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OKT.14 Unter Strom

Unter Strom - loopzeitung.ch14. Okt. pulp.noir live Soundtrack zum Film 15. Okt. Stereophonic Space Sound 21. Okt. Sun & Rainbow feat. Asep Stone 22. Okt. Whistler & Hustler (Rusconi/Lüchinger)

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OKT.14

Unter Strom

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EINSCHLAUFENErinnern Sie sich noch an die Neunzigerjahre? Damals, als in leeren Agglomerations-Industrie-hallen zwiespältige Megaraves gefeiert wurden? Damals, als die italienischen Grossraumdiscos allmählich an Bedeutung verloren, weil eine Reise auf die «Balearischen» dann doch billiger war und die Hit-Strähne des Hans-Jörgs, besser bekannt als Giovanni-Giorgio, allmählich ein Ende fand? Damals, als Rollschuhe auch in der Provinz zu Rollerblades wurden und man seine Angebeteten fragen konnte: «Rollerblade with me / I will you show you the road»? Nun, diese süssen Erinnerungen sind nur mehr schumm-rig präsent im zunehmend hinfälligen Memoi-renspeicher. Was haben wir nur getan in jener verlorenen Zeit, auf deren Suche wir uns immer wieder begeben?Da geht auch gerne vergessen, dass der Ge-schäftszweig namens Musikindustrie einst tol-le Budgets aufstellen und diese auch stemmen konnte. Doch wie die Zeiten, oh, oh, ändern sich auch die Budgets. Eine Ahnung, wie lang eine solche Payroll sein kann, gibt das Cover zur neuen Platte unseres Coverhelden. Aphex Twin listet auf dem Umschlag zu «Syro» penibel auf, welche Budgetposten und Kosten mit einer, nun ja, üppig vermarkteten Weltweit-Produktion heutzutage verbunden sind. Da braucht es «Re-freshments» und Mittagessen für das Promo-Team der «Album Listening Party» in Paris, genügend Bandbreite für all die Promo-Streams,

Impressum Nº 08.14DER MUSIKZEITUNG LOOP 17. JAHRGANG

P.S./LOOP VerlagPostfach, 8026 ZürichTel. 044 240 44 25, Fax. …27www.loopzeitung.ch

Verlag, Layout: Thierry [email protected]

Administration, Inserate: Manfred Mü[email protected]

Redaktion: Philippe Amrein (amp), Benedikt Sartorius (bs), Koni Lö[email protected]

Mitarbeit: Reto Aschwanden (ash), Yves Baer, Thomas Bohnet (tb), Pascal Cames (cam), Harald Fette (hu), Christian Gasser (cg), Michael Gasser (mig), Tara Hill, Albert Kuhn, Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl), Mathias Menzl (men), Tobi Müller, Philipp Niederberger, Bjørn Schaeffner, Adrian Schräder, Miriam Suter (mis)

Druck: NZZ Print, Schlieren

Das nächste LOOP erscheint am 30.10.2014 Redaktions-/Anzeigenschluss: 28.10.2014

Ich will ein Abo: (Adresse)10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz).LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, Postfach, 8026 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected]

Betrifft: Auf der Suche nach der verzerrten Zeit

Online-Werbung in Norwegen und Dänemark und Deutschland und Belgien, Werbung in Fach-magazinen, Weihnachts-Aktionen in Japan, Rei-sen für einfliegende Journalisten (darunter auch die Zeile «Travel from Italy to London for one journalist»), Gipfeli fürs Label-Büro, weitere «Refreshments» für die Listening-Party in New York, London, noch mehr Bandbreiten, noch mehr Reisekosten undsoweiter. Buchhalterisch veranlagte Ordnungsfanatiker freuen sich über diese feinsäuberliche Ordnung der Dinge, die Freunde des DIY bestellen erstmal ein Bier, und die Rolling Stones verlassen mit ihrem Privat-Jet die Erde. Zurück bleibe ich als Teil einer enttäuschten Herde, doch immerhin mit meiner unschätz-baren Plattensammlung, und krame eine Test-pressung mit der Aufschrift LFO vs. Fuse und dem Signet des nordenglischen Labels Warp her-vor. Ich lege das rare Vinyl auf, und der Track «Loop» erklingt aus den Lautsprechern. Die gute Stube verwandelt sich während der acht-einhalbminütigen Spieldauer in eine die Zeit verzerrende Kapsel, in der alles enthalten ist: die Euphorie und Melancholie, der Schweiss und abgestandene Zigarettenrauch, die überzucker-ten Misch-Getränke und kosmisch wirkenden Drogen, und natürlich immer noch ein schönes Stück Zukunft. Kommt mit!

Guido Moroder

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Das Berghain in Berlin ist seit zehn Jahren einer der berühm-testen Clubs der Welt, gerade weil ihm die DJs nach wie vor wichtiger sind als die Celebri-ties. Es ist beeindruckend, vor diesem Bau zu ste-hen, der seit zehn Jahren das Berghain behei-matet. Diese Mischung aus Betonbrutalismus und sozialistischer Einschüchterungsästhetik! Genau so hoch wie die Wände türmen sich die Mythen über sexuelle Entgrenzung, über den Darkroom und über Frauenlaute in den Unisextoiletten. Das meiste ist Seemanns-garn, erdacht von Jour nalisten ohne Land-gang. Sicher ist: Man spricht vom weltweit berühmtesten Club. Als die Ausstellung zum 10-Jahr-Jubiläum im August eröffnet wurde, war die Schlange noch länger als an einem Clubabend. Länger als bei Blockbustern in der Neuen Nationalgalerie oder im Neuen Museum sowieso. Angehörige der Kulturelite rollen schon müde die Augen, wenn sie wieder einen aus-ländischen Gast ins Berghain schleusen sol-len. Selbst Politiker rufen an, um Begleitung in eins der drei wichtigsten Kulturhäuser der Stadt zu or ganisieren. Staatsoper, Philharmo-nie: Kann man mit Geld oder Status regeln. Komplizierter ist es, in den Technotempel zu kommen: Auch Celebrity oder Silikon nützen nicht immer.

DIE HÄRTESTE TÜR BERLINS

Wenn man endlich drin ist in der Jubiläums-ausstellung, sieht man Arbeiten von Künst-lern aus dem Berghain-Umfeld. Wie etwa vom Zeichner Marc Brandenburg, der früher am Tresen arbeitete. In der Ausstellung be-treibt er einen Kiosk und verkauft Vorlagen für Täto wie rungen – abwaschbare allerdings. Entspannter kann man mit der Marke Berg-hain nicht umgehen: Jeder starke Tresenar-beiter trägt hier Tattoos, und Brandenburg verkauft nun die Anleitung zum Coolsein. Ob man mit diesem Accessoire die Schwelle leichter passiert? Jeder weiss es, das Berghain hat die härtes-te Tür Berlins. Sven Marquardt, der Chef-Türsteher, war schon in Talkshows, während die Besitzer keine Interviews geben. Jetzt hat er seine Autobiografie veröffentlicht. An-genehm, weil unprahlerisch: «Die Nacht ist Leben», wie die Memoiren heissen, hält sich nicht lange mit der sagenumwobenen Türpo-litik auf. Noch nicht mal vom Club ist viel zu lesen. Man erfährt stattdessen einiges über die Boheme in Prenzlauer Berg, jenem Stadt-teil, der zu DDR-Zeiten verfiel und heute zu den teuersten Lagen zählt. Da steckt viel

WER FOTOGRAFIERT, FLIEGTNostalgie drin, so wie in Marquardts Foto-grafien: Dort werden Randständige als rand-ständig ästhetisiert, die keine Rand ständigen mehr sind – das wären heute Flüchtlinge, nicht gezupfte Berliner mit tollen Tattoos. Allerdings: Wer gut 50 Jahre Berliner Nacht- und Kulturleben auf dem Buckel hat wie Marquardt, kann von extremen Veränderun-gen berichten. Und die Ost identität ist auch für das Berghain nach wie vor wichtig. Der Vorgängerclub hiess Ostgut, wie heute noch das Label, auf dem knochentrockener Tech-no erscheint. Doch wie avancierte ein Tech-noclub homosexueller Prägung zur begehr-testen Adresse Berlins? Die Antwort ist nicht allein in den Mauern dieses ehemaligen Heiz-kraftwerks zu finden. Schwulsein ist heute eine sexuelle Orientierung, aber nicht immer gleich ein Thema; Tätowierungen trägt auch der Beamte aus dem Umland; und Berlin wurde dank Billigflügen, Hostels und Gelas-senheit in Moralfragen zur Feier metropole. Als die Love- und Busen- Paraden verschwan-den, ging Techno erst richtig um die Welt. Das Berg hain ist Teil dieser Entwicklungen. Und hat doch ein paar Dinge besser gemacht.

STRENGE TANZMUSIK

Während man in manchen Clubs kaum mehr tanzen kann, weil Selfie-knipsende Touristen-gruppen im Weg stehen, fliegt im Berghain umstandslos raus, wer fotografiert. Die Stren-ge ist Teil der Inszenierung, vom Raum bis zur Musik: dutzendmeterhohe Wände und Trichter aus Beton, harter Techno, exzellenter Klang trotz hoher Lautstärke. Man muss im Soundgewitter die Eleganz der Bumm musik erst hören lernen. Die DJs machen keine Konzessionen an den Mehrheitsgeschmack, der im Techno zu so formelhaften Resultaten führen kann wie im Musikantenstadl. Doch auch das Berghain hat sein Angebot verbreitert. Unter der Woche zeigen Kon-zertreihen avantgardistische Popmusik zu bürgerlichen Tageszeiten. Man flirtet mit der Hochkultur, wenn Stars aus der Staatsoper in den Bunker kommen. Lange Zeit arbeitete man auch am Kubus: In der Halle hinter dem Berg hain hätte ein Ort für 2000 Zuschauer entstehen sollen, der solche Verbindungen forciert hätte. Nach fast zwei Jahren waren die Auflagen zu gross, der Stahl für das neue Dach zu teuer. In dieser kaum berührten, nur entkernten Halle hatte der Maler Norbert Bisky im Som-mer 2013 einen Bühnenboden für das Ballett «Masse» entworfen. Vier junge Choreogra-fen zeigten mit dem Staatsballett ihre Stücke zu Techno. In der Jubiläumsausstellung wird dieser Boden zum Tänzer: Zwei riesige Pla-nen drehen sich um sich selbst, ein einsamer Pas de deux mit Teppich. Die Masse steht draussen an. Die Stars des Abends: der Name Berghain, der Baustoff Beton und ein unter-gegangenes Land, das die Zukunft zu kennen glaubte.

Tobi Müller

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Sonntag 05. Oktober 19Uhr19

GIIGESTUBETE

Samstag 04. Oktober 21Uhr21

URBAN JUNIOR & FRIENDS

Samstag 11. Oktober 20Uhr20

HELLDORADOSamstag 18. Oktober 20Uhr20

HELL’S KITCHEN

Montag 06. Oktober 20Uhr20

MICK HARVEY

Montag 27. Oktober 20Uhr20

TAMIKREST

Dienstag 21. Oktober 20Uhr20

CHLOE CHARLESSonntag 26. Oktober 20Uhr20

TOM FREUND

Gessner-Allee 11 - 8001 Zurigo IsolaINFO + TICKETS AUF: www.ellokal.ch

+ MORAN

L.ALT

RO.ch

ewz.stattkino.com13. – 26. Oktober 2014

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Filme mitLive Music Shows

14. Okt. pulp.noir live Soundtrack zum Film15. Okt. Stereophonic Space Sound

21. Okt. Sun & Rainbow feat. Asep Stone22. Okt. Whistler & Hustler (Rusconi/Lüchinger)

23. Okt. DJ Clovis live Soundtrack zum Film24. Okt. Big Band Connection

SZENE

NEW SCHOOL, BABYIn Europa zählen Techno und House quasi zur Weltkultur. Global haben sie sich aber erst in den letzten Jahren durchgesetzt. Die Szenen sind diversifiziert, die Partys professionell, die Stimmung abgeklärt. Eine Bilanz.

Ein Warehouse in Bethnal Green, Ostlondon. An Wochen-enden finden im Oval Space unter anderem die gut frequen-tierten «Secretsundaze»-Partys statt. Regelmässig wum-mern hier auch mittwochs in aller Früh die Bässe. Bloss, Alkohol wird nicht ausgeschenkt, dafür gibts Smoothies. Ein DJ legt House auf, Animatoren hüpfen neben dem Pult, Tänzer schwitzen in grellen Outfits. Die Leute kommen, um sich für den Business-Alltag in Form zu bringen. Pfunde sollen purzeln, Glückshormone hüpfen.Als «Conscious Clubbing» umschreiben die Organisatoren ihre sterilen Pre-Work-Partys. House steht neuerdings auf dem Selbst-Optimierungs-Menü der gestressten Grossstäd-

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NEW SCHOOL, BABY

ter-Seele. Wie Stand-Up-Paddling oder Achtsamkeitsmedi-tation. Viel Wasser ist die Themse hinuntergeflossen, seit die Rave-Bewegung 1988 in London lostanzte. In Europa sind Techno und House schon lange Allgemeingut. Das, was man einst «Dance» nannte, hat sich in den letzten fünf Jahren auch global etabliert. Die Szene ist grösser und viel-fältiger geworden, auch abgebrühter.Der Party-Tourismus boomt, nicht nur in den Kellern von Berlin oder den Palästen von Ibiza, sondern auch in Kro-atien, Mexiko oder Tunesien. Immer mehr Club-Festivals wie das «Dekmantel» in Amsterdam bündeln eine Quali-tät, wie sie in dieser Dichte bisher selten war. Moritz von Oswald, Jeff Mills, DJ Koze, Robert Hood, Andrew Wea-therall, Daphni aka Caribou oder DJ Harvey spielten im Sommer 2014 im niederländischen Hafenbecken. Und sie sind nur das Sahnehäubchen des Line-Ups. Die übrigen Festival-Acts? Zählen genauso zur Crème de la Crème.

