20 A einer normalen Carbonylbindung entspricht [9, 101. Die IR-Valenzschwingungen bei 1770-1720 cm-' stehen im Einklang mit der CO-Absorption von y-Lactonen [I 11. Dies zeigt, dai3 die Beschreibung der chemischen Natur dieser Verbindungsklasse mit der me- soionischen Struktur nur unvollstandig ge- lingt.

Das Signal des Syndnonringprotons ist im NMR-Spektrum bei unerwartet hohem Feld zu finden [12]. Die positive Ladung des He- terocyclus miigte einen ausgepragten Ent- schirmungseffekt ausiiben. Der beobachtete diamagnetische Shift 1al3t sich durch ein teil- weise delokalisiertes Azornethinsystem 2 er- klaren, in dem die negative Ladung am C-4 abschirmend wirkt.

Sydnonimine stellen formal die Iminderivate der Sydnone dar. Brookes und Walker syn- thetisierten diese Verbindungen erstmals durch Umsetzung von N-Methyl-N-nitroso- a-aminonitrilen mit Salpetersaure [ 131 (For- melbild 2). Es ist bemerkenswert, dai3 im Ge- gensatz zur leichten Uberfiihrbarkeit von Iminen in Ketone durch verdunnte Sauren die Sydnonimine sich auf diese Weise nicht in Sydnone umwandeln lassen. Sydnonimine sind sogar nur bestandig, wenn der basi- sche Charakter des exocyclischen Stickstoffs durch Saure neutralisiert oder durch geeigne- te Substituenten (wie Acylreste) vermindert wird. Am exocyclischen N-Atom unsubsti- tuierte Sydnonimine sind also nur in Form ihrer Salze faRbar. Versetzt man eine waflrige Losung von Sydnoniminhydrochlorid mit Natriumhydrogencarbonat, so erhalt man die entsprechenden gut wasserloslichen Syd- noniminhydrogencarbonate. Erwarmt man diese Losung, dann entweicht COZ, und das nicht existenzfahige Sydnonimin liefert N-Nitroso-aminoacetonitril als Spaltprodukt ~141 .

Chemie

Sydnone sind stabile, kristalline, nach a d e n

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hin neutrale Verbindungen, die in den mei- sten organischen Losungsmitteln in der Hit- ze gut, in der Kalte bedeutend schlechter los- lich sind.

Die Hydrolyse der Sydnone gelingt sowohl in wafirig saurem Medium als auch rnit Alka- lien. Die saure Hydrolyse verlauft unter Bil- dung substituierter Hydrazine, Carbonsau- ren und CO:. Sie stellt somit eine Methode der Synthese von Monoalkylhydrazinen dar, die direkt nur schwer zuganglich sind, z. B. von 1-Hydrazinoadamantan [15] (Formel- bild 3).

Die basenkatalysierte Hydrolyse von Sydno- nen resultiert in der Wiedergewinnung der Ausgangsmaterialien, der N-substituierten N-Nitrosoaminosauren.

Das H-Atom des Sydnonringes kann auf- grund des aromatischen Charakters leicht elektrophil substituiert werden [11, 161. Im 3-Phenylsydnon wirkt das N-3-Atom als eo- abziehender Substituent, sodai3 es zu einer Desaktivierung an allen Positionen des Phe- nylringes komrnt und SE-Reaktionen aus- schliealich an der 4-Position des Sydnonrin- ges stattfinden (Formelbild 4).

Lithiierte Sydnone konnen entweder durch direkten Ersatz des aciden Protons am C-4 durch Lithium oder iiber das 4-Brom-derivat hergestellt werden [17]. Ausgehend von 3- Phenylsydnon ist mit Hilfe verschiedener Grignardreagenzien 3-Phenylsydnonylma- gnesiumbromid zuganglich, das auch bei der Reaktion von 4-Brorn-3-phenylsydnon mit Magnesium und Methyliodid entsteht. Diese metallorganischen Derivate wurden rnit einer Vielzahl von Elektrophilen (= E) zur Reak- tion gebracht [I 8-20] (Formelbild 5 ) .

Sydnone und Sydnonimine als Edukte fur die Heterocyclensynthese

Sydnone und Sydnonimine stellen interes- sante Edukte fur Heterocyclensynthesen dar. Addition von ungesattigten Nitrilen oder Estern, Alkenen oder von Alkinen an Sydno- ne fuhrt nach Decarboxylierung der bicycli- schen Zwischenstufen zu Pyrazolen, Pyrazo- linen oder Mischungen der beiden [21, 221 (Formelbild 6).

