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Leseprobe Meister Eckhart Vom Adel der menschlichen Seele Bestellen Sie mit einem Klick für 4,95 € Seiten: 112 Erscheinungstermin: 26. Juli 2021 Mehr Informationen zum Buch gibt es auf www.penguinrandomhouse.de

Vom Adel der menschlichen Seele

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Page 1: Vom Adel der menschlichen Seele

Leseprobe

Meister Eckhart

Vom Adel der menschlichen Seele

Bestellen Sie mit einem Klick fuumlr 495 euro

Seiten 112

Erscheinungstermin 26 Juli 2021

Mehr Informationen zum Buch gibt es auf

wwwpenguinrandomhousede

Meister Eckhart Vom Adel der menschlichen Seele

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Meister Eckhart

Vom Adel der menschlichen Seele

Herausgegeben und eingeleitet von Gerhard Wehr

ANACONDA

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INHALT

Einleitung 7

Vom edlen Menschen 30

Worte der Unterweisung 36

Geeint sein und verwandelt werden 71

Gott und die Seele 86

Unterwegs zur Gottesgeburt 96

Literaturhinweise 108

9783730610169_10_INH_Eckhart_Adel-der-Seeleindd 59783730610169_10_INH_Eckhart_Adel-der-Seeleindd 5 14042021 09294414042021 092944

Gott hat all seine Lust in der Geburtund darum gebiert er seinen Sohn in uns

dass auch wir all unsere Lust darin haben hellip

DW II 627

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BERUumlHMT UND KAUM BEKANNT

Die Gestalt Meister Eckharts oft geruumlhmt als Haupt der deutschen Mystik uumlbt seit Langem eine starke Faszination aus Dabei wissen wir verhaumlltnismaumlszligig wenig von seinen Lebensumstaumlnden So stammt von dem protestantischen Kirchenhistoriker Albert Hauck das Wort raquoMit Meister Eckhart nennen wir einen groszligen Namen aber der Name bedeutet eine groszlige Frage Wir kennen Eckhart und kennen ihn nichtlaquo ndash Eckharts Person tritt hinter das Werk des Philosophen und Mystikers des Lehrers Predigers und Seelsorgers zuruumlck Wer daher diesem raquoMeis-terlaquo begegnen will der muss ihn dort suchen wo er in deutscher und lateinischer Sprache die Ergeb-nisse seines Forschens und Suchens niedergelegt hat naumlmlich in seinen Schriften und Predigten in seinen Unterweisungen und Traktaten Dabei ist hier die Frage nicht zu entscheiden ob die lateini-schen Wortlaute den deutschen vorzuziehen seien

EINLEITUNG

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LEBENSSPUREN

Um das Jahr 1260 wird Eckhart von Hochheim in Thuumlringen geboren Es muss jedoch offen bleiben ob Hochheim einen Adelsnamen darstellt oder eine Herkunftsbezeichnung ungewiss ist ferner welches Hochheim gemeint sei Wir wissen nicht was ihn bewogen haben mag ins Kloster zu gehen und Moumlnch zu werden statt ndash gegebenenfalls ndash als Land-edelmann sein Gut zu bestellen der Jagd zu oblie-gen Turniere auszutragen und im Falle eines Krie-ges dem Koumlnig Heerfolge zu leisten

Freilich als Eckhart das Licht der Welt erblickt dauert noch die sogenannte raquokaiserlose die schreck-liche Zeitlaquo an die bis zum Jahre 1273 gedauert hat Und ein anderes die abendlaumlndische Kirchen-geschichte einschneidendes Ereignis steht bevor die sogenannte raquobabylonische Gefangenschaftlaquo der Paumlpste die zwischen 1309 und 1377 im franzoumlsi-schen Avignon residieren und dort ein Finanzimpe-rium von noch nicht da gewesenem Ausmaszlig auf-bauen

Eckhart wird Dominikaner das heiszligt Er tritt je-nem Orden bei der aumlhnlich dem Franziskanerorden die Tugenden der apostolischen Armut und einer strengen asketischen Lebenshaltung pflegt Und noch etwas zeichnet diese Moumlnche aus Sie sind nicht an ein und dasselbe Kloster gebunden Das verschafft den Bettelmoumlnchen den missionarisch

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aktiven geistlichen Soumlhnen des Dominikus die er-forderliche Mobilitaumlt Und hinsichtlich ihrer Ge-lehrsamkeit nehmen sie es mit den Franziskanern auf Dominikaner und Franziskaner bestimmen als Philosophen wie als Theologen das geistig-geistliche Leben des 13 und 14 Jahrhunderts Sie besetzen die Lehrstuumlhle an den hohen Schulen

Es ist die Zeit in der ndash zwischen 1250 und 1268 ndash die Hohenstaufen untergehen Es ist aber auch die Zeit in der die Baumeister der Gotik die himmel-anstrebenden Dome und Kathedralen errichten waumlhrend die Lehrmeister der zeitgenoumlssischen Phi-losophie eben die Angehoumlrigen beider Orden ihre nicht minder kuumlhnen Ideengeruumlste des glaumlubig den-kenden Menschen ausgestalten

Der junge Eckhart nimmt nicht nur die geistige Nahrung des scholastischen Denkens in sich auf als er in das Dominikanerkloster in Erfurt eintritt Er wird selbst ein raquoMeisterlaquo (magister) also ein Profes-sor dieser herrschenden philosophischen Schulrich-tung in der man beispielsweise das Verhaumlltnis von Glauben und Erkennen zu bestimmen sucht Josef Pieper bemerkt hierzu

raquoDie Verknuumlpfung von Vernunft und Glaube hellip besagt dass ein rationales Verstaumlndnis des in der Offenbarung ergangenen Wortes Gottes zu errei-chen sein muumlsse dieses Prinzip beruht offenkundig auf einem ausdruumlcklichen tiefen Vertrauen in die natuumlrlichen Erkenntniskraumlfte des Menschenlaquo

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Ehe nun Eckhart naumlher mit dieser Problematik in Beruumlhrung kommt fungiert er als Prior seines Klosters in Erfurt und als Vikar seines Ordens in Thuumlringen Der noch nicht Vierzigjaumlhrige ist dem-nach ndash um 1298 ndash ein in Mitteldeutschland geach-teter Ordensmann Seine raquoReden der Unterwei-sunglaquo Wortlaute abendlicher Lehrgespraumlche die uns heute zusammen mit seinen Predigten wieder zugaumlnglich sind stammen aus dieser ersten Zeit Darin heiszligt es

raquoDer Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemuumlt daran gewoumlhnen Gott allezeit gegenwaumlrtig zu haben im Gemuumlt und im Streben und in der Liebe Achte darauf wie du deinem Gott zugekehrt bist wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle Diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheitlaquo

Die mystische Ausrichtung die aus diesen Zei-len spricht ist unverkennbar In der Gottesgegen-wart leben und zwar unabhaumlngig von dem augen-blicklichen Aufenthaltsort auch unabhaumlngig von der jeweiligen Taumltigkeit ndash das ist das eine Zum an-dern gilt es in dieser raquoGestimmtheitlaquo ndash es ist viel mehr als nur eine Stimmung ndash in den Alltag hi-neinzugehen und in ihm zu wirken Denn nicht weltfluumlchtiges Nichtstun kennzeichnet die mys-tische Grundhaltung eines Meisters Eckhart kommt es doch gerade darauf an raquoin allen Din-

