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Uber die elektrische Erregbarkeit der vorderen und der hinteren Zentralwindung. Von M. Lewandowsky und A. Simons. ( Eingegangen am 15. Dezember 1912.) Wir batten 1909 Versuche publiziert, welche zum Ziel hatten, zu priifen, ob der hinteren Zentralwindung beim Affen eigene elektriseh erregbare motorisehe Projektionsfasern zukommen. Zu diesem Zweeke hatten wir bei fiinf Allen die vordere Zentralwindung in groBem Um- fange exstirpiert, dann 3--6 Wochen vergehen lassen, um den motorischen Fasern der vorderen Zentralwindung Zeit zur Degeneration zu geben, und hatten dann mit sehr starken StrSmen die hintere Zentralwindung gereizt. Wit waren dabei zu dem Resultat gekommen, dab die hintere Zentralwindung unter diesen Umst~nden auch fiir stiirkere StrSme vSllig unerregbar ist. Zwar batten wir bei zwei Versuchen minimale Wirkungen bekommen, aber sie erkl~rten sieh ,,mit sehr groBer Wahrscheinliehkeit" dureh zuriiekgebliebene Reste der vorderen Zen- tralwindung. Neuerdings nun hat Rothmann 1) zwei neue Veisuche publiziert (neben einem aus dem Jahre 1901 wiederholten), welche eine eigene elektrische Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung beweisen sollen. Rothmann ging im Prinzip ebenso vor wie wir, dal~ er ngmlieh nach Entfernung der vorderen Zentralwindung ihren Projektionsfasern Zeit zur Degeneration lieft und dann die hintere Zentralwindung reizte. Er fiihrte dazu eine neue Bedingung ein, niimlieh die Ubung des vonder operierten SeRe innervierten Arms dureh Festbinden des gesunden und wartete mit der Reizung auch noeh li~nger als wir. Er kam zu dem Resultat, dab sieh unter diesen Umsti~nden eine eigene Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung naehweisen li~Bt, und bezieht die Differenz zwisehen seinen und unseren Versuehen auf die von ihm eingefiihrte ubung, dureh welehe dig Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung gesteigert worden sei. Wir kSnnen diese Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung indessen 1) Zur Physiologie der vorderen und der hinteren Zentralwindung." Archly f. d. ges. Physiol. 129, 240. 1909. -- fk~ber die elektrische Erregbarkcit der Zentralwindungen. Monatsschr. f. Psych. 32, 489. i912.

Über die elektrische erregbarkeit der vorderen und der hinteren zentralwindung

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Uber die elektrische Erregbarkeit der vorderen und der hinteren Zentralwindung.

Von M. Lewandowsky und A. Simons.

( Eingegangen am 15. Dezember 1912.)

Wir bat ten 1909 Versuche publiziert, welche zum Ziel hatten, zu priifen, ob der hinteren Zentralwindung beim Affen eigene elektriseh erregbare motorisehe Projektionsfasern zukommen. Zu diesem Zweeke hat ten wir bei f i inf Allen die vordere Zentralwindung in groBem Um- fange exstirpiert, dann 3--6 Wochen vergehen lassen, um den motorischen Fasern der vorderen Zentralwindung Zeit zur Degeneration zu geben, und hat ten dann mit sehr starken StrSmen die hintere Zentralwindung gereizt. Wit waren dabei zu dem Resultat gekommen, dab die hintere Zentralwindung unter diesen Umst~nden auch fiir stiirkere StrSme vSllig unerregbar ist. Zwar batten wir bei zwei Versuchen minimale Wirkungen bekommen, aber sie erkl~rten sieh ,,mit sehr groBer Wahrscheinliehkeit" dureh zuriiekgebliebene Reste der vorderen Zen- tralwindung.

Neuerdings nun hat R o t h m a n n 1) zwei neue Veisuche publiziert (neben einem aus dem Jahre 1901 wiederholten), welche eine eigene elektrische Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung beweisen sollen. R o t h m a n n ging im Prinzip ebenso vor wie wir, dal~ er ngmlieh nach Entfernung der vorderen Zentralwindung ihren Projektionsfasern Zeit zur Degeneration lieft und dann die hintere Zentralwindung reizte. Er fiihrte dazu eine neue Bedingung ein, niimlieh die Ubung des v o n d e r operierten SeRe innervierten Arms dureh Festbinden des gesunden und wartete mit der Reizung auch noeh li~nger als wir.

