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(Jber die Fiihigkeit des Periostes Knorpel zu bilden. Von Prof. Josef Schaffer in Wien. Mit Tafel V. Eingegangen am 13. April 1897. Veranlassung zu nachfolgenden Bemerkungen giebt mir eine von H. KOLLER ~) vor Kurzem verSffentlichte Untersuchung, welche hauptsachlich angestellt worden war, um AufschlUsse tiber dig Her- kunft einer knorpelhaltigen Geschwulst am Kronenfortsatz des Unter- kiefers zu erhalten. Da der Verfasser den Kronenfortsatz, gesttitzt auf dis Angaben yon BROCK und KASSOWITZ ftir einen rein binde- gewebig vorgebildeten Knochen hielt, so war ftir ihn ~der partiell chondromatSse Tumor an einer Stelle entstanden, yon der bis jetzt wenigstens nieht nachgewiesen ist, dass sie in der Norm je einmal frUher knorpelig gewesen sei~,. Darans ergab sigh dig weitere Frage, ob denn das Periost eines bindegewebig vorgebildeten Knoehen die Fiihigkeit besitzt, unter gewissen Bedingungen Knorpel zu bilden. Auf Grund seiner Be- obachtungen beantwortet der Verf. diese Frage dahin, dass das Periost bindegewebig vorgebildeter Knochen die latente und unter normalen Bedingungen nie hervortretende Eigensehaft der Knorpel- produktion besitzt. 1) Ist das Periost bindegewebig vorgebildeter Knochen im Stande Knorpel zu bilden? Experimentelle Untersuchung fiber den Einfiuss durch einen iiul3eren Eingriff gesetzter Bedingungen auf die Entstehung eines bestimmten, an der betreffenden Stelle neuen Gewebes auf Basis latent vorhandener Anlage. -- Aus dem Privatlaboratorium des Privatdoc. Dr. tIA~AU in Zfirich. Archly f. Entwiekelungsmechanik. Bd. III. 1896. pag. 624--656.

Über die Fähigkeit des Periostes Knorpel zu bilden

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Page 1: Über die Fähigkeit des Periostes Knorpel zu bilden

(Jber die Fiihigkeit des Periostes Knorpel zu bilden.

Von

Prof. Josef Schaffer in Wien.

Mit Tafel V.

Eingegangen am 13. April 1897.

Veranlassung zu nachfolgenden Bemerkungen giebt mir eine von H. KOLLER ~) vor Kurzem verSffentlichte Untersuchung, welche hauptsachlich angestellt worden war, um AufschlUsse tiber dig Her- kunft einer knorpelhaltigen Geschwulst am Kronenfortsatz des Unter- kiefers zu erhalten. Da der Verfasser den Kronenfortsatz, gesttitzt auf dis Angaben yon BROCK und KASSOWITZ ftir einen rein binde- gewebig vorgebildeten Knochen hielt, so war ftir ihn ~der partiell chondromatSse Tumor an einer Stelle entstanden, yon der bis je tz t wenigstens nieht nachgewiesen ist, dass sie in der Norm je einmal frUher knorpelig gewesen sei~,.

Darans ergab sigh dig weitere Frage, ob denn das Periost eines bindegewebig vorgebildeten Knoehen die Fiihigkeit besitzt, unter gewissen Bedingungen Knorpel zu bilden. Auf Grund seiner Be- obachtungen beantwortet der Verf. diese Frage dahin, dass das Periost bindegewebig vorgebildeter Knochen die latente und unter normalen Bedingungen nie hervortretende Eigensehaft der Knorpel- produktion besitzt.

1) Ist das Periost bindegewebig vorgebildeter Knochen im Stande Knorpel zu bilden? Experimentelle Untersuchung fiber den Einfiuss durch einen iiul3eren Eingriff gesetzter Bedingungen auf die Entstehung eines bestimmten, an der betreffenden Stelle neuen Gewebes auf Basis latent vorhandener Anlage. -- Aus dem Privatlaboratorium des Privatdoc. Dr. tIA~AU in Zfirich. Archly f. Entwiekelungsmechanik. Bd. III. 1896. pag. 624--656.

