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Begleitmaterial zu THE HARD PROBLEM. Oder: Ist Bewusstsein Materie? [email protected] /[email protected] THE HARD PROBLEM. Oder: Ist Bewusstsein Materie? Deutschsprachige Erstaufführung von Tom Stoppard Übersetzung von Wolf Christian Schröder Inszeniert von Uwe Eric Laufenberg

THE HARD PROBLEM. Oder: Ist Bewusstsein Materie? · Deutschsprachige Erstaufführung von Tom Stoppard ... (»Travesties«, »Jumpers«) wurden mehrfach ausgezeichnet. Darüber hinaus

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Begleitmaterial zu THE HARD PROBLEM. Oder: Ist Bewusstsein Materie?

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THE HARD PROBLEM.

Oder: Ist Bewusstsein

Materie?

Deutschsprachige Erstaufführung von Tom Stoppard

Übersetzung von Wolf Christian Schröder

Inszeniert von Uwe Eric Laufenberg

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Begleitmaterial zu THE HARD PROBLEM. Oder: Ist Bewusstsein Materie?

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Sehr geehrte Pädagog*innen,

liebe Interessierte,

»THE HARD PROBLEM. Oder: Ist Bewusstsein Materie?« von Sir Tom Stoppard

feierte am 15.09.2017 im Hessischen Staatstheater Wiesbaden die deutschsprachige

Erstaufführung.

Im Zentrum des Stücks steht eine junge Psychologin, die sich mit dem sogenannten

»Hard Problem«, dem Leib-Seele-Dualismus und mit der Frage nach dem

Bewusstsein auseinandersetzt. Es gibt einen Körper und es gibt eine Seele. Oder? Wie

hängen beide zusammen? Inwiefern beeinflussen sie einander, und inwieweit

können sie unabhängig voneinander betrachtet werden? Wie entsteht Bewusstsein,

und kann Geist überhaupt unabhängig vom Gehirn existieren? Ist die Seele eine

eigenständige Materie?

Thematisch passt das Stück besonders in den Unterricht der Philosophie, der

Religion, der Ethik, der Gemeinschaftskunde sowie dem Deutschunterricht und dem

Darstellenden Spiel. Aufgrund der neurobiologischen Diskussionen im Stück ist

diese Inszenierung durchaus auch für das Fach Biologie interessant. Zur

Vorbereitung auf den Theaterbesuch mit Ihrer Klasse/ Gruppe haben wir für Sie in

dieser Materialmappe einige Informationen und Möglichkeiten zur Aufarbeitung

zusammengestellt. Sie finden Interessantes zum Autor, zum Regisseur, zur

Besetzung wie auch zur Thematik.

Damit wünschen wir Ihnen einen wunderbaren Theaterbesuch und freuen uns über

jede Rückmeldung, Anregung und Meinung.

Viel Spaß im Theater!

Hessisches Staatstheater Wiesbaden

Christian-Zais-Straße 3

Tel. +49 (0) 611.132 272

[email protected]

[email protected]

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Inhaltsverzeichnis

Die Biografien

Tom Stoppard 5

Uwe Eric Laufenberg 6

Stückinhalt 7

Portrait – Tom Stoppard 8

Die Besetzung 10

Hintergrundinformationen

Interview des DLF mit Tom Stoppard 11

Was ist das Leib-Seele-Problem? 16

Können wir das Leib-Seele-Problem lösen? 16

Homo Deus 17

Gefangenendilemma 19

Kleine theoretische Einführung 20

Stückauszug 22

Vor- und Nachbereitung 23

Quellen 28

Impressum 29

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Die Biografien

Tom Stoppard

Autor »THE HARD PROBLEM oder: Ist das Bewusstsein Materie?«

Als Tom Stoppard 1999 den Oscar für sein Drehbuch zu »Shakespeare in Love« entgegen

nahm, konnte er bereits auf einen Goldenen Löwen, einen Golden Globe und einen Silbernen

Bären zurück blicken. Stoppard, einer

der prominentesten britischen

Drehbuchautoren und Dramatiker der

Gegenwart, wurde 1937 als Tomáš

Straussler in Zlín in der

Tschechoslowakei geboren. Er floh mit

seinen Eltern vor den Nazis nach

Singapur, von dort nach Indien und

mit der Mutter, die nach dem Tod des

Vaters den englischen Major Stoppard

heiratete, nach England, wo sie sich in

Bristol niederliessen. Stoppard begann seine Karriere als Journalist und Theaterkritiker. Er

gehörte zur Generation der »angry young men«, die Ende der 50er und in den 60er Jahren

die Bühne mit Sozialkritik, rebellierenden Helden der Arbeiterklasse und Alltagssprache

revolutionierten. Seine Stücke (»Travesties«, »Jumpers«) wurden mehrfach ausgezeichnet.

Darüber hinaus entstanden Romane, Kinderbücher, Hörspiele und Arbeiten für das

Fernsehen. Skripts für Steven Spielbergs Shanghai-Drama »Das Reich der Sonne» (mit dem

jungen Christian Bale) und Terry Gilliams Zukunftssatire »Brazil« wurden für einen BAFTA-

Preis bzw. für den Oscar nominiert. In »Rosencrantz & Güldenstern sind tot«, dem einzigem

Film, bei dem Stoppard selbst Regie führte, werden Hamlets Freunde zu Opfern einer

tragikomischen Intrige. Für John Maddens »Shakespeare in Love« erfand der

Drehbuchautor eine Liebesgeschichte zwischen Shakespeare (Joseph Fiennes) und der

schönen Adeligen Viola De Lesseps (Gwyneth Paltrow). Stoppard erhielt dafür insgesamt 14

Auszeichnungen. 1987 wurde er zum Ritter des Britischen Empire geschlagen. 2000 wurde

ihm der Order of Merit verliehen. Die französische Regierung zeichnete ihn als Officier de

L'Ordre des Arts et des Lettres aus.

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Uwe Eric Laufenberg

Inszenierung » THE HARD PROBLEM. Oder: Ist das Bewusstsein Materie?«

Uwe Eric Laufenberg, geboren in Köln, war als Schauspieler und Regisseur am Schauspiel

Frankfurt, am Schauspiel Köln und am Schauspielhaus Zürich tätig, anschließend als

Oberspielleiter am Maxim Gorki

Theater in Berlin. Schauspiel-

Gastinszenierungen waren ab 1993

unter anderem am Deutschen Theater

Berlin, Residenztheater München und

Burgtheater Wien zu sehen.

Operninszenierungen erarbeitete er u.

a. am Landestheater Linz (»Der Ring

des Nibelungen«), an der Wiener

Staatsoper (»Elektra«), Semperoper

Dresden und am Gran Teatre del Liceu

Barcelona (»Der Rosenkavalier«), Théâtre Royal de la Monnaie Brüssel, an der Komischen

Oper Berlin sowie an der Staatsoper Hamburg. 2004-2009 war er Intendant des Hans Otto

Theaters Potsdam und 2009-2012 Intendant der Oper Köln.

Seit Beginn der Spielzeit 2014.2015 ist Uwe Eric Laufenberg Intendant des Hessischen

Staatstheaters Wiesbaden. Dort eröffnete er mit Richard Strauss’ »Die Frau ohne Schatten«

und »Herzog Blaubarts Burg« und inszenierte im Schauspiel Thomas Manns

»Buddenbrooks«. Auch adaptierte er seine Inszenierung von Mozarts »Die Entführung aus

dem Serail« für Wiesbaden, die bereits in Potsdam, Köln und im Irak (Sulaymaniyah) zu

sehen war. Die Spielzeit 2015.2016 begann in der Oper mit seiner Neuinszenierung »Otello«,

anschließend führte er bei »Così fan tutte« sowie im Schauspiel bei »Hedda Gabler« Regie.

Die Bayreuther Festspiele 2016 eröffneten mit seiner Inszenierung des »Parsifal«. In der

Spielzeit 2016.2017 standen in Wiesbaden neben der Neuinszenierung von Friedrich Schillers

Drama »Don Karlos« Richard Wagners kompletter Zyklus »Der Ring des Nibelungen« auf

dem Wiesbadener Spielplan.

In der Spielzeit 2017.2018 folgen neu die Inszenierungen der Opern »Tannhäuser« und

»Arabella« sowie im Schauspiel die Deutschsprachige Erstaufführung von Tom Stoppards

»The Hard Problem« und Houellebecques »Unterwerfung«. Auch als Schauspieler ist Uwe

Eric Laufenberg in Wiesbaden präsent, neben »Dr. med. Hiob Prätorius« neu als Kreon in

»Die Antigone des Sophokles«.