SPÄTZÜNDER USA

Als diesen Frühling Frankie Knuckles verstarb, einer der Gründerväter von House, schrieb auch Präsident Barack Obama Trauergrüsse. Im Mai wurde in New York mit Brim-borium das Vermächtnis von Knuckles’ Weggefährte Larry Levan gefeiert: dem Pionier-DJ des Pionier-Clubs Paradise Garage. Im Geburtsland von Disco, House und Techno, wo Klubkultur eine halbe Ewigkeit ein Schattendasein neben Rock und Rap gefristet hatte, ist sie nun willkommen. Sogar eine Zeitschrift wie der «New Yorker», der den Sound jah-relang überhört hatte, veröffentlicht eine Reportage über das «Berghain», den berühmten Berliner Techno-Tempel. In ge-wohnt epischer Länge, auch wenn der Text gefühlte fünf Jah-re zu spät kam. Für die Käuferschaft an der Upper East Side liest sich das nun wie ein Beginner’s Guide to Berlin Techno.Überhaupt wird so viel geschrieben und gefilmt über Tech-no wie nie zuvor. Das englischsprachige Portal Resident Ad-visor, das sich Qualitätsjournalismus aufs Banner schreibt, hat monatlich über zwei Millionen Besucher – Tendenz seit Jahren steigend. Bestsellerautor Sven Regener siedelt seinen Roman «Magical Mistery» – den dritten Teil seiner «Herr Lehmann»-Saga – im Clubmilieu an: inmitten einer «Hand-voll ziemlich verrückter Techno-Freaks». Arte strahlte im Sommer zum angeblich «25. Geburtstag» drei Dokumenta-tionen über Techno aus. Darunter auch eine Dokumentati-on über den deutschen Disco-Sonderfall: Wie zur Zeit des Mauerfalls in Berlin Techno als originär deutsche Pop-Kultur gedeihen konnte. Der Blick auf diese unschuldigen Gründer-tage fasziniert. Zumal den Clubber von heute, der sich in einer durch und durch professionalisierten Szene bewegt.

Das Internet hat den Siegeszug der Lingua franca Techno be-schleunigt. Streaming-Dienste wie Boiler Room senden ihre Live-DJ-Sets aus dem Londoner Untergrund in die mongoli-sche Steppe.

AUFLEGEN ALS KINDERSPIEL

In Südamerika, wo Vinyl kaum erhältlich und für die meis-ten unerschwinglich war, haben die verschiedenen Down-load-Portale eine ernstzunehmende DJ-Kultur erst möglich gemacht. Auf Facebook tauschen sich Liebhaber in ge-schmacklich gleichgeschalteten Zirkeln aus; und da passiert es schon einmal, dass man plötzlich mit dem persönlichen Vorbild fachsimpelt.Wer möchte, kann schnell mittun im Techno-Metier. Tools wie Ableton haben das Beat-Basteln vereinfacht. Technisch ist das Auflegen ein Kinderspiel geworden, weil das Justie-ren von Tempi und Harmonien auf Wunsch der Computer erledigt. Ob allem Komfort soll es sogar schon Exponen-ten geben, die vergessen haben, dass es zum Auflegen einen Kopfhörer braucht. Auch die DJs, die sich jahrelang durch Berge von Vinyl gegraben haben, wurden überrumpelt. Mit einer App wie Shazam lassen sich im Club fast alle Tracks ausfindig machen und über die Online-Datenbank Discogs flugs die jeweiligen Platten bestellen. Das Geheimwissen der alten Garde, es lässt sich heute entschlüsseln. Getreu der De-vise: Demokratisierung, Pluralisierung, Masse.Den individuellen Entfaltungsmöglichkeiten dieser «classe éléctronique» sind heute kaum Grenzen gesetzt. Die einen brauchen dafür nicht viel mehr als etwas Server-Platz bei ei-nem Anbieter wie Soundcloud. Andere treibt die Sehnsucht nach dem Analogen, nach der Wertigkeit um. Sie bauen sich modulare Synthesizer-Systeme zusammen, verschicken sieb-gedruckte Flyer, mixen mit dem klassischen Disco-Rotary-Mixer oder bringen ihr Vinyl in Kleinstauflagen unter die Leute.

QUALITÄT UND EINHEITSBREI

Weil endlos Techno und House produziert wird, ergiesst sich eine Flut von Produktionen über die geneigte Gemeinde. Da ist viel Einheitsbrei, aber eben nicht nur. Qualitätsbewusst-sein und Kennerschaft machen Schule. Weswegen man im Plattenladen mit der Qual der Wahl zu kämpfen hat. Und eine ungeheure stilistische Vielfalt ist auf allen Kanälen ab-rufbar: Von No Wave zu Ghetto House über Neo-Jungle hin zu polnischen Disco-Edits.Wahrlich, ein Schlaraffenland. Und nicht erst eine «Tanz dich frei»-Demo in Bern zeigte vor zwei Jahren, wie popu-

lär Minimal oder Deep-House hierzulande bei den heute 20-Jährigen sind. Die naiv-optimistische Party-Parole erinnerte ein wenig an die Neunziger-Jahre-Thesen von der «ravenden Gesellschaft», die ein «do what you want to do» zum Glücksprinzip erhob. Auch Gymnasiasten, die aus ge-sampelten Klängen von Kü-chengeräten Techno-Tracks formen, sind keine Selten-heit mehr. Ob sie von der Musique concrète gewusst haben? Das Gros der Kids will einfach gute Partys ha-ben. Deshalb nimmt Techno eine zentrale Stellung im Le-ben vieler Jugendlichen ein.

ÄCHZEN IN DER SZENE

Natürlich könnte man heu-te auch über allerlei jam-mern: darüber zum Beispiel, dass diverse Vinyl-Vertrie-be, lokale Plattenläden und altgediente Szene-Magazine vielerorts dichtmachen müssen. Das Ächzen in der Szene ist gross, auch über DJ-Zentrismus, horrende Gagen, unterkühlte ergo über-coole Dancefloors, blitzende Smartphones im Club. Man mag zu Recht beklagen, dass vieles zu proper ist, zu seicht, zu kommerziell. Und das ist auch kein Wunder bei der Popularität. Techno aber, einst belächelt und immer wieder auch totgesagt, ist heute so flott unterwegs wie nie zuvor.

Bjørn Schaeffner

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DER ROSINENBOMBERNach über einem Jahrzehnt Funkstille veröffentlicht Richard D. James unter seinem berühmtestem Alter Ego Aphex Twin das Album «Syro». Dass dieses Comeback-Werk runtergeht wie bitter-süsser Sirup, überrascht nun allerdings sogar seine treusten Claqueure. Warum eigentlich?Wer Mitte der Neunziger gerne spätnachts MTV sah, dem dürfte das wohl unheimlichste Musikvideo der Dekade leb-haft in Erinnerung sein: Im Mini-Horrorepos des Regisseurs Chris Cunningham lässt eine Oma ihren Kampfhund vor desolater Hochhaus-Kulisse auf einen kaputten Fernseher pinkeln – und erweckt dabei unter dröhnendem Industrial-Noise und Breakbeats-Salven nicht nur einen kreischenden, dämonischen Dschinn zum Leben, sondern auch eine alp-traumhafte, destruktive Kinderarmee, deren Mitglieder alle dasselbe, teuflisch grinsende Gesicht kennzeichnet.Hinter dem Breakcore-Schocker «Come to Daddy» (1997) steckte Richard D. James, dessen Alias Aphex Twin bereits zuvor zu einer Art mythischem Schreckgeist der elektro-nischen Musikszene mutiert war. James’ sardonisches Lä-cheln wurde zum Markenzeichen, das als fiese Fratze einer immer stärker dem Personenkult verfallenen Techno-Bewe-gung Paroli bot. Aphex Twin wurde zu einer Art postmo-dernen Grinse-Katze, deren Antlitz sich unerwartet immer wieder aufs Neue in experimentellen Sound-Entwürfen manifestierte, und der mit seiner unerschrockenen Aben-teuerlust seinem Stammlabel Warp auch das passend ambi-valente Janus-Gesicht verlieh.

RÜCKKEHR DANK DEN FANS

So plötzlich, wie er zu Welterfolg aufgestiegen war, ver-schwand James wieder in der selbstgewählten Anonymität und liess nach seinem letzten offiziellen Album «Drukqs» (2001) nur noch vereinzelt durch Releases auf seinem eige-nen Rephlex-Label aufhorchen. Erst eine äusserst erfolgrei-che Crowdfunding-Kampagne, die sich im letzten Jahr für die digitale Distribution einer Vinyl-Testpressung des nie erschienenen «Caustic Window»-Albums (1994) einsetzte, veranlasste den exzentrischen Künstler, seine Abkehr vom Musikbusiness zu überdenken. «Ich war von der Aktion wirklich gerührt», gibt James in einem aktuellen Interview des Musikportals Pitchfork zu: Der 43-jährige, mittlerweile selber zweifacher Daddy und in zweiter Ehe in einem ab-gelegenen Weiler in Schottland hausend, hätte erst dadurch realisiert, wie viel Interesse nach wie vor an seiner Musik bestehe.Als Ende August plötzlich Gerüchte um ein neues Album die Runde machten, kannte die Hysterie im Netz kaum mehr Grenzen. So euphorisch die Spekulationen um den geleakten Albumtitel «Syro» vorab ins Kraut schossen, so verhalten fiel allerdings die bisherige Reaktion auf den Re-lease selbst aus. Zwar erhielt das erste Aphex-Twin-Album seit 13 Jahren auf fast allen Musik-Portalen Bestnoten, doch in den Rezensionen schien die Verunsicherung der Kritiker spürbar: denn so retro-orientiert, wie das neue Werk anmu-tet, hat man James garantiert noch nie gehört.

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EIN TROJANISCHES PFERD

Ist das ehemalige Enfant terrible etwa altersmilde gewor-den? Vielleicht. Vielleicht versteht es James aber auch schlicht wie kein Zweiter, seine eigenen Akzente völlig trendunabhängig zu setzen – und verweigert sich damit einer Gegenwart, in der immer mehr EDM- und Dubstep-Produzenten in ihrer krampfhaft lärmigen Attitüde wie die zynische PR-Parodie eines Aphex Twin daherkommen. Bei genauer Betrachtung bleibt nämlich auf «Syro» von der selbstironisch angekündigten «Smugness» wiederum wie so oft bald nur noch das altbekannt feixende Lächeln üb-rig: Die vermeintlich strahlende Erleuchtung dieses Reife-zeugnisses wirkt bei mehrmaligem Hören zunehmend ra-dioaktiv, und es schleicht sich der Verdacht ein, dass der selbsterklärte Möchtegern-Rattenfänger am Steuerknüppel hinter dem unspektakulär nach Studio-Equipment benann-ten Titel tatsächlich ein alles andere als leichtverdauliches, trojanisches Pferd versteckt.Insbesondere der letzte Track «Aisatsana» – rückwärts für seine russische Ehefrau Anastasia – klingt gar wie eine Art melancholischer Epilog einer Szenen-Karriere, deren der Künstler längst überdrüssig geworden ist: wie ein Rosi-nenbomber, der ein aufmunterndes Geschenk abwirft, um von der totalen Tristesse der Umgebung abzulenken. Ist das in seinem subversiven Geist die Gehörgänge umschmei-chelnde, bittersüsse Werk also vielleicht vielmehr eine Art Requiem?

«BESCHRÄNKT INNOVATIV»

Nicht umsonst hatte der «Melody Maker» Richard D. James einst zum «Mozart des Techno» ernannt. Doch eine Totenmesse wäre dies, wenn überhaupt, wohl nur für sein Aphex-Twin-Alias selbst – eine Figur, die er sowieso nur noch für «beschränkt innovativ» hält, und an deren Stelle er bald endlich wieder «Platz für weniger zugängliches Ma-terial» schaffen will. Wo das ewige Phantom mit dem unwägbaren Honigku-chenpferd-Grinsen als Nächstes wieder auftauchen mag, bleibt allerdings vorerst sein Geheimnis. Und das ist auch gut so: Nicht auszudenken, wenn Aphex Twin nach all den Jahren plötzlich doch noch sein allergrösstes Talent ab-handen käme – die unglaubliche Gabe, immer wieder aufs Neue alle Erwartungen gekonnt zu unterlaufen.

Tara HillAphex Twin: «Syro» (Warp/MV)

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BLEEP! CLONK! WARP!

Wer bist du schon wieder?

Mike, Mark und Billy hiessen die drei jungen Männer, die mir gegenüber sassen, so viel hatte ich gerade noch her-ausfinden können, indem ich ihnen das Mikrophon unter die Nase hielt und sie bat, sich kurz vorzustellen. Aber ir-gendwie verpasste ich den Moment, nachzufragen, wie die Band nun hiesse – niemand hatte ihren Namen erwähnt, die Plattenfirma hatte vergessen, uns einander vorzustellen, sowieso: die erste Single, die sie für Warp einspielte, war eh noch nicht erschienen. Mit anderen Worten: Ich interview-te eine Band, von der ich nicht wusste, wer sie war oder gar wie sie klang. Zum Rendez-Vous war es gekommen, weil Warp Records, damals noch in Sheffield daheim, das Jubiläum von WARP 100 feierte, ihrem einhundertsten Release. Man schrieb den Juni 1998, Warp hatte in die Wiege der groovigen britischen Synthie-Avantgarde geladen, um den Event mit einer Serie von Interviews zu feiern. So sassen wir einen Nachmittag lang in einem düsteren Konzertlokal und wur-den von Band zu Band geschoben: nebst den namenlosen Wundern sassen da Red Snapper, Broadcast, Nightmares on Wax und die beiden Warp-Gründer Steve Beckett und Rob Mitchell. Die beiden hatten natürlich am meisten zu erzählen. «Wir glauben fest daran, dass man einem wahr-haft grossen Künstler Zeit geben muss, sich entwickeln zu können», erklärte der inzwischen verstorbene Mitchell. «Ein Künstler wie Aphex Twin zum Beispiel stünde bei einem Major Label bereits am Ende seiner Karriere, weil er nicht genug Alben verkauft hat. Einer wie er muss sich seinem eigenen Gefühl nach entwickeln.» An einen Umzug nach London dachte niemand. «Wir kennen niemanden im Geschäft», sagte Beckett. «Wir sind nicht Teil der Musik-industrie. Gerade herrscht rundum Panik, niemand weiss, wie sich die Dinge entwickeln. Für uns andererseits ist alles recht bequem. Wir planen vernünftig. Wenn wir glauben, von einem Release ein paar Tausend Exemplare verkaufen zu können, verkaufen wir auch ein paar Tausend Exem-plare davon. Die Majors wiederum neigen zur Annahme, dass sie von jedem Album 100 000 Stück verkaufen, also werfen sie dann ihre 200 000 Pfund für Werbung aus dem Fenster und verfallen in Panik, wenn sie bloss 6000 Platten loswerden und lassen die Band sofort fallen.»Längst ist Warp Records doch noch nach London gezogen. Aber das luftige Open-Plan-Büro in einer stilvollen alten Fabrik liegt weitab von den trendigen Musikbusiness-Hubs und -Pubs, nämlich in einer stillen Ecke am Rande der Hampstead Heath. Lange Jahre hatte ich keine Ahnung, wer die namenlosen Elenden waren, die mir damals bei den Warp-100-Interviews gegenüber gesessen hatten. Dank dem Internet ist es mir inzwischen gelungen, sie zu identi-fizieren: Plone hiess die Band. Der Tag kam mich übrigens teuer zu stehen. Denn abends landete ich im Pub mit der

Band Broadcast. Diese schwärmte sehr überzeugend von Pearls Before Swine und United States of America. Damals musste man in solchen Fällen noch stracks in den Platten-laden traben und Geld ausgeben.

