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© des Titels »Faszien-Release zur Verbesserung der Körperhaltung« von Thomas Myers, James Earls (ISBN 978-3-86883-733-9). 2016 by riva Verlag, Münchner Verlagsgruppe GmbH, München. Nähere Informationen unter http://www.rivaverlag.de Faszien-Release Für Beweglichkeit, Stabilität und Schmerzfreiheit Thomas Myers | James Earls zur Verbesserung der Körperhaltung

Thomas Myers | James Earls Faszien-Release · 2015. 11. 16. · Ossa tarsalia Scapula Humerus 1 Radius 2 Ulna Clavicula ... drei Ossa cuneiformia und ein Os cuboideum, die gemeinsam

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Faszien-Release

Für Beweglichkeit, Stabilität

und Schmerzfreiheit

T h o m a s M y e r s | J a m e s E a r l s

zur

Verbesserung der

Körperhaltung

Earls_Titelei_MM_150929.indd 2 29.09.15 11:51

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4 Faszien-Release zur Verbesserung der Körperhaltung

Einleitung und Gebrauchs anweisung für dieses Buch

Der strukturelle Aufbau eines jeden Men schen ist einzigartig und ein Produkt der zahlreichen Variablen, die uns ausmachen. Deshalb sind einer Analyse der Körperstruktur von Natur aus Grenzen gesetzt. Bewusste und unbewusste Entscheidungen, Ererbtes und Erlerntes, seeli-sche oder körperliche Traumen formen unseren Körper und das Gewebe, das ihn zusammen-hält. All die zahllosen Möglichkeiten zu erfas-sen, würde den Rahmen dieses Buchs um ein Vielfaches sprengen.

Deshalb stellen wir hier lediglich die häufigsten Tendenzen vor. In jedem Kapitel finden Sie eine Einführung in die strukturelle Anatomie einer Körperregion sowie Anregungen dafür, wonach Sie bei der Untersuchung von Patien-ten Ausschau halten sollten. Abgerundet wird jedes Kapitel durch Strategien zur Behandlung der Faszienschichten und Zuglinien der betref-fenden Region.

Aufgrund der holistischen Natur des menschli-chen Körperbaus kann nicht für jede einzelne Variante eine lineare und methodische Analyse geliefert werden. Überall dort, wo die einer Technik zugrunde liegende Logik nicht aus der anatomischen Einführung oder aus dem Body-Reading hervorgeht, liefern wir struktu relle Beispiele.

In manchen Fällen geben wir nur ein Beispiel, da es den Leser nur langweilen würde, wenn wir ständig schrieben: »bei einem umgekehrten Auf-bau ist die Beziehung zwischen den einzelnen Bindegewebselementen eine umgekehrte«. Die Kenntnis der antagonistischen Funktion von Muskeln wird vorausgesetzt. Obgleich dieses Buch als alleinige Einführung genügen kann, weisen wir darauf hin, dass viele der hier vorge-stellten Techniken auf dem Buch »Anatomy Trains: Myofasziale Leitbahnen« (Myers 2009) aufbauen und wir hier nicht alle der in Anatomy Trains, den anatomischen Zuglinien, dargelegten Details wiederholen. Im Anhang finden Sie je-doch kurze Zusammenfassungen. Auch wer mit dem genannten Werk nicht vertraut ist, wird in diesem Handbuch viele nützliche Anleitungen und auch das nötige Hintergrundwissen finden, um die Körperstrukturen seiner Patienten zu verändern.

Die Techniken werden hier in anatomischer Rei-henfolge vorgestellt und nicht gemäß der Rei-henfolge der Anatomy Trains, doch wird stets angegeben, zu welchem Anatomy Train die je-weilige Körperregion hinzuzurechnen ist. Da-durch kann der Therapeut die Kontinuität der Faszien nutzen, indem er das Release einer Zone auf angrenzende Elemente derselben Linie ausdehnt. Geben beispielsweise die ischiokrura-

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len Muskeln nicht so recht nach, sollte man, der Oberflächlichen Rückenlinie folgend, mit dem M. gastrocnemius oder dem Ligamentum sacro-tuberale arbeiten. Einen Schlüssel der Abkür-zung für die Linien finden Sie im Anschluss an diese Einführung.

BodyReading erfordert Erfahrung, und für den Fall, dass Sie sich mit dieser Materie weiter be-fassen wollen, bieten wir einige Fortbildungen an. Auch veranstalten wir weltweit Workshops zu Anatomy Trains, BodyReading und der Tech-nik des Faszien-Release (TFR). Einen Überblick über unser aktuelles Kursprogramm finden Sie im Internet unter www.anatomytrains.co.uk.

Die Palette der hier vorgestellten Techniken ist unvollständig, weil manche Körperregionen zu empfindlich sind, als dass man ihre Behand-lung aus einem Handbuch erlernen könnte. Durch die Richtung und Tiefe Ihrer Einwir-kung, Ihre eigene Position und die Wahl Ihrer Manipulationstechnik – mit Fingern, Handflä-che, Knöchel oder Ellbogen – können alle hier vorgestellten Techniken kreativ verändert wer-den. Wichtig ist, dass Ihnen bewusst ist, was Sie zu erreichen versuchen und wie das Ge-webe beschaffen ist, an dem Sie arbeiten. Viel hängt dabei von Ihrem Tastgefühl ab, das Sie nur durch Erfahrung und unter einem gewis-sen Maß an Anleitung schulen können. Wir verstehen die hier vorgestellten, vom Thera-peuten gründlich zu studierenden Techniken als Schablonen, die an die Bedürfnisse des je-weiligen Patienten anzupassen sind. Für unse-ren Ansatz ist es wichtig, zu begreifen, dass jeder Eingriff eine »Kommunikation zwischen zwei intelligenten Systemen« darstellt und dass jeder Therapeut eine Verbindung zum Ge-webe seines Patienten aufnehmen und auf-rechterhalten muss. Aus diesem Grund emp-

fehlen wir auch erfahrenen Therapeuten, sich eingehend mit den einleitenden Kapiteln die-ses Buchs zu befassen.

Die heutige Anatomielehre beschäftigt sich mit den traditionellen Elementen des Körpers und vernachlässigt die Wichtigkeit des Fasziennet-zes, und ganz besonders der Myofaszien, um die es in diesem Buch geht. Die Verwendung der Namen einzelner Muskeln kann den Eindruck erwecken, dass es sich bei ihnen um einzelne voneinander deutlich getrennte Elemente han-delt. Doch neuere Forschungen widerlegen die-ses Denkmodell (Myers 2009, Hujing 2008, Stecco 2009, Van der Wal 2009). Für die Be-schreibung der Mechanik der hier vorgestellten Techniken verwenden wir diese übliche Muskel-terminologie, bitten den Leser jedoch, sich dabei das Bild des großen Ganzen aus elastischen Schichten und Ebenen zu vergegenwärtigen, in dem jene kontraktilen Elemente enthalten sind, die wir Muskeln nennen. Stets sollte die Vorstel-lung mitschwingen, dass jeder einzelne Muskel über seine Körperregion hinaus mit dem gesam-ten Körper verbunden ist.