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Stückinhalt

»THE HARD PROBLEM. Oder: IST BEWUSSTSEIN MATERIE?«

Wenn alles nur Materie ist, wie entsteht dann das Bewusstsein?

»The Hard Problem«, ein Begriff, für den es im Deutschen keine angemessene Entsprechung

gibt, ist alles andere als abstrakt – er bestimmt auf unterschiedlichste Weise das tägliche

Leben. Das muss Hilary, die überzeugt ist, dass menschliches Denken und Handeln mehr ist

als bloß das Produkt von Synapsenverschaltungen in der grauen Hirnmasse, schon bald

feststellen – sie hat sich auf einen Job im »Krohl Institute for Brain Science« beworben. Dort

trifft sie auf den Mitbewerber Amal, einen Mathematiker, der glaubt, er könne im Tosen der

Hirnströme Muster erkennen und berechenbar machen. Weil Hilary auf dem Institutsflur

jedoch im richtigen Moment die richtigen Fragen stellt, bekommt sie den Job. Damit beginnt

»The Hard Problem« allerdings erst. Denn die Freiheit der Gedanken, die Hilary sucht, ist

von Anfang an bedroht – von gängigen Lehrmeinungen, von eifersüchtigen

Forscherkollegen, von einer Wissenschaft, die degradiert wird zum Zulieferbetrieb für die

Wirtschaft. Jerry Krohl, Hedgefonds-Manager und Namensgeber des Instituts, hat vor allem

ein Interesse: Für seine Börsengeschäfte will er eine Theorie, die menschliches Verhalten

vorhersagbar macht. Wenn Hilarys Abteilung keine Ergebnisse liefert, gehen ihr vielleicht

Fördergelder verloren. Und so wird Hilarys Idealismus auf eine schwere Probe gestellt.

Spike, mittlerweile Professor und knallharter Verfechter von Evolutionstheorie und

Materialismus, neidet Hilary den außerakademischen Erfolg und wendet sich ab. Leo,

Hilarys Vorgesetzter und heimlicher Verehrer, hält lange die schützende Hand über sie – ist

aber machtlos, als Hilary sich auf ganz dünnes Eis begibt: ein Experiment ihrer Assistentin

Bo, das beweisen soll, dass Egoismus dem Menschen nicht angeboren ist, gibt Hilary zur

Publikation frei – ohne dessen Ergebnisse vorher gründlich zu prüfen.

Endgültig ins Wanken gerät Hilarys Wertesystem jedoch, als sie die Vergangenheit einholt.

Als Minderjährige hatte sie ihr kleines Töchterchen Catherine zur Adoption weggegeben.

Doch nun, viele Jahre später, begegnet sie einem Mädchen, das nicht nur Catherine heißt,

sondern auch genau im entsprechenden Alter ist – ausgerechnet die Tochter des steinreichen

Institutsgründers Jerry Krohl. Hilary hat die Wahl: folgt sie ihren neu entfachten

Muttergefühlen oder trifft sie eine zweckrationale Entscheidung?

»The Hard Problem. Oder: Ist Bewusstsein Materie? «, das neue Stück von Tom Stoppard, ist

schnelles, luzides und mitreißendes Erkenntnistheater auf dem aktuellen Stand der Dinge.

Ingeniös verbindet Stoppard eine Jahrtausende alte philosophische Frage – jene nach dem

Verhältnis von Körper und Geist – mit dem State of the Art in Verhaltenspsychologie,

Evolutionstheorie und Neurobiologie. Er stellt nicht nur die Frage, was bleibt vom freien

Willen, wenn wir uns das Gehirn nur noch als Maschine vorstellen, deren Operationen

algorithmisch zerlegt und kalkulierbar gemacht werden. Er stellt auch die Frage, was bleibt

von den Wissenschaften, wenn wir sie als das erkennen, was sie letztlich sind: Fiktionen.

(Verlag Jussenhoven & Fischer)

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Portrait – Tom Stoppard

Geheimnisse des Gehirns

Von Birgitta Lamparth

WIESBADEN - Wie spricht man ihn an? Als „Sir Stoppard“ oder schlicht „Mr. Stoppard“?

Korrekt, sagt der „Knight Bachelor“, ist wohl „Sir Tom“. Selbiger beendet solche

Überlegungen vor unserem Treffen in der Theaterkantine, indem er die Hand ausstreckt und

kurzerhand sagt: „Hi Birgitta“. Damit wäre das schon mal geklärt.

Zwei Tage lang ist er da, zwei Proben hat er schon gesehen. „Es ist immer eine Freude, wenn

ich das Ensemble kennenlernen kann, das ein Stück von mir spielt“, sagt der britische

Dramatiker, der sein ruhiges Plätzchen auf dem Land in der britischen Grafschaft Dorset

verlassen hat, um in Wiesbaden für Fragen der Schauspieler und des Regisseurs zur

Verfügung zu stehen. Es ist sein Jüngstes, 2015 in London uraufgeführtes Stück „The Hard

Problem“, das am 15. September in deutscher Erstaufführung am Staatstheater

herauskommt. Als Chefsache: Der Wiesbadener Intendant Uwe Eric Laufenberg führt Regie.

Und da liege sein Stück „in guten Händen“, lobt der britische Altmeister: „Wenn man

zusammen arbeitet, wird man zu Freunden.“ Stoppard, Jahrgang 1937 und 1997 von der

Queen zum Ritter geschlagen, gilt als einer der vielseitigsten zeitgenössischen Autoren, mit

Werken voll komplexer Dramaturgie, philosophischer Betrachtungen und pointenreicher

Sprache. Neben erfolgreichen Theaterstücken wie „The Real Thing“ oder „Rosencrantz and

Guildenstern are Dead“ hat er auch diverse Filmdrehbücher geschrieben, darunter für

„Shakespeare in Love“ und „Tulpenfieber“, der in Deutschland gerade in den Kinos läuft.

Schon vor 15 Jahren habe er dafür das Skript verfasst, erzählt Stoppard, der Dreh habe sich

verzögert, „das ist beim Film oft ein richtiges Abenteuer“. In England komme der

Historienfilm um die Tulpen-Manie der Niederländer erst dieser Tage ins Kino.

Das fertige Ergebnis habe er selbst noch gar nicht gewesen, aber die Verbindung zwischen

einem Skript und einem Film sei oft sehr unterschiedlich: „Als Autor ist man da ein Diener

des Projektes.“ Lange hatte man auf ein neues Bühnenstück von ihm gewartet: Fast neun

Jahre liegen zwischen „Rock‘n‘Roll“ und „The Hard Problem“. Er sei dazwischen sehr

eingespannt gewesen, unter anderem durch das Drehbuch für „Anna Karenina“ in der Regie

von Joe Wright, erzählt Stoppard. Für „The Hard Problem“ habe er viel gelesen:

Wissenschaftliche und philosophische Lektüre um die Frage, wie Körper und Geist

zusammenhängen – und ob die Seele Materie ist. Und: Hat er eine Antwort gefunden?

„Leider nein – niemand weiß es bis jetzt. Aber man hat das Gefühl, es ist nur eine Frage der

Zeit, wann die Wissenschaft dieses Rätsel lösen wird“, sagt Stoppard. Sein Werk wolle dazu

Fragen aufwerfen, „die Antworten geben die Zuschauer“.

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In seinem Stück gebe es auch einen Charakter, einen Banker, der glaube, dass das Gehirn wie

ein Computer funktioniere, aber seine Erfahrungen in der Welt der Finanzen „passen nicht

zu seinem Glauben, weil die Märkte irrational sind“. Wie denkt er denn über Künstliche

Intelligenz? „Die gegenwärtige Diskussion in den Zeitungen suggerieren unvorstellbare

Möglichkeiten, mit Maschinen, die selbst lernen von ihren Daten,“ sagt Stoppard, der als

Beispiel jenen Computer nennt, der den Go-Weltmeister schlägt. Vielen Menschen mache

das Angst: „Sie befürchten, dass Maschinen schneller und kompetenter sind und ihre Arbeit

übernehmen.“

Er selbst mache sich keine Sorgen, „nicht in meinem Alter – vielleicht meine Kinder“. Aber

schon heute sei es ja so, dass Computer Flugzeuge landen könnten. Er glaube daran, dass wir

im Zeitalter einer großen Veränderung leben, dass kluge Maschinen zwar weitere Aufgaben

übernehmen, „aber das kann keine ethischen Einordnungen, kein Gericht ersetzen“.