Hanspeter Künzler

Aphex wer?

Er heisst Richard James alias AFX alias Polygon Window alias Blue Calx alias The Dice Man alias Evil Twin alias Q-Chastic alias Joyrex 4 alias Caustic Window alias Ana-logue Bubblebath alias Aphex Twin. Dies ist also der soge-nannte «Mozart des Techno». Mozart? Doch viel eher Erik Satie: Fremd die Intervalle, repetitiv die Strukturen, so wie die heutiger archaisch-moderner Kompositionen.Es gibt viele Legenden um Richard D. James: Etwa, dass er als Junge weit und breit Kabel sammelte, zusammensteck-te und bis zum Strand verlegte, um mit Freundinnen und Freunden nächtliche Strandpartys zu feiern. In Strandhöh-len, Sanddünen und Verirrhöhlen. Sie trieben Plattenspie-ler, UV-Lampe und Generator auf und liefen, soweit das Kabel reichte. «Das blieben die besten Partys, die ich je erlebte.» Als ihm in Sachen Elektronik niemand mehr was beibringen konnte, kaufte er nicht etwa einen Ferrari oder ein Flugzeug, sondern einen alten britischen Schützenpan-zer. Waffenfreak? Eher Abrüstung. Wir hatten im «Sun-On» abgemacht, einem nach Frittieröl miefenden Café in Stoke Newington, London Nord 16. Da kam er schon geschlendert – unrasiert, schwarze Cordjacke, Zelthose und Rossschwanz. Das Interview sollte draussen

Vor 25 Jahren wurde in Sheffield das Label Warp gegründet. Es steht für genresprengende Electronica von Acts wie Boards of Canada oder Autechre, veröffentlicht Bands wie Grizzly Bear und bietet natürlich auch Heimstatt für das Werk von Aphex Twin. Zum Jubiläumsanlass gibts eine vergessene Lieblings-platte, Erinnerungen an ein Treffen mit Richard D. James und an zwei frühere Warp-Geburtstagsfeiern.

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stattfinden, damit sich Journalisten rechtzeitig verkühlen, grinst er. Allerdings wusste ich dies von einem Kollegen. Ich zog zwei Pullover über – so wurde das Interview angenehm lang. Richards Vater war Mineur in Cornwall. Als Kinder trie-ben sich Richard und seine Freunde in den Höhlen an der Küste herum. Eines ihrer Spiele hiess «getting lost and try-ing to find our way out again». Wer sich «Selected Ambient Works 2» anhörte, kann sich locker mitverirren. Als Siebenjähriger hatte Richard einen wiederholten Alp-traum. «Ich stieg im Schlaf in ein Auto, aber immer, wenn ich losfahren wollte, fiel ich zur Tür hinaus. Dann be-schloss ich – immer Traum – mich anzugurten, kein Erfolg. Schliesslich wickelte ich ein Seil um mich, kettete mich an den Sitz, verklebte und verschweisste die Autotür. Und-soweiter. Aber irgendeinmal fuhr ich weg.» Es war eine Befreiung. Man kann Ungeheuer und böse Träume erfolg-reich verscheuchen. «Ich brauche nicht viel Schlaf», meint Richard. Er hat he-rausgefunden, dass er im Halbschlaf – und später auch im Dreiviertelschlaf – komponieren kann. Melodien memorie-ren sei einfach, Rhythmen etwas schwieriger. Somit speist sich Richard James’ Musik aus dem Unterbewusstsein. Nun konnte Richard träumen, was er wollte. «Dazu brau-che ich nicht viel Schlaf, Träume laufen ja nicht in real time ab. Du kannst einen Tag in zehn Minuten träumen.» An-fangs war es eine Qual. «Ich erwachte und wusste, dass ich einen sehr guten Track geträumt hatte, konnte mich aber an nichts Konkretes erinnern. Daran arbeitete ich ein halbes Jahr. Nun kann ich in neun von zehn Fällen erwa-chen, die Stücke sofort nachspielen und aufnehmen. Des-halb nicke ich häufig gleich im Studio ein und fixiere beim Einschlafen Pult, Regler, Sampler und Echogerät. Du musst mich richtig verstehen: Es geht nur darum, all die Musik aus meinem Kopf herauszubringen.» Beim deutschen Elektrofestival Mayday 1992 lag Richard wie immer am Boden inmitten von Kabeln und Geräten und funkte derart selbstvergessen herum, dass er plötzlich die ganze Stromversorgung des Festivals lahmlegte. Erst ein starker Stromstoss weckte ihn aus seinem Traum.

Albert Kuhn

Ein grosser Abwesender

Es gibt sie wohl in jeder Szene: Die verkannten Genies, die gerade nicht Teil einer Jugendbewegung sein wollten und sich stattdessen bevorzugt an den Rändern des Geschehens bewegten. Jene Charakterköpfe, die allzu unbeirrt den eige-nen Weg gingen, und daher am Ende als graue Eminenzen nur mehr einem exklusiven, eingeweihten Zirkel bekannt blieben – deshalb allerdings auch oft unfairerweise zur blossen Randnotiz ihrer Subkulturen verkommen.Einer der erstaunlichsten Fälle «grosser Abwesender», dessen immense Bio- und Diskographie wertvolle weisse Flecken auf mancher Musik-Landkarte füllen könnte, ist Richard H. Kirk. Sogar bei den meisten Hobby-Techno-Chronisten löst der Name hierzulande heute eher fragende Blicke oder Schulterzucken aus. Dies, obwohl das genre-definierende Frühwerk des Warp-Labels die Knotenpunkte für den «Sheffield Sound» – dieser als IDM bekannt gewor-denen Mixtur aus Bleep, düster-atmosphärischen Flächen und waghalsig polyrhythmischen Beats – zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von der Ausnahmefigur Kirk geprägt wurde.Doch wieso fiel ausgerechnet Kirk eine derart wichtige Scharnierfuktion zu? Ganz einfach: Cabaret Voltaire, eine der wichtigsten und bis heute meistverehrten alten Shef-fielder Avantgarde-Gruppen, deren frühe Erzeugnisse sich zwischen Post-Punk und Industrial bewegten und Hits wie «Nag Nag Nag» hervorbrachten, schien Ende der Achtzi-ger ausgereizt. In dieser Zeit entdeckte ihr polarisierender Kreativkopf die neugeborene House-Szene und entwarf

gemeinsam mit dem befreundeten DJ Parrot eine ihm zeit-gemäss scheinende Vision elektronischer Musik. Ihr revo-lutionäres Projekt «Sweet Exorcist» klang jedenfalls derart radikal minimalistisch und bahnbrechend, dass das Duo die erste LP aus dem Hause Warp bespielen durfte – und mit den Worten «Bleep» und «Clonk» auch gleich die stilis-tischen Begriffe für diesen frühen Warp-Sound prägte. Doch erst das vor 20 Jahren auf Warp erschienene, sträf-lich missachtete Solo-Meisterwerk «Virtual State» vereinte alle «Cutting Edge»-Einflüsse der noch jungen Bewegung – Industrial, Ambient, Rave, IDM, «Third Room»-Rare Grooves, Trip-Hop, Ethno-Techno (den Kirk unter dem Schweizer Alias «Sandoz» als verneigende Geste vor Albert Hoffmann entscheidend miterfand und prägte) und Dub – so lässig-entspannt und gleichzeitig eindrücklich-beklem-mend, dass es als Keimzelle in vielerlei Hinsicht bis heute unübertroffen bleibt.Kirk mag aufgrund seiner unbequemen, kompromisslo-sen Art noch immer ein Aussenseiter – oder besser gesagt: ein «Insider» – geblieben sein. Nach einem triumphalen Comeback am diesjährigen Berliner Atonal-Festival, wo er unter dem alten Bandnamen Cabaret Voltaire den ers-ten Live-Auftritt seit 20 Jahren bestritt, wird nun aller-dings erstmals eine junge Generation auf ihn aufmerksam, die sein Wirken bisher wohl eher unbewusst durch kaum thematisierte Einflüsse auf spätere Projekte wie Sandwell District, Cut Hands oder Demdike Stare wahrgenommen hat. Wer sich davon ausgehend nun aufmacht, die Wurzeln von Kirks Œuvre zu entdecken, dem winken als Lohn nicht nur erstaunte «Heureka!»-Momente en masse, sondern möglicherweise – nach dem Vorspielen einiger Kostproben – auch einige längst fällige, herunterfallende Kinnladen im Bekanntenkreis.

Tara Hill

Jetlag-Party

September, 2009, New York City: Wir streunten, arg mit-genommen von der Reise, durch die Strassen der Lower East Side, als violette Plakate, versehen mit einer Möbius-Schlaufe, den Event des Wochenendes ankündigten. Warp feiert seinen zwanzigsten – mit Konzerten der Battles (da-mals noch mit Tyondai Braxton), mit !!!, Flying Lotus, Jamie Lidell, den Born Ruffians und Hudson Mohawke. So kauften wir die Tickets und machten uns auf die Suche nach den verschiedenen Spielstätten. Erster Stopp war das Terminal 5: Eine alte Lagerhalle im noblen Uptown, an die ich mich vor allem wegen der Schiffdeck-ähnlichen Dach-terrasse erinnere. Die Musik? Flying Lotus, der sich hierzu-lande vor allem durch Konzertabsagen zu Legende gemacht hat, spielte tatsächlich, und zwar ein tolles Set, !!! hatten schon damals den Zenit überschritten und bei den Battles machte sich der Jetlag bemerkbar: Ich schlief stehend ein. Am zweiten Abend hiess es, den Wintergarten im World Financial Center zu finden. Wir streiften Ground Zero und landeten schliesslich in einer riesigen, Mall-ähnlichen Lo-kalität mit schönen Palmen, Fast-Food-Restaurants und fast keinen Leuten. Ein groteskeres Setting für DJ-Auftritte kann man sich schwerlich ausdenken. Die Musik? Keine Erinnerung. Weiter gings, ins Poisson Rouge im Greenwich Village: Die jungen Kanadier Born Ruffians, eine der so vie-len Gitarrenbands, die sich in den Nullerjahren auch auf Warp versuchten und mittlerweile weiterziehen mussten, spielten frisch auf, ehe sich Jamie Lidell in das blinkende Empire State Building verwandelte – denn: Ich schlief schon wieder ein. Wir blieben dann doch noch, tranken viele amerikanische Gin Tonics und wurden Zeuge eines Buben, der im schlim-men Airbrush-Wolfspulli seine gnadenlos hochgepitchten Tracks abspielte: Hudson Mohawke hiess der Kerl, und dank ihm gab es wirklich keinen Sleep till Brooklyn – sein Set war schlicht zu gut.

Benedikt Sartorius

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Bit-Tuner überrollt das Club-Publikum mit seinem Mix aus HipHop, Noise und Electronica.Da braut sich was zusammen: zerrende Synthiestränge, ein Bassgrollen, das wie ein Schneeräumungsfahrzeug auf einen zufährt, ein stoischer Stop-and-go-Rhythmus, spit-ze, synthetische Streicher. Ein Soundgebilde, das einen unbarmherzig vor sich hertreibt. Die erste Assoziation ist Düsternis. Marcel Gschwend, dem Urheber, ist das viel zu sa-lopp. Solche Schubladen akzeptiert er nicht: «Ich wehre mich gegen dieses Klischeebild, das in vielen Köpfen vorherrscht», sagt der 36-jährige Ostschweizer, der seit einigen Jah-ren in Zürich lebt und zu einem irritierenden, erfrischenden, unentwegt «headbangenden» Teil der Musikszene geworden ist.Dabei ist er keiner Szene wirklich zugehörig und wehrt auch alle Klischees ab. «Ich emp-finde meine Musik mehrheitlich nicht als düster, und ich sitze auch nicht nachts in ei-nem dunklen Keller, rauche Crack und dröh-ne mir die Ohren weg.» Er arbeite meist bei Tageslicht, schaue auf den Uetliberg und dre-he nur ab und zu laut auf, um die physische Wirkung seiner Tracks zu testen, betont er.Überhaupt ist ihm die physische Präsenz seiner Musik wichtig. «Vielleicht bin ich ja ein Sektenguru», sagt er lachend. Wenn Gschwend unter dem Namen Bit-Tuner auf der Bühne steht und seinen kleinen Geräte-park bedient – dazu gehören unter anderem ein mit dem neusten Tonmaterial gefüllter Sampler mit Touchpads, zwei kleine Syn-thesizer und ein Endgerät zur irritierenden Klangmanipulation –, will er seine Zuhörer überrollen, einpacken und mitnehmen. Sei-ne Mischung aus HipHop, Electronica und Noise nimmt vor allem bei seinen Liveauf-tritten immer wieder plötzliche Wendungen. «Ich finde es spannend, die Leute abzuholen und irgendwo hinzubringen, wo sie sonst nie landen würden.»