Unser wichtigstes Anliegen ist es, Sie zu ermuti-gen, auf eine neue Weise zu denken und zu ana-lysieren, um jenseits der Beschreibung, die der Patient von seinen Schmerzen liefert, die Struk-tur seines Körperbaus zu erkennen, sie gemein-sam mit dem Patienten zu erkunden und sie durch Faszien-Release zu verbessern. Dieses Buch ist als Einführung in diesen aufregend neuen, lohnenden Therapieansatz konzipiert und soll dazu anregen, die weltweit veranstalte-ten Workshops zu besuchen. Wir freuen uns da-rauf, Sie eines Tages persönlich kennenzulernen, und wünschen Ihnen viel Erfolg!

Thomas Myers & James Earls

Einleitung und Gebrauchsanweisung für dieses Buch 5

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Kapitel 4

Fuß und Unterschenkel

Die einzigartigen Bewegungsabläufe des menschlichen Gehens und Laufens erfor-

dern einen einzigartigen, vor allem durch die Ferse gestützten Fuß. Kängurus stützen sich beim Ausruhen auf ihre Fersen, beim Springen aber setzen sie die Pfoten ein. Das würde bei uns einem Bewegungsablauf entsprechen, bei dem wir auf den Ballen von Händen und Füßen lau-fen, was für uns sehr unbequem und nicht lange durchzuhalten wäre. Viele vierbeinigen Säuge-tiere können sich auf den Hinterbeinen aufrich-ten. Bei Hunden sieht das oft niedlich aus, bei Pferden kann es furchteinflößend wirken, durch-halten aber können Tiere diese Haltung nicht sehr lange (Abb. 4.1).

Dass dieses Stehen für uns angenehm ist, ver-danken wird unseren zwei Füßen, die aus geo-metrischer Perspektive Tetraedern ähneln – dreiseitigen Pyramiden. Diese Form vermittelt uns ein einzigartiges Gefühl der Erdung, ver-langt uns aber einiges an Balance ab, da sie mit einem hohen Schwerpunkt und einer klei-nen Stützfläche einhergeht. Um einen mühe-losen Stand zu ermöglichen, müssen die Füße und die Muskeln des Unterschenkels ausba-lanciert sein.

Deshalb besteht unsere nächste Aufgabe darin, die Funktion der Fußgewölbe zu verstehen. Eine Balance in den Bögen garantiert eine korrekte dynamische Beziehung zwischen der Fähigkeit eines Patienten, sich zu erden – auf eine leicht greifende Weise mit dem Boden verbunden zu

Abb. 4.1: Obgleich die Knochen von Pferd und Mensch einander ziemlich ähnlich sehen, ist die Architektur der Lokomotion eine völlig andere.

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bleiben und sich dabei einen elastischen Schritt zu bewahren –, und der Fähigkeit, auch unvorbe-reitet die Richtung zu wechseln.

Das Verständnis der Fußgewölbe beruht auf drei Elementen: der Form der Knochen, der Spannung

in der Aponeurosis plantaris und dem Gleichge-wicht zwischen den »Marionettenfäden« der von den Waden hinabreichenden Muskeln. Wir wer-den in dieser Reihenfolge auf die drei Elemente näher eingehen, wollen aber zuerst einen Über-blick über die gesamte Körperregion geben.

Die Knochen des Beins: so leicht wie 1, 2, 3 … 4, 5

Die Knochen des Beins (und des ähnlich ge-bauten Arms) können als Progression von

den Hüften zu den Zehen angesehen werden

(Abb. 4.2). Der Oberschenkel hat einen Knochen, den Femur, die Wade hat zwei, Tibia und Fibula. Von diesen beiden trägt die Tibia den Hauptteil

Cingulum membri pelvini

Femur1

Tibia

Fibula2

Ossa tarsalia

Scapula

Humerus

1

Radius

2

Ulna

Clavicula

Ossa carpalia

34

5

34 5

Abb. 4.2: Die Knochen des Beins (ebenso die des Arms) werden in distaler Richtung zahlreicher. Auf den einzelnen Oberschenkelknochen folgen die beiden Knochen des Unterschenkels, darauf die drei hinteren und vier vorderen Fußwurzelknochen und fünf Mittelfußknochen.

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der Last. Sie verbreitert sich nach oben, um die beiden Kondylen des Femur aufzunehmen. Unten ruht sie auf dem Talus und bildet den Malleolus medialis. Die schmälere Fibula steckt ihren oberen Gelenkkopf unter die Tibia. Ihr unteres Ende bildet den Malleolus lateralis und vervollständigt so das Fußgelenk.

Die nächste Schicht des Fußes besteht aus drei Knochen: Talus, Calcaneus und Os naviculare. Diese drei Knochen bilden den Rückfuß, dessen komplexes Gelenk wir später behandeln werden.

In der folgenden Schicht gibt es vier Knochen, drei Ossa cuneiformia und ein Os cuboideum, die

gemeinsam das proximal transversale Fußge-wölbe bilden.

Die fünf langen Ossa metatarsalia vervollständi-gen diese Progression von der Hüfte zum Fuß. Die Zehen setzen sie mit 14 weiteren Knochen fort (im großen Zeh sind zwei Knochen, in den anderen gewöhnlich drei).

Die Komplexität dieses Aufbaus erklärt die nach unten hin zunehmende Anpassungsfä hig-keit der Knochen und die ebenfalls nach unten hin zunehmende Bedeutung des Faszienge-webes, mit der wir uns in Kapitel 6 eingehend befassen werden.

Die Gelenke: Scharniere und Spiralen

Bei den Gelenken des Beins wechseln sich sol-che, die nur in eine Richtung frei sind (und

eine Scharnierbewegung ermöglichen), mit sol-chen ab, die sich durch Rotation in mehrere Rich-tungen bewegen lassen.

Die vordersten Gelenke des Fußes, die zwi-schen den verschiedenen Zehenknochen liegen, sind alle Scharniergelenke, die uns Haftung am  Boden ermöglichen. Die fünf Meta tarso-phalangealgelenke des Ballens räumen durch die runden Metatarsalköpfe ein gewisses Maß an Rotation ein.

Die viereckigen Metatarsalbasen lassen nur eine Scharnierbewegung zu (die relativ gering ausfällt, aber sehr wichtig ist). Wenn Sie jemanden mit starker Auswärtsdrehung der Füße (Supination) bei hohem Spann laufen sehen, sodass in den Mittelfußgelenken wenig Bewegung stattfindet, werden Sie erkennen, wie stark sich das Fehlen

dieses leichten Nachgebens im Fuß auf die Geh-bewegungen von Hüfte und Rücken auswirkt.

Die nächste echte Bewegung im Fuß entsteht am Subtalargelenk (auch Talocalcaneonavicular-gelenk). Dieses Gelenk und das nächste, das Tibiotalar gelenk, fasst man gewöhnlich als Sprunggelenk zusammen. Sie werden beide von einer gemeinsamen Bänderkapsel eingehüllt, so-dass bei einer Verstauchung mit anschließender Schwellung beide Gelenke unbeweglich werden. Für therapeutische Zwecke müssen wir jedoch zwischen dem Gelenk oberhalb des Talus und dem Gelenk darunter unterscheiden.