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Diese ~durch die Arbeit des Herrn Dr. KOLLER festgestellte Thatsaehe<~ wird dureh A. H•xxu 1) aueh sofort in ein besonderes Lieht gerUekt, indem HA~Au mit Bezug anf die yon Rovx auf- gestellte Theorie yon der Abhi~ngigkeit der Knorpelbildung yon ge- wissen meehanischen ~iuBeren Einwirkungen, hervorhebt, dass diese Theorie durch die Arbeit seines Sehtilers KOLLER eine weitere und, wi t ihm scheint, krifftige StUtze erhalten hat, ja , dass der yon KOLLER erbrachte iNachweis die Wirkung dieses meehanisehen iiuBeren Einflusses noeh weir reiner darstellt, als es durch die frUheren Erfahrungsthatsaehen geschah, da er losgelSst erscheint yon dem embryonal histogenetischen.

Mit diesen ~frUheren Erfahrungsthatsachen~ nun haben es die beiden Autoren nicht sehr genau genommen und ieh glaube kaum, dass es zur Beantwortung der yon KOLLER aufgestellten Frage einer eigenen, experimentellen Untersuchung bedurft h~,ttte. Dies sehmi~lert jedoch durchaus nieht den Werth der yon KOLLER festgestellten Thatsaehen, dass n~imlieh der Callus der rein bindegewebig vor- gebildcten Sch~idelknoehen beim Kaninchen hie, deljenige des Unter- kiefers und Jochbogens stets und der des Supraorloitalrandes ge- legentlieh knorpeliger Natur ist.

Ftir den Unterkiefer war es schon durch zahlreiche Unter- suehungen festgestellt, dass im Verlaufe seiner Entwieklung das Periost des ursprtinglich rein periostal entstehenden Knochen an versehiedenen Stellen normaler Weise Knorpel zu bilden beginnt.

KOLLER selbst ist wiihrend seiner Litteraturstudien auf die An- gabe yon BROCK 2) gestoBen, dass beim Sehwein der Angulus des Unterkiefers knorpeligen Ursprungs ist und auf die yon KASSOWITZ3), dass aueh im Processus glenoidalis Knorpelgewebe auftritt; wenn er das letztere, auetore HERTWIG >>n~eh den heutigen Kenntnissem< nicht als echten Knorpel anerkennt , so hatte ihn ein Durchschnitt durch einen embryonalen Gelenkfortsatz eines Besseren belehren kSnnen.

1) Nachtrag zu der Arbeit des Herrn Dr. KOLLER: fiber die Beziehungen der dureh die Arbeit des Herrn Dr. KOLLEP~ festgestellten Thatsache der chondro- produktiven F~ihigkeit des Periostes rein bindegewebig vorgebildeter Knochen zu der yon W. Roux aufgestellten Theorie tiber die Ursachen der Lokalisation der Knorpel- uud Knochenbildung im Skelet. Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. III. 1896. pag. 657--659.

2) Uber die Entwickelung des Unterkiefers der Si~ugethiere. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 27. 1876.

3) Die normale Ossifikation etc. Wien 1881. pag. 74.

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Damit ware eigenttich die ganze Fragestellun~ KOLLER'S er- ledig't gewesen; er hilft sich jedoch tiber diese Thatsachen hinweg, indem er in den angefUhrten Befunden der naehtri~glichen Knorpel- bildung am hinteren Ende des Unterkiefers (BROCK) und in dem analog'en (allerdings yon Anderen bezweifelten) Vorgange an den Enden der Clavicula (KAssOWITZ), also an rein bindegewebig an- gelegten Knochen noch keine Entscheidung seiner Frage sieht: >~Diese Vorg~nge kSnnten wohl noch so gedeutet werden, dass ein bindegewebig vorher entstandener und ein nachtr~iglieh nebenan auk anderer Matrix gebildeter, knorpelig angelegter Knochen mit einander verschmelzen. ,,