TRADITIONELL UND FRISCH ZUGLEICH

Locken und Übertölpeln, das liegt ihm. Ei-nen Beat vom Stapel lassen, der sich mit ganzer Wucht durchstreckt – «und plötzlich lege ich die Schalter um, und die Leute fin-den sich in einem Noise-Feld wieder, wo es nur noch Rauschen, Bässe und ein bisschen Lärm gibt. Und sie fühlen sich dort plötzlich wohl.» Das ist eine Reise nach Gschwends Geschmack.Seine eigene musikalische Reise hat lange vor der Arbeit im Gerätepark angefangen: als Bassist in St. Gallen, der sich das Spie-len des Instruments zu den Stücken von Jimi Hendrix und The Cure selber beibringt. Ein paar Jahre später hört Rapper Dani Göldin Beats aus seinem WG-Zimmer wummern und schlägt eine Zusammenarbeit vor. Ex-

perimenteller Rap entsteht, schroff, rastlos und wechselhaft und immer nach vorne – mit dem Bass als tragendem Element.Es folgt die Diversifizierung und Konkreti-sierung: Solo-EPs mit immer mehr Dubstep-Einschlag, Musik zu Kurzfilmen, nebenbei spielt er nach wie vor Bass in der Band des Liedermachers Manuel Stahlberger. Der-zeit steckt Bit-Tuner ein weites Feld ab: Seit Ende 2010 experimentiert er jeden letzten Dienstag des Monats auf der Bühne des Zürcher Klubs Helsinki, beliefert Rapper mit Beats, vertont live Stummfilme. «Mir liegt das breite Spektrum. Ich mache ja eh nichts Reinrassiges», sagt er. Hauptsache, der Beat «chlöpft» und der Bass, für ihn die Quintessenz von allem, ist schön laut.Vorläufig angekommen ist Bit-Tuner im Herbst 2012: Die «Signals»-EP, veröffent-licht auf Vinyl auf dem Zürcher Label Hula Honeys, bringt die Kernelemente seines Sounds auf den Punkt (vom Auf-den-Punkt-Bringen redet er oft im Gespräch). Traditio-nell und frisch zugleich klingen seine Stücke. Der wabernde Bass des Dubstep, Beatästhe-tik von altem Hip-Hop, Arpeggios, schlieri-ge Orgelmelodien, ein in sich verwobenes, dichtes Klangbild, viel Kraft. Das Hinge-klatschte und das fein Gewobene überneh-men gemeinsam die Reiseleitung. Und die Düsternis erscheint plötzlich sonderbar bunt und funkelnd.Im Anschluss an «Signals» ging es schnell wieder weiter: Nach mehrmonatigen Statio-nen in Berlin und New York war für mehre-re Wochen in China. Neben seinen Auftrit-ten sammelte er Sounds: Lief durch Strassen und Parkanlagen, nahm das Zischen der Gasflammen der Garküchen auf, pirschte sich an singende Gruppen heran. Zurück auf der Bühne des Helsinki, mischte er diese Mitbringsel mit minimalistischen Beats und grundierenden Synthesizerflächen.

EIN KLANGBILD ZUM REINSETZEN

«Ich wollte eigentlich ein halbstündiges Field-Recording-Set machen. Etwas Lär-miges schwebte mir vor», erklärt er. «Aber beim Herumexperimentieren habe ich dann eine Schnittstelle gefunden: Plötzlich war diese luftige, franselige Atmosphäre da.» Ein Klangbild zum Reinsetzen. Den Mitschnitt seines Sets, praktisch uneditiert und ungefil-tert, hat er als Livealbum unter dem Namen «The China Syndrome» als Gratisdownload veröffentlicht. Ähnlich funktioniert «The Japan Syndrome», auf dem Bit-Tuner seiner Reise im Frühling 2013 durch Japan nach-spürt.In einem Videoclip, den er zu «The Chi-na Syndrome» veröffentlichte, fährt er bei hellem Tageslicht mit dem Fahrrad durch die Strassen einer chinesischen Grossstadt. Gefilmt mit dem Handy, und pfeifend und grinsend wahrscheinlich. Diese Kontraste liebt er.

Adrian Schräder

CHLÖPFENDE BEATS

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DIE NEUEN PLATTEN

FofoulahFofoulah(Glitterbeat/Irascible)

Am Anfang war der Rhyth-mus. Fofoulah aus dem Schmelztiegel London stel-len westafrikanische Poly-rhythmik in den Vorder-grund. Perkussionist Kaw Secka und Schlagzeuger Dave Smith setzen auf tra-ditionelle Instrumente: Die Sabar, eine lange Trommel aus dem Senegal, und die kleine Tama, die der Spieler unter der Achsel hält und die Tonhöhe der Trommel mit der Spannung des Fells verändert. Saxofonist und Keyboarder Tom Challen-ger, Gitarrist Phil Steven-son und Bassist Johnny Brierley bringen Jazz, Dub und Trance mit ein. Weitere Gastmusiker wie Ghostpo-et oder Ines Mezel sorgen für zusätzliche musikali-sche Farbtupfer und den Gesang. Das Ergebnis lädt zum mehrmaligen Anhören ein. In «Hook Up» legen sich beispielweise das Riff der Gitarre und die Perkus-sion zu einem treibenden Rhythmus übereinander, der Song weckt Erinnerun-gen an Fela Kuti. Hypno-tisierend auch der Groove in «Don’t Let Your Mind Unravel». Das spielfreudige Quintett hat neun Stücke im Real-World-Studio bei Bristol aufgenommen und ein überzeugendes Debut-album abgeliefert, auf dem Afrobeat in einer einmali-gen Mischung aus traditi-oneller und moderner Ins-trumentierung zu hören ist.

hu.

Foxygen...And Star Power(Jagjaguwar/Irascible)

Als Teenager habe ich mich alle paar Monate neu er-funden: Von knallengen Hüftjeans und möglichst tief ausgeschnittenen Poly-esteroberteilen bis hin zu selbst «gestalteten» Pullis aus Ökobaumwolle war alles dabei. Irgendwann habe ich mich entschlos-sen, nur noch Schwarz zu tragen, und dabei ist es bis heute geblieben. Es muss zu Beginn dieser Schwarz-Phase gewesen sein, als ich die wunderbar lärmigen Gitarren von The Liberti-nes entdeckte und von hier weiter zu The Cure, The Smiths und so weiter tin-gelte. Foxygen, zwei locki-ge Buben aus Kalifornien, scheinen mit ihrer aktuellen Platte «... And Star Power» eine ähnliche Phase durch-zumachen wie ich damals, als mein CD-Player jeden Monat etwas Neues spielte. Denn das Monster-Album mit 24 Songs bewegt sich durch eine ganze Palette an musikalischen Ideen: Von schrummligen Songs über himmelhochjauch-zende Hippie-Hymnen zu lärmigem Garagesound und einem kurzen Ausflug auf den Disco-Dancefloor ist alles dabei. Immer aber kommen die Songs mit ei-ner ordentlichen Portion «Angry Young Men»-Atti-tüde daher. Die Buben wis-sen zwar nicht genau, wes-halb sie nun so angry sind, aber bestimmt hat es etwas mit Liebe zu tun. Mich hat die Platte dazu gebracht, beim Hören ein Blumen-haarband zu tragen. Bravo, Foxygen!

mis.

My Panda Shall FlyTropical(Soundway)

Es überrascht nicht, dass My Panda Shall Fly alias Suren Seneviratne auch ein bildender Künstler ist, denn die sechs Tracks auf dem Minialbum «Tropi-cal» wirken bei aller Mu-sikalität doch eher wie Bil-der und Räume denn wie Tracks oder gar Songs. Der in London lebende Sri Lan-ker Seneviratne vermischt elektronische und akusti-sche, moderne und traditi-onelle Instrumente und ver-webt sie zu tropischen und schwerelosen Teppichen, deren Flugkraft so stark ist, dass selbst der plumpe Panda im Projektnamen problemlos durch die Lüf-te schwebt, über Ozeane, Wüsten und Urwälder. Auf «Tropical» entführt uns My Panda Shall Fly in die unterschiedlichsten Räu-me, der Klangreichtum ist unerhört, überall schwirren süsse Melodiefitzelchen he-rum, betörende Rhythmen zucken durch das Unter-holz und verknüpfen sich zu polyrhythmischen Laby-rinthen, asiatische Klang-partikel durchwirken die Szenerie – der Soundtrack für eine tropische Utopie, für friedliche Visionen ge-heimnisvollen Lebens in üppiger Vegetation. Die Produktion ist von einer stupenden Klarheit und schafft Räume so hoch und so tief, dass sie berückende 3D-Bilder auslöst. Nur so kann man diese moderne, globale Exotica bebildern – und das macht neugierig auf die bildende Kunst die-ses Musikers.

cg.

Sound SurprisenDie bis heute berühmteste Zeichnung von Robert Crumb ist das Cover von «Cheap Thrills», dem 68er-Album von Big Brother & The Holding Company. Das Cover wurde zu einer Ikone der Hippiekultur und machte ihren Schöp-fer zum Star eben dieser Szene. Aber eigentlich war das ein Missverständnis, wie man heute weiss. Robert Crumb hing zwar sehr wohl in San Francisco herum und verarbei-tete seine Erfahrungen mit freiem Sex, Drogen und dem gesellschaftlichen Aufbruch zu bissigen und provokativen Comics, in denen er nicht nur die spiessige Doppelmoral des American Way of Life entlarvte, sondern auch die ge-genkulturellen Scheinheiligkeiten. Das machte aus Crumb den scharfsinnigsten Chronisten seiner Zeit, und er wurde zum Aushängeschild der Hippiekultur – obschon er sie in Wahrheit verabscheute. Crumb trug nie Blumen im Haar, sondern einen schlabbrigen Anzug mit Hut, und er hatte keinen Rock’n’Roll im Ohr (der war ihm viel zu laut und zu aggressiv, siehe das fiese «Die alten Songs sind die besten Songs»), sondern alten Country-Blues, vorzugsweise aus den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen. Seine Schel-lack-Sammlung ist legendär. Deshalb lag es auf der Hand, dass sich Crumb in seinen Comics immer wieder mit seiner Leidenschaft für den alten, akustischen Blues einerseits und seiner Leidenschaft für das Aufspüren und Sammeln obs-kurer Musiker andererseits beschäftigte. Diese Geschichten versammelt der prächtige Hardcover-Band «Mister Nostalgic» (Reprodukt). «Mister Nostal-gic» trägt seinen Titel nicht von ungefähr: Die Titelfigur ist Robert Crumb selber, der die Moderne verachtende Kulturpessimist, der in der Vergangenheit eine bessere, au-thentischere Welt zu erkennen glaubt (und diese Überzeu-gung mit fieser Ironie immer wieder als Irrtum entlarvt). Besonders brillant ist die den Band eröffnende Geschichte «So ist das Leben». Auf nur fünf Seiten verdichtet Crumb hier gleich mehrere Geschichten: Das tragische Leben und Ende des fiktiven Bluesschrammlers Tommy Grady, den nachlässigen Umgang der damaligen Plattenfirmen mit der sogenannten «race music», die Besessenheit der zu-meist weissen Schellacksammler, für die der musikalische Wert einer Platte mit ihrer Seltenheit wächst. Eine brillante Tour de Force, welche die Themen von «Mister Nostalgic» absteckt: wunderbare Hommagen an echte und falsche Blueshelden, Kritik an einer Gesellschaft, die den Blues nie wirklich verstanden hat, und die immer hart an der Lä-cherlichkeit vorbeischrammende Sammelleidenschaft. Sehr schön beispielsweise «Auf der Jagd nach den alten Plat-ten», wo Crumb beschreibt, wie er einer alten schwarzen Frau die Schellackplatte eines ihm unbekannten Orchesters für 25 Cents abkaufen will, diese sich aber vom weissen Schnösel nicht über den Tisch ziehen lässt – so dass Crumb diese Platte Jahre später für 50 Dollar ersteigert. Ganz toll auch die Lebensgeschichten des Deltablues-Pio-niers Charley Patton: Entstanden 1985 zollt dieser Comic noch dem romantischen Bild Tribut, das man von Patton hatte, entspricht also, wie Crumb im Nachwort einräumt, nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Andererseits sind diese alten Blueslegenden um Alkohol, Herumtrei-berei, Hurerei, Teufelsbeschwörungen, Aussenseitertum u.v.m. dermassen schön, vor allem in den grossartigen Zeichnungen Crumbs, dass man sie gerne immer wieder geniesst.

Christian Gasser

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Museum of LoveMuseum of Love (DFA/MV)

Derweil sich James Mur-phy seit der Auflösung der LCD Soundsystem mit dem Verkauf seiner Espressomi-schung beschäftigt, hat sich sein einstiger Drummer Pat Mahoney mit Dennis «Jee Day» McNany zum doppelbödig benamsten Museum of Love zusam-mengetan. Die beiden ken-nen sich seit geraumer Zeit, aber auf musikalischer Ebe-ne fanden sie sich erst vor drei Jahren bei einem Re-mix von einem Track der Battles. McNany besorgt mit Synthies und Bass die Musik. Mahoney schreibt die Texte, zeugt Schlag und singt – er tut dies mit einem flötigen Tenor, der zwischen Bryan Ferry und Brian Eno pendelt. Die ziemlich faszinierenden Resultate sind weniger pfundig als LCD, weni-ger schrill als Battles, und weniger symphonisch als Animal Collective, verra-ten jedoch Spurenelemente von all diesen Ahnen. So richtig würzig ist der Ein-topf aber erst dank ande-ren Einflüssen. So hat «The Who’s Who of Who Cares» seinen Beat aus dem Lehr-buch von Sly Dunbar und Grace Jones und endet mit einem Bläserchaos, das Er-innerungen an die sträflich vernachlässigten Defunkt aufkommen lässt. Falls das nun etwas gar sehr nach «abgeschaut» klingen sollte – soll es nicht. Ein süffiges, witziges (aber nicht über-cleveres!) und mit all seinen historischen Anspielungen auch originelles Album!

hpk.

