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X|. Aus dem I. anatomisehen Institut in Wien. Uebcr cine seltcnc Missbildung der Ohrmuschel. Von Dr. G. Alexander und Dr. L. Moszkowicz, Prosector der Anatomle Secundararzt dos Rudolfinerhauses. (Mit I Abbildung.) In einem Fall yon Gravidit~tt des Ligamentum infundibulo- ovaricum wies der im Ei enthaltcne Embryo eine merkwiirdige Missbildung auf, wclche uns zur VerSffentlichung des Befundes veranlasst. Der Embryo misst 20 mm Steissscheitell/inge, seine Kopf- I/tnge betr~tgt 91/2 mm. Der Rumpf ist yon links vorne, links hinten und rechts vorne ctwas abgeflacht, der Sch/idel gegen den Scbcitel stark vorgewSlbt und verl/ingcrt. Der Hals ist kurz. Die Kinngegend ist an der Unterseite plattgedriickt und der Vorderfl/icbe der Brust, die an der entsprechenden Stelle eine umschriebene H5hlung zeigt, angepresst. Die Ohrregion springt beiderseits stark vor. An den Extremit/iten sind keine abnormen Formen zu bemerken. Am Scbadel sind an der linken Gesichtsseite reichlich Ver- waehsungsspuren mit dem Amnios in Form rauher, scharf begrenz- ter Leisten und Fl/ichen erkennbar. Der Sehiidel wurde am tIals vom Rumpf getrennt und in Paraffin eingebettet zur Untersuchung des Centralnervensystems in Serie zcrlegt. Das abnorme Verhalten der linken 0hrmuschel, alas in der Hauptsache vor der Zerlegung in Schnitte beim Zeich- nen des Sch/tdels unter der Lupe erkannt worden ist, ergab sich mit vollst/indiger Deutliehkeit aus der Untersuehung der Schnittserie und der plastischen Reconstruction (Plattenmodell). Die Ohrmusehel der reehten Seite misst 2 mm grSsste L~tnge die Ohrbasis 11/2 ram. Die Entfernung" des unteren Endes der Ohrbasis yon der topographisehen Stelle der Spitze betr~tgt gleiehfalls 1 ~/2 mm. Die Hauptfurchen erseheinen schmal~ nahezu Archly f. Ohrenhoilkande, L. Bd. 7

Ueber eine seltene Missbildung der Ohrmuschel

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Page 1: Ueber eine seltene Missbildung der Ohrmuschel

X|.

Aus dem I. anatomisehen Institut in Wien.

Uebcr cine seltcnc Missbildung der Ohrmuschel. Von

Dr. G. Alexander und Dr. L. Moszkowicz, Prosector der Anatomle Secundararzt dos Rudolfinerhauses.

(Mit I Abbildung.)

In einem Fall yon Gravidit~tt des Ligamentum infundibulo- ovaricum wies der im Ei enthaltcne Embryo eine merkwiirdige Missbildung auf, wclche uns zur VerSffentlichung des Befundes veranlasst.

Der Embryo misst 20 mm Steissscheitell/inge, seine Kopf- I/tnge betr~tgt 91/2 mm.

Der Rumpf ist yon links vorne, links hinten und rechts vorne ctwas abgeflacht, der Sch/idel gegen den Scbcitel stark vorgewSlbt und verl/ingcrt. Der Hals ist kurz. Die Kinngegend ist an der Unterseite plattgedriickt und der Vorderfl/icbe der Brust, die an der entsprechenden Stelle eine umschriebene H5hlung zeigt, angepresst. Die Ohrregion springt beiderseits stark vor. An den Extremit/iten sind keine abnormen Formen zu bemerken.

Am Scbadel sind an der linken Gesichtsseite reichlich Ver- waehsungsspuren mit dem Amnios in Form rauher, scharf begrenz- ter Leisten und Fl/ichen erkennbar.

Der Sehiidel wurde am tIals vom Rumpf getrennt und in Paraffin eingebettet zur Untersuchung des Centralnervensystems in Serie zcrlegt. Das abnorme Verhalten der linken 0hrmuschel, alas in der Hauptsache vor der Zerlegung in Schnitte beim Zeich- nen des Sch/tdels unter der Lupe erkannt worden ist, ergab sich mit vollst/indiger Deutliehkeit aus der Untersuehung der Schnittserie und der plastischen Reconstruction (Plattenmodell).