Ftir eine solche ~Deutung,, geben aber die Schilderungen der beiden angeftihrten Autoren nieht den geringsten Anhalt, indem BROCK 1) ftir die Knorpelbildung am Unterkiefer ausdrUcklich betont, dass der Knorpel yon Anfang an vom Periost nmschlossen ist, nur aUK Zellen der inneren Periostschicht entsteht und mit den Osteo- blasten des anstoBenden Knochen direkt zusammenh~tngt. Ebenso wenig kann die Behauptung yon KASSOWITZ~)~ dass das Periost zur Gelenkverbindung mit dem Schl~tfenbein einen Knorpel bildet, anders gedeutet werden, als dass es sich um dasselbe Periost handelt, welches bisher Knochen erzeugt hat. Ich selbst habe in einer eing'ehenden Untersuchung tiber die Verkn~cherungsvor~tnge am Unterkiefer 3) auK einander gesetzt, dass bei der Entwickelung des Gelenkfortsatzes frUhzeitig eine Anderung des Gewebetypus eintritt, indem die Bildungszellen, d. h. Osteoblasten, welche zuerst Knoehen producirt haben, im engsten r~umlichen Zusammenhange mit diesem ein l~ber- gangsgewebe zu Knorpel und endlich hyalinen Knorpel bilden.

Damit Kind jedoch die Beweise dafUr, dass im Laufe der normalen Knochenentwickelung das Periost Knorpel bilden kann, nicht ersch(ipft.

KASSOWITZ, dessen Arbeit dem Autor ja bekannt war, fUhrt auBer den bereits genannten Stellen, an denen )~normale Knorpel- bildung im Periost~, 4) vorkommt, aueh noch die Tuberositas radii, die Symphyse des Unterkiefers und die Spina scapulae an. ~qach K()LLIKER 5) gehSrt auch die Gelenkgrube des Schliifenbeins hierher.

1) 1. c. pag. 295. 2) 1. c. pag. 75. 3) Die Verkn~cherung des Unterkiefers und die Metaplasiefrage. Archiv

f. mikr. Anatomie. Bd. 32. 1888. 4) 1. c. V. Kap. pag. 67 and Med. Ceatralbl. 1877. Hr. 5. pag. 65. 5) Handbuch der Gewebelehre. 6. Anti. 1889. pag. 339.

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Diese Beispiele dUrften geniigen, um zu zeigen, dass die ehon- droproduktive Fithigkeit des Periostes rein bindegewebig entstehen- der Knochen sehon lunge auBer Frage gestellt war.

An dieser Thatsache iindert der Umstand nichts, dass es sich dabei um embryonal-histogenetische Vorg:,tnge handelt, denn es-wird kaum Jemand behaupten w o l l e n , dass das Knochen producirende Periost des Embryo yon dem des jugendlichen Individuums wesent- lieh verschieden ist.

Immerhin seheint es mir yon Interesse, bier einer Stelle Er- wtthnung zu thun, an der auch beim Erwachsenen die metaplastische Ftthigkeit des Periostes Knorpel zu bilden, wenn auch in be- schriinktem MaBe, unter normalen Bedingungen zu Tage tritt. DiGs ist der Fall an den Endphalangen der Finger, vielleieht aueh an denen der Zehen.

Das ~Nag'elglied der Endphalangen ist bekanntlieh ein rein bindegewebig entstehender Knochen (Sc~XFER, DIXEY) 1). An Durchschnitten dutch dasselbe (Fig. 1) findc ich nun an der Ober- flaehe des Knoehens zwischen den einstrahlenden Sehnenenden, die hier theilweise gleiehzeitig das Periost bilden (P), neben typischen Osteoblasten Zellen, welche clue deutliche Kapsel besitzen, um welche sich nicht selten ein homogener Hof yon Grundsubstanz entwickelt zeigt, der durch in tensL'c Ftirbbarkeit mit H:,~matoxylin ausgezeiehnet ist {Fig. ! ~9~).

