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Magazin der Evangelischen Stiftung Alsterdorf Themenheft 02I 2018 „Arbeit & Ausbildung“ ››› Berufe mit Zukunft Ausbildung und Studium in der Ev. Stiftung Alsterdorf ››› Teilhabe am Arbeitsmarkt Sinnvolle Beschäftigung für alle ››› Größer und moderner Haus5 erweitert seine Möglichkeiten

Themenheft 02 I2018 „Arbeit & Ausbildung“ · Konzept entwickelt. Eine Pfl egeexpertin besucht Menschen mit Eine Pfl egeexpertin besucht Menschen mit Behinderung zu Hause, prüft

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Magazin derEvangelischen StiftungAlsterdorf

Themenheft 02I2018

„Arbeit & Ausbildung“

›››Berufe mit ZukunftAusbildung und Studium in der Ev. Stiftung Alsterdorf

›››Teilhabe am ArbeitsmarktSinnvolle Beschäftigung für alle

›››Größer und modernerHaus5 erweitert seine Möglichkeiten

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›››Titelthema: „Arbeit und Ausbildung“ 4 Künstler im Farbenrausch 25 Jahre atelier lichtzeichen10 Berufliche Zukunft für alle Engagement für einen inklusiven Arbeitsmarkt 14 Gute Beispiele sichtbar machen Im Gespräch mit Detlef Scheele, Vorsitzender des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit16 „Wir brauchen viel mehr soziale Kompetenzen“ Interview mit Wirtschaftswissenschaftler Prof. Rudolf Hickel18 „Die Beschäftigten mitnehmen“ Die Hamburger DGB-Vorsitzende Katja Karger zu den aktuellen Veränderungen der Arbeitswelt21 Arbeit neu denken Interview mit Reinhard Schulz, Geschäftsführer der alsterarbeit gGmbH24 Ausbildung und Studium mit Perspektive Attraktive Ausbildungsmöglichkeiten und Studienangebote in der Ev. Stiftung Alsterdorf32 Das inklusive Restaurant Haus5 Modernisierung und Erweiterung34 Menschliche Arbeitswelten Menschen mit Assistenzbedarf berichten von ihren Erfahrungen am Arbeitsplatz

›››Q8 38 Sonderwelten, ade! Sinnvolle Beschäftigung im Arbeitsleben

›››Kolumne 8 Geist und Kapital Welche evangelische Idee wirklich reich machte

›››Porträt 42 Auf einen Kaffee mit Christina Göpfert Werner Momsen im Gespräch über Inklusion im Sport, eine besondere Halle und Jürgen Klopp

›››Schnappschüsse12 Welchen Stellenwert hat für Sie Arbeit? Menschen auf dem Alsterdorfer Markt verbinden mit dem Thema Arbeit ganz unterschiedliche Erfahrungen

›››Rubriken 6 Auf einen Blick 7 Veranstaltungen 7 Impressum

02I18›››INHALTAusbildung

Die Evangelische Stiftung Alsterdorf als einer der

größten Arbeitgeber für Sozialberufe in der

Metropolregion Hamburg bietet attraktive Ausbil-

dungsmöglichkeiten und Studienangebote.

Seite 24

Haus5Das inklusive Restaurant

Haus5 ist gefragt wie nie. Eine Erweiterung

der Kapazitäten und die Verbesserung der

Ausstattung schaffen neue Möglichkeiten.

Seite 32

Q8Q8 und die Kirchen-

gemeinde Winterhude-Uhlenhorst schaffen

gemeinsam sinnvolle Beschäftigungsmöglich-

keiten im Quartier.Seite 38

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FARBENRAUSCH Seit 25 Jahren gibt es das atelier lichtzeichen und bietet Menschen mit Handicap eine künstlerische Beschäftigungsmöglichkeit.

Foto: Vera Homann-Kratzer,Text: Ursula Behrendt

TITELTHEMA

Ein Vierteljahrhundert ist es nun her, dass in Hamburg-Alsterdorf der erste Pinselstrich in einer kleinen Tagesfördergruppe getätigt wurde. Man arbeitete noch nicht wie heute auf großen Lein-wänden und mit Künstlerfarbe, sondern auf Raufasertapete und mit Farbe aus dem Baumarkt. Seither ist einiges geschehen. Das atelier lichtzeichen hat sich von einer reinen Tagesförderstätte in eine heterogene, bunte Gemeinschaft mit den unterschiedlichs-ten Künstlerinnen und Künstlern mit Handicap entwickelt. Inzwischen arbeiten hier 23 Beschäftigte, fünf Mitarbeiter, sie-ben Freiwillige und eine Person, die ein Freiwilliges Soziales Jahr

absolviert. 2003 wurde das Atelier in großzügige Räumlichkeiten an den Alsterdorfer Markt verlegt. Heute ist das atelier lichtzei-chen international bekannt. Jährlich stehen rund 20 Ausstel-lungen und Veranstaltungen auf dem Kalender. Die Gemälde wurden schon nach England, Italien und in die USA verkauft.Marcel Ben Merabet vom Marketing und Verkauf des ateliers lichtzeichen sagte auf der Jubiläumsfeier: „Ohne euch Künst-lerinnen und Künstler wäre unser Alltag nicht derselbe. Ohne euch gäbe es kein atelier lichtzeichen. Und damit auch weniger Farbe auf dem Alsterdorfer Markt und an vielen Wänden.“ ‹‹‹

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›››Titelthema

Künstler im

Blick in das Atelier am

Alsterdorfer Markt

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›››Thema

Anfang Juli auf dem Hamburger Fischmarkt bei strahlendem Sonnenschein: Die „Baltic Sea Circle“-Fahrer der ALL INKLUSIV CREW, bestehend aus Bargteheider Streetworkern der tohus gGmbH und psychisch erkrank-ten Menschen, sind nach 7.500 Kilometern abenteuerlicher Rallye durch zehn Länder rund um die Ostsee wieder zu Hause – emp-fangen von Freunden, Familienangehörigen und der Geschäftsführung der tohus gGmbH.

Nach zwei Wochen mit einem 26 Jahre alten VW-Bus und vielen Abenteuern von Hamburg über Schweden, die Lofoten, das Nordkap, Murmansk, St. Petersburg, Kaliningrad bis nach Stettin und wieder nach Hamburg hat die ALL INKLUSIV CREW für Furore gesorgt und gezeigt, was möglich und total normal sein kann: Klienten mit psychischen Handicaps, Anwohner, Gewerbetreibende und

Mitarbeiter der tohus gGmbH sammelten Spenden, verwandelten ein Schrottauto in ein funktionstüchtiges Rallyefahrzeug, fuhren damit unter schwierigen Bedingungen durch einen Teil von Europa und versorgten den Rest der Welt über die sozialen Medien fast jeden Tag mit Neuigkeiten von ihren Erlebnissen beim Baltic Sea Circle. Gelebte Inklusion! ‹‹‹

Erster ESA Campus Day war erfolgreichAm 5. Juni 2018 lud die Evangelische Stiftung Alsterdorf (ESA) als größter diakonischer Arbeitgeber im Norden zum ESA Campus Day auf den Alsterdorfer Marktplatz ein. Bei einem Mix aus Fachvorträgen, Informationsständen und Führungen konnten Besucherinnen und Besucher Einblicke in die vielfältigen Arbeits-felder wie Bildung, Medizin, Seniorenhilfe, Pflege und Assistenz für Menschen mit Behinderungen bekommen. Mehr als 300 Gäste besuchten bei strahlendem Sommerwetter die zahlreichen Veranstaltungen. Hanne Stiefvater vom Vorstand der Stiftung betonte zur Begrüßung: „Wir brauchen Mitarbeitende, die mit Spaß zur Arbeit gehen, weil sie gute Rahmenbedingungen vorfinden.“ Ein ganz besonderes Highlight war das Job-Speed-Dating. Je nach persönlichem Interesse bot sich für Berufsinter-essierte die Gelegenheit, Vertreter der unterschiedlichen Arbeits-bereiche kennenzulernen, sodass sie direkt prüfen konnten, ob die Chemie für eine künftige Zusammenarbeit stimmt. ‹‹‹

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Die ALL INKLUSIV CREW mit Unterstützern

kurz vor dem Start am Hamburger Fischmarkt

Die ALL INKLUSIV CREW schreibt Geschichte

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Campus-Lotse Paul Vogel und Organisatorin Lena Bastecky freuen

sich über die vielen Gäste beim ersten ESA Campus Day

Sommertour des NDR präsentiert Pop-Legenden Am 11. August 2018 ist es so weit: Das Finale der Sommertour von NDR 90,3 und dem Hamburg Journal kommt auf das Stif-tungsgelände. Das Moderatoren-Duo Anke Harnack und Chris-tian Buhk werden durch das Programm führen. Und das kann sich sehen und hören lassen. Mit dabei: The Kings of Disco – Former Members of Village People. Die US-Amerikaner feierten internationale Erfolge mit Hits wie „YMCA“, „Macho Man“ oder „In The Navy“. Außerdem mit im Programm sind die Rattles. Sie spielten im Laufe ihrer Karriere mit den Beatles und den Rolling Stones. Gegründet wurden sie 1960 von Achim Reichel und Herbert Hildebrandt. Letzterer ist immer noch Teil der Band, die mit Songs wie „Caulifl ower“ und „Come On And Sing“ berühmt wurde. Neben den Bandauftritten gibt es noch die berühmte Stadtteilwette, an der alle Alsterdorfer teilnehmen können. ‹‹‹Mehr Infos zur Sommertour unter:https://www.ndr.de/903/sommertour/Kings-of-Disco-und-The-Rattles-in-Alsterdorf,alsterdorf154.html

SOMMERKINO – BARRIEREFREI & OPEN-AIR AUF DEM ALSTERDORFER MARKTAlle Filme mit Untertiteln für Besucher mit Hörbehinderung,Induktionshöranlage und Audiodeskription

Freitag, 3. August, 21.45 UhrWillkommen bei den Hartmanns, Marktplatz

Freitag, 10. August, 21.30 Uhr Meine glückliche Familie, Marktplatz

Freitag, 17. August, 21.15 Uhr2001 Odyssee im Weltraum –mit Live-Audiodeskription, Marktplatz

Freitag, 24. August, 21 UhrTom of Finland, Marktplatz

Freitag, 31. August, 20.45 UhrMit ganzer Kraft, Marktplatz

AUGUSTSamstag, 11. August, ab 17 UhrDas NDR Sommertour-Finale in Alsterdorf, Alsterdorfer Markt

Freitag, 24. August, 19 UhrLieder der Romantik: Kirche St. Nicolaus

SEPTEMBERSonntag, 2. September, 9 –17 UhrAlsterfl oh, Marktplatz

Freitag, 7. September, ab 18 UhrTanzpalast, Kulturküche

Samstag, 15. September, 10 –15 UhrKinderfl ohmarkt, Kulturküche

Samstag, 15. September, 19 UhrNacht der Kirchen, Kirche St. Nicolaus

Samstag, 29. September, 19 –24 UhrBlues Night, Kulturküche

OKTOBERSonntag, 14. Oktober, 11–18 UhrKartoffelschmaus, Alsterdorfer Markt

Samstag, 20. Oktober, 9 –18 Uhr bis Sonntag, 21. Oktober, 8 –15.30 UhrLigapokal Goalball, Barakiel-Halle

Sonntag, 28. Oktober, 10 –15 UhrHobbymusiker-Flohmarkt, Kulturküche

›››ImpressumHerausgeber: Evangelische Stiftung AlsterdorfRedaktionsleitung: Katja Tobias (verantwortlich), Hans Georg KringsRedaktionsteam (Tel.: 0 40.50 77 34 83): Marion Förster, Daniela Steffen-Oschkinat, Barbara Minta, Stefan Drescher,Thomas Hülse, Ine Barske, Armin Oertel, Regina Mattheis, Hans Georg Krings, Arndt Streckwall, Frauke Benox, Ursula Behrendt, Maya Voß, Jeanette Nentwig, Annemarie LazarGestaltung: grafi kdeerns.de, HamburgTitel-Illustration: grafi kdeerns.deLektorat: Bernd KuschmannDruck: alsterpaper, Hamburg

Spendenkonto:Bank für SozialwirtschaftBLZ 251 205 10, Kto 44 444 02IBAN: DE32 2512 0510 0004 4444 02BIC: BFSWDE33HAN

›››Termine von August bis Dezember

Innovationsfonds fördert Gesundheitsprojekt für Menschen mit BehinderungMenschen mit einer geistigen Behinderung sind medizinisch häufi g nicht gut versorgt. Die Folge: Krankheiten werden oft nicht angemessen behandelt, Medikamente sind nicht abgestimmt, Vorsorgeuntersuchungen werden nicht wahrge-nommen. Das soll sich ändern. Das Sengelmann Institut für Medizin und Inklusion (SIMI) hat mit der HAW Hamburg, dem Dt. Krankenhausinstitut und der Hochschule Bielefeld ein neues Konzept entwickelt. Eine Pfl egeexpertin besucht Menschen mit Behinderung zu Hause, prüft die Medikamente und klärt über Vorsorgeuntersuchungen auf. Mit Ärzten und Apothekern wird das weitere Vorgehen abgestimmt. Ob das Konzept er-folgreich ist, wird in den kommenden drei Jahren wissenschaft-lich ausgewertet. Der Innovationsfonds der Krankenkassen fördert das Projekt mit 1,8 Millionen Euro. Kooperationspartner sind unter anderem die alsterdorf assistenzen west und ost. „Menschen mit Behinderung haben das Recht auf eine sehr gute Gesundheitsversorgung“, sagt Ulrich Scheibel, Vorstand der Ev. Stiftung Alsterdorf. „Mit diesem Projekt tragen wir dazu bei, die bestehenden Lücken zu verkleinern.“ ‹‹‹

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DR

Verdienstkreuz für Dr. Michael Wunder Für seinen herausragenden Einsatz für die Würde von Menschen mit Behinderung und Krankheit erhielt Dr. Michael Wunder aus der Hand von Dr. Melanie Leonhard das Bun-desverdienstkreuz Erster Klasse. Hamburgs Sozialsenatorin würdigte in ihrer Laudatio das jahrzehntelange Engagement Wunders im Rahmen der Aufklärung und Erforschung der Euthanasie-Verbrechen des Nationalsozialismus. Weiterhin habe der heutige Leiter des Beratungszentrums der Evangelischen Stiftung Alsterdorf als Mitglied der Enquete-Kom-mission »Recht und Ethik der modernen Medizin« und des Deutschen Ethikrates sich in wichtigen aktuellen Debatten der Bundesrepublik Deutschland zu Themen der Reproduk-tionsmedizin, der Pränataldiagnostik und der Behandlung behinderter, sterbender und von Demenz betroffener Menschen eingebracht. Der Vorstandsvorsitzende der Evangelischen Stiftung Alsterdorf Prof. Dr. Hanns-Stephan Haas unterstrich Wunders konsequente Hal-tung zu wichtigen gesellschaftlichen Themen: „Michael Wunder hat uns immer wieder gezwungen, genau hinzusehen, nicht zu meinen, schon verstanden zu haben.“ ‹‹‹

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Sozialsenatorin Dr. Melanie Leonhard überreichte

Dr. Michael Wunder den Verdienstorden

NOVEMBERSamstag, 3. November, 10 –18 UhrLouis-Braille-Turnier – TorballBarakiel-Halle

Mittwoch, 7. November, 16 UhrMartinsumzug, Start: Schulhof Bugenhagenschule Alsterdorf

Samstag, 17. November, 19 UhrKonzert mit Roman Yusipey (Bajan),Kirche St. Nicolaus

Sonntag, 18. November, 11–16.30 UhrStoffmarkt Holland, Marktplatz

Freitag, 23. November, Uhrzeit wird bekannt gegebenTag der offenen Tür, Bugenhagenschule Alsterdorf

Freitag, 23. November, ab 18 UhrTanzpalast, Kulturküche

DEZEMBERSamstag 1. und 2. Dezember, 11–18 UhrAlsterdorfer Advent, rund um den Marktplatz

Sonntag, 2. Dezember, 18 UhrChristmas Jazz, Kirche St. Nicolaus

Samstag, 8. Dezember, 20 UhrMeditative Musik, Kirche St. Nicolaus

›››Kolumne

GEIST UND KAPITAL: Welche evangelische Idee wirklich reich machte„Und wer hat’s erfunden? Die Schweizer!“ So lautet ein Vorurteil, das den Geist des Kapitalismus auf den Genfer Reformator Johannes Calvin zurückführt. Wirklich reich machte dagegen eine Idee Martin Luthers, meint Hanns-Stephan Haas, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Stiftung Alsterdorf.