Da vor allem hohersubstituierte Vertreter der Pyrazolreihe mit keiner anderen Methode einfacher synthetisiert werden konnten, er- langte die neue, durch grot3e Variationsbreite

ausgezeichnete Pyrazolsynthese praparati- ves Interesse [23].

Photochemische Umsetzung von Phenylsyd- non fuhrt unter C02-Abspaltung zum 1,3- dipolaren Nitrilimin, das nach Cycloaddition an COZ 1,3,4-0xadiazolin-5-on liefert. Pho- tolyse von 3,4-Diarylsydnonen fiihrt zu Triaryltriazolen [24-291 (Formelbild 7).

Die beim lichtinduzierten Zerfall gebildete

Nitriliminzwischenstufe kann mit 1,3-Dipo- larophilen abgefangen werden. Die rnit Ace- tylen gebildeten Pyrazole sind isomer zu den entsprechenden durch thermische Cycload- dition erhaltenen Produkten [30] (Formelbild 8).

Photochemische Isomerisierung der N-Acyl- sydnonimine, die durch Acylierung der Syd- noniminhydrochloride mit Saureanhydriden oder Saurechloriden zuganglich sind, fuhrt

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zu 1,2,3-Triazol-4-onen [25] (Formelbild 9).

Pharmakologie

Sydnone und Sydnonimine besitzen struktu- relle Eigenschaften, die im Hinblick auf die Pharmakologie von groflem Interesse sind. Ihre mogliche Verwendung als biologisch ak- tive Substanzen la& sich durch den aromati- schen Charakter und die Unterschiede in der Elektronendichte rund um den Ring begrun- den. Schon 1957 wurden 4-Alkyl-3-methyl- sydnone als potentielle Aminosaureantago- nisten untersucht [13].

Hypotensiva und Hypertensiva

Die Vertreter der sog. ,,SIN-Serie", das sind Sydnoniminderivate, die einen stickstoffhal- tigen Substituenten in Position 3 aufweisen, dessen N-Atom direkt mit dem N-3 des Syd- noniminringes verbunden ist, zeigen hypo- tensive Wirkung [31]. SIN-1, das 3-Morpho- linosydnonimin, ist allerdings relativ unbe- standig. Das acylierte SIN-1, N-Ethoxycar- bonyl-3-morpholinosydnonimin ist als Molsidornin (INN) (Formelbild 10) seit 1970 als antianginose Substanz in klinischer Er- probung und seit 1978 in der BRD als C o m a - ton" zur Behandlung koronarer Herzerkran- kungen zugelassen [32]. In Osterreich wurde es als Molsidofat" im Jahre 1980 in den Han- del gebracht. Dieses Koronartherapeutikum mit Langzeitwirkung vermindert wie die Ni- trate durch Vasodilatation im Niederdruck- system den venosen RiickfluQ zum Herzen und senkt dadurch den myocardialen Sauer- stoffverbrauch. Molsidomin wird rasch und praktisch quantitativ resorbiert. Nach oraler Gabe von 2 mg Molsidomin zeigt der Blut- spiegelverlauf etwa 30-60 min nach Applika- tion ein Maximum und nimmt dann iiber 5-6 Stunden stetig ab. Die Langzeitwirkung ist substanzspezifisch und nicht etwa durch eine verzogerte Freisetzung des Wirkstoffes aus der Tablette bedingt [33, 341.

In der Leber wird Molsidomin vermutlich uber SIN-1 und N-Nitroso-N-morpho- linoaminoacetonitril, die beide hypotensiv wirksam sind, abgebaut [35, 361.

Ohne direkt auf die Herzaktion EinfluQ zu nehmen, verringert Molsidomin die Herzar- beit iiber eine periphere Entlastung. Es kommt zu einer Verbesserung der Leistungs- fahigkeit des koronarkranken Herzens, in- dem durch Erhohung der Kapazitat des ve- nosen Kreislaufsystems die Vorlast und letz-

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lich der Sauerstoffverbrauch reduziert wer- den. Der Druck in der Arteria pulmonalis wird vermindert, Fiillungsdruck und Fiil- lungsvolumen im linken Ventrikel nehmen ab und damit erfolgen eine Verminderung der Wandspannung des linken Ventrikels und eine Herabsetzung des Schlagvolumens P71.