Die HSfe benaehbarter Zellen kSnnen zusammenfiieBen, so dass dann blasige, mit Kapseln versehene Zellen in einer mit Hiimatoxylin blau gef'arbten Grundsubstanz eingeschlossen erscheinen, das typisehe Bild des hyalinen Knorpels. Dass diese Knorpelbildung ebenfalls nnr eine provisorische ist, erkennt man an den Resorptionsbuchten, welche die dUnne Knoehenrinde der Phalange (PK)zeigt, deren blau flirbbare S~tume als Kitt- und Ansatzlinien auch noeh in den oberfliiehliehen Biilkchen der Spongiosa, ebenso wie in der Knoehen- rinde siehtbar sin&

Die hier gesehilderte Knorpelbildung ist offenbar in Analogie zu setzen mit der, welche RAXVIER 2) und REXAUT 3) in Sehnen-

1) SCtEiFER, E., and DIXEY. P.. Preliminary note of the ossification of the terminal phalanges of the digits. Proc. of the roy. soc. of London. Vol. XXX. No. 205, 1880. -- DIXEY, ~'.. Ou the ossification of the terminal phalanges of the digits. Ibidem No. 207.

2) Les 616merits et les Tissus du syst6me conjonctif. Journ. de Mikrographie. XIV. Ann6e. No. 10. 1890 nnd Trait6 technique (Deutsche Ubersetzung. pug. 383).

3 Trait6 d'Histologie pratique. T.I. Paris 18$S. pag. 355.

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ans~ttzen an hyalinen Knorpel beschreiben. Dieselbe Erscheinung kann man abet aueh an vielen anderen Stellen sehen, wo Sehnengewebe in periostalen Knochen einstrahlt. Untersucht man z. B. den Ansatz der Achillessehne an den Tuber ealeanei vom Kalb (Fig. 2) an sagit- talen L:,ingssehnitten, so findet man die SehnenbUndel direkt in den Knochen einstrahlen.

Zwischen ihnen haben die reihenweise geordneten Zellen eine Metamorphose in typische Knorpelzellen erfahren, so dass unmittel- bar an den Knochen, der ja auch rein periostal entstanden ist, ein echter Faser- oder Bindegewebsknorpel (FK) stSBt, weleher eben- falls wieder der Resorption verFallt, um dem Knochengewebe Platz zu machen (R).

Das Periost, welches hier die Knoehenb~ilkchen des Tuber cal- canei erzeugt, bildet andererseits aneh echte Knorpelzellen, so dass zwisehen dem Faserknorpel, dessen Grundsubstanz der Hauptsache naeh aus Faserbtindeln besteht und dem periostalen Knoehen (PK) dttnne Lagen eehten Hyalinknorpels (Kp) eingeschaltet erseheinen, in denen Resorption und Einlagerung neoplastisehen Knochens (PK') stattfindet, wie bet der endochondralen Ossification.

Diese Knorpelzellcn ftthre ich jedoch nieht, wie ]~ANVIERI)~ auf eine Umwandlung bereits typisch-differenzirter Sehnenzellen zurUek, yon welchem Yorgange RANVIER eine sehr eigenthUmliche Dar- stellung giebt. Die Knorpelzellen gehen bier vielmehr aus in- differenten Bildungszellen hervor, welche sich - - sichtlieh unter verschiedenen mechanisehen Einfltissen - - theils in Knochenzellen, theils in Knorpelzellen, theils eudlieh in typisehe Sehnenzellen um- wandeln kiinnen.