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genlaquo in allen Verrichtungen in allen Lebenssitua-tionen Gott zu raquoergreifenlaquo Im Naumlchstliegenden faumlngt der Gottesdienst an Man koumlnnte allenfalls darauf hinweisen dass dies keinesfalls allein eine eckhartsche Lehre sei Kennen wir sie nicht auch aus dem Zen-Buddhismus kennen wir sie nicht ebenso von dem Baal-Schem-Tow und seinen chas-sidischen Gefolgsleuten (Unnoumltig die Beteuerung dass derlei Hinweise nicht im Sinne einer Nivellie-rung dessen gemeint sein koumlnnen was man eine mystische Lebenslehre nennt)

ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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Meister Eckhart Vom Adel der menschlichen Seele

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Meister Eckhart

Vom Adel der menschlichen Seele

Herausgegeben und eingeleitet von Gerhard Wehr

ANACONDA

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INHALT

Einleitung 7

Vom edlen Menschen 30

Worte der Unterweisung 36

Geeint sein und verwandelt werden 71

Gott und die Seele 86

Unterwegs zur Gottesgeburt 96

Literaturhinweise 108

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Gott hat all seine Lust in der Geburtund darum gebiert er seinen Sohn in uns

dass auch wir all unsere Lust darin haben hellip

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BERUumlHMT UND KAUM BEKANNT

Die Gestalt Meister Eckharts oft geruumlhmt als Haupt der deutschen Mystik uumlbt seit Langem eine starke Faszination aus Dabei wissen wir verhaumlltnismaumlszligig wenig von seinen Lebensumstaumlnden So stammt von dem protestantischen Kirchenhistoriker Albert Hauck das Wort raquoMit Meister Eckhart nennen wir einen groszligen Namen aber der Name bedeutet eine groszlige Frage Wir kennen Eckhart und kennen ihn nichtlaquo ndash Eckharts Person tritt hinter das Werk des Philosophen und Mystikers des Lehrers Predigers und Seelsorgers zuruumlck Wer daher diesem raquoMeis-terlaquo begegnen will der muss ihn dort suchen wo er in deutscher und lateinischer Sprache die Ergeb-nisse seines Forschens und Suchens niedergelegt hat naumlmlich in seinen Schriften und Predigten in seinen Unterweisungen und Traktaten Dabei ist hier die Frage nicht zu entscheiden ob die lateini-schen Wortlaute den deutschen vorzuziehen seien

EINLEITUNG

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LEBENSSPUREN

Um das Jahr 1260 wird Eckhart von Hochheim in Thuumlringen geboren Es muss jedoch offen bleiben ob Hochheim einen Adelsnamen darstellt oder eine Herkunftsbezeichnung ungewiss ist ferner welches Hochheim gemeint sei Wir wissen nicht was ihn bewogen haben mag ins Kloster zu gehen und Moumlnch zu werden statt ndash gegebenenfalls ndash als Land-edelmann sein Gut zu bestellen der Jagd zu oblie-gen Turniere auszutragen und im Falle eines Krie-ges dem Koumlnig Heerfolge zu leisten

Freilich als Eckhart das Licht der Welt erblickt dauert noch die sogenannte raquokaiserlose die schreck-liche Zeitlaquo an die bis zum Jahre 1273 gedauert hat Und ein anderes die abendlaumlndische Kirchen-geschichte einschneidendes Ereignis steht bevor die sogenannte raquobabylonische Gefangenschaftlaquo der Paumlpste die zwischen 1309 und 1377 im franzoumlsi-schen Avignon residieren und dort ein Finanzimpe-rium von noch nicht da gewesenem Ausmaszlig auf-bauen

Eckhart wird Dominikaner das heiszligt Er tritt je-nem Orden bei der aumlhnlich dem Franziskanerorden die Tugenden der apostolischen Armut und einer strengen asketischen Lebenshaltung pflegt Und noch etwas zeichnet diese Moumlnche aus Sie sind nicht an ein und dasselbe Kloster gebunden Das verschafft den Bettelmoumlnchen den missionarisch

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aktiven geistlichen Soumlhnen des Dominikus die er-forderliche Mobilitaumlt Und hinsichtlich ihrer Ge-lehrsamkeit nehmen sie es mit den Franziskanern auf Dominikaner und Franziskaner bestimmen als Philosophen wie als Theologen das geistig-geistliche Leben des 13 und 14 Jahrhunderts Sie besetzen die Lehrstuumlhle an den hohen Schulen

Es ist die Zeit in der ndash zwischen 1250 und 1268 ndash die Hohenstaufen untergehen Es ist aber auch die Zeit in der die Baumeister der Gotik die himmel-anstrebenden Dome und Kathedralen errichten waumlhrend die Lehrmeister der zeitgenoumlssischen Phi-losophie eben die Angehoumlrigen beider Orden ihre nicht minder kuumlhnen Ideengeruumlste des glaumlubig den-kenden Menschen ausgestalten

Der junge Eckhart nimmt nicht nur die geistige Nahrung des scholastischen Denkens in sich auf als er in das Dominikanerkloster in Erfurt eintritt Er wird selbst ein raquoMeisterlaquo (magister) also ein Profes-sor dieser herrschenden philosophischen Schulrich-tung in der man beispielsweise das Verhaumlltnis von Glauben und Erkennen zu bestimmen sucht Josef Pieper bemerkt hierzu

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Ehe nun Eckhart naumlher mit dieser Problematik in Beruumlhrung kommt fungiert er als Prior seines Klosters in Erfurt und als Vikar seines Ordens in Thuumlringen Der noch nicht Vierzigjaumlhrige ist dem-nach ndash um 1298 ndash ein in Mitteldeutschland geach-teter Ordensmann Seine raquoReden der Unterwei-sunglaquo Wortlaute abendlicher Lehrgespraumlche die uns heute zusammen mit seinen Predigten wieder zugaumlnglich sind stammen aus dieser ersten Zeit Darin heiszligt es

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Die mystische Ausrichtung die aus diesen Zei-len spricht ist unverkennbar In der Gottesgegen-wart leben und zwar unabhaumlngig von dem augen-blicklichen Aufenthaltsort auch unabhaumlngig von der jeweiligen Taumltigkeit ndash das ist das eine Zum an-dern gilt es in dieser raquoGestimmtheitlaquo ndash es ist viel mehr als nur eine Stimmung ndash in den Alltag hi-neinzugehen und in ihm zu wirken Denn nicht weltfluumlchtiges Nichtstun kennzeichnet die mys-tische Grundhaltung eines Meisters Eckhart kommt es doch gerade darauf an raquoin allen Din-

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ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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Meister Eckhart

