1
Chirurg 2013 · 84:698 DOI 10.1007/s00104-013-2571-3 Online publiziert: 19. Juni 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 H. Dralle Medizinische Fakultät, Universitätsklinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie,   Universitätsklinikum Halle, Halle (Saale) Ultraschalldiagnostik der  Stimmlippenbeweglichkeit vor  Schilddrüsenoperationen? Hintergrund und Fragestellung Die prä- und postoperative laryngoskopi- sche Untersuchung der Stimmlippenbe- weglichkeit vor und nach Schilddrüsen- und Nebenschildrüsenoperationen ist fes- ter Bestandteil der Diagnostik und Quali- tätskontrolle. In der letzten Zeit wird ver- mehrt darüber diskutiert, ob die Beurtei- lung der Stimmlippen(SL)-Beweglich- keit anstelle der fiberoptischen Laryngo- skopie auch mit vergleichbarer Genauig- keit sonographisch durchgeführt werden kann. Dies würde für den Patienten eine Erleichterung bedeuten, da die Sonogra- phie weniger belastend ist als die Laryn- goskopie. Darüber hinaus wäre es als eine Entlastung von zahlreichen Routinelaryn- goskopien anzusehen und könnte quasi „bedside-mäßig“ vorgenommen werden. Methoden In 2 Untersuchungsphasen wurden ins- gesamt 463 Patienten vor Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenoperationen hin- sichtlich ihrer SL-Beweglichkeit sonogra- phisch untersucht. In der ersten Phase er- folgte sowohl eine Laryngoskopie als auch eine Ultraschalluntersuchung (n=114). In der zweiten Phase wurde eine Laryngo- skopie nur in den Fällen durchgeführt, bei denen im Ultraschall eine pathologi- sche SL-Beweglichkeit festgestellt wurde, wenn die SL-Beweglichkeit nicht hinrei- chend zu beurteilen war oder wenn auf- fällige Stimmsymptome vorlagen. Ergebnisse In der ersten Phase konnte bei 93 Patien- ten (82%) ein Ultraschallbefund erhoben werden. Bei 21 Patienten war die SL-Be- weglichkeit nicht ausreichend zu beurtei- len. Zwei der 93 Patienten hatten eine – auch laryngoskopisch bestätigte – Rekur- rensparese (RP; 2,2%). In der zweiten Phase konnte bei 349 von insgesamt 415 Patienten (84%) die SL-Beweglichkeit beurteilt werden. Bei einem der mit Ultraschall nicht ausrei- chend zu beurteilenden Patienten (1/66) wurde laryngoskopisch eine klinisch asymptomatische RP nachgewiesen. Vier der 349 sonographisch untersuchten Pa- tienten (1,5%) hatten eine abnorme SL-Be- weglichkeit mit laryngoskopisch bestätig- ter RP. Bei keinem der 345 Patienten mit sonographisch normaler SL-Beweglich- keit wurde eine RP nachgewiesen. Insge- samt 56 der 345 Patienten hatten auffällige Stimmsymptome, ohne dass laryngosko- pisch eine RP vorlag. Diskussion und Fazit Die Untersuchung bestätigt an einem  umfangreichen Krankengut frühere Er- gebnisse anderer Arbeitsgruppen [1],  die ebenfalls zeigen konnten, dass die  sono  graphische Diagnostik der SL-Be- weglichkeit geeignet ist, bei ausreichen- der Beurteilbarkeit und normaler Be- weglichkeit auf die aufwendigere und  belastendere fiberoptische Laryngo- skopie verzichten zu können. Der Anteil  der Patienten, bei denen weiterhin eine  Laryngoskopie erforderlich ist, liegt in  der vorliegenden Untersuchung bei ins- gesamt 34% (16,5% wegen unzureichen- der sono  graphischer Beurteilbarkeit,  1,5% wegen sonographisch abnormer  SL-Beweglichkeit, 16,2% wegen Stimm- symptomen). Das heißt, bei etwa zwei  Drittel der Patienten konnte die SL-Be- weglichkeit sonographisch ohne Quali- tätsverlust (keine RP bei sonographisch  eindeutig nachweisbarer intakter SL-Be- weglichkeit) beurteilt werden. Aufgrund der bislang zu dieser   Methode  vorliegenden Untersuchungen be- steht hinreichend Grund, durch   weitere  Studien zu prüfen, ob die Ultraschall- untersuchung der SL-Beweglichkeit bei  Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsen- operationen die Routine-Larnygosko- pie nicht nur präoperativ, sondern auch  postoperativ ersetzen kann. Vorausset- zung hierfür ist, dass keine auffälligen  Stimmsymp  tome vorliegen und der Ul- traschall eindeutig eine normale SL-Be- weglichkeit zeigt. Zur Abklärung laryn- gealer Ursachen von Stimmstörungen  und Funktionsstörungen der Stimmlip- pen ist der Ultraschall aus methodischen  Gründen nicht geeignet. Korrespondenzadresse Prof. Dr. Dr. h.c. H. Dralle Medizinische Fakultät, Universitätsklinik   für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie,  Universitätsklinikum Halle, Ernst-Grube-Str. 40, 06097 Halle (Saale) [email protected] Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor  gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur   1.  Dedecjus M, Adamczewski Z, Brzezinski J et al  (2010) Real-time, high-resolution ultrasonogra- phy of the vocal folds – a prospective pilot study in  patients before and after thyroidectomy Langen- becks. Arch Surg 395:859–864 Originalpublikation Cheng SP, Lee JJ, Liu TP et al (2012) Preope- rative ultrasonography assessment of vocal  cord movement during thyroid and parathy- roid surgery. World J Surg 36:2509–2515 698 | Der Chirurg 8 · 2013 Journal Club

Ultraschalldiagnostik der Stimmlippenbeweglichkeit vor Schilddrüsenoperationen?