Das Subtalargelenk ermöglicht es dem Talus, auf dem übrigen Fuß zu rollen, und umgekehrt; es ist ein rotierendes Gelenk. Allerdings verläuft die Ro-tationsachse – die Achse der Inversion und Ever-sion – nicht gerade durch den Fuß, sondern vom In-neren des großen Zehs durch die Ferse (Abb. 4.10).

Fuß und Unterschenkel 55

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Das Tibiotalargelenk, der obere Teil des Sprung-gelenks, ist eher ein Scharnier. Die Oberseite des  Talus ist in der »Halterung« der unteren Enden von Tibia und Fibula verzapft, die durch ein starkes Syndesmoseband zusammengehal-ten werden. Dieses Gelenk erlaubt nur Dorsal-flexion und Plantarflexion.

Da Tibia und Fibula so fest miteinander verbun-den sind, können sie sich im Verhältnis zueinan-der nur wenig bewegen, am meisten noch am obe-ren Ende. Diese Rotationsbewegung – die der Pro- nation und Supination im Arm entspricht – wurde ins Knie verlagert. Um sie zu spüren, setzen Sie sich mit gebeugten Knien so hin, dass Ihre Fußbal-len den Boden berühren. Wenn Sie, auf den Fuß-ballen drehend, die Fersen nach innen und außen schwingen, bemerken Sie die mediale und laterale Rotation der Knie. Das kann aber nur bei gebeug-tem Knie geschehen. (Wenn Sie bei gestrecktem Bein die Ferse nach innen und außen schwingen, findet die Bewegung im Hüftgelenk statt.)

Das Kniegelenk ist ein weiteres Scharnier, das Flexion und Extension ermöglicht, während die Hüfte ein freieres und zu den unterschiedlichs-ten Bewegungen befähigtes Kugelgelenk ist.

Diese Wechsel zwischen Kugel- und Scharnier-gelenken finden wir in ähnlicher Weise auch im Arm und in der Wirbelsäule vor. Bei Letzterer haben wir das nur eingeschränkt bewegliche Scharnier des Iliosakralgelenks, das rotierende Lumbosakralgelenk, die Scharniere der Lenden-wirbelgelenke, die rotierenden Gelenke der un-teren Brustwirbelsäule, ein Scharnier in der mittleren Brustwirbelsäule, rotierende Halswir-belgelenke und schließlich ein Scharniergelenk zwischen Atlas und Os occipitale.

Aufgrund der eingeschränkten Bewegungsmög-lichkeiten der Scharniergelenke können einige wenige Muskeln die Bewegungsenergie auf sehr spezifische Weise kanalisieren. Mit anderen Wor-ten: Wenn sämtliche Muskeln der Arme und Beine Kugelgelenke wären, würden wir wie Pop-eye aussehen, denn wir bräuchten Unmengen von Muskeln, um sie zu stabilisieren. Der Wech-sel zwischen Scharnieren, d. h. linearen Bewe-gungen, und Kugelgelenken, d. h. Rotationsbe-wegungen, erzeugt Spiralen jenes Typs, den wir bei Ballettsprüngen oder Karateschlägen beob-achten können (Abb. 4.3).

Abb. 4.3: Scharniergelenke wie Knie und Ellbogen erzeugen lineare, eindimensionale Bewegungen. Anders geformte Gelenke wie Hüfte oder Schulter ermöglichen Rotation und viele unterschiedliche Grade von Beweg lich-keit. Durch Kombination der beiden – lineare Bewegung und Rotation – entstehen spiral-förmige Bewegungen, wie man sie beim Tanz oder bei Kampfsportarten sehen kann.

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Die Fußgewölbe als »Sekundärkurven«

Bevor wir uns mit den Details der Fußgewölbe befassen, stellen wir noch kurz ein wichtiges

Konzept vor: die Fußgewölbe sind essenziell Se-kundärkurven. Die Begriffe »Primärkurven« und »Sekundärkurven« werden gewöhnlich in Zu-sammenhang mit der Wirbelsäule verwendet: Primärkurven sind diejenigen, die von der ersten Flexionskurve, die beim Fötus und Neugebore-nen besteht, zurückbleiben, d. h. die thorakale und die sakrokokzygeale Kurve der Wirbelsäule. Sekundärkurven entwickeln sich nach der Ge-burt in Reaktion auf die Kräftigung der Muskeln: Die zervikale Kurve bildet sich, wenn das Baby lernt, den Kopf zu heben, die lumbale Sekundär-

kurve etwas später, wenn das Kind beginnt, sich aufzusetzen, und sich ein Gleichgewicht zwi-schen dem unteren M. erector spinae und dem Psoas-Komplex entwickelt.

Erweitern wir dieses Konzept »nach oben hin«, so können wir das Neurocranium mit einschlie-ßen, das demselben Teil des Embryos ent-stammt, das die Wirbelsäule bildet, und sagen: Die craniale Kurve ist primär, die zervikale se-kundär, die thorakale primär, die lumbale sekun-där, die sakrokokzygeale primär. Und, um »nach unten hin« weiterzumachen: Die Kniekurve ist sekundär, die Fersenkurve primär und das Fuß-gewölbe sekundär (und der Fußballen, wenn man so will, wieder primär).

Wenn wir diese Aneinanderreihung von Primär- und Sekundärkurven betrachten, fällt uns auf, dass sie alle durch ein zusammenhängendes myofasziales Ganzes verbunden sind, die Ober-flächliche Rückenlinie ORL (nach Anatomy Trains – Myofasziale Leitbahnen; siehe hier Abb. 4.4).

Die Fußgewölbe haben mit den übrigen Sekun-därkurven des Körpers einiges gemeinsam: Sie sind posterior konkav, sie wirken als Federn und sie werden durch die Spannung im Weichteilge-webe gebildet und erhalten. Die Primärkurven andererseits sind von Anfang an da und stehen für die solideren Bewegungsebenen, da sie von Knochen fixiert werden.

Fuß und Unterschenkel 57

Abb. 4.4: Die Fußgewölbe reihen sich in eine Serie sekundärer Bögen ein, die einander an der rückwärtigen Körperoberfläche abwechseln. Diese Sekundärkurven hängen weniger von der Form der Knochen ab als von einem Gleichgewicht, das vom Weich teilgewebe aufrechterhalten wird.

sekundär

primär

sekundär

primär

sekundär

primär

sekundär

primär

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Die Knochen der Fußgewölbe

Nun aber kehren wir zum Schwerpunkt dieses Kapitels zurück und erkunden die drei Ele-

mente, die für stabile und dennoch elastische Ge-wölbe sorgen. Zunächst untersuchen wir die Form der Knochen jedes Gewölbes (die für unser Verständnis wichtig, aber durch manuelle Thera-pie nicht wirklich formbar sind), anschließend das Plantargewebe, auf die einige Techniken an-wendbar sind, und schließlich die Balance der Muskel-Sehnen-Zuglinien, die von der Wade he-runterreichen (und für die es zahlreiche Griffe gibt, um die Gewölbe zu erhalten und zu stärken).