Vom Adel der menschlichen Seele

Herausgegeben und eingeleitet von Gerhard Wehr

ANACONDA

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INHALT

Einleitung 7

Vom edlen Menschen 30

Worte der Unterweisung 36

Geeint sein und verwandelt werden 71

Gott und die Seele 86

Unterwegs zur Gottesgeburt 96

Literaturhinweise 108

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Gott hat all seine Lust in der Geburtund darum gebiert er seinen Sohn in uns

dass auch wir all unsere Lust darin haben hellip

DW II 627

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BERUumlHMT UND KAUM BEKANNT

Die Gestalt Meister Eckharts oft geruumlhmt als Haupt der deutschen Mystik uumlbt seit Langem eine starke Faszination aus Dabei wissen wir verhaumlltnismaumlszligig wenig von seinen Lebensumstaumlnden So stammt von dem protestantischen Kirchenhistoriker Albert Hauck das Wort raquoMit Meister Eckhart nennen wir einen groszligen Namen aber der Name bedeutet eine groszlige Frage Wir kennen Eckhart und kennen ihn nichtlaquo ndash Eckharts Person tritt hinter das Werk des Philosophen und Mystikers des Lehrers Predigers und Seelsorgers zuruumlck Wer daher diesem raquoMeis-terlaquo begegnen will der muss ihn dort suchen wo er in deutscher und lateinischer Sprache die Ergeb-nisse seines Forschens und Suchens niedergelegt hat naumlmlich in seinen Schriften und Predigten in seinen Unterweisungen und Traktaten Dabei ist hier die Frage nicht zu entscheiden ob die lateini-schen Wortlaute den deutschen vorzuziehen seien

EINLEITUNG

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LEBENSSPUREN

Um das Jahr 1260 wird Eckhart von Hochheim in Thuumlringen geboren Es muss jedoch offen bleiben ob Hochheim einen Adelsnamen darstellt oder eine Herkunftsbezeichnung ungewiss ist ferner welches Hochheim gemeint sei Wir wissen nicht was ihn bewogen haben mag ins Kloster zu gehen und Moumlnch zu werden statt ndash gegebenenfalls ndash als Land-edelmann sein Gut zu bestellen der Jagd zu oblie-gen Turniere auszutragen und im Falle eines Krie-ges dem Koumlnig Heerfolge zu leisten

Freilich als Eckhart das Licht der Welt erblickt dauert noch die sogenannte raquokaiserlose die schreck-liche Zeitlaquo an die bis zum Jahre 1273 gedauert hat Und ein anderes die abendlaumlndische Kirchen-geschichte einschneidendes Ereignis steht bevor die sogenannte raquobabylonische Gefangenschaftlaquo der Paumlpste die zwischen 1309 und 1377 im franzoumlsi-schen Avignon residieren und dort ein Finanzimpe-rium von noch nicht da gewesenem Ausmaszlig auf-bauen

Eckhart wird Dominikaner das heiszligt Er tritt je-nem Orden bei der aumlhnlich dem Franziskanerorden die Tugenden der apostolischen Armut und einer strengen asketischen Lebenshaltung pflegt Und noch etwas zeichnet diese Moumlnche aus Sie sind nicht an ein und dasselbe Kloster gebunden Das verschafft den Bettelmoumlnchen den missionarisch

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aktiven geistlichen Soumlhnen des Dominikus die er-forderliche Mobilitaumlt Und hinsichtlich ihrer Ge-lehrsamkeit nehmen sie es mit den Franziskanern auf Dominikaner und Franziskaner bestimmen als Philosophen wie als Theologen das geistig-geistliche Leben des 13 und 14 Jahrhunderts Sie besetzen die Lehrstuumlhle an den hohen Schulen

Es ist die Zeit in der ndash zwischen 1250 und 1268 ndash die Hohenstaufen untergehen Es ist aber auch die Zeit in der die Baumeister der Gotik die himmel-anstrebenden Dome und Kathedralen errichten waumlhrend die Lehrmeister der zeitgenoumlssischen Phi-losophie eben die Angehoumlrigen beider Orden ihre nicht minder kuumlhnen Ideengeruumlste des glaumlubig den-kenden Menschen ausgestalten

Der junge Eckhart nimmt nicht nur die geistige Nahrung des scholastischen Denkens in sich auf als er in das Dominikanerkloster in Erfurt eintritt Er wird selbst ein raquoMeisterlaquo (magister) also ein Profes-sor dieser herrschenden philosophischen Schulrich-tung in der man beispielsweise das Verhaumlltnis von Glauben und Erkennen zu bestimmen sucht Josef Pieper bemerkt hierzu

raquoDie Verknuumlpfung von Vernunft und Glaube hellip besagt dass ein rationales Verstaumlndnis des in der Offenbarung ergangenen Wortes Gottes zu errei-chen sein muumlsse dieses Prinzip beruht offenkundig auf einem ausdruumlcklichen tiefen Vertrauen in die natuumlrlichen Erkenntniskraumlfte des Menschenlaquo

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Ehe nun Eckhart naumlher mit dieser Problematik in Beruumlhrung kommt fungiert er als Prior seines Klosters in Erfurt und als Vikar seines Ordens in Thuumlringen Der noch nicht Vierzigjaumlhrige ist dem-nach ndash um 1298 ndash ein in Mitteldeutschland geach-teter Ordensmann Seine raquoReden der Unterwei-sunglaquo Wortlaute abendlicher Lehrgespraumlche die uns heute zusammen mit seinen Predigten wieder zugaumlnglich sind stammen aus dieser ersten Zeit Darin heiszligt es

raquoDer Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemuumlt daran gewoumlhnen Gott allezeit gegenwaumlrtig zu haben im Gemuumlt und im Streben und in der Liebe Achte darauf wie du deinem Gott zugekehrt bist wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle Diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheitlaquo

Die mystische Ausrichtung die aus diesen Zei-len spricht ist unverkennbar In der Gottesgegen-wart leben und zwar unabhaumlngig von dem augen-blicklichen Aufenthaltsort auch unabhaumlngig von der jeweiligen Taumltigkeit ndash das ist das eine Zum an-dern gilt es in dieser raquoGestimmtheitlaquo ndash es ist viel mehr als nur eine Stimmung ndash in den Alltag hi-neinzugehen und in ihm zu wirken Denn nicht weltfluumlchtiges Nichtstun kennzeichnet die mys-tische Grundhaltung eines Meisters Eckhart kommt es doch gerade darauf an raquoin allen Din-

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genlaquo in allen Verrichtungen in allen Lebenssitua-tionen Gott zu raquoergreifenlaquo Im Naumlchstliegenden faumlngt der Gottesdienst an Man koumlnnte allenfalls darauf hinweisen dass dies keinesfalls allein eine eckhartsche Lehre sei Kennen wir sie nicht auch aus dem Zen-Buddhismus kennen wir sie nicht ebenso von dem Baal-Schem-Tow und seinen chas-sidischen Gefolgsleuten (Unnoumltig die Beteuerung dass derlei Hinweise nicht im Sinne einer Nivellie-rung dessen gemeint sein koumlnnen was man eine mystische Lebenslehre nennt)

ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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Page 4: Vom Adel der menschlichen Seele

