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Kultur W elche unerwartete, geradezu his- torische Verschiebung. Sichtbar wird sie in diesem besonderen Museum. Es ist das älteste Londons, eines der würdevollsten und wichtigsten Museen der Welt, eher Instanz als einfach nur eine kulturgeschichtliche Institution, aber eine, die immer mit Leben gefüllt ist: Ins British Museum kommen jährlich fast sieben Mil- lionen Besucher. Nun widmet das Haus den Deutschen und ihrer Geschichte eine Ausstellung. Und die Schau ist keineswegs von der Reserviertheit (oder gar Ableh- nung) geprägt, die man gegenüber dem 130 DER SPIEGEL / The Germans Ausstellungen Das legendäre British Museum in London und die BBC widmen sich der Geschichte der Deutschen, die bedeutende Royal Academy dem deutschen Künstler Anselm Kiefer. Es ist ein fast schon rührender Versuch der Annäherung. Ausstellungsobjekte im British Museum [1] Goethe-Porträt von Johann Tischbein, 1787 [2] VW-Käfer „Typ 1“, 1953 [3] Astronomisches Kompendium aus Heilbronn, 1596 [4] Replik der Krone des Heiligen Römischen Rei- ches, 1913 [5] Gartenzwerg [6] Riemenschneider- Skulptur „Evangelist Lukas“, 1490/92 [7] Ausschnei- defiguren „Adolf Hitler mit Stab“, vor 1944 [8] Demonstrationsplakat, 1989 [9] Leiterwagen, vor 1945 1 2 7 wie eine Notwendigkeit erscheinen. Denn „Deutschlands Geschichte ist eine der kom- plexesten und wichtigsten in Europa“. Sie habe, so betont man in einer Ankündi- gung, eine tief greifende Wirkung auf „un- sere Gegenwart und Zukunft“. Es sind Kunstwerke und andere Objekte aus 600 Jahren, die die große Deutschland- Story erzählen sollen. Die emotionalen Skulpturen eines Tilman Riemenschneider, ein Bildhauer aus der Zeit der Bauernkrie- ge. Ein VW-Käfer aus den frühen Fünfzi- gerjahren. Ein Pappplakat in der Form des wiedervereinigten Deutschlands, auf dem einstigen Feind lange aufrechterhalten hat. Vielmehr ist der Ton versöhnlich, vielleicht sogar zu versöhnlich. Das Museum beschreibt die Geschichte Deutschlands schon auf der Homepage als eine, die „gefüllt ist von Triumphen und Tragödien“. Angesichts der Grauen, die von den Deutschen ausgingen, klingt das beschönigend. Das Rätsel, dieser Wider- spruch namens Deutschland, lässt sich nun einmal nicht lösen, das wird auch hier klar. Aber der Versuch, dieses Land zu ergrün- den, berührt geradezu. Mehr noch: Die Museumsleute lassen diese Ausstellung 5 6 FOTOS: U. EDELMANN / STÄDEL MUSEUM, FRANKFURT (1); NATIONAL MOTOR MUSEUM (2); THE TRUSTEES OF THE BRITISH MUSEUM (3 + 5 + 7); STÄDTISCHE MUSEEN AACHEN (4); ANTJE VOIGT / MUSEUM FUER BYZANTINISCHE KUNST (6); DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM (8 + 9)

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Kultur

Welche unerwartete, geradezu his-torische Verschiebung. Sichtbarwird sie in diesem besonderen

Museum. Es ist das älteste Londons, einesder würdevollsten und wichtigsten Museender Welt, eher Instanz als einfach nur einekulturgeschichtliche Institution, aber eine,die immer mit Leben gefüllt ist: Ins BritishMuseum kommen jährlich fast sieben Mil-lionen Besucher. Nun widmet das Hausden Deutschen und ihrer Geschichte eineAusstellung. Und die Schau ist keineswegsvon der Reserviertheit (oder gar Ableh-nung) geprägt, die man gegenüber dem

130 DER SPIEGEL 42 / 2014

The GermansAusstellungen Das legendäre British Museum in London und die BBC widmen sich der

Geschichte der Deutschen, die bedeutende Royal Academy dem deutschen Künstler Anselm Kiefer. Es ist ein fast schon rührender Versuch der Annäherung.