  • Upload
    facs

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Chirurg 2013 · 84:698DOI 10.1007/s00104-013-2571-3Online publiziert: 19. Juni 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

H. DralleMedizinische Fakultät, Universitätsklinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie,  

Universitätsklinikum Halle, Halle (Saale)

Ultraschalldiagnostik der Stimmlippenbeweglichkeit vor Schilddrüsenoperationen?

Hintergrund und Fragestellung

Die prä- und postoperative laryngoskopi-sche Untersuchung der Stimmlippenbe-weglichkeit vor und nach Schilddrüsen- und Nebenschildrüsenoperationen ist fes-ter Bestandteil der Diagnostik und Quali-tätskontrolle. In der letzten Zeit wird ver-mehrt darüber diskutiert, ob die Beurtei-lung der Stimmlippen(SL)-Beweglich-keit anstelle der fiberoptischen Laryngo-skopie auch mit vergleichbarer Genauig-keit sono graphisch durchgeführt werden kann. Dies würde für den Patienten eine Erleichterung bedeuten, da die Sonogra-phie weniger belastend ist als die Laryn-goskopie. Darüber hinaus wäre es als eine Entlastung von zahlreichen Routinelaryn-goskopien anzusehen und könnte quasi „bedside-mäßig“ vorgenommen werden.

Methoden

In 2 Untersuchungsphasen wurden ins-gesamt 463 Patienten vor Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenoperationen hin-sichtlich ihrer SL-Beweglichkeit sonogra-phisch untersucht. In der ersten Phase er-folgte sowohl eine Laryngoskopie als auch eine Ultraschalluntersuchung (n=114). In der zweiten Phase wurde eine Laryngo-skopie nur in den Fällen durchgeführt, bei denen im Ultraschall eine pathologi-sche SL-Beweglichkeit festgestellt wurde, wenn die SL-Beweglichkeit nicht hinrei-chend zu beurteilen war oder wenn auf-fällige Stimmsymptome vorlagen.

Ergebnisse

In der ersten Phase konnte bei 93 Patien-ten (82%) ein Ultraschallbefund erhoben werden. Bei 21 Patienten war die SL-Be-weglichkeit nicht ausreichend zu beurtei-len. Zwei der 93 Patienten hatten eine – auch laryngoskopisch bestätigte – Rekur-rensparese (RP; 2,2%).

In der zweiten Phase konnte bei 349 von insgesamt 415 Patienten (84%) die SL-Beweglichkeit beurteilt werden. Bei einem der mit Ultraschall nicht ausrei-chend zu beurteilenden Patienten (1/66) wurde laryngoskopisch eine klinisch asymptomatische RP nachgewiesen. Vier der 349 sonographisch untersuchten Pa-tienten (1,5%) hatten eine abnorme SL-Be-weglichkeit mit laryngoskopisch bestätig-ter RP. Bei keinem der 345 Patienten mit sonographisch normaler SL-Beweglich-keit wurde eine RP nachgewiesen. Insge-samt 56 der 345 Patienten hatten auffällige Stimmsymptome, ohne dass laryngosko-pisch eine RP vorlag.

Diskussion und Fazit

Die Untersuchung bestätigt an einem umfangreichen Krankengut frühere Er-gebnisse anderer Arbeitsgruppen [1], die ebenfalls zeigen konnten, dass die sono graphische Diagnostik der SL-Be-weglichkeit geeignet ist, bei ausreichen-der Beurteilbarkeit und normaler Be-weglichkeit auf die aufwendigere und belastendere fiberoptische Laryngo-skopie verzichten zu können. Der Anteil der Patienten, bei denen weiterhin eine  Laryngoskopie erforderlich ist, liegt in der vorliegenden Untersuchung bei ins-gesamt 34% (16,5% wegen unzureichen-der sono graphischer Beurteilbarkeit, 

1,5% wegen sonographisch abnormer SL-Beweglichkeit, 16,2% wegen Stimm-symptomen). Das heißt, bei etwa zwei Drittel der Patienten konnte die SL-Be-weglichkeit sonographisch ohne Quali-tätsverlust (keine RP bei sonographisch eindeutig nachweisbarer intakter SL-Be-weglichkeit) beurteilt werden.Aufgrund der bislang zu dieser  Methode vorliegenden Untersuchungen be-steht hinreichend Grund, durch  weitere Studien zu prüfen, ob die Ultraschall-untersuchung der SL-Beweglichkeit bei Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsen-operationen die Routine-Larnygosko-pie nicht nur präoperativ, sondern auch postoperativ ersetzen kann. Vorausset-zung hierfür ist, dass keine auffälligen Stimmsymp tome vorliegen und der Ul-traschall eindeutig eine normale SL-Be-weglichkeit zeigt. Zur Abklärung laryn-gealer Ursachen von Stimmstörungen und Funktionsstörungen der Stimmlip-pen ist der Ultraschall aus methodischen Gründen nicht geeignet.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Dr. h.c. H. DralleMedizinische Fakultät, Universitätsklinik  für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Halle,Ernst-Grube-Str. 40, 06097 Halle (Saale)[email protected]

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

  1.  Dedecjus M, Adamczewski Z, Brzezinski J et al (2010) Real-time, high-resolution ultrasonogra-phy of the vocal folds – a prospective pilot study in patients before and after thyroidectomy Langen-becks. Arch Surg 395:859–864

Originalpublikation

Cheng SP, Lee JJ, Liu TP et al (2012) Preope-rative ultrasonography assessment of vocal cord movement during thyroid and parathy-roid surgery. World J Surg 36:2509–2515

698 |  Der Chirurg 8 · 2013

Journal Club