INHALT

Einleitung 7

Vom edlen Menschen 30

Worte der Unterweisung 36

Geeint sein und verwandelt werden 71

Gott und die Seele 86

Unterwegs zur Gottesgeburt 96

Literaturhinweise 108

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Gott hat all seine Lust in der Geburtund darum gebiert er seinen Sohn in uns

dass auch wir all unsere Lust darin haben hellip

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BERUumlHMT UND KAUM BEKANNT

Die Gestalt Meister Eckharts oft geruumlhmt als Haupt der deutschen Mystik uumlbt seit Langem eine starke Faszination aus Dabei wissen wir verhaumlltnismaumlszligig wenig von seinen Lebensumstaumlnden So stammt von dem protestantischen Kirchenhistoriker Albert Hauck das Wort raquoMit Meister Eckhart nennen wir einen groszligen Namen aber der Name bedeutet eine groszlige Frage Wir kennen Eckhart und kennen ihn nichtlaquo ndash Eckharts Person tritt hinter das Werk des Philosophen und Mystikers des Lehrers Predigers und Seelsorgers zuruumlck Wer daher diesem raquoMeis-terlaquo begegnen will der muss ihn dort suchen wo er in deutscher und lateinischer Sprache die Ergeb-nisse seines Forschens und Suchens niedergelegt hat naumlmlich in seinen Schriften und Predigten in seinen Unterweisungen und Traktaten Dabei ist hier die Frage nicht zu entscheiden ob die lateini-schen Wortlaute den deutschen vorzuziehen seien

EINLEITUNG

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LEBENSSPUREN

Um das Jahr 1260 wird Eckhart von Hochheim in Thuumlringen geboren Es muss jedoch offen bleiben ob Hochheim einen Adelsnamen darstellt oder eine Herkunftsbezeichnung ungewiss ist ferner welches Hochheim gemeint sei Wir wissen nicht was ihn bewogen haben mag ins Kloster zu gehen und Moumlnch zu werden statt ndash gegebenenfalls ndash als Land-edelmann sein Gut zu bestellen der Jagd zu oblie-gen Turniere auszutragen und im Falle eines Krie-ges dem Koumlnig Heerfolge zu leisten

Freilich als Eckhart das Licht der Welt erblickt dauert noch die sogenannte raquokaiserlose die schreck-liche Zeitlaquo an die bis zum Jahre 1273 gedauert hat Und ein anderes die abendlaumlndische Kirchen-geschichte einschneidendes Ereignis steht bevor die sogenannte raquobabylonische Gefangenschaftlaquo der Paumlpste die zwischen 1309 und 1377 im franzoumlsi-schen Avignon residieren und dort ein Finanzimpe-rium von noch nicht da gewesenem Ausmaszlig auf-bauen

Eckhart wird Dominikaner das heiszligt Er tritt je-nem Orden bei der aumlhnlich dem Franziskanerorden die Tugenden der apostolischen Armut und einer strengen asketischen Lebenshaltung pflegt Und noch etwas zeichnet diese Moumlnche aus Sie sind nicht an ein und dasselbe Kloster gebunden Das verschafft den Bettelmoumlnchen den missionarisch

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aktiven geistlichen Soumlhnen des Dominikus die er-forderliche Mobilitaumlt Und hinsichtlich ihrer Ge-lehrsamkeit nehmen sie es mit den Franziskanern auf Dominikaner und Franziskaner bestimmen als Philosophen wie als Theologen das geistig-geistliche Leben des 13 und 14 Jahrhunderts Sie besetzen die Lehrstuumlhle an den hohen Schulen

Es ist die Zeit in der ndash zwischen 1250 und 1268 ndash die Hohenstaufen untergehen Es ist aber auch die Zeit in der die Baumeister der Gotik die himmel-anstrebenden Dome und Kathedralen errichten waumlhrend die Lehrmeister der zeitgenoumlssischen Phi-losophie eben die Angehoumlrigen beider Orden ihre nicht minder kuumlhnen Ideengeruumlste des glaumlubig den-kenden Menschen ausgestalten

Der junge Eckhart nimmt nicht nur die geistige Nahrung des scholastischen Denkens in sich auf als er in das Dominikanerkloster in Erfurt eintritt Er wird selbst ein raquoMeisterlaquo (magister) also ein Profes-sor dieser herrschenden philosophischen Schulrich-tung in der man beispielsweise das Verhaumlltnis von Glauben und Erkennen zu bestimmen sucht Josef Pieper bemerkt hierzu

raquoDie Verknuumlpfung von Vernunft und Glaube hellip besagt dass ein rationales Verstaumlndnis des in der Offenbarung ergangenen Wortes Gottes zu errei-chen sein muumlsse dieses Prinzip beruht offenkundig auf einem ausdruumlcklichen tiefen Vertrauen in die natuumlrlichen Erkenntniskraumlfte des Menschenlaquo

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Ehe nun Eckhart naumlher mit dieser Problematik in Beruumlhrung kommt fungiert er als Prior seines Klosters in Erfurt und als Vikar seines Ordens in Thuumlringen Der noch nicht Vierzigjaumlhrige ist dem-nach ndash um 1298 ndash ein in Mitteldeutschland geach-teter Ordensmann Seine raquoReden der Unterwei-sunglaquo Wortlaute abendlicher Lehrgespraumlche die uns heute zusammen mit seinen Predigten wieder zugaumlnglich sind stammen aus dieser ersten Zeit Darin heiszligt es

raquoDer Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemuumlt daran gewoumlhnen Gott allezeit gegenwaumlrtig zu haben im Gemuumlt und im Streben und in der Liebe Achte darauf wie du deinem Gott zugekehrt bist wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle Diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheitlaquo

Die mystische Ausrichtung die aus diesen Zei-len spricht ist unverkennbar In der Gottesgegen-wart leben und zwar unabhaumlngig von dem augen-blicklichen Aufenthaltsort auch unabhaumlngig von der jeweiligen Taumltigkeit ndash das ist das eine Zum an-dern gilt es in dieser raquoGestimmtheitlaquo ndash es ist viel mehr als nur eine Stimmung ndash in den Alltag hi-neinzugehen und in ihm zu wirken Denn nicht weltfluumlchtiges Nichtstun kennzeichnet die mys-tische Grundhaltung eines Meisters Eckhart kommt es doch gerade darauf an raquoin allen Din-

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genlaquo in allen Verrichtungen in allen Lebenssitua-tionen Gott zu raquoergreifenlaquo Im Naumlchstliegenden faumlngt der Gottesdienst an Man koumlnnte allenfalls darauf hinweisen dass dies keinesfalls allein eine eckhartsche Lehre sei Kennen wir sie nicht auch aus dem Zen-Buddhismus kennen wir sie nicht ebenso von dem Baal-Schem-Tow und seinen chas-sidischen Gefolgsleuten (Unnoumltig die Beteuerung dass derlei Hinweise nicht im Sinne einer Nivellie-rung dessen gemeint sein koumlnnen was man eine mystische Lebenslehre nennt)

ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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Page 5: Vom Adel der menschlichen Seele