Die zwölf Knochen des Fußes sind zu vier leicht  erkennbaren Gewölben angeordnet: me-dial longitudinales, lateral longitudinales, proxi-mal transversales und distal transversales Ge-wölbe (Abb. 4.5).

Das lateral longitudinale Gewölbe besteht aus vier Knochen: Calcaneus, Os cuboideum und vierter und fünfter Os metatarsale. Gemeinsam bilden sie sozusagen einen romanischen Bogen, dessen Ankerstein der Os cuboideum ist. Tänzer be-zeichnen diesen Bogenkomplex als »Fersenfuß«.

Höcker des Calcaneus

medialer Rand des Calcaneus

Sustentaculum tali

lateraler Rand des Calcaneus

Os cuboideum

Malleolus medialis der Tibia

Talus

Höcker des Os naviculare

intermediärer Os cuneiforme

medialer Os cuneiforme

lateraler Os cuneiforme

Ossa metatarsalia

proximale Phalangen

mittlere Phalangen

distale Phalangen

Abb. 4.5: Die zwölf eigentlichen Fußknochen sind untereinander so verbunden, dass sie vier voneinander getrennte Gewölbe bilden: das lateral longitudinale, das medial longitudinale, das proximal transversale und das distal transversale.

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Während er beim Stehen beträchtliche Last auf-nimmt, ist er beim Gehen mit dem Ausleger eines Auslegerboots zu vergleichen (wobei der mediale Bogen das Boot darstellt).

Sie spüren es, wenn Sie sich auf Ihre Fußballen stellen. Achten Sie darauf, wie vor allem die drei ersten Mittelfußknochen das Gewicht aufneh-men, während auf die beiden äußeren weitaus weniger Druck ausgeübt wird. Doch helfen diese beiden durch kleine Bewegungen, das Gleichge-wicht zu halten. Versuchen Sie nun, Ihr Gewicht auf die Außenseiten der Füße zu verlagern, so-dass die lateralen Bögen die Hauptlast tragen. Sobald der ausbalancierende Teil des Fußes auch noch das Gewicht aufgebürdet bekommt, verlie-ren Sie die Balance.

Das medial longitudinale Gewölbe ruht auf dem la-teralen. Es beginnt mit dem Talus, dessen gerun-deter Kopf in den Os naviculare eingepasst ist. Darauf folgen die drei Ossa cuneiformia und die mit ihnen verbundenen Ossa metatarsalia. Ob-gleich dieses Gewölbe den Großteil des Körper-gewichts trägt, ist es nicht ganz so effektiv kon-struiert wie das laterale. Besonders der erste Os cuneifome ist unten ein wenig breiter als oben, was für das Gehen notwendig ist, beim Stehen jedoch einen Kompromiss darstellt. Aufgrund des gerundeten Endes des Talus und dem un-

gleichmäßigen Os  cuneiforme neigt das medial longitudinale Gewölbe eher dazu, »einzusinken«, als sein laterales Gegenstück.

Das proximal transversale Gewölbe, zu dem die Ossa cuneiformia und der Os cuboideum gehö-ren, ist hinsichtlich der Knochenformung ebenso effektiv konstruiert wie das laterale longitudi-nale. Wie der deutsche Name »Keilbeine« für die Ossa cuneiformia schon sagt, sind sie keilförmig und oben breiter als unten. Mit seinen dicken, die Unterseiten der Knochen verbindenden Bän-dern sinkt dieses Gewölbe kaum jemals ein, oder höchstens infolge eines schweren Unfalls.

Schließlich kommen wir zum distal transversa-len Gewölbe zwischen den Köpfen des ersten und fünften Os metatarsale. Ihre Köpfe sind untereinander nur locker durch Bänder verbun-den, und sie bilden kein deutliches Gewölbe. Ist es funktionsfähig, so sind die Hornhäute des ersten und fünften Ballens am dicksten. Ist es dagegen eingesunken, liegen die dicksten Horn-häute unter den Köpfen des zweiten und drit-ten Os metatarsale. Da die Wölbung dieses Bo-gens einzig und allein vom Weichteilgewebe abhängt, und ganz besonders vom Tonus des M. adductor hallucis, leitet dies über zu unse-rem nächsten Element, dem Weichteilgewebe unter diesen Gewölben.

Das Plantargewebe

Wir haben über die Gewölbe des Fußes ge-sprochen, als handle es sich um romanische

Bögen. Aber natürlich müssen derartige Steinbö-gen in etwas Stabiles eingehängt sein, während unsere Füße frei und beweglich sind. Ihre Gewölbe werden nicht durch außerhalb liegende Konstruk-

tionen gestützt, sondern durch darüber und da-runter befindliches Weichteilgewebe.

Fangen wir unten an. Das Plantargewebe stützt die Gewölbe, indem es sich wie die Sehne in einem Bogen verhält (Abb. 4.6). Beim proximal

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transversalen Gewölbe besteht die Weichteil-komponente aus einem Satz von Bändern, die sich zwischen dem ersten Os cuneiforme und dem Os cuboideum über die Fußsohle spannen. Diese Bänder sind nicht nur schwer zu errei-chen, man sollte sie auch keinesfalls verlän-gern, da wir selten auf ein proximal transversa-les Gewölbe stoßen, das als zu hoch anzusehen ist. Bei supinierten Füßen und anderen Er-scheinungsformen, die als »hohe Bögen« zu-sammengefasst werden, genügt es, an den an-deren drei Gewölben und dem Unterschenkel zu arbeiten.

Das distal transversale Gewölbe dagegen ist bei-nahe ausschließlich von dem Weichteilgewebe abhängig, das zwischen den Köpfen des ersten und fünften Os metatarsale verläuft. Obwohl mitunter Manipulationen nötig werden können, um diese Gewebe zu öffnen, ist der wichtigste Träger dieses Gewölbes der M. adductor hallucis, der einen erhöhten Tonus haben muss, um das Gewölbe stützen zu können. Daher auch der all-gemeine Rat, ihn fit zu halten, indem man mit den Zehen ein Handtuch zusammendrückt oder kleine Gegenstände aufhebt. Beide Übungen stärken die Muskeln, die helfen, dieses Gewölbe zu tragen.

Das lateral longitudinale Gewölbe wird vom late-ralen Band der Plantarfaszie oder Plantaraponeu-rose sowie dem M. abductor digiti minimi ge-stützt, die beide von der äußeren Unterseite des Fersenknochens zur Basis des fünften Os me-tatarsale verlaufen (Abb. 4.6). Dieses Gewebe ist bei den »eingesunkenen Bögen« verkürzt; bei schwereren Fällen wird dies auch sichtbar.

Das medial longitudinale Gewölbe wird vom Hauptteil der Plantarfaszie oder Plantaraponeu-rose getragen, die sich wie ein dreiseitiges Tram-polin zwischen der Vorderseite des Fersenbeins und den Köpfen des ersten und fünften Os me-tatarsale spannen. Bei hyperextendierten Zehen kann man dieses Gewebe an der Fußunterseite ertasten. Hinten an der Ferse ist es nur ungefähr zwei Zentimeter breit, vorne an den Ballen we-sentlich breiter.