Solche _&nderungen des Gewebetypus sind dem Histologen l~ingst hekannt: das Periost ist zuerst Perichondrium und kann dann zeit- weilig wieder zu Periehondrium werden. Dieser Fall kann aber auch eintreten, ohne dass es je Periehondrium war, rim" wird es dann w{eder Periost. In der Gegend der sag. encoehe kann man lange Zeit hindurch beobachten, dass das gleiche Bildungsgewebe im engsten riiumlichen Zusammenhange Knoehen und hyalinen Knorpel erzeugt. Das Chordaepithel kann nach den neuesten Untersuchungen yon V. ]~BNER 2) eine Reihe morphologisch und mikrochemisch hSehst

I Journ. d. Micrographie. XV. Annie. 1891. No. 7. 2} Die Chorda dorsalis der niederen Fische and die Entwickelung des

Bindegewebes. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 62. 1896. pag. 469. Archly f. Entwiekelungsmehanik. V. 23

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verschiedener Gewebetypen erzeugen, so lange es den Charakter indifferenter Bildungszellen beibehalt.

Diese Thatsachen, welehe sich leicht noch durch eine Reihe anderer Beispiele vermehren lieBen, sind lange Zeit falseh gedeutet worden, indem man die r~umliehen Ubergange dieser versehiedenen Gewebe gleichzeitig als genetisehe auffasste, d. h. aus einem fertigen Gewebe, z. B. dem hyalinen Knorpel oder der Chorda, Knoehen oder Knorpel in der Weise hervorgehen lieB, dass sich die roll differen- zirte Knorpelzelle in ein KnochenkSrperchen, die blasige Chordazelle in eine Knorpelzelle umwandeln sollte.

Diese metaplastische Anschauung wird heute noeh yon vielen Autoren wenigstens fur einig'e Objekte festgehalten, unter denen der Unterkiefer die g'rSBte Rolle spielt. Meine Untersuchungen an einer ~,eschlossenen Entwiekelungsreihe des Unterkiefers vom Sehaf haben die Haltlosigkeit einer solchen metaplastischen Ansehauung darzu- legen versueht und an ihre Stelle die m e t a p l a s i r e n d e . F ~ h i g k e i t des i n d i f f e r e n t e n B i l d u n g s g e w e b e s zur E r k l ~ r u n ~ r aum- l i c h e r und g e n e t i s e h e r G e w e b e t t b e r g ~ n g e herangezogen.

Far den Unterkiefer sind meine Anschauungen dureh die unten eitirte Arbeit yon HE~EBEr~G best~tigt worden.

Die Ursaehen ftir solehe _X_nderung'en im Gewebetypus mSg'en vielfaeh in meehaniseh-funktionellen Verh~ltnissen begriindet sein und glaube ieh, dass die Erkl~run~, derselben keine uninteressante Aufgabe fur die Entwiekelungsmeehanik sein wird.

Dass die bisher vorliegenden Versuehe von-Roux~), jegliehe Knorpelbildung auf die meehanisehe Wirkung yon Abseherung" und Druek zurUekzufUhren, nur eine theilweise Erklarung zu geben ver- mSgen, hat HA~Au mit Reeht hervorgehoben2).

FUr die Knorpelbildung bei niederen Thieren mUssen wir uns stets die Thatsaehe vor Auffen halten, dass das Knorpelg'ewebe geg'en- fiber dem Knoehengewebe das phyletiseh Kltere 3) und histologiseh einfachere, eines rascheren Waehsthums fahiffere ist. Letzterer Urn- stand diirfte aueh seine provisorische Verwendung bei der Ent- ~*ickelun~ des Skelettes der hSheren Thiere vielfach verstandlieh

1) Gesammelte Abhandlungen fiber Entwickelungsmechanik. Leipzig 1895. Bd. I. paff. 810. Bd. II. pag. 328.

o_) Nach der Darstellung yon Rocx k~men die mechan~chen Momente yon Abscherung und Druck allerdings haupts~chlich nur fiir die Erhaltung und das spiitere Knorpelwachsthum in Betracht.

a) Buscu, Zur weiteren Begriindung der 0steoblasteatheorie. Verhandl d. phys. Ges. zu Berlin. 1879. Nr. 10.