Hiss Golden MessengerLateness of Dancers (Merge/Irascible)

Nach dem Ende von The Court & Spark zog es zwei der Bandmitglieder, MC Taylor und Scott Hirsch, von Kalifornien nach North Carolina, wo die beiden seit 2007 als Hiss Golden Messenger tätig sind und den Folk pflegen. Auf dem fünften gemein-samen Album «Lateness of Dancers» zieht es das Duo nun allerdings in Richtung Südstaaten-Blues und hin zum Klang der Muscle-Sho-als-Schule. Entsprechend versucht sich Frontmann MC Taylor jetzt weniger als Barde, sondern mehr als weisser Gospel-Priester. Es sei an der Zeit, einzu-halten und sich des inne-ren Friedens anzunehmen, singt er voller Wärme und klingt dabei wie ein vom Leben gezeichneter Gross-neffe Dylans. «Lucie», der Opener, zeigt zarte Indie-Sensibilitäten, «Saturday’s Song» mutet an wie eine auf Drive angelegte Zu-sammenarbeit von Fleet-wood Mac mit Tony Joe White, und «Drum» rattert in Richtung Ländlichkeit und Appalachen-Sound. Die Grundstimmung ist bittersüss und bedauernd, aber nie bedrückend. Dass die Tracks von zurückhal-tender, aber enormer Gra-zie sind, macht «Lateness of Dancers» zum Gesel-lenstück von Hiss Golden Messenger.

mig.

alt-J This Is All Yours (Loud and Quiet)

alt-J haben mit dem De-büt-Album «An Awesome Wave» 2012 den renom-mierten britischen Mercury Prize gewonnen, mehrere Hits in die Charts gebracht und dem Delta-Zeichen, das die Mac-Tastatur in der Kombination der Tasten «alt» und «j» ausspuckt, nicht nur in Hipster-Krei-sen als Kultsymbol zum Durchbruch verholfen. Die musikalische Bestätigung stünde nun mit dem Nach-folgealbum «This Is All Yours» an. Kennengelernt haben sie sich 2007 an der Uni. Ihren speziellen, aufs Wesentliche reduzier-ten Indie-Sound führen sie auf die lärmempfindlichen Wände ihrer Studenten-behausungen zurück, in de-nen man nicht mit Verstär-kern musizieren konnte. Mittlerweile beherrschen sie das Laut-Leise-Mäan-dern wie Weltmeister. Aber eines wird mit «This Is All Yours» deutlich: Hier ver-sucht eine Band die Hits vergangener Tage vergessen zu machen. Als ob sie sich dafür schämen müssten, arbeiten sie lieber an einem Gesamtkunstwerk. Aber aufgepasst: Die nächste Hit-Band wartet um die Ecke, und in den Indie-Dis-cotheken dieser Welt bringt der DJ die Kids nicht mit zweitklassigen Kunstwer-ken zum Tanzen. Es gibt Platten, die möchte man sich fast zwanghaft schön-hören. «This is all yours» gehört dazu.

men.

DIE NEUEN PLATTEN

Delay TreesReadymade(BB Voyage)

Einerseits ist man in Finn-land nicht ganz fernab der Welt, denn wenn Destroyer, Panda Bear oder Deerhun-ter ein Album einspielen, dann wird es auch dort ge-hört. Andererseits ist man in Finnland tatsächlich fernab der Welt. Nur fünf Millionen Seelen leben in diesem Winkel, man kann sich also gar nicht eine gros-se, mächtige Fangemeinde aufbauen – und mal ehrlich, wer interessiert sich für Musik aus Finnland, wenn es nicht gerade Rock’n’Roll (aber nur mit Schmalztolle) oder Tango ist? Das Quar-tett Delay Trees hat also denkbar schlechte Karten, aber sie spielen sie gut aus, denn mit ihrer Mischung aus Indie und Postrock plus einem Schuss Vintage sollten sie doch zumindest in kleinen Clubs gerne ge-sehen und gehört werden. «Readymade» beginnt mit «Fireworks», einem hüb-schen Retro-Knaller à la Byrds 1968, als die Kali-fornier einen gigantischen Sound erzeugen wollten und nebenbei ihren Schwa-nengesang einspielten. Bei Delay Trees folgt auf den Space-Rock treibender Indie-Rock und Postrock, versehen mit dem typi-schen hellen Gesang, der so klingt, als wäre der Sänger nicht ganz von dieser Welt, oder aber ein ganz braver. Da die Gitarren manchmal auch derb gespielt werden, relativiert sich dieser Ein-druck allerdings wieder. «Readymade» darf man unter «R» einordnen. Echte Rocker.

cam.

Mina TindleParades(Believe Recordings)

Mina Tindles Debüt «Ta-ranta» hatte ich schon vor zwei Jahren in dieser klei-nen Zeitung hier über den grünen Klee gelobt. Wer sich für französischen Pop interessiert, der müsste die Französin mit spanischen Wurzeln inzwischen also kennen. Wer Fan der US-Band The National ist, eventuell auch: Jedenfalls war die Sängerin mit der hohen Stimme schon auf deren Album «The Boxer» zu hören und ist mit der Band befreundet.Auf dem neuen Werk der 30-Jährigen, deren Stim-me gerne auch mal an das Organ der Kanadierin Les-lie Feist erinnert, hat sich National-Gitarrist Bryce Dessner revanchiert. Er hat zwei Songs von Mina Tindle arrangiert und mit ihr aufgenommen: «Ta-ranta» und «L’Astrakan». Wie schon auf dem Debüt, so singt sie auch hier zwei-sprachig, wobei dieses Mal die französischsprachigen Songs dominieren. Wie das schöne «Pas les saisons», das bereits erwähnte «Ta-ranta», «Madonne» oder «A Séville» mit seinen fei-nen Bläsern. Mit am besten gefällt mir das flotte «The Curse» oder die Single «I Command». Allerdings würde ich mir bei einigen Songs etwas mehr Tempo wünschen.

tb.

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Ruthie FosterPromise of a Brand New Day(Blue Corn Music)

Die Texanerin mit der Po-werstimme beherrscht fast jeden Musikstil, doch im Herzen bleibt Ruthie Fos-ter eine Blueskünstlerin. Für «Promise of a Brand New Day» holte sie sich als Produzentin Meshell Ndegeocello. Die brachte ihre Band mit und spielt Bass. Ndegeocello lässt Foster etwas herumtollen, besonders in Eugene Mc-Daniels’ «Outlaw», der vor Sex strotzt. Manchmal bewegt sich die Sängerin hin zu Folk und Country («Learning to Fly» und «Complicated Love») oder zelebriert deftigen Blues («Let Me Know») und Seventies-Soul («The Ghet-to»). Im Gospelstück «Be-lieve» bezeugt Ruthie, dass sie, trotz allen Widrigkeiten des Lebens, Kraft aus dem Glauben schöpft. Ndegeo-cello verpasst dem Stück einen zeitgemässen Touch, unterstützt von einer Band, deren raffinierte Rhythmen die Dringlichkeit unter-streichen. Im Zentrum je-doch steht Fosters resoluter Gesang. In «Second Co-ming», einem Schrei nach Gerechtigkeit, zügelt die Produzentin das Tempera-ment ihrer Interpretin und überlässt es dem Text, das Gewicht des Songs tragen. «Negative thoughts don’t control my fate», singt Ruthie in «It Might Not Be Right». Diese Aussage cha-rakterisiert das Album als Ganzes. Exzellente Musik, die hoffen lässt.

tl.

DIE NEUEN PLATTEN

Lily & Madeleine Fumes(Asthmatic Kitty/Irascible)

Das Leben ist von zarter, zerbrechlicher Schönheit. So muss es sein, denn das zweite Album von Lily, 17, und Madeleine, 19, Jurkiewicz klingt genau-so. Die Geschwister aus Indiana sind ein gutes Bei-spiel, dass man auch ohne Charts noch gross werden kann. Die Mädchen ma-chen Musik, ein Nachbar kriegt davon Wind und stellt einen Song auf eine Plattform und es klickt, klickt, klickt. Es folgt eine Tour, ein landesweiter TV-Auftritt, ein erstes Album und gleich ein zweites, das auf dem Label von Suf-jan Stevens erscheint. Die jungen Frauen nutzen die warme Thermik und sch-reiben schnelle, eingängige Popsongs wie «Rabbit», die gar nicht blöd, gar nicht konstruiert sind. Aber es gibt noch mehr in diesem zweistimmigen Post-Folk, etwa den verträumten See-lentröster «Fumes» oder das melancholische «Lips & Hips», das man sich auch in einem Film von So-fia Coppola gut vorstellen könnte. «Fumes» hat süsse und zartbittere Momente. «Fumes» ist ein bisschen Abschied vom Kinderzim-mer und ein «Hallo, Welt». Was man damals alles in das Deutschschweizer Duo Boy hineindichtete, hier ist es: abwechslungsreiches Songwriting, Melodien, Niedlichkeit, Perspektive und ganz viel Verführung zum (Tag-)Traum.

cam.

Coralie ClémentLa Belle Affaire(Naive)

Sieben Jahre lang war nichts mehr von Coralie Clément, der bezaubernden Sängerin und kleinen Schwester des grossen Benjamin Biolay, zu hören. Nun meldet sie sich mit dem Nachfolger von «Toystore» zurück und versucht sich damit auch vom grossen Bruder zu emanzipieren, der auf der letzten Platte das Zep-ter in der Hand hatte, die meisten Songs komponiert und auch noch als Musiker dabei war. Diesmal ist Bio-lay nur beim Cover «A la longue» Duett-Partner des Schwesterchens. Für «La Belle Affaire» hat die gera-de 36 Jahre alt gewordene Sängerin nun erstmals alle Texte selber geschrieben und die Songs gemeinsam mit dem Gitarristen Tho-mas Coeuriot erarbeitet. Herausgekommen ist ein schönes French-Pop-Al-bum, zugeschnitten auf Co-ralies hauchende Stimme, die nach wie vor nicht be-sonders kräftig ist, bei den hübschen Popsongs aber gut wirkt. Ob nun beim Sixties-schwangeren «Où tu m’as laisée», beim pop-pigen «Un jour» oder bei «Sur mes yeux» mit seinem Mix aus Karibik und Reg-gae. Bei «Elephant Noir» hat übrigens François Ville-vieille die Finger im Spiel. Den kennt man vom ele-ganten French-Pop-Duo Elephant her. Gut, dass Co-ralie Clement wieder da ist.

tb.

U2 Schönheit und U2 sind keine Synonyme. Einzig «All That You Can’t Leave Behind» (2000) konnte sich mit die-sem Adjektiv schmücken. «Songs of Innocence» ist das schönste U2-Album bisher. Thematisch erinnert sich die Band an ihre Jugend und auch musikalisch schlagen U2 die Brücke zu ihren ersten Alben. Doch Retrorock à la U2 bedeutet, dass es die Lyrics von Fünfzigjährigen sind, die sich in neuen Kleidern im Stil von anno Tobak an ihre Ju-gend erinnern. Obwohl «The Miracle (of Joey Ramone)» und «Raised by Wolves» durch die kantigen Riffs von The Edge in Erinnerung bleiben, ist «Songs of Innocence» Bo-nos Album, seine Stimme ist in den Vordergrund gemischt. Im U2-Katalog gibt es drei Arten von Alben: Bono-Alben wie «All That You Can’t Leave Behind», Edge-Alben wie «Zooropa» – und Meisterwerke wie «Joshua Tree», «Ach-tung Baby» oder «Pop», die erst entstehen, wenn Bono und Edge musikalisch eine Einheit bilden. Dass U2 ihr neues Album während zwei Wochen allen Apple-Usern verschenken, ist nur konsequent. Anfang Jahr verschenkten sie die Single «Invisible» auf Kosten der Bank of America. Solange U2 in Holland Steuern optimieren, ist das eine nette Geste. Mehr nicht. Als Fan bedanke ich mich auch artig dafür. Allen Unkenrufen zum Trotz wird Verschenken auch nicht das Geschäftsmodell der Zukunft sein. Bono war bereits vor dem Börsengang von Facebook einer der Hauptkapitalgeber und ist seit dem Börsengang neben Paul McCartney der einzige Rock-Milliardär. Des-wegen steckt hinter der Werbeaktion mehr als nur ein PR-Gag oder blosse Menschenliebe. Was also steckt dahinter? Steve Jobs kämpfte jahrelang, damit iTunes zum digitalen Musikladen wurde. Er setzte sich durch, weil der Branche vor zwölf Jahren bereits die Felle davonschwammen. Einer seiner ersten Verbündeten war Bono. Stimmen die Gerüch-te nur annähernd, dann arbeiten U2 und Apple an einem völlig neuen digitalen Musikformat, das vor jeglicher Pira-terie sicher sein soll. Spruchreif soll es in anderthalb Jahren sein und den Konsumenten die Musik multimedial in noch nie dagewesener Art präsentieren.Apple liebt oder hasst man. U2 liebt oder hasst man. Was also spricht dagegen, dass die beiden zusammenspannen? Ich gehe jede Wette ein, dass das neue Format kosten wird, weder U2 noch Apple es gratis zur Verfügung stellen wol-len. Deshalb ist das Geschenk nur ein als trojanisches Pferd verkleideter PR-Gag.

Yves Baer

U2: «Songs of Innocence» (Universal)

Page 16: Unter Strom - loopzeitung.ch14. Okt. pulp.noir live Soundtrack zum Film 15. Okt. Stereophonic Space Sound 21. Okt. Sun & Rainbow feat. Asep Stone 22. Okt. Whistler & Hustler (Rusconi/Lüchinger)

Childhood Lacuna (Marathon Artists)

Die Süd-Londoner von Childhood beweisen, dass der kühle, englische New-Wave viel näher am son-nengetränkten Surf-Pop à la The Drums, The Vacci-nes oder Wavves liegt, als man als geneigter Hörer annehmen konnte. Wie nahe, das beweisen die bei-den Hit-Songs auf «Lacu-na». Während der Opener «Blue Velvet» bei geschlos-senen Augen die angeneh-me Meeresbrise, den Sand zwischen den Zehen und das Salz auf der Haut und in der Luft zur Realität werden lässt, findet man sich bei «Solemn Skies» in einem feucht-kühlen eng-lischen Kellerclub wieder. Dazwischen befindet sich auf «Lacuna» sehr viel Kurzweil, gefüllt mit melo-diösen Indie-Pop-Songs, die sofort ins Ohr gehen und niemandem auf die Füsse treten. Es gibt nahezu keine Fehltritte auf dem Debüt-Album der Engländer. Er-staunlich, dass die Band nicht stärker abgefeiert wird, vor zwei Jahren wäre das der heisse Scheiss gewe-sen. Erinnert irgendwie an gute, eingetragene Sneaker, die vor zwei Jahren voll angesagt waren und mitt-lerweile jeder trägt und deshalb nicht mehr Aufse-hen erregen. Das macht die Sneaker aber nicht schlech-ter, im Gegenteil, einfach weniger angesagt. Der Spass daran wird aber von Tag zu Tag grösser.

men.