Ausstellungsobjekte im British Museum[1] Goethe-Porträt von Johann Tischbein, 1787 [2] VW-Käfer„Typ 1“, 1953 [3] Astronomisches Kompendium aus Heilbronn,1596 [4] Replik der Krone des Heiligen Römischen Rei-ches, 1913 [5] Gartenzwerg [6] Riemenschneider-Skulptur „Evangelist Lukas“, 1490/92 [7] Ausschnei-defiguren „Adolf Hitler mit Stab“, vor 1944 [8] Demonstrationsplakat, 1989[9]Leiterwagen,vor 1945

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wie eine Notwendigkeit erscheinen. Denn„Deutschlands Geschichte ist eine der kom-plexesten und wichtigsten in Europa“. Siehabe, so betont man in einer Ankündi-gung, eine tief greifende Wirkung auf „un-sere Gegenwart und Zukunft“.

Es sind Kunstwerke und andere Objekteaus 600 Jahren, die die große Deutschland-Story erzählen sollen. Die emotionalenSkulpturen eines Tilman Riemenschneider,ein Bildhauer aus der Zeit der Bauernkrie-ge. Ein VW-Käfer aus den frühen Fünfzi-gerjahren. Ein Pappplakat in der Form deswiedervereinigten Deutschlands, auf dem

einstigen Feind lange aufrechterhalten hat.Vielmehr ist der Ton versöhnlich, vielleichtsogar zu versöhnlich.

Das Museum beschreibt die GeschichteDeutschlands schon auf der Homepage alseine, die „gefüllt ist von Triumphen undTragödien“. Angesichts der Grauen, dievon den Deutschen ausgingen, klingt dasbeschönigend. Das Rätsel, dieser Wider-spruch namens Deutschland, lässt sich nuneinmal nicht lösen, das wird auch hier klar.Aber der Versuch, dieses Land zu ergrün-den, berührt geradezu. Mehr noch: DieMuseumsleute lassen diese Ausstellung

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S: U. EDELM

ANN / STÄDEL MUSEUM, FR

ANKFU

RT (1); NATIONAL MOTO

R M

USEUM (2); THE TRUSTE

ES OF TH

E BRITISH M

USEUM (3 + 5 + 7);

STÄDTISCHE M

USEEN AACHEN (4); ANTJE VOIGT / MUSEUM FUER BYZANTINISCHE KUNST (6); DEUTS

CHES HISTO

RISCHES M

USEUM (8 + 9)

ein regelrechtes Logo zu gestalten, so wieJahrhunderte später die AbkürzungenBMW oder Adidas Markenzeichen gewor-den sind. Oder die schimmernde Preziose,die man als das „Smartphone seiner Zeit“bezeichnet. Es handelt sich um ein 1596 inHeilbronn gefertigtes, aufklappbares Me-tallgehäuse, das astronomische Instrumen-te enthält. Mit ihnen ließen sich Standort,Datum und Uhrzeit bestimmen; eine teuretechnische Spielerei, ein Statussymbol.

Das Deutschland der Technik, das derKultur, des Alltags, des Glaubens. Alleskommt vor, alles überschneidet sich, undauch diese Überschneidung materialisiertesich immer wieder. Als Beispiel führt mandie sogenannte Lutherbibel an, eine Bibelin Deutsch, also in der Sprache des Volkes,verfasst von Martin Luther. Eine Revolu -tion. Und wäre Johannes Guttenberg nichtJahrzehnte vorher mit dem Buchdruckeine andere Revolution gelungen, dannwäre das rasche Vervielfältigen und Ver-breiten der deutschsprachigen Bibel sonicht möglich gewesen. Ein Exemplar ausdem Jahr 1541, mit handschriftlichen Ver-merken Luthers, liegt in einer der Vitrinen.

Im Radio schildert MacGregor die Am-bivalenz Luthers, der plump gegen die Ju-den hetzte, der in einem Land voller Dia-lekte eine gemeinsame deutsche Spracheerst erfand und dabei so schöne Worte wie„Herzenslust“, der für ein christlicheresChristentum kämpfte, Europa im Glaubenteilte und so für immer veränderte.

Man hat im Vorfeld Publikumsbefragun-gen gemacht und gemerkt, Deutschlandist letztlich etwas Unbekanntes. Man be-schreibt das Land nun auch als ein Gebildein ständiger Bewegung, das sich einmalüber halb Mitteleuropa erstreckte – undsich auftrumpfend „Römisches Reich“nannte. Zugleich ein Land voller kleinerStaaten, voll von provinziellem Selbstbe-wusstsein. In England reichte um 1700 eineWährung, Deutschland hatte fast 200 un-terschiedliche. Manchmal erlangte manvom Rand aus Weltgeltung. 1714 etwa er-hielten die Deutschen – beziehungsweiseein Hannoverscher Kurfürst – Zugang zumbritischen Thron. Über Generationen warDeutsch die Sprache im englischen Königs-haus. Man erinnert in London auch an Immanuel Kant und daran, dass sich derbedeutende deutsche Philosoph nie aufdem Gebiet aufhielt, das heute Deutsch-land ist. Ungern verließ er Königsberg, die-se Pracht- und Residenzstadt in Ostpreu-ßen, wo er 1724 zur Welt kam und 1804starb. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurdesie zu Kaliningrad.