Molsidomin zeichnet sich durch groi3e thera- peutische Breite aus. Gelegentlich treten Kopfschmerzen auf, die im Vergleich zu den Nitraten nicht so haufig und meist leichterer Art sind [38].

In bezug auf die Struktur-Wirkungsbezie- hungen der Sydnonimine kann man feststel- len, dai3 die Auslosung einer hypotensiven bzw. hypertensiven Wirkung in erster Linie von den Substituenten in Position 3 abhangt [39]. Ausgepragte, lang andauernde Blut- drucksenkung wird durch direkte Bindung eines substituierten Stickstoffatoms am N-3 erreicht, hingegen bewirken Alkyl-, Cycloal- kyl- oder Dialkylaminoalkylgruppen in die- ser Position den gegenteiligen Effekt, also Hypertension [40].

Konvulsiva und Antikonvulsiva

Das Sydnonringsystem weist eine strukturel- le Ahnlichkeit mit Oxazolidin-2,4-dionen und Oxazolidin-2-onen auf, die als antikon- vulsiv wirksame Verbindungen Interesse be- sitzen. Wird das N-Atom dieser Verbindun- gen alkyliert, kann die antikonvulsive Wir- kung in eine konvulsive unigekehrt werden. Durch Alkylierung der Sydnone am N-3 sind ebenfalls Konvulsiva zuganglich [41] . Der konvulsiven Wirkung von 3-Alkylsydnonen steht der antikonvulsive Effekt von am N-3 aromatisch substituierten Sydnonen gegen- iiber. Unter den zahlreichen unterschiedlich substituierten Sydnonen, die auf Krampf- schutzwirkung getestet wurden, traten das o- und m-Tolylsydnon als am starksten anti- konvulsiv wirksame Verbindungen hervor [42] (Formelbild 11).

Antipyretica

Hypotherm wirksame Sydnone sind in Posi- tion 3 mit aromatischen Resten substituiert. Das Maximum der Temperatursenkung liegt mit 120 min in zeitlicher Obereinstimmung mit dem des Krampfschutzes. Der hypother- me Effekt ist jedoch im Vergleich zu Amino- phenazon weniger deutlich ausgepragt [42, 431.

Diuretica

Fregey und Mitarbeiter untersuchten die chlor- und natriuretische Wirkung des 3-sec- Butylsydnons, 3-i-Propylsydnoncarboxylats und des 3-Butyl-4-ethylsydnons [44] (For- melbild 11). Fur die diuretische Wirkung wie auch fur die konvulsiven Eigenschaften scheint die Ringstruktur verantwortlich zu sein, wahrend die Seitenketten eine Beein- flussung der genannten Eigenschaften in quantitativer Hinsicht bewirken. Therapeu- tisch diirfte die diuretische Wirkung wegen der konvulsiven Nebenwirkungen kaum nutzbar sein.

Spasmolytica

Im Gegensatz zu den Sydnonen zeigen 3,4- diarylsubstituierte Sydnonimine ausgepragte spasmolytische Eigenschaften. Der spasmo- lytische Effekt lafit sich mit der Wirkung ei- ner aquimolaren Papaverindosis vergleichen [431.

Analgetica, Antiphlogistica

Eine groi3e Zahl verschieden substituierter Sydnone weisen analgetische und antiphlogi- stische Aktivitat auf. Hill und Wagner konn- ten fur die Entzundungshemmung eine Kor- relation zwischen Struktur und Wirkung auf- stellen [45]. Ein Maximum an Aktivitat wird erreicht, wenn ein aromatischer Ring uber ei- ne Thioethylseitenkette mit dem Sydnonring verkniipft wird. Wird S durch SO oder 0 er- setzt, dann nimmt die Wirkung drastisch ab. Durch Einfiihrung elektronegativer Substitu- enten (= X) in die o-Position des Phenyl- ringes wird deutliche Wirkungssteigerung er- zielt [46]. 3-Aminoalkylsydnone, insbeson- dere 3-Morpholinoethyl- und 3-Diethylami- noethyl-4-methylsydnon, weisen ebenfalls analgetische Wirkung auf [47] (Formelbild 12). In der Reihe der nichtsteroidalen Ent- ziindungshemmer (NSEH) hat sich der Er- satz des Benzolringes in den Phenylalkansau- ren durch den Sydnonring als brauchbare Abwandlung erwiesen [48-501.