Die kurzen Zehenflexoren liegen tief in das Tram-polin der Plantarfaszie eingebettet. Darüber be-findet sich das lange Plantarband und das kurze, aber sehr kräftige Sprungband. Beide tragen zur Stützung des Gewölbesystems bei, indem sie eine longitudinale Spreizung der Knochen verhindern. Weil diese Strukturen sehr tief liegen, lassen sie sich nur schwer durch Manipulationen erreichen.

Lig. calcaneonaviculare plantare

Lig. plantare brevis

Lig. plantare longum

Plantaraponeurose

Abb. 4.6: Die wie ein Trampolin oder eine Bogensehne gespannten Plantarfaszien helfen, die Fußgewölbe zu erhalten, und hindern die Knochen daran, sich unter dem Gewicht des Körpers abzusenken und zu spreizen.

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Die Wadenmuskeln

Das abschließende Element des Gewölbe-systems und gleichzeitig dasjenige, das am

besten auf unsere faszienformenden Bemühun-gen anspricht, ist die von den Muskeln des Unter-schenkels aufgebaute Stütze. Diese Muskeln sind um Tibia und Fibula und die Membran, die diese beiden Knochen verbindet, herum angeordnet.

Diese Muskeln lassen sich leicht in vier Kompar-timente von je zwei oder drei Muskeln einteilen (Abb. 4.7). Wir stellen im Folgenden die einzel-nen Kompartimente vor und zeigen, wie sie ge-meinsam die zwei Gelenke des Sprunggelenks bewegen und die drei Fußgewölbe stützen (oder eben nicht).

Das oberflächliche posteriore Kompartiment enthält die Muskeln M. gastrocnemius, M. soleus und

M. plantaris. Der M. gastrocnemius und der (sehr schwache) M. plantaris sind die einzigen Muskeln des Unterschenkels, die das Knie kreuzen und auf es einwirken, indem sie als schwache Flexoren agie-ren, vor allem aber als Stabilisatoren des Beins. Der M. plantaris ist ein kleiner Muskel, ein schwacher Plantarflexor des Sprunggelenks, der jedoch eine wichtige neurologische Rolle spielt, weil er die Spannung der Achillessehne kontrolliert. Nach unten reichen alle drei Muskeln in die Ferse hinein, was sie zu starken Plantarflexoren bzw. Antagonis-ten der Dorsalflexion macht. Der M. soleus besitzt eine umfangreiche Verbindung sowohl an Tibia und Fibula und ist der primär wirksame posturale Muskel, der das Einknicken des Sprunggelenks ver-hindert. Er stabilisiert außerdem das Bein, wenn wir unsere Hände und den Kopf weit oberhalb un-serer beiden kleinen »Fußpyramiden« bewegen.

Fuß und Unterschenkel 61

Tibia

anteriores Kompartiment

laterales Kompartiment

Fibula

tiefes posteriores

Kompartiment

oberflächliches posteriores

Kompartiment

M. tibialis anterior

M. extensor hallucis longus

M. extensor digitorum longus

M. fibularis longus

M. fibularis brevis

Fibula

M. soleus

lateraler Kopf des M. gastrocnemius

Tibia

Membrana interossea

M. tibialis posterior

M. flexor digitorum longus

M. flexor hallucis longus

Plantarissehne

medialer Kopf des M. gastrocnemius

Abb. 4.7: Die elf zu dem Sprunggelenk in Beziehung stehenden Muskeln bilden vier Kompartimente, die durch intermuskuläre Fasziensepten voneinander getrennt sind.

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Das anteriore Kompartiment enthält die beiden langen Zehenextensoren, die sich ebenfalls an der Stabilisierung höherer Körperteile bei Bewe-gung beteiligen, für die Fußgewölbe aber keine wirkliche Bedeutung haben. Der dritte und um-fangreichste Muskel dieses Kompartiments da-gegen, der M. tibialis anterior, der an der Vorder-seite der Tibia entlang verläuft und unten mit dem Gelenk zwischen dem ersten Os cuneiforme und dem ersten Os metatarsale verbunden ist, wirkt schwach auf das medial longitudinale Gewölbe ein.

All diese Muskeln werden im Sprunggelenkbe-reich von Verdickungen der tiefen Faszienschicht verankert, den Retinacula. Diese in Anatomiebü-chern oft als separate, gleichmäßige Strukturen dargestellten Haltebänder sind in Wirklichkeit sehr unregelmäßig geformte, individualisierte Teile der äußeren Faszienschicht des Beins.

Das laterale Kompartiment liegt seitlich der Fi-bula. Es ist von zwei kräftigen Fasziensepten umgeben und enthält die zwei Muskeln M. fibu-laris longus und M. fibularis brevis (Abb. 4.8). Beide sind mit dem Malleolus der Fibula ver-bunden, den sie als Hebelarm nutzen. Der M. fi-bularis brevis reicht nur bis zum fünften Me-tatarsalkopf an der Außenseite des Fußes; er zieht diesen Knochen stark zum Os cuboideum hin und spannt dadurch das laterale Gewölbe. Der M. fibularis longus verläuft unter dem Os cuboideum (wodurch er das laterale Gewölbe stützt) und quer unter den Tarsalknochen hin-durch bis zu dem Gelenk zwischen dem ersten Os metatarsale und dem ersten Os cuneiforme. Daher neigt dieser Muskel dazu, das mediale Gewölbe nach unten zu ziehen und den Fuß-rand zu heben. Die beiden Muskeln sind Plan-tarflexoren und Fußrandheber am Sprungge-lenk – und schützen somit vor Inversionen und dem Verstauchen des »Knöchels«.

Kopf der Fibula

M. tibialis anterior

M. fibularis longus

M. extensor digitorum longus

M. extensor hallucis longus

Retinaculum extensorum inferius

M. extensor hallucis brevis

M. extensor digitorum brevis

M. plantaris

M. gastrocnemius(lateraler Kopf)

M. soleus

M. fibularis brevis

Calcaneussehne

M. triceps surae

Abb. 4.8: In der Seitenansicht erken-nen wir drei Kompartimente des Unterschenkels: das posteriore mit dem M. triceps surae, das laterale mit den M. fibularis longus und brevis und das anteriore mit den Zehenextensoren und dem M. tibialis anterior.

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Das dritte Kompartiment des Unterschenkels ist das tiefe posteriore Kompartiment, das sich zwischen dem großen M. soleus und der Mem-bran zwischen den Knochen befindet. Seine drei Muskeln sind die beiden langen Zehen-extensoren – M. flexor hallucis longus und M.  flexor digitorum longus – und der sehr schwer zu erreichende, aber äußerst wichtige M. tibialis posterior.

Alle drei Muskeln laufen hinter dem medialen Malleolus des Sprunggelenks vorbei, den aber nur der M. tibialis posterior als Hebelarm nutzt. Er verläuft von dort aus unter dem medialen Gewölbe hindurch und ist mit den meisten Tar-salen verbunden, außer mit dem Talus selbst. Dadurch ist der M. medialis posterior mit dem M. tibialis anterior verbunden und kann mit ihm gemeinsam das mediale Sprunggelenk vom Boden heben, die Supination erhalten und eine Pronation verhindern.