Text: Prof. Dr. Hanns-Stephan Haas, Fotos: Cornelius M. Braun, bpk / RMN Grand Palais, bpk

Am siebten Tage sollst du ruhen“, heißt es in der Bibel. Eine Religion, deren

Erfinder sich selbst eine schöpferische Pause gönnt, wirkt schon mal sympathisch. Aber was ist dran an dem Gerücht, Protestanten hätten ein besonders hohes Arbeits-ethos, das sie erfolgreicher, aber auch freudloser durchs Leben gehen lässt?

Als einer der Hauptverdächtigen in der Frage, wer den so- genannten Geist des Kapitalis-mus heraufbeschworen hat, gilt bis heute der Genfer Reformator Johannes Calvin.

Meditative Selbstbeschau hielt er für Firlefanz, die mittelalterli-che Lehre, Arbeit sei eine Strafe Gottes, für altmodischen Unfug.

So hatte um das Jahr 1904 der Soziologe Max Weber vermu-

tet, dass unser heutiger Begriff des Berufs irgendwie religiös fundiert sei. Mehr noch. Protes-tanten, insbesondere Calvinis-ten, hätten eine spezielle Ethik, die sie zum kapitalistischen Unternehmertum besonders befähige, etwa durch Fleiß, Disziplin und eine seltsame Lust zur Investition. Hier glaubte Weber den Schlüs-sel für ein bis dato ungelöstes Rätsel der Wirtschaftsgeschichte

gefunden zu haben, nämlich, warum der Kapitalismus gerade in evangelischen Ländern der Welt zur Hochform auflief. Womit Weber auch eine destruktive Seite des Wirt-schaftslebens meinte, die wenige Menschen reich und viele Menschen arm macht, wie Karl Marx prognostizierte.

Ökonomisch führte Weber die Investitionslust protestanti-scher Kaufleute darauf zurück, dass ihr Glaube eine enorme Arbeitswut entfache. Um ein gottgefälliges Leben zu führen, habe nicht mal das Geld, das sie verdienten, untätig unter der Matratze schlummern dürfen, sondern sollte wie sie selbst sechs Tage in der Woche hart arbeiten. Dies habe Finanzge-schäften später eine geradezu religiöse Weihe verliehen.

Zugegeben: Sie klingt verlo-ckend, die sogenannte Weber-

These, erst recht, wenn man sie überspitzt. Tatsächlich gibt es nachweisbare Zusammenhän-ge zwischen wirtschaftlichem Erfolg und einem hohen evangelischen Bevölkerungs-anteil, zumindest auf dem amerikanischen Kontinent. Und wer wollte bestreiten, dass eine entstellte Form des Glaubens, etwa die Vertröstung aufs Jenseits, die Armut im Diesseits verschärfte?

Hier lohnt sich, genauer hinzuschauen, wie sich Calvin Glauben und Arbeiten wirklich vorstellte. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“, hatte er im ersten Buch Mose gelesen, aber eben auch alle weiteren Kapitel der Bibel. Im Gegensatz zum Mittelalter verstand Calvin die menschli-che Arbeit nicht mehr als Last, sondern als schöpferische Lust, die Welt als Mitarbeiter Gottes mitzugestalten.

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Arbeit ist eine schöpfe- rische Lust, die Weltmitzu- gestalten

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An Luther faszinierte ihn die Botschaft von der Gnade Got-tes. Dass der Mensch unabhän-gig von seiner eigenen Leistung von Gott geliebt und erlöst wird, war für Calvin selbstver-ständlich.

Er ging wie Luther davon aus, dass der erlöste Mensch seine Freude frei und spontan für eine gute Sache einsetzen werde, etwa: im Dienst am Nächsten, durch welche Form des sozialen Engagements auch immer.

Zinsgeschäfte hielt der Genfer Reformator für okay, wetterte aber gegen Wucherzinsen. Das wiederum belegt, dass sich z. B. in Italien schon vor Calvin kapitalistische Wirtschafts-formen längst etabliert hatten. Für gute Geschäfte war die Religion schon zu seiner Zeit entbehrlich, sodass Calvin in Genf sogar eine staatliche

Bankenaufsicht forderte.Zwei Faktoren in Calvins Lehre wirkten sich aber wirklich wirt-schaftsfördernd aus. Zum einen predigte er eine Lebensführung, die auf Luxus und Bling-Bling verzichtet. Die erzielten Gewin-ne solle ein guter Christ lieber in die Zukunft seines Unter-nehmens investieren und in regelmäßige Lohnerhöhungen. So sollten auch die Angestellten zu Wohlstand kommen und zu-gleich die Nachfrage ankurbeln.Vor allem aber war Calvin be-geistert von Luthers Idee, dass jedes Kind die Chance bekom-men soll, zur Schule zu gehen. Bildung galt bei Calvin als der

eigentliche Schatz, mit dem ein Mensch die Bibel verstehen und ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Dazu zählte auch die Förderung der besonderen Begabungen, die jedem Kind in die Wiege gelegt sind.

Die flächendeckende Alphabe-tisierung im Zuge der Reforma-tion gilt heute als wesentliche Ursache für den wirtschaftlichen Erfolg protestantischer Regio-nen. Sie ermöglichte eine besse-re berufliche Bildung, die später zu höheren Steuereinnahmen führte und weitere Investitionen in berufliche Bildung erlaubte. Dieses Prinzip leben skandina-vische Länder bis heute vor. Wirklich reich machte also die Idee: Bildung für alle.„Die Letzten werden die Ersten sein“, heißt ein berühmter Satz in der Bibel. Er fasst eine skandalöse Lohnpolitik zusam-men, die Jesus von Nazareth in einem Gleichnis präsentiert.

Wer sich in einem ganz be-stimmten Weinberg eines ganz bestimmten Herrn eine Zeit lang engagiert, kann sein Leben in jedem Falle bereichern, gleich, wie lange er geschuftet hat, provoziert Jesus seine Zuhörer.

Damit meint Jesus nämlich nicht den Stundenlohn eines Erntehelfers, sondern die Freude, die schon ein kurzfristiges Engagement für eine gute Sache schenken kann. Der Weinberg ist das Reich Gottes, das auf Erden beginnt, so Jesus. Daran mitzubauen, ob beruflich oder ehrenamtlich, gibt etwas, das materieller Erfolg allein selten liefert: Sinn.

Zu Menschen mit Behinderun-gen hatte Calvin noch kein Ver-hältnis. Darum bleibt Bildung, die das Leben aller bereichert, eine Herausforderung für unsere Generation und unsere Evange-lische Stiftung Alsterdorf. ‹‹‹

Johannes Calvin (1509–1564) Max Weber (1864–1920)

Wirklich reich machte die Idee: Bildung für alle

Berufliche ZUKUNFT für alleAuch Fachkräfte mit Behinderungen profitieren vom demografischen Wandel und der steigenden Nachfrage am Arbeitsmarkt. Dennoch scheut rund ein Viertel aller Firmen in Deutschland den Aufwand, zuschussfähige Arbeitsplätze einzurichten.

Text: Matthias Hengelaar, Fotos: bpk / C. Whitman, Karin Desmarowitz, Axel Nordmeier

Als Helen Keller vor rund hundert Jahren ihren Uni-Abschluss absolvierte, war es

eine Sensation. Die amerika-nische Schriftstellerin war seit ihrem zweiten Lebensjahr blind und taub, hatte aber durch das Fingeralphabet und die Geduld ihrer Lehrerinnen und Lehrer Deutsch und Französisch studiert und wurde später Vor-standsmitglied einer wohltäti-gen Stiftung. Anfang Juni jährte sich ihr Todestag zum 50. Mal.Ihr Erfolg ist ein inklusives Beispiel des amerikanischen Traums. Helen Keller erzielte nicht nur eine hohe berufliche Qualifikation, sondern gelangte auch in eine gesellschaftliche Führungsposition. In Deutschland bleibt allein der Zugang zum ersten Arbeits-

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TITELTHEMA

Helen Keller

markt für Menschen mit Behin-derungen schwierig, selbst wenn sie sehr gut qualifiziert sind. Laut einer Studie der Aktion Mensch stagniert die Beschäftigungsquote Schwer-behinderter bei 4,69 Prozent und liegt damit unter den 5 Prozent, die der Gesetzgeber sich als Ziel gesetzt hat.Die Ursachen seien nicht in der beruflichen Leistung von Fachkräften mit Behinderung zu sehen, die von 78 Prozent der befragten Unternehmen als gleichwertig bewertet wird. Sorgen bereitet den Autoren der Studie, dass rund ein Viertel aller Unternehmen in Deutsch-land den bürokratischen Auf-wand scheue, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen einzurichten, obgleich sie dafür staatliche Förderungen

bekommen könnten.Zudem hätten große Unter-nehmen in Deutschland die Möglichkeit, der sogenannten Beschäftigungspflicht – also der Vorgabe, eine bestimmte Zahl an inklusiven Arbeitsplät-zen einzurichten – dadurch zu entgehen, dass sie bestimmte Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen ausla-gern. Finanziell würden die miteinander konkurrierenden Werkstätten davon profitieren. Für viele Beschäftigte sei dies jedoch fatal, weil es ihre beruf-liche Separierung vom ersten Arbeitsmarkt zementiere.Dementsprechend forderte der Grimme-Preis-Träger und Kommunikationswirt Raul Krauthausen in ZEIT online, die Ausbildungsbiografie von jungen Menschen mit Behinde-

rungen von Anfang an integ-rativ zu gestalten. Wer einmal den Weg der Förderschule mit anschließender Weiterbildung in den Werkstätten beschreite, habe auf dem ersten Arbeits-markt kaum noch eine Chan-ce. Anders verhalte es sich in skandinavischen Ländern. Dort verfolge man das Ziel, durch einen staatlich geförderten Ta-riflohn Menschen mit und ohne Behinderungen, wo immer möglich, gemeinsam arbeiten zu lassen. In Deutschland wird das für viele vorerst noch ein Traum bleiben. Aber immerhin sind bundesweit rund 170.000 Fachkräfte mit Behinderungen bei Firmen angestellt, die der Beschäftigungspflicht gar nicht unterliegen und nach Eignung entschieden haben.

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Titelthema‹‹‹

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Fragen an Hanne Stiefvater, Vorstandsmitglied der Evan-gelischen Stiftung Alsterdorf

Sehr geehrte Frau Stiefvater, vor hundert Jahren absolvierte Helen Keller ihren Uni- Abschluss, obwohl sie taub und blind war. Das war damals sensationell. Hätte sie heute bessere Be-rufsperspektiven in unserer Gesellschaft? Hanne Stiefvater: Helen Keller ist auf jeden Fall auch heute noch ein wichtiges Vorbild. Sie beweist, was möglich ist, und mahnt uns, niemanden zu unterschätzen, nur weil ein Handicap und damit der Lebensweg mehr Herausforde-rungen mit sich bringen. Sie bestärkt uns in unserem An-satz, den Willen von Menschen mit Unterstützungsbedarf in den Mittelpunkt unseres Handelns zu stellen. Auch wenn heute die Rahmenbedingungen und damit die individuellen Möglichkeiten, eine sinnvolle und passende Tätigkeit auszuüben, verbessert sind, schließt unsere Leistungs-gesellschaft viele Menschen aus. Wir werden uns daher auch in Zukunft für einen wirklich inklusiven Arbeitsmarkt einsetzen.

Arbeitsplätze in Werkstätten, hier in der Metallverarbeitung

Wie wichtig ist die Ev. Stif-tung Alsterdorf als sozialer Arbeitgeber in der Stadt Ham-burg? Wie können Sie positive Trends zur Inklusion setzen? Ich möchte dies anhand eines Beispiels verdeutlichen. Vor ca. zehn Jahren haben wir uns dazu entschlossen, vermehrt gehörlose Mitarbeitende, auch in der Assistenz, einzustellen. Den Kolleginnen und Kollegen haben wir mit Ines Helke eine selbst betroffene und qualifizier-te Begleitung zur Seite gestellt. Über die Jahre hinweg hat dies das Selbstverständnis unserer täglichen Arbeit verändert: Heute gibt es eine gewachsene Expertise im ganzen Unterneh-men, z. B. Induktionsschleifen in der Kulturküche und auf dem Alsterdorfer Markt. Auf Mitarbeiterklausuren und

Veranstaltungen sind Gebärden-sprachdolmetscher mittlerweile selbstverständlich. Es war ein langer Weg bis dahin und wir sind sicher noch nicht am Ende, aber wir sind überzeugt davon, dass wir in Hamburg und über die Stadt hinaus positive Impul-se setzen und gemeinsam Ideen gestalten können.