DIE NEUEN PLATTEN

Mark Lanegan BandPhantom Radio(Heavenly Recordings/MV)

Es beginnt mit dem glei-chen Gitarrenriff wie «Gimme Gimme Gimme» von Abba, aber sobald der Gesang einsetzt, klingt das Auftaktstück «Har-vest Home» ganz und gar nach Mark Lanegan. Die Stimme ist die alte, neu ist aber die Veröffentlichungs-kadenz unter eigenem Na-men. Gerade ein Jahr ist seit dem Cover-Projekt «Imitations» vergangen, zwei seit dem Bandalbum «Blues Funeral». Davor hatte Lanegan seine Stim-me öfter als Kollaborateur oder Gastsänger (Isobel Campbell, Gutter Twins, Soulsavers u.v.m.) erho-ben. Am besten ist dieser Sänger aber, wenn er seine eigenen Stücke spielt, denn dann durchwandert er tritt-sicher verschiedene, auch unerwartete Stile. «Floor of the Ocean» offenbart mit einem Basslauf à la Pe-ter Hook Lanegans Faible für Post-Punk, andernorts bestätigen die repetitiven Rhythmusschlaufen die von «Blues Funeral» be-kannten Krautrock-Bezüge. «Phantom Radio» ist weni-ger homogen als sein Vor-gänger, drückt und rockt weniger, dafür gibt es be-rückende Stücke wie «Torn Red Heart» und Nummern im Geiste uralten Folks wie «The Wild People». Kurz vor seinem 50. Geburtstag zeigt sich Lanegan einmal mehr als einer der grössten Sänger seiner Generation. Wir verneigen uns.

ash.

Bonnie Prince Billy Singer’s Grave a Sea of Tongues(Domino/MV)

Die Muse von Will Oldham ist wie Efeu: Unaufhaltsam wuchern die Ableger in alle Richtungen und lassen fri-sches Blattwerk spriessen. Ebenfalls wie beim Efeu scheint es ein Ding der Un-möglichkeit zu sein, in Old-hams Werk welke Blätter zu finden. So ist das auch bei diesem Album wieder. Weit und breit kein ausgedörr-ter Refrain, Unkraut, das man ausjäten möchte. Wie schon ein paar Mal vorher bedient sich «Billy» wieder beim eigenen Repertoire, um bekannte Lieder in ein anderes Gewand zu ste-cken. Diesmal hat er neun Lieder vom 2011 erschie-nenen Album «Wolfroy Goes to Town» bzw. B-Sei-ten von den damaligen Sin-gle-Auskoppelungen einer Neuinterpretation unterzo-gen. Wo jenes Album karg instrumentiert war und mitternächtlich daherkam, ist bei den Neuversionen die Sonne in der Form von lustigen Banjos, winselnder Pedal Steel, Fairport-Con-vention-hafter E-Gitarre und dezentem Getrommel aufgezogen. Die beiden ein-zigen neuen Lieder sind am Schluss angehängt: «New Black Rich (Tusks)» ent-hält nebst der schönen Zei-le «and the times are not a-changing fast enough to me» ein herrliches Geigen-solo. «Sailor’s Grave a Sea of Sheep» schliesslich stellt dem Hörer die Aufgabe, die Verbindung zwischen Album- und Songtitel zu entschlüsseln.

hpk.

Kelley MickweeYou Used To Live Here(Blue Rose/MV)

Kelley Mickwee ist eine Performerin, die in den USA schon Hunderte von Gigs absolviert hat – als Teil des Folk-Duos Jed & Kel-ley, dann mit den Trishas, einem All-Girl-Americana-Quartett. Jetzt wagt die Singer-Songwriterin einen Neuanfang. Mit dem ersten Song, dem bezaubernden «River Girl», wird klar, dass hier entspannter, gut geschmierter Memphis-Sound gespielt wird. Mick-wee (Gitarre, Mandoline), ihr Ehemann, Tastenspie-ler und Gitarrist Tim Re-gan, Pedal-Steel-Gitarrist Eric Lewis, Drummer Paul Lewis und Bassist Mark Edgar Stuart nahmen die sieben Songs live im Wohn-zimmer einer herunterge-kommenen Villa auf, die früher dem Bürgerkriegs-Historiker Shelby Fotte gehörte. So verströmt auch die Musik eine modrige, sumpfige Stimmung, und die passt perfekt zu Mick-wees soulgefärbter Stimme. Beeinflusst von Shelby Lyn-ne, Linda Ronstadt, Joan Osborne und Susan Te-deschi, klingt diese Musik eingängig, hinterlässt aber einen unheilvollen Nachge-schmack. Dies ist ein zwin-gendes, ehrliches und kom-promissloses Debüt, vom repetitiven Bassriff, das den trägen Groove des sexy «Hotel Jackson» antreibt, bis zum Midtempo-Rocker «Dark Side of Town», in den die Drogen- und Alko-holwracks die Nächte ver-bringen. Tolles Album.

tl.

Véronique Vincent & Aksak MaboulEx-Futur Album(Crammed Discs)

Die grossartige belgische New-Wave-Band Honey-moon Killers um Sängerin Véronique Vincent war in den Achtzigern Geburts-helfer der legendären bel-gischen Indie-Plattenfirma Crammed Discs, angeführt vom Musiker Marc Hol-lander, der neben den Ho-neymoon Killers auch noch den Act Aksak Maboul ge-gründet hatte. 1984 sollte dieses Album hier eigent-lich veröffentlicht werden, wobei das Vincent und Hollander aus nicht näher angegebenen Gründen ver-worfen hatten. 30 Jahre später sind die Aufnahmen wieder aufgetaucht, und die beiden beschlossen, die Platte jetzt zu veröffentli-chen. Eine gute Entschei-dung, wenn man sich die zehn Tracks (plus Bonus-stücke) anhört. Das Mate-rial ist gut gealtert, hat Pa-tina, und die Mischung aus New-Wave, Véroniques an Nico und Jane Birkin erinnernde Stimme sowie die Sounds zwischen Prä-Electro und arabisch-ori-entalischen Einsprengseln klingen auch 2014 noch frisch. Neben den Original-stücken, darunter die Single «Chez les Aborigines», gibt es drei Liveversionen, dar-unter das in Bremen auf-genommene «Mit den Ein-geborenen», die deutsche Fassung der Single.

tb.

Page 17: Unter Strom - loopzeitung.ch14. Okt. pulp.noir live Soundtrack zum Film 15. Okt. Stereophonic Space Sound 21. Okt. Sun & Rainbow feat. Asep Stone 22. Okt. Whistler & Hustler (Rusconi/Lüchinger)

Wendy McNeillOne Colour More (Haldern Pop)

Fluchen sei eine Sache für Gauner und Priester, singt Wendy McNeill im Titel-track ihrer neuen Platte «One Colour More» und schwört, dass sie dieses Mal die Contenance be-wahrt. Die in Europa le-bende Kanadierin versucht Wort zu halten: Ihr sechster Solowurf vereinigt neun Geschichten von Men-schen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat sind. Dabei entpuppt sich Wendy McNeill als Kate Bush des Folk Noir: Die Songs kommen Über-spanntheiten gleich, was jedoch keine Rolle spielt, weil die Künstlerin es ver-steht, mit der passenden Dramaturgie vorzugehen. Sie überzieht ihre Stücke mit Dunkelheit, umflüstert sie und wirft sie ins Hai-fischbecken ihres Sounds. «J’arrive à la ville» ist eine atemlose Komposition, die nicht nur Akkordeon und Xylophon verbindet, son-dern auch Flamenco-Klat-scher, Tempoverschärfun-gen und Operettenhaftes zu einem gelungenen Ganzen formt. «Civilized Sadness» beginnt so, wie es der Song-titel verspricht: zivilisiert und traurig. Damit begnügt sich McNeill selbstredend nicht. Sie beginnt an den Strukturen zu rütteln, kra-keelt «testing» und lässt irrlichternden Jazz zu. Die Musik ist ungezügelt, vol-ler falscher Fährten und verführerischer Geheim-nisse, die Wendy McNeill glücklicherweise nie ganz preisgibt.

mig.

Zola JesusTaiga(Mute/MV)

Das eröffnende Titelstück klingt, als wäre es in einer Kathedrale aufgenom-men worden. Zola Jesus schichtet Gesangsspuren übereinander, dann fahren verschranzte Beats und Keyboardfanfaren da-zwischen. So weit, so ein-drücklich, so wie gehabt. Doch dann ziehts «Taiga» in die Clubs und ins Radio. «Dangerous Days», «Hun-ger», «Lawless» und «It’s Not Over» sind in mehr oder weniger tanzbarem Tempo gehalten, die Ref-rains haben Popformat. Die Gruftprinzessin des Digital-zeitalters setzt sich damit in die Nachbarschaft von Florence And The Machine und Lykke Li. Das funk-tioniert bei den genann-ten Songs oder auch beim um die Stimme gebauten «Nail» prima, ansonsten aber herrscht die bekannte Mischung aus kalten Beats und weiten Synthieflächen. Und ausgerechnet die Stim-me, eigentlich das grosse Alleinstellungsmerkmal von Zola Jesus, klingt mehr nach Routine denn nach echter Exaltation. Gut: Wer diese Musikerin erst jetzt entdeckt, dürfte von der Eispalast-Atmospähre in Bann gezogen werden. Und Fans dürfen sich trösten, dass Zola Jesus trotz mitt-lerweile vier Alben immer noch erst 25 ist. «Taiga» ist nicht schlecht, aber auch kein grosser Wurf, nennen wir es ein Übergangswerk.

ash.

Lucinda WilliamsDown Where the Spirit Meets the Bone(Highway 20 Records)

Die 61-jährige Lucinda Wil-liams ist eine Spätstarterin. Obwohl sie schon Ende der Siebzigerjahre angefangen hat, Platten aufzunehmen, kam der Durchbruch erst 1998 mit ihrem sehr schö-nen fünften Album «Car Wheels on a Gravel Road». «Down Where...» kommt drei Jahre nach «Blessed» und ist das erste Doppel-Album ihrer Karriere. Das Album enthält zwanzig neue Songs, einer schöner als der Andere. Songs, die wie immer zwischen Coun-try, Folk, Blues und Rock changieren. Melancholisch steigen wir mit ihrer rei-fen, gealterten Stimme in die Platte ein: «Compassi-on» ist ein wunderschönes, nur mit Gitarre begleitetes Stück, das auf einem Ge-dicht ihres Vaters aufbaut und aus dem auch die Zei-le stammt, unter dem das Album segelt. Schon der nächste Track «Protection» ist einer dieser Rocker, die Lucinda Williams auch draufhat. Herausragend für mich auch der Song «One More Day» mit herr-lichen Bläsern. Mit dem Gi-tarristen Bill Frisell, Tony Joe White und Wallflowers-Gitarrist Stuart Mathis hat sie eine feine Begleitband um sich geschart. Beim Gänsehaut-Song «It’s Gon-na Rain» ist dann auch der Sohn von «His Bobness», Jakob Dylan, als Duett-Partner mit dabei.

tb.

DIE NEUEN PLATTENLondon HotlineEs gibt Gelegenheiten, die man sich einfach nicht entge-hen lassen kann. So geschehen mit der Einladung, sich das neue Pink-Floyd-Album vorspielen zu lassen im Hausboot, in dem David Gilmour sein Privatstudio eingerichtet hat. «Hausboot» ist hier der springende Punkt: Ich habe noch nie ein solches betreten, und das ist natürlich eine arge Bil-dungslücke. Die Fahrt zum Hausboot war eine Fahrt tief in den Geist eines vergangenen England. Die «Astoria» liegt in Hampton am Rande von London vor Anker. Für einen überzeugten Nordlondoner wie mich ist eine Reise in den Süden ungefähr so rar wie eine Expedition zum Nordpol. Ich schwöre es, die Luft da unten ist an-ders zusammengesetzt, die Häuser sind anders gebaut, und die Menschen sind anders frisiert. Staunend spazierte ich vom Bahnhof aus durch Strassen, in denen wahrscheinlich schon Shakespeare persönlich gestaunt hatte. David Gilmours «Astoria» liegt vor einem kleinen Park, der einst zu einem viel grösseren Park um einen Prunk-bau gehörte. Der Normalsterbliche betritt Gilmours Reich durch ein unscheinbares, jedoch schwer gesichertes Holz-tor, das diskret in eine zwei Meter hohe Mauer eingelassen ist, welche die Hauptstrasse säumt. Auf der anderen Sei-te der Mauer ist die Hauptstrasse sogleich vergessen. Der Park ist eine Idylle. An einem Steg liegt ein elegantes Mo-torboot («für den Transport zum Pub», heisst es in der Bro-schüre). Meister Gilmour, so stellt sich heraus, betritt dieses Fenster in eine Zeit, als die Welt noch in Ordnung war, nicht durch die Tür in der Mauer. Nein: Nachdem er seinen Karren auf dem Privatparkplatz parkiert hat, wandert er zu seinem Privattunnel, der ihn unter der Strasse hindurch zur Themse führt. Der Geheimtunnel ist ein Kleinod der briti-schen Gartenbaugeschichte: Er wurde vom Garten-Genie Capability Brown im Stil einer Grotte gebaut. Beim Anblick des Bootes andererseits glaubt man sich ins French Quarter von New Orleans versetzt. Es wurde 1911 vom superreichen Londoner Impressario Fred Karno er-baut. Er sparte nicht. Die Holzverkleidungen sind aus Ma-hogany, das Badezimmer besteht aus bestem italienischen Marmor, die Dachterrasse mit ihrem Glasdach ist so gross, dass zu Karnos Zeiten dort ganze Orchester aufgestellt wurden, um die Party im Garten zu besäuseln. Oh, und hier ist die Kajüte mit dem Bett, in dem Charlie Chaplin übernachtete! Zuhinterst im Schiff liegt das Musikzimmer. Das Wohn-zimmer, das von Gilmour zum Quartier seines gewaltigen Mischpultes und allerhand begleitender Maschinen um-funktioniert wurde, befindet sich am anderen Ende. Hier hören wir das neue Floyd-Album «The Endless River». Sel-biges besteht aus vier langen Instrumentalstücken, die um den Kern alter Aufnahmen gebaut sind, welche noch mit dem inzwischen verstorbenen Rick Wright eingespielt wur-den. Das Ganze klingt ein bisschen wie die Fortsetzung der Instrumentalpassagen von «Meddle». Gern hätte ich mich mit David Gilmour und Nick Mason (ein witziger Knabe!) über die Freuden des Seemannseins auf der Themse unter-halten. Leider beschlossen die beiden aber kurzfristig, doch lieber nicht mit der Presse zu reden.