Welche Pläne hat er jetzt? „Ich möchte ein neues Stück schreiben.“ Worüber, das weiß er

noch nicht. Zuerst komme nun die deutsche Erstaufführung, die sei ihm wichtig. Dazu reise

er gerne wieder nach Wiesbaden, „um meine neuen Freunde zu treffen“. Die dürften sich

freuen über den prominenten Premierenbesuch. Und auf Tom.

(Wiesbadener Kurier, 06.09.2017)

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Die Besetzung

THE HARD PROBLEM. Oder: Ist Bewusstsein Materie? – Schauspiel von Tom Stoppard

Deutschsprachige Erstaufführung im Kleinen Haus des Hessischen Staatstheaters

Wiesbaden.

Inszenierung Uwe Eric Laufenberg

Bühne Matthias Schaller

Kostüme Anne Buffetrille

Dramaturgie Laura Weber

Licht Ralf Baars

Video Gérard Nazari

Regieassistenz Carolin Wirth

Inspizienz Michael Beranek

Soufflage Simone Betsch

Kostümassistenz Jennifer Harres

Dramaturgiehospitanz Dominik Aberle

Spike Janning Kahnert

Hilary Mira Helene Benser

Amal Matze Vogel

Leo Thomas Jansen

Julia Karoline Reinke

Ursula Evelyn M. Faber

Jerry Tom Gerber

Cathy Viktorine Marsolek, Anne Nenzel

Bo Mayila Ainiwaer

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Hintergrundinformationen

Tom Stoppard im Gespräch mit Noemi Schneider. Interview des DLF.

Noemi Schneider: Sir Tom, warum soll man ins Theater gehen?

Tom Stoppard: Oh, aus denselben Gründen, aus denen die Leute seit zwei Jahrtausenden ins

Theater gehen. Es ist ein Ort, an dem man zusammen kommt. Es gibt jede Menge guter

Gründe. Für mich hat Theater vor allem etwas mit Unterhaltung zu tun. Unterhaltung in

Gesellschaft anderer verbunden mit tiefen Fragestellungen, politischen Fragestellungen, das

Denken wird angeregt, der Diskurs gefördert und so weiter...

Schneider: Wer soll ins Theater gehen?

Stoppard: Ich glaube nicht, dass JEDER gehen "soll". Wenn Sie mit "sollen" eine moralische

Pflicht oder so etwas meinen, dann soll NIEMAND gehen. Aber es sollte eine für alle offene

Veranstaltung sein. Und ich glaube, dass die Leute, die am meisten davon haben, die sind,

die dem Theater begegnen wollen. Es ist ein bisschen wie mit der Kirche. Es macht keinen

Sinn in die Kirche zu gehen, wenn man kein Interesse an Religion hat.

Schneider: Die Zeiten in denen wir leben, sind das gute Zeiten fürs Theater oder schlechte?

Stoppard: Wenn man das Theater ganzheitlich betrachtet, dann sind es gute Zeiten. Ich

spreche jetzt für England, aber, wenn ihre große Liebe dem Sprechtheater gilt und nicht

einem, sagen wir, wunderbaren Musical, dann sind es nicht gerade gute Zeiten. Obwohl ich

das Gefühl habe, dass es wieder besser wird... Ich glaube das Theater in diesem Land hatte

immer eine besondere Anziehungskraft seit Elisabeth I. Wir profitieren immer noch von

diesem Sonderfall in unserer Geschichte, dem elisabethanischen Theater. Wenn man also die

letzten fünfhundert Jahre nimmt, dann sind es gute Zeiten.

Schneider: Was soll das Theater? Soll es gesellschaftliche und politische Verhältnisse

spiegeln? Hat es einen erzieherischen Auftrag, im Brecht'schen Sinn?

Stoppard: Nun, die letzten zwei oder drei Abende, die ich im Theater verbracht habe,

drehten sich um Genderfragen oder irische Politik und andere politische Themen. Aber

interessanterweise beinhaltet ihre Frage erneut das Wort "sollen", so als ob das Theater und

das Publikum aus ihrer Sicht eine moralische oder soziale Pflicht zu erfüllen hätten. Und

dazu sage ich ganz klar: Nein. "Ernst sein ist alles" oder "Monsieur Hulot macht Ferien" - das

ist jetzt ein Film - aber sagen wir Stücke von Feydeau oder Nestroy sind auch ein essentieller

Teil der zweitausendjährigen Überlieferung in der sich ein Theaterpublikum auf die ein oder

andere Weise selbst betrachtet.

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Schneider: In Deutschland wurde der Begriff "Regietheater" geprägt, ein Theater also, in

dem der Regisseur im Fokus steht und nicht der Autor. Wie gehen Sie damit um? Werden

Sie damit konfrontiert?

Stoppard: Nicht wirklich, aber für diese Art Theater ist Deutschland hier in England

geradezu berühmt. Ich habe ein, zwei deutsche Freunde, die schreiben, einer von ihnen war

mit einer bestimmten Inszenierung eines seiner Stücke sehr unzufrieden, und ich sagte:

"Also ich verstehe nicht, wie das für dich eine Überraschung sein konnte, hast du denn nicht

gewusst was passiert? Warst du nicht bei den Proben?" Und er sagte: "Ich darf nicht zu den

Proben." Und das ist für mich schlichtweg ein ziemlich bizarrer Satz, aus dem Mund eines

Theaterautors. Und das hat etwas mit dem Selbstverständnis des Englischen Theaters als

literarischer Gattung zu tun. Es bleibt ein literarisches Unterfangen, eine literarische

Bestrebung, die im Schauspiel und in der Ausstattung und allem anderen ihren Ausdruck

findet. Vor hundert Jahren gab es hier noch keine Regisseure. Es gab vielleicht jemanden der

die Schauspieler ein bisschen herum geschoben hat aber die Idee des eigenständigen

Inszenierens, Regie, als gesondertes Gestaltungsmittel zu betrachten, ist ziemlich neu für

uns. Ich kann nur sagen, dass unser Theaterverständnis das heute auch mit umfasst, das

sogenannte Regietheater aber ich glaube nicht, dass es das ist, was das englische Publikum

vom Theater erwartet.

Schneider: Es ist wirklich auffällig, wenn man hier in London die Werbeplakate für Ihr

Stück betrachtet, darauf sind die Namen der Schauspieler und Ihr Name, der Name des

Autors, sehr prominent platziert. Auch der Name des Regisseurs taucht auf einigen Plakaten

auf, aber verhältnismäßig kleingedruckt.

Stoppard: Wenn Sie das Publikum nach dem Theater fragen, wer das Stück inszeniert hat,

dann haben die meisten keine Ahnung. Sie denken an die Autoren, wer das Stück

geschrieben hat und natürlich, wenn es sich um bekannte Schauspieler handelt, sind sie sich

der Stars bewusst. Aber es gibt etwas, was ich am Selbstverständnis des deutschen

Regietheaters fast beneidenswert finde, und das ist diese wundervolle Ernsthaftigkeit und

obwohl ich wundervoll und beneidenswert sage, will ich das nicht haben, aber ich hege eine

widerwillige Bewunderung für jeden, der etwas so sehr ernst nimmt und es für so wichtig

hält, da schwingt die Überzeugung mit, dass es sich um etwas sehr Bedeutsames handelt,

aber damit geht auch immer die Gefahr der Selbstherrlichkeit einher. Ich fühle mich sehr

wohl in unserer großen offenen Kirche, die wir hier Theater nennen. Die gleichen Leute

gehen zu Shakespeare oder einer Feydeau-Farce, wenn es gut gemacht ist. Es wäre natürlich

vollkommen falsch vom Britischen Theater zu behaupten, dass es keinen Wert darauf läge,

mit der sich wandelnden Gesellschaft im Dialog zu stehen, oder diese darauf hinzuweisen,

was sie anrichtet. Ein Theater, das sich zugleich als Ankläger und Zauberer versteht und auf

poetische Weise tieferliegende Wahrheiten im Alltäglichen aufdeckt. All das gehört zu den

Tugenden des Theaters und man wäre ein Idiot, wenn man das verachten wollte. Trotzdem

wehre ich mich dagegen, wenn das Theater den Zuschauern mit dem Zeigefinger kommt.

