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t~ber die Wirkung yon Azetylcholin auf Gelenke und Muskeln. Von Prof. Dr. Philipp J. Erlacher, Graz. (Eingegangen am 11. Februar 1938.) Wenn bei Kaninchen ein Bein dureh Gipsverb~nde fiir 3--4 Wochen ruhig gestellt wird, soll naeh Neuburger und Scholl regelm~l]ig eine dauernde Versteifung des Knie- und Sprunggelenks eintreten. Wenn man den Tieren iedoch w~hrend der Fixierungsdauer ieden 2. Tag 0,01 g Azetyl- cholin subcutan injiziert, so sind diese Gelenke sofort naeh der Gipsverband- abnahme passiv vollkommen normal beweglich. Nach anf/~ngliehem Sehonen kehrte bei diesen Tieren auch die aktive Gebrauchsf/~higkeit der Beine schon nach wenigen Stunden normal wieder ;sie liefen genau so wie die gesunden Tiere herum, Dis Kontrolltiere dagegen, die also nut ruhig gestellt wurden, aber kein Azetyleholin erhielten, wiesen eine vS!lige Versteifung der ruhig- gestellten Extremit~ten auf und zeigten an diesen Extremit~iten eine deut- liche und sehr hochgradige Atrophie der gesamten Muskulatur. Sie konnten dieses Bein nieht mehr benutzen und wurden dureh dasselbe eher behindert. ,,Diese sehwere Behinderung beim Laufen bzw. die alfffallende Unsieherheit, ferner der Zustand und das Aussehen der Extremit~t/inderten sich w~hrend der ganzen Behandlung nicht mehr." Derartige Befunde sind ftir uns Orthop~den vom grSl~ten Interesse. zumal sie mit unserer bisherigen Erfahrung mehrfach nicht iiberein- stimmen. Die Frage, wieweit durch einfache Ruhigstellung eine Extremit/it versteifen kann, besch/~ftigt die Orthopaden schon seit vielen Jahrzehnten. Es galt und gilt auch heute noeh als eine groi3e Kunst, eine verl~gliche, dauernde, feste Versteifung eines Gelenkes zu erzeugen. Experimentell ist die Frage yon Reyher und M011 und neuerdings yon W. Miiller eingehend untersueht worden. Miiller faflt das Ergebnis dahin zusammen, dal] im Tierversuch nut eine sehr vollkommene Ruhjgstellung eingreifende Ver- Knderungen am Gelenksknorpel zu erzeugen vermag. ,,Selbst lang an- haltende Ruhigstellung im Gipsverband vermag, wie aueh die Experimente yon Reyher, Moll u. a. zeigen, nur nach sehr langer Zeit und in relativ geringem Ausma6 VerSnderungen herbeizufiihren." Eine zweite Frage yon besonderer Wiehtigkeit ist die Vermeidung' yon Gelenksteifen bei Mensehen, wenn fiir 1/~ngere Zeit ein Gipsverband an- gelegt werden mull. W/~hrend bei Kindern Gelenke dutch Monate hindurch im Gipsverband fixiert, werden kSnnen, ohne dal~ es zu Versteifungen kommt, geniigen beim Erwaehsenen oft schon Wochen, um eine lang- dauernde Einengung der Beweglichkeit hervorzurufen. Dureh eine so- fortige intensive Behandlung lassen sieh solche Versteifimgen oft wieder weitgehend bessern, abet sie kSnnen auch dauernd bestehen bleiben. Jeden-

Über die Wirkung von Azetylcholin auf Gelenke und Muskeln

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t~ber die Wirkung yon Azetylcholin auf Gelenke und Muskeln.

Von Prof. Dr. Philipp J. Erlacher, Graz.

(Eingegangen am 11. Februar 1938.)

Wenn bei Kaninchen ein Bein dureh Gipsverb~nde fiir 3--4 Wochen ruhig gestellt wird, soll naeh N e u b u r g e r und Schol l regelm~l]ig eine dauernde Versteifung des Knie- und Sprunggelenks eintreten. Wenn man den Tieren iedoch w~hrend der Fixierungsdauer ieden 2. Tag 0,01 g Azetyl- cholin subcutan injiziert, so sind diese Gelenke sofort naeh der Gipsverband- abnahme passiv vollkommen normal beweglich. Nach anf/~ngliehem Sehonen kehrte bei diesen Tieren auch die aktive Gebrauchsf/~higkeit der Beine schon nach wenigen Stunden normal wieder ;sie liefen genau so wie die gesunden Tiere herum, Dis Kontrolltiere dagegen, die also nut ruhig gestellt wurden, aber kein Azetyleholin erhielten, wiesen eine vS!lige Versteifung der ruhig- gestellten Extremit~ten auf und zeigten an diesen Extremit~iten eine deut- liche und sehr hochgradige Atrophie der gesamten Muskulatur. Sie konnten dieses Bein nieht mehr benutzen und wurden dureh dasselbe eher behindert. ,,Diese sehwere Behinderung beim Laufen bzw. die alfffallende Unsieherheit, ferner der Zustand und das Aussehen der Extremit~t/inderten sich w~hrend der ganzen Behandlung nicht mehr."