Wie würden Sie sich das Arbeiten in der Stadt Hamburg im Jahr 2050 wünschen? In der Zukunft wünsche ich mir ein selbstverständliches Miteinander in der Berufswelt. Jeder soll entsprechend seinen Wünschen und Fähigkeiten die Möglichkeit haben, zu partizipieren. Zudem erleben wir gerade, z. B. mit der Digitalisierung, fundamentale

Veränderungen in der Arbeits-welt, aber auch im Zusammen- und Wirtschaftsleben. Hier sehe ich, z. B. durch stärker vernetztes Arbeiten, viele Chancen, aber wir müssen diesen Prozess aktiv gestalten, damit Strukturen und Arbeits-plätze für alle Menschen entwickelt werden. ‹‹‹

„Wir werden uns auch in Zukunft für einen inklusiven Arbeitsmarkt einsetzen“

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›››Schnappschüsse

Welchen STELLENWERT hat für Sie Arbeit?Kann Arbeit der Mittelpunkt eines erfüllten Lebens sein? Die Menschen auf dem Alsterdorfer Markt verbinden mit dem Thema Arbeit ganz unterschiedliche Erfahrungen.

Interviews: Ursula Behrendt, Arndt Streckwall, Fotos: Arndt Streckwall, Ingo Siegmund

Ingrid Preiss: „Arbeit ist wichtig, um den

Lebensstandard mit zu erhalten und nicht

beschäftigungslos zu Hause zu sitzen. Arbeit

ist ein wichtiger Beitrag, um sich zu bilden.“

Björn Heik: „Arbeit bedeutet für mich, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Arbeit gehört zum

Leben dazu und kann manchmal auch Spaß und Freude bereiten.“

Alex Bannes: „Arbeit bedeutet für mich die

Herausforderung, immer wieder das Notwendige

mit der Freude zu verbinden – Freude daran, das

zu tun, was mir wirklich entspricht.“

Steffen Sauthoff: „Arbeit bedeutet für mich,

Menschen mit ihren Potenzialen zusammen-

zubringen und so Entwicklungen möglich

zu machen.“

Elisabeth Neumann:

„Arbeit ist mir nur zur

Hälfte wichtig, da

habe ich in der anderen

Hälfte genug Zeit für

andere Sachen.“

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Susanne Birnbaum:

„Die Aufteilung in

Hauptschule, Realschule

und Gymnasium

soll bundesweit

abgeschafft werden.“

Bernd Petersen: „Für mich hat Arbeit

einen großen Stellenwert. Sie dient dazu,

dass ich meine Familie ernähren kann und

mir mein Haus leisten kann.“

Afshin Cheragi: „Ich mache eine

Ausbildung als Anlagenmechaniker. Arbeit ist

mir wichtig, weil ich sie interessant finde und

damit Geld verdiene.“

Helga Pagenkopf: „Arbeit hatte für mich einen sehr

hohen Stellenwert, weil ich alleinerziehend war. Ich war Lehrerin.

Das hat mir viel Freude gemacht.“

Michael Wunder: „Die Arbeit, die ich machen darf, macht mir

viel Spaß. Alle Arbeitsplätze sollten Arbeitsziele haben, innerhalb derer

es Gestaltungsspielräume gibt, sodass eine hohe Arbeitszufriedenheit

ermöglicht wird.“

›››Titelthema

Gute Beispiele SICHTBAR machenWelche gravierenden Veränderungen erwarten uns auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft? Hat das duale Ausbildungssystem in der Bundesrepublik eine Zukunft? Fragen dazu an Detlef Scheele.

Das Gespräch führte Hans Georg Krings, Foto: Bundesagentur für Arbeit

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TITELTHEMA

Wie sehen Sie die Entwick-lung auf dem Arbeitsmarkt, bezogen auf den Fachkräf-temangel in Sozial- und Gesundheitsberufen? Welche Maßnahmen ergreift die Bundesagentur, diesem Mangel zu begegnen?

Detlef Scheele: Die Entwick-lung in den Sozial- und Gesund-heitsberufen, vor allem in der Altenpflege, ist ja bekannt: Wir haben in den vergangenen Jahren einen starken Anstieg der Beschäftigung bei gleichzei-tiger deutlich sinkender

Arbeitslosigkeit vor allem bei den Fachkräften in der Alten- und Krankenpflege. Inzwischen gibt es bei den examinierten Altenpflegekräften einen bundesweiten Fachkräfte-engpass, der Arbeitsmarkt ist sozusagen „leergefegt“.

Um dieser Situation zu be-gegnen, haben wir bereits vor Jahren damit begonnen, in die Qualifizierung von Altenpflege-Fachkräften zu investieren. Seit 2013 haben wir fast 33.000 Qualifizierungen zur examinier-ten Fachkraft für Altenpflege

Detlef Scheele ist seit April 2017

Vorsitzender des Vorstands

der Bundesagentur für Arbeit

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gefördert. Darunter waren auch 18.000 gering qualifizierte Beschäftigte in der Altenpflege, die mit unserer Unterstützung zu Fachkräften qualifiziert wur-den – im Betrieb.

Welche Chancen sehen Sie für Menschen mit Unterstüt-zungsbedarf auf dem ersten Arbeitsmarkt und welche (neuen) Wege dorthin gibt es? Welche Chancen und Risiken liegen in der Digita-lisierung des Arbeitsmarktes für Menschen mit Unterstützungsbedarf? Hier sehen wir eine gegenläu-fige Entwicklung, die von der Art der Beeinträchtigung und der Qualifikation abhängt: Gut ausgebildeten Menschen mit körperlichen Handicaps zum Beispiel bieten die fortschrei-tende Technisierung und Digitalisierung durch barriere-freie Software und neue Hilfsmittel eine bessere Teilhabe am Arbeitsleben. Besonders hoch qualifizierte Menschen können davon profitieren. Auch öffnen sich angesichts des wachsenden Fachkräftebedarfs immer mehr Arbeitgeber für Menschen mit Behinderungen. Allerdings: Nach wie vor müssen Vorbehalte und bestehende Barrieren abgebaut werden. Deshalb engagieren wir uns seit langem als Mit-initiator des Inklusionspreises. Wir wollen gute Beispiele sichtbar machen. Eine Herausforderung ist die digitale Veränderung der Arbeitswelt hingegen für Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigun-gen – denn die Anforderungen an die Tätigkeiten werden im

Zuge des Wandels in der Ar-beitswelt tendenziell steigen.

Durch Roboter und künstli-che Intelligenz werden sich Jobprofile massiv verändern oder sogar wegfallen. Wie verändern sich dadurch die Berufsaussichten für Ge-ringqualifizierte?Grundsätzlich richtig ist, dass sich Jobprofile verändern. Ich warne aber immer vor zu großem Digitalisierungs-Pessi-

mismus. Unsere Forscher sagen, dass im Zuge der Digitalisierung etwa 1,5 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, aber in etwa gleich viele auch wieder neu geschaffen werden. Die Mehr-zahl der Tätigkeiten wird sich deutlich verändern, die Anforde-rungen werden steigen.Deshalb setzen wir mittlerweile sehr stark auf die abschlussori-entierte Qualifizierung von Men-schen ohne Berufsabschluss, sowohl für Arbeitslose, aber auch für gering qualifizierte Be-schäftigte: Wir unterstützen die Betriebe dabei, diese Mitarbeiter im Betrieb zu qualifizieren.Inzwischen sehen wir hier gute

Erfolge: In unserem Zukunfts-starter-Programm zum Beispiel, bei dem wir insbesondere junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Blick ha-ben, haben inzwischen 54.000 Menschen eine Ausbildung oder eine Umschulung begonnen. Bis 2020 sollen es bis zu 120.000 werden. Wie steht es um die Zukunft des dualen Ausbildungssys-tems? Wie bleibt die Ausbil-dung zukunftsfähig?Die duale Ausbildung ist und bleibt einer der wichtigsten Stützpfeiler der deutschen Wirtschaft – mit der Verbindung von schulischer und betriebli-cher Ausbildung gelten wir im Übrigen auch im Ausland als vorbildhaft. Aber die sinkende Schülerzahl, die gestiegene Stu-dierneigung und der verständ-liche Wunsche vieler Eltern, für ihre Kinder den höchst-möglichen Berufsabschluss zu realisieren, führen dazu, dass zum Beispiel im Handwerk Auszubildende händeringend gesucht werden. Deshalb entwickeln wir unsere Berufsberatung weiter: Wir gehen bereits ab der achten Klasse in die allgemeinbildenden Schulen, um die Jugendlichen intensiver und nachhaltiger zu beraten. Künftig wollen wir auch den angehenden Abitu-rienten in den 12. Klassen die vielfältigen Karrierechancen einer dualen Ausbildung oder eines dualen Studiums aufzei-gen und ihren Blick auf beruf-liche Perspektiven abseits des Hochschulstudiums erweitern. Allerdings gilt auch in den dualen Ausbildungsberufen:

Die Tätigkeiten werden sich künftig stärker und kontinu-ierlich verändern, die Anforde-rungen steigen. Lebenslanges Lernen und regelmäßige Weiterbildung werden auch im Handwerk oder in Fertigungs-berufen künftig zur Regel. Hierauf bereiten wir uns vor, zum Beispiel mit einem erwei-terten Beratungsangebot für beschäftigte Menschen.

Wird es eine Verschiebung von Jobs geben, weg von klassischen Industrieberufen hin zu sozialen Berufen, die nicht von Robotern erledigt werden können?Nun ja, die Verschiebung geht insgesamt verstärkt in Richtung des Dienstleistungssektors, zu dem auch die sozialen und Gesundheitsberufe gehören. Dies hat zunächst weniger mit der Digitalisierung in der Arbeitswelt zu tun als vielmehr mit den gesellschaftlichen Veränderungen. Dort, wo es immer mehr ältere Menschen gibt und diese auch deutlich älter werden, steigt der Bedarf an Pflege und allen Gesund-heitsberufen. Gleichzeitig sehen wir, dass in den sozialen Berufen das Sub-stituierungspotenzial, also die Möglichkeit, Tätigkeiten durch automatisierte Verfahren oder Maschinen zu ersetzen, deutlich geringer ist als zum Beispiel im verarbeitenden Gewerbe oder bei Bürotätigkeiten. Allerdings kann der technische Fortschritt Erleichterungen bei der Tätigkeit selbst bringen, zum Beispiel, wenn es um die medizinische Versorgung oder körperlich anstrengende Tätigkeiten in Gesundheitsberufen geht. ‹‹‹

Die duale Ausbildung ist undbleibt einer der wichtigstenStützpfeiler der deutschenWirtschaft

›››Titelthema

„Wir brauchen viel mehr SOZIALE KOMPETENZEN“Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel über die Zukunftsfähigkeit des deutschen Berufsausbildungssystems und die Frage, welche Chancen der künftige Arbeitsmarkt Menschen mit Einschränkungen zu bieten hat.

Das Gespräch führte Johannes Wendland, Foto: privat

Professor Hickel, ist unser System der Berufsausbildung angesichts der neuen Berufs-bilder, der zunehmenden Globalisierung und der Auto-matisierung zukunftsfest?Rudolf Hickel: Die duale Be-rufsausbildung in Deutschland ist eine echte Erfolgsstory. Bei dem System wird theoretischer Unterricht in den Berufsschulen mit der praktischen Ausbildung in den Betrieben kombiniert. Und dieses System, um das wir weltweit beneidet werden, ist im Kern sehr gut in der Lage, den neuen Anforderungen durch die „Industrie 4.0“ zu genügen. Doch dazu muss es ständig an die Veränderungen in der Arbeitswelt angepasst werden. Und das geschieht auch: Seit 2001 sind 37 neue Ausbildungsberufe hinzugekom-men und 206 Berufe moderni-siert worden.

An der dualen Struktur der Ausbildung sollte also auch künftig nicht gerüttelt werden?Auf keinen Fall. Probleme gibt es nicht mit dem System an sich, sondern mit dessen

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TITELTHEMA

Umsetzung. Immer weniger Betriebe sind bereit, Aus-bildungsplätze anzubieten. Dafür geben sie viele Gründe an, nicht zuletzt die Kos-ten. Doch das ist eine große Herausforderung, auch für die Wirtschaftsverbände. Das Ausbildungssystem bietet nicht nur den jungen Menschen eine Perspektive, sondern auch die gesamte Wirtschaft profitiert enorm davon. Es ist doch ein Widerspruch, dass immer mehr Betriebe sich der Ausbildung verweigern, jedoch gleichzei-tig händeringend nach gut ausgebildeten, qualifizierten Fachkräften suchen. Da muss die Politik entschieden gegen-steuern.

Dennoch verändern sich die Berufsbilder immer schneller. Ist unser Ausbildungssystem darauf eingestellt?Meine Sorge ist, dass wir uns bei der Berufsausbildung ange-sichts der Digitalisierung und Automatisierung viel zu sehr auf die technischen Anforde-rungen konzentrieren. Das ist auch wichtig, doch was wir viel

stärker brauchen, sind soziale Fähigkeiten – auch um die Folgen des digitalen Wandels zu bewältigen. Die Schulen und später die Berufsschulen und Betriebe müssen viel mehr soziale Kompetenzen vermit-teln. Um sich in der Berufswelt zu orientieren, die sich immer schneller wandelt, braucht

man eine gewisse Fähigkeit zur Selbstständigkeit, eine kommunikative Kompetenz und eine Integrationskompe-tenz. Es muss vermittelt werden, dass die Zukunftsfähigkeit wesentlich davon abhängt, dass der Einzelne lernt, mit „Fremden“ umzugehen.

Da sind im Grunde schon die Schulen gefragt. Wenn dort keine sozialen Kompetenzen gelernt werden, kann das die Berufs-ausbildung später wohl kaum noch ausgleichen …Da stimme ich voll zu. Doch immer noch herrscht die Meinung vor, die Berufsausbil-dung soll die Auszubildenden ausschließlich dazu befähigen, den technologischen Fortschritt zu bewältigen. Doch sie müssen auch dazu befähigt werden, mit massiven Veränderungen ihrer Produktions- und Lebens-verhältnisse umzugehen. In der betrieblichen Praxis müssen sie zudem in der Lage sein, zusammenzuarbeiten, und auch das will erlernt wer-den. Das ist wichtig für

Das Ausbildungs- system bietet nicht nur den jungen Menschen eine Perspektive, sondern auch die gesamte Wirtschaft profitiert enorm davon

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die Zukunft der deutschen Wirtschaft, aber auch ein hervorragender Beitrag zur Integration.