Die Ohrmusehel der r e e h t e n Seite misst 2 mm grSsste L~tnge die Ohrbasis 11/2 ram. Die Entfernung" des unteren Endes der Ohrbasis yon der topographisehen Stelle der Spitze betr~tgt gleiehfalls 1 ~/2 mm. Die Hauptfurchen erseheinen schmal~ nahezu

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bis an die Oberfliiehe gesehlossen: es kSnnen deren 3 unter- sehieden werden:

1. Eine vordere, gekniekte Furehe zwischen Helix aseendeus und Crus helieis einerseits, Anthelix und Tragus anderseits.

2. Eine hintere, gleichfalls gekniekte, zwisehen Antitragus einerseits, Anthelix und Trag'us anderseits.

3. Eine kurze, breite Furehe, welche die ungef~hr in der ~Iitte g'eleg'enen Knickungswinkel der beiden genannten Furehen mit einander verbindet und yon Tragus und Anthelix begrenzt wird.

Linke Ohrmusebel des Embryo: [b ~ freie Ohr- falte~ a ~ Scheitelspitze, b ~ Darwin'sche Spitze, T ~ Tragus, ¢ t t ~ Antitragus, H a ~ Helix aseen- dens. Yergr. 2 7 : 1 . Nach einem PlattenmodelI.

Die freie 0hrfalte liisst eine geringe Er- hebung ihres fi'eien Randes erkennen nnd zeigt such nicht die Andeutung einer 0hr- spitze. Da die ein- zelnen W~ilste und Hbcker wenig vor- springen, erseheint die ganze Musehel ziemlich flaeh.

Anderl inkenOhr- musehelverhaltensieh nun die Furehen und die sic begrenzenden HSeker wie reehts, der freie Theil der Ohrmusehel ist abet nicht naeh hinten an

den aus den OhrhSekern hervorgegangenen Theil angesehlossen, sondern erscheint naeh vorne umgelegt (Fig. 1 fo.), sodass die sonst lateralwitrts sehende Flitehe des freien Ohrmuseheltheiles dem Ge- hSrgang zugekehrt und die sonst mediale Fliiehe zur lateralen geworden ist. Dureh dieses Verhalten erseheint die Anthelix voH- standig, die Hetix ascendens theilweise yon der freien Ohrfalte gedeekt, und es sind nur Antitragus, Tragus und Crus helicis (Helix ascendens) unmittelbar ausserlieh siehtbar (s. Abbild.).

Der obere Theil der fi'eien Ohrfalte ist flaeh und dtinn, der untere dick und naeh aussen ein wenig convex vorgewSlbt. Am Helixrand hSrt die Falte ohne Andeutung einer Einrollung

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auf~ der g'anze Absehnitt ist kleiner als der entspreebende der reehten Seite. Allm~lig und ohne scharfen, etwa tier Umbiegungs- stelle entsprechenden Rand geht die ~ussere FlY, the der freien Ohrfalte auf die Kopfoberfl~ehe tiber. Wahrend endlieh rechter- seits, wie oben bemerkt, yon einer Ohrspitze auch nieht die Spur zu sehen ist, sind links sehr deutlich zwei Spitzen ausge- pr~gt: eine vordere, obere und eine hintere obere~ die infolge der abnormen Wachsthumsrichtung der freien Ohrfalte als vordere obere und hintere untere yon einander zu unterseheiden sind. Denkt man sieh den freien Ohrmuseheltheil in normale Lage gebracht~ so ergiebt sieh die hintere, untere Spitze als Darwin- sehe Spitze, die obere~ vordere als Seheitelspitze (Satyrspitze S e h w a l b e ' s (2).

Wenn wit nun nach den Ursachen dieser Missbildung suehen wollen, so muss vor Allem die MSgliehkeit eines Artefacts aus- gesehlossen werden. Das frische Object wurde nach vorsiehtiger. ErSffnung der EihShle als Ganzes in Pikrinsublimat gebracht und der Embryo erst naeh der Behandlung des ~,anzen Objeetes mit Jodalkohot und naeh erfolgter NachhKrtun~, dureh Dureh- trennung tier ~abelschnur der EihShle entnommen. W~hrend der Behanalung des Objects sind daher etwa dureh den Druek einer Pineette oder dg'l. weder die Druekmarken noah die Ohr- musehelverbindunff e n t s t a n d e n . - Die mikroskopische Unter- suchung hat aber gezeigt7 dass sieh der Embryo im Beginn der Maceration befand, und tier sonstige Befund des Falles recht- fertigt die Annahme, dass geraume Zeit vor der Operation der Eiinhalt, naehdem das Ei dutch wiederholte Blutung'en yon seiner Inserfionsstene g'elSst worden war, abgestorben ist. Der todte Embryo war nun~ nur dureh die dtinnen EihUllea geschtltzt, dem Druek des umgebenden Coagulum ausgesetzt, welchem gegeniiber er sieh wie irgend eine plastisehe Masse verhielt. Und als solche Druekeffeete sind die Abflachung und aueh die Deformation des Seb~dels aufzufassen: sic alia sind postmortal entstanden.