Er kam zu dem Resultat, dab sieh unter diesen Umsti~nden eine eigene Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung naehweisen li~Bt, und bezieht die Differenz zwisehen seinen und unseren Versuehen auf die von ihm eingefiihrte ubung, dureh welehe dig Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung gesteigert worden sei.

Wir kSnnen diese Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung indessen

1) Zur Physiologie der vorderen und der hinteren Zentralwindung." Archly f. d. ges. Physiol. 129, 240. 1909. - - fk~ber die elektrische Erregbarkcit der Zentralwindungen. Monatsschr. f. Psych. 32, 489. i912.

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durch die beiden R o t h m a n n s c h e n Versuche nieht fiir gesichert halten. R o t h m a n n hat sich zun~chst einer anderen Operationsmethode be- dient als wir; wir haben die vordere und die hintere Zentralwindung mit Spateln mSglichst bis zum Grunde der R o l a n d o s e h e n l~urche auseinandergedr~ngt und dann die vordere Zentralwindung mSglichst in toto nach vorn zu entfernt. Es ist das ja ein allgemeines ehirurgisches Prinzip: wenn man etwas, z. B. einen Tumor, vollst~ndig entfernen will, muB man es im ganzen entfernen; rut man das nicht, so ist die Wahrscheinlichkeit, dab Reste stehen bleiben, immer grSBer. Trotzdem ist R o t h m a n n absiehtlich von unserer Methode abgewichen :,,AuBerdem wurde kS vermieden, die Zentralfurche durch zwei in die beiden Zentra]- windungen eingesetzten Spatel auseinanderzuziehen . . . . um den hierbei unvermeidliehen Seh~digungen der hinteren Zentralwindung aus dem Wege zu gehen. Zur Exstirpation der vorderen Zentralwindung wurde zun~chst ein Schnitt vor der Zentralfurche parallel mit derselben ge- maeht und das vor diesem gelegene Gebiet der vorderen Zentralwindung exstirpiert. Dann erst wurde vorsiehtig der stehengebliebene dorsal~ Rest der vorderen Zentralwindung mit anatomiseher Pinzette und Schere abpr~pariert, bis der vordere Rand der hinteren Zentralwindung mit unverletzter Pia mater frei vor uns lag und bis in den Fundus des Suleus eentralis verfolgt werden konnte."

DaB bei der yon uns angewandten Methode eine Seh~digung der hinteren Zentralwindung unvermeidlieh ist, ist nicht richtig. Wir haben in unserer Arbeit auf Grund mikroskopischer Untersuehungen ange- geben, dab 1. bei diesem Vorgehen in Betracht kommende Verletzungen der hinteren Zentralwindung vermieden werden kSnnen (dab geringe Sch~digungen in der Naehbarsehaft von wit auch immer gesetzten Hirnverletzungen niemals ausgesehlossen werden kSnnen, ist selbst- verst~ndlich), und 2. daB, wenn man in analoger Weise die h i n - t e r e Zentralwindung exstirpiert, die Erregbarkeit der v o r d e r e n in keiner Weise gestSrt wird. Die Behauptung R o t h m a n n s ist also unzutreffend und unzul~sig. Wir unsererseits miissen gestehen, dab wir u ns nieht die Geschicklichkeit zutrauen, mit Sehere und Pin- zette angesichts der Konsistenz eines lebenden Gehirns eine Windung restlos und rein bis auf den Grund abzutragen.