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Ich sehe unsere Aufgabe darin, das Publikum auf den Sitzen zu halten. Und ich bin dafür,

dass wir das mit guter Bühnenarbeit tun und nicht weil das, was auf der Bühne passiert, so

wichtig ist oder besonders tiefschürfend. Ich glaube, dass zu jedem Theater die gute

Bühnenarbeit gehört und bin davon überzeugt, dass das Publikum von Land zu Land mehr

miteinander gemein hat, als man meint. Ein Clown ist lustig in jeder Kultur und lustig auf

dieselbe Art. Die Annahme, man müsse Qualität automatisch mit etwas "Sinnvollem"

gleichsetzen ist falsch, das ist nicht der Grund, weshalb wir ins Theater gehen. Wir gehen ins

Theater, weil es verdammt schwierig ist, gutes Theater zu machen. Nicht jeder kann auf

einem Einrad fahrend ein Tablett Tee in der einen Hand balancieren und in der anderen

Hand Orangen jonglieren. Das können nicht viele Leute. Wenn man jemanden sieht, der das

kann, dann denkt man, gute Arbeit…..und klatscht. Es geht darum, ob etwas gut oder

schlecht gemacht ist, das ist das Entscheidende für den Zuschauer. Und wenn es sich dabei

um eine Polemik über die morgendlichen politischen Schlagzeilen handelt, in Ordnung, aber

wenn sich die Schauspielkunst jemandem ohne Hosen, der sich im Kleiderschrank der

Ehefrau versteckt hat, widmet, auch gut, wieso auch nicht?

Schneider: Es gibt eine kurze Geschichte von Thomas Bernhard mit dem Titel "Ein

eigenwilliger Autor". Die handelt von einem Theaterautor, der ein tolles Stück geschrieben

hat, und sich bei der Premiere mit einem Maschinengewehr im Zuschauerraum verschanzt,

um jeden abzuknallen, der an der falschen Stelle lacht. Es bleibt kein Zuschauer übrig und

das Stück spielt unverdrossen weiter.

Sind Sie ein eigenwilliger Autor?

Stoppard: Nun ja, ich habe nichts für die Bühne geschrieben, über das man nicht irgendwie

schmunzeln oder lachen kann. Ich habe über jüdisch-russische Dissidenten geschrieben, die

in einer Psychiatrie eingesperrt sind, aber selbst das ist lustig und die Zuschauer lachen

darüber. Die Falle, in die man tappt, wenn man für das Theater arbeitet, ist die, dass man

Gefahr läuft, eine Geisel des Lachens zu werden, der Zuschauer-Reaktion. Man geht

automatisch davon aus oder erwartet, dass das Publikum in einem bestimmten Moment

reagiert, und wenn das nicht passiert, dann fragt man sich, was falsch läuft. Wenn ein Stück

über mehrere Wochen gespielt wird, fertigt das Bühnenmanagement nach jeder Vorstellung

einen Bericht an, dem man entnehmen kann, wie alles lief und so weiter, ob sie drei Minuten

draufgegeben haben oder um eine Minute verkürzt haben. Man kriegt den Bericht um

nachzuvollziehen, was so passiert ist den Abend über, und sehr häufig steht dann im Bericht:

"Das Publikum war heute sehr zurückhaltend, aber nachdem der Vorhang fiel, waren sie

begeistert." Das Schweigen eines Publikums ist also sehr beredt und kann verschiedenes

heißen. Ich habe immer gerne vereinfacht und glaubte irgendwann, Lachen stünde für

Verständnis und Schweigen sei darum Unverständnis. Das war ein Fehler.

Schneider: Sir Tom, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie sich in die Worte verliebt

haben?

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Stoppard: Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich habe Wörter immer geliebt. Ich habe es

immer geliebt, zu lesen, und ich schätze, ich schreibe, weil alle, die schreiben, in gewisser

Weise versuchen, etwas zu schreiben, das so gut ist wie das Beste, was sie gelesen haben. Ich

liebe das Schreiben, weil ich es liebe zu lesen.

Schneider: Was ist das Faszinierende daran, fürs Theater zu schreiben?

Stoppard: Ich liebe das Theater, weil es eine sehr tiefe Wahrheit enthält und für das Theater

zu schreiben beinhaltet einige sehr spezielle Eigenheiten. Denn was man schreibt, ist immer

der Versuch, ein Ereignis sehr präzise zu beschreiben, das noch gar nicht stattgefunden hat.

Das ist ein Theater-Stück. Ich habe einmal aus einem Theaterstück einen Film gemacht,

Rosenkranz und Güldenstern sind tot, und es war für mich sehr erstaunlich und

erschütternd festzustellen, dass was man einmal gemacht hat, immer genauso bleibt. Beim

Theater ist es am nächsten Abend immer anders, irgendetwas ist verloren gegangen oder

vielleicht sogar hinzugekommen.

Die Tatsache also, dass das Theater unberechenbar ist, sich chemisch verflüchtigen kann,

macht es zu einer gefährlichen Beschäftigung. Das ist ein etwas übertriebenes Adjektiv nicht

war? Es ist keine gefährliche Beschäftigung, wenn man es mit dem Entschärfen von Bomben

vergleicht, aber als Kunstform betrachtet hat es die Macht, dich wie einen Idioten aussehen

zu lassen. Deine Fehleinschätzungen werden öffentlich zur Schau gestellt. Du weißt nicht, ob

du richtig liegst, was passieren wird, bis das Stück zum ersten Mal vor Publikum gespielt

wird. Du weiß nicht, was passieren wird. Und das ist einfach wunderbar. Das gilt auch fürs

Ballett oder die Oper, aber das mache ich nicht. Ich mache Theater und das ist sehr reizvoll

für mich, denn auch das Schreiben verändert sich mit der Zeit und muss sich verändern. Ich

würde gerne gute Gedichte schreiben, aber das kann ich eben nicht.

Schneider: Shakespeare hat Rosenkranz und Güldenstern im "Hamlet" getötet

beziehungsweise für tot erklären lassen. Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, die beiden

todgeweihten Studenten aus Wittenberg "ihr Stück" überleben zu lassen?

Stoppard: Nun, wenn man sich nicht festlegt, kann man mehr oder weniger seine eigenen

Regeln aufstellen. Aber wenn das, was man erzählt, die Logik der Shakespear'schen

Wirklichkeit mit einschließt, dann geht man davon aus, dass die Figuren bei Shakespeare

nicht lügen. Wenn also der Bote aus England am Ende von Hamlet sagt: "Rosenkranz und

Güldenstern sind tot!", dann ist das die gültige Wahrheit. Natürlich hätte ich einen Grund

dafür erfinden können, weshalb der Bote gelogen hat, aber das hat mich nicht gereizt. Mich

hat es gereizt, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens zu arbeiten. Das heißt, man hat etwas,

mit dem man arbeiten kann und gegen das man arbeiten kann. Es ist sehr aufregend, wenn

es funktioniert, und es gibt vermutlich nicht so viele Klassiker, mit denen man das machen

kann, vielleicht ist Shakespeare der Einzige. Mein Stück "Travesties" zum Beispiel hat eine

Binnenebene, die auf dem Stück "Ernst sein ist alles" basiert. Viele Leute, die das Stück heute

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in England sehen, sind sich dessen nicht bewusst und wenn, dann sind sie nicht so vertraut

mit Wildes Stück, wie man es sein müsste, um zu erkennen, welche Sätze daraus gestohlen

oder abgeändert wurden. Da gehen Dinge vor sich, und ich bereue es wirklich sehr, das zu

sagen, die sich einem Teil des Publikums nicht völlig erschließen. Ich zwinge mich jetzt

geradezu, das in ihr unheimliches Mikrofon zu sprechen, denn ich würde gerne von mir

behaupten, dass man nichts im Voraus wissen muss, um jedes meiner Stücke zu

verstehen.Das würde ich wirklich gerne!

Schneider: Im Zentrum ihres letzten Stücks "The Hard Problem" steht eine junge

Psychologin, die sich mit dem sogenannten "Hard Problem", dem Leib-Seele-Dualismus,

auseinandersetzt, der Frage nach dem Bewusstsein. Wie verlief der Entstehungsprozess

dieses Stückes?