Wie sehen Sie in dieser neuen Arbeitswelt die Chancen für Menschen mit Einschränkungen?Inklusion ist ein wesentliches Element der dualen Ausbildung. Das darf aber angesichts des Facharbeitermangels nicht nur so verstanden werden, dem Arbeitsmarkt neue qualifizier-te Arbeitskräfte zuzuführen, sondern muss ein eigenständi-ges Ziel an sich sein. Das duale Ausbildungssystem ist in dieser Hinsicht sehr differenziert und stellt besondere Ausbildungs-einrichtungen und Betriebe für Menschen mit einem beson-deren Unterstützungsbedarf bereit. Diese Betriebe erfüllen nicht nur das Grundrecht auf Arbeit für alle Menschen, son-dern unter diesen Bedingungen kann dann auch sondiert wer-den, wer von diesen Menschen bereit und in der Lage ist, im allgemeinen Arbeitsmarkt voll integriert zu werden. Da wird

man oft überrascht sein, dass viele Menschen mit einem Han-dicap sehr gut für die moder-nen Berufe geeignet sind.

Wie steht es in einer Arbeits-welt, in der die Belastungen und der Druck zunehmen, um die Arbeitszufriedenheit und das Sicherheitsgefühl der Beschäftigten?Die vorherrschende Wahrneh-mung ist, dass die Job-Risiken zunehmen. Und da ist es wichtig, dass die Arbeitneh-mer über die Qualifikationen verfügen, um auf Verände-rungen reagieren zu können. Gleichzeitig müssen wir aber die Kirche im Dorf lassen. Alle Studien weisen darauf hin, dass die Digitalisierung nicht zu einer Massenarbeitslosigkeit führen wird. Natürlich verschieben sich die Jobs, die Anforderungen und die Qualifikationen. Aber wichtig in dieser „Arbeitswelt 4.0“ ist, dass die Ausbildung auf eine Stärkung der Persön-lichkeitsstruktur ausgerichtet ist. Je stärker meine Persönlichkeit ist, desto besser kann ich mit solchen Konfliktlagen umgehen.

Wie können darauf die Tarif-partner und insbesondere die Gewerkschaften reagieren?Die Gewerkschaften schließen zunehmend kollektive Qua-lifizierungsverträge ab. Das finde ich sehr wichtig, um eine höhere soziale Stabilität zu schaffen. Seine Qualifizierung zu verbessern ist eine Aufgabe für jeden Einzelnen. Doch diese individuelle Qualifizierung muss kollektiv abgesichert werden

und darf nicht einem gewinngesteuerten Prozess überlassen werden. Da sind wir bereits in den letzten Jahren weitergekom-men: Der einzelne Arbeitneh-mer erhält einen Schutz, inner-halb dessen er seine individuelle Qualifizierung weitertreiben kann. Das Gegenmodell wäre, dass jemand seinen Job verliert, weil er nicht ausreichend qualifiziert ist. Deshalb muss er sich außerhalb des Jobs weiterqualifizieren, um wieder in den Arbeitsmarkt hineinzu-kommen. Gelingt das nicht, dann erzeugt das Frust und soziale Abstiegsängste. Der bessere Weg ist, die sozialen Tarifsysteme zu nutzen, um einen kollektiven Schutz zu sichern, in dessen Rahmen individuelle Qualifizierungsmaß-nahmen ermöglicht werden. Das muss in die Tarifverträge geschrieben, aber auch staatlich abgesichert werden. Schließlich kann ein Einzelner nicht absehen, welche Verände-rungen in der Arbeitswelt und durch den Technologiewandel entstehen können. ‹‹‹

Prof. Dr. Rudolf Hickel ist Forschungsleiter für „Wirtschaft und Finanzen“

am Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen

Wichtig ist in dieser „Arbeitswelt4.0“, dass die Ausbildungauf eine Stärkung der Persönlichkeits- strukturausgerichtet ist

Für die Hamburger

DGB-Vorsitzende Katja Karger

sind Digitalisierung und

Technisierung von Menschen

gemacht und müssen

entsprechend gestaltet werden.

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Titelhhema‹‹‹

„Die BESCHÄFTIGTEN mitnehmen“Die Arbeitswelt verändert sich. Doch das ist überhaupt nichts Neues, meint Katja Karger, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Hamburg – und mahnt im Gespräch mit dem „Alsterdorf Magazin“ zur Gelassenheit.

Das Gespräch führte Johannes Wendland, Fotos: Axel Nordmeier

Die Arbeitswelt erlebt derzeit massive Umbrüche, unter anderem durch die zuneh-mende Digitalisierung und das Aufkommen von künstlicher Intelligenz. Geht den Menschen demnächst die Arbeit aus?Katja Karger: Schon in den 70er-Jahren gab es große Befürchtungen, dass durch die Automatisierung und Technisie-rung massenhaft Arbeitsplätze vernichtet werden. Tatsächlich hat sich das Volumen der Arbeit seither enorm vergrößert. Wir Gewerkschaften sehen den Wandel daher recht gelassen. Hysterie hilft niemandem. Natürlich verändern sich die Berufe, die Arbeitsplätze und die beruflichen Anforderungen. Aber das gibt es, ehrlich gesagt, seit 300 Jahren.

Welche Entwicklung erwarten Sie für die kommenden Jahre?Bei solchen Prognosen kann man nur falschliegen. Stattdes-sen sollten wir uns die Entwick-

lungen genau ansehen und fragen, wie wir auf sie Einfluss nehmen können. Und uns fragen, in welcher Gesellschaft wir leben möchten. Digitalisie-rung und Technisierung sind von Menschen gemacht und müssen entsprechend gestaltet werden. Wir sind es, die die Regeln bestimmen. Zudem erscheint mir die Konzentration auf die Digitalisierung als sehr einseitig.

Warum?Sie entspringt einem sehr männ-lichen, technikzentrierten Blick auf diese Welt. Die Digitalisie-rung ist nicht das einzige The-ma, wenn es um die Gestaltung der Arbeitswelt geht. Es gibt den demografischen Wandel und die Fluchtbewegungen. Außerdem wird die Arbeitswelt immer weiblicher. Auch wird der Klima-wandel enorme Auswirkungen auf unsere Berufstätigkeit und die Arbeitswelt haben – min-destens genauso stark wie die Digitalisierung.

Versuchen wir aber dennoch einen Blick auf die Arbeitswelt in Hamburg in zehn Jahren – also 2028 …Es gibt Untersuchungen dar-über, inwieweit Arbeitsplätze im Zuge der Digitalisierung wegfallen könnten. Die größte

Ersetzbarkeit durch Technik gibt es momentan im Bereich der Hilfstätigkeiten, also bei den einfacheren Arbeiten. Hamburg hat einen sehr qualifizierten, hochwertigen Arbeitsmarkt. Der

Anteil an Hilfstätigkeiten beträgt nur zwischen 9 und 12 Prozent. Die anderen Berufe werden nicht ersetzt, aber sie verändern sich. Umwälzungen gibt es der-zeit in der Versicherungsbranche und demnächst bei den Banken. Auch die Bürotätigkeiten wer-den zunehmend automatisiert. Aus unserer Sicht heißt das alles aber nicht, dass alle diese Berufe wegfallen, sondern dass sie sich verändern.

Aber das sind immer Menschen, die davon betroffen sind …Ja, und das ist unsere größte Sorge: Wir müssen die Millionen Beschäftigten, die wir haben, bei dieser Entwicklung mitnehmen. Und das geht vor allem über Weiterbildung. Leider ist die Kultur, Struktur und Organisation bei der Weiterbil-dung derzeit äußerst unüber-sichtlich. Keiner weiß, an wen man sich wenden kann, welche Weiterbildungs-gänge anerkannt sind und so

TITELTHEMA

Für Menschen mit Einschrän- kungen kann die Digitalisie- rung in der Arbeitswelt neue Möglich- keiten eröffnen

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weiter. Das ist eine politische Frage. Wir dürfen niemand zurücklassen.

Nehmen wir denn alle mit? Wie ist die Situation für Menschen mit Einschränkun-gen, Alleinerziehende, ältere Menschen oder Langzeitarbeitslose?Für Menschen mit Einschrän-kungen können sich durch die Digitalisierung in der Arbeits-welt sogar völlig neue Möglich-keiten eröffnen. Da erwarten wir grundsätzlich eine Verbes-serung. Bei den Alleinerziehen-den ist es hingegen eine Frage der Bildung und Qualifizierung. Die gut ausgebildeten Alleinerziehenden wenden sich häufig dem Crowdworking – also der selbstständigen Arbeit im Internet – zu, weil sie das mit ihren familiären Anforde-rungen am besten koordinieren können: durch flexible Arbeits-zeiten und die Arbeit zu Hause. Bei weniger Qualifizierten wird es schwierig. Wir haben derzeit eine sehr gute Arbeits-marktlage mit wachsender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Doch das kommt bei den Langzeitarbeits-losen nicht an. Wer seit vier

„Wir müssen die klassische

Ausbildung fortführen

und auf den Rest des

Berufslebens verlängern.“

oder sechs Jahren abhängig von Sozialleistungen ist, kommt da nicht mehr heraus. Und diese Menschen sind auch am stärksten abgehängt, was die künftigen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt betrifft.

Was muss sich bei der Weiterbildung ändern?Wir müssen die klassische Ausbildung fortführen und auf den Rest des Berufslebens ver-längern. Dabei müssen wir uns konkret fragen: Wer braucht wann welche Maßnahmen? Und wer überwacht das? Wird es den Gewinninteressen des Arbeitgebers überlassen, wen er gerade zu einer Weiterbildung schickt? Oder finden wir Möglichkeiten, dass wir bei bestimmten

Berufen die Veränderungen des Berufsbildes ermitteln und dann eine hochwertige, struktu-rierte und vor allem anerkannte Weiterbildung aufbauen.

Wie wichtig wird uns Arbeit in Zukunft sein?Wir Deutschen zeichnen uns, verglichen mit anderen Ländern und (Arbeits-)Kulturen, stark durch unser Arbeits- und Leistungsethos aus. Das ist nicht zuletzt ein Erbe Luthers und des Protestantismus. Anerkannt wird bei uns, wer 60 Stunden in der Woche arbeitet. Aber das ändert sich langsam. Wir beobachten sehr genau die junge Generation, bei der immer mehr Menschen lieber weniger arbeiten möch-ten, um noch ein Leben neben

der Arbeit zu führen. Auch die Ansprüche an die Arbeit selbst verändern sich. ine größere Selbstbestimmung über die Arbeitszeit wird für viele Menschen immer wichtiger. Und das ist kein Wunder. Sehr viele Menschen sind ausgebrannt und fühlen sich überfordert. Vielleicht eröffnet uns das aber die Möglichkeit, die Arbeitswelt stärker im Sinne der Beschäf-tigten zu verändern. In den 1980er-Jahren wurde dies unter dem Stichwort „Huma-nisierung der Arbeitswelt“ diskutiert. Mit der Wiedervereinigung und der zunehmenden Massenarbeitslosigkeit gingen die damaligen Ansätze verloren. ‹‹‹

ARBEIT neu denkenReinhard Schulz arbeitet seit 28 Jahren in leitenden Positionen für die Evangelische Stiftung Alsterdorf. Seit 2005 ist er Geschäftsführer der alsterarbeit gGmbH. 1998/99 konzipierte er die Neuausrichtung von der klassischen Werkstatt zum modernen Beschäftigungs- und Werkstattträger. Sein Lebens-Arbeitsthema ist die Inklusion von Menschen mit Assistenzbedarf in die „normale“ Arbeitswelt.

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Axel Nordmeier

TITELTHEMA

Herr Schulz, wann kamen Sie in die Evangelische Stiftung Alsterdorf? Anfang der 80er-Jahre habe ich hier die Ausbildung zum Heil-erzieher gemacht. Nach dem Studium der Sozialpädagogik und Musiktherapie in Heidel-berg habe ich 1989 wieder an die Stiftung angedockt.

Wie sah damals der „Arbeitsalltag“ für Menschen mit Beeinträchtigung aus? Für viele Menschen gab es gar keinen Arbeitsalltag, weil sie aufgrund ihrer schweren Be-hinderung nicht werkstattfähig waren. Die anderen arbeiteten im Vorläufer der Werkstatt, wo sie einfache handwerkliche und Konfektionierungsarbeiten, Lohnaufträge und Dienstleis-tungen in den Heimbereichen erledigten. 1981 wurden die Alsterdorfer Werkstätten als „Werkstatt für Behinderte“ an-erkannt, das war ein wichtiger Schritt.

Wo sahen Sie Veränderungs-potenzial im Bereich Arbeit und Beschäftigung? Veränderungspotenzial sah ich schon als Wohnstättenleiter. Ich habe gemerkt, dass wir für die

Reinhard Schulz hat

die vielfältigen Entwicklungen in

alsterarbeit mitgestaltet

Titelthema‹‹‹

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nicht werkstattfähigen Men-schen einen tagesstrukturie-renden Bereich brauchen, und zwar nicht nur stundenweise. Schlafen, aufstehen, frühstü-cken, warten aufs Mittagessen, das kann es nicht gewesen sein, dachte ich. In der Tages-förderung bieten wir heute betriebliche Strukturen auch für diejenigen, die nicht werkstatt-fähig sind.

Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten

Veränderungsprozesse im Bereich Arbeit? Das Werkstattsystem hat einen Sonderarbeitsmarkt geschaffen. Wir versuchen, den Arbeitsmarkt für Menschen mit Beeinträchti-gung so zugänglich zu machen, dass sie sich als wertschöpfen-der, inklusiver Teil von diesem empfinden. Kontinuierlich erweitern wir die Zahl der aus-gelagerten Werkstattarbeitsplät-ze, bei denen wir Arbeitskräfte an Firmen ausleihen, und bauen unsere inklusiven Betriebe wie

das Restaurant Haus5 weiter aus. Ein wichtiger Baustein ist das Budget für Arbeit, bei dem die verringerte Wertschöpfung durch öffentliche Mittel ausge-glichen wird. Getreu unserem Motto „Wir müssen Arbeit neu denken“ haben wir die Schilder abgebaut, auf denen „Werk-statt“ stand, und uns „alster-arbeit“ genannt. Wir haben gesagt, wenn Teilhabe am Ar-beitsleben über Werkstattträger laufen muss, machen wir das, aber so, dass es modern ist. Es

geht nicht um arme Menschen, die in eine Werkstatt müssen, weil sie keine andere Arbeit finden, sondern um begeisterte Arbeitnehmer mit Kompeten-zen, die sich mit ihrem Produkt identifizieren.