R o t h m a n n ist noeh in einer anderen Riehtung yon unserer Ver- suehsanordnung abgewichen. Wir haben nieht ohne Absicht in uhserer Arbeit, Naehuntersuehungen voraussehend, folgendes bemerkt: ,,Bei einer eventuellen Naehpriifung unserer Versuche wiirden wi res nun fiir sehr wesentlich halten, dab man groBe Stiieke der vorderen Zentral- windung, a m b e s t e n d ie A b s e h n i t t e de r u n t e r e n u n d o b e r e n E x t r e m i t ~ t z u s a m m e n , vSllig exstirpiert. Denn die l%ei, die man bei schw~chster Reizung erh~lt, beweisen durchaus nieht, dab

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gewisse Bewegungsformen nur punktfSrmig lokalisiert sind. Es erweist sich vielmehr bei Exstirpation von Teilen der vorderen Zentralwindung doch eine etwas diffusere Art der Lokalisation, und man kann die stehen- gebliebenen erregbaren Zentren der vorderen Zentralwindung dann natiirlich auch durch StromschIeifen v o n d e r hinteren aus erregen. R o t h m a n n dagegen exstirpierte in dem einen Fall nur ,,in den ffir den Arm in Frage kommenden Regionen".

Innerhalb der Grenzen der von ihm exstirpierten Gebiete h~tte R o t h m a n n aber beide Male wenigstens auf der liickenlosen Serie nachweisen miissen, dab Strukturen der vorderen Zentralwindung nieht stehen geblieben waren. Dann wiirden seine Folgerungen wenigstens fiir die Grenzen der yon ihm gesetzten Verletzungen Beweiskraft er- halten haben. Seine beiden makroskopisehen Abbildungen der Gehirn- oberfl~che beweisen niehts. Wenn man sich auf den Augensehein ver- lassen kSnnte - - was man bei makroskopisehen Abbfldungen freilieh nieht tun daft und weswegen sie eben keine Beweiskraft haben 1) - - , wiirde man naeh diesen Abbildungen eher annehmen kSnnen, dab die vordere Windung n i c h t bis zum Grunde exstirpiert war. Aber R o t h m a n n gibt nieht einmal einen einzigen sagittalen Sehnitt, sondern nur die Aufsieht des unzerschnittenen Gehims2). Ehe R o t h - m a n n nieht durch Bericht fiber die lfickenlosen Serien den Beweis erbringt, dab er die vordere Zentralwindung restlos in geniigender Ausdehnung exstirpiert hat, ist es ebensogut, mSglich, dab die sehr geringe Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung, die er gefunden hat, auf der (vielleicht durch ~bung gesteigerten) Erregbarkeit yon Resten der vorderen beruht.

Denn darauf mfissen wir schliel31ich noeh hinweisen: Die Erregbar- keit, die R o t h m a n n gefunden hat, ist m i n i m a l . In dem einen Fall bei StrSmen von 10--20 RA. Beugung des 2.--4. Fingers, Supination des Unterarms und ein Zurfickziehen des Arms, und im zweiten bei 10 - -0RA. Flexion und Adduetion von Daumen, Zeigefinger und

, 1) Wir haben zwei makroskopische Abbildungen gegeben, um die sehr groBe Ausdehnung unserer Verletzungen zu zeigen, und dann um genau die Stellen festzulegen, an denen wir nach der Exstirpation noch Reizeffekte er- zielen konnten. R o t h m a n n hat gerade die bildliche Festlegung seiner Reiz- stellen unterlassen. Er gibt in dem einen Versuch nur an, daf die Reizstellen sich in der Mitre bis an den hinteren Rand der hinteren Zentralwindung be- fanden. Das ist keine genfigende Unterlage ffir einen Nachuntersucher, der etwa die Konstanz des Befundes prfifen will.

~) Wit kSnnen aus unserer eigenen Erfahrung versichern, daf man sieh bei dieser Aufsicht fiber die Vollst~ndigkeit der Exstirpation sehr tauschen kann. Wit konnten makroskopiseh in allen unseren 5 Versuehen nichts mehr , c o n der vorderen Zentralwindung sehen, und doeh erwies die Durehsehneidung und die mikroskopisehe Untersuchung, daft in 3 F~llen Reste stehen geblieben waren.

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auch aller Finger zusammen, bisweilen auch leiehte Pronation des Handgelenks. In beiden Fi~llen bestand noch dazu sehr groBe Er- miidbarkeit.