Stoppard: Wie bei den meisten meiner Stücke. Ich lese etwas, das mich nicht mehr los lässt

und dann kann ich nicht aufhören, alles darüber zu lesen. Und in den letzten Jahren hat mich

das Problem des Bewusstseins sehr interessiert, die Tatsache, dass das Bewusstsein für die

meisten Leute ein nicht messbares, unerklärliches Mysterium ist. Natürlich gibt es die

verschiedensten philosophischen und wissenschaftlichen Erklärungsmodelle dafür, was das

Bewusstsein ist, trotzdem bleibt es ein Mysterium. Es ist ein sehr kurzes Stück über ein sehr

großes Thema geworden und es setzt sich auch noch mit einer anderen Sache auseinander,

die mich schon länger umtreibt, dem Ausbruch der Bankenkrise, 2008 in Amerika. Ich habe

Regale mit Büchern gefüllt und am Ende saß ich da und schrieb "The Hard Problem", mit

einem Wissen, das weit über das hinausging, was man in ein Stück oder einen dicken Roman

packen kann. Ich hatte eine Struktur im Kopf und mir fest vorgenommen, ein Stück zu

schreiben, das hundert Minuten dauert, ohne Pause. Früher habe ich Stücke geschrieben, die

immer fünf Minuten zu lang waren, meistens im ersten Akt. Die hatten eine Pause, das heißt,

man setzt sich um halb acht hin und wenn man Glück hat, kommt man um viertel nach zehn

wieder raus. Und ich war schon immer neidisch auf Autoren, die es schaffen, alles in

neunzig oder hundert Minuten unterzubringen, denn dann kann man danach noch in den

Pub gehen oder in ein Restaurant. Also habe ich mir gesagt, ich mache es diesmal ohne

Pause, und deshalb darf es nicht länger als hundert Minuten werden. Das war eine gute

Entscheidung und und eine sehr befriedigende Erfahrung.

Schneider: Wenn Ihr Leben ein Theaterstück wäre, welchen Titel hätte es?

Stoppard: Oh, auf solche Fragen muss man vorbereitet sein. Da kann ich nur improvisieren,

vielleicht... Es hat nie für einen Titel gereicht... Das ist wirklich eine gute Frage, aber ich habe

leider keine gute Antwort.

Interview des DLF mit Tom Stoppard.

http://www.deutschlandfunk.de/ueber-den-zustand-des-theaters-ich-sehe-unsere-

aufgabe.911.de.html?dram:article_id=390081

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WAS IST DAS LEIB-SEELE-PROBLEM?

von Thomas Metzinger

Das Leib-Seele-Problem ist das ontologische [Ontologie: Wissenschaft des Seienden]

Grundproblem in der Philosophie des Geistes. Es wird heute in erster Linie als die Frage

nach der Möglichkeit von kausalen Beziehungen zwischen geistigen und körperlichen

Ereignissen formuliert: Wie können Gedanken und Willensakte körperliche

Bewegungen auslösen? Wie genau sollten wir es uns vorstellen, dass rein physische

Reizungen unserer Sinnesorgane das Auftreten von subjektiven Empfindungen und

Wahrnehmungserlebnissen verursachen? Eng verknüpft mit diesem Problem ist die

allgemeinere Frage nach dem ontologischen Status mentaler Zustände: In welchem Sinne

sind – zum Beispiel – Gedanken oder Gefühle reale Zustände, echte Bausteine der

Wirklichkeit, die eine eigene kausale Rolle spielen? Sind wir wirklich in der Welt? Immerhin

handelt es sich um subjektive Zustände, die nach unserem traditionellen Verständnis keine

öffentlich beobachtbaren Eigenschaften besitzen. In welcher Beziehung stehen sie eigentlich

zu den objektiven Aspekten der Realität? Gibt es sie überhaupt und in genau welchem Sinne

kann man von ihnen sagen, dass sie existieren? Wenn man mentale Zustände und

Eigenschaften wie Meinungen und Überzeugungen, Wünsche und Willensakte,

Glücksgefühle oder die subjektiven Qualitäten von Schmerz-, Geruchs- oder Farberlebnissen

betrachtet, dann muss man fragen: Welche Arten von Entitäten sind diese mentalen

Entitäten überhaupt?

KÖNNEN WIR DAS LEIB-SEELE-PROBLEM LÖSEN?

von Colin McGinn

Wir versuchen seit langer Zeit, das Leib-Seele-Problem zu lösen. Es hat sich hartnäckig

unseren größten Anstrengungen widersetzt. Das Rätsel bleibt bestehen. Ich denke, es ist an

der Zeit, offen zuzugeben, dass wir das Rätsel nicht lösen können. Doch ich denke auch, dass

gerade die Unlösbarkeit – bzw. der Grund für sie – das philosophische Problem aufhebt. Das

spezifische Problem betrifft das Bewusstsein, die harte Nuss des Leib-Seele-Problems. Meine

Position ist pessimistisch und optimistisch zugleich. Sie ist pessimistisch, was die Aussicht

betrifft, eine konstruktive Lösung für das Leib-Seele-Problem finden zu können, aber sie ist

optimistisch hinsichtlich der Hoffnung, unsere philosophische Ratlosigkeit überwinden zu

können. Meine Hauptthese ist hier, dass wir nicht ersteres tun müssen, um letzteres zu

erreichen. Dies stützt sich auf ein eher ungewöhnliches Verständnis von der Beschaffenheit

des philosophischen Problems. Was ich nahe legen möchte, ist, dass die Natur der

psychophysischen Verbindung eine vollständige und unmysteriöse Erklärung in einer

bestimmten Wissenschaft findet, aber dass uns diese Wissenschaft aus prinzipiellen Gründen

unzugänglich ist.

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HOMO DEUS

von Yuval Noah Harari

Dass die neuen Religionen irgendwo in den Höhlen Afghanistans oder in den Koranschulen

des Nahen Ostens entstehen, ist eher unwahrscheinlich. Vielmehr werden sie aus den

Forschungslaboren kommen. So wie der Sozialismus die Welt eroberte, weil er Erlösung

durch Dampf und Elektrizität versprach, so werden in den kommenden Jahrzehnten neue

Techno-Religionen die Welt erobern, weil sie Heil durch Algorithmen und Gene

versprechen. Trotz allen Geredes vom radikalen Islam und dem christlichen

Fundamentalismus ist der aus religöser Sicht interessante Ort auf dieser Welt nicht der

Islamische Staat oder der Bible Belt, sondern Silicon Valley. Dort bauen Hightech-Gurus

schöne neue Religionen für uns zusammen, die wenig mit Gott und alles mit Technologie zu

tun haben. Sie versprechen all die alten Gewinne – Glück, Frieden, Wohlstand und sogar

ewiges Leben –, nur eben hier auf Erden mit Hilfe der Technik und nicht erst

nach dem Tod mit Hilfe himmlischer Wesen. Diese neuen Techno-Religionen lassen sich in

zwei Haupttypen unterteilen: Techno-Humanismus und Datenreligion. Die Datenreligion

behauptet, die Menschen hätten ihre kosmische Aufgabe vollendet und sollten die Fackel

nun an völlig neuartige Wesenheiten weitergeben. [Daneben gibt es den] konservativeren

Glauben des Techno-Humanismus, der die Menschen noch immer als Krone der Schöpfung

betrachtet und an vielen traditionellen humanistischen Werten festhält. So ist er zwar

ebenfalls der Auffassung, dass Homo sapiens, wie wir ihn kennen, seinen historischen Lauf

absolviert hat und in Zukunft nicht mehr relevant sein wird, kommt aber zu dem Schluss,

dass wir deshalb mit Hilfe der Technik Homo Deus schaffen sollen – ein viel höherwertiges

menschliches Modell. Homo Deus wird einige wesentliche menschliche Merkmale behalten,

aber auch über optimierte körperliche und geistige Fähigkeiten verfügen, die ihn in die Lage

versetzen werden, sich sogar gegen die ausgeklügeltsten nicht-bewussten Algorithmen zu

behaupten. Da Intelligenz sich vom Bewusstsein abkoppelt und nicht-bewusste Intelligenz

sich in halsbrecherischem Tempo entwickelt, müssen Menschen ihren Geist aktiv optimieren,

wenn sie im Spiel bleiben wollen. Vor 70.000 Jahren veränderte die kognitive Revolution des

Geistes den Sapiens und machte damit aus einem unbedeutenden afrikanischen Affen den

Herrscher der Welt. Der verbesserte Geist des Sapiens hatte plötzlich Zugang zum riesigen

Bereich des Intersubjektiven, was uns in die Lage versetzte, Götter und Unternehmen

zu schaffen, Städte und Imperien zu errichten, die Schrift und das Geld zu erfinden und

schließlich das Atom zu spalten und zum Mond zu fliegen. Soweit wir wissen, resultierte

diese weltbewegende Revolution aus ein paar kleinen Veränderungen in der DNA des

Sapiens und einer geringfügigen Neuverdrahtung im Gehirn. Wenn das so ist, so der

Techno-Humanismus, reichen ein paar weitere Veränderungen in unserem Genom und eine

weitere Neuverschaltung unseres Gehirns aus, um eine zweite kognitive Revolution ins

Werk zu setzen. Die geistigen Neuerungen der ersten kognitiven Revolution verschafften

Homo sapiens Zugang zum Bereich des Intersubjektiven und machten uns zu Herrschern über

den Planeten. Eine zweite kognitive Revolution könnte Homo deus Zugang zu

unvorstellbaren neuen Sphären verschaffen und uns zu Herren der Galaxie erheben. Diese

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Idee ist eine aktualisierte Variante der alten Träume des evolutionären Humanismus, der

schon vor einem Jahrhundert die Schaffung von Übermenschen forderte. Doch während

Hitler und sein Gefolge solche Übermenschen mit Hilfe von Zuchtwahl und ethnischer

Säuberung produzieren wollten, hofft der Techno-Humanismus des 21. Jahrhunderts, dieses

Ziel weitaus friedlicher zu erreichen, nämlich mit Hilfe von Gentechnik, Nanotechnologie

und Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer.