Welche Probleme gab es auf diesem Weg? In großen Unternehmen ist es immer eine Herausforderung, Strukturen zu ändern. Wir haben versucht, die Umstellungsphase sensibel zu gestalten, mit vielen

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Diskussionen. Spannender-weise war mein Eindruck, die Menschen ohne Einschränkung hatten es ein bisschen schwerer als die mit. Als wir Zweigwerk-stätten für Menschen mit psy-chischer Behinderung abschaff-ten, integrierte Betriebsstätten aufbauten und uns damit quer-gestellt haben zur gesamten Werkstattlandschaft, gab es einigen Widerspruch von den Fachkollegen. Insgesamt waren

wir Vorreiter von Entwicklungen, die heute bundesweit erfolgen.

Welches waren die bestimmenden Faktoren für diese Veränderungen? Gepuscht hat uns, dass in der Stiftung seit Mitte der 90er-Jahre eine Dynamik in Richtung Veränderung herrschte: das Abreißen des Anstaltszau-nes, die Öffnung des Geländes sowie neue Konzepte der Behindertenhilfe, die den Menschen ins Zentrum rücken und ihn vom Betreuten zum Kunden machen, der nicht übergriffig behandelt werden darf, sondern Wahlmöglich-keiten braucht.

Wie haben sich diese Faktoren in Ihrem beruflichen Werdegang niedergeschlagen? Nach meinen Erfahrungen als Wohnstättenleiter war es mir ein persönliches Anliegen,

die Lebens- und Arbeits-bedingungen der Menschen zu verbessern. 1994 habe ich an der Konzeptentwicklung zur Tagesförderung mitgearbeitet. 1998 hat der Stiftungsvorstand mich, als Teilbereichsleiter der Tagesförderung, und Wolfgang Lühr, damals Leiter der Alster-dorfer Werkstätten, beauftragt, ein neues Konzept zum Thema Arbeit insgesamt zu schreiben.

Welchen Blick haben Sie rückwirkend auf die Entwick-lungen im Bereich Arbeit? alsterarbeit ist eine Erfolgs-geschichte. Als wir 2000 die Alsterdorfer Werkstätten und einen Teilbereich der Tagesför-derung zusammenlegten, hatten wir etwa 650 Beschäftigte mit Beeinträchtigung, heute sind es über 1.300 an mehr als 35 Standorten. Hinzu kommen über 370 Regiekräfte mit unterschied-lichen Berufen, die dafür sorgen,

dass wir gute Formate zum Thema Beschäftigung, Arbeit und Qualifizierung hinkriegen.

Welches sind für Sie die größten Herausforderungen im Bereich Arbeit für Men-schen mit Beeinträchtigung? Auch wir müssen uns hinein-wagen in Zukunftsmärkte und uns auf Veränderungsprozesse im digitalen Zeitalter einstel-len. Ein gutes Beispiel ist unser Geschäftsbereich alsterarbeit-it, der bereits heute mit führenden Notebook-Herstellern zusam-menarbeitet. Daneben wünsche ich mir, dass Werkstattbeschäf-tigte einen Lohn erhalten, der sich aus ihrer Wertschöpfungs-fähigkeit und ergänzenden Leistungen wie Grundsicherung oder Mindestleistungsausgleich, wie beim Budget für Arbeit, zusammensetzt und ihnen ermöglicht, von ihrem Einkom-men zu leben. ‹‹‹

„Es geht nicht um arme Menschen, die

in eine Werkstatt müssen, weil sie keine

andere Arbeit finden, sondern um begeisterte

Arbeitnehmer mit Kompetenzen, die sich

mit ihrem Produkt identifizieren.“

Titelthema‹‹‹

Auch wir müssen uns auf Veränderungs- prozesseim digitalen Zeitalter einstellen

›››Titelthema

Logopädieschülerinnen:

Luna Eckstein (rechts im Bild):„Ich spreche gerne und möchte Menschen helfen. Und hier in Alsterdorf habe ich mich einfach sofort wohlgefühlt.“

Kira Clausen:„Meine Großmutter hatte einen Schlaganfall und geht seitdem zur Logopädin. Ich fand diesen Beruf beeindruckend und habe mich von Beginn an hier in Alsterdorf wohlgefühlt.“

Thema‹‹‹

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Ausbildung und Studium mit PERSPEKTIVEDie Evangelische Stiftung Alsterdorf ist nicht nur einer der größten Arbeitgeber für Sozialberufe in der Metropolregion Hamburg. Sie bietet auch zahlreiche attraktive Ausbildungsmöglichkeiten und Studienangebote für junge Menschen.

Text: Birk Grüling, Fotos: Axel Nordmeier, Bertram Solcher, Kirsten Petersen

TITELTHEMA

Corinna Lutz leitet

die Berufsfachschule

für Logopädie

LOGOPÄDE/LOGOPÄDINDie Hauptaufgabe von Logopäden ist die Diagnostik und Therapie von Menschen mit Stimm-, Sprech-, Sprach-, Schluck- und Hörstörungen. Ihre Arbeit ist sehr vielfältig. Die Therapeuten unterstützen z. B. Kinder bei Aussprache- und Sprachentwicklungs-störungen, helfen Erwachsenen bei stimmlicher Überlastung oder arbeiten mit Schlaganfall-patienten. Die Berufsfach- schule für Logopädie des Evan-gelischen Krankenhauses Alster-dorf bietet 60 Ausbildungsplät-

ze, verteilt auf drei Jahrgänge. Seit 2011 gibt es eine Kooperation mit der MSH Medical School Hamburg. Dort können die Schüler zusätzlich ihren Bachelor- Abschluss machen.

Ausbildungsinhalte: Logopädie, Linguistik, Stimmbildung, Sprecherzie-hung, Anatomie, HNO, Phoniatrie, Pädagogik, Psychologie u. v. m. Enge Verzahnung von Theorie und Praxis, d. h., dass ab dem zweiten Semester bereits eigenständig Patienten in der Schule unter Anleitung der Lehrlogopädinnen behandelt werden. Ergänzend dazu finden externe Praktika statt.

Schulische Voraussetzungen: (Fach-)Abitur

Persönliche Voraussetzungen: Freude an der Arbeit mit Menschen, Empathie, Geduld, gesunde Stimme, normales Gehör, fehlerfreie Aussprache und sicheres Deutsch, Fähigkeit zur Eigenreflexion.

Dauer der Ausbildung: Drei Jahre

Zukunftsperspektiven: Die Berufsaussichten sind sehr gut. Die meisten Absolventen haben bereits vor dem Abschluss einen Arbeitsvertrag in der Tasche.

Logopädinnen und Logopäden sind Experten für Kommu- nikation

›››Titelthema

Heilerziehungspflegeschüler:

Calvin Naunin:„Ich habe mich für die Ausbildung zum Heilerzieher entschieden, weil mich der soziale Sektor absolut überzeugt hat. Die Stiftung Alsterdorf hat einen guten Ruf und ist Vorreiter im pädagogischen Han-deln mit Menschen mit Behinderungen.“

Melissa Offermann:„Die Ausbildung zur Heilerziehungspfle-gerin bietet eine große Vielfalt in der Arbeit mit Menschen und ich wollte im-mer schon mit Menschen arbeiten. Die fachschule für soziale arbeit alsterdorf wurde mir von einer Kollegin empfohlen und hatte in meinem Bekanntenkreis einen guten Ruf.“

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ERZIEHER/INErzieherinnen und Erzieher bilden, betreuen und för-dern Kinder und Jugendliche, typischerweise in Kindertages-stätten, Schulen oder anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Der Beruf ist sehr vielseitig und in vielen Bereichen des Sozialwesens gefragt. Die fachschule für soziale arbeit alsterdorf bietet die Erzieher-Ausbildung mit heilpädagogi-scher Ausrichtung an, interkulturelles Lernen ist ein weiterer Schwerpunkt.

Ausbildungsinhalte: Pädagogik, (Entwicklungs-)Psychologie, Kommunikation, aber auch Sozialmanagement, Fach-Englisch, Recht sowie musisch-kreative Inhalte. Praktika sind ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung.

Schulische Voraussetzungen: Für die Aus- und Weiterbildung sind ein mittlerer Schulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung nötig – idealerweise sozialpädagogische Assistenz. Auch (Fach-)Abiturien-ten mit viermonatiger Berufserfahrung werden zugelassen.

Persönliche Voraussetzungen: Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Verantwor-tungsbewusstsein, Sozialkompe-tenz, Kreativität, Belastbarkeit, Empathie.

Dauer der Ausbildung: Drei Jahre in Weiterbildung, vier Jahre in Kombination mit der Ausbildung zur sozial-pädagogischen Assistenz an der Berufsfachschule.

Zukunftsperspektiven: Die Berufsaussichten sehen sehr gut aus. Gerade Kinder-tagesstätten und Schulen suchen händeringend Erzieherin-nen und Erzieher.

HEILERZIEHUNGSPFLEGER/INDie fachschule für soziale arbeit alsterdorf bildet seit 45 Jahren Heilerziehungspflegerinnen und -pfleger aus. Im späteren Berufsleben begleiten und unterstützen sie Menschen mit Behinderungen aller Altersstufen in ihrem Alltag. Heilerziehungs-pfleger arbeiten unter anderem in inklusiven Kindertagesstätten und Schulen, in Schulen für Kinder mit besonderem Förder-bedarf, in der pädagogischen Betreuung im eigenen Wohn-raum, in der Tagesförderung oder in der Assistenz am Arbeitsplatz.

Ausbildungsinhalte: Pädagogik, Psychologie, Kom-munikation, Sozialmanagement, Pflege und Gesundheit sowie musisch-kreative Inhalte. Prakti-ka sind verpflichtender Teil der Ausbildung.

Schulische Voraussetzungen: Für die Aus- und Weiterbildung

sind ein mittlerer Schulabschluss und eine abgeschlossene Be-rufsausbildung nötig. Darüber hinaus werden auch (Fach-)Abiturienten mit viermonatiger Berufserfahrung zugelassen.

Persönliche Voraussetzungen: Sozialkompetenz, Verantwor-tungsbewusstsein, Freude an der Arbeit mit Menschen mit und ohne Behinderung, Belastbarkeit, Reflexionsfähigkeit des eigenen Handelns.

Dauer der Ausbildung: Drei Jahre in Weiterbildung, vier Jahre in Kombination mit der Sozialassistenz an der Berufsfachschule.

Zukunftsperspektiven: Die Berufsaussichten sind ähn-lich gut wie für Erzieher. In vielen Einrichtungen und Angeboten der Eingliederungs-hilfe gibt es offene Stellen. Zudem können die Absolventen in Schulen oder Kindertages-stätten arbeiten.

SOZIALPÄDAGOGISCHE ASSISTENTIN / SOZIAL-PÄDAGOGISCHER ASSISTENTDer Schwerpunkt ihrer Tätig-keiten liegt in der pädago-gischen Arbeit mit Kindern. Gemeinsam mit Erziehern und Heilerziehungspflegern fördern sie die Entwicklung der Kinder zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persön-lichkeiten. Sie nehmen Aufga-

ben der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern wahr und beziehen Kinder mit Behinde-rung sowie Kinder mit anderer Muttersprache und kulturellem Hintergrund in ihre Arbeit ein.

Ausbildungsinhalte: Pädagogik und kindliche Entwicklung, Sprache und Kommunikation, Fach-Englisch, Naturwissenschaften für Kinder sowie musisch-kreative Inhalte. Praktika sind ein wichtiger Teil der Ausbildung.

Schulische Voraussetzungen: Mittlerer Schulabschluss

Persönliche Voraussetzungen: Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Verantwortungsbewusstsein, Sozialkompetenz, Kreativität, Belastbarkeit, Empathie.

Dauer der Ausbildung: Zwei Jahre

Zukunftsperspektiven: Die Berufsaussichten sind sehr gut, besonders in Kinder-tagesstätten.

Thomas Hülse

ist Schulleiter

der fachschule für

soziale arbeit

Freude an der Arbeit mit Menschen mit und ohne Behinderung

›››Titelthema

Gesundheits- und Krankenpflegeschüler:

Caspar Gabriel Appel (stehend):„Ich habe mich für die Ausbildung entschieden, weil ich gerne mit Menschen arbeiten und ihnen helfen möchte. Für die Evangelische Stiftung Alsterdorf habe ich mich entschieden, weil mir deren besondere Angebote, wie das Werner Otto Institut oder die Station David (Station für Patienten mit Demenz), gut gefallen.“

Richard Berger:„In meinem freiwilligen sozialen Jahr habe ich mit Menschen mit Assistenzbedarf gearbeitet. Ich wollte aber einen Beruf in der Medizin. In Alsterdorf kann ich beides verbinden.“

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GESUNDHEITS- UND KRANKENPFLEGER/INFür die Patienten sind die Pflege- fachkräfte die ersten und vielleicht wichtigsten Ansprech-partner im Stationsalltag. Sie kümmern sich um die tägliche Pflege, vom Waschen über das Blutabnehmen bis zur Gabe von Medikamenten. Zudem gehört das Erkennen von Krankheiten, aber auch die Prävention und Rehabilitation zu ihren Aufgaben. Dabei arbeiten sie eng mit Ärzten und Therapeuten zusammen. An der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege des Evangeli-schen Krankenhauses Alsterdorf lernen rund 90 Männer und Frauen diesen vielseitigen Beruf. Ausbildungsinhalte: Die theoretische Ausbildung erfolgt in Themenfeldern, z. B. „Pflege von Menschen mit Herz- und Kreislauferkran-kungen“, die Inhalte aus den Bereichen Pflege und Gesund-heit, Anleitung und Beratung,

Anatomie/Physiologie, innere Medizin, Chirurgie, Pharmakolo-gie, Physik, Ethik, Gesetzeskun-de etc. enthalten.

Schulische Voraussetzungen: Mittlerer Schulabschluss, viele Bewerber haben aber Abitur oder eine Fachhochschulreife.

Persönliche Voraussetzungen: Empathie, Einfühlungsvermö-gen, Kontaktfähigkeit, Belastbar-keit, Freude am Lernen und an persönlicher Weiterentwicklung, Teamfähigkeit, Verantwortungs-bewusstsein.

Dauer der Ausbildung: Drei Jahre

Zukunftsperspektiven: In Zeiten des Pflegekräfteman-gels sind gut ausgebildete Fach-kräfte gefragt. Außerdem gibt es viele Möglichkeiten zur beruf-lichen Weiterentwicklung, z. B. den Wechsel in die Ausbildung oder ins Management.

Anke Steinmeier

verantwortet die

Ausbildung der Gesund-

heits- und Kranken-

pflege am Evangelischen

Krankenhaus Alsterdorf

Die Berufsperspektiven für Pflegefachkräfte sind vielseitig und gut.