Das sind zuns StrSme ganz enormer Intensitiit. Wir selbst konnten unter 20 mm RA. meist gar nieht heruntergehen, weil bei noeh st~rkeren StrSmen dureh Stromsehleifen auf die Dura und ent- femtere Teile Abwehrreaktionen des Tieres zur Beobachtung kamen. Wurden denn nieht bei diesen Stromst~rken in den R o t h m a n n - schen Versuchen auch die stehengebliebenen Teile der vorderen Zentralwindung - - der Lob. paraeentralis steht, soweit erkennbar, aueh im zweiten Versuch - - mit in Erregung versetzt? Sieherlieh sind die Str6me so stark, dab sie in einer geeigneten Intensiti~t etwa in der Tiefe stehen gebliebene Reste der vorderen Zentralwin- dung oder deren Projektionsfasern erreichen und sie in Erregung ver- setzen konnten, wie wir der ja auch in unseren eigenen Versuehen annehmen muBten. Die Angabe R o t h m a n n s , dab die Naehbar- sehaft der Narbe unerregbar gewesen ist, spricht durehaus nicht gegen diese Annahme. Denn es kSnnen hier andere physikalische Be- dingungen der Fortpflanzung des Stromes durch das Narbengewebe gesehaffen sein. Endlich vergiBt R o t h m a n n die Diskussion des Umstandes, dab er in den beiden Versuchen n i e h t die g l e i e h e n Resultate erzielt hat; insbesondere fehlt selbst bei den yon ihm an- gewandten enormen Stromsti~rken in dem einen Pall die Bewegung des Daumens, d. i. gerade diejenige Bewegung, die yon den Autoren, welehe aueh nach den Versuchen von S h e r r i n g t o n noch fiir die elektrische Erregbarkeit der hinteren Zentralwindung eingetreten sind, u. a. M u n k und R o t h m a n n selbst, und zwar bei viel schws StrSmen, am allerregelms auf der hinteren Zentralwindung ge- funden wurde. Weleher Versuch soll nun gelten, der erste oder der zweite?, oder wodurch erkli~ren sich die Differenzen? Fiir uns aller Wahrscheinliehkeit nach dadureh, dab in dem einen Falle andere l~este der vorderen Zentralwindung stehen geblieben sind als in dem zweiten. Fiir R o t h m a n n, der in die Fehlerlosigkeit seiner Methode so gar keinen Zweifel setzt, bliebe wohl nur der Ausweg individueller physiologischer Differenzen iibrig.

Man wird zugeben, dab Bedenken genug gegen die R o t h m a n n schen Versuehe vorliegen: 1. die Art und Ausdehnung des operativen Vor- gehens, 2. die enormen Stromstiirken die, wenn auch an sich nieht un- zul~Big, doch geeignet sind, in grSBerer Ent fe rnung von der Reiz- stelle zu wirken, 3. die Verschiedenheit der Erfolge in den beiden Versuchen, 4. der Mange1 einer mikroskopischen Untersuehung der liickenlosen Serie. Insbesondere der letzte Punkt ist schwer versti~nd- lich. Beruht doch die ganze moderne Hirnlokalisation auf dieser

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Methode; sind doch die irrigen Lokalisationen, die z. B. H. M u n k so vielfach untergelaufen sind, durch die Nichtanwendung der Methode zu erkl~ren. Es mug nicht nur mit Rficksieht auf die in Frage s~ehende Arbeit, sondern auch mit Rficksicht auf andere daran festgehalten werden, da~ nur diejenigen Beobaehtungen beweisen, welche den mikroskopischen Naehweis ffir den Umfang der Ver- letzung erbringen. So hat z. B. R o t h m a n n vor kurzem in mehreren Mitteilungen yon der Durehschneidung der Kleinhirnstiele als Ersatz der Kleinhirnexstirp~tion gesprochen und aus diesem Verfahren eine Anzahl von Folgerungen gezogen, zuletzt fiber die Leitung der Erregung vom Groi~hirn ausl). Nun ist es, wie dem einen yon uns aus frfiheren Versuchen bekannt ist, sehr leicht, die Kleinhirnstiele zu durchsehneiden, ,~ber sehr schwer, sie v o l l s t ~ n d i g zu durchschneiden, und nicht einen mehr oder minder betr~chtlichen Teil der Fasern stehen zu lassen. Aueh hier wird die Mitteflung des Ergebnisses der mikroskopisehen Untersuehung der liickenlosen Serie zur unentbehrliehen Grundlage ~eder Verst~ndigung.

1) Autoreferat in Neurol. Centralbl. 31, 1523. 1912.