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Gefangenendilemma

»In dem Spiel geht es nicht um dich und Bob. Es geht um statistische Wahrscheinlichkeit. Es geht um

Überlebensstrategien, die vor Millionen von Jahren in unserem Gehirn verankert wurden. Fressen

oder gefressen werden, wer gibt seine Gene weiter an die nächste Generation. Konkurrenz ist ein

Naturgesetz. Egoismus ist das Fundament, Zusammenarbeit nur eine Strategie. Altruismus ist ein

Ausreißer, es sei denn, du bist eine Ameise oder eine Biene.« Spike

Eines der sehr berühmten Beispiele für ein einfaches Spiel in der Spieltheorie ist das

Gefangenendilemma. In seiner klassischen Form stellt es sich folgendermaßen dar:

2 Bankräuber werden nach Ihrer Tat gefasst, es kann Ihnen jedoch außer unerlaubtem

Waffenbesitz nichts nachgewiesen werden, was 3 Jahre Gefängnis nach sich ziehen würde.

Bei der Polizei werden die beiden getrennt voneinander verhört. Die Staatsanwaltschaft

bietet eine Kronzeugenregelung an.

Auf den Bankraub stehen 10 Jahre Gefängnis; gesteht nur einer der beiden greift die

Kronzeugenregelung, d.h. 0 Jahre für den Geständigen. Liefern jedoch beide ein Geständnis

ab, bekommen beide aufgrund mildernder Umstände (sie haben ja gestanden!) nur 8 Jahre.

Jetzt stellt sich die Frage für jeden der Verbrecher, allg. Spieler genannt, wie er sich im

Verhör verhalten sollte. Obwohl es für beide, zusammen betrachtet, besser wäre zu

schweigen, haben beide aus zwei Gründen einen Anreiz, von einem evtl.

Schweigeabkommen abzuweichen:

1. Freiheit ist besser als 3 Jahre Gefängnis, wenn man den anderen Spieler als loyal

einschätzt.

2. Im Sinne der Schadensbegrenzung sind 8 Jahre besser als 10 Jahre Gefängnis, wenn

der andere Spieler vom Abkommen abweicht.

Unter Vernachlässigung äußerer Umstände wie Freundschaft/Liebe oder Morddrohung der

Mafia ist es immer besser zu gestehen. Nashs Gleichgewicht (der Erfinder dieser

Spieltheorie) prognostiziert in diesem Fall, dass beide reden und für acht Jahre ins

Gefängnis gehen. Und das, obwohl sie durch Schweigen die Strafe um die Hälfte reduzieren

könnten. »Das Gleichgewicht zeigt, wann das Verfolgen von Eigeninteresse zum sozialen

Optimum führt und wann nicht«, sagt Spieltheorie-Experte Rieck. Im Gefangenendilemma

stünde die Kooperation auf wackligen Beinen. In diesem Fall hätten beide Spieler die

Möglichkeit, sich durch ein Geständnis sofort freizukaufen. Da diese Gefahr von beiden

antizipiert wird, gestehen sie von vorneherein. »Vor Nash hat man nicht verstanden, dass

Kooperation selbst dann nicht immer zustande kommt, wenn es sich für alle lohnen würde«,

sagt Ökonom Ockenfels. Als Berater des Weltklimarats (IPCC) beobachtet er dieses

Verhalten oft in der Realität. »Große gesellschaftliche Herausforderungen wie der

Klimaschutz haben genau diese Dilemmastruktur«, so Ockenfels. Auch wenn die meisten

Staaten die Vorteile einer weltweiten Reduzierung von Treibhausgasen erkennen, mag es für

jedes Land individuell lohnender erscheinen, das eigene Verhalten nicht zu ändern. Doch

was für ein einzelnes Land optimal scheint, könnte für die Weltgemeinschaft fatal sein.

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KLEINE THEORETISCHE EINFÜHRUNG

IDEALISMUS

Idealismus, erkenntnistheoretische Grundhaltung, die einer geistigen Seinsart, dem Denken

oder Ideen, den Vorrang einräumt gegenüber der materiellen oder sinnlich erfahrbaren

Beschaffenheit der Wirklichkeit. Der Idealismus tritt erstmals ausgeprägt mit der Ideenlehre

Platons auf. Wichtigster Vertreter des neuzeitlichen Idealismus (erkenntnistheoretischer

Idealismus) ist [René] Descartes. Seine Überzeugung, dass die geistige Seinsweise leichter zu

erkennen sei (»cogito ergo sum«, »ich denke, also bin ich«) als die körperliche, wirkt

entscheidend auf die Subjektphilosophie des Deutschen Idealismus. Das denkende Ich, das

zugleich der Sitz der Vernunft ist, wird zum ersten Prinzip der Philosophie erklärt. Stärkste

Gegenbewegung zum Idealismus ist der Materialismus, besonders seit Marx. Metzler

Lexikon Philosophie Denken ist für [Descartes] untrennbar mit Bewusstsein und dem Haben

von Ideen verbunden, und Maschinen können Descartes zufolge weder in diesem Sinne

bewusst sein noch Ideen haben. Denken ist für Descartes damit das wesentliche Merkmal der

Seele. Die Seele ist eine res cogitans. Physische Dinge dagegen nicht; ihr wesentliches

Merkmal ist ihre Ausgedehntheit; physische Dinge sind res extensae. Für Descartes gibt es

zwei Arten von Substanzen: denkende und ausgedehnte Dinge. Die Seele gehört zur ersten

Art; der Körper zur zweiten. Außerdem teilt Descartes Platons erste These: Die Seele ist das

eigentliche Selbst des Menschen.

MATERIALISMUS

Materialismus ist eine in der gesamten Geschichte der Philosophie sowie in Wissenschaften

auftretende monistische ontologische Lehre über das Verhältnis von Welt (als ganzer) und

einem ›Ursprungsprinzip‹ (Materie, Natur) mit Folgen für die erkenntnistheoretische

Bestimmung des Verhältnisses von Materie und Geist, Leib und Seele, Materiellem und

Ideellem. Materialismus ist in der Regel weniger eine systematische Theorie als ein

Überzeugungssystem und prägt als Weltanschauung ein bestimmtes Verständnis der

Stellung des Menschen in der physischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dem

Idealismus entgegengesetzt, räumt er – bei unterschiedlichen ontologischen Begründungen –

der Materie / dem Materiellen / der Natur einen Primat ein. Epistemologisch

[erkenntnistheoretisch] folgt aus materialistischen Positionen in der Regel die Annahme,

dass die Erkenntnis eine vom Bewusstsein unabhängige ›objektive‹ Außenwelt abbildet.

DUALISMUS

In der analytischen Philosophie des Geistes haben insbesondere Thomas Nagel [*1937] und

Frank Jackson [*1943] geltend gemacht, dass eine vollständige physikalistische Erfassung

phänomenaler Erfahrungen nicht möglich ist. Selbst wenn eine komplette Kenntnis eines

Menschen aus der Dritten-Person-Perspektive gegeben wäre (seine / ihre vollständige

physikalische, chemische, neurophysiologische etc. Zusammensetzung), würde man immer

noch nicht wissen, wie eine Person S z. B. eine farbige Blumenwiese erlebt (›what it’s like to

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be‹). Frank Jackson hat diese Auffassung mit dem so genannten ›Wissensargument‹ zu

verdeutlichen versucht: Man stelle sich eine brillante Farbwissenschaftlerin vor, Mary, die in

einem schwarz-weißen Labor arbeitet und mit Hilfe modernster Technik alles über Farben

und Farbwahrnehmungen lernt, was man mit den Mitteln der Naturwissenschaft

diesbezüglich lernen kann. Wenn sie jedoch den Raum das erste Mal verlässt, den sie vorher

auch nie verlassen hatte, dann lernt sie etwas Neues kennen, nämlich wie es z. B. ist, eine

rote Tomate oder grüne Gurke usw. zu sehen. Lernt Mary tatsächlich im strengen Sinne neue

Tatsachen über Farben kennen, wenn sie den Raum verlässt, dann scheint das Argument

(bzw. Gedankenexperiment) physikalistische Theorien im Hinblick auf das Leib-Seele-

Problem zu widerlegen, und ein ontologischer Dualismus wäre somit zutreffend. Für

zeitgenössische Vertreter des Dualismus in der Philosophie des Geistes wie David J.