Derartige Befunde sind ftir uns Orthop~den vom grSl~ten Interesse. zumal sie mit unserer bisherigen Erfahrung mehrfach nicht iiberein- stimmen. Die Frage, wieweit durch einfache Ruhigstellung eine Extremit/it versteifen kann, besch/~ftigt die Orthopaden schon seit vielen Jahrzehnten. Es galt und gilt auch heute noeh als eine groi3e Kunst, eine verl~gliche, dauernde, feste Versteifung eines Gelenkes zu erzeugen. Experimentell ist die Frage yon R e y h e r und M011 und neuerdings yon W. Miiller eingehend untersueht worden. Miiller faflt das Ergebnis dahin zusammen, dal] im Tierversuch nut eine sehr vollkommene Ruhjgstellung eingreifende Ver- Knderungen am Gelenksknorpel zu erzeugen vermag. ,,Selbst lang an- haltende Ruhigstellung im Gipsverband vermag, wie aueh die Experimente yon R e y h e r , Moll u. a. zeigen, nur nach sehr langer Zeit und in relativ geringem Ausma6 VerSnderungen herbeizufiihren."

Eine zweite Frage yon besonderer Wiehtigkeit ist die Vermeidung' yon Gelenksteifen bei Mensehen, wenn fiir 1/~ngere Zeit ein Gipsverband an- gelegt werden mull. W/~hrend bei Kindern Gelenke dutch Monate hindurch im Gipsverband fixiert, werden kSnnen, ohne dal~ es zu Versteifungen kommt, geniigen beim Erwaehsenen oft schon Wochen, um eine lang- dauernde Einengung der Beweglichkeit hervorzurufen. Dureh eine so- fortige intensive Behandlung lassen sieh solche Versteifimgen oft wieder weitgehend bessern, abet sie kSnnen auch dauernd bestehen bleiben. Jeden-

Wirkung von Azetyleholin auf Gelenke und Muskelm 111

falls wissen wit, dag Alter und Konstitution ganz wesentlieh ftir die Aus- bildung yon Gelenkssteifen mM~gebend sind.

Es mul3 daher iiberraschen, dal] Neuburge r und Seholl bei ihren Untersuchungen bei den Sonst unbehandelten Kaninchen in a l len F~llen schon naeh einer Fixierung im Gipsverband durch 3--4 Wochen schwerste, nicht mehr zu beseitigende Versteifungen fanden, w~hrend sie diese Ver- steifungen ebenso regelm~l]ig dureh die subeutane Injektion yon Azetyl- cholin vermeiden konnten.

Was nun das Azetyleholin anlangt, dessen Bedeutung fiir die Funktion yon Nerv uncl Musket nach grundlegenden Arbeiten yon Loewi und Dale wohl au[~er Zweifel steht, ist die Frage seiner therapeutischen Verwendbar- keit noch keineswegs geklgrt und allein die MSgliehkeit, dutch Azetylcholin Gelenkversteifungen in irgendeiner Form gttnstig beeinflussen zu kSnnen, berechtigt zu den weitgehendsten Untersuchungen in dieser Richtung bin. Ob es, wie F r a n c i l l o n auf Grund seiner Erfahrungen annimmt, in erster Linie prophylaktisch zu verwenden sei, oder zur Behandlung posttrauma- tiseher Ankylosen wie F i s c h e r angibt, oder fiir die Behandlung der Arthrosis deformans yon Wert sei, wie Neuburge r und Scholl in Best~tigung der Angaben spaniseher Forscher empfehlen, wird dureh klinisehe Nachpr[ifung festzustellsn sein.