Die Muskeln M. flexor digitorum longus und M. flexor hallucis longus überkreuzen sich auf dem Weg zu den Zehen, sodass sie sich einan-der annähern, wenn man die Zehen beugt – wahrscheinlich ein Überbleibsel aus der Zeit, als wir noch mithilfe unserer Füße auf Bäume klet-terten. Hebt man die Zehen an, streben sie aus-einander; beugt man die Zehen, kommen sie durch den Winkel zwischen den Flexoren zu-sammen, und es entsteht ein Greifeffekt, wie er auch bei der Hand eintritt.

Der M. flexor hallucis longus ist außerdem eine sehr wichtige Stütze des medialen Gewölbes. Überstreckt man den großen Zeh, lässt sich die Sehne des M. flexor hallucis longus an der me-dialen Kante der Plantarfaszien der Fußsohle ertasten. Stecken Sie Ihren Daumen in die Kuhle, die zwischen Achillessehne und der inne-

ren Rückseite des Sprunggelenks entsteht, und drücken Sie sodann mit dem Daumen gegen die Rückseite des unteren Teils der Tibia. Wenn Sie nun den großen Zeh abwechselnd strecken und beugen, spüren Sie, wie sich die Sehne des M.  flexor hallucis bewegt (aber Vorsicht: hier verläuft auch der empfindliche Nervus tibialis).

Auf Abb. 4.9 sehen Sie, wie der M. flexor hallu-cis longus von der Tibia hinter dem Talus und unter einem bis unter den Talus reichenden Teil des Fersenknochens verläuft. Somit befindet sich diese Sehne auch an einem Punkt, auf den die Hauptlast des Körpers drückt. Wann wird der M. flexor hallucis wirklich stark bean-sprucht, d. h. wann ist er angespannt? Genau in dem Augenblick, in dem wir uns mit dem Fuß vom Boden abstoßen, das auf dem medialen Gewölbe lastende Gewicht beträchtlich und der Bedarf nach Stabilität hoch ist.

Der Zusammenarbeit dieser Muskeln verdan-ken wir Menschen, dass die relativ kleinen Fußgewölbe, die bei jedem Schritt eine große Last aufzunehmen haben, durch eine Vielzahl von Kombinationen der Muskelaktionen ge-stützt werden. Kontraktionen oder Entspan-nungen, die von einem Augenblick zum nächs-ten wechseln, sorgen laufend für den Erhalt der Gewölbe:

Die Schlinge: Der M. tibialis anterior und der M.  fibularis longus bilden gemeinsam eine un-terhalb des medialen und des lateralen Gewöl-bes verlaufende Schlinge. Die angespannte Schlinge stützt beide Bögen und zusätzlich auch das proximal transversale Gewölbe. Diese Schlinge ist bekannt und wichtig, und beide Muskeln sowie die Schlinge sind in der Spiral-linie der Karte der anatomischen Züge einge-zeichnet. Ist der M. fibularis longus zu kurz und

Fuß und Unterschenkel 63

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der M. tibialis anterior überdehnt, trägt dies zum Einsinken des medialen Gewölbes oder zu einer Eversion des Fußes bei. Ist der M. tibialis anterior zu kurz und der M. fibularis longus überdehnt, wird die dadurch entstandene Span-nung zur Entwicklung eines supinierten Fußes mit hohem Spann beitragen.

Die Eiszange: Der M. tibialis anterior und der M. fibularis brevis ziehen beide posterior, supe-rior und medial von ihren unteren Verbindungen an den Unterseiten des ersten bzw. fünften Metatarsalknochens zum Tarsus des Fußes, wo-durch sie dessen Einsinken verhindern.

Der Feuerwehrgriff: Der M. tibialis posterior ver-läuft von der medialen Seite des Fußes bis knapp zur lateralen Seite. Der M. fibularis lon-gus verläuft von der lateralen Seite des Fußes bis zur medialen Seite. Gemeinsam ziehen sie diese beiden Seiten näher zueinander und stär-ken dadurch sowohl das proximal transversalen als auch die beiden longitudinalen Gewölbe.

Aktivitäten der Muskeln

Nun wollen wir die Fußgewölbe beiseitelassen, um uns mit den allgemeineren Auswirkungen der Aktivitäten der Unterschenkelmuskulatur auf den Fuß zu befassen. Dabei spielt es weniger eine Rolle, wo in der Wade diese Muskeln ihren Anfang nehmen und bis wohin sie im Fuß ver-laufen. Wichtiger ist der präzise Punkt, an dem sie am Sprunggelenk vorbeikommen. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass das Sprungge-lenk eigentlich aus zwei Gelenken besteht: aus dem oberen Tibiotalargelenk, das plantares und dorsales Beugen ermöglicht, und dem unteren, für Inversion und Eversion zuständigen Subta-largelenk.

Die Achsen dieser beiden Bewegungen ersehen Sie aus Abb. 4.10, die auch die Ansatzpunkte der meisten Sehnen zeigt. Sämtliche Sehnen, die posterior der Achse des Tibiotalargelenks verlaufen, agieren als Plantarflexoren; sämtliche anterior dieser Linie befindliche Sehnen agieren als Dorsalflexoren. Alle medial der Inversion-Eversion-Achse verlaufenden Sehnen sind In-

Tibia

M. flexor hallucis longus

Calcaneus

Sustentaculum tali des Calcaneus

Sehne des M. flexor

hallucis longus

Sesambein

Abb. 4.9: Der M. flexor hallucis longus ist wesentlich mehr als nur ein langer Zehenflexor. Weil er das »Tor« des Sesambeins an der Basis des großen Zehs passiert, ist er an einem Hallux valgus beteiligt, und da er unter dem Tibiotalargelenk hindurch-läuft, stellt er eine Bogensehne mit variabler Spannung des medialen Fußgewölbes dar, insbesondere in der Spätphase des einzelnen Schritts.

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versoren und umgekehrt. Weiter von der Bewe-gungsachse entfernte Sehnen üben eine stärkere Kraft aus.

Beachten Sie, dass die Inversion-Eversion-Achse nicht genau auf der Längsachse des Fußes ver-läuft. Deshalb liegen die Verbindungen des M.  triceps surae am Fersenbein im Bereich des Invertors. Diese kräftigen Muskeln behalten selbst in der Entspannung ihren Tonus bei, was wiederum die Ursache für ein Phänomen ist, da Sie beobachten können, wenn sich die Patienten auf Ihre Behandlungsliege legen: Bei den meisten Menschen sind die Füße im Liegen invertiert. Deshalb erkennt man die Fußstellung am besten bei dem mit entspannten Knien aufrecht stehen-den Patienten.

Schließlich weisen wir noch darauf hin, dass alle Muskeln vom Ursprung bis zum Ansatz arbei-ten, oder umgekehrt, also vom distalen zum pro-

ximalen Verbindungspunkt hin. Der Umstand, dass die Namen und Beschreibungen vieler Mus-keln in Anatomiebüchern die Aktion von proxi-mal nach distal betonen, darf uns nicht davon abhalten, uns die Muskelfunktionen von beiden Enden aus näher anzuschauen.