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machen und verweise ich betreffs dieses Punktes auf die yon mir eitirten und speciell zur Erkl~trung der Knorpelbildung am Unterkiefer herang'ezogenen Ansehauungen yon H. MiJLLER, LOV]~N, STRELZOFF

etc., welche ich in den Satz zusammenfassen konntel), dass der Knorpel dort, wo er dutch metaplasirende Th~itigkeit des Periostes entsteht, eine rein provisorische Bedeumng besitzt, gleichsam als Modell dient, am welches dis Knochenform gegossen wird und welches alsbald wieder der Resorption anheimfiillt, um dem defini- tiven Ausgusse mit Knochen Platz zu maehen.

Durch die vorstehenden Ausftihrungen glaube ich gezeigt zu haben, dass die Thatsache der Knorpelbildung yon Seiten des Periostes rein bindegewebig entstandener Knoehen keine neue ist und nicht erst cines experimentellen Naehweises bedurfte.

Was nun den eigentlichen Ausgangspnnkt der Arbeit KOLLER'S, sine Erklarung fur das Vorkommen einer knorpeligen Geschwulst am Krouenfortsatz des Unterkiefers zu suchen, anlangt, so ist es nieht uuinteressant, dass KOLLEa selbst und zwar dureh ziemlieh weitliiufige theoretische Betrachtungen tiber dis verschiedenen Ur- sachen der Callnsbildung, sowie tiber die Pr~tdisposition eines em- bryonal angclegten Knorpels im Gegensatze zu derjenigen des re- g'enerativ eutstandenen zur Enchondrombildung auf dis Vermuthnng kommt, ob nicht auch am Kronenfortsatze im Laufe seiner Eut- wickelung Knorpel vorkomme.

Auf eine diesbezUgliche Anfrage HANAU'S wurde KOLLER Yon Prof. G. BORN in Breslau auf die Arbeit yon MASQUELIN 2} aufmerksam gemaeht, in welcher das Vorkommen sines Knorpelkernes im Kronen- fortsatz des mensehliehen Unterkiefers nachgewiesen wird.

In meiner oben citirten Abhandlung, die dem Verfasser entgangen ist, habe ich mich ebenfalls eingehender mit der Knorpelbildung im Kronenfortsatze beschaftigt und einerseits die Geschichte derselben zusammengestellt, aus welcher hervorgeht, dass vor MASQUELIN be- reits BRUCH 3) und STRELZOFF 4) Knorpelgewebe oder Reste desselben im Processus coronoides beobachtet haben, andererseits nachweisen

1) 1. c. pag. 333. 2) Recherches sur le d6veloppement du maxillaire inf6rieur. Bull. de

~'Acad. roy. de Belgique. 2. S6r. T. XLV. No. 4. 18;8. KOLLER citirt angeblich nach ]~IINOT T. XIV. 1874. MINOT citirt richtig 1878 un4 XIV ist Druckfehler.

3) Denkschr. d. Schweiz. naturforsch. Ges. Bd. XII. 1843. 4) Untersuchungen aus d. pathol. Instit. zu Ziirich. Herausgegeben yon

EBERTH. 187;L It. I. 23*

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kSnnen, dass im Kronenfortsatze beim Sehafembryo ein schmaler, langer Knorpelkern als relativ spiite, aber direkte Bildung des ur- sprUnglichen Periostes auftritt und dass derselbe seine Funktion noch wiihrend des FStallebens vollendet, so dass gegen Ende desselben keine Spur yon Knorpel mehr im Kronenfortsatz gefunden wird.

Diese meine Angaben wurden erst kUrzlieh yon einem SchUler O. HERTWIG~S, B. HEN~EBERG1), am Menscheu naehuntersucht und im Wesentlichen best~ttigt.

HENNEBERG beobachtete das Auftreten yon Knorpel im Kronen- fortsatz beim Embryo yon 11 cm Seheitelsteil~li~nge - - also eben- falls relativ spi~t, da die Knorpelbildung im Gelenkfortsatz schon beim 6,5 cm langen und die in der Symphyse beim 7,5 cm langen Embryo im Gange ist - - u n d seheint es ihm unzweifelhaft, dass der hier als Periehondrium auftretende Theil des Unterkieferperiostes als Matrix des Knorpels anzusehen ist. Bei Embryonen yon 15 em hat die Knorpelbildung bereits ihre HShe erreicht und beim Embryo yon 18 em Li~nge sind im Kronenfortsatz bereits keine Spuren yon Knorpel mehr zu entdeeken.