Erste und vielleicht wichtigste Ansprechpartner im Stationsalltag – Pflegefachkräfte

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CareFlex:

Marilena Prsetipino (rechts im Bild):„Ich helfe gerne Menschen mit Einschrän-kungen und bekomme viel Positives von ihnen zurück. Für CareFlex habe ich mich aufgrund der vielseitigen Einsatzmöglichkei-ten in der Stiftung entschieden.“

Sukanya Kingston:„Es bringt mir Freude, Menschen kennenzu-lernen, die meine Hilfe im alltäglichen Leben brauchen. Bei CareFlex wird sehr professi-onell gearbeitet, gut organisiert und sehr dis-kret. Und es gibt gemütliche Betriebsfeste. Ich freue mich, dort zu arbeiten.“

›››Titelthema

Reinhold Schirren ist Geschäfts-

führer der CareFlex GmbH

Studienzentrumsleiter

Dr. Michael Wunder

In Zeiten des Pflegekräfte- mangels sind gut ausgebildete Fachkräfte gefragt

QUEREINSTIEG BEI CAREFLEX:CareFlex ist der soziale Personal-dienstleister im Verbund der Evangelischen Stiftung Als-terdorf. Das Team aus Pädago-ginnen, Pädagogen und Pflege-kräften arbeitet in mehr als 500 sozialen Einrichtungen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Für kurzfristige und dauerhafte Einsätze werden auch Quereinsteigende gesucht. „Eine wichtige Voraussetzung ist die professionelle und wert-schätzende Haltung zur Arbeit mit Menschen“, sagt Geschäftsführer Reinhold Schirren. Darüber hinaus ist einschlägige Berufserfahrung in der Eingliederungshilfe oder

Pflege, z. B. durch Praktika, ein freiwilliges soziales Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst, erforderlich. Quereinsteigenden bietet CareFlex ein umfangrei-ches Fortbildungsprogramm, teils in Kooperation mit Kunden-unternehmen.

STUDIUM AN DER HAMBURGER FERN-HOCH-SCHULE IN ALSTERDORFDas Studienzentrum Hamburg-Alsterdorf der Hamburger Fern-Hochschule bietet drei praxisbezogene Management-Studiengänge für die aka-demische Qualifizierung für Fach- und Führungskräfte im Gesundheits- und Sozialwesen an: Der Bachelor-Studiengang Gesundheits- und Sozialma-nagement (B. A.) qualifiziert für Fach- und mittlere Führungs-aufgaben in den unterschied-lichsten Bereichen des Gesund-heits- und Sozialwesens.

Informationen zum Studiengang unter: www.hfh-fernstudium.de/bachelor-gesundheits-und- sozialmanagement

Der Bachelor-Studiengang Pflegemanagement (B. A.) qualifiziert für anspruchsvolle Tätigkeiten auf mittlerer Füh-rungsebene im Gesundheits- und Pflegewesen, insbesondere im Krankenhaus oder im ambulanten Pflegebereich.

Informationen zum Studiengang unter: www.hfh-fernstudium.de/bachelor-pflegemanagement

Masterstudiengang Manage-ment von Organisationen und Personal im Gesundheitswesen (M. A.) richtet sich an berufs-erfahrene Praktiker, die über einen ersten qualifizierenden Studienabschluss (Bachelor oder Diplom) verfügen und vielfach bereits in mittleren oder höhe-ren Leitungsfunktionen tätig sind oder eine höhere Leitungs-funktion anstreben.

Informationen zum Studien-gang unter:www.hfh-fernstudium.de/master-management-von-or-ganisationen-und-personal-im-gesundheitswesen ‹‹‹

››› Adressen

fachschule für soziale arbeit alsterdorf

Sengelmannstraße 49

22297 Hamburg

Telefon: 0 40.50 77 32 67

E-Mail: [email protected]

www.fachschule-heilerziehung.de

Berufsfachschule für Logopädie des

Evangelischen Krankenhauses Alsterdorf

Bodelschwinghstraße 24

22337 Hamburg

Telefon: 0 40.50 77 32 41

Telefax: 0 40.50 77 33 61

E-Mail: [email protected]

www.bfl-hamburg.de

Gesundheits- und

Krankenpflegeschule des

Evangelischen Krankenhauses Alsterdorf

Bodelschwinghstraße 25

22337 Hamburg

Telefon: 0 40.50 77 35 53

Telefax: 0 40.50 77 38 18

E-Mail: gesundheits-und-

[email protected]

www.evangelisches-krankenhaus-

alsterdorf.de/schulen/gesundheits-

und-krankenpflegeschule/

HFH-Studienzentrum Hamburg

Telefon: 0 40.50 77 40 77

E-Mail: hfh-studienzentrum@

alsterdorf.de

www.beratungszentrumalsterdorf.de/

index.php?id=29

CareFlex Hamburg

Telefon: 0 40.50 77 70 00

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Kurz vor halb zwölf: Holzstühle und Holz-tische stehen in der Sonne vor dem Haus5

auf St. Pauli bereit. Die Tische haben die Servicekräfte liebevoll gedeckt. Neben dem Eingang ist ein Buffet mit Salaten und So-ßen aufgebaut. Daneben grillen

zwei Mitarbeiter leckere Würste und Steaks. Die Mittagsgäste können kommen!

60 Mitarbeitende sind im 2004 gegründeten Haus5 tätig, in dem jeden Tag frisch gekocht wird. Das Besondere dabei ist, dass neben Fachkräften auch

Menschen mit Behinderung über verschiedene Maßnahmen im Haus5 beschäftigt sind. 38 Menschen mit Unterstützungs-bedarf arbeiten dort sozialver-sichert. „Wir sind ein inklusives Unternehmen. Uns zeichnet aus, dass Kolleginnen und Kollegen mit und ohne Handicap nicht

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Freundlicher Service und die

einladende Atmosphäre machen das

Haus5 zu einem beliebten Restaurant

Text: Ursula Behrendt; Fotos: Axel Nordmeier

Das inklusive Restaurant Haus5 wird modernisiert und erweitert300 Essen pro Tag gehen jetzt im Sommer über den Tresen im inklusiven Restaurant Haus5. Geplant war das Restaurant einmal für 50 Essen. Deshalb stehen wichtige Modernisierungen und Erweiterungen an.

TITELTHEMA

getrennt, sondern sehr selbstver-ständlich miteinander arbeiten“, sagt Dieter Sanlier, Geschäfts-führer von Haus5. Neben dem Restaurant gehört zu der Haus5 Service gGmbH noch das Bistro am Elbpark, ein Cateringservice, eine Reinigungsfirma und eine Gartenpflegeabteilung. Auch

›››Titelthema

Unterstützen Sie mit Ihrem Vermächtnis Menschen mit Behinderung

Bestellen Sie jetzt kostenfrei und unverbindlich unseren Ratgeber zum Thema Testamente oder nehmen Sie direkt Kontakt mit uns auf.

Wir informieren Sie gerne!

Imke Spannuth · Tel. 040.5077 3977 [email protected] oder unter www.alsterdorf.de/testament Zukunft vererben

››› Spenden

Damit die Arbeitsprozesse im

Restaurant Haus5 für Menschen mit

Behinderung optimiert werden

können, um die Belastungen im

Arbeitsalltag zu reduzieren und

dem hohen Gästeaufkommen zur

Mittagszeit gerecht zu werden,

sind umfangreichere Modernisierungs-

maßnahmen geplant.

Neben dieser Modernisierung

entstehen zudem zwei weitere

Arbeitsplätze für Menschen mit

Unterstützungsbedarf, die in

diesem Inklusionsbetrieb einen

sozialversicherungspflichtigen

Arbeitsplatz finden. Um die Arbeiten

in angedachter Form realisieren zu

können, sind wir auf Spendengelder

angewiesen.

Spendenkonto:

Ev. Stiftung Alsterdorf

Bank für Sozialwirtschaft

IBAN: DE32 2512 0510 0004 4444 02

BIC: BFSWDE33HAN

Ansprechpartner für Restaurant &

Catering: Dieter Sanlier

Haus5 auf St. Pauli

Seewartenstraße 10

20459 Hamburg

E-Mail: [email protected]

Telefon: 0 40.2 26 33 29 15

hier wird eine chancenglei-che Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht. Die Haus5 Service gGmbH übernimmt demnach eine hohe gesellschaftliche Ver-antwortung, weil sie Menschen mit Behinderung ermöglicht, tarifentlohnt auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig zu sein. Hier können Menschen mit körper-lichen, geistigen oder psychi-schen Beeinträchtigungen eine sozialversicherungspflichtige Anstellung finden. Das Haus5 trägt dazu bei, Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein dieser Menschen zu stärken.

„Unsere Ausstattung ist inzwi-schen 14 Jahre alt und etwas in die Jahre gekommen“, so Dieter Sanlier. Geplant war das Haus5 einmal für 50 Essen pro Tag, heute kommen im Sommer bis zu 300 Gäste täglich. Deshalb soll das Haus5 erweitert und modernisiert werden. Vor allen Dingen der Bereich der Essens-ausgabe und des Geschirr-Rücklaufs soll optimiert werden, damit die psychischen und körperlichen Belastungen und der Stress der Mitarbeitenden im Arbeitsalltag deutlich verringert und dem stark angewachse-nen Gästeaufkommen ange-passt werden. Dabei werden

die bisherigen Ausgaben und Rückläufe vergrößert und eine zusätzliche Getränkeausgabe eingerichtet. So haben die Mitarbeiter mehr Platz bei der Essensausgabe, dem Geschirr-Rücklauf und dem Getränke-service, und Fehlerquellen

werden vermieden. Zwei neue Kassensysteme ermöglichen eine leichtere Bedienung ebenso wie die neuen Kaffeemaschinen.

Daneben werden die Kühlmöbel erneuert und das Mobiliar aus-getauscht. Die schweren Tische und Stühle werden durch leichte Bistrotische und stapelbare Stühle ersetzt. So können alle

Mitarbeiter das Mobiliar leicht umräumen. Das bietet Men-schen mit Assistenzbedarf die Möglichkeit zu mehr Selbststän-digkeit und Selbstverantwortung in ihrem Berufsalltag in Haus5. Aus dem bisherigen Clubraum und dem ehemaligen Büro wird ein zusätzlicher Gastraum mit 34 Plätzen. Dieser kann im Sommer zum Beispiel von Geschäftsleu-ten mittags gemietet werden. Gleichzeitig entstehen dadurch zwei neue Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung.

Die Umbaumaßnahme soll insgesamt zu einer ruhigeren Atmosphäre führen und die Ar-beitsbelastung der Beschäftigten spürbar reduzieren. „Wir haben 6.000 Kunden pro Monat und brauchen daher die Erweiterung. Die Modernisierung soll dazu dienen, den Kunden von der Bestellung über die Anlieferung seines Essens bis hin zur Be-zahlung innerhalb einer halben Stunde zufriedenzustellen“, so Dieter Sanlier.

Inzwischen ist es 12 Uhr. Die vielen Mittagsgäste ge-nießen die leckeren gegrillten Steaks, Würste und die selbst gemachten Salate. Und kommen morgen gerne wieder! ‹‹‹

Haus5 ermöglichtMenschen mit Behinderung,tarifentlohnt auf dem erstenArbeitsmarkt tätig zu sein

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Michael Kröning arbeitet in der

Fundgrube im IKEA-Möbelhaus Altona

Titelthema‹‹‹

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Menschliche ARBEITSWELTENOb Menschen mit Assistenzbedarf auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind oder in geschützteren Bereichen – entscheidend dafür, dass sie ihr Potenzial entfalten können, ist vor allem eines: der rücksichtsvolle Umgang miteinander am Arbeitsplatz. Für einen gelungenen Einstieg ins Arbeitsleben hat eine möglichst maßgeschneiderte Förderung gute Erfolgschancen.

Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Axel Nordmeier

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TITELTHEMA

Das fing schon an, als er mit 16 zur See fuhr, „denn Trinken gehörte damals zum Berufsbild des Matrosen“.

Es waren private Schwierigkei-ten, die Schünemann aus der Bahn warfen: Seine Freundin war drogenabhängig, sie hatten zwei kleine Kinder. „Wenn ich Alkohol getrunken hatte, kam manchmal der ganze Frust raus, den ich in mich hineingefressen hatte, und ich wurde aggres-siv“, erzählt Schünemann. Eines

Abends, als seine Freundin das gemeinsame Konto abgeräumt hatte, eskalierte die Situation, und er wurde gewalttätig. Es folgten Gefängnis und fünf Jahre Entzug in der Psychiatri-schen Klinik in Ochsenzoll. „Das hat mir letztendlich gutgetan. Ich habe wieder zu mir selbst gefunden.“ In Haus5 startete er mit einem Praktikum. Ulrich Matthes, der leitende Arbeitspä-dagoge, erkannte sein Potenzial und unterstützte ihn. Nun ist er bereits seit fünf Jahren Küchen-hilfe und vertritt sogar den Chef. „Eigentlich wollte ich schon immer Koch werden“, sagt Schünemann, und ein Lächeln huscht über sein Gesicht.

Auch Michael Kröning fühlt sich wohl an seinem Arbeitsplatz bei IKEA in Altona. Er gehört zur Außenarbeitsgruppe, die alsterarbeit hier betreibt. Das Konzept haben IKEA Altona und der Beschäftigungsträger der Evangelischen Stiftung Alster-dorf gemeinsam entwickelt. Kröning arbeitet hauptsächlich in der Fundgrube, wo IKEA Aus-stellungsstücke und von Kunden zurückgegebene Waren zu re-duzierten Preisen verkauft. Seine

Aufgaben sind Preise festlegen, Kundenberatung – und Kunden beruhigen: „Es gibt welche, die motzen gleich. Da muss man gute Nerven haben.“ Bei dem 42-Jährigen wurde in der Kind-heit eine Lernschwäche festge-stellt. „Schreiben und Rechnen sind ein bisschen schwierig. Lesen kann ich.“ Wenn er im Brettermarkt arbeitet, wo man auch rechnen muss, bekommt er Hilfe: „Dann rechnen die anderen das für mich.“ Seine sonstigen Erfahrungen auf dem ersten Arbeitsmarkt, etwa bei einer Zeitarbeitsfirma, waren nicht so positiv.IKEA hat Kröning angeboten, direkt für das Möbelhaus zu arbeiten. „Aber das möchte ich nicht. Ich bin glücklich und

Es ist heiß in der Küche. Und laut, denn die Lüftung läuft auf Hochtouren. Eine Frau

mit Schutzhaube über dem Haar schneidet Salat, ihre Kollegin schnippelt Tomaten. Damit in Haus5 mittags um die 300 Essen im Minutentakt die Küche verlassen können, muss die Vor-bereitung stimmen. Haus5 ist eine Tochterfirma von alsterar-beit und ein inklusives Restau-rant, in dem Menschen mit und ohne Einschränkung arbeiten. „Wir sind eine ganz schön bunt gemischte Truppe, und der Ton ist manchmal recht rau, aber wenn es einem schlecht geht, ist immer jemand da, der einen in den Arm nimmt“, erklärt Bernd Schünemann. Der 59-Jährige ist fest angestellt im Haus5 über das „Hamburger Budget für Arbeit“, bei dem der Arbeitgeber den Tariflohn zahlt und einen Zuschuss von bis zu 70 Prozent erhält. „Klar war ich stolz, als ich den Vertrag in der Hand hatte und wieder Fuß gefasst hatte auf dem ersten Arbeitsmarkt, aber Arbeit war eigentlich nie das Problem.“ Seit elf Jahren ist er trocken. Die Abhängigkeit vom Alkohol hatte sich langsam eingeschlichen.