Hanspeter Künzler

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DIE NEUEN PLATTEN

Robert PlantLullaby and... the Ceaseless Roar(Nonesuch/Warner)

Der irische Dichter William Butler Yeats beschwor die Vergänglichkeit des Lebens anhand alter Männer, die im Wasser die Spiegelbilder ihrer Gesichter betrachten: «Alles ändert und einer nach dem anderen ver-schwindet», dachten diese am Ufer sitzenden Greise. Robert Plant ist keines die-ser knorrigen Exemplare. Mit 66 klingt die Stimme der Rockikone bemer-kenswert flexibel. Und der Mann bleibt gnadenlos kreativ. Auf seinem zehnten Soloalbum verweilt Plant am Wasser, um über die ästhetischen, emotionalen und spirituellen Strömun-gen zu reflektieren, die sein Leben geprägt haben. «Lul-laby and... the Ceaseless Roar» ist ein Werk über rei-che, herbstliche Liebe: zur englischen Landschaft, in die er nach mehreren Jah-ren in Übersee zurückge-kehrt ist, zur musikalischen Verbindung von Blues und Nordafrika, zu keltischer und romantischer Literatur, zur Frau (Patty Griffin), die er in seinen Songs verehrt, aber in Texas zurückgelas-sen hat. Vor allem preist das Album die Musik als eine Kraft, die inspiriert und durchs Leben hilft. Die Sensational Shape Shifters sind die perfekte Band, um den Eklektizismus des Sängers in einen spannend instrumentierten Trip zu übersetzen.

tl.

Howard EynonSo What If Im Standing in Apricot Jam(Earth/Fire Records)

Acid-getränkte Folk-Alben von anno dazumal sind längst zu einem separaten Zweig der Retro-Industrie avanciert. Hier herrschen eigene Gesetze. Die norma-le Wahrnehmung von Zeit, Geschmack und Mode gel-ten nicht. Wer sich auf die-se Musik einlässt, muss mit Folgen rechnen, die von einer ernstlichen Bewusst-seinserweiterung bis zur schmerzhaften Gehirnver-stauchung reichen können. Kino-Fans mit dem Gehirn eines Elefanten werden sich daran erinnern, dass How-ard Eynon im ersten «Mad Max» die Rolle des Dia-bando spielte. «So What If Im Standing in Apricot Jam» (man würdige den fehlenden Apostroph im «I’m») war das einzige Al-bum, das der Schauspieler aus dem australischen Tas-manien je veröffentlichte, und zwar vor genau vierzig Jahren. Dem Sound nach zu schliessen war Eynon ein Fan von Donovan, Ralph McTell und Peter Sarstedt, aber auch der Bonzo Dogs. Textzeilen wie «rootle toot and flootle floot and titt-le twittle tee» verraten ein waches Ohr für Ironie und Tiefsinn. Geigen, Mellot-ron, Flöte, Synthi und an-deres mehr bringen Farbe ins Gitarrengeschrummel. Und dazwischen hats ein paar superschöne Melodi-en. Yeah! Und dank dem Rerelease ist der zuvor sündhaft teure Privat-Re-lease nun auch erschwing-lich geworden.

hpk.

Andy TrinklerThree Mile Rd (www.andytrinkler.ch)

Die Musik klingt nach Highway und endloser Motorradfahrt, aber auf der zweitletzten Seite des Booklets seiner CD «Three Mile Rd» wird behauptet: «Andy Trinkler drives by train.» Nun gut. Obschon der Singer/Songwriter in Bands wie Rollin’ Blue Train oder Black Country Candy mitwirkte und sein Solodebüt «Outlaw» be-reits 1991 veröffentlichte, ist sein Name bloss Ein-geweihten geläufig. Auf seinem achten Album co-vert der Berner gleich drei Songgrössen: J.J. Cale, Bruce Cockburn und Tow-nes Van Zandt. Womit der 49-Jährige nicht nur seine Vorlieben verrät, sondern auch seinen eigenen Sound verortet: Die Tracks – neun davon aus des Künstlers eigener Feder – sind nahe an Country, Americana und dem Blues des weis-sen Mannes. Trinkler singt unaufgeregt und mit nasa-ler Stimme vom Jüngsten Gericht, von schottischem Whisky oder dem Nacht-himmel. Geschichten, die am Privaten rühren und sich um die vermeintlich kleinen Dinge des Lebens drehen. Die akustischen Gitarren klingen nach Feu-erstelle; ein Bild, das durch die Mundharmonika auf «On ’97 South» oder das Akkordeon auf «San Juan Blues» noch zusätzlich ak-zentuiert wird. Fakt ist: Die Lieder auf «Three Mile Rd» halten sich von jener Modeströmung fern. Und das ist durchaus recht so.

mig.

Honshu WolvesSilver Ashes Line the Lane(Sacred Hood)

Psychedelischer Blues boomt in der Schweiz, wie Demo-lition Blues, Fai Baba oder auch Roy & The Devil’s Motorcycle zeigen. Aus dem Umfeld der Letzteren kommen die Honshu Wol-ves, die vor drei Jahren mit der EP «Shine On Me» auf Mama Rosins Label Moi J’Connais debütierten und nun ihren ersten Long-player vorlegen. Das Trio spielt den Blues ohne Bass, dafür mit zwei Gitarren und offenen Tunings. Das Tempo bleibt tendenziell gedrosselt, doch erzeugt die Band auch im Schritttem-po Spannung. Das liegt am dichten Sound der in-einandergreifenden Gitar-ren, ganz besonders aber an Sängerin Mary-Anne She-Wolf, die direkt einem Film von Lynch oder Ta-rantino entsprungen sein könnte und in einem Stück wie «What About» glatt als Schweizer Antwort auf Polly Jean Harvey durch-geht. Ganz gelingt es den Wölfen nicht, die über-wältigende Energie ihrer Konzerte auf Platte zu ban-nen. Doch für den Hausge-brauch taugen die acht von Gabriele De Mario (Disco Doom) massiv und doch transparent produzierten Songs allemal. Eine echte Entdeckung. Merkt auch den Namen und haltet Ausschau nach Konzerten, denn die Honshu Wolves sind ein Ereignis.

ash.

Adam CohenWe Go Home (Cooking Vinyl/MV)

Während Leonard Cohen auf seinem neuen Album «Popular Problems» ein-mal mehr über Liebe und Tod ächzt, setzt sich Sohn Adam mit seinem Erzeu-ger auseinander. 2007 wollte Adam Cohen das Musikbusiness eigentlich hinter sich lassen – nicht zuletzt, um dem väterlichen Schatten zu entkommen. Inzwischen hat sich der Filius allerdings mit seiner Familienbande arrangiert. Und Mitte September ver-öffentlichte der 42-Jährige seinen vierten Longplayer «We Go Home». Eine Plat-te voller unspektakulärer, aber frisch anmutender Lieder, die nach innen bli-cken, auf Akustisches set-zen, zum Schleppen neigen und voller Verweise sind. In «Uniform» singt der in Los Angeles lebende Adam Cohen von den Versuchen, Manhattan einzunehmen – ein fast unverhülltes Zitat aus dem Stück «First We Take Manhattan» vom Vater. Vergleiche mit die-sem lässt der Sohn auch in «Fall Apart» aufkom-men: «You’ll be hearing his voice, like you are hearing it now.» Ein Eingeständ-nis, dass der Gesang der beiden Cohens fast iden-tisch klingt. Aus «We Go Home» spricht vor allem der Respekt und die tiefe Verbundenheit gegenüber den Songs von Leonard Cohen. Das ist nur bedingt originell, aber superb aus-geführt.

mig.

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Fr–10–10the codeof the samurai

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Fr–17–10get upand boogie

Funk, HipHop, Dancehall, R’n’B, DiscoDJs Soulfill Franklin, Rasko, Ruoh-Yah, Natty B

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Indie, Rock’n’RollSupport: Monozoo (SH), Special Guests, DJs

Di–21–10bonehouse (SCO)

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Do–23–10jazz bar

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Fr–24–10stahlberger (SG))

Mundart-Pop, LoFi-Mundart-DunkelfolkSupport: Doomenfels (ZH), DJs

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Minimal, 4 To The FloorDJs Audino, Nicola Kazimir, Barbir, Louh

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Freitag, 10.10.FENSTER (DE)

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Samstag, 18.10.DER EINDI-MENSIONALE M E N S C H WIRD 50KONZERTTHEATER

Mittwoch, 22.10.TO ROCOCO ROT (DE)

Blumenbergplatz, St. Gallen

PALACE 10/14

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Do. 2.10.14 Clubraum 20:30Fabrikjazz

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Di. 7.10.14 Ziegel oh Lac 20:30Ziischtigmusig

HUNDRED WATERSSupport

Do. 9.10.14 Aktionshalle 20:30Sugarshit Sharp

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ATMOSPHEREMi. 15.10.14 Kunstraum Walcheturm 20:30Fabrikjazz

JOE MCPHEE & CHRIS CORSANOMi. 22.10.14 Aktionshalle 20:30JackSoul

FUCK BUTTONSSupport

Do. 23.10.14 Aktionshalle 20:30Sugarshit Sharp

BONAPARTETim Fite

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V o r v e r k a u f : w w w . s t a r t i c k e t . c h

Inserat im LOOP vom Oktober 14IG Rote Fabrik Seestrasee 395 8038 Zürich Tel. 044 485 58 58 Fax. 044 485 58 59

Page 21: Unter Strom - loopzeitung.ch14. Okt. pulp.noir live Soundtrack zum Film 15. Okt. Stereophonic Space Sound 21. Okt. Sun & Rainbow feat. Asep Stone 22. Okt. Whistler & Hustler (Rusconi/Lüchinger)

DIE NEUEN PLATTEN

Philip SayceInfluence(Mascot/MV)

Philip who? Nie gehört. Der in Wales geborene und in Toronto aufgewachsene Gitarrist nennt Stevie Ray Vaughan, Jimi Hendrix, Jeff Healey und Eric Clap-ton als seine prägenden Einflüsse. Ihnen widmet der langjährige Melissa-Ethe-ridge-Begleiter sein siebtes Soloalbum, eine Mischung aus Covers und inspirier-ten Eigenkompositionen. «Tom Devil», ein psyche-delischer Rocker, öffnet die Tür zu Sayces musika-lischem Universum. «Out of My Mind» heisst seine Hommage an Hendrix, der die Blues- und Rockgitarre neu definiert hat. Auch mit «Fade Into You» trifft der Mann ins Schwarze. Der Song handelt davon, im Musikbusiness verarscht zu werden. Sayce schlägt mit «Influence» zurück, ei-ner grossartigen Platte mit lodernden Gitarrenlicks und viel Spielfreude, die besonders dann spürbar ist, wenn er fremdes Material covert, wie Little Richards relativ obskures «Green Power». Oder Graham Nashs «Better Days», eine Ballade über Durchhalte-vermögen und Entschluss-kraft, aber auch über Schä-den, die das Business in sensiblen Künstlerpsychen verursacht. «Influence» ist das bisher beste Album des Kanadiers und bietet nuan-cenreichen Rock mit viel Herz.

tl.

Interpol El Pintor (Matador/MV)

Zwölf Jahre ist es her, seit die New Yorker Interpol ihr Album «Turn on the Bright Lights» veröffent-lichten. Im Zuge von The Strokes’ «Is This It» und ortsansässigen Bands wie LCD Soundsystem waren Interpol die unzugängli-chen Anzugträger mit dem melancholischen, kalten New Wave. «Turn on the Bright Lights» wurde mit zunehmendem Hören im-mer besser, und der Track «NYC» mauserte sich zur Post-9/11-Hymne schlecht-hin. Stempel drauf! Zwölf Jahre später fragt man sich: Was ist in den letz-ten Jahren passiert? Die Band hat das nicht minder gute Zweitwerk «Antics» veröffentlicht, allerdings zwei sehr mediokre Plat-ten folgen lassen und am Bandgefüge geschraubt – mittlerweile sind sie noch als Trio unterwegs. Die schlechte Nachricht: Hört man sich die fünf Platten durch, bemerkt man den schleichenden Niedergang nach «Turn on the Bright Lights». Die gute Nach-richt: «El Pintor» hört sich wie eine Revitalisierung an. Allerdings: «Turn on the Bright Lights» ist so zeitgemäss, dass man sich eigentlich keine neue Inter-pol-Platte anschaffen muss. Spass macht das Band-Anagram «El Pintor» trotz-dem. Eine Lesart des Titels: Hier malt die Band am Be-ginn des neuen Gemäldes, das alte ist abgeschlossen.

men.

Fai BabaThe Savage Dreamer(A Tree In A Field/Irascible)

Ein treffender Titel: Fai Ba-bas neustes Album präsen-tiert den Zürcher Ausnah-memusiker tatsächlich als wilden Träumer. Es beginnt mit Flöte, Violine und Pia-no wie ein verwunschenes Folk-Werk aus den frühen 70ern. Und dort bleibt man fürs Erste, denn «You Love Like An Animal» klingt in Teilen wie die Doors. Ein-mal mehr atemberaubend ist der Gesang: So schutzlos wie etwa in «True Friend» gibt sich selten ein Sänger preis, schon gar kein coo-ler Zürcher. Diese Verletz-barkeit verleiht der Musik ihre Schönheit, denn sie vermittelt eine Kraft, die berührender wirkt als die Ausbrüche auf der E-Gitar-re, die hier seltener geritten werden als auch schon. Da-für gibt es zwei, drei Num-mern mit pumpenden Beats und daddelnden Synthies. Einmal mehr präsentiert sich Fabian Sigmund mit so viel Talent gesegnet, dass ihm alles scheinbar mü-helos gelingt. Vier Alben hat er in vier Jahren veröf-fentlicht, jedes davon eine Empfehlung wert. Man ertappt sich beim Gedan-ken, was wäre, wenn das nächste für einmal nicht unbehauen, sondern raus-geputzt klänge: Würde aus Fai Baba, dem König der Schweizer Alternativszene, dann ein richtiger Popstar?

ash.