Dass abet die Ohrmuschelverbindung gleiehfalls das Erffeb- niss des auf die abgestorbene Frueht seitens des Bluteoagulums ausgetibten Druekes w~re~ glauben wir aussehliessen zu kSnnen. Ein derartiges Ueberschlagen des freien Museheltheiles h~tte sine leiehte Beweglichkeit, wie sie sich im Laufe der Maceration eingestellt haben mag7 zur Voraussetzung; nun aber tragen weder die andere Ohrmusehel noeh die Extremit~ten Spuren einer solehen

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Bewegliehkeit, sondern erseheinen im Gegantheil unter Zugrunde- legung der ursprtingliehen, normalea Lage an den KSrper an- gepresst. Endlich weisen aber die Verkleinerung der freien Ohrfalte gegentiber der der normalen Seite und dig Ausbildung der beidea Spitzen auf eine wahrand des Lebens eatstandene Missgestaltung unzweideutig bin.

So glaubea wir, als die unmittelbare Ursaehe far die Ver- bildung der linken Ohrmusehel dis amuiotisehen VerlSthungen heranziehen zu dtlrfen, deren Spuren an der linken Gesiehtsseite reichlieh und vet allem in tier Umgebung der linken Obrmusahel gefunden worden sind. Diese Verwaehsungen hinderten die freia Ohrfalte, sich in der normalen Richtung und entspreehend zu vergrSssern und liessen ihr nut die Gegend der Ohrwtilste selbst frei, welehe daher im Laufe der VergrSsserung der freien Ohrfalte yon dieser latzteren wenigstens theilweise tlberwaehsen wurden. Mit dieser Wachsthumshemmung h~ingt wahl auch die Verkleinerung der fraien Ohrfalte der linken Seite urs~tehlich zusammen. Ftir die besonders starke Ausbildung der beiden Ohrspitzeu an der linken Ohrmusehel unter votlstandigem Fehlen derselben an der der reehten Seite vermSgen wit keina aueh nur als wahrseheinlieh dankbara Ursache anzugeban. Derartige Seitenungleichheiten werden ja aueh spi~ter und salbst postem- bryonal niaht selten gefunden.

Mermen (l) hat neun extrauterine FrUehte im Alter yon 2l/2--91/2 Monaten untersuebt und eiue unverh~tttnissm~tssig grosse Zahlvon Missgestaltungen (vor AlIem yon solehen der Extremititten) daran naahweisen kSnne,. Er zieht ftir dieses Verhalten zwei i~tiologische Momente heran: Erstlich seien die Waehsthumsbe- dingungeu flir den Foetus in der BauehhShle oder der Tuba ungiinstiger als im Uterus, dam physiologiseh ftir Aufnahme und Ern~hrung bestimmten Organ, zweitens entbehre die extrauterine Frucht dig sehtitzende Htllle, welehe sonst der Uterus far sic abgiebt.

Dass umsehriebene Verwaehsungea der Embryooberflaehe mit dem Amuios ziemlieh baufig als Ursacbe yon Missbildungen anzusehen sind, ist bekannt, wenn es aueh nieht immer, wie in unserem Fall, gelingt, Spuren dcr Verwaehsung naehzuweisen. Als Ursaehe fur dis Verwaehsungen selbst kSnnten in unserem Fall die Blut ungen gedaeht warden. Sie fandea in einen ge- sehlossenem Raum statt, der auch das Ei enthielt, und haben sich, wie das mikroskopisehe Bild der Coagulumwand lehrt,

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5fret wiederholt, sie fUhrten zu einer Compression des Eies und unter allmiiliger AblSsung desselben yon der Insertionsstelle zum Fruehttod. Die Compression mug noeh w~hrend des Lebens als meehaniseher Insult die umsehriebenen Verklebungen der Embryooberflttehe mit dem Amnios verursaeht baben:

Der Ohrbefund selbst ist yon Bedeutung, weil derartige Be. funde in verhitltnissm~issig so jungen Embryonalstadien zu grossen Seltenheiten gehSren~ und well die gleichzeitig vorhandenea amniotiseher~ Verwaehsungsspuren auf den meehanisehen Einfluss solcher Verwachsungen auf die Entstehung yon 0hrmissbildungen hinweisen.

Li tera tur . 1. M e n n e n , Missbildungen des Foetus bei Extrauterinschwangerschaft.

Arbeiten a. d. pathol. Iustitut in Miiuchen. Stuttgart 1886. - - 2. S c h w a l b e G., Lehrbuch der Sinnesorgane. Erlangen 1887.