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Antibiotica

Sydnonylderivare der Penicilline und Cepha- losporine zeigen in vivo Aktivitat gegenuber Streptokokken und Staphylokokken. 6-(4- Sydnony1carboxamido)-penicillansaure ist saurestabil und penicillinaseresistent [51-551 (Formelbild 13).

Chemotherapeutica

Ethylenbissydnone (Formelbild 14) besitzen tumorhemmende Wirkung [56], welche auf einem in-vivo-Abbau zu Ethylenbishydrazin beruht [43].

1965 fanden Nyberg et al. im 3-Piperonyl- sydnon ein neues Antimalariamittel, das qua- litativ und quantitativ mit Chloroquin ver- gleichbar ist [57]. N-Sulfanilyl-sydnonimine waren in vivo gegen Bakterien schwach wirk- sarn [14] (Formelbild 14).

Ps ychostimulantien

Die Sydnonimine Sydnocarb und Sydnophen (Formelbild 15) stehen strukturell dem Am- phetamin nahe. An gesunden Versuchsperso- nen wurden bei Gabe von Sydnocarb gestei- gertes Wohlbefinden, erhohte psychische Ausdauer und Arbeitsfahigkeit ohne eine suchtauslosende Komponente beobachtet [58-611.

Toxizitat, Methamoglobinbildung

Sydnone und Sydnonimine sind Substanzen mit hoher pharmakologischer, aber auch ha- matotoxischer Aktivitat [43].

Chronische Anwendung fuhrte zu einer Ver- anderung des Blutbildes bei Ratten, charak- terisiert durch Verminderung der Erythrocy- tenzahl und Bildung von Methamoglobin. Im Gegensatz zu den in-vivo-untersuchun- gen entstanden unter in-vitro-Bedingungen keine toxische Granulierung der Erythrocy- ten (Heinz-Korper) und kein Methamoglo- bin [42].

Mit diesem Befund im Einklang steht die Be- obachtung, daR die biologisch aktiven Sub- stanzen verschiedene Metaboliten sind. Als toxische Verbindungen kann man die Nitros- aminosauren ansehen [62].

Zusammenfassung

Literatur-Auswahl

[l] J . C. Earl und A. W. Mackney; J. Chem. Soc. 1935, 899.

[16] W. Baker und W. D. O h ; Quat. Rev. Chem. SOC. 11, 15 (1957).

In den letzten 15 Jahren wurden zahireiche Beispiele fur den Einbau der Sydnon- bzw. Sydnoniminstruktur in Wirkstoffmolekule beschrieben. Die interessante Chemie dieser Stoffklasse, verbunden mit der Moglichkeit zur Auffindung neuer potentieller Pharmaka, haben nicht nur in unseren Laboratorien [63] weiterfuhrende Untersuchungen stimuliert.

I311 K. Hashimoto, N. Taka, M. Hirata und M. Kokubun; Arzneim. Forsch. 21, 1329 (1971).

[32] D. Rohl und K. Lehmann; Deutsch. med. Wschr. 105, 1216 (1980).

[43] P. Oehme, E. Gores, K. Schwarz, G. Petsch, H. Faulhaber und P. Lange; Acta biol. med. german. 14, 369 (1965).

[45] H. Wagner und J. Hill; J. Med. Chem. 17, 1337 (1974).

[46] J . Hill, R. Ray, R. Wagner und R. Aspinall; J. Med. Chem. 18, 50 (1975).

Das vollstandige Literatur-Verzeichnis kann bei der Schriftleitung angefordert werden.

Michael Bos, geboren 1955, studierte Phar- mazie in Wien (Promotion 1981 mit einer Arbeit uber Morphinalkaloide), 1982 Post- doktorand bei Prof. Dr. D. Seebach in Zii- rich. Zur Zeit Forschungsaufenthalt bei Prof. A. I. Meyers an der Colorado State Universi- ty, USA.

Wilhelm Fleischhacker, geboren 1931, 1949-1955 Pharmaziestudium, 1962 Dr . Phil., 1971 Habilitation fur Pharmazeutische Chemie mit Arbeiten uber Morphin-Deriva- te, 1982 Ordinarius fur Pharmazeutische Chemie. Seit 1965 Mitglied der Usterreichi- schen Arzneibuchkornmission.

Anschrift: Prof. Dr . Wilhelm Fleischhacker, Institut fur Pharmazeutische Chemie, A- 1090 Wien, Wahringer Strafie 10.

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