Gott hat all seine Lust in der Geburtund darum gebiert er seinen Sohn in uns

dass auch wir all unsere Lust darin haben hellip

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BERUumlHMT UND KAUM BEKANNT

Die Gestalt Meister Eckharts oft geruumlhmt als Haupt der deutschen Mystik uumlbt seit Langem eine starke Faszination aus Dabei wissen wir verhaumlltnismaumlszligig wenig von seinen Lebensumstaumlnden So stammt von dem protestantischen Kirchenhistoriker Albert Hauck das Wort raquoMit Meister Eckhart nennen wir einen groszligen Namen aber der Name bedeutet eine groszlige Frage Wir kennen Eckhart und kennen ihn nichtlaquo ndash Eckharts Person tritt hinter das Werk des Philosophen und Mystikers des Lehrers Predigers und Seelsorgers zuruumlck Wer daher diesem raquoMeis-terlaquo begegnen will der muss ihn dort suchen wo er in deutscher und lateinischer Sprache die Ergeb-nisse seines Forschens und Suchens niedergelegt hat naumlmlich in seinen Schriften und Predigten in seinen Unterweisungen und Traktaten Dabei ist hier die Frage nicht zu entscheiden ob die lateini-schen Wortlaute den deutschen vorzuziehen seien

EINLEITUNG

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LEBENSSPUREN

Um das Jahr 1260 wird Eckhart von Hochheim in Thuumlringen geboren Es muss jedoch offen bleiben ob Hochheim einen Adelsnamen darstellt oder eine Herkunftsbezeichnung ungewiss ist ferner welches Hochheim gemeint sei Wir wissen nicht was ihn bewogen haben mag ins Kloster zu gehen und Moumlnch zu werden statt ndash gegebenenfalls ndash als Land-edelmann sein Gut zu bestellen der Jagd zu oblie-gen Turniere auszutragen und im Falle eines Krie-ges dem Koumlnig Heerfolge zu leisten

Freilich als Eckhart das Licht der Welt erblickt dauert noch die sogenannte raquokaiserlose die schreck-liche Zeitlaquo an die bis zum Jahre 1273 gedauert hat Und ein anderes die abendlaumlndische Kirchen-geschichte einschneidendes Ereignis steht bevor die sogenannte raquobabylonische Gefangenschaftlaquo der Paumlpste die zwischen 1309 und 1377 im franzoumlsi-schen Avignon residieren und dort ein Finanzimpe-rium von noch nicht da gewesenem Ausmaszlig auf-bauen

Eckhart wird Dominikaner das heiszligt Er tritt je-nem Orden bei der aumlhnlich dem Franziskanerorden die Tugenden der apostolischen Armut und einer strengen asketischen Lebenshaltung pflegt Und noch etwas zeichnet diese Moumlnche aus Sie sind nicht an ein und dasselbe Kloster gebunden Das verschafft den Bettelmoumlnchen den missionarisch

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Es ist die Zeit in der ndash zwischen 1250 und 1268 ndash die Hohenstaufen untergehen Es ist aber auch die Zeit in der die Baumeister der Gotik die himmel-anstrebenden Dome und Kathedralen errichten waumlhrend die Lehrmeister der zeitgenoumlssischen Phi-losophie eben die Angehoumlrigen beider Orden ihre nicht minder kuumlhnen Ideengeruumlste des glaumlubig den-kenden Menschen ausgestalten

Der junge Eckhart nimmt nicht nur die geistige Nahrung des scholastischen Denkens in sich auf als er in das Dominikanerkloster in Erfurt eintritt Er wird selbst ein raquoMeisterlaquo (magister) also ein Profes-sor dieser herrschenden philosophischen Schulrich-tung in der man beispielsweise das Verhaumlltnis von Glauben und Erkennen zu bestimmen sucht Josef Pieper bemerkt hierzu

raquoDie Verknuumlpfung von Vernunft und Glaube hellip besagt dass ein rationales Verstaumlndnis des in der Offenbarung ergangenen Wortes Gottes zu errei-chen sein muumlsse dieses Prinzip beruht offenkundig auf einem ausdruumlcklichen tiefen Vertrauen in die natuumlrlichen Erkenntniskraumlfte des Menschenlaquo

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Ehe nun Eckhart naumlher mit dieser Problematik in Beruumlhrung kommt fungiert er als Prior seines Klosters in Erfurt und als Vikar seines Ordens in Thuumlringen Der noch nicht Vierzigjaumlhrige ist dem-nach ndash um 1298 ndash ein in Mitteldeutschland geach-teter Ordensmann Seine raquoReden der Unterwei-sunglaquo Wortlaute abendlicher Lehrgespraumlche die uns heute zusammen mit seinen Predigten wieder zugaumlnglich sind stammen aus dieser ersten Zeit Darin heiszligt es

raquoDer Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemuumlt daran gewoumlhnen Gott allezeit gegenwaumlrtig zu haben im Gemuumlt und im Streben und in der Liebe Achte darauf wie du deinem Gott zugekehrt bist wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle Diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheitlaquo

Die mystische Ausrichtung die aus diesen Zei-len spricht ist unverkennbar In der Gottesgegen-wart leben und zwar unabhaumlngig von dem augen-blicklichen Aufenthaltsort auch unabhaumlngig von der jeweiligen Taumltigkeit ndash das ist das eine Zum an-dern gilt es in dieser raquoGestimmtheitlaquo ndash es ist viel mehr als nur eine Stimmung ndash in den Alltag hi-neinzugehen und in ihm zu wirken Denn nicht weltfluumlchtiges Nichtstun kennzeichnet die mys-tische Grundhaltung eines Meisters Eckhart kommt es doch gerade darauf an raquoin allen Din-

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ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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Page 6: Vom Adel der menschlichen Seele

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BERUumlHMT UND KAUM BEKANNT

Die Gestalt Meister Eckharts oft geruumlhmt als Haupt der deutschen Mystik uumlbt seit Langem eine starke Faszination aus Dabei wissen wir verhaumlltnismaumlszligig wenig von seinen Lebensumstaumlnden So stammt von dem protestantischen Kirchenhistoriker Albert Hauck das Wort raquoMit Meister Eckhart nennen wir einen groszligen Namen aber der Name bedeutet eine groszlige Frage Wir kennen Eckhart und kennen ihn nichtlaquo ndash Eckharts Person tritt hinter das Werk des Philosophen und Mystikers des Lehrers Predigers und Seelsorgers zuruumlck Wer daher diesem raquoMeis-terlaquo begegnen will der muss ihn dort suchen wo er in deutscher und lateinischer Sprache die Ergeb-nisse seines Forschens und Suchens niedergelegt hat naumlmlich in seinen Schriften und Predigten in seinen Unterweisungen und Traktaten Dabei ist hier die Frage nicht zu entscheiden ob die lateini-schen Wortlaute den deutschen vorzuziehen seien

EINLEITUNG

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LEBENSSPUREN

Um das Jahr 1260 wird Eckhart von Hochheim in Thuumlringen geboren Es muss jedoch offen bleiben ob Hochheim einen Adelsnamen darstellt oder eine Herkunftsbezeichnung ungewiss ist ferner welches Hochheim gemeint sei Wir wissen nicht was ihn bewogen haben mag ins Kloster zu gehen und Moumlnch zu werden statt ndash gegebenenfalls ndash als Land-edelmann sein Gut zu bestellen der Jagd zu oblie-gen Turniere auszutragen und im Falle eines Krie-ges dem Koumlnig Heerfolge zu leisten