Chalmers ist das Wissensargument lediglich ein, wenn auch wichtiges, Element zur

Begründung einer dualistischen Bewusstseinstheorie. Für Chalmers besteht das »harte

Problem« des Bewusstseins in der Frage, warum die informationsverarbeitenden Prozesse

des Gehirns von der Erfahrung einer inneren Erlebnisqualität begleitet sind. Anders als

Descartes, der in seiner Entgegensetzung von res cogitans und res exstensa einen

Substanzendualismus vertrat, verteidigt Chalmers einen Eigenschaftsdualismus, der besagt,

dass Bewusstseinserfahrungen Eigenschaften involvieren, die in physischen Eigenschaften

nicht logisch enthalten sind, obwohl phänomenale Erfahrungen durchaus gesetzmäßig von

physischen Eigenschaften abhängen können.

(Enzyklopädie Philosophie und Metzler Lexikon Philosophie)

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Stückauszug

1. Akt 3. Szene

(…)

AMAL … sicher, aber das Gehirn i s t eine Maschine, eine biologische Maschine,

und es denkt. Es besteht zufällig aus lebenden Zellen, aber es würde

keinen Unterschied machen, wenn die Maschine aus elektronischen

Schaltern und Stromkreisen bestünde, oder Büroklammern und

Gummibändern, das wäre auch egal. Es muss nur fähig sein zu rechnen.

LEO Computer rechnen. Gehirne denken. Denkt die Maschine?

AMAL Wenn der Computer Schach spielt und man an den Zügen nicht merken

kann, ob er Weiß oder Schwarz hat, dann denkt er.

LEO Was er macht, ist eine Menge binäre Operationen vorzunehmen, die den

Regeln seines Programms folgen.

AMAL Genau das macht ein Gehirn.

LEO Aber kann ein Computer, was ein Gehirn kann?

AMAL Machen Sie Witze? – ein Gehirn kommt da überhaupt nicht ran!

LEO (zu HILARY) Haben Sie Lust, mitzumachen?

HILARY Nicht besonders.

LEO Wirklich? Wieso nicht?

HILARY Das geht mir nicht tief genug. Wenn das Denken sein soll. Eine

Registrierkasse auf Speed. Ein Zweiwegschalter mit Gedächtnis. Warum

soll er n i c h t Schach spielen? Doch wenn ich am Zug bin, ist der

Computer dann nachdenklich oder steht er da wie ein Toaster? Er steht da

wie ein Toaster.

LEO Und was wäre Ihrer Vorstellung nach tiefschürfend genug?

HILARY Ein Computer, dem es was ausmacht zu verlieren.

(LEO nimmt sich einen Moment Zeit, um sie neu einzuschätzen.)

AMAL Wenn ich einen Computer bauen würde, der das menschliche Gehirn

Neuron um Neuron simuliert, dann würde es ihm was ausmachen zu

verlieren.

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LEO (zu HILARY) Stimmen Sie dem zu?

HILARY Nein.

LEO Amals Maschine hätte kein Bewusstsein?

HILARY Nein, aber wie würde man das feststellen? Nicht, indem man beobachtet,

wie sich die Räder drehen. Genau wie beim Gehirn. Ich könnte nicht

feststellen, was Sie denken, indem ich beobachte, was Ihr Gehirn gerade

tut, selbst, wenn ich beobachten kann, dass Sie denken.

AMAL Ich sage Ihnen, was ich denke. Es gibt überwältigende Anzeichen dafür,

dass das Gehirn Bewusstsein erzeugt.

HILARY Es gibt überwältigende Anzeichen dafür, dass Gehirnaktivität und

Bewusstsein in einer Wechselbeziehung stehen. Dass sie Bewusstsein

registriert. Keinem ist es aber auch nur im Geringsten gelungen zu zeigen,

in welcher Weise das Gehirn Bewusstsein hat.

AMAL Das ist Haarspalterei!

LEO (zu HILARY) Und, wie kommt Bewusstsein dann zustande?

HILARY Ich habe keine Ahnung, und alle anderen auch nicht. Ich dachte,

deswegen wären wir hier. Um das Hard Problem zu lösen.

(…)

AMAL Tut mir leid, aber wenn man das, was man nicht versteht, einfach von der

Anatomie trennt, geht man zurück bis zu Plato. Das Gehirn ist etwas

Physisches, und etwas anderes als Materie gibt es da draußen nicht, es

gibt keine Erbse, die nicht gezählt worden ist. Die Mathematik, die man

bräuchte, um zu erklären, was im Gehirn vor sich geht, das wäre, als

würde man versuchen, die Gleichungen für einen Wasserfall zu

bestimmen, der so groß wäre wie – keine Ahnung, wie groß, vielleicht so

groß wie Millionen Niagarafälle – und im Augenblick können wir gerade

mal eine Kurzzeitvoraussage für zwei Variablen in der Mischbatterie eines

Wasserhahns machen. Aber das ist wahrscheinlich der einzige Weg, die

Gehirntätigkeit in immer mehr Details zu kartographieren und sie mit der

Bewusstseinserfahrung zur Deckung zu bringen. Es gibt keine exakte

Wissenschaft bei einem psychologischen Test, wenn nicht ein Gehirn-

Scanner angeschlossen ist. Neurobiologie.

LEO (Pause) Amal, Sie sind klug, Sie werden es weit bringen.

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Vor- und Nachbereitung

Gespräch zum Theaterbesuch allgemein:

Die Schülerinnen und Schüler werden gewisse Erwartungen an den Theaterbesuch haben.

Wurden vielleicht gemeinsam Theatererfahrungen gemacht? Kennen alle den Unterschied

zwischen Theater und Kino? Welche Unsicherheiten gibt es bei den Schülerinnen und

Schülern bezüglich des Theaterbesuchs?

Im Unterschied zum Kino stehen im Theater die Schauspieler als reale Personen vor den

Zuschauern. Jede Aufführung ist einzigartig und das Publikum und die Schauspieler

beeinflussen sich gegenseitig. Respekt ist deshalb sehr wichtig. Im Theater geht aber

dennoch nichts ohne Verabredungen und Regeln. So wie die Schauspieler*innen in den

Proben Verabredungen miteinander treffen, um gemeinsam das Stück spielen zu können,

gibt es auch Verabredungen zwischen den Schauspieler*innen und dem Publikum, die Ihre

Schüler*innen kennen sollte.

∞ Handys sollten nicht nur lautlos gestellt, sondern am besten ausgeschaltet werden. Sie

können die Funkfrequenzen stören, beleuchten die Gesichter und das Umfeld des »eben auf

sein Handy« Blickenden und stören so die Konzentration und das Spiel der Schauspieler.

∞ Sowohl zum Vorstellungsbeginn, als auch nach den Pausen, sollte man sich pünktlich auf

die Plätze begeben. Bei Verspätungen wird man oft nicht mehr eingelassen, da sonst die

laufende Vorstellung gestört wird.

∞ Der Zuschauerraum sollte möglichst nicht während der laufenden Vorstellung verlassen

werden.

∞ Lebensmittel und Getränke dürfen nicht mit in den Zuschauerraum genommen werden.

Ausnahme bildet die Wartburg. Hier dürfen die in der Wartburg-Gastronomie gekauften

Getränke mit in den Zuschauerraum genommen werden.

∞ Das Unterhalten mit den Sitznachbarinnen und Sitznachbarn sollte unterbleiben. Das stört

die anderen und auch die Schauspielerinnen und Schauspieler. Die Zuschauer und

Schauspieler befinden sich während der Vorstellung in einem gemeinsamen Raum. Genauso

wie die Zuschauer die Schauspieler hören, können die Schauspieler die Gespräche im

Zuschauerraum hören.

∞ Fotografieren, sowie das Aufnehmen von Bild und Ton, sind nicht gestattet.

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Ein Theaterbesuch ist ein besonderes kulturelles Erlebnis. Sowie die Schauspieler*innen

durch die Zuschauer aus dem Spiel gebracht werden können, so können die Zuschauer auch

das Spiel beflügeln. Denn die Reaktionen der Zuschauer beeinflussen das Spiel auf der

Bühne maßgeblich. Sagen Sie ihren Schüler*innen gerne, dass ein Theaterbesuch nicht

bedeutet mucksmäuschenstill zu sein. Lachen, wenn man etwas lustig findet, weinen, wenn

man berührt ist, vor Berührung zu schweigen und zu klatschen, wenn es einem am Ende

gefallen hat, ist die Rückmeldung des Zuschauers auf das Spiel der Schauspielers. Denn es

geht beim Theater nicht um richtig oder falsch, sondern vor allem um ein Erlebnis, das man

gemeinsam teilt.