Dis experimentellen Untersuehungen nun, auf die sich Neuburge r und Seholl stiitzen, sind in ihrer Anordnung so einfaeh, die Angaben so sindeutig, dal3 Beobaehtungsfshler kaum mSglieh sind; es war daher nahe- liegend und notwendig, sic einer Naehpr~ifung zu unterziehen. Ich habe dahsr an 12 Kaninehen die Versuehe genau naeh den Angaben yon N eu- burger und Scholl wiederholt. Den Gipsverband habe ieh selbst und bei allen Tieren gleiehmgl3ig angelegt. Seehs Tiers waren erwaehsen und nieht ganz 3 kg sehwer; sechs Tiere warsn bei Versuehsbsgirm genau 4 Monate alt; bei diesen Tieren wurde der Gipsverband besonders eng angelegt. Um jede Druekbesehgdigung dutch den Gipsverband auszusehliegen, habe ieh zuerst iiber die mit mehreren Bindentouren bedeekts linke hintsre Extremitgt sinen Zinkleimverband und dariiber den Gipsverband angelegt. Sonst haben wir uns genau naeh den Vorsehriften gehalten und die Hglfte der Tiers jeden zweiten Tag mit 0,01 g Azetyleholin gespritzt. Zwei junge Tiere sind sofbrt naeh der ersten Injektion, die sieher nieht intraven5s verabfolg~ wurde, verendet. Aueh das dritte jungs Tier zeigte eine sehr frequente Atmung und Pulsbesehleunigung, erholte sieh abet naeh der Injektion yon 0,1 g Lobelin wieder vollkommen, um weiterhin wie die erwaehsenen Tiere dis Injektionen anstandslos zu vsrtragen. Wir hatten sonst keinerlei Zwisehenfglle oder StSrungen, insbesondere keinenDekubitus oder Nekrose. Zwei erwaehsens Tiere, ein Versuehs- und ein Kontrolltier, die wghrend der Versuche k6rpsrlieh sehr heruntergekommen und abgemagert waren , wurden nach 30 Tagen aus dem Gips genommen. Die 4 anderen erwaehsenen Tiere naeh 3.3 Tagen, die 4~ jungen Kaninehen naeh 34 Tagen.

112 tY]t. J.'ERLACltER: Wirkung yon Azetylcholin ssuf Gelenke und Muskeln.

Sofort nach der Verbandabnahme zeigten nut 3 Tiere eine vSllige Ver- steifung der eingegipsten Extremitgten, und zwar ein Kontrolltier und zwei mit Azetylcholin gespritzte Tiere (alle erwachsen). Bei allen tibrigen war die Beweglichkeit mehr oder minder frei, die Tiere stiitzten sich bei den

�9 ersten Gehversuchen sofort auf die bereits etwas gebeugte Extremit~t und an den folgenden Tagen wurde das Bein wieder normal gebraucht. Auch de r erste mit Azetylcholin behandelte Hase, der nach 30 Tagen aus dem Vet- band genommen worden war und anf~nglich eine vSllige Versteifung zeigte, erholte sich bald wieder vollst~ndig, so dab nach einer Woche das Bein wieder normal gebraucht wurde. Nut zwei erwachsene Tiere, ein Versuehs- und ein Kontrolltier, sind auch heute nach 3 Wochen noch vollst~ndig ver- steift. Sie sind abet auch sonst kSrperlich noch sehr stark mitgenommen.

Unsere Ergebnisse stehen also zu den mitgeteilten Befunden yon N e u b u r g e r und Scholl in vSlligem Widerspruch. Wit konnten w~hrend der Versuchsdauer keinerlei Unterschied im Verhalten der mit Azetyl- cholin behandelten und den nicht behandelten Tieren feststellen. Sowohl bei den mit wie auch bei den ohne Azetylcholin behandelten Tieren blieb in den meisten F~llen trotz l~ngerer Versuchsdauer eine Versteifung aus. Somit kann weder yon einer regelm~Bigen Versteifung durch den Gips- verband noch yon einer regelm~Bigen Verhiitung durch Azety]eholin ge- sprochen werden. Hingegen l~l]t der kSrperliche Zustand der Tiere einen mal]gebenden EinfluB auf den Grad und die Dauer der Versteifung er- kennen. Drei w/~hrend der Versuchsdauer kSrperlich stark herunterge- kommene und abgemagerte Tiere zeigten Versteifungen, die bei zwei Tieren gleichzeitig mit der Abmagerung nach 3 Wochen noch anhielt, w~hrend das dritte Tier, das sich kSrperlich vollkommen erholte, auch seine volle Be- weglichkeit wieder gewann. Es ist daher wohl kein Zufall, dab das yon N e u b u r g e r und Scholl in ihrer Mitteilung abgebildete Tier mit Ver- steifung (Abb. 2)* kSrperlich elend und abgemagert scheint, w/~hrend das Versuchstier (Abb. 3)* einen kSrperlich ausgezeichneten Zustand zeigt. Die eingetretene oft sehr hochgradige Atrophie der Beinmuskulatur fund sich sowohl bei unseren Versuchs- wie auch bei den Kontrolltieren, und war bei den mit Azetylcholin behandelten Tieren sicher nicht geringer. Ebenso wie beim Menschen scheint auch bei den jungen Tieren nach Gipsverband- fixierung eine Versteifung nicht so leicht einzutreten wie bei Erwachsenen. Unsere Tierversuche lassen keinerlei Riickschlul~ zu, in welcher Weise Azetylcholin bei Arthrosis def. wirksam sein kann.

Die Fragen bediirfen noch einer weiteren einwandfreien Klarung.

Sohrif t tum bei F. Neuburger u.R. Scholl: Ober die Wirkung von paren- teral verabreichtem Acetylcholin auf gestreifte Muskeln, Gelenke und Knochem I. Naunyn-Schmiedebergs Arch. 186, 492--497 (1937).

* Bei Neuburge r und Scholl.