Freilich als Eckhart das Licht der Welt erblickt dauert noch die sogenannte raquokaiserlose die schreck-liche Zeitlaquo an die bis zum Jahre 1273 gedauert hat Und ein anderes die abendlaumlndische Kirchen-geschichte einschneidendes Ereignis steht bevor die sogenannte raquobabylonische Gefangenschaftlaquo der Paumlpste die zwischen 1309 und 1377 im franzoumlsi-schen Avignon residieren und dort ein Finanzimpe-rium von noch nicht da gewesenem Ausmaszlig auf-bauen

Eckhart wird Dominikaner das heiszligt Er tritt je-nem Orden bei der aumlhnlich dem Franziskanerorden die Tugenden der apostolischen Armut und einer strengen asketischen Lebenshaltung pflegt Und noch etwas zeichnet diese Moumlnche aus Sie sind nicht an ein und dasselbe Kloster gebunden Das verschafft den Bettelmoumlnchen den missionarisch

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aktiven geistlichen Soumlhnen des Dominikus die er-forderliche Mobilitaumlt Und hinsichtlich ihrer Ge-lehrsamkeit nehmen sie es mit den Franziskanern auf Dominikaner und Franziskaner bestimmen als Philosophen wie als Theologen das geistig-geistliche Leben des 13 und 14 Jahrhunderts Sie besetzen die Lehrstuumlhle an den hohen Schulen

Es ist die Zeit in der ndash zwischen 1250 und 1268 ndash die Hohenstaufen untergehen Es ist aber auch die Zeit in der die Baumeister der Gotik die himmel-anstrebenden Dome und Kathedralen errichten waumlhrend die Lehrmeister der zeitgenoumlssischen Phi-losophie eben die Angehoumlrigen beider Orden ihre nicht minder kuumlhnen Ideengeruumlste des glaumlubig den-kenden Menschen ausgestalten

Der junge Eckhart nimmt nicht nur die geistige Nahrung des scholastischen Denkens in sich auf als er in das Dominikanerkloster in Erfurt eintritt Er wird selbst ein raquoMeisterlaquo (magister) also ein Profes-sor dieser herrschenden philosophischen Schulrich-tung in der man beispielsweise das Verhaumlltnis von Glauben und Erkennen zu bestimmen sucht Josef Pieper bemerkt hierzu

raquoDie Verknuumlpfung von Vernunft und Glaube hellip besagt dass ein rationales Verstaumlndnis des in der Offenbarung ergangenen Wortes Gottes zu errei-chen sein muumlsse dieses Prinzip beruht offenkundig auf einem ausdruumlcklichen tiefen Vertrauen in die natuumlrlichen Erkenntniskraumlfte des Menschenlaquo

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Ehe nun Eckhart naumlher mit dieser Problematik in Beruumlhrung kommt fungiert er als Prior seines Klosters in Erfurt und als Vikar seines Ordens in Thuumlringen Der noch nicht Vierzigjaumlhrige ist dem-nach ndash um 1298 ndash ein in Mitteldeutschland geach-teter Ordensmann Seine raquoReden der Unterwei-sunglaquo Wortlaute abendlicher Lehrgespraumlche die uns heute zusammen mit seinen Predigten wieder zugaumlnglich sind stammen aus dieser ersten Zeit Darin heiszligt es

raquoDer Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemuumlt daran gewoumlhnen Gott allezeit gegenwaumlrtig zu haben im Gemuumlt und im Streben und in der Liebe Achte darauf wie du deinem Gott zugekehrt bist wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle Diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheitlaquo

Die mystische Ausrichtung die aus diesen Zei-len spricht ist unverkennbar In der Gottesgegen-wart leben und zwar unabhaumlngig von dem augen-blicklichen Aufenthaltsort auch unabhaumlngig von der jeweiligen Taumltigkeit ndash das ist das eine Zum an-dern gilt es in dieser raquoGestimmtheitlaquo ndash es ist viel mehr als nur eine Stimmung ndash in den Alltag hi-neinzugehen und in ihm zu wirken Denn nicht weltfluumlchtiges Nichtstun kennzeichnet die mys-tische Grundhaltung eines Meisters Eckhart kommt es doch gerade darauf an raquoin allen Din-

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genlaquo in allen Verrichtungen in allen Lebenssitua-tionen Gott zu raquoergreifenlaquo Im Naumlchstliegenden faumlngt der Gottesdienst an Man koumlnnte allenfalls darauf hinweisen dass dies keinesfalls allein eine eckhartsche Lehre sei Kennen wir sie nicht auch aus dem Zen-Buddhismus kennen wir sie nicht ebenso von dem Baal-Schem-Tow und seinen chas-sidischen Gefolgsleuten (Unnoumltig die Beteuerung dass derlei Hinweise nicht im Sinne einer Nivellie-rung dessen gemeint sein koumlnnen was man eine mystische Lebenslehre nennt)

ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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LEBENSSPUREN

Um das Jahr 1260 wird Eckhart von Hochheim in Thuumlringen geboren Es muss jedoch offen bleiben ob Hochheim einen Adelsnamen darstellt oder eine Herkunftsbezeichnung ungewiss ist ferner welches Hochheim gemeint sei Wir wissen nicht was ihn bewogen haben mag ins Kloster zu gehen und Moumlnch zu werden statt ndash gegebenenfalls ndash als Land-edelmann sein Gut zu bestellen der Jagd zu oblie-gen Turniere auszutragen und im Falle eines Krie-ges dem Koumlnig Heerfolge zu leisten

Freilich als Eckhart das Licht der Welt erblickt dauert noch die sogenannte raquokaiserlose die schreck-liche Zeitlaquo an die bis zum Jahre 1273 gedauert hat Und ein anderes die abendlaumlndische Kirchen-geschichte einschneidendes Ereignis steht bevor die sogenannte raquobabylonische Gefangenschaftlaquo der Paumlpste die zwischen 1309 und 1377 im franzoumlsi-schen Avignon residieren und dort ein Finanzimpe-rium von noch nicht da gewesenem Ausmaszlig auf-bauen

Eckhart wird Dominikaner das heiszligt Er tritt je-nem Orden bei der aumlhnlich dem Franziskanerorden die Tugenden der apostolischen Armut und einer strengen asketischen Lebenshaltung pflegt Und noch etwas zeichnet diese Moumlnche aus Sie sind nicht an ein und dasselbe Kloster gebunden Das verschafft den Bettelmoumlnchen den missionarisch

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aktiven geistlichen Soumlhnen des Dominikus die er-forderliche Mobilitaumlt Und hinsichtlich ihrer Ge-lehrsamkeit nehmen sie es mit den Franziskanern auf Dominikaner und Franziskaner bestimmen als Philosophen wie als Theologen das geistig-geistliche Leben des 13 und 14 Jahrhunderts Sie besetzen die Lehrstuumlhle an den hohen Schulen