Gespräch zur Vorbereitung auf das Stück:

Gespräch: Zur Vorbereitung und zur Hilfestellung dient insbesondere das Interview des

DLF (Seite 12), die weiteren Hintergrundinformationen, sowie der Stückauszug auf Seite 22.

Fragen:

∞ Was ist das Besondere am Theater?

∞ Was ist das Theaterverständnis des Autors?

∞ Was bedeutet Theater für mich?

∞ Was ist Bewusstsein?

∞ Kann eine Maschine denken?

∞ Was bedeutet Glaube für mich?

∞ Kann die Wissenschaft alles erklären?

∞ Gibt es Zufälle?

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Kreative Vor-/Nachbereitung:

Assoziationskette

Alle Spieler*innen bilden einen Kreis. Die Spielleiter*in wirft laut einen Begriff in die Runde

(bspw. künstliche Intelligenz, Bewusstsein, Glaube etc.). Die Person zur Linken assoziiert zu

diesem Begriff ein neues Wort und sagt dies dem nächsten Spieler, usw. Dabei ist es nicht

von Bedeutung, möglichst originelle Assoziationen zu haben. Als Grundregel gilt: Es gibt

keine »falsche « Antwort. Auch die Wiederholung von bereits genannten Begriffen ist

erlaubt. Es kommt darauf an direkt zu reagieren und in einen gemeinsamen Rhythmus zu

gelangen. Anschließend leitet man über die Assoziationskette in die Diskussion über die

verschiedenen Themen.

Dauer: ca. 10 Minuten, abhängig vom anschließenden Diskussionsrahmen.

Ziel: Einstieg in eine Diskussion, an der alle beteiligt sind.

Szene

Aufgabestellung: Lassen Sie die Schüler einzeln den Szenenausschnitt lesen. Besprechen sie

dann die Szene. Wo spielt diese? Was ist das Setting? Wer sind die Figuren? Was für einen

Charakter haben die einzelnen Rollen? Was ist das Besondere an der jeweiligen Figur?

Welches Hobby haben sie? Wer nimmt welche Position ein? Erfinden sie eine komplette

Geschichte zu den Figuren und dem Rahmen der Szene. Lassen sie den Schüler*innen freie

Hand.

Anschließend lesen bzw. spielen die Schüler die Szene. Sie können sie verschiedene

Haltungen bzw. Settings ausprobieren lassen. Lassen Sie die Schüler Position beziehen und

diskutieren Sie den Inhalt.

Dauer: ca. 30 min.

Ziel: Spielerische Herangehensweise an den Inhalt, Spannungsaufbau auf den Theaterbesuch

(Wie wird die Szene gespielt? Wie sind die Figuren? Etc.), Anregung einer Diskussion.

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Nachbereitung:

Gespräch zur Inszenierung:

Ziel eines Nachgesprächs ist, das gemeinsam Gesehene zu reflektieren, Unklarheiten zu

besprechen und die Vielfalt möglicher Interpretationen zu entdecken.

Mögliche Fragen bzw. Aufgaben zu Elementen der Inszenierung:

Erleben:

∞ Beschreibt eine Szene bzw. einen Moment der euch besonders in Erinnerung geblieben ist.

∞ Gab es etwas, dass ihr besonders gut fandet? Etwas was gar nicht gefallen hat?

∞ Habt ihr euch gelangweilt? Wenn ja, an welcher Stelle und was hätte geschehen müssen,

damit dies nicht der Fall gewesen wäre?

∞ Hat euch etwas bewegt bzw. zum nachdenken angeregt?

Verständnis:

∞ Was habt ihr nicht verstanden?

∞ Was war seltsam?

Kostüme:

∞ Wie waren die Kostüme gestaltet? Haben sie gefallen?

∞ Wie haben die Kostüme die Erzählweise der Vorstellung beeinflusst?

Bühne:

∞ Wie war das Bühnenbild gestaltet? Was hat euch daran gefallen bzw. missfallen?

∞ Welche Räume wurden erschaffen? Und wie wurden die Verwandlungen volltzogen?

∞ Was für eine Funktion hatten die Projektionen und wie wurden sie aufgenommen?

Spiel:

∞ Welche/r Schauspieler*in hat euch besonders gut gefallen? Warum?

∞ Was waren die charakteristischen Merkmale der gezeigten Figuren?

∞ Wie sind die Beziehungen der Figuren untereinander und wie entwickeln sich diese im

Verlauf der Vorstellung/ Geschichte?

Thema/ Inhalt:

∞ Was fällt euch zum Inhalt des Stücks als erstes ein?

∞ Welche Themen und Botschaften wurden in der Inszenierung verhandelt?

∞ Wäre ein anderer Schluss wünschenswert? Wenn ja, Welcher und weshalb?

∞ Würdet ihr die Inszenierung jemandem empfehlen ?

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» Ich suche keinen Streit mit der Wissenschaft. Erzähl mir,

meine DNA ist zu siebzig Prozent Mist, und ich werde

denken, na schön, es gibt eben mehr Dinge zwischen Himmel

und Erde, als deine Philosophie sich träumen lässt, Hilary.

Aber beim B e w u s s t s e i n – mit seinem Körper-Geist-

Problem – da drängelt sich eine Lösung mit Gott doch vor

wie ein Arzt an der Unfallstelle. Denn wenn man der Sache

auf den Grund geht, ist der Körper aus M a t e r i e gemacht,

und Materie hat keine Gedanken. Bananen denken nicht:

„Hey, sieben mal acht ist sechsundfünfzig“ oder „Ich bin der

König von Spanien“, und wenn man eine Banane in ihre

Einzelteile zerlegt, sieht man, warum. « Hillary

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Quellen:

Stückinhalt

THE HARD PROBLEM oder: IST BEWUSSTSEIN MATERIE?

Verlag Jussenhoven & Fischer

http://www.jussenhoven-fischer.de/katalogs/view/896

Geheimnisse des Gehirns

Porträt Begnung mit Dramatiker Tom Stoppard vor deutscher Erstaufführung in Wiesbaden

Von Birgitta Lamparth

Erschienen am 06.09.2017 im Wiesbadener Kurier

Über den Zustand des Theaters

"Ich sehe unsere Aufgabe darin, das Publikum auf den Sitzen zu halten"

Tom Stoppard im Gespräch mit Noemi Schneider

http://www.deutschlandfunk.de/ueber-den-zustand-des-theaters-ich-sehe-unsere-

aufgabe.911.de.html?dram:article_id=390081

Beckermann, Ansgar: »Leib-Seele-Problem«, in: Enzyklopädie Philosophie,

3 Bände, Hamburg 2010.

Homo Deus

Harari, Yuval ; München 2017.

Können wir das Leib-Seele Problem lösen?

McGinn, Colin

Grundkurs Philosophiedes Geistes, Band 2, Paderborn 2007.

Generelle Einführung

Metzinger, Thomas:

Grundkurs Philosophie des Geistes,

Band 2, Paderborn 2007.

Materialismus

Sandkühler, Hans Jörg:

Enzyklopädie Philosophie, 3 Bände,

Hamburg 2010.

Gefangenendilemma

Vortrag der Universität München

http://www.mathematik.uni-muenchen.de/~spielth/vortraegeopen/Das%20Gefangenendilemma.pdf

Geistesblitze der Ökonomie. Wie die Spieltheorie bei Entscheidungen hilft.

http://www.wiwo.de/politik/konjunktur/geistesblitze-der-oekonomie-vi-das-gefangenen-dilemma/8616304-

2.html

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Wir hoffen, dass wir mit diesem Material eine gute Vor- und

Nachbereitung zu unserer Produktion liefern konnten und wünschen

viel Spaß und tolle Erlebnisse beim Theaterbesuch!

Bis bald im Hessischen Staatstheater Wiesbaden!

Impressum

Hessisches Staatstheater Wiesbaden

Christian-Zais-Str. 3

65189 Wiesbaden

Redaktion

Laura Weber, Dramaturgin

Dirk Schirdewahn, Theaterpädagoge

Fotos:

Portraitbild Tom Stoppard von stock&people

Portraitbild Uwe Eric Laufenberg von Simon Hegenberg

Szenenbilder Karl und Monika Forster