„Es gibt welche, diemotzen gleich. Da muss mangute Nerven haben“Michael Kröning

„Manchmal ist der Ton recht rau, aber wenn es einem schlecht geht, ist immer jemand da, der einen in den Arm nimmt“Bernd Schünemann

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zufrieden mit alsterarbeit.“ An zwei Tagen arbeitet er in der Stoffabteilung, zusammen mit tariflich entlohnten IKEA-Ange-stellten. „Mit denen komme ich auch gut klar.“ Zum Werkstatt-entgelt erhält er noch aufsto-ckende Grundsicherung.

Karin Partheymüller ist hoch konzentriert. „Irgendwas stimmt mit der Farbe nicht“, sagt sie zu ihrem Kollegen und deutet auf den Bildschirm. Apple-Rechner in den Büros, bunte Drucke an den Wänden, in einem Neben-raum ein modernes Lasergerät – das soll eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung sein? „alsternetwork“ über-nimmt Gestaltungsaufgaben

wie Logos, Broschüren, Fahr-zeugbeschriftungen, Lasergravu-ren für Türschilder und Stempel, auch Sicherheits-USB-Sticks wer-den hier per Laser codiert. Die Werkstatt verfügt über einen

internationalen Kundenstamm, darunter Bundesbehörden.

„Miet mich, wo du wohnst“ – nicht ohne Stolz erzählt die freundliche junge Frau, dass der Slogan, den sie sich für eine Autovermietung ausgedacht hat, dem Kunden gefällt. „Spie-lerei mit Worten, das ist genau meins. Ich liebe die Arbeit. Es ist das, was ich gelernt habe“, erzählt Partheymüller. Im Team gehen alle sehr rücksichtsvoll miteinander um. Ihr Weg hier-her war nicht einfach: Auf dem Gymnasium wurde sie gemobbt wegen eines angeborenen Hüftschadens, sie zieht das linke Bein etwas nach. „Das setzt der Psyche dann auch zu.“ Von

2006 bis 2008 machte sie eine Ausbildung zur Mediengestalte-rin am Berufsförderungswerk in Farmsen. Danach verschlimmer-ten sich ihre psychischen Proble-me, und sie war arbeitslos.Weitergeholfen hat ihr das Schulungszentrum Bergedor-fer Impuls, das auf Menschen mit psychischen Erkrankun-gen spezialisiert ist und sie an alsterarbeit vermittelte. 2015 fing sie mit einem Praktikum bei alsternetwork an, absolvierte hier den BerufsBildungsBereich und arbeitet seit April 2018 im Arbeitsbereich der Werkstatt. „Seit ich hier bin, habe ich sehr an Selbstvertrauen gewonnen, denn ich habe viele Erfolgser-lebnisse.“ Ob es auch manchmal

„Spielerei mit Worten, das ist genaumeins. Es ist das, was ich gelernt habe“Karin Partheymüller

(v. l.) Bernd Schünemann hat im Restaurant Haus5 seine berufliche Heimat gefunden. Karin Partheymüller gehört zum Team von alsternetwork

Titelthema‹‹‹

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Schwierigkeiten gibt? Ganz selten gebe es „Phasen, in denen das Hirn sagt, jetzt geht gerade nichts“. Dann sagt sie der Leitung Bescheid und macht etwas, wobei sie ihre Hände benutzen kann, etwa Sachen verpacken, „was auch mal toll ist, weil man nicht die ganze Zeit vorm Bildschirm sitzt“. Auf dem ersten Arbeitsmarkt hat die 36-Jährige nie gearbeitet, traut es sich aber zum ersten Mal im Leben zu.

Alexander Koratkewitsch ist auf dem ersten Arbeitsmarkt ange-kommen. Der 35-Jährige spricht fast akzentfreies Deutsch, ob-wohl er erst mit 13 Jahren von St. Petersburg nach Hamburg gekommen ist. Er arbeitet für die „GUT GEFRAGT gGmbH“, die nach dem „nueva“-Konzept Wohn- und Arbeitsangebote der Behindertenhilfe auf ihre Qualität prüft. nueva steht für Nutzerinnen und Nutzer „evaluieren“, also „überprü-fen“. Nutzer sind in diesem Fall Menschen, die selbst Unter-stützungsbedarf haben oder hatten. Denn wer kann besser beurteilen, wie Menschen mit Einschränkungen in ihrer Wohngruppe klarkommen, als Personen, die selbst Assistenz benötigen? Die Befragungen finden auf Augenhöhe statt und fallen authentisch aus. „Die Menschen haben weniger Angst, wenn sie wissen, dass der Fragesteller auch eine Beein-trächtigung hat“, erklärt der junge Mann.

Koratkewitsch hat eine Geh-behinderung, die durch Sauerstoffmangel bei der

Geburt entstanden ist. Er nutzt einen Rollator. Während seiner kaufmännischen Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt half ihm eine Arbeitsbeglei-tung. Insofern ist er, der heute ohne Assistenz zurechtkommt, ein „Nutzer“. Das Team der Evaluatoren besteht aus neun Personen, die alle Lernschwie-rigkeiten und teilweise noch andere Einschränkungen haben. Wenn sie eine Wohneinrichtung in Hamburg überprüfen, sind sie in Dreiergruppen unterwegs, begleitet von einem Assistenten. Danach geben sie die Antwor-ten in den Computer ein und

werten sie aus. Koratkewitsch hat Spaß an der Arbeit und fühlt sich im Team viel wohler als bei seinen anderen Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt, weil „Behinderungen zwischen uns kein Thema sind“. Endlich hat er einen unbefristeten Vertrag. Nachdem er seine Ausbildung nicht bestanden hatte und merkte, dass diese doch nichts für ihn war, hatte er eine Fortbil-dung zum „Servicemitarbeiter

Dialogmarketing“ gemacht und zwei Jahre lang befristet in Call-Centern gearbeitet. Die zweijäh-rige Ausbildung zum Evaluator wurde erstmals bei der Hambur-ger Arbeitsassistenz angeboten und wird in Zukunft von GUT GEFRAGT selbst durchgeführt.

Um das Inklusionsgebot der UN-Behindertenrechtskonvention zu erfüllen, hat der Gesetzgeber in 64 Berufen die Ausbildung für Jugendliche mit Behinderung angepasst: Der Unterricht in der Berufsschule ist einfacher, praktische Inhalte stehen im Vordergrund. Da sie nach § 66 des Berufsbildungsgesetzes geregelt sind, werden diese Ausbildungen auf dem ersten Arbeitsmarkt auch „66er-Berufe zum Fachpraktiker“ genannt. Geeignet sind sie vor allem für Jugendliche mit Lernbehinde-rung. 64 Berufe klingen nach viel, allerdings ist es fraglich, ob Betriebe der Region die Ausbil-dung im Traumberuf anbieten. Ergebnisse des Ländermonitors berufliche Bildung 2017 der Bertelsmann Stiftung zeigen, dass es in Betrieben zu wenig Ausbildungsplätze für Jugend-liche mit Einschränkung gibt. Die Mehrzahl der Fachprakti-ker-Ausbildungen erfolgt an Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation. Im Berufsbildungswerk Ham-burg kann man Fachpraktiker für Metallbau, Holzverarbeitung und Hauswirtschaft werden oder Werker im Gartenbau, vier Ausbildungsgänge, die stark nachgefragt sind. An den Elbe-Werkstätten gibt es die bundes-weit einzigartige Qualifizierung zum Kita-Helfer.

››› Info

Weitere Informationen

zum Thema Arbeit unter:

www.alsterarbeit.de

Alexander Koratkewitsch fühlt sich im Team wohl, weil „Behinde- rungen zwi-schen uns kein Thema sind“

Einen anderen Weg gehen Cam-pus Uhlenhorst und Campus Blankenese, beides Kooperati-onen mit alsterarbeit. Ihre Ziel-gruppe umfasst neben Jugend-lichen mit Lernschwäche auch junge Menschen mit Förderbe-darf geistige Entwicklung, für die eine Fachpraktiker-Ausbil-dung ungeeignet wäre. Bei bei-den Bildungsangeboten gehen die Jugendlichen noch etwas länger zur Schule, in Blankenese ein Jahr und in Uhlenhorst zwei Jahre, um nachzureifen und herauszufinden, wo ihre Stärken liegen. Dann absolvieren sie 27 Monate BerufsBildungsBereich, ursprünglich der Einstieg in die klassische Werkstattarbeit. Mit einer möglichst genau auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Jugendlichen zugeschnittenen Förderung zielen beide Projekte auf den ersten Arbeitsmarkt. Sie unterhalten Kontakte zu Firmen und haben isa, den integrati-onsservice arbeit von alsterar-beit, als wichtigen Partner, der passende Praktika vermittelt. Heidrun Thiel vom Campus Uhlenhorst stellt fest: „Ideal wäre es für die jungen Men-schen, dass sie eine Anstellung nach dem Hamburger Budget fänden. Die Mehrzahl arbeitet dann aber immerhin auf ausge-lagerten Werkstattarbeitsplätzen bei Firmen des allgemeinen Arbeitsmarktes.“ ‹‹‹

Thema‹‹‹

Sinnvolle Beschäftigung im Arbeitsleben

Text: Inge Averdunk, Fotos: Axel Nordmeier, Renato Noffke

SONDERWELTEN, ade!

Dana Alyousef (li.) und

Lea Romaker leben die

Willkommenskultur in

Winterhude

SERIE

Strukturen schaffen, die gutes Leben für alle Men-schen in einem Quartier ermöglichen – das hat sich das Projekt Q8 auf die Fahne geschrieben. Zur Inklusion gehört auch die Teilhabe am Arbeitsmarkt. Miriam Meyer, Projektleitung Q8/Kirche in Winterhude-Uhlenhorst: „Mir liegt das Thema Arbeit besonders am Herzen. Es geht um die Chancen für jeden, eine sinnstiftende Beschäftigung zu fi nden.“ Für jeden, das heißt auch für Menschen, die eine besonde-re Unterstützung benötigen. Das können Menschen mit Behinderungen sein, mit psy-chischen Erkrankungen oder auch Gefl üchtete, die sich ein neues Leben aufbauen müs-sen. Die folgenden Beispiele zeigen, in welcher Vielfalt inklusive Projekte initiiert und begleitet werden und so beständig wachsen können.

BUNDESFREIWILLIGEN-DIENST „WELCOME“ IM GOLDBEKHAUSDana Alyousef lernt gerade ein neues Wort: „zusammenschus-tern“. Dana ist 25 Jahre alt, kommt aus Aleppo in Syrien. Dort hat sie ein Architektur-studium absolviert. Nach ihrer Flucht landete sie in Hamburg, besuchte Sprachkurse: „Aber ich wollte noch etwas anderes machen. Ich fühlte mich sehr fremd hier, habe Gelegenheiten gesucht, mit Leuten in Kontakt zu kommen.“

Im Kulturzentrum Goldbekhaus ist sie jetzt beim Bundesfrei-willigen-Dienst „Welcome“ als Assistentin für das Bündnis „Wir im Quartier – Gemeinsam mit Gefl üchteten“ beschäftigt. Sie entwirft zusammen mit der Koordinatorin Lea Romaker Plakate und Flyer und wirkt als Brückenbauerin zwischen den Menschen im Quartier und Gefl üchteten: „Ich möchte den Menschen aus meiner Heimat und anderen Gefl üchteten zei-gen, wo sie hingehen können. In Syrien gibt es kaum öffentli-che Sport- und Kulturangebote. Nur privat – und für Reiche.“ Lea Romaker schätzt das Engagement der jungen Syrerin hoch ein: „Sie ist fantastisch vernetzt. Und sie kann auch Rückmeldungen geben, was die Gefl üchteten wirklich brauchen. So haben wir jetzt zum Beispiel Angebote nur

für Frauen geschaffen, zum Beispiel Stand-up-Paddling, es wird auch einen Frauenchor geben, und wir haben eine Nähwerkstatt mit parallelem Kinderbetreuungsangebot eingerichtet.“

Dana ist auch neben den 20 Stunden im Goldbekhaus gut beschäftigt: Sprachkurs, Kommunikationskurs, Vorbe-reitung auf das weiterführende Architekturstudium. Sie freut sich, in Hamburg so gute Chan-cen bekommen zu haben, in einer Stadt, die sie seit Jahren erforscht: Beim Studium in Syrien schrieb sie eine Arbeit über „Die Planung der Hafen-city als Beispiel für optimale Stadtplanung“. Jetzt wohnt sie sogar in der HafenCity: „In ei-ner Genossenschaftswohnung. Bezahlbar und mit vielen Angeboten.“ Für sie optimal.

Vielseitige

Weiterbildungs-

angebote fi nden

Schülerinnen

und Schüler im

Programm

des Campus

Uhlenhorst

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›››Thema

CAMPUS UHLENHORST: AUSBILDUNG FÜR JUGENDLICHE MIT ENTWICKLUNGSBEDARF Jasmin, Sophie und Leo sitzen mit Tobias Fritze am Bartresen der Kantine. Kleine Pause im Kurs „Kochen“. Tobias Fritze, der Leiter des Campus Uhlen-horst, nutzt das zufällige Tref-fen, um die Jugendlichen nach dem Stand ihrer Ausbildung zu befragen.

Jasmin ist seit drei Jahren im Campus, hat in unterschied-lichen Praktika Erfahrungen gesammelt: „Zweimal Budni, zweimal Blumenladen, zweimal Schulkantine, Café, Tierheim.“ Die nächste Station: ein Reiterhof in Bergedorf. Im Kurs „Kochen“ lernt sie, mit scharfen Messern umzugehen, moderne Profigeräte zu bedie-nen, und Hygiene-Richtlinien.