Das gilt besonders für den Unterschenkel, denn oft genug kann der Fuß am Unterschenkel be-wegt werden, aber noch öfter stabilisieren diese Muskeln den Unterschenkel auf dem aufgestell-ten Fuß. Wir können uns diese ungefähr elf Muskeln also auch von unten nach oben an-schauen, weil sie Fuß und Körper in dieser Rich-tung stabilisieren. Daraus ergibt sich, dass auf Abb. 4.10 die Dorsalflexoren zu den »Antagonis-ten der Plantarflexion« werden und die Inverto-ren zu den »Antagonisten der Eversion«. Wenn wir unseren Patienten mehr Stabilität und Er-dung vermitteln wollen, sollten wir an diese um-gekehrte Aktion der Muskeln denken.

Fuß und Unterschenkel 65

Abb. 4.10: Die Ansatzpunkte der Sehnen rings um das Sprunggelenk bestimmen deren Funktion bei Plantar- und Dorsalflexion und Inversion-Eversion. Je weiter eine Sehne von der Achse entfernt ist, desto kraftvoller wirkt sie sich auf die Bewegung aus. Deshalb ist der M. tibialis anterior ein mächtiger Inverter und Dorsalflexor, während der M. extensor hallucis longus die Dorsalflexion bewirken kann, aber nur ein schwacher Inverter ist.

M. extensor hallucis longus

M. tibialis anterior

M. tibialis posterior

M. flexor digitorum longus

M. flexor hallucis longus

M. soleus/ M. gastrocnemius

M. fibularis tertius

M. extensor digitorum longus

M. fibularis brevis

M. fibularis longus

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BodyReading von Fuß und Unterschenkel

Wie bereits gesagt, hat der Fuß großen Ein-fluss auf die Integrität des übrigen Kör-

pers. Wir können die Beziehung zwischen Fuß und Körper unterstützen, indem wir überprüfen, wie die vielen Gelenke ausgerichtet sind und in-wieweit die Fußgewölbe gestützt werden und tragen. Wir wünschen uns einen freien, anpas-sungsfähigen Fuß, der auf unseren Streifzügen durch die Welt den ständigen Gewichtsverlage-rungen und -übertragungen mühelos standhält.

Schauen Sie sich die Füße Ihres Patienten an. Wie sind sie im Verhältnis zum Becken ausge-richtet? Sind sie medial oder lateral rotiert? Wenn ja, werfen Sie einen Blick auf die Knie. Zei-gen sie in dieselbe Richtung? Häufig zu beobach-ten ist eine Torsion im Knie, bei der der Femur in  die eine und Tibia und Fibula in die andere Richtung rotiert wirken. (Hier, in diesem Kon-text, ist es wichtig, die Fehlstellung zu erkennen. Wir werden uns damit näher in Kapitel 5 befas-sen). Wenn Femur und Tibia sowie die Füße in dieselbe Richtung und im selben Grad rotiert sind, liegt das Problem wahrscheinlich in der Hüfte, dennoch sollten wir uns alle Gelenke der Reihe nach ansehen.

Wir müssen einen scharfen Blick für die Ursache jeglicher Rotation oder Abweichung vom »Nor-malen« entwickeln. Natürlich wäre es ein grober Fehler, angesichts eines rotierten Fußes automa-tisch darauf zu schließen, dass an den Rotatoren der Hüfte gearbeitet werden muss. Besteht eine laterale Rotation des Fußes im Verhältnis zur Tibia, müssen wir an die Wadenbeinmuskeln denken (besonders an den M. fibularis brevis) sowie an das laterale Band der Plantarfaszien, da die Basis des fünften Os metatarsale in dieser Stellung näher zum Calcaneus hin gezogen wird.

Unter Umständen müsste das Gewebe des M. abductor digiti minimi verlängert werden, um den Zug am Vorderfuß zu korrigieren.

Eine laterale Rotation des Fußes kann durch eine Schwäche des medial longitudinalen Gewölbes entstehen, denn wenn die Innenseite des Fußes ihre Integrität einbüßt, wird das mediale Gewebe überdehnt und der laterale Aspekt verkürzt sich.

Bei einer Überprüfung der Fußgewölbe sollten wir erkennen können, welche Knochen gekippt sind. Ein niedriges Gewölbe kann auf eine medi-ale Kippung des Calcaneus zurückzuführen sein oder auf eine Kippung von Talus und medialem Os cuneiformia weiter vorne im Fuß. Selbst die Ossa metatarsalia können gekippt sein. Unter-schiedliche Muster erfordern unterschiedliche Strategien, da an jedem ein anderer Faszienkom-plex beteiligt ist.

Die Integrität der Fußgewölbe können Sie beim aufrecht stehenden Patienten beurteilen. Oder Sie lassen ihn die Knie leicht beugen, um zu sehen, wie sich die Gelenke bewegen und wie sich die Gewölbe an die Bewegung anpassen. Den Patienten beim Gehen zu beobachten, kann sehr informativ sein, doch braucht man viel Er-fahrung, um bei den schnellen Bewegungen zu erkennen, wie die Mechanik funktioniert. Ach-ten Sie darauf, was passiert, wenn der Fuß in der Luft ist, wenn die Ferse den Boden berührt, wie der Fuß abrollt und sich wieder abstößt. Halten Sie besonders nach übermäßigen Kippungen und Rotationen Ausschau. Wie verhält sich der Fuß zum Knie? Schwingt das Knie nach außen oder gerade nach vorne? Als Nächstes gilt es he-rauszufinden, welche der vielen Zuglinien, die diese Bewegungen kontrollieren, auf verkürzte

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Faszien oder aber schwache Muskeln hinweisen, um Ihre Strategie danach auszurichten.

Betrachten wir uns unser Modell im Stehen (Abb. 4.11), fällt auf, dass das rechte medial longitudinale Fußgewölbe weniger gestützt wird als das linke, wodurch der Fuß ebenfalls medial gekippt wird. Der rechte Fuß ist lateral stärker rotiert als der linke. Dies könnte zum Teil die Ursache der rechten Kippung des Beckens sein, dessen rechte Seite niedriger als die linke scheint. Ferner beobachten wir eine leichte Torsion des

Knies, weil die Oberschenkelknochen im Ver-hältnis zu den Schienbeinen medial rotiert er-scheinen.

Wenn unser Modell in die Knie geht (Abb. 4.12), sehen wir, wie sich das überträgt, besonders in  dem sich medial bewegenden rechten Knie. Außerdem liegen die beiden Schienbeine über dem großen Zeh anstatt senkrecht über dem zweiten Mittelfußknochen. Vielleicht sehen Sie auch, wie sich dies auf die Stellung des Sprung-gelenks auswirkt.