Es ist die Zeit in der ndash zwischen 1250 und 1268 ndash die Hohenstaufen untergehen Es ist aber auch die Zeit in der die Baumeister der Gotik die himmel-anstrebenden Dome und Kathedralen errichten waumlhrend die Lehrmeister der zeitgenoumlssischen Phi-losophie eben die Angehoumlrigen beider Orden ihre nicht minder kuumlhnen Ideengeruumlste des glaumlubig den-kenden Menschen ausgestalten

Der junge Eckhart nimmt nicht nur die geistige Nahrung des scholastischen Denkens in sich auf als er in das Dominikanerkloster in Erfurt eintritt Er wird selbst ein raquoMeisterlaquo (magister) also ein Profes-sor dieser herrschenden philosophischen Schulrich-tung in der man beispielsweise das Verhaumlltnis von Glauben und Erkennen zu bestimmen sucht Josef Pieper bemerkt hierzu

raquoDie Verknuumlpfung von Vernunft und Glaube hellip besagt dass ein rationales Verstaumlndnis des in der Offenbarung ergangenen Wortes Gottes zu errei-chen sein muumlsse dieses Prinzip beruht offenkundig auf einem ausdruumlcklichen tiefen Vertrauen in die natuumlrlichen Erkenntniskraumlfte des Menschenlaquo

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Ehe nun Eckhart naumlher mit dieser Problematik in Beruumlhrung kommt fungiert er als Prior seines Klosters in Erfurt und als Vikar seines Ordens in Thuumlringen Der noch nicht Vierzigjaumlhrige ist dem-nach ndash um 1298 ndash ein in Mitteldeutschland geach-teter Ordensmann Seine raquoReden der Unterwei-sunglaquo Wortlaute abendlicher Lehrgespraumlche die uns heute zusammen mit seinen Predigten wieder zugaumlnglich sind stammen aus dieser ersten Zeit Darin heiszligt es

raquoDer Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemuumlt daran gewoumlhnen Gott allezeit gegenwaumlrtig zu haben im Gemuumlt und im Streben und in der Liebe Achte darauf wie du deinem Gott zugekehrt bist wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle Diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheitlaquo

Die mystische Ausrichtung die aus diesen Zei-len spricht ist unverkennbar In der Gottesgegen-wart leben und zwar unabhaumlngig von dem augen-blicklichen Aufenthaltsort auch unabhaumlngig von der jeweiligen Taumltigkeit ndash das ist das eine Zum an-dern gilt es in dieser raquoGestimmtheitlaquo ndash es ist viel mehr als nur eine Stimmung ndash in den Alltag hi-neinzugehen und in ihm zu wirken Denn nicht weltfluumlchtiges Nichtstun kennzeichnet die mys-tische Grundhaltung eines Meisters Eckhart kommt es doch gerade darauf an raquoin allen Din-

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genlaquo in allen Verrichtungen in allen Lebenssitua-tionen Gott zu raquoergreifenlaquo Im Naumlchstliegenden faumlngt der Gottesdienst an Man koumlnnte allenfalls darauf hinweisen dass dies keinesfalls allein eine eckhartsche Lehre sei Kennen wir sie nicht auch aus dem Zen-Buddhismus kennen wir sie nicht ebenso von dem Baal-Schem-Tow und seinen chas-sidischen Gefolgsleuten (Unnoumltig die Beteuerung dass derlei Hinweise nicht im Sinne einer Nivellie-rung dessen gemeint sein koumlnnen was man eine mystische Lebenslehre nennt)

ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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aktiven geistlichen Soumlhnen des Dominikus die er-forderliche Mobilitaumlt Und hinsichtlich ihrer Ge-lehrsamkeit nehmen sie es mit den Franziskanern auf Dominikaner und Franziskaner bestimmen als Philosophen wie als Theologen das geistig-geistliche Leben des 13 und 14 Jahrhunderts Sie besetzen die Lehrstuumlhle an den hohen Schulen

Es ist die Zeit in der ndash zwischen 1250 und 1268 ndash die Hohenstaufen untergehen Es ist aber auch die Zeit in der die Baumeister der Gotik die himmel-anstrebenden Dome und Kathedralen errichten waumlhrend die Lehrmeister der zeitgenoumlssischen Phi-losophie eben die Angehoumlrigen beider Orden ihre nicht minder kuumlhnen Ideengeruumlste des glaumlubig den-kenden Menschen ausgestalten

Der junge Eckhart nimmt nicht nur die geistige Nahrung des scholastischen Denkens in sich auf als er in das Dominikanerkloster in Erfurt eintritt Er wird selbst ein raquoMeisterlaquo (magister) also ein Profes-sor dieser herrschenden philosophischen Schulrich-tung in der man beispielsweise das Verhaumlltnis von Glauben und Erkennen zu bestimmen sucht Josef Pieper bemerkt hierzu

raquoDie Verknuumlpfung von Vernunft und Glaube hellip besagt dass ein rationales Verstaumlndnis des in der Offenbarung ergangenen Wortes Gottes zu errei-chen sein muumlsse dieses Prinzip beruht offenkundig auf einem ausdruumlcklichen tiefen Vertrauen in die natuumlrlichen Erkenntniskraumlfte des Menschenlaquo

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Ehe nun Eckhart naumlher mit dieser Problematik in Beruumlhrung kommt fungiert er als Prior seines Klosters in Erfurt und als Vikar seines Ordens in Thuumlringen Der noch nicht Vierzigjaumlhrige ist dem-nach ndash um 1298 ndash ein in Mitteldeutschland geach-teter Ordensmann Seine raquoReden der Unterwei-sunglaquo Wortlaute abendlicher Lehrgespraumlche die uns heute zusammen mit seinen Predigten wieder zugaumlnglich sind stammen aus dieser ersten Zeit Darin heiszligt es

raquoDer Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemuumlt daran gewoumlhnen Gott allezeit gegenwaumlrtig zu haben im Gemuumlt und im Streben und in der Liebe Achte darauf wie du deinem Gott zugekehrt bist wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle Diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheitlaquo

Die mystische Ausrichtung die aus diesen Zei-len spricht ist unverkennbar In der Gottesgegen-wart leben und zwar unabhaumlngig von dem augen-blicklichen Aufenthaltsort auch unabhaumlngig von der jeweiligen Taumltigkeit ndash das ist das eine Zum an-dern gilt es in dieser raquoGestimmtheitlaquo ndash es ist viel mehr als nur eine Stimmung ndash in den Alltag hi-neinzugehen und in ihm zu wirken Denn nicht weltfluumlchtiges Nichtstun kennzeichnet die mys-tische Grundhaltung eines Meisters Eckhart kommt es doch gerade darauf an raquoin allen Din-

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genlaquo in allen Verrichtungen in allen Lebenssitua-tionen Gott zu raquoergreifenlaquo Im Naumlchstliegenden faumlngt der Gottesdienst an Man koumlnnte allenfalls darauf hinweisen dass dies keinesfalls allein eine eckhartsche Lehre sei Kennen wir sie nicht auch aus dem Zen-Buddhismus kennen wir sie nicht ebenso von dem Baal-Schem-Tow und seinen chas-sidischen Gefolgsleuten (Unnoumltig die Beteuerung dass derlei Hinweise nicht im Sinne einer Nivellie-rung dessen gemeint sein koumlnnen was man eine mystische Lebenslehre nennt)

ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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Ehe nun Eckhart naumlher mit dieser Problematik in Beruumlhrung kommt fungiert er als Prior seines Klosters in Erfurt und als Vikar seines Ordens in Thuumlringen Der noch nicht Vierzigjaumlhrige ist dem-nach ndash um 1298 ndash ein in Mitteldeutschland geach-teter Ordensmann Seine raquoReden der Unterwei-sunglaquo Wortlaute abendlicher Lehrgespraumlche die uns heute zusammen mit seinen Predigten wieder zugaumlnglich sind stammen aus dieser ersten Zeit Darin heiszligt es

raquoDer Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemuumlt daran gewoumlhnen Gott allezeit gegenwaumlrtig zu haben im Gemuumlt und im Streben und in der Liebe Achte darauf wie du deinem Gott zugekehrt bist wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle Diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheitlaquo

Die mystische Ausrichtung die aus diesen Zei-len spricht ist unverkennbar In der Gottesgegen-wart leben und zwar unabhaumlngig von dem augen-blicklichen Aufenthaltsort auch unabhaumlngig von der jeweiligen Taumltigkeit ndash das ist das eine Zum an-dern gilt es in dieser raquoGestimmtheitlaquo ndash es ist viel mehr als nur eine Stimmung ndash in den Alltag hi-neinzugehen und in ihm zu wirken Denn nicht weltfluumlchtiges Nichtstun kennzeichnet die mys-tische Grundhaltung eines Meisters Eckhart kommt es doch gerade darauf an raquoin allen Din-

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genlaquo in allen Verrichtungen in allen Lebenssitua-tionen Gott zu raquoergreifenlaquo Im Naumlchstliegenden faumlngt der Gottesdienst an Man koumlnnte allenfalls darauf hinweisen dass dies keinesfalls allein eine eckhartsche Lehre sei Kennen wir sie nicht auch aus dem Zen-Buddhismus kennen wir sie nicht ebenso von dem Baal-Schem-Tow und seinen chas-sidischen Gefolgsleuten (Unnoumltig die Beteuerung dass derlei Hinweise nicht im Sinne einer Nivellie-rung dessen gemeint sein koumlnnen was man eine mystische Lebenslehre nennt)

ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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genlaquo in allen Verrichtungen in allen Lebenssitua-tionen Gott zu raquoergreifenlaquo Im Naumlchstliegenden faumlngt der Gottesdienst an Man koumlnnte allenfalls darauf hinweisen dass dies keinesfalls allein eine eckhartsche Lehre sei Kennen wir sie nicht auch aus dem Zen-Buddhismus kennen wir sie nicht ebenso von dem Baal-Schem-Tow und seinen chas-sidischen Gefolgsleuten (Unnoumltig die Beteuerung dass derlei Hinweise nicht im Sinne einer Nivellie-rung dessen gemeint sein koumlnnen was man eine mystische Lebenslehre nennt)

ALS LEHRER UND SEELENFUumlHRER

Um das Jahr 1300 sendet die Ordensleitung den Bruder Eckhart nach Paris in das damalige Zen-trum der scholastischen Gelehrsamkeit Er hat dort Vorlesungen zu halten und seine eigene philo so-phisch theologische Bildung zu vervollkommnen Er wird zum Magister (Professor) der Theologie promoviert Man schreibt das Jahr 1302 Von da an traumlgt Eckhart den akademischen Titel eines raquoMeis-terslaquo Schon Thomas von Aquin sein aumllterer Or-densbruder die Leuchte der Scholastik hat ein Menschenalter vor Eckhart in Paris seine Magister-Promotion erhalten ehe er daran gehen konnte seine beruumlhmte raquoSumme der Theologielaquo in Angriff zu nehmen

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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Meister Eckhart stellt sich in die groszlige Tradi-tion hinein die uumlber Thomas von Aquin und Albertus Magnus zuruumlckreicht zu den Traumlgern der platonisch-neuplatonischen Philosophie naumlmlich uumlber Hugo und Richard von Sankt Viktor uumlber Skotus Eriugena uumlber den geheimnisvollen Dio-nysius Areopagita bis hin zu Plotin und Platon Nicht zu vergessen den Kirchenvater Augustinus den Eckhart in seinen Schriften viele Male woumlrt-lich zitiert

Diese groszligen Geister deren Denken durch die Zuumlge eines geistigen Schauens und eines intuitiven Wahrnehmens gepraumlgt ist und somit bereits mys-tische Zuumlge traumlgt bilden die geistige Ahnenkette dessen der nicht laumlnger als bloszliger raquoLesemeisterlaquo ndash das heiszligt als ein literarisch Abhaumlngiger ndash auf diese Tradition zuruumlckblickt sondern der aus eigener houml-herer Wahrnehmung heraus zu einem mystischen raquoLebemeisterlaquo gereift ist Gemeint ist ein raquoTaumlter des Worteslaquo im Sinne des Apostelwortes ein spirituel-ler Praktiker Und die Ergebnisse dieser Reife darf er nicht fuumlr sich behalten Er muss sie weitergeben indem er sie als Lehrer seinen juumlngeren Ordensbruuml-dern und als Seelenfuumlhrer den ihm anvertrauten Menschen mitteilt

Hierzu Dionysius Areopagita Ich schaute Gott im Schwei-gen Mystische Texte der Gotteserfahrung hrsg von Volk-mar Keil Freiburg 1985

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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Der Orden ruft den Hochbegabten wieder in die Heimat zuruumlck Immer neue Dominikaner- und Dominikanerinnen-Kloumlster sind in Deutschland entstanden Sie verlangen eine Fuumlhrung die uumlber das Organisatorische und uumlber die Durchfuumlhrung eines aumluszligeren Reglements weit hinausgeht Eckhart wird mit dem Amt eines Ordensprovinzials fuumlr Sachsen und dem eines Ordensvikars fuumlr Boumlhmen betraut In dieser Eigenschaft ist er viel unterwegs indem er von Kloster zu Kloster pilgert um nach dem Rechten zu sehen Das raquoBuch der goumlttlichen Troumlstunglaquo entsteht Es ist Agnes der Koumlnigin von Ungarn gewidmet nachdem ihr Vater Albrecht I von Habsburg 1308 ermordet worden ist

Nach dem zweiten Paris-Aufenthalt finden wir Eckhart in Straszligburg von wo aus er bis 1322 die do-minikanischen Frauenkloumlster im Elsass und in der benachbarten Schweiz betreut Schlieszliglich wird er an die Ordenshochschule nach Koumlln berufen Unter seinen Schuumllern und Predigthoumlrern finden sich ver-mutlich auch zwei junge Ordensbruumlder aus Suumld-westdeutschland denen es bestimmt sein sollte das mystische Feuer weiterzutragen Der eine kommt aus Straszligburg und heiszligt Johannes Tauler der an-dere ist der gebuumlrtige Konstanzer Heinrich Seuse Zumindest er hat sich in seinem eigenen schriftstel-lerischen Werk zu seinem Lehrer bekannt

Die Koumllner Zeit die fuumlr den nunmehr sechzig-jaumlhrigen Meister Eckhart anbricht ist bald von einer

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