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Ueber die Beeinllussung der Verdauung und del' Ausnutzung del' vegetabilischen Nahrungsmittel durch die
in den Pflanzen vorkommenden Enzyme.'
Von
Ellenberger.
In einem .,Studien uber die Digestion der Pflanzenfresser" uberschriebenen, in diesem Archiv Bd, XVIII S. 119-162 erschienenenArtikel hat Bergman von S. 145 ab auch die Frage behandelt, obdie in den Pflanzen vorkommenden Enzyme die Ausnutzung der vegetabilischen Nahrung beeinflnssen. Die Vornahme solcher Untersuchungen, sowie die von Bergman dabei erzielten Resultate kannioh nur mit besonderer Genugthuung begrussen , weil sie sich auf eineFrage beziehen, auf die ich meines Wissens zuerst nachdriicklich hingewiesen und deren Wicbtigkeit ich in vielen Artikeln nnd auch indem von mir herausgegebenen Handbuohe der vergleichenden Physiclogie der Hausthiere immer wieder betont habe, und weil die Bergman 'schen Versucbsergebnisse geeignet sind, die Ricbtigkeit meiner tiberdiese Frage ausgesprocbenen Ansichten zu heweisen und unsere Versuchsergebnisse zu bestatigen. Obwohl gerade der Ausnutzung undVerdauung der Nahrung bei den pflanzenfressenden bezw. bei den landwirthschaftlichen Hausthieren ununterbrochen und von zahlreichen Forschern das grosste Interesse entgegengebracht worden ist und zahlloseVersuohe in dieser Richtung angestellt worden sind, so ist doch geradedie Frage der Mitwirkung der Nahrungsmittelenzyme dabei trotz meinervielen Hinweise fast ganz unbeachtet geblieben. Ausser den in unseremInstitute ausgefuhrten Untersuchungen ist nur von Weiske s die Frage
1 Der Redaktion am 11. November 1906 zugegangen.2 Wciske, Zeiischr. f. physiol. Ohemie: 1894. Bd, XIX. S.282.
ELLENBERGER: UEBER DIE BEEINFJJUSSUNG D. VERDAUUNG U. S. w. 307
einmal experimentell, und zwar beznglich des Einflusseader fraglichenEnzyme auf die Ausnutzung del' Nahrung geprutt worden. Es istdesshalb hochst verdienstvoll von Bergman, dass anch er diesel' Frageexperimentell naher getreten ist und die Ergebnisse seiner Uute1'
suchungen in del' fraglichen , sehr interessanten Abhandlung niedergelegt hat.
Herr Bergman hat es unterlassen, in seinem Artikel auf unsereiiIteren Untersuchungen hinzuweisen und uberhaupt die Frage zu erortern, von welolier Seite znerst unter experimenteller Begriindung aufdie Mitwirkung derN ahrungsmit telenzyme bei del'Verdauung hingewiesenworden ist. Vielleicht ist er zu diesel' Unterlassung durch die Ueberlegung veranlasst worden, dass unsere Untersuchungen sich nur auf dieBeeinflussung der Verda u u n g beziehen, wahrend seine Versuche in ersterLinie die Beeinflussung del' A usn utzung del' Nahrung durch die genannten Enzyme betreffen. Da abel' die Ansnutzung del' Nahrung inengen Beziehungen zu deren Verdauung steht, so hatte Hr. Bergmannach meiner Ansicht selbst dann , wenn er etwa die Art del' Ausfiihrungunserer Versuche fur unrichtig und fehlerhaft hielt und die daraus gezogenen Schliisse als ungerechtfertigt ansah, auf unsere Versuohe hinweisenund angeben mus se n, dass von mil' zuerst auf die Beeinflussung del'Verdauungsvorgange del' 'I'hiere durch Nahrungsmittelenzyme nnd Luftfermentehingewiesen worden ist. Da dies abel' nicht geschehen ist undda unsere Versuche von Bergman ganz unbeaohtet geblieben sind, somuss man aus dem Bergman'schen Artikel den falschen Schluss ziehen,dass die ganze Frage von Weiske zuerst angeregt worden ist und dassBergman im Gegensatze zu Weiske zuerst Beweise fUr eine Beeinflussung del' Verdauung und Ausnutzung del' Nahrung durch Nahrungsenzyme erbracht hat Naoh den von mil' gemachten Erfahrungen kannes hum einem Zweifel unterliegen, dass die Forseher, die etwa spater,durch Bergman's Publication angeregt, neue Versuche in gleicherRichtung anstellen, den Bergm an 'schen Artikel als Basis ihrer Darlegungen wahlen .werden, weil sie annehmen mussen, dass er auf Grundseiner Litteraturstudien zn dem Ergebnisse gekommen ist, dass altereVersuche als die Weiske'schen iiber die Wirkung del' Nahrungsmittelenzyme und die Verdauung nicht vorliegen, Sie werden also ebensowie die Verfasser von Lehrbiichern, wenn diese die vorliegende Frageuberhaupt beachten, unsere alteren Untersuchungen unberiicksichtigtlassen. In Anbetracht dessen halte ioh es im Interesse meiner Mitarbeiter und im Interesse del' Wissensohaft fiir meine Pflicht, die wahreSachlage in derselben Zeitschrift darzulegen, in del' Herr Bergmanseiuen Artikel publicirt hat. Die thatsachliohe Sachlage ist folgende:
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Bei unseren , vor mehr als 20 Lshrern vorgenommenen Un tersuehungeu tiber die Verdanungssatte und die Verdauung des Pferdes 1
hatte es sich herausgestellt, dass der Speichel des Pferdes, abgesehenvon den geringen , in der allerersteu Zeit der Nahruugsaufnahme produeirten Quantitaten nur eine relativ geringe amylolytische und saccharificirende Wirkung zu entfalten vermag, dass abel' trotzdem im Pferdemagen eine sehr bedeutende Amylolyse stattfindet. Weitere Untersuchungen ergaben, dass auch die sonstigen aus der Sohleimhaut, sowieaus den Mandeln und sonstigen cytoblastischen Organen des ganzenKopf- und Vorderdarms und aus den Kopf'- und Vorderdarm- (alsoauch den Magen-)drusen hergestellten Extracte nur arm an amylolytischen Enzymen oder zum Theil sogar frei von solchen waren. Diebedeutende Amylolyse im Magen blieb also zunachst ein Rathsel. Mirkam nun die Idee, dass mit der bei der Nahrungsaufnahme abgeschluckten Luft oder mit der Nahrung amylolytische Ferments inden Magen gelangen konnten , die unter den dart herrschendenVerhal tmssen die Stiirkeverdauung bewirken konnten, Demgemassliess ich nach beiden Richtungen hin Versuche anstellen und betheiligtemich selbst an diesen Versuchen. Wir stellten dabei fest, dass die Luftfermente 2 von keiner grossen Bedeutung fur die Magenverdauung zu seinschienen, dass diese vielmehr nur bei den im Magen und Darm ablaufenden Gahrungs- und Faulnissvorgangen eine grosse Rolle spielen, dassaber in den Nahrungsmitteln Fermente vorhanden sind, dieim Magen verdauend wirken konn en und thatsaohlich auchverdauend wirken. Unsere Versuche wurden wesentlich in der Weiseausgefuhrt, dass wir die zu prufenden Nahrungsmittel in Verhaltnissebrachten, die den im Magan wahrend der ersten Zeit der Verdauungherrsehenden moglichst entsprachen, und nach einiger Zeit das fraglicheGemisch auf das Vorhandensein von Verdauungsproducten pruften. Ichwill diese Versuche der Kiirze halber als Autodigestionsversuche bezeichnen, obgleich die Bezeichnung nicht ganz zntreffend ist, Auf einenahere Schilderung der Versuche, die in Glasern , sowie in Sohweinsblasen und Sohweinemagen angestellt wurden, brauohe ich nicht sinzugehen. Sie sind in den publioirten Arbeiten genau geschildert worden.Wir haben dann auch duroh einen Putterun g sversuch festgestellt,dass die im Magen ablaufende Amylolyse bei der Verabreichung VOIl
1 Ellenberger und Hofmeister, Ueber die Verdauung und die Verdauungssaftc des Pferdes, Arch: [. urissenech, u. praki, 'Ihierheilk, Bd, VII-XII.
2 Go l ds chm i d t, Enthiilt die Luft lebende, auf Starke verzuckernd wlrkende Fermente? Zeitschr. f. physiol.Chemie. 1886. Bd, X. S. 299,
UEBER DIE BEl~IN1!'LUSSUNG DEH VEHDAUUNG U. S. w. 309
gewohnlichem Hafer betrachtlicher ist als bei der Verabreiohung von Hafer,dessen Enzyme vorher vernichtet worden sind. Es wurde also auchdurch Fiittel'ungsversllche und nieht nur durch Autodigestionen dieMi twir k u n g del' Kahrungsmittelenzyme b e i del' Magenverclauung clargethan.
Dass Enzyme in den Pflanzen und deren Fruchten vorhandensind, war Hingst bekannt; es kam uns also absolut nicht darauf an,etwa von Neuem deren Vorhandensein nachzuweisen , sondern es handelte sich bei unseren Versuchen nur darum, festzustellen, ab in denNahrungsmitteln solehe Enz ym e vorh an d en sind, die un tel' deni m Magen oder i m Darm herrschenden Verh al tn issen ihreWirkung entfalten konnen bezw. au eli w irk Ii ch entfalten.Es sollte auch festgestellt werden, ob die Enzyme, falls sie im Magenunwirksam werden soUten, etwa im Darm wieder wirksam sein konnten,
Ueber unsere diesbeziiglichen Untersuchungen und deren Ergebnisse ist in vier Artikeln 1 berichtet worden. Ausserdem habe ioh invielen anderen Artikeln und dem oben citirten Handbuche> auf dieMitwirkung del' Nahrungs- und Luftfermente immer von Neuem gelegentlich hingewiesen. Da von diesen Mittheilungen, abgesehen vonlandwirthschaftlichen und thierarstlichen Kreisen, keine Notiz genommen wurde, so habe ich in neuerer Zeit noch einige weitere Untersuchungen anstellen und in emem zusammenfassenden und zum Theilreferirenden Artikel" tiber diese, sowie iiber die fruheren Versuchsergebnisse berichten lassen. Leider erhielten wir von del' B er gman '.schen Arheit erst Kenntuiss, als unser Manuscript schon an die Redaction der Zeitschrifteingesandt war. Sonst wiirden wir in demfraglichen Artikel auf die Versuche und Ausfiihrungen Bergman'seingegangen sein.
1 1. Ellenberger, Ueber die Herkunft und die Natur des bei del' Magenverdauung wirksamen amylolytisehen Fermentes. Arch. f. toissensch, u. prakt.'l'hierheilk. 1887. Bd. XIII. S. 188; 2. Ellenberger und Hofmeister, DasVorkommen eines proteolytisehen und anderer Fermente im Hafer und derenEinwirkuug auf die Verdauungsvorgangc. Arch. [. ioissensch, u. prakt. Thierheilk. Bd. XIV. S.62; 3. Hofmeister, EinBeitrag zur Frage del' Nahrungsmittelfermente. Arch. f ioiseenseh, 2t. prakt. Thierheilk. Bd. XX. Heft 1 i4. Ellenberger, Jahresberiohi der Gesellschaft fur Natur- und Heilkunde.Dresden 1886/87. S. 160.
2 Ell en bel'gel', Handbuch der oerqleichendet» Histologie und Physiologieder Haussiiuqethiere. 3 Baude. Berlin 1884-1892. .
3 Arthnr Scheunert u. Walther Grimmer, Zur Kenntniss der in denNahrungsmitteln enthaltenen Enzyme und ihrer Mltwirkung bei der Verdauung,Zeitsch1" f. physiol. Ohemie. Bd. XLVIII. S.27.
310 Er,LENBERGER:
Mil' kommt es mit weiner jetzigen Darlegung im Wesentlichendarauf an, festzustellen, dass ich auf Grund del' Ergebnisse zahlreichergenauer und eingehender Untersuchungen tiber die Verdauungssafteund die Verdauuug cler landwirthschaftlichen Hausthiere zu dem zwingenden Schlusse gekommen bin, dass bei diesen Thieren mit del' NahrungFerments in deren Verdauungscanal eingefuhrt werden mussen, dieb egu n ati g en d auf die Verdauung und zwar mindestens auf dieMagenverdauung einwirken un d dass die in Folge dessenvon uns angestellten Versuche fur die Richtigkeit meinerSchlussfolgerungen sprechen, Unsere wohl jedem Leser bekannteMethode, den thatsachlichen Ablauf del' Magenverdauung zu studiren,hat zweifellos gewisse Nachtheile; die anderen Methoden abel', namliohdas Studium del' Verdauungsvorgange in vitro uud das Studium anFistelthieren, haben ebenfalls Nachtheile. Wir glauben bei unserenVersuchen duroh deren grosse Zahl mindestens ebenso einwandfreieErgebnisse bezuglich des Ablaufs und del' Ausgiebigkeit del' Magenverdauung bei einigen Hausthierarten erzielt zu haben , wie andereForscher mit anderen Methoden. .:....-- Beznglieh meines Verhaltens hinsichtlioh del' Frage del' Bedeutung del' Nahrnngsmittelfermente fill'die Verdauung wird man mil' vielleicht den Vorwurf maohen , dassioh die Publication von Weiske, die sch einbargegen die Richtigkeitmeiner Schlussfolgerungen sprach, nioht Mtte mit Stillschweigen ubergehen durfen, Dem gegenuber wurde ich zu betonen haben, dass dieErgebnisse des Weiske'schen Versucbs nacb meiner Ansicbt gar nichtgegen die Richtigkeit meiner Untersuchungen und del' daraus gezogenenSchlussfolgerungen sprechen. Dies wurde nul' dann del' Fall gewesensein, wenn Weiske im Hinbliek auf das negative Ergebniss seinesAusnutzungsversuchs auch Verdauungsversuche angestellt und dabeiebenfalls negative Ergebnisse erzielt hatte. Dies ist abel' nicht gesehehen,
Die Ausnutzung einer fermentbaltigen und einer fermentfreienNahrung kann sehr wohl dieselbe sein, ohne dass del' Ablauf del'Verdauungsvorgange derselbe war.. Die Nahrungsmittelenzyme kommensicherlioh in erster Linie fur die Magenverdauung in Betracht.· Es istnun sehr wohl moglich und sogar wahrscheinlioh (im Hin bliek auf diebei Magenexstirpationen gemachten Beobaohtungen), dass bei Verabreichung einer fermentfreien Nahrung die Darmverdauung eompensatorisch fur die geringere Magenverdauung eintrits, .dass also danndie Enzyme del' in den Darmcanal ergossenen Verdauungssafte dieArbeit leisten, die unter anderen Umstanden die Nahrungsenzymegeleistet haben wurden, Dies ist besonders wahrscheinlioh bei Thieren,
UEBER DIE BEErNFLUSSUNG DER VERDAUUNGu. S. w. 311
bei denen die Nahrung sehr lange im Verdauungskanale verweilt,Wollte man nun, falls dies thatsachlioh del' Fall ware, daraus schliessen,dass die Nahrungsenzyme somit werthlos fur die Verdauung seien, soware dies ebenso thoricht und unbegrundet, wie es thoricht seinwurde , aus den bekannten Exstirpationsversuchen (des Magens, del'Milz, 'einer Niere, eines Eierstoeks) zu schliessen, dass Magen, Milz unddie Paarigkeit del' Organe uberflussig und werthlos seien. Diese Ueberlegungen baben mich veranlasst, von einer Nachprufung des Weiske'scben Versucbs abzuseben, und waren del' Grund, warum ich auf diebetr. Publication nicbts erwidert babe. Nach meiner Ansicht sind diegunstigen Resultate, die man mit der Verabreichung roher Nahrungsmittel bezw. Vegetabilien an Menschen, die an ohronisohen Erkrankungen des Verdauungsapparates Ieiden, zu einem nicht unerheblichen Theile auf die giinstige Beeinfiussung del' Verdauung durch disNahrungsenzyme zuruokzufuhren. Die Nahrungsmittelenzyme leisteneinen Theil del' Arbeit, die sonst durch die Enzyme del' Verdauungssaftegeleistet werden muss. Sie haben also einen grossen Nutzen, trotzdembei ihrem Fehlen die Enzyme del' Darmfliissigkeiten compensatorischfur sie eintreten konnen, Dass bei der gunstigen Beeinflussung del'Verdauungsanomalien durch rohe Nahrung auch noch andere Momentein Betracht kommen, ist selbstverstandlich und von mil' auch schonfruher betont worden.
Die Bergman'schen Versuche bestatigen , wie ich zum Schlussnoeh hervorheben will, in erfreulioher Weise die Richtigkeit meinerfruheren Angaben und Versuchsergebnisse und erganzen und erweiterndiese wesentlich. Sie zeigen, dass bei seinen Versuchsthieren die obeubesprochene Compensation del' Wirkung der Nahrungsenzyme dUTCherhohte Wirkung del' K6rperenzyme nicht eingetreten ist. Im Uebrigenauf den Inhalt seines interessanten und sehr beachtlichen Artikels biereinzugehen, ist nicht meine Absicht.