Fuß und Unterschenkel 67

Abb. 4.11: Bei dem in entspannter Haltung stehenden Modell erkennt man eine auf die mediale Kippung der Füße zurück-führbare Reihe von Rotationen. Das Gleichgewicht der Fuß-ge wölbe kann abhängig sein von Beinlängenunterschieden, Rotationen von Knie und Sprunggelenk sowie Torsionen und Kippungen des Beckens, was wiederum weiter oben zu Veränderungen wie z. B. einer Rechtskippung des Beckens führen kann. Wünschenswert wäre eine im Stehen optimale Verteilung des Gewichts auf beide Füße, kräftige, ausgeglichene Fußgewölbe, leicht lateral ausgerichtete Zehen und über dem zweiten Mittelfußknochen ausgerichtete Schienbeinhöcker.

Abb. 4.12: Beim Beugen der Knie sollten sich die Schienbeinhöcker über dem zweiten Mittelfußknochen und nicht wie hier über dem großen Zeh bewegen.

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Bei der Planung unserer Strategie überlegen wir uns, welche Gewebe zu kurz oder zu lang sein könnten und wie wir sie bearbeiten wollen. Die Muskeln M. tibialis anterior und M. tibialis pos-terior werden schwach, lang und kräftemäßig den relativ kurzen Wadenbeinmuskeln unterle-gen sein, die das medial longitudinale Gewölbe nach unten (longus) und die Basis des fünften

Mittelfußknochens zur Seite hin (brevis) gezogen haben. Bei allzu hohem Spann oder lateral ge-kippten Füßen bestehen umgekehrte Relationen.

Die Füße sind an vielen Problemen der Körper-haltung beteiligt; mit einigen davon werden wir uns in Zusammenhang mit den hier im Folgen-den beschriebenen Techniken befassen.

Techniken für Fuß und UnterschenkelDen Fuß öffnen

Um mit Fuß und Bein arbeiten zu können, müs-sen Sie ein Gefühl dafür entwickeln. Nehmen Sie den Fuß in beide Hände und bewegen Sie ihn. Be-wegen Sie jedes Gelenk, das Tibiotalar- und Sub-talargelenk. Erspüren Sie den relativen Wider-stand des Fußes, wenn Sie ihn von der Inversion zur Eversion, von der Plantarflexion zur Dorsal-flexion begleiten und an den Mittelfußknochen entlangfahren. Das ist kein intellektueller Pro-zess. Lassen Sie das Denken bleiben und konzen-trieren Sie sich auf das, was Sie fühlen. Dies ist der erste Schritt, den Sie tun müssen, um das Gewebe des Patienten kennenzulernen, um eine Bezie-hung dazu aufzubauen und es zu verstehen.

Die ersten Male dienen anfangs als Einleitung der Behandlung eines Patienten. Nach der Begeg-

nung mit mehreren Patienten gewinnen Sie aus diesen Maßnahmen laufend mehr Informati-onen. Sie erfahren, wo Einschränkungen vorlie-gen könnten, und dies ermöglicht Ihnen die Ent-wicklung präziserer Strategien und direkter, erfolgreicherer Behandlungen.

Sie können diesen Prozess mit sämtlichen Gliedmaßen und Körperregionen wiederholen, und wenn Sie es richtig und nicht zu lange ma-chen, hilft es den Patienten auch, sich zu ent-spannen. Wir wiederholen diese Hinweise nicht in jeder der folgenden Abteilungen dieses Buchs. Behalten Sie sie also im Gedächtnis, wenn Sie sie nützlich finden oder sich jemals dabei ertappen, dass Sie nicht wissen, wie Sie weitermachen sollen. Sie können Ihnen helfen, neue Informationen zu sammeln, und Ihnen neue Wege aufzeigen.

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Clearing des Retinaculums am Sprunggelenk (OFL)

Das Retinaculum, sozusagen ein Teil des »Binde-gewebs strumpfs« des Beins, ist nichts anderes als die tiefe Faszienschicht, die dritte, einfas-sende und stützende Haut des Körpers.

Die an der Vorderseite des Sprunggelenks ver-laufenden Sehnen können sich in den Falten der Rückseite des Retinaculums verfangen und da-durch an Bewegungsfreiheit einbüßen. Um sie zu befreien, kann sich der Therapeut in die tiefe Faszienschicht hineintasten – das Retinaculum ist lediglich ein Element dieser Schicht – und sie anheben, während der Patient die Zehen beugt und streckt, um die tiefer liegenden Sehnen zu bewegen. Arbeiten Sie vom Zehenansatz in Richtung Sprunggelenk und da rüber hinaus, bis Sie einige Zentimeter oberhalb angelangt sind.

Fuß und Unterschenkel 69

Abb. 4.13 a & b: Nehmen Sie den Fuß fest in beide Hände und kontrollieren Sie mit den Daumen die Sohle, um alle Gelenke des Fußes und sogar weiter oben gelegene Regionen wie das Hüftgelenk zu beurteilen. Führen Sie den Fuß langsam in alle ihm möglichen Bewegungen und achten Sie darauf, was er kann und was nicht.

Cruralfaszie

Retinaculum extensorum inferius

Abb. 4.14: Das Retinaculum wird häufig als Aneinanderreihung voneinander unterscheidbarer Strukturen dargestellt. Tatsächlich aber bildet es eine Verdickung innerhalb der tiefen Faszienschicht. Diese ist ein zusammenhängender Überzug des Körpers, dem wir in den verschiedenen Abschnitten unterschiedliche Namen geben. Am Bein bezeichnen wir sie als »Cruralfaszie«.

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Damit alle Teile des Körpers effizient funkti-onieren können, müssen sich alle Schichten frei und unabhängig voneinander bewegen kön nen. Allerdings scheinen Fuß und Sprung-gelenk besonders dazu zu neigen, ihre Bewe-gungsfreiheit einzubüßen. Nach einer Zeit der Bewegungslosigkeit, wie z. B. nach einer Ope-ration oder Verstauchung, kann es sinnvoll sein, an der Beweglichkeit der einzelnen Schichten zu arbeiten. Die Bewegung kann selbst auf Ebene der Sehnenscheiden einge-schränkt sein. Sich bis zu diesen vorzuarbei-ten, während der Patient seine Zehen bewegt,

kann eine »abschmirgelnde« Wirkung haben, die Einschränkungen beseitigt.

Befreiung der fünf Mittelfußknochen (OFL)

Die 21 Knochen des Fußes sind sehr anpas-sungsfähig, somit passen unsere Füße in die unterschiedlichsten Schuhtypen und können auf verschiedensten Untergründen laufen. Durch das Tragen sehr fester oder schlecht passender Schuhe, durch Verletzungen oder das übermä-ßige Gehen auf ebenen, künstlich hergestellten

Abb. 4.15 a, b & c: Eine ideale Region, um die Palpation der tiefen Faszienschicht zu üben, indem man sich durch die verschiedenen Schichten – Haut, Fettschicht, Widerstand leistende tiefe Faszien – tastet und ihre Eigenschaften ken-nenlernt. Versuchen Sie, sich am Fußrücken in jede einzelne Schicht einzuhängen, und probieren Sie aus, welche Kontrolle Sie beim Bewegen der jeweiligen Schicht auf Fuß und Zehen ausüben. Ein geschulter und damit sensibilisierter Übungspartner kann Ihnen qualifiziertes Feedback geben.