Leos Profil umfasst neben Ko-chen auch Biologie, Handwerk und IT-Computerkurs. Er hat noch eine andere Lieblingsbe-schäftigung: „Ich sortiere gerne Bücher.“ Deshalb suchte er sich Praktika in Bücherhallen und Buchläden.

Sophie findet alle Angebote gut, vom Nachrichtenkurs bis hin zur Band, in der sie Schlag-zeug spielt. Schon in diesem Gespräch wird deutlich, wie sehr sich der Campus Uhlen-horst von einer „normalen“ Schule oder Berufsbildungs-einrichtung unterscheidet. Bis zu 35 Kurse stehen zur Verfügung, für manche Teilneh-merinnen und Teilnehmer eine Herausforderung, sagt Tobias Fritze: „Es gibt viel Wahlfreiheit, man muss sich entscheiden.“ Zwar hat jeder Teilnehmende seinen persönlichen Lerncoach,

der ihn begleitet und unter-stützt, aber an erster Stelle steht die persönliche Entschei-dungsfreiheit.

Im Grunde ist der gesamte Campus ein Trainingspark. Ein großer Teil der Einrichtung ist in Handwerks-Kursen entstanden, vom Bartresen über Bücher-regale bis hin zu Werkzeugwa-gen. Wer solche Gegenstände professionell zusammenge-zimmert hat, bekommt auch Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Ein Highlight: das farbige Gar-tenhaus, das die Teilnehmen-den nicht nur selbst gebaut, sondern auch mit Eigenleistun-gen mitfinanziert haben. Das macht stolz und selbstbewusst!Der sichtbare Erfolg der Cam-pus-Arbeit: 50 bis 60 Prozent der Teilnehmenden können in inklusive Arbeitsverhältnisse

vermittelt werden. Vieles klappt gut über persönliche Kontakte. „Heute funktionieren diese Dinge, weil der Blick auf eine geistige Behinderung ein ande-rer ist als früher, weil Bildung ernster genommen wird, auch in den Schulen“, sagt Tobias Fritze. In erster Linie verfolgt der Campus die „Teilhabe am Arbeitsleben, möglichst inklusiv, nicht in Sonderwelten“.

TAGEWERK.MACHBAR: ANERKENNUNG FÜR KLEINE DIENSTE Olaf Harning, Hausmeister der Heilandskirche, geht auf eine Gruppe Männer zu: „Habt ihr heute Lust, Rasen zu mähen?“ Allgemeines Nicken. „Dann müssen wir zuerst den Rasen absuchen und Steine aufsammeln.“ Alle machen mit, jeder nimmt sich so viel Zeit, wie er braucht.

Das tagewerk.machbar leistet kleine Arbeiten im Quartier

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Das tagewerk.machbar der alsterdorf assistenz west leistet kleine Arbeiten im Quartier. Der Hausmeister ist dankbar für die Entlastung, und die Beschäftig-ten freuen sich darüber.Jacqueline Reinking, Leiterin des Assistenz-Teams, ist für niedrigschwellige Bildungs- und Beschäftigungsangebote zu-ständig und kennt die immense Bedeutung der Arbeit: „Es ist die Teilhabe an der Gesell-schaft, sinnerfülltes Tun, für das man direkte Anerkennung be-kommt.“ Das klingt theoretisch, praktisch sieht es so aus: Die Männer strahlen, wenn jemand ein herzliches Danke sagt.Zum Beispiel, wenn sie für ein Café Milch einkaufen und selbstständig den Kauf abrechnen. Oder Kekse backen, kiloweise für Kirchengemein-den oder das Albertinenhaus. Oder Brötchen belegen, für Veranstaltungen in der Gemein-de. Oder in der Holzwerkstatt Abbildungen anfertigen für unterstützte Kommunikation, mit der sich Menschen mit schweren Behinderungen ver-ständigen können.

Der Anfang beim tagewerk.machbar ist manchmal schwie-rig für die Jugendlichen, wenn sie von einer allgemeinbilden-den Schule oder einer Schule für Jugendliche mit geistiger Behinderung kommen: „Dann müssen sie erst mal erfahren, was Arbeit ist. Und dass sie ei-nen freien Willen haben dürfen. Dass sie selbst entscheiden dür-fen, was sie machen“, schildert Jacqueline Reinking. Manchmal dauert es ein halbes Jahr, bis sie sich eingewöhnt haben. Aber dann bleiben viele jahrelang.

SERIE

›››Kontakt

Q8 Sozialraumentwicklung

Leitung: Karen Haubenreisser und

Armin Oertel

Telefon: 0 40.50 77 35 05

E-Mail: [email protected]

[email protected]

www.q-acht.net

Ein Entgelt gibt es übrigens nicht für die Beschäftigung, das ist in der Tagesförderung nicht vorgesehen. Aber einmal in der Woche spendiert die Gemeinde ein Mittagessen, auch andere Auftraggeber zeigen sich in solchen Formen erkenntlich. Ein „Dankeschön“, das den Beschäftigten gut gefällt.

WINTERHUDER TISCHNACHBAR: TRAINING ZUR BERUFSVORBEREITUNGDreimal wöchentlich lädt der „Winterhuder Tischnachbar“ im Gemeindehaus der Matthäus-kirche zum preisgünstigen, frisch gekochten Mittagessen ein. Für Stammgäste ist die Tischgesellschaft fast ein zwei-tes Zuhause. „Ich möchte nicht einkaufen, kochen, spülen“, meint ein älterer Herr. „Hier gibt es gutes Essen, gute Leute, gute Kontakte. Ein Teil des Paradieses, in dem ich lebe.“ Damit spricht er vielen aus dem Herzen.

Immer mittwochs ist der Mit-tagstisch auch Trainingsstätte: Schülerinnen und Schüler des Bildungszentrums für Blinde und Sehbehinderte am Borgweg absolvieren hier eine Maßnahme zur Berufsvor-bereitung und übernehmen an diesem Tag selbstständig die Organisation. Diesmal Michelle (17) und Fabienne (18). Die Sozialpädagogin der Schule, Frau Immler, begleitet sie.

Kurz vor 12 Uhr kommen die ersten Gäste. Diesmal sitzen die Mädchen an der Kasse, Frau Immler teilt die Speisen aus, die vom „Pottkieker“ – der Stadtteilküche Dulsberg – frisch

geliefert werden. Regelmäßig werden die Rollen getauscht.

Michelle und Fabienne fi nden diesen praxisnahen Unterricht abwechslungsreich und auch herausfordernd: „Ich bin nicht so gut in Mathe, ich muss üben, schnell und gut mit Geld umzugehen“, sagt eine der Schülerinnen. Fabienne füllt Schokoladenpudding in kleine Schälchen: „Ich muss aufpas-sen, nicht zu viel auf den Löffel zu nehmen, damit es für alle reicht.“ Das sind Aufgaben, die auch in Berufen der Gastrono-mie anfallen. Für diesen Bereich interessieren sich die Schülerin-nen – hier beim Winterhuder Tischnachbarn können sie ohne Stress prüfen, ob ihnen eine solche Arbeit gefällt. Spaß haben sie auf jeden Fall dabei: „Einige der Gäste kennen wir schon ganz gut, und alle sind nett und freuen sich, uns ken-nenzulernen.“

INTEGRATIONSSERVICE ARBEIT: VERMITTLUNG IN FESTE ARBEITSVERHÄLTNISSENoch einmal Winterhuder Tischnachbar. Diesmal als Anbieter eines sogenannten „geschützten Arbeitsplatzes“ auf dem ersten Arbeitsmarkt. Gabi von Fehrn wurde vom integrationsservice arbeit (isa) vermittelt. Diese jüngste Betriebsstätte von alsterar-beit kämmt den Arbeitsmarkt durch, um Plätze für Menschen mit Handicap zu fi nden, und begleitet sie dann im Job. Gabi von Fehrn kommt seit einem Jahr jeden Freitag zum „Win-terhuder Tischnachbar“ zur professionellen Unterstützung

des ehrenamtlichen Teams. Sie hat mit der Zeit viele Gäste näher kennengelernt. „Das bringt mir sehr viel Spaß. Ich gehe gerne mit älteren Men-schen um. Sie sind sehr nett und freundlich.“ Außerdem bietet der isa den regelmäßigen Kontakt zu einem Jobcoach. Für Gabi von Fehrn ist Sonja Berkau Ansprechpartnerin für alle Fragen. Manchmal reichen Telefonate aus, manchmal treffen die beiden sich zum ausführlichen Gespräch. Sonja Berkau: „Arbeit ist ein Stück Normalität. Es gibt ein gutes Gefühl, Teil des Ganzen zu sein. Wichtig ist auch die Sinnhaftig-keit in der Arbeit.“

Bald wird Gabi von Fehrn wahrscheinlich eine weitere Aufgabe übernehmen: Geplant ist der „Winterhuder Büdeldienst“. Q8-Projektleiterin Miriam Meyer hat die Konzept-entwicklung aktiv begleitet und gemeinsam mit dem isa erste Schritte zur Umset-zung in die Wege geleitet. Es handelt sich um eine Einkaufsunterstützung, die von Menschen mit Handicap geleistet wird. Genau wie der Winterhuder Tischnachbar ein Beitrag dazu, dass auch alte und hilfebedürftige Menschen lange in ihren Wohnungen leben können. ‹‹‹

Fabienne Teute (rechts) und Andreas Kroell vom

Bildungszentrum für blinde und sehbehinderte

Menschen am Borgweg bereiten sich auf ihren Einsatz

beim „Winterhuder Tischnachbar“ vor – gemeinsam

mit der Sozialpädagogin der Schule, Frau Immler

›››Porträt

42

AUF EINEN KAFFEE MIT Christina Göpfert Bevor Werner Momsen diesmal zu seinem wohlverdienten Kaffee kommen konnte, hat ihn die Leiterin für Sport und Inklusion der Stiftung Alsterdorf erst mal durch die Barakiel-Halle und auf die Kletterwand gescheucht.

Interview: Detlef Wutschik alias Werner Momsen, Foto: Axel Nordmeier

Inklusion heißt ja im besten Fall, dass Menschen mit Be-hinderungen in ihre Heimat-vereine gehen können, um Sport zu machen. Wie kriegt man die Vereine dazu?Wir sind gerade dabei, den Bedarf dafür zu ermitteln und Sportler und Vereine mit Lotsen von uns zu beraten, damit wir eine möglichst große Teilhabe erreichen.

Frau Göpfert, auch an Sie wieder die Frage, mit wem Sie mal ganz in Ruhe einen Kaffee trinken würden?Aus der Politik hätte ich das gerne mit Helmut Schmidt ge-macht, allerdings ohne Zigarette, und aus dem Sport mit Jürgen Klopp oder Jupp Heynckes.

Was hätten Sie den Klopp gefragt?Wie er das schafft, immer das Optimale aus seinen Jungs rauszuholen.

Und Helmut Schmidt?Was der so für ein Leben hatte und wie der sich die Ruhe bewahrt hat, um bei großen Entscheidungen, wie z. B. bei der Sturmflut, mit dem Druck klarzukommen.

Haben Sie Wünsche für die Zukunft?Dass jeder in Hamburg, auch mit Einschränkungen, selbst-verständlich in seinen Verein gehen kann, um dort Sport zu machen. Dazu müssten wir die Menschen mit Behinderungen aus der Gesellschaft abholen und mitnehmen. Dabei sind aber noch viele Barrieren im Kopf zu überwinden.

Dann hoffe ich mal, dass wir die eine oder andere Barriere mit diesem Gespräch schon aus dem Weg geräumt ha-ben. Danke schön. ‹‹‹

Frau Göpfert, erklären Sie doch mal mit ein paar Worten Ihre Funktion hier in der Stiftung.Ich leite den Bereich Sport und Inklusion und im Team entwi-ckeln wir Sportangebote für Kinder und Erwachsene mit Behinderungen im Rahmen von ganz unterschiedlichen Sportver-anstaltungen. Konkret bedeutet das, Finanzierungen zu beantra-gen, Sponsoren und Kooperati-onen zu suchen, der Öffentlich-keit zu zeigen, was wir hier so tun, und natürlich Projekte zu planen und durchzuführen.

Was macht Ihnen dabei am meisten Spaß? Den Kindern zuzusehen, wie sie Spaß am Sport haben, und die Bereicherung zu spüren, wenn Menschen mit und ohne Behin-derung etwas gemeinsam tun.

Was ist das Besondere an dieser Halle, was man woanders nicht kann?

Hier können alle mitmachen, egal ob mit Rollstuhl, Seh- oder Hörbehinderung. Es ist alles für diese Beeinträchtigungen aus-gelegt, was in anderen Hallen nicht der Fall ist.

Welcher Sport wird hier am liebsten gemacht?Rollstuhl-Fußball. Daran haben Kinder mit und ohne Behinde-rung großen Spaß.

Was? Wie spiele ich denn Fußball, wenn ich die Beine nicht bewegen kann? Ja das ist hier natürlich anders, der Ball wird mit der Hand gespielt, muss aber durch Pass-spiele mit den Mitspielern ins Tor befördert werden.

Sport ist ja generell schon sehr gemeinschaftsfördernd. Ist das bei inklusivem Sport noch stärker ausgeprägt?Ja, es wird noch mehr aufeinan-der geachtet. Es wird weniger

gefoult, der Fairness-Gedanke ist noch größer und alle achten verstärkt darauf, dass alle aus der Mannschaft gemeinsam siegen.

Wie kommen denn behinderte und nicht behinderte Menschen zu gemeinsamem Sport? Wie wissen die voneinander? Man weiß zum Glück inzwischen, dass man in Alsterdorf inklusiven Sport gemeinsam erleben kann und das zieht gegenseitig an.

Über diese Halle ist ja viel diskutiert worden. Ist sie gelungen?Zum großen Teil ja. Weil es dafür aber kein Vorbild gab, gibt es immer Dinge, die man beim nächsten Mal anders machen würde. Blindenhunde gehen hier z. B. die Rampe nicht hoch, weil sie die Rasten nicht mögen.

Nach dem Training einen „isotonischen Kaffee“ …

Wie viel Glück muss. man haben, um. glücklich zu sein?

ST. PAULI THEATER14.8. – 2.9.2018

st-pauli-theater.de sowie motownshow.de

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MIT DEN HITS VON THE TEMPTATIONS THE FOUR TOPSDIANA ROSS & THE SUPREMES THE JACKSON 5 U.A.

MITWILSON D. MICHAELS, DAVID-MICHAEL JOHNSON (DMJ), TREVOR JACKSON/KOFFI MISSAH, SIGGY DAVIS, TARYN NELSON DI CAPRI

Nur für kurze Zeit!