Deutschlands Grenzen waren stets flie-ßend, das ist ein Aspekt, der in der Schaubetont wird. Und natürlich führt das The-ma schnell zum Eroberungswahn der Na-zis. Aus welchem Blickwinkel auch immerman die deutsche Geschichte betrachtet,

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steht: „Wir sind ein Volk“. Ein Mann ausCottbus hat es im Dezember 1989 gebastelt,also nach dem Fall der Mauer und vor derEinheit. Die Pappe, die er bemalte, wareinmal ein Karton gewesen, in dem einpaar Jahre zuvor ein Geschenk seiner Ver-wandten aus dem Westen gesteckt hatte.

Ende September lief bereits eine 30-tei-lige Radioserie in der BBC an: An jedemWerktag meldet sich seither Neil MacGre-gor, der Direktor des British Museum, zuWort und erklärt einen Gegenstand (odergleich die ganze Walhalla) und damit einStück Deutschland. Im Hintergrund er -

tönen unter anderem Choräle von Bach,auch die SED-Hymne: „Die Partei, die Par-tei, die hat immer recht.“ Die Sendungensind nachträglich per Download abzurufen.Im November erscheint ein Buch, das aufden Radio-Manuskripten MacGregors ba-siert. 2015 folgt die deutsche Übersetzung.

Von diesem Donnerstag an dann das ei-gentliche Konzentrat, der Blick auf ein ver-gangenes Deutschland aus britischer Per-spektive. Das ganze Projekt leistet immerwieder auch die Übersetzung ins Heutige.Dürer wird als jemand vorgestellt, der esschaffte, mit den Initialen seines Namens

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es gibt diesen dunklen Knotenpunkt derRezeption. Alles, was vorher war, scheintin ihm zu münden oder zu enden. Alles,was später kam (wie die deutsch-deutscheTeilung, die Proteste der 68er) scheint vondort auszugehen. „Deutschlands kulturelle Errungenschaf-

ten sind nicht hoch genug einzuschätzen“,heißt es in einem Begleittext. Aber all dasSchöpferische bewahrte das Land nicht davor, zu einer Vernichtungsmaschine zuwerden. Sinfonien von Beethoven, Gedich-te von Goethe, die Auslöschungsgier vonund unter Hitler.

Auch in der Museumsschau ist das Un-fassbare präsent. Mehrmals kommt manauf Weimar zurück, den Ort, an dem Schil-ler und Goethe wirkten, wo das Bauhausentstand und das KZ Buchenwald errichtetwurde. Eine Replik des Lagertores mit seiner Inschrift „Jedem das Seine“ wurdein eine Museumswand eingelassen. DieSchrift ist modern: Gestaltet hatte das Torein KZ-Häftling, der einmal Bauhaus-Schü-ler gewesen war.

Deutscher Alltag: Wie die Perversion eines Kinderspielzeugs erscheinen Papp -figuren zum Ausschneiden – sie stellenAdolf Hitler mit seinem Gefolge dar. Eshandele sich um das einzige Abbild Hitlers,das in der Ausstellung zu sehen sei, sagtdie aus Berlin stammende Kuratorin Sa-brina Ben Aouicha. Ihr britischer Kurato-renkollege Barrie Cook sagt, es sei auchfür ihn, einen Außenseiter, schwer gewe-sen, angesichts von Verbrechen, Barbareiund Völkermord eine Ausgewogenheit inder Präsentation herzustellen.

Auf das sich anschließende Nachkriegs-deutschland reagiert man in London miteiner bislang nicht vorhandenen Empathie.Man weist darauf hin, dass die sogenannteVertreibung nach 1945 viele MillionenMenschen betroffen und Spuren in fast jeder deutschen Familiengeschichte hinter-

lassen habe, dass diese Aussiedlung ausGebieten wie Schlesien und Pommern Teildes allgemeinen deutschen Gedächtnissessei. Es habe sich, so sagte Museums -direktor MacGregor im Vorfeld der Schaugegenüber der britischen Presse, um „diegrößte erzwungene Migrationsbewegungin der europäischen Geschichte“ gehan-delt, und doch wüssten viele Briten nichtsdavon. Zur Ansicht lieh man aus demDeutschen Historischen Museum in Berlineinen Leiterwagen. Eine Frau hatte ihneinst auf der Flucht hinter sich hergezogen.Auch das kommt vor: die Büste einerTrümmerfrau, aus Trümmern geformt.