45Prince«Hate in the 80’s» (Cheap Rewards) von Bobby Sox ist ei-ner der besten Killed-By-Death-Songs. Aufgenommen 1981 in Texas, vereint er den Charme eines Sixties-Garage-Songs mit dem Hass eines Armee-Marsches. Die kleine Trommel stampft die ganze Zeit auf Deiner Stirn, eine dunkle, ver-zerrte Gitarre schreddert monoton und gräbt sich zusam-men mit dem Bass in die Höhle. Der Gesang, nahe dem Wahnsinn, herumkommandiert vom Begleit gesang. «Sca-venger of Death» gräbt sich langsam, hypnotisch und eben-so beängstigend durch den Dreck dieser Welt. Kein Wun-der entschied sich ein späterer Bandableger vorsichtshalber für einen anderen Sänger. Look out!Straight Arrows haben Europa besucht und ihre Toursing-le «Petrified» (Agitated) feilgeboten. Bereits auf ihrer LP auf Hozac Records legt dieser gemächliche Sixties-Punker über einen Strafgaleeren-Beat ein eingängiges Gitarrenriff und tief eingehallten Gesang und wird diesen Herbst so manches Tanzparkett aufpolieren. Der luftig lockere Frat-Rocker «Information, Man» ist nur hier zu finden und eine tolle Easy-Beats-Reminiszenz. Die Australier kombinieren also wunderbar den Hip-Disco-Appeal von den Oh-Sees mit Black-Lipsism. Der Zufall wollte es, dass Shady and The Vamp auf ihrer Europa-Tour gleich mehrere Daten gemeinsam mit den Straight Arrows spielten. Und so gab es am Verkaufstand den Clash der Toursingles. «Toothpaste» (Suisse Primiti-ve) ist ein pogo-überrollender Punk-Ripper mit kurzem, extrafeinem Gitarrensolo und absolut stimmruinierenden Backingvocals. «X-Ray Vision» ist auch ohne die herrliche Videomontage ein Hit. Handclaps hier und dort, ein rol-lickender Basslauf, plötzlich einsetzende und total überfah-rende Gitarrenwände. 75 Sekunden der volle Durchblick. Die drei Luzerner wären nicht die herzbrechenden Teen-ager-Schwärme ohne ihre Balladen, und so lässt «I Want You» das Hallenstadion im Feuerzeuglicht erstrahlen. Zu-sammen mit «Heart of Chrome» von den Persuaders der beste Wangenwärmer in der Garage-Imperium-Disco.

Philipp Niederberger

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Hyperdub mit Fatima Al Qadiri

Was im vorderen Teil gar nicht vorgekommen ist, ist natürlich das hono-rige Label Hyperdub. Das englische Plattenhaus des Dubstep-Miterfinders Kode 9 feiert dieses Jahr den zehnten Geburtstag mit lohnenswerten Sam-plern, welche die verschiedenen Spektren dieser eigensinnigen Bassmusik ausloten. Da trifft es sich gut, dass im Oktober neben Jessy Lanza auch Fatima Al Qadiri die Schweiz besucht. Al Qadiri ist im Senegal geboren, in Kuwait aufgewachsen und seit dem Studium in Brooklyn angesiedelt. Ihr Werk ist hochartifiziell und spielt mit Identitäten, wie auf ihrem Album «Asiatisch» nachzuhören ist. Hier gibts etwa «Nothing Compares 2 U» in einer China-Synth-Version zu hören. Der Kitsch ist dabei immerzu einge-schrieben und wird auch gleich wieder durch tiefste Bässe sabotiert. Der Abend im Bad Bonn ist zudem Teil der Megarave-Ausstellung im Kunst-haus Langenthal, eine sehenswerte Schau, die zwanzig Jahre nach den Riesenpartys auf dem Roggwiler Gugelmann-Areal ein Stück Feierkultur vergegenwärtigt. (bs)

3.10., Palace, St. Gallen (mit James Ferraro); 4.10., Bad Bonn, Düdingen. «Megarave» im Kunsthaus Langenthal ist bis 16. November zu sehen.

Raushauen mit Antemasque

Eigentlich wollten sie ja nie wieder gemeinsame musikalische Sache ma-chen. Denn wenn Cedrix Bixler und Omar Rodriguez aufeinandertreffen, können schon mal die Funken fliegen. Mit der Band At The Drive-In haben sie in den späten Neunzigerjahren die letzte entscheidende Etappe der Post-Hardcore-Phase geprägt, danach war Schluss.Nicht wirklich. Die beiden kreativen Köpfe gründeten später eine weitere wegweisende Band: The Mars Volta. Unter diesem Namen gaben sie sich ausschweifenderen Experimenten auf dem Gebiet des Progrock hin. Sie wur-den vom Feuilleton bejubelt und von den Fans geliebt, doch Anfang 2013 löste sich die Band auf. Das Ende schien ein definitives zu sein, also war erst einmal grosses Seufzen angesagt. Doch dann rauften sich Rodriguez und Bix-ler ein drittes Mal zusammen und kehrten unter dem Namen Antemasque ins Musikgeschäft zurück. Anfang April lancierten sie sozusagen aus dem Nichts heraus ihre erste Single «4 AM» als digitalen Download. Tags darauf legten sie das Stück «Hangin’ in the Lurch» nach, und knappe 24 Stunden später folgte «People Forget». Anfang Juli war ihr Debüt-Album draussen.Und wenn man sich die in atemloser Folge veröffentlichten Songs dieser neuen/alten Supergruppe anhört, bleibt einem die Spucke weg. Denn das Quartett – im Studio für kurze Zeit von Chili-Peppers-Bassist Flea unter-stützt – haut Lieder raus, die sich der Intensität von nach wie vor uner-reichten Bands wie Black Flag und Minutemen verpflichtet. Das wird ein verdammtes Feuerwerk, liebe Freunde. (amp)

9.10., Rote Fabrik, Zürich, 10.10., Amalgame, Yverdon

NACHTSCHICHT

Nörgeln mit Kreisky

Mosern und Hadern sind österreichische Spezialitäten, und Spezialisten in diesen Disziplinen sind Kreisky. Das Quartett fabriziert eckigen, splittern-den Rock, der an den Nerven zerrt, sofern man sein Gehör nicht an der Birthday Party oder The Fall geschult hat. Sänger Franz Wenzel nörgelt, zetert und spottet, wie es wohl nur ein Wiener kann. Dabei könnte er auch anders, wie er in seiner Zweitkarriere als Austrofred mit verösterreicher-ten Queen-Songs zeigt. Vier Alben haben Kreisky seit 2007 veröffentlicht, «Trouble» warf 2011 mit «Scheisse, Schauspieler» einen kleinen Hit ab. Im Frühling des laufenden Jahres folgte «Blick auf die Alpen», aber wenn Kreisky auf die Berge schauen, sehen sie keine Idylle, sondern die Trüm-mer verkrachter Existenzen. Nein, für einen entspannenden Feierabend mit Tanzmusik taugt diese Band nicht. Schwarzmaler und Misanthropen aber dürfen sich auf vier Männer freuen, die selbst den miesepetrigsten Schwei-zer gemütlich wirken lassen. (ash)

15.10., Rössli, Bern; 16.10., Helsinki, Zürich

Wuseln mit Atmosphere

Minneapolis ist schon mal eine gute Heimat, was die Popkultur betrifft. Prince stammt von dort, ebenso die Proto-Hardcore-Helden von Hüs-ker Dü. Und mit «Mary Tyler Moore» spielte in der Zwillingsstadt von St. Paul auch eine der besten Sitcoms der Siebzigerjahre. Aus Minneapolis stam-men aber auch MC Slug und DJ Ant, die beiden Männer hinter dem HipHop-Duo Atmosphere. Vor einem Vierteljahrhundert haben sie sich, damals noch auf der High School, zusammengetan, um gemeinsame Sache zu machen. Es sollte dann allerdings noch acht Jahre dauern, bevor im Spätsommer 1997 das Debütalbum «Overcast!» erschien. Bei geschmackssicheren College-Radios erhielt das Werk einiges an Airplay, und die beiden Musikanten begaben sich in der Folge auf ausgedehnte Tourneen – was sie bis heute beibehalten haben. Anfang März haben Slug und Ant ihr siebtes Album «Southsiders» ver-öffentlicht, mit dem sie souverän auf Platz 8 in die Billboard-Charts ein-gestiegen sind. Ihre leicht verdüsterte Spielart des HipHop haben sie in-zwischen perfektioniert und mit allerhand Schattierungen angereichert. Atmosphärisches Fiepsen aus dem Synthesizer, Klimperklavier, WahWah-Gitarren und verhallte Melodica-Einsprengsel wuseln unter Slugs Reimen herum, während der Meister himself über die ganz grossen, wenngleich bisweilen gefährlichen Themen rappt, die den Alltag in der Männerwelt prägen: Alkohol und Frauen. (amp)

11.10., Rote Fabrik, Zürich

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NACHTSCHICHT

Caribou mit Jessy Lanza

«57885021»: Glaubt man ihrem gleichnamigen Song, ist dies die Nummer, die man auf dem Telefon wählen muss, wenn man Jessy Lanza erreichen will. Erschienen ist dieser eisig-verführende R’n’B-Skelettsong auf ihrem Hyperdub-Debüt «Pull My Hair Back» der Kanadierin, die auf dieser Plat-te eine Ahnung vermittelt, wie der Electro-Pop auch klingen kann: abstrakt und doch eingängig, flehend und doch distanziert. Kurz, diese Songs sind ein höchst lohnenswertes Gegenwartspop-Unterfangen. Nicht erst seit «Pull My Hair Back» kennt Dan Snaith alias Caribou, der wie die Sängerin und Produzentin aus der Provinz Ontario stammt, die Telefonnummer von Jessy Lanza. Auf Caribous neuem Album «Our Love» wird auch Lanzas Stimme zu hören sein – und so ergibt das denn auch Sinn, wenn sie sich dem Tourtross des Nichttrinkers Snaith anschliesst, um das Vorprogramm zu bestreiten. Wie Caribou im offenherzigen Track des Jahres «Can’t Do Without You» schön bekennt, geht es nicht ohne Publi-kum – und das gilt auch für Jessy Lanza. Deshalb sei an dieser Stelle eine frühe Anreise sehr empfohlen (bs) 20.10., Komplex 457, Zürich

Flirren mit den Fuck Buttons

Zwei junge Männer treffen sich auf der Kunsthochschule, unterhalten sich über Musik und entdecken dabei ziemlich viele Gemeinsamkeiten ihrer doch eher ausgefallenen Geschmäcker. Also tun sie sich zu einer Band zu-sammen und legen los. So war das auch im Fall der Fuck Buttons. Andrew Hung und Benjamin John Power begegneten sich Mitte der Nullerjahre beim Studium an der Art School in Bristol. Bald schon werkelten sie an ihrem gemeinsamen Musikprojekt, um einen Film zu vertonen, den Hung im Rahmen seines Studiums der Illustration gedreht hatte. Daneben absol-vierten sie erste Live-Auftritte, bei denen sie sich eine verschworene An-hängerschaft erspielten. 2007 folgte eine Single auf dem ehrenwerten Label ATP Recordings, die von der Fachpresse begeistert kommentiert wurde. Im folgenden Frühjahr legten sie das von Mogwai-Gitarrist John Cummings produzierte Debütalbum «Street Horrrsing» nach, das erneut eine Reihe begeisterter Reviews nach sich zog. Nennen wir es einfach mal elektro-nische Musik mit Industrial- und Post-Rock-Versatzstücken, vorgetragen mit einer Gerätschaft, die neben dem amtlichen Laptop und diversen Klim-per-Keyboards auch Kinderinstrumente wie etwa eine Fisher-Price-Kara-okemaschine umfasst. Damit erschaffen Hung und Power ihre flirrenden Klangwelten voller Geknarze und Geklöppel. Ziemlich clever. (amp)

22.10., Rote Fabrik, Zürich, 23.10., Case à Chocs, NeuenburgTaumeln mit den Liars

Sie sind nicht mehr jung, und eigentlich brauchen sie niemandem mehr etwas zu beweisen. Doch auch im fünfzehnten Jahr ihres Bandbestehens gehen die Liars unbeirrt ihren Weg, der die Fans verblüfft. Während ih-rer Karriere haben sie ihr Line-up immer wieder verändert, verlegten den Hauptsitz von Kalifornien nach New York, nach Berlin, dann wieder zu-rück nach New York. Und diese personelle und geographische Unfassbar-keit passt auch bestens zu ihrer Musik, die sich im Verlauf der bislang sie-ben Alben umfassenden Diskographie durch permanente Repositionierung ausgezeichnet hat.Als Konstante ist da natürlich eine gewisse Dringlichkeit auszumachen, die das Gesamtwerk prägt. Ein Hang zu furiosem und über weite Strecken leicht durchgeknalltem Klangschaffen, das allerdings auch elegische, ge-radezu besinnliche Passagen zulässt. Doch wenn man denkt, die Liars in einem gewissen Stilsegment festgemacht zu haben, veröffentlichen sie eine neue Platte und werfen wieder alles über den Haufen. So geschehen mit dem aktuellen Werk «Mess», auf dem Angus Andrew, Aaron Hemphill und Julian Gross einen aufgepeitschten, aber dennoch herrlich zerknautschten Entwurf von Electropunk präsentieren. Das taumelt dann musikalisch in alle möglichen Richtungen, reisst einen unvermittelt mit und landet schliess-lich dort, wo man sehr gerne ist. Einen möglichst langen Abend lang. (amp)

23.10., Case à Chocs, Neuenburg, 24.10., Rote Fabrik, Zürich

Fliegen mit Shabazz Palaces

Wie geht HipHop im Jahr 2014? Das Duo Shabazz Palaces aus Seattle hat eine Spielart ausgeheckt, die wunderbar funktioniert. Auf ihrem dritten Al-bum «Lese Majesty» entschwinden Palaceer Lazaro, der in seinem frühe-ren Leben Ishmael «Butterfly» Butler geheissen und als eleganter MC den Neunzigerjahre-Jazz-HipHop der Digable Planets miterfunden hat, und sein Komplize Tendai «Baba» Maraire im Weltall. Die beiden greifen aus dem von Afrofuturisten wie Sun Ra mythologisierten «Space» nach dem Rap-Thron, den die Kanye Wests und Jay-Zs dieser Welt innehaben – denn der Battle-Handschuh, er fliegt mit. Ihr einziges Schweizer Konzert in die-sem Jahr spielen Shabazz Palaces im Rahmen der Erstausgabe des Indoor-Ablegers des honorigen B-Sides-Festivals. Neben Shabazz Palaces gibts natürlich viele weitere Konzerte – etwa von den Korameistern Toumani & Sidiki Diabate, vom Meisterarrangeur Son Lux und den wunderbaren Sonnenanbetern Peaking Lights. Und da auch das überdachte B-Sides kein eng gefasstes Musikfestival ist, gibts überdies Literatur, die lustigste Dr. Lüdi Show, ein Kinderfest und natürlich liebevoll gekochtes Catering. Zum Wohl! (bs)

28.10. bis 2.11., Luzern, www.indoorfestival.b-sides.ch

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