Zum Sehlusse sei noeh erw~thnt, dass aueh bereits experimentelle Erfahrungen tiber die ehondroproduktive F~thigkeit des Periostes vor- liegen. Ich verweise, um nur ein Beispiel herauszugreifen, auf die Untersuehungen yon RIGAL und VmNAL2), welehe mir, obwohl sie an RShrenknochen angestellt wurden, fUr die aufgeworfene Frage vollkommen beweiskr~tftig seheinen. Die mittleren Part ien eines RShrenknoehen vom Erwaehsenen sind als rein periostal gebildeter Knoehen anzusehen. Der Callus, weleher an solchen Stellen bei komplieirten Frakturon bei Aussehhss jegl ieher Eiterun~ auftrat, war knorpelig, so dass die Verfasser selbst zu dem Sehlusse kamen, dass dem Periost allein die Fiihigkeit Knorpel zu bilden zukomme.

u besonderem Interesse seheinen mir noeh die Experimente, welehe I~IAAs 3) an den marklosen Oberarmknoehen der VSgel - - er w!~hlte dazu mSgliehst alte Thiere - - angestellt hat, weil man die

~! Beitr~ge zur Entwickelungsgeschichte des Unterkiefers beim Menschen. Diss. Berlin 1894.

2) Sur la formation du cal. Compt. rend. T. 90. No. 21. 1880. - - Re- cherches exp~rimentales sur la formation du cal et sur les modifications des tissus dans les psendarthroses. Arch. de physiol. No. 3 u. 4. 1881.

3) Uber das Wachsthum und die Regeneration der R(ihrenknochen mit besonderer Beriicksichtigung der Callusbilduno'. Archiv fiir klin. Chirurgie. Bd. XX. H. 4.

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mittleren Partien dieser Knochen, so weit sie fur die Versuche in Betracht kamen, sicher als rein periostal entstandene ansehen kann. Der bei Frakturirung dieser Stellen auftretende Callus stellte zu einer gewissen Zeit eine Knorpelmasse dar, welche kontinuirlich auBen um die Bruchenden, zwischen ihnen und in der (marklosen) Markh(ihle liegt.

Wenn ich in den vorliegenden AusfUhrungen nun auch keine wesentlichen, neuen Thatsachen beibringen konnte, so glaube ich doeh die Absieht, die mich bei denselben geleitet hat, hinli~nglich deutlich dargethan zu haben. In dem Mal~e, als die Zahl der wissen- sehaftlichen Arbeiten auf unserem Gebiete zunimmt, muss auch die Vorsicht bei der Feststellung ,neuer Thatsachen(~ und die Gewissen- haftigkeit in der Benutzung iilterer begrUndeter Angaben zunehmen; sonst werden derartige Arbeiten zu einem unnUtzen Ballast unserer Litteratur.

Erkl~irung der Abbildungen, rs "V.

Fig. 1. Aus einem Querschnitt.dureh die Endphalange (Nagelglied) eines Fingers vom Hingerichteten. P Perichondrium, beziehungsweise Sehneninsertion. Kn Knorpelzellen, _PK periostale Knochenrinde, Ob Osteoblastenlager des Markes, Ok Osteoklast, ,,r Spongiosab~ilkchen, F Fettzellen. Vergr. 180.

Fig. 2. L~ingsschnitt durch den Ansatz der Achillessehne an den Tuber calcanei vom Kalb. P K periostaler Knochen, T'K in Faserknorpel umgewandelte Sehne, Knz Knorpelzellen, •p homogener Knorpel, /~ Resorptionsliicken im Knorpel. P K ' in dieselben eingelagerter Knochen. Vergr. 1S0.