Anlässe für die Schau gab es genug, Jah-restage von der Krönung eines Deutschenzum englischen König, vom Beginn desErsten Weltkrieges, vom D-Day, vom Mau-erfall. Die Wissenschaftler im British Mu-seum behandeln auch Deutschland wie einhistorisches Objekt, das nun mit großerNeugier erforscht wird, aber im Grundebietet man den Deutschen sogar Erlösungan – eine Art Befreiung aus dem belastetenRaum namens Geschichte. Mit dem Mau-erfall sei das neue, moderne Deutschlandentstanden, sagen die Kuratoren. Das Jahr1989 sollte ursprünglich das Ende der Chro-nologie sein. Die Schau schließt nun, drau-ßen vor den Sälen, mit einem Gag. In einerVitrine liegen Fanartikel für die Fußball-weltmeisterschaft in Brasilien, inklusiveschwarz-rot-goldenem Gartenzwerg.

Etwas also verändert sich gerade, es gibtsogar weitere Beispiele für eine deutscheWelle in London. In dieser Woche eröffneteine Galerieausstellung mit Gemälden desDeutschen Gerhard Richter, 82, dem wohlberühmtesten Maler dieser Zeit. Und dieRoyal Academy, auch eine sehr britischeEinrichtung, ehrt seit Kurzem RichtersLandsmann Anselm Kiefer mit einer Re-trospektive. Auch Kiefer, 69, ist einer derbekanntesten Künstler der Gegenwart.

Und obwohl er seit mehr als 20 Jahren inFrankreich lebt, gilt er wegen der bombas-tisch-schwermütigen Expressivität seinerWerke als besonders deutsch. Seine Kunstsieht oft so aus, als könnte tote Materienoch wuchern. Er ist der Mann, der mitBlei und Asche malt.

Beim Gespräch vor Eröffnung der Aus-stellung war Kiefer bester Laune. Er spa-zierte, federte fast durch die Ausstellungs-säle, lachte, redete, zog weiter. Die Räumein der Royal Academy sind hoch, der Stuckglänzt goldfarben, darunter hängen seineBilder, wie das mit schwarzen Sonnenblu-men. Aber auch übereinandergestapelte,schwere Platten, ein echter Trümmerhau-fen. Auf einem Tisch lagen alte Gewehre,die Kiefer erst auch noch unterbringenwollte, nun jedoch wegräumen ließ.

Eigentlich aber werden schon alle Er-wartungen des Publikums erfüllt, bevor esdas Museum betritt. Draußen, im Hof vordem Haupteingang, hat Kiefer einen gro-ßen Glaskubus aufstellen lassen. In ihmhängen, in verschiedenen Höhen, rostfar-bene Modelle von U-Booten. „Die Welt ist so etwas von verkehrt“,

sagt Kiefer. „Ein Künstler kann gar nichtanders, als zynisch zu sein.“ Die Vergan-genheit ist sein Thema. Die Zeit vor denMenschen, die Zeit mit ihnen, die Kata-strophen, immer wieder die deutsche Ge-schichte. Doch gleichgültig, welches Motiver konkret meint, sehen viele in seinen Bil-dern Metaphern für ein deutsches Schuld-bewusstsein. In Deutschland wird seine(gut verkäufliche) Faszination am Apoka-lyptischen gelegentlich kritisch beurteilt,im Ausland wird er immer wieder neu undmit immer größerem Aufwand gefeiert.„Mutig, provokativ“ nennen ihn die

Fachleute in der Royal Academy. Die ersteAbbildung im Katalog ist ein Foto, das Kie-fer als jungen Mann in Wehrmachtsuni-form und die Hand zum Hitlergruß stre-ckend zeigt. Das war Teil einer Aktion inden Sechzigerjahren, er nannte es Aneig-nung. Seither ist er der große Aufarbeiter.Mehrfach wird im Katalog erwähnt, dasser in den letzten Kriegsmonaten zur Weltkam. So, als verstärkte der Zeitpunkt sei-ner Geburt alles: die Bedeutung seiner Her-kunft, die Schwere seiner Kunst.

In Großbritannien wird er verglichenmit Michelangelo, Tizian und Richard Wagner. Also mit denen, die keine Angstvor Dramatik hatten. Doch es bleibt einseltsames Gefühl. Kiefer macht es sichmit all dem Brachialen auch einfach. Unddie Briten sind so nett, ihm und allen anderen Deutschen mit viel Nachsicht zubegegnen. Ulrike Knöfel

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FOTO

: JAMES HARRIS

Kiefer-Werk „Velimir Khlebnikov …“, 2011/14: „Deutsches Schuldbewusstsein“

360°-Foto: Panorama derLondoner Ausstellung

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