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Über die Behandlung von Erfrierungen der unteren Extremitäten mit der Lumbal-Anaesthesie

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Page 1: Über die Behandlung von Erfrierungen der unteren Extremitäten mit der Lumbal-Anaesthesie

Zeitschrift f. Nervenheikunde, Bd. 166, S. 81--90 (1951).

Aus der Neurologischen Universit~tsklinik Innsbruck.

{~ber die Behandlung yon Erfrierungen der unteren Extremit~iten mit der Lumbal-Anaesthesie.

Von

WOLFRAM SORGO u n d HERBERT TOMANN "~.

Mit 1 Textabbildung.

(Eingegangen am 21. Juni 1950).

Bei der Behandlung frischer Erfrierungen wurde in diesem Krieg als segensreicher Eingriff die periarterielle Umspritzung der grSBeren Ge- fi~13e mit Novoeain durehgeffihrt, deren Zweek die Aussehaltung der Vasokonstriktoren ist, welche die Ani~mie der erfrorenen Gebiete unter- ha rem Die Erfolge mit dieser Methode sind als gut bezeiehnet worden (ORATOR, V. SCHi3~v.R U. a.) und STARLINGER und v. FRISOa haben in ihrer kfirzlich erschienenen zusammenfassenden Darstellung der Kitlte- sehi~den auf diesen Eingriff mit besonderem Naehdruck hingewiesen. STARLISGER erw/Chnt auch die. Lumbalanaesthesie als gleiehwertigen Eingriff mad seiner persSnlichen Mitteilung zufolge sollen im Nordab- sehnitt der Ostfront mit ihr ausgezeiehnete Erfolge erzielt worden sein. Die darfiber ersehienene Literatur ist uns nicht zugiinglich gewesen. Wir mSchten erg/~nzend dazu fiber Beobaehtungen berichten, die sowohl in therapeutischer als auch pathogenetischer Hinsicht einiges Interesse verdienen und wollen darfiber hinaus auf die Vorteile hinweisen, die die Lumbalanaesthesie sowohl bei alten als bei frisehen Fallen der peri- arteriellen Novocainblokade gegenfiber haben dfirfte.

Die chirurgischen .Eingriffe am Sympathicus im Sinne einer Ramico- tomie oder Ganglienectomie sind im Frfihstadium der Erfrierung wohl nieht angezeigt, da die/tu$eren Bedingungen den immerhin nieht kleinen Eingriffen nicht entsprechen, vor allem abet weil der Allgemeinzustand der Kranken meist ein viel zu schlechter ist, worauf auch STaI~LINOER hinweist. Bei i¢lteren Fi~llen mit bereits infizierter Demarkation ver- bietet sich dieser Eingriff, weil die Lymphdrfisen des retroperitonealen

* H. TOMAN~, mein ehemaliger Mitarbeiter, ist an den Folgen eines Unfalles gestorben. Ihm verdanke ich die genauen Untersuchungen fiber die Sensibilitats- ver~nderungen. Die Arbeit wurde im letzten Kriegsjahr geschrieben. Der mit ihm verfaBte Text wurde nicht ge~ndert.

Deutsche Zeitschrift f. :Nervenheilkunde, Bd. 166. 6

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Raumes als infiziert gelten mtissen und es bei der notwendigen Durch- trennung yon Lymphbahnen zur Infektion kommen kann, die bei trans- peritonealem Weg den Tod zur Folge haben kann, bei extraperitonealen Vorgehen aber zu einer nicht unerheblichen Gef~hrdung des Operierten ffihrt. Die Wirkung der Lumbalanaesthesie auf die Vasokonstriktoren erkl/~rt sich aus dem Verlauf der Konstriktorenbahn.

Der Ursprung des ersten sympathischen Neurons liegt in der Seiten- s/rule des Rfickenmarks zwischen C s und La, von w o e s auf dem Weg fiber die vordere Wurzel, Spinalganglion und Ramus communicans den Grenzstrang erreicht, dort umgeschaltet wird und dann wieder An- schlul] an den Spiralnerven findet, mit dem es an das Erfolgsorgan zieht. Dabei werden die einzelnen Neuronen nach und nach an die Ge- f~Be abgegeben. Die Konstriktorenfasern ffir das Bein, das seine zentral- nerv6sen Fasern aus den Segmenten L1--S 2 erh~lt, kommen aus den Zellen des Seitenhorns der Segmente Thl0--L 2.

Bei der Lumbalanaesthesie erreichen wir gewShnlich eine Anaesthe- sierung yon Thl0 abw~rts, das heiBt, es werden die austretenden hinteren nnd vorderen Wurzeln vom 10. Thorakelsegment abw~rts mit Novo- cain umspfilt. Damit werden auch die zum Bein ziehenden Vaso- konstriktorenfasern mitgel~hmt und ausgeschaltet. Es ist dabei zu bedenken, dab auch die dilatatorischen Fasern, die dutch die hinteren Wurzeln jedes Segmentes das Rfickenmark verlassen, mitbetroffen werden. Wie sich dies dabei auswirkt, ist bisher weder bekannt noch untersucht worden, l~ber ihren genaueren peripheren Verlauf besteht noch keine einheitliche Auffassung.

Das yon uns beobachtete Krankengut umfal3t 16 F~lle, vondenen 3 dop- pelseitige Erfrierungen drit ten Grades im Bereich der FfiBe, bei einem Fall bis zur Ferse reichend hatten. Die anderen F~lle verteilten sich auf ein- oder doppelseitige Erfrierungen ohne Gewebstod. Die Ursache dieser Erfrierungen lagen nicht so sehr an tiefen Temperaturen als in dem Umstand, dab einzelne der Betroffenen bis zu 6 Tagen im Wasser stehend bei einer Luft temperatur yon 2 Grad verharren muBten. Die Kranken kamen etwa 3 4 Wochen nach der Einwirkung des Kiilte- schadens bei uns zur Aufnahme. Die 3 F~lle mit der doppelseitigen schweren Erfrierung zeigten das fibliche Bild der trockenen Mumifi- zierung mit teilweise bereits eingetretener eitriger Demarkation. Die fibrigen F~lle boten das gewohnte Bild der Erfrierungsfolgen mit ver- mehrtem Schwitzen, Anlaufen der FiiBe bei Stehen und Gehen, Wetter- wechsel usw.

Wir versuchten nun vor allem mit der B6HLERschen Behandlung eine Ausbreitung der Infektion hintanzuhalten, bzw. bei bereits ein-

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getretener Infektion diese soweit einzud/immen, daB die Gefahr einer Weiterverbreitung herabgemindert wfirde. Zu einer prim/~ren Ab- setzung im Bereich der Demarkat ion konnten wir uns beim trockenen Brand deshalb nicht entschlieBen, weft in dem und ]enem Fall der mumi- fizierte Teil bereits abzuheben war und es sich zeigt, daB bei einer Ab- setzung ein doch wertvoller Teil darunterliegenden erhaltenen Gewebes h/~tte geopfert werden miissen. Wir muBten diese Einstellung aller- dings zweimal damit bezahlen, daB uns eine plStzlich einsetzende Aus- breitung der Infektion zu einer wesentlich hSheren Absetzung zwang. Der Satz von FRISCH, ,,Operiere, solange die Demarkation noch trocken ist", ist sicher richtig und zu beherzigen. Bei den 4 anderen Erfrierungen mit der eitrigen Demarkat ion konnte durch das abwartende Verhalten doch ein bert/~chtlicher Teil des vom mumifizierten Oewebe bedeckten gesunden FuBteiles erhalten bleiben, so daB die sp/itere Amputat ion wesentlich sparsamer ausfiel. Es war dies bei den doppelseitigen Er- frierungen yon besonderem Wert.

Die Erfrierungen leichteren Grades klagten nun fiber eine l~eihe von Sp/~tbeschwerden, die eindeutig auf die vegetative Sph/~re hinwiesen. Starke SchweiBsekretion, Anlaufen der FfiBe, Gefiihl yon Schwere und Miidigkeit sowie von Schmerzen bei Witterungsumschl/~gen oder bei plStzlichem Lagewechsel. Daneben klagten sie fiber ein sehr 1/istiges Taubheitsgeffihl in den FiiBen, Schmerzen in den Gelenken und in den Knochen, die manchmal so stark waren, daB die Kranken kaum auf- treten konnten. Die Beschwerden/ihneln sehr denen beim SpreitzfuB. Die Betrachtung des FuBes bei diesen F~llen zeigte eine diffuse Schwel- lung, ohne daB eigentliche Odeme bestanden h~tten, es war eher eine etwas teigige Konsistenz der Hau t zu fasten, wobei die FfiBe eine hochrote, manchmal ins livide spielende Farbe aufwiesen. Sie fiihlten sich katt und feucht an. Der am exaktesten zu beschreibende Umstand war eine handschuh- oder strumpffSrmige Herabsetzung der Sensibilit/it ftir alle Qualit/~ten, der bei manchen F/illen sich nur auf die Zehen bei anderen auf den VorfuB oder den ganzen FuB erstreckte. RSntgeno- logisch lieB sich eine einfache Kalkverarmung der Knochen feststellen, die keinen fleckigen Charakter hatte. Die Sensibilit/itsherabsetzung war meist so ausgesprochen, daB Nadelstiche, die die Haut bis auf den Knochen durchdrangen, nicht gefiihlt wurden. DaB diese Gefiihls- stSrungen nicht mit den Zonen peripherer oder segmentaler Ausbreitung zusammenfallen, wurde u . a . auch von LINDEMA~N hervorgehoben.

Bei der Behandlung dieser Gefiihlsst6rungen mit der Lumbalanaesthe- sie konnten wir fiberraschende Erfolge erzielen. Bei den Erfrierungen ersten und zweiten Grades, die nach etwa 4- -6 Wochen mit den oben beschriebenen Beschwerden zur Aufnahme kamen, wurde manchmal

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durch eine Anaesthesie vSllige Wiederherstellung der Sensibilit~t er- reicht. Besonders eindrucksvoll war ein Fall, der 4 Wochen nach einer ]eichten Erfrierung wegen sehr heftiger Schmerzen beim Auftreten nicht gehen konnte. RSntgenologisch war als objektiver Befund eine Kalk- armut des VorfuBskelets festzustellen. •ach einer Lumbalanaesthesie waren die Beschwerden so gut wie verschwunden, nach der zweiten Anaesthesie konnte er beschwerdefrei gehen, die Haut, die vorher teigig geschwollen und gl~nzend rot war, bekam wieder ihr normales Aussehen und nach 14 Tagen konnte der Kranke, der bei der Aufnahme nut unter groBen Schmerzen auftreten konnte, dienstYahig zur Truppe entlassen werden.

Den augenscheinlichsten Erfolg hatten wir bei Erfrierungen dritten Grades. Bei dem Fall, dessen FuB bildm~Big gezeigt wird, konnte mit der MP-Puder-Behandlung und unter EinfluB mehrfacher Lumbal- anaesthesien der feuchte, sehr stinkende und stark sezernierende Brand nicht nur in ein vSllig trockenes Stadium iiberffihrt werden, sondern es gelang auf diese Weise auch, die Demarka~ionslinie um 3 cm peripher- w~rts zu verschieben. Auf den Bildern, die nach der zweiten Lumbal- anaesthesie gemacht wurden, ist das Vorrficken der Demarkation gut zu erkennen. Es war dies bei diesem Fall deshalb yon besonderer Be- deutung, weft die bei der Einlieferung bestandene Demarkation der Haut zungenfSrmig bis zum Kuboid reichte, was eine Absetzung nach PmOOOF~ notwendig gemacht h~tte, wenn auf einen SchluB der Wunde Wert gelegt wird. Unter dem EinfluB der wiederholten Lumbal- anaesthesien erholte sich das Gewebe, die Demarkation rfickte vor, und bei der Amputation war es dann mSglich, den VorfuB so abzusetzen, dal3 die Mittelful)knochen im vorderen Dritte] reseziert werden konnten und der Skeletteil durch einen spannungslosen Lappen gedeekt wurde. Die Bedeutung der Erhaltung mSglichst grol~er Teile der FuB- sohle ffir die Anfertigung der Prothese liegt auf der Hand und ist yon v. FRISCH hervorgehoben worden.

Es ist somit durch die Lumbalanaesthesie mSglich, das AusmaB der Amputation zu verringern, ein Vorteil, der fiir den Kranken yon aus- schlaggebender Bedeutung ist, weft es bei den Erfrierungen des FuBes die die Amputation erfordern, nach unseren heutigen Erfahrungen mit dem Prothesenbau sich sehr oft nur darum handeln kann, ob der Fu8 im Bereich der Mittelfu~knochen oder im unteren Unterschenkeldritte] ab- gesetzt wird. Die yon LORENZ und yon v. ABERLE ausgearbeitete Modifikation der I~ROGOFFschen Absetzung l~Bt hier wesentliche Fort- schritte erhoffen. Es bedeutet aber auch bei dieser Operation jeder gewonnene Zentimeter einen Vorteil. Die Amputationen nach LISFR~C

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und CSOPA2T bringen nieht nur erhebliche Schwierigkeiten im Bau der Prothesen, sondern auch schlechte FuBstellung im Sinne der Varus und Equinovarusstellung, meistens aueh dann, wenn die Streckersehnen an den ~uBeren Fuflrand gen~ht werden. Dal~ auch der modifizierte Pirogoff in manchen F~llen ein schlechtes kosmetisches und funktionelles Resultat hat, wurde wiederholt festgestellt. Daneben mtissen weitere Erfahrungen zeigen, ob durch eine solche Behandlung nicht die yon mancher Seite vertretene zweizeitige Operation (I~WEN) hinfallig wird. Die yon ~RANTNER U. a. vertretene Auffassung, der Natur die Heilung der Weichteile zu fiberlassen, kSnnte durch die Behandlung mit der Lumbalanaesthesie unterstiitzt werden. Auch bei den F~llen, die infolge einer zu groBen Hautspannung oder des Vortretens yon Skeletteilen ein Ulcus bekommen, kann ein giinstiger Einflul~ erwartet werden, weft die Weichteile dann anscheinend eine bessere Heiltendenz auch bei der notwendigen Korrekturoperation haben.

v. FRISCH hat bei der Beschreibung der operativen MaBnahmen mit Nachdruck diese Umst~nde hervorgehoben und seine, gegeniiber B S ~ weitreichendere Anzeigenstellung zur Lappendeckung der Amputations- wunde ergibt die dringende Notwendigkeit, besonders den Weichteilen das Augenmerk zuzuwenden, da die spannungslose Deckung der Wunde oft die Amputation yon Skeletteilen notwendig macht, die zu opfern deshalb schwer i~dllt, weil sie das funktionelle Resultat beeintr~chtigen. Durch das Hinausschieben der Demarkation um einige Zentimeter kSnnen wertvolle Skeletteile erhalten werden.

Von derselben Bedeutung seheinen uns auch die Behebung der Sensi- bilit~tsstSrungen zu sein, die nicht nur vom Kranken als sehr stSrend empfunden werden, und manchmal trotz aller Behandlung sehr lange bestehen bleiben, sondern auch anzeigen, dal~ Ern~hrungsstSrungen vorhanden sind, welche zu sehr unangenehmen Komplikationen ffihren kSnnen, etwa einer Knochenatrophie mit Schwellung der Weichteile und den damit verbundenen Schmerzen, trophischen Erscheinungen, wie Frostbeulen, deren Bedeutung fiir den Gebrauch des Fu~es nicht unter- sch~tzt werden darf.

Wir haben nun ausnahmslos beobachten kSnnen, dab die Wirkung der Lumbalanaesthesie auf die Grenze der Sensibilit~tsstSrungen giinstig und eindeutig ist. ~ach der Anaesthesie riickte die Grenze der StSrung um meist 4 bis 5 cm, manchmal aber auch mehr gegen die Peripherie und dieses Ergebnis blieb auch bestehen. Aus den beigefiigten Bildern ist dieses Verhalten zu sehen. Am Mittel- und Vorfu~ ist der Erfolg immer vorhanden. Anders bei den Zehen, deren Sensibilit~t meist nur sohr ]angsam und sp~t wiederkam, falls die ursprfingliehe Grenze der Sensi-

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bilit~tsstSrung fiber das L I s ~ N c s c h e Gelenk hinausreichte. Bei StSrungen, die den VorfuB oder nur die Zehen betrafen, ging die StSrung meist vSllig zuriick.

l~ber die Technik der Lumbalanaesthesie nur einige Hinweise. Wir haben den Einstich meist zwischen dem ersten und zweiten Lenden- wirbel gew~hlt, um eine mSglichst hoch sitzende Anaesthesie zu erreichen. Als Anaestheticum verwandten wir fast durchweg 2 cm a 5% Novocain, da wir mit dem Perkain viele Versager hatten, die vielleicht auf das altgelagerte Mittel zurfickzuffihren waren. Der Eingriff wurde ohne Ausnahme gut vertragen. Nachwirkungen wurden nicht beobachtet. Wir nehmen den Eingriff ohne zeitlich fest gebundene Indikation vor, sehen einen Grund zur sofortigen Ausffihrung bei eintretender st~rkerer Sekretion an der Demarkation oder bei schmierigen Wundverh~ltnissen und wiederholen ihn nach 8 bis 14 Tagen, wenn die Beschwerden etwa bei Erfrierungen ersten und zweiten Grades nicht nach dem ersten Ein- griff verschwinden. Wir haben bei einem Patienten die Anaesthesie 4mal im Laufe yon 6 Wochen durchgeffihrt.

Wir mSchten bei dieser Gelegenheit auf einige Besonderheiten zu sprechen kommen, die hinsichtlich der Problematik der Erfrierung einerseits, andererseits aber auch in Hinsicht auf den therapeutischen Erfolg der Constrictorenansschaltung, gleichgfiltig durch welchen Ein- griff man diesen zu erreichen versucht, yon Interesse sind. Wir beob- achten bei unseren F~llen folgende Erscheinung. Bei Beginn der Wirkung der Lumbalanaesthesie, die sich in einer dumpfer werdenden Empfin- dungsmSglichkeit der Extremit~t kundgibt, hellt sich die Zone des ursprfinglich anaesthetischen Gebietes in zunehmendem MaBe auf und zwar in einigen F~llen bis zur vollen Wiederherstellung der Empfindung, w~hrend zugleich das proximale frfiher normale Gebiet seine Sensibilit~t verlor. Dieser Zustand dauerte 2 bis 3 min an, bis die volle Wirkung der Anaesthesie erreicht war, um dann dem gleichm~Bigen Verlust der Sensibilit~t ffir das der Lumbalanaesthesie zukommende Gebiet Platz zu machen(Abb. 1). DiesevSlligfiberraschendeundparadoxeWirkungwurde einwandfrei wiederholt beobachtet. Eine Erkl~rung mit bisher geltenden Vorstellungen scheint nicht mSglieh zu sein. Wir sehen darin einen weiteren tIinweis auf eine yon uns vertretene Ansicht, dab die Wirkung der Sympathektomie nicht nur in einer Unterbrechung der Constrictoren- leitung liegt, sondern ihre Ursache auch in einer ~nderung des Gewebs- stoffwechsels des zugeh5rigen Gebietes hat. Diese Auffassung dr~ngte sich uns anl~Blich folgender, des Verst~,ndnisses wegen n~her aus- geffihrten Beobachtung auf.

Bei einem Kranken war wegen einer Kausalgie im Bereich des Ischia- dicus eine lumbale Sympathektomie vorgenommen worden. Die Haut-

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temperatur des Fu~es stieg um 111~0 an. 3 Tage sp~ter mu~te wegen einer Nachblutung die A. poplitea unterbunden werden, wobei eine Resektion der Arterie im Ausma~ yon 8 cm vorgenommen wurde. Das Bein blieb auch in den folgenden Tagen gleich warm, obwohl der Puls

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~ ~:~.

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Abb. 1. Paradoxe Sensibilit~tsaufhellung. Ablauf der Phasen der EmpflndungsstSrung nach Lumbal- anaesthesie bei Sensibilit~tsdefekten nach Erfrierung. 1. Grau das strumpffiirmige Gebiet der anaesthetischen Zone bei Erfrierungsschaden. 2. Wenige Minuten nach intralumbaler Injektion der Anaesthesiefiiissigkeit verschwindet die Sensibilitittsst6rung. 3. Das Bein wird anaesthetisch. Das yon der Erfrierung betroffene Gebiet zeigt zur selben Zeit erhaltene Empfindung. Dieser Zustand wurde bis zu einer Dauer yon einer halben Stunde beobachtet. 4. Volle Wirkung der Lumbal- anaesthesie au[ das ganze Bein. 5. Nach Abklingen der Anaesthesiewirkung zeigt sich der thera-

peutische Effekt im Tiefertreten der Grenze fiir die gestSrte Sensibilit~t.

an der A. dors. pedis nach der Unterbindung verschwunden war, tier vorher deutlich getastet werden konnte. ])as Bein zeigte nie irgend- welche Ern~hrungsstSrungen. In diesem Falle kann eine Mehrdurch- blutung durch Ausschaltung der Vasoconstrictoren gar nicht eingetreten sein, da die Kollateralen der A. poplitea zu gering sind. Tatsgchlich war der Puls der A. dors. ped. nach der Unterbindung auch verschwunden und damit der Beweis einer minderen Durchblutung geliefert. Trotzdem bestand die erh6hte Hauttemperatur weiter, die ja nach den gfiltigen Vorstellungen auf die bessere Durchblutung bezogen werden miiBte.

In einem anderen Falle mul~ten wir bei einem Aneurysma arterio- venosum der A. brachialis nach SchuBverletzung das Gefi~B unterbinden, wobei wir ein etwa 8 cm langes Stiick des Gef~[~es sezierten. Der vor der Operation normal vorhandene Puls war nach dem Eingriff nicht mehr zu tasten. Trotzdem war die Hand deutlich w~rmer als die gesunde. Auch in diesem FaUe zeigt das Fehlen des Radialispulses, dab die Aus- schaltung der Constrictoren durch die mit der Resektion verbundenen ausgiebigen periadventitiellen Sympathektomie nicht zu einer Verbesse- rung der Durchblutung geffihrt hat, dennoch aber bei offensichtlich herabgesetzter Durchblutung eine Steigerung der Hauttemperatur eintrat.

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Wh" sind daher zur Auffassung gelangt, dab die Wirkung der Sym- pathektomie in einer besseren Ausnfitzung der zirkulierenden Blutmengo im Gewebe zu suchen ist und dab sich dort dann Stoffwechselvorgi~ngo abspielen, die unter dem Gesichtspunkt zu betrachten sind, dab das sympathisehe System im ganzen gesehen die dissimilatorischen Vor- g~nge besehleunigt, w~hrend das parasympathische die Assimilation fSrdort. Bei Ausschaltung oder Verminderung des sympathischen Ein- flusses auf das Gewebe kommt es zum t)berwiegen des parasympathischen Tonus und damit zur besseren Ausnfitzung des zur Verffigung stehenden Blutes.

Damit sell die Tatsache eines vasokonstriktorischen Einflusses des Sympathicus nicht geleugnet oder angezweifelt werden, die ja experi- mentell und klinisch eindeutig bewiesen ist. Den Ablauf einer vaso- konstriktorisehen Erregung stellen wir uns ja so vor, dal~ in der Peripherie auftretende Stoffweehselprodukte etwa aus der Gruppe der Amine reflektoriseh zu einer TonuserhShung sympathischer Zentren ffihrt. Sieher aber kSnnen andrerseits vom Sympathicus zentrifugal Stoff- weehselanderungen in der Peripherie gesetzt und auch unterhal- ten werden. Wit kSnnen dies beobachten, werm bei Patienten mit einer Sch~digung des Grenzstranges in der Peripherie Symptome auf- treten, die mit der Vasokonstriktion nichts zu tun haben oder die ohne eine solche vorhanden sind. Schon die Untersuchungen R~M~Ks haben gezeigt, dab bei Reizung des zentralen Sympathicus in der Muskulatur Kr~mpfe oder L~hmungen auftreten, die auf einen abnormen Stoff- wechsel zurfickzufiihren sind. In diesem Zusammenhang muB auf die doch sehr eigenartige Tatsache hingewiesen werden, dal~ bei v611iger Durch~ierung eine restlose Wiederherstellung dann die Regel ist, wenn die Dauer der K~lteeinwirkung auf eine bestimmte Zeit beschr~nkt bleibt, die von v. SCHtt~ER mit 4 bis 6 Std angegeben wird. SIEGMUND glaubt die Ursache daffir darin sehen zu wollen, dab der Gefi~l~apparat durch die vSllige Abschaltung des betroffenen Gebietes gar nicht mehr zu einer reaktiven Leistung kommen kann. Dies l~Bt doch den SchluB zu, dal3 die Dureheisung des Gewebes die Bildung von Stoffwechsel- produkten hintenhiilt, die zur reflektorischen Konstriktion ffihren. Wir glauben somit, dab wesentliche Momente beim 6rtliehen K~lteschaden darin liegen, dal~ neben der durch pathologische Stoffwechselprodukte erhShten 5rtlichen und reflektorischen Vasokonstriktion fiber den Sympathicus auch zentrifugal eine St6rung des Gewebsstoffwechsels gesetzt wird, die an sich schon eine Unterbrechung der sympathischen Fasern begriinden wfirde.

Diese Annahme scheint uns allein die MSglichkeit zu geben, das eigenartige Verhalten der Sensibilit~t zu erkl~tren, besonders aber das

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Auftreten normaler Empfindung in dem Stadium der Anaesthesie, in der das normale Gebiet die EmpfindungsmSglichkeit verliert. Die hand- schuh-oder strumpffSrmige Ausbreitung der Anaesthesie glaubt LZ~DE- MAN• auf einen Ausfall sympathischer Bahnen beziehen zu kSnnen. Wir mSchten eher annehmen, dab es sich hierbei um eine StSrung in den Endappareten der Sensibilit~t handelt, die durch den pathologischen Stoffwechsel in der Funktion gesch~digt sind. Dieser Schaden reicht dann soweit, als krankhafte Stoffwechselprodukte vorhanden sind, womit sich die Ausbreitung zwanglos erkl~ren liel3e. Dasselbe Ausbreitungs- gebiet finden wir auch bei anderen Erkrankungen, etwa bei der Endangitis obliterans oder beim Raynaud, bei denen dutch die ZirkulationsstSrungen das Gewebe nicht mehr ausreichend ern~hrt ist und es zum Erstickungs- stoffwechsel kommt. Dal3 das vorher ausgefallene Gebiet die Sensibilitiit wieder erh~lt, wenn das gesunde taub zu werden beginnt, kSnnte man sich so erkl~ren, dab die sympathischen Fasern die Reizschwelle der Endorgane schon normalerweise auf einer bestimmten HShe halten und bei der Ausschaltung dieses Einflusses zugleich mit der Unterbrechung der hinteren und vorderen Wurzeln die Schwelle der im gesch~digten Gebiet liegenden Endorgane nun durch die wesentlich eingreifende ~nderung des Gewebsmilieus als im gesunden Gebiet eine niedrigere wird. DaB der Sympathicus aufdie Reizschwelle der Sensibilit~t einen Einflui~ hat, kann man bei jeder Sympathektomie feststellen.

Zusammenfassend mSchten wir sagen, dab dem Eingriff am sym- pathischen Nervengeflecht bei der Erfrierung wahrscheinlich ein wesent- lich grSl3erer Effekt zuzuschreiben ist als der einer reinen Constrictoren- ausschaltung, der ,,Abnahme der Schnurbinde" (STA~LZNGER), wobei offensichtlich zentrifugal gesetzte StoffwechselstSrungen (ira Sinne einer Verschiebung des Ph, des Jonengleichgewichts, der Isohydrie des Blutes usw.) eine groBe Rolle spielen.

Die Ausschaltung sympathischer Erregungen diirfte schon deshalb wfinschenswert sein, weil der dissimilatorische Effekt zugunsten eines l~berwiegens parasympathischer assimilatorischer Vorg~nge gerade bei der Herabsetzung der Stoffwechselvorg~nge bei der Erfrierung anzu- streben ist. Die Ausschaltung sympathischer Fasern gelingt in aus- reichendem MaB durch eine Lumbalanaesthesie, die auch vom Truppen- arzt unter ungiinstigen ~uBeren Verh~ltnissen durchffihrbar ist, wenn nicht besondere Gegenanzeigen (CHoK) vorliegen.

Mit der Lumbalanaesthesie lassen sich auch bei alten F~llen yon Erfrierungen aller Grade sehr beachtliche Erfolge erzielen. Sp~tbe- schwerden kSnnen rasch beseitigt werden. Bei notwendigen Ampu- tationen kann eine sehr erhebliche Einsparung an Gewebe erzielt werden.

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90 WOLFRAM SORGO und HERBERT TOMA~N: BehancUung yon Erfrierungen.

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Doz. Dr. WOLmaA~ SORGO, Innsbruck/~)sterreich, Univers i t~ ts